Nimm's leicht (ePub)
So hatte Dani sich die Mitte des Lebens nicht vorgestellt: Hitzewallungen und Schlafstörungen machen ihr zu schaffen, die Figur entgleitet ihr, und auch stimmungsmäßig steht nicht alles zum Besten. Ihre Freundinnen sind sich einig – da hilft nur...
Leider schon ausverkauft
eBook
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenloser tolino webreader
Produktdetails
Produktinformationen zu „Nimm's leicht (ePub)“
So hatte Dani sich die Mitte des Lebens nicht vorgestellt: Hitzewallungen und Schlafstörungen machen ihr zu schaffen, die Figur entgleitet ihr, und auch stimmungsmäßig steht nicht alles zum Besten. Ihre Freundinnen sind sich einig – da hilft nur Fastenwandern! Mit Hafertee und viel Bewegung in einer ruhigen, beschaulichen Umgebung soll Dani wieder zu sich finden. Gemeinsam machen sie sich auf in den Schwarzwald. Frische Luft ist reichlich vorhanden, von Ruhe und Beschaulichkeit kann jedoch keine Rede sein. Es gibt zwar nichts zu essen, dafür aber jede Menge Aufregung. Doch wider Erwarten amüsieren sich die Freundinnen prächtig – bis plötzlich Ninas exzentrische Mutter vor der Tür steht …
Lese-Probe zu „Nimm's leicht (ePub)“
Nimm's Leicht von Maria Linke1.
Das prächtige, von Balthasar Neumann entworfene Treppenhaus von Schloss Augustusburg war bis auf den letzten Platz besetzt. Die Strahlen der Abendsonne fielen durch die hohen Fenster und tauchten den Saal in goldenes Licht. Applaus brandete auf, als der junge Pianist die Treppe herunterkam und sich ans Klavier setzte. Dann wurde es totenstill, und die ersten Takte des Klavierkonzerts G-Dur von Wolfgang Amadeus Mozart ertönten.
Dani hatte einen Platz im ersten Stock direkt an der Treppe ergattert. Von dort hatte sie einen guten Blick auf den Pianisten. Allerdings saß auch sie dort wie auf dem Präsentierteller, und gerade jetzt wäre sie lieber unsichtbar gewesen. Der Raum kam ihr auf einmal unerträglich stickig vor. Eine Hitzewelle überflutete sie, und sie hatte das Gefühl, dass ihr Gesicht rot wie eine Tomate leuchtete. Der Schweiß lief ihr in die Augen, und sie bekam kaum Luft, so heiß war ihr. Die braunen Haare klebten ihr an den Schläfen, und ihre Frisur, die sie mühsam und im Schweiße ihres Angesichts über die Rundbürste geföhnt hatte, war bestimmt völlig in sich zusammengefallen. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Sie hielt den Blick starr geradeaus gerichtet und versuchte, sich auf die Musik zu konzentrieren, aber es half nichts. Sie musste hier raus. Sie musste dringend an die frische Luft, sonst würde sie auf der Stelle zerfließen, aber wie sollte sie am Pianisten und an der ganzen Zuschauermenge vorbeikommen? Leise keuchend wand sie sich auf ihrem Stuhl, und dann hielt sie es nicht mehr aus. Sie sprang auf ...
... mehr
Die Vormittagssonne malte Kringel auf Danis Schreibunterlage und blendete sie. Dani, die den letzten Satz der Akte schon fünf Mal gelesen und immer noch nicht begriffen hatte, hielt inne und drückte sich erschöpft die Fingerspitzen an die Schläfen. Es war erst Viertel nach zehn Uhr morgens, und sie war so müde, als hätte sie die Nacht durchgemacht. Seufzend stützte sie den Kopf auf und starrte vor sich hin. Vom Fenster ihres Büros aus blickte sie weit über die Dächer der Kleinstadt in der Nähe von Köln und den Tagebau bis hin zum Waldrand des Villengürtels am Horizont, aber für die tolle Aussicht aus dem vierten Stock des Amtsgerichts hatte sie heute keinen Blick.
Die Nacht war mal wieder um zwei Uhr zu Ende gewesen. Keuchend war sie aus dem Schlaf aufgefahren. Das Herz hatte ihr bis zum Hals geschlagen, und sie erinnerte sich dumpf, dass sie von einer peinlichen Situation bei den Brühler Schlosskonzerten geträumt hatte. Noch während sie benommen versucht hatte, ihren Puls unter Kontrolle zu bekommen, hatte sie auf einmal so zu schwitzen begonnen, dass schließlich alles völlig durchnässt gewesen war. Den Tränen nahe, war sie mitten in der Nacht aufgestanden, um zu duschen und die Bettwäsche zu wechseln. Und danach war ans Schlafen natürlich nicht mehr zu denken gewesen.
»Ich halte das nicht mehr aus«, murmelte sie. »Wie lange soll das noch so gehen?«
»Wie bitte?« Ihr Chef steckte den Kopf durch die Tür. »Haben Sie etwas gesagt, Frau Maaßen? Können Sie mir bitte die Unterlagen zu der Zwangsversteigerung am Fasanenweg heraussuchen? Ich wollte mich mit der Materie noch einmal vertraut machen.«
Dani schreckte zusammen. Sie hatte sein Klopfen gar nicht gehört, aber vielleicht hatte er ja auch gar nicht angeklopft, das kam auch schon mal vor. Dr. Martin Emmerich war ein junger, vitaler Chef, und er bildete sich einiges darauf ein, immer wie ein Wirbelwind durch seine Behörde zu fegen.
»Ja, mache ich«, erwiderte sie. »Sie wissen ja Bescheid, oder? Ich muss gleich weg, ich habe einen Arzttermin.«
»Ja, ja, wenn Sie mir nur vorher die Unterlagen geben. «
Dr.Emmerich stand nur zu deutlich im Gesicht geschrieben, was er von Frauen im mittleren Alter hielt, die vergrämt und verschwitzt am Schreibtisch saßen. Besonders schlecht war er für Dani zu ertragen, wenn er sie während der Abteilungsbesprechungen auf ihre Schweißausbrüche ansprach. Einmal hatte er wahrhaftig gesagt: »Liebe Frau Maaßen, wie kommt es nur, dass Sie so schwitzen? Also, das verstehe ich nicht. Hier ist es doch nun wirklich nicht besonders warm!« Dabei hatte er beifallheischend in die Runde gelächelt.
»Blödmann!«, schimpfte Dani leise, als er das Zimmer verlassen hatte. Rasch stand sie auf und suchte ihm die Akte heraus. Dann blickte sie auf die Uhr. Sie musste los. Um elf hatte sie einen Termin bei ihrem Gynäkologen zum jährlichen Check, und sie wollte früh genug da sein, damit sie nicht zu lange im Wartezimmer sitzen musste. Sie fuhr ihren Computer herunter, schob die Unterlagen, mit denen sie sich gerade beschäftigt hatte, auf einen kleinen Stapel zusammen, griff ihre Tasche und verließ das Büro.
Auf dem Weg zum Fahrstuhl gab sie die Aktenmappe bei Dr. Emmerichs Sekretärin ab. Während sie noch auf den Fahrstuhl wartete, überlegte sie es sich anders und lief stattdessen die Treppe herunter. Es ging zwar nur abwärts, aber selbst das würde im Zweifelsfall mehr Kalorien verbrauchen als Fahrstuhlfahren. Und morgens brachte sie es einfach nicht über sich, die vier Stockwerke zu ihrem Büro hinaufzulaufen, vor allem nicht, wenn die Nacht mal wieder so anstrengend gewesen war. Außerdem hatte sie die Erfahrung gemacht, dass es sowieso nichts brachte. Wenn sie viel Sport trieb, nahm sie nur an Muskelmasse zu. Schlanker wurde sie nach ihrem subjektiven Empfinden davon nicht. Aber ein bisschen Bewegung musste natürlich sein, und es schadete ja auch nicht ...
»Thomas, hast du die Bestellung aus Kandersteg gesehen? Ich habe sie auf deinen Schreibtisch gelegt.«
Thomas Walter schaltete die Kreissäge aus. »Was hast du gesagt, Beat? Die Säge ist so laut.«
Beat Imhof lächelte. »Ja, klar. Entschuldige. Ich habe nur gefragt, ob du die Bestellung aus Kandersteg auf deinem Schreibtisch gesehen hast.«
»Ja, ja. Habe ich gesehen. Unser Auftragsbuch ist langsam voll. Das sind fünf neue Chalets mit Komplettmöblierung, oder? Hättest du etwas dagegen, wenn ich für die Schreinerei noch einen Gesellen einstelle?« Er grinste. »Mein Onkel treibt sich ja lieber auf dem Golfplatz herum, als in der Werkstatt zu stehen.«
»Pass auf, was du sagst!« Beat knuffte seinen Neffen gutmütig. »Schließlich habe ich das Geschäft im Schweiße meines Angesichts aufgebaut.« Er kniff nachdenklich die Augen zusammen. »Aber du hast natürlich recht, schau dich mal nach einer guten Kraft um. Und in der Buchhaltung bräuchten wir ebenfalls noch jemanden. Für deine Tante wird es langsam auch ein bisschen viel.« Lächelnd ließ er seine Hand über das glatte, honigfarbene Holz eines Arvenbretts gleiten. »Ach, übrigens, ich fahre jetzt zum Golfspielen.«
Thomas hob gespielt resigniert die Hände. »Habe ich es nicht gesagt? Ja, ja, fahr du nur - zum Glück hast du ja einen zuverlässigen Partner, der sich um alles kümmert.«
»Ja, da habe ich wirklich Glück gehabt!« Lachend wandte sich Beat Imhof zum Haus, das neben Möbelgeschäft und Schreinerei auf dem weitläufigen Grundstück in Spiez lag.
Es war ein strahlender Tag im Spätherbst. Die Laubbäume um den Thunersee hatten sich schon bunt gefärbt und spiegelten sich im stillen Wasser. Jetzt, am späten Vormittag hatte die Sonne an Kraft gewonnen und die Nebelschleier auf den Wiesen aufgelöst. Der Tag versprach warm zu werden, und Beat Imhof hatte beschlossen, das schöne Wetter zu genießen.
»Willst du nicht mit zum Golfen kommen, Reni? Wer weiß, wie lange sich das gute Wetter noch hält. Das sollten wir ausnutzen«, sagte er zu seiner Frau und gab ihr einen Kuss.
»Ach was, fahr du nur«, erwiderte sie liebevoll und streichelte ihm über die Wange. Sie waren zwar schon seit siebenundzwanzig Jahren verheiratet, aber immer noch glücklich miteinander. »Eigentlich wird es von Tag zu Tag schöner«, pflegte Beat immer zu sagen. »Je älter wir werden, desto besser verstehen wir uns.«
»Ich werde mich wohl ein wenig hinlegen. Mir ist es heute nicht gut«, meinte seine Frau. »Und außerdem wollte ich für Thomas Älpler-Makkaroni kochen. Die mag er so gerne.« Sie lächelte ihren Mann an. »Und dir verwahre ich eine Portion für heute Abend.«
»Soll ich lieber zu Hause bleiben?«, fragte Beat zögernd. Sie schüttelte den Kopf. »Nein, natürlich nicht«, antwortete sie. »Ich komme schon zurecht. Heute Abend geht es mir bestimmt wieder besser.«
Kurz nach halb eins erhielt er einen Anruf. Sein Neffe war wie immer mittags zum Essen gekommen und hatte Reni leblos auf der Couch im Wohnzimmer vorgefunden. Als Beat nach Hause kam, war auch der Notarzt schon da, aber alle Wiederbelebungsmaßnahmen schlugen fehl. Seine Frau war tot.
Plötzlicher Herztod, lautete die Diagnose. Und nach siebenundzwanzig Jahren Ehe war Beat mit seinem Schmerz und seiner Trauer ganz allein.
Nach der Beerdigung brach er zusammen und vergrub sich in seinem schönen Haus mit Blick auf den See, das ihm auf einmal viel zu groß und leer erschien. Er kümmerte sich nur noch sporadisch um die Schreinerei und das Geschäft, die er nun fast völlig seinem Neffen überließ. Die viele freie Zeit verbrachte er nicht mehr, wie sonst, auf dem Golfplatz oder in den Bergen, sondern zu Hause, wo er unglücklich vor sich hin stierte und schon mittags das erste Glas Bier trank.
Er verwahrloste zusehends, weil er nicht mehr einsah, wozu er sich morgens waschen und kämmen sollte - er wusste ja nicht einmal mehr, warum er überhaupt aufstand -, und er vereinsamte, weil er außer mit seiner Haushälterin, die an den Wochentagen saubermachte und vorkochte, mit kaum jemandem ein Wort wechselte. Die Schönheit der Natur - sonst seine ganze Freude - interessierte ihn nicht mehr, und für das Weltgeschehen hatte er nur ein müdes Achselzucken übrig.
Fast zwei Jahre ging das so, und dann hatte er von sich selbst genug. Eines Morgens wachte er auf und merkte, dass die Vögel zwitscherten. Die Sonne fiel in sein nach Osten gelegenes Badezimmer, und er wandte sich schaudernd ab, als er im Spiegel sein aufgedunsenes, blasses Gesicht mit den Tränensäcken unter den Augen und die fettigen, ungepflegten Haare sah. Er war zweiundsechzig Jahre alt, und auf einmal schien ihm, dass das Leben auch nach dem Tod seiner geliebten Frau etwas für ihn bereithalten könnte. Wem war damit geholfen, wenn er sich so gehen ließ?
Kurz entschlossen ging er unter die Dusche, wo er sich zum ersten Mal seit langem wieder einer gründlichen Reinigung unterzog. Er rasierte sich und stutzte sogar die Haare in Nase und Ohren, was er sonst nur ganz, ganz selten tat. Dann zog er sich mit äußerster Sorgfalt an und kochte sich einen Kaffee, weil die Haushälterin noch nicht da war. Beim Frühstück las er Zeitung und anschließend machte er Termine beim Friseur und bei seinem Hausarzt. Zum Glück klappte es bei beiden noch am selben Tag, so dass er es sich nicht mehr anders überlegen konnte. Und nach einer gründlichen Untersuchung und einem langen Gespräch mit seinem Arzt buchte er am Nachmittag vierzehn Tage Fastenwandern in einem kleinen Kurhotel im Schwarzwald, nicht weit von der Schweizer Grenze entfernt. Es war wesentlich preiswerter als vergleichbare Hotels in der Schweiz und befand sich zudem in der Nähe eines schön gelegenen Golfplatzes. Es wäre doch gelacht, dachte er bei sich, wenn ich mich nicht wieder auf Vordermann bringen könnte. Und ein bisschen Tapetenwechsel kann ebenfalls nicht schaden.
Die Praxis von Danis Frauenarzt lag idyllisch in einem der kleinen Orte, aus denen die Großgemeinde bestand, direkt gegenüber vom Schlosspark. Dani ging schon seit Jahrzehnten zu Dr. Hausmann. Er war bereits in den Schwangerschaften ihr Arzt gewesen, und sie waren sozusagen alt miteinander geworden. Sie vertraute ihm, und er hatte sich über die Jahre auch als kompetenter Gesprächspartner in persönlichen Fragen bewährt.
Als sie sich das erste Mal bei ihm beschwert hatte, dass sie einfach immer weiter zunahm, ohne etwas dagegen tun zu können, hatte er nur gelacht und gesagt: »Liebe Frau Maaßen, wir werden alle nicht jünger. Ich muss mich auch sehr anstrengen, um mein Gewicht zu halten.«
Das war ein schwacher Trost, dachte Dani jetzt. Und Dr. Hausmann sah auch nicht so aus, als ob er so unter den Wechseljahren leiden würde wie sie. Männer sowieso nicht. Ach, es war alles so ungerecht!
Copyright © Ullstein Buchverlage GmbH
Die Vormittagssonne malte Kringel auf Danis Schreibunterlage und blendete sie. Dani, die den letzten Satz der Akte schon fünf Mal gelesen und immer noch nicht begriffen hatte, hielt inne und drückte sich erschöpft die Fingerspitzen an die Schläfen. Es war erst Viertel nach zehn Uhr morgens, und sie war so müde, als hätte sie die Nacht durchgemacht. Seufzend stützte sie den Kopf auf und starrte vor sich hin. Vom Fenster ihres Büros aus blickte sie weit über die Dächer der Kleinstadt in der Nähe von Köln und den Tagebau bis hin zum Waldrand des Villengürtels am Horizont, aber für die tolle Aussicht aus dem vierten Stock des Amtsgerichts hatte sie heute keinen Blick.
Die Nacht war mal wieder um zwei Uhr zu Ende gewesen. Keuchend war sie aus dem Schlaf aufgefahren. Das Herz hatte ihr bis zum Hals geschlagen, und sie erinnerte sich dumpf, dass sie von einer peinlichen Situation bei den Brühler Schlosskonzerten geträumt hatte. Noch während sie benommen versucht hatte, ihren Puls unter Kontrolle zu bekommen, hatte sie auf einmal so zu schwitzen begonnen, dass schließlich alles völlig durchnässt gewesen war. Den Tränen nahe, war sie mitten in der Nacht aufgestanden, um zu duschen und die Bettwäsche zu wechseln. Und danach war ans Schlafen natürlich nicht mehr zu denken gewesen.
»Ich halte das nicht mehr aus«, murmelte sie. »Wie lange soll das noch so gehen?«
»Wie bitte?« Ihr Chef steckte den Kopf durch die Tür. »Haben Sie etwas gesagt, Frau Maaßen? Können Sie mir bitte die Unterlagen zu der Zwangsversteigerung am Fasanenweg heraussuchen? Ich wollte mich mit der Materie noch einmal vertraut machen.«
Dani schreckte zusammen. Sie hatte sein Klopfen gar nicht gehört, aber vielleicht hatte er ja auch gar nicht angeklopft, das kam auch schon mal vor. Dr. Martin Emmerich war ein junger, vitaler Chef, und er bildete sich einiges darauf ein, immer wie ein Wirbelwind durch seine Behörde zu fegen.
»Ja, mache ich«, erwiderte sie. »Sie wissen ja Bescheid, oder? Ich muss gleich weg, ich habe einen Arzttermin.«
»Ja, ja, wenn Sie mir nur vorher die Unterlagen geben. «
Dr.Emmerich stand nur zu deutlich im Gesicht geschrieben, was er von Frauen im mittleren Alter hielt, die vergrämt und verschwitzt am Schreibtisch saßen. Besonders schlecht war er für Dani zu ertragen, wenn er sie während der Abteilungsbesprechungen auf ihre Schweißausbrüche ansprach. Einmal hatte er wahrhaftig gesagt: »Liebe Frau Maaßen, wie kommt es nur, dass Sie so schwitzen? Also, das verstehe ich nicht. Hier ist es doch nun wirklich nicht besonders warm!« Dabei hatte er beifallheischend in die Runde gelächelt.
»Blödmann!«, schimpfte Dani leise, als er das Zimmer verlassen hatte. Rasch stand sie auf und suchte ihm die Akte heraus. Dann blickte sie auf die Uhr. Sie musste los. Um elf hatte sie einen Termin bei ihrem Gynäkologen zum jährlichen Check, und sie wollte früh genug da sein, damit sie nicht zu lange im Wartezimmer sitzen musste. Sie fuhr ihren Computer herunter, schob die Unterlagen, mit denen sie sich gerade beschäftigt hatte, auf einen kleinen Stapel zusammen, griff ihre Tasche und verließ das Büro.
Auf dem Weg zum Fahrstuhl gab sie die Aktenmappe bei Dr. Emmerichs Sekretärin ab. Während sie noch auf den Fahrstuhl wartete, überlegte sie es sich anders und lief stattdessen die Treppe herunter. Es ging zwar nur abwärts, aber selbst das würde im Zweifelsfall mehr Kalorien verbrauchen als Fahrstuhlfahren. Und morgens brachte sie es einfach nicht über sich, die vier Stockwerke zu ihrem Büro hinaufzulaufen, vor allem nicht, wenn die Nacht mal wieder so anstrengend gewesen war. Außerdem hatte sie die Erfahrung gemacht, dass es sowieso nichts brachte. Wenn sie viel Sport trieb, nahm sie nur an Muskelmasse zu. Schlanker wurde sie nach ihrem subjektiven Empfinden davon nicht. Aber ein bisschen Bewegung musste natürlich sein, und es schadete ja auch nicht ...
»Thomas, hast du die Bestellung aus Kandersteg gesehen? Ich habe sie auf deinen Schreibtisch gelegt.«
Thomas Walter schaltete die Kreissäge aus. »Was hast du gesagt, Beat? Die Säge ist so laut.«
Beat Imhof lächelte. »Ja, klar. Entschuldige. Ich habe nur gefragt, ob du die Bestellung aus Kandersteg auf deinem Schreibtisch gesehen hast.«
»Ja, ja. Habe ich gesehen. Unser Auftragsbuch ist langsam voll. Das sind fünf neue Chalets mit Komplettmöblierung, oder? Hättest du etwas dagegen, wenn ich für die Schreinerei noch einen Gesellen einstelle?« Er grinste. »Mein Onkel treibt sich ja lieber auf dem Golfplatz herum, als in der Werkstatt zu stehen.«
»Pass auf, was du sagst!« Beat knuffte seinen Neffen gutmütig. »Schließlich habe ich das Geschäft im Schweiße meines Angesichts aufgebaut.« Er kniff nachdenklich die Augen zusammen. »Aber du hast natürlich recht, schau dich mal nach einer guten Kraft um. Und in der Buchhaltung bräuchten wir ebenfalls noch jemanden. Für deine Tante wird es langsam auch ein bisschen viel.« Lächelnd ließ er seine Hand über das glatte, honigfarbene Holz eines Arvenbretts gleiten. »Ach, übrigens, ich fahre jetzt zum Golfspielen.«
Thomas hob gespielt resigniert die Hände. »Habe ich es nicht gesagt? Ja, ja, fahr du nur - zum Glück hast du ja einen zuverlässigen Partner, der sich um alles kümmert.«
»Ja, da habe ich wirklich Glück gehabt!« Lachend wandte sich Beat Imhof zum Haus, das neben Möbelgeschäft und Schreinerei auf dem weitläufigen Grundstück in Spiez lag.
Es war ein strahlender Tag im Spätherbst. Die Laubbäume um den Thunersee hatten sich schon bunt gefärbt und spiegelten sich im stillen Wasser. Jetzt, am späten Vormittag hatte die Sonne an Kraft gewonnen und die Nebelschleier auf den Wiesen aufgelöst. Der Tag versprach warm zu werden, und Beat Imhof hatte beschlossen, das schöne Wetter zu genießen.
»Willst du nicht mit zum Golfen kommen, Reni? Wer weiß, wie lange sich das gute Wetter noch hält. Das sollten wir ausnutzen«, sagte er zu seiner Frau und gab ihr einen Kuss.
»Ach was, fahr du nur«, erwiderte sie liebevoll und streichelte ihm über die Wange. Sie waren zwar schon seit siebenundzwanzig Jahren verheiratet, aber immer noch glücklich miteinander. »Eigentlich wird es von Tag zu Tag schöner«, pflegte Beat immer zu sagen. »Je älter wir werden, desto besser verstehen wir uns.«
»Ich werde mich wohl ein wenig hinlegen. Mir ist es heute nicht gut«, meinte seine Frau. »Und außerdem wollte ich für Thomas Älpler-Makkaroni kochen. Die mag er so gerne.« Sie lächelte ihren Mann an. »Und dir verwahre ich eine Portion für heute Abend.«
»Soll ich lieber zu Hause bleiben?«, fragte Beat zögernd. Sie schüttelte den Kopf. »Nein, natürlich nicht«, antwortete sie. »Ich komme schon zurecht. Heute Abend geht es mir bestimmt wieder besser.«
Kurz nach halb eins erhielt er einen Anruf. Sein Neffe war wie immer mittags zum Essen gekommen und hatte Reni leblos auf der Couch im Wohnzimmer vorgefunden. Als Beat nach Hause kam, war auch der Notarzt schon da, aber alle Wiederbelebungsmaßnahmen schlugen fehl. Seine Frau war tot.
Plötzlicher Herztod, lautete die Diagnose. Und nach siebenundzwanzig Jahren Ehe war Beat mit seinem Schmerz und seiner Trauer ganz allein.
Nach der Beerdigung brach er zusammen und vergrub sich in seinem schönen Haus mit Blick auf den See, das ihm auf einmal viel zu groß und leer erschien. Er kümmerte sich nur noch sporadisch um die Schreinerei und das Geschäft, die er nun fast völlig seinem Neffen überließ. Die viele freie Zeit verbrachte er nicht mehr, wie sonst, auf dem Golfplatz oder in den Bergen, sondern zu Hause, wo er unglücklich vor sich hin stierte und schon mittags das erste Glas Bier trank.
Er verwahrloste zusehends, weil er nicht mehr einsah, wozu er sich morgens waschen und kämmen sollte - er wusste ja nicht einmal mehr, warum er überhaupt aufstand -, und er vereinsamte, weil er außer mit seiner Haushälterin, die an den Wochentagen saubermachte und vorkochte, mit kaum jemandem ein Wort wechselte. Die Schönheit der Natur - sonst seine ganze Freude - interessierte ihn nicht mehr, und für das Weltgeschehen hatte er nur ein müdes Achselzucken übrig.
Fast zwei Jahre ging das so, und dann hatte er von sich selbst genug. Eines Morgens wachte er auf und merkte, dass die Vögel zwitscherten. Die Sonne fiel in sein nach Osten gelegenes Badezimmer, und er wandte sich schaudernd ab, als er im Spiegel sein aufgedunsenes, blasses Gesicht mit den Tränensäcken unter den Augen und die fettigen, ungepflegten Haare sah. Er war zweiundsechzig Jahre alt, und auf einmal schien ihm, dass das Leben auch nach dem Tod seiner geliebten Frau etwas für ihn bereithalten könnte. Wem war damit geholfen, wenn er sich so gehen ließ?
Kurz entschlossen ging er unter die Dusche, wo er sich zum ersten Mal seit langem wieder einer gründlichen Reinigung unterzog. Er rasierte sich und stutzte sogar die Haare in Nase und Ohren, was er sonst nur ganz, ganz selten tat. Dann zog er sich mit äußerster Sorgfalt an und kochte sich einen Kaffee, weil die Haushälterin noch nicht da war. Beim Frühstück las er Zeitung und anschließend machte er Termine beim Friseur und bei seinem Hausarzt. Zum Glück klappte es bei beiden noch am selben Tag, so dass er es sich nicht mehr anders überlegen konnte. Und nach einer gründlichen Untersuchung und einem langen Gespräch mit seinem Arzt buchte er am Nachmittag vierzehn Tage Fastenwandern in einem kleinen Kurhotel im Schwarzwald, nicht weit von der Schweizer Grenze entfernt. Es war wesentlich preiswerter als vergleichbare Hotels in der Schweiz und befand sich zudem in der Nähe eines schön gelegenen Golfplatzes. Es wäre doch gelacht, dachte er bei sich, wenn ich mich nicht wieder auf Vordermann bringen könnte. Und ein bisschen Tapetenwechsel kann ebenfalls nicht schaden.
Die Praxis von Danis Frauenarzt lag idyllisch in einem der kleinen Orte, aus denen die Großgemeinde bestand, direkt gegenüber vom Schlosspark. Dani ging schon seit Jahrzehnten zu Dr. Hausmann. Er war bereits in den Schwangerschaften ihr Arzt gewesen, und sie waren sozusagen alt miteinander geworden. Sie vertraute ihm, und er hatte sich über die Jahre auch als kompetenter Gesprächspartner in persönlichen Fragen bewährt.
Als sie sich das erste Mal bei ihm beschwert hatte, dass sie einfach immer weiter zunahm, ohne etwas dagegen tun zu können, hatte er nur gelacht und gesagt: »Liebe Frau Maaßen, wir werden alle nicht jünger. Ich muss mich auch sehr anstrengen, um mein Gewicht zu halten.«
Das war ein schwacher Trost, dachte Dani jetzt. Und Dr. Hausmann sah auch nicht so aus, als ob er so unter den Wechseljahren leiden würde wie sie. Männer sowieso nicht. Ach, es war alles so ungerecht!
Copyright © Ullstein Buchverlage GmbH
... weniger
Autoren-Porträt von Maria Linke
Maria Linke ist das Pseudonym einer erfolgreichen deutschen Übersetzerin und Redakteurin. Sie lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Köln.
Bibliographische Angaben
- Autor: Maria Linke
- 2013, 272 Seiten, Deutsch
- Verlag: Ullstein eBooks
- ISBN-10: 3843704449
- ISBN-13: 9783843704441
- Erscheinungsdatum: 12.04.2013
Abhängig von Bildschirmgröße und eingestellter Schriftgröße kann die Seitenzahl auf Ihrem Lesegerät variieren.
eBook Informationen
- Dateiformat: ePub
- Größe: 0.44 MB
- Ohne Kopierschutz
Kommentar zu "Nimm's leicht"
0 Gebrauchte Artikel zu „Nimm's leicht“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
Schreiben Sie einen Kommentar zu "Nimm's leicht".
Kommentar verfassen