Mandelas Weg (ePub)
Liebe, Mut, Verantwortung - Die Weisheit eines Lebens
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In Afrika gibt es die Vorstellung vom ubuntu - die tiefe Überzeugung, dass wir nur durch die Menschlichkeit anderer zu Menschen werden. Wenn wir in dieser Welt etwas erreichen wollen, so ist es demnach zu gleichen Teilen unserer Arbeit und der Leistung anderer zu verdanken. Richard Stengel gehört zu den Menschen, die sich diese Vorstellung zu eigen gemacht haben. Er ist ein hervorragender Autor und ein exzellenter Kenner unserer Geschichte. Ich bin unendlich dankbar für seine Mitarbeit an dem Buch Der lange Weg zur Freiheit. Gern erinnere ich mich an die vielen Stunden, in denen wir im Zwiegespräch intensiv an diesem Projekt gearbeitet haben. Er hat begriffen, vor welch komplexen Führungsaufgaben die Welt und ihre Bewohner heute stehen. Davon kann jeder lernen. NELSON MANDELA, November 2008 Ein vielschichtiger Mensch Nelson Mandela ist vielleicht der letzte echte Held auf unserer Erde. Er ist das lächelnde Sinnbild für Opferbereitschaft und Rechtschaffenheit, von Millionen verehrt wie ein Heiliger. Doch dieses Bild ist eindimensional. Mandela wäre der Erste, der es weit von sich weisen würde - und das hat nichts mit falscher Bescheidenheit zu tun. Nelson Mandela ist ein Mann voller Widersprüche. Er ist dickhäutig, aber gleichzeitig sehr verletzlich. Er hat ein Gespür für die Gefühle anderer, nimmt aber diejenigen, die ihm besonders nahe stehen, häufig nicht zur Kenntnis. Er geht großzügig mit Geld um, geizt aber beim Trinkgeld mit jedem Cent. Er kann keiner Fliege etwas zuleide tun, gründete und befehligte aber den militärischen Flügel des Afrikanischen Nationalkongresses ANC. Er ist ein Mann aus dem Volk, genießt aber die Gesellschaft Prominenter. Er möchte es gern jedem recht machen, scheut sich aber nicht, nein zu sagen. Er heimst nicht gern den Ruhm nur für sich ein, gibt aber deutlich zu verstehen, wenn er ihm zusteht. Er begrüßt im Restaurant jede Küchenangestellte mit Handschlag, vergisst aber gern die Namen seiner Leibwächter. Mandela ist eine Mischung aus
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einem afrikanischen König und einem britischen Aristokraten, ein viktorianischer Gentleman im seidenen Dashiki. Er hat hervorragende Manieren - immerhin lernte er sie in britischen Kolonialschulen von Lehrern, die Charles Dickens zu einer Zeit lasen, da dieser noch schrieb. Sein Benehmen ist förmlich: Er macht eine kleine Verbeugung und lässt dem anderen mit einer Geste den Vortritt. Dabei ist er alles andere als steif oder affektiert. Er beschreibt mit geradezu klinischer Genauigkeit die Körperhygiene auf Robben Island oder das Beschneidungsritual seines Stammes, in dem ihm im Alter von sechzehn Jahren die Vorhaut entfernt wurde. In London und in Johannesburg benutzt er teures Silberbesteck, doch wenn er sich in seiner Heimat, der Transkei, aufhält, isst er, wie es dort üblich ist, mit den Händen. Nelson Mandela ist ein Pedant. Er zieht Papiertaschentücher aus der Kleenex-Schachtel, faltet sie einzeln und steckt sie sich in die Tasche. Ich habe erlebt, dass er während eines Interviews einen Schuh auszog, um den Socken umzudrehen, den er falsch herum anhatte. In den mehr als zwei Jahrzehnten Haft fertigte er von jedem Brief, den er schrieb, einen Entwurf an und führte eine Liste über alle Briefe, die er erhielt, mit Datum des Eingangs und seiner Antwort. Er schläft auf einer Seite seines Doppelbettes, während die andere Hälfte völlig unberührt bleibt. Er steht jeden Morgen vor Sonnenaufgang auf und macht sein Bett, egal, ob er zu Hause ist oder im Hotel. Man stelle sich den entsetzten Ausdruck auf den Gesichtern der Hotelangestellten vor, wenn sie ihn beim Bettenmachen überraschen! Er kommt nur äußerst ungern zu spät und betrachtet Unpünktlichkeit als Charakterfehler. Ich kenne keinen Menschen, der so still sein kann wie Nelson Mandela. Wenn er dasitzt und jemandem zuhört, tippt er weder mit den Fingern, noch wippt er mit dem Fuß, sondern er ist völlig regungslos. Er hat keinerlei nervöse Ticks. Wenn ich ihm die Krawatte zurechtrückte, das Jackett glatt strich oder ein Mikrofon am Revers befestigte, kam es mir vor, als hätte ich eine Statue vor mir. Hört er mir zu, habe ich das Gefühl, ich säße einem Stillleben seiner selbst gegenüber. Man merkt kaum, dass er überhaupt atmet. Mandela ist ein großer Charmeur, der sein Gegenüber mit allen erdenklichen Mitteln für sich gewinnt. Er ist aufmerksam, höflich, einnehmend und - um ein Wort zu verwenden, das er ganz und gar nicht gutheißen würde - ein Verführer. Und er bereitet sich gründlich vor. Vor einem Treffen bringt er möglichst viel über sein Gegenüber in Erfahrung. Als er aus dem Gefängnis kam, las er die Artikel der Journalisten und lobte jeden Einzelnen bis ins kleinste Detail. Und wie die meisten großen Charmeure lässt auch er sich gern verzaubern - am besten gelingt das, indem man ihm zu verstehen gibt, dass er einen für sich gewonnen hat. Sein Charme ist politischer wie auch persönlicher Natur. In der Politik geht es darum, jemanden zu überzeugen, und Mandela sieht sich daher nicht so sehr als Großen Kommunikator denn als Großen Überzeuger. Er gewinnt sein Gegenüber durch Logik und die Kraft der Argumente oder aber durch Charme - meist ist es eine Mischung aus beidem. Ihm ist es allemal lieber, jemanden von etwas zu überzeugen, als ihm etwas zu befehlen. Aber wenn es nicht anders geht, ordnet er auch etwas an. Er möchte, dass man ihn mag. Er lässt sich gern bewundern. Es liegt ihm überhaupt nicht, jemanden zu enttäuschen. Sein Gegenüber soll nach einem Gespräch mit ihm überzeugt sein, dass Mandela all das verkörpert, was sie oder er sich erhofft hat. Das erfordert enorme Energie, und er gibt so gut wie jedem, dem er begegnet, etwas von sich. Man bekommt sozusagen den ganzen Mandela. Es sei denn, er ist müde. Dann sinken seine Lider auf Halbmast, und er scheint im Stehen zu schlafen. Aber ich kenne niemanden, der nach einer erholsamen Nacht einen dermaßen erfrischten Eindruck macht. Sieht er um zehn Uhr abends noch aus, als stünde er auf der Schwelle zum Tod, so ist er acht Stunden später, um sechs Uhr morgens, wieder putzmunter und wirkt zwanzig Jahre jünger. Seinen Charme versprüht er umgekehrt proportional zum Grad der Vertrautheit. Zu Fremden ist er überaus freundlich, Vertrauten gegenüber eher reserviert.
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Autoren-Porträt von Richard Stengel
Richard Stengel ist ehemaliger Herausgeber des »Time Magazine«. Er ist Autor zahlreicher Bücher und hat mit Nelson Mandela bei dessen Autobiografie »Der lange Weg zur Freiheit« zusammengearbeitet. Außerdem fungierte er als Co-Produzent der Oscar-nominierten Dokumentation »Mandela«.
Bibliographische Angaben
- Autor: Richard Stengel
- 2010, 256 Seiten, Deutsch
- Übersetzer: Anne Emmert
- Verlag: Random House ebook
- ISBN-10: 3641041996
- ISBN-13: 9783641041991
- Erscheinungsdatum: 19.04.2010
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eBook Informationen
- Dateiformat: ePub
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