Chop Chop / Ullstein eBooks (ePub)
Wenn in einem Raum voller Psychopathen jeder ein Messer in der Hand hat, bist du entweder in Schwierigkeiten oder in einer Restaurantküche. Monocle ist beides. Sein Vater hält ihn für einen Versager, was Monocle zwar nicht so sieht, aber nicht beweisen...
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Produktinformationen zu „Chop Chop / Ullstein eBooks (ePub)“
Wenn in einem Raum voller Psychopathen jeder ein Messer in der Hand hat, bist du entweder in Schwierigkeiten oder in einer Restaurantküche. Monocle ist beides. Sein Vater hält ihn für einen Versager, was Monocle zwar nicht so sieht, aber nicht beweisen kann. Er ist pleite, steckt in einer Sinnkrise und befindet sich gegenwärtig als Küchenhilfe ganz unten in der Nahrungskette des Londoner Restaurants »Swan«. Die Küche wird regiert von Irren, von denen einige brillante Köche sind, andere einfach nur Sadisten. Wie Bob, der Chef. Als die Küchenmannschaft gegen Bob aufbegehrt und Monocles Vater ehekrisenbedingt bei ihm einzieht, geraten die Dinge zunehmend außer Kontrolle.
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Chop Chop von Simon WroeAus dem Englischen von Robin Detje
Köpfe
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Meistens kommen sie paarweise. In der Küchenhitze erröten sie wie kleine Mädchen.
Ihre Blicke folgen einem durch den ganzen Raum.
Die Zungen hängen ihnen unmanierlich aus den Mäulern.
Die Schnauzen haben sie sich wundgebumst.
Wenn man einen in der Hand hält und die Borsten spürt, die Schwarte und die kaltfeuchte Haut, fragt man sich, ob ein toter Menschenkopf sich wohl anders anfühlen würde.
Wenn man sie vom rosa Packpapier hebt, bleibt man manchmal mit den Fingern in den Nasenlöchern hängen, wie bei einer Bowlingkugel. Manchmal spürt man noch den alten Rotz drinhängen. Was uns seltsam daran gemahnt, dass dieser Kopf einmal gelebt haben muss, weil nur etwas Lebendiges etwas so Nutzloses wie Rotz produzieren kann.
Ich hatte gehört, dass sie ihnen in den Edelschuppen die Schnauzen auswuschen und ihnen mit extrascharfer Klinge eine Herrenrasur verpassten. In den meisten Küchen werden die Borsten mit einem Gasbrenner abgesengt. Das stinkt übel, und das haben sie in den Edelschuppen vielleicht nicht so gern. Bei uns werden sie auf die offene Flamme geworfen und mit Zangen gewendet, bis die Augen schmelzen. Dann wickeln wir sie in ein Tuch, bringen sie zur Spüle und waschen den Ruß ab. Ganz sanft, wie zur Entschuldigung. In einem seiner Briefe schreibt Ramilow, das sei im Grunde die ganze Kochkunst: gekonnte Abbitte für einen unzivilisierten Akt.
Bevor die Köpfe eingepökelt und gekocht werden, bevor sie am Kiefer aufgerissen werden und man ihnen das Fleisch von der klebrigen, wabbelnden Haut stochert, schneiden wir ihnen die Schweinsöhrchen ab. Eine schöne Erholungspause, wie ich finde, von der Easy-Listening-Musik aus dem Radio und den Pfiffen der Köche. Ohne diese langen gummiartigen Öhrchen sehen die Köpfe nackt aus, wie zwei alte Männer am Ende der Mole, denen eine plötzliche Windbö die Toupets weggerissen hat.
Und wie man sie umgebracht hat - ich muss immerzu hinsehen. Ich möchte nicht hinsehen. Mir wird schlecht davon. Ich denke dann, dass ich vielleicht doch nicht für diesen Job geschaffen bin. Ein tiefer klaffender Spalt vom Hackebeilchen, immer mitten auf der Stirn, der Schlag ausgeführt mit einer Wucht, die dem Tier die Zunge durch die Zähne treibt.
Ein Schlag. Schnell und hart.
Für jedes einer. Chop chop. Hacke-di-hack.
Mit der Zeit werde ich mich bestimmt daran gewöhnen.
Und nun husch ins Töpfchen, du Schweinchen.
In die Lauge, du Sau!
I
Zu Anfang
1
Bouquet garni
Ramilow war im Kühlraum und sollte dort bleiben, bis er sich eines Besseren besonnen hatte.
»Damit das klar ist«, sagte Bob und fuchtelte mit seinem Wurstfinger im Raum herum, »dein Lifestyle kann dich hier teuer zu stehen kommen.«
»Die Liebe kann man nicht verbieten, Chef«, sagte Ramilow aus dem Kühlraum.
»Ich schon«, sagte Bob.
Und ich war in diesem Augenblick völlig davon überzeugt: Jawohl, Bob konnte die Liebe verbieten, er konnte machen, was er wollte. Denn wie er da so mit einem Haufen Bons in der schwitzigen Hand am Pass stand, in einer Ruhepause, bevor wieder Ravioli oder Onglet oder eingelegte Garnelen abgerufen wurden, und zwar pronto, bevor die große Suada wieder losging, die ganze »General Bob ruft die Truppen zur Schlacht«-Nummer, war Bob das mächtigste Ding auf dem Erdenrund. Ein Riese war er, ein Blauwal, der Leviathan. Nichtswürdige Fliegen an seinen gewaltigen Flanken waren wir. Bob war der König des Universums. Du sollst keine anderen Götter haben neben Bob.
Ich sage »war«, weil sogar Könige stürzen können. Weil sogar Götter dahingehen. Und so sicher einer stürzt, erhebt sich an seiner Stelle ein anderer.
»Komm zur Sache, Monocle. Erzähl uns hier nicht dein ganzes scheiß Leben.«
So lautete die Warnung von Rassisten-Dave, oder seine literarische Empfehlung, als er von meiner Absicht hörte, über das zu schreiben, was uns zugestoßen war: wie wir unter Bob gelitten hatten, wie wir an ihm vorbei in diese grausame und finstere Welt gezogen worden waren, wie wir einen Fehler nach dem anderen begangen hatten. Er traue mir nicht zu, dass ich »geradewegs auf Blut und Scharten losgehen« würde, er glaube, dass ich zu viel rumquatschen würde. Stimmt, ich bin anders als meine Mitköche, und ein Wort wie »Leviathan« geht mir leicht von den Lippen, wenn die Lage es erfordert. Dave hält das offenbar für Charakterschwäche, er hat sich nämlich irgendwie zu einer Art Lektor aufgeschwungen. Ich würde ihm meine Entwürfe ja gerne zeigen, habe ich gesagt, aber die Grammatik solle er mir überlassen. Das Zeug sei ihm sowieso egal, hat Dave gesagt. Er wolle nur nicht, dass ich mich verzettele, womit nur fortgeführt wurde, was seit langem als Küchenvorschrift gegen mich verwendet wurde. Monatelang hagelten schon die Rüffel auf mich nieder, kaum dass ich den Mund aufmachte: »Du redest wie ein Arschloch«, so war beobachtet worden. »Quatsch keine Opern, sonst hau ich dir mein Messer in die Fresse«, hieß es dann. »Monocle ist immer so geleckt.« Na, wenn das ein Verbrechen ist, dann Entschuldigung auch.
»Monocle« war Daves Einfall gewesen, als Bob die Küche mit offener Häme von meinem Abschluss in Anglistik in Kenntnis gesetzt hatte.
»Scheiße, Uni«, sagte Dave. »Das erklärt alles.«
Auf den Spitznamen war Dave völlig grundlos stolz. Studenten tragen keine Monokel. Er meine wohl einen Doktorhut, wagte ich anzudeuten. Worauf er andeutete, unaussprechliche Handlungen an meiner Mutter vornehmen zu wollen. Ein ungehobelter Mensch, dieser Rassisten-Dave, und begriffsstutzig dazu. Was der Ursprung des Spitznamens auch sein mochte, Dave verwendete ihn reichlich, oft mehrmals in einem Satz, und unter seiner Schirmherrschaft ging »Monocle« bald in den allgemeinen Sprachgebrauch der Küche über. Nur Ramilow zierte sich. Er versuchte es entweder mit »Ein ungeeigneter Junge« oder »Eine außergewöhnlich blöde Fotze«. Er war unzufrieden mit meiner gehackten Minze, in der noch Stengel waren. Außerdem war Ramilow unzufrieden mit meiner Redseligkeit, die, wie er sagte, und hier zitiere ich, einem so scheiße Koch wie mir schlecht anstehe. Und außerdem war er mit meinem Tempo unzufrieden, so wie alle anderen auch.
»Wenn du noch langsamer machst«, sagte er, »geht deine Uhr rückwärts.«
In seinen jüngsten brieflichen Äußerungen versichert Ramilow mir seine Unterstützung für das Projekt, das ich in Angriff genommen habe, so wie zuvor schon Dave. Auch er sehnt sich danach, dass ein wenig Licht auf das Herz der Finsternis geworfen wird. Oft bittet er mich, beim Erzählen »die höhere Wahrheit im Auge zu behalten«, und erinnert mich an ein Versprechen, dass er mir einmal abgenötigt hat. Ich habe es nicht vergessen. Aber wie können wir je hoffen, unsere Handlungen zu erklären, ohne alles auf Bob zurückzuführen? Ohne Bob kein Dicker und vielleicht auch kein Ramilow. Bob hat uns alle zusammengebracht. Ohne seinen unfassbaren Sadismus, wo wäre ich da heute? Seinetwegen musste ich schnell erwachsen werden. Er hat meine Entschlossenheit gestählt. Schon hier, in diesen frühen Erinnerungen an den Swan, sehe ich alle Anzeichen unseres Niedergangs und unserer Wiederauferstehung, unserer vergangenen und kommenden Versuchungen; Anzeichen all jener Macken und Gedanken, die uns an einen ganz bestimmten Augenblick führten.
Ramilow war jetzt wegen eines Bouquet garni im Kühlraum, beziehungsweise weil eines fehlte. Bob musste ein Raufußhuhn für die 38 anrichten, und dazu war als Garnitur ein Kressebukett üblich, unerlässlich gar, zumindest aber irgendein Blättchen Grünzeug, das in einer Salatschüssel vor Bob am Pass bereitzustehen hatte, nicht aber unter den Wärmelampen verwelken durfte, wenn schon alles auf dem Teller bereitlag. Bob rief es spät ab, manchmal überhaupt nicht, aber es gehörte zu Ramilows Pflichten, zu wissen, wann ein Bouquet garni benötigt wurde, und es bereitzuhaben, sonst war es seine Schuld.
»Bouquet!«, ertönte der Ruf für das Raufußhuhn für die 38, als sich der Jus um das Fleisch legte und der Dampf zu den Wärmelampen aufstieg. Keine Antwort. Kein Oui, Chef! Kein Laut.
»Bouquet!« Wieder der Ruf. Und zur Antwort nichts als Stille. Die ganze Küchenmannschaft blickte in Ramilows Abteilung hinüber, weil Kresse, Blättchen und generell rohes Grünzeug in seiner Verantwortung lagen, alle kalten Vorspeisen und auch einige warme, aber Ramilow war verschwunden.
Die Kellner hingen in der Luft. Das Krachen und Wirbeln und Machen und Rasen und Sengen und Schlenzen, der ganze Kladderadatsch war wie eingefroren. Jeder einzelne Mann - und auch das stille dunkeläugige Mädchen in der Ecke - hielt die Luft an. Die Gasbrenner und Deckenventilatoren und das Klappern der Tellerwäscher, alles trat in den Hintergrund. Überlautes Lachen und Gesprächsbrocken wehten von den Tischen herein, so totenstill war es. Stimmen von Nicht-Köchen waren in der Küche zu hören, und das war der schrecklichste Sound der Welt.
»Vielleicht ist er im Lager, Chef«, versuchte es Dave.
»Oder auf dem Hof, Chef«, schlug Dibden vor.
Aber Ramilow war weder im Lager noch auf dem Hof. Auch nicht im Weinkeller oder unten im Büro, und das Spiel »Wo ist Ramilow?« löste sich erst an der Bar auf, wo Bob ihn im Gespräch mit der stupsnasigen Kellnerin entdeckte, mitten in dem Witz, wie man zu Fahrstuhlmusik tanzt. Bob war, wie man sagen könnte, wenig erfreut und brachte sein Missfallen Ramilow gegenüber in einer Sprache zum Ausdruck, die der Kellnerin das Näschen erblassen ließ. Ramilow beharrte darauf, dass das Telleranrichten vergänglich sei, während das Ding, das er hier mit Wie-heißt-sie-gleich am Laufen hatte, ewig währe. Er schnipste mit den Fingern und lächelte das Mädchen an.
»Aber im Ernst jetzt«, sagte er. »Wie heißt du?«
Doch ach, er hörte ihre Antwort nicht. Bob hatte ihn am Schlafittchen und zerrte ihn zurück in die Küche, wobei er ihm seine Absicht skizzierte, ihm schwerste Verletzungen zuzufügen, und ihm erklärte, dass er jetzt dran sei, bei Gott. Die ganze Zeit über protestierte Ramilow, und noch als die Tür zum Kühlraum geschlossen und verriegelt war, konnte man ihn dumpf über den freien Willen räsonieren hören und über die Qualen des Herzens, auch wenn davon eigentlich nur er selbst etwas hatte.
Dave hatte das Raufußhuhn an die 38 abgehen lassen, bevor Bob wiederkommen und ihn aus reiner Gehässigkeit alles neu anrichten lassen konnte, und Dibden war von den Nachspeisen in Ramilows Abteilung gewetzt und ballerte einen Teller nach dem anderen raus, damit wir nicht in den Bons erstickten, die sich in der Klemmleiste über dem Pass sammelten. Ab und zu warf er ängstliche Blicke zum Kühlraum hinüber, wo Ramilow gefangen saß. Nicht sehr angenehm, dort eingeschlossen zu sein, bei vier Grad Celsius in völliger Finsternis, und zu versuchen, niemandes Mise en place umzustoßen, weil man sonst noch tiefer in der Scheiße saß, wenn man rauskam, und vielleicht gleich wieder hineinmusste. Bob nannte den Kühlraum gerne seinen Isolationstank oder, in ungezügelter Straflust, den Abkühler. In seinen sechs Wochen in dieser Küche hatte Ramilow sich den Kühlraum zur zweiten Heimat gemacht.
»Miete sollte ich von der Fotze nehmen«, brummelte Bob und kehrte für seine Lifestyle-Ansage an den Pass zurück.
Dibden wirkte immer fahriger. Seine schmerzzerfurchten Züge, die immer von schwersten inneren Kämpfen kündeten, verdüsterten sich unter dem zunehmenden Druck. Seine langen Finger fingen an zu zittern, seine Bewegungen wurden unsicher, und er flüsterte in einem fort: »Zucker ... Zucker ...«, als litte er an einem nervösen Tick. Dibden glaubte, dass Maria Magdalena weinen musste, wenn man fluchte, und dass man eine Frau nie zum Weinen bringen durfte, besonders nicht eine so nette wie Maria Magdalena.
»Was ist denn, Kollege?« Bob war Dibdens Unruhe nicht entgangen, und er blickte ihn finster vom Pass heran.
»Mir sind die ... mir sind die Zitronenschnitze ausgegangen, Chef«, erwiderte er.
Die Zitronen lagen im Kühlraum beim bösen Onkel Ramilow.
»Monocle«, sagte Bob, »schieb mal deine dicke Fresse in den Kühlraum, er soll dir ein paar Zitronen rausreichen. Kein Wort zu der Fotze, sonst kannst du gleich mit rein.«
Copyright © Ullstein Verlag.
Meistens kommen sie paarweise. In der Küchenhitze erröten sie wie kleine Mädchen.
Ihre Blicke folgen einem durch den ganzen Raum.
Die Zungen hängen ihnen unmanierlich aus den Mäulern.
Die Schnauzen haben sie sich wundgebumst.
Wenn man einen in der Hand hält und die Borsten spürt, die Schwarte und die kaltfeuchte Haut, fragt man sich, ob ein toter Menschenkopf sich wohl anders anfühlen würde.
Wenn man sie vom rosa Packpapier hebt, bleibt man manchmal mit den Fingern in den Nasenlöchern hängen, wie bei einer Bowlingkugel. Manchmal spürt man noch den alten Rotz drinhängen. Was uns seltsam daran gemahnt, dass dieser Kopf einmal gelebt haben muss, weil nur etwas Lebendiges etwas so Nutzloses wie Rotz produzieren kann.
Ich hatte gehört, dass sie ihnen in den Edelschuppen die Schnauzen auswuschen und ihnen mit extrascharfer Klinge eine Herrenrasur verpassten. In den meisten Küchen werden die Borsten mit einem Gasbrenner abgesengt. Das stinkt übel, und das haben sie in den Edelschuppen vielleicht nicht so gern. Bei uns werden sie auf die offene Flamme geworfen und mit Zangen gewendet, bis die Augen schmelzen. Dann wickeln wir sie in ein Tuch, bringen sie zur Spüle und waschen den Ruß ab. Ganz sanft, wie zur Entschuldigung. In einem seiner Briefe schreibt Ramilow, das sei im Grunde die ganze Kochkunst: gekonnte Abbitte für einen unzivilisierten Akt.
Bevor die Köpfe eingepökelt und gekocht werden, bevor sie am Kiefer aufgerissen werden und man ihnen das Fleisch von der klebrigen, wabbelnden Haut stochert, schneiden wir ihnen die Schweinsöhrchen ab. Eine schöne Erholungspause, wie ich finde, von der Easy-Listening-Musik aus dem Radio und den Pfiffen der Köche. Ohne diese langen gummiartigen Öhrchen sehen die Köpfe nackt aus, wie zwei alte Männer am Ende der Mole, denen eine plötzliche Windbö die Toupets weggerissen hat.
Und wie man sie umgebracht hat - ich muss immerzu hinsehen. Ich möchte nicht hinsehen. Mir wird schlecht davon. Ich denke dann, dass ich vielleicht doch nicht für diesen Job geschaffen bin. Ein tiefer klaffender Spalt vom Hackebeilchen, immer mitten auf der Stirn, der Schlag ausgeführt mit einer Wucht, die dem Tier die Zunge durch die Zähne treibt.
Ein Schlag. Schnell und hart.
Für jedes einer. Chop chop. Hacke-di-hack.
Mit der Zeit werde ich mich bestimmt daran gewöhnen.
Und nun husch ins Töpfchen, du Schweinchen.
In die Lauge, du Sau!
I
Zu Anfang
1
Bouquet garni
Ramilow war im Kühlraum und sollte dort bleiben, bis er sich eines Besseren besonnen hatte.
»Damit das klar ist«, sagte Bob und fuchtelte mit seinem Wurstfinger im Raum herum, »dein Lifestyle kann dich hier teuer zu stehen kommen.«
»Die Liebe kann man nicht verbieten, Chef«, sagte Ramilow aus dem Kühlraum.
»Ich schon«, sagte Bob.
Und ich war in diesem Augenblick völlig davon überzeugt: Jawohl, Bob konnte die Liebe verbieten, er konnte machen, was er wollte. Denn wie er da so mit einem Haufen Bons in der schwitzigen Hand am Pass stand, in einer Ruhepause, bevor wieder Ravioli oder Onglet oder eingelegte Garnelen abgerufen wurden, und zwar pronto, bevor die große Suada wieder losging, die ganze »General Bob ruft die Truppen zur Schlacht«-Nummer, war Bob das mächtigste Ding auf dem Erdenrund. Ein Riese war er, ein Blauwal, der Leviathan. Nichtswürdige Fliegen an seinen gewaltigen Flanken waren wir. Bob war der König des Universums. Du sollst keine anderen Götter haben neben Bob.
Ich sage »war«, weil sogar Könige stürzen können. Weil sogar Götter dahingehen. Und so sicher einer stürzt, erhebt sich an seiner Stelle ein anderer.
»Komm zur Sache, Monocle. Erzähl uns hier nicht dein ganzes scheiß Leben.«
So lautete die Warnung von Rassisten-Dave, oder seine literarische Empfehlung, als er von meiner Absicht hörte, über das zu schreiben, was uns zugestoßen war: wie wir unter Bob gelitten hatten, wie wir an ihm vorbei in diese grausame und finstere Welt gezogen worden waren, wie wir einen Fehler nach dem anderen begangen hatten. Er traue mir nicht zu, dass ich »geradewegs auf Blut und Scharten losgehen« würde, er glaube, dass ich zu viel rumquatschen würde. Stimmt, ich bin anders als meine Mitköche, und ein Wort wie »Leviathan« geht mir leicht von den Lippen, wenn die Lage es erfordert. Dave hält das offenbar für Charakterschwäche, er hat sich nämlich irgendwie zu einer Art Lektor aufgeschwungen. Ich würde ihm meine Entwürfe ja gerne zeigen, habe ich gesagt, aber die Grammatik solle er mir überlassen. Das Zeug sei ihm sowieso egal, hat Dave gesagt. Er wolle nur nicht, dass ich mich verzettele, womit nur fortgeführt wurde, was seit langem als Küchenvorschrift gegen mich verwendet wurde. Monatelang hagelten schon die Rüffel auf mich nieder, kaum dass ich den Mund aufmachte: »Du redest wie ein Arschloch«, so war beobachtet worden. »Quatsch keine Opern, sonst hau ich dir mein Messer in die Fresse«, hieß es dann. »Monocle ist immer so geleckt.« Na, wenn das ein Verbrechen ist, dann Entschuldigung auch.
»Monocle« war Daves Einfall gewesen, als Bob die Küche mit offener Häme von meinem Abschluss in Anglistik in Kenntnis gesetzt hatte.
»Scheiße, Uni«, sagte Dave. »Das erklärt alles.«
Auf den Spitznamen war Dave völlig grundlos stolz. Studenten tragen keine Monokel. Er meine wohl einen Doktorhut, wagte ich anzudeuten. Worauf er andeutete, unaussprechliche Handlungen an meiner Mutter vornehmen zu wollen. Ein ungehobelter Mensch, dieser Rassisten-Dave, und begriffsstutzig dazu. Was der Ursprung des Spitznamens auch sein mochte, Dave verwendete ihn reichlich, oft mehrmals in einem Satz, und unter seiner Schirmherrschaft ging »Monocle« bald in den allgemeinen Sprachgebrauch der Küche über. Nur Ramilow zierte sich. Er versuchte es entweder mit »Ein ungeeigneter Junge« oder »Eine außergewöhnlich blöde Fotze«. Er war unzufrieden mit meiner gehackten Minze, in der noch Stengel waren. Außerdem war Ramilow unzufrieden mit meiner Redseligkeit, die, wie er sagte, und hier zitiere ich, einem so scheiße Koch wie mir schlecht anstehe. Und außerdem war er mit meinem Tempo unzufrieden, so wie alle anderen auch.
»Wenn du noch langsamer machst«, sagte er, »geht deine Uhr rückwärts.«
In seinen jüngsten brieflichen Äußerungen versichert Ramilow mir seine Unterstützung für das Projekt, das ich in Angriff genommen habe, so wie zuvor schon Dave. Auch er sehnt sich danach, dass ein wenig Licht auf das Herz der Finsternis geworfen wird. Oft bittet er mich, beim Erzählen »die höhere Wahrheit im Auge zu behalten«, und erinnert mich an ein Versprechen, dass er mir einmal abgenötigt hat. Ich habe es nicht vergessen. Aber wie können wir je hoffen, unsere Handlungen zu erklären, ohne alles auf Bob zurückzuführen? Ohne Bob kein Dicker und vielleicht auch kein Ramilow. Bob hat uns alle zusammengebracht. Ohne seinen unfassbaren Sadismus, wo wäre ich da heute? Seinetwegen musste ich schnell erwachsen werden. Er hat meine Entschlossenheit gestählt. Schon hier, in diesen frühen Erinnerungen an den Swan, sehe ich alle Anzeichen unseres Niedergangs und unserer Wiederauferstehung, unserer vergangenen und kommenden Versuchungen; Anzeichen all jener Macken und Gedanken, die uns an einen ganz bestimmten Augenblick führten.
Ramilow war jetzt wegen eines Bouquet garni im Kühlraum, beziehungsweise weil eines fehlte. Bob musste ein Raufußhuhn für die 38 anrichten, und dazu war als Garnitur ein Kressebukett üblich, unerlässlich gar, zumindest aber irgendein Blättchen Grünzeug, das in einer Salatschüssel vor Bob am Pass bereitzustehen hatte, nicht aber unter den Wärmelampen verwelken durfte, wenn schon alles auf dem Teller bereitlag. Bob rief es spät ab, manchmal überhaupt nicht, aber es gehörte zu Ramilows Pflichten, zu wissen, wann ein Bouquet garni benötigt wurde, und es bereitzuhaben, sonst war es seine Schuld.
»Bouquet!«, ertönte der Ruf für das Raufußhuhn für die 38, als sich der Jus um das Fleisch legte und der Dampf zu den Wärmelampen aufstieg. Keine Antwort. Kein Oui, Chef! Kein Laut.
»Bouquet!« Wieder der Ruf. Und zur Antwort nichts als Stille. Die ganze Küchenmannschaft blickte in Ramilows Abteilung hinüber, weil Kresse, Blättchen und generell rohes Grünzeug in seiner Verantwortung lagen, alle kalten Vorspeisen und auch einige warme, aber Ramilow war verschwunden.
Die Kellner hingen in der Luft. Das Krachen und Wirbeln und Machen und Rasen und Sengen und Schlenzen, der ganze Kladderadatsch war wie eingefroren. Jeder einzelne Mann - und auch das stille dunkeläugige Mädchen in der Ecke - hielt die Luft an. Die Gasbrenner und Deckenventilatoren und das Klappern der Tellerwäscher, alles trat in den Hintergrund. Überlautes Lachen und Gesprächsbrocken wehten von den Tischen herein, so totenstill war es. Stimmen von Nicht-Köchen waren in der Küche zu hören, und das war der schrecklichste Sound der Welt.
»Vielleicht ist er im Lager, Chef«, versuchte es Dave.
»Oder auf dem Hof, Chef«, schlug Dibden vor.
Aber Ramilow war weder im Lager noch auf dem Hof. Auch nicht im Weinkeller oder unten im Büro, und das Spiel »Wo ist Ramilow?« löste sich erst an der Bar auf, wo Bob ihn im Gespräch mit der stupsnasigen Kellnerin entdeckte, mitten in dem Witz, wie man zu Fahrstuhlmusik tanzt. Bob war, wie man sagen könnte, wenig erfreut und brachte sein Missfallen Ramilow gegenüber in einer Sprache zum Ausdruck, die der Kellnerin das Näschen erblassen ließ. Ramilow beharrte darauf, dass das Telleranrichten vergänglich sei, während das Ding, das er hier mit Wie-heißt-sie-gleich am Laufen hatte, ewig währe. Er schnipste mit den Fingern und lächelte das Mädchen an.
»Aber im Ernst jetzt«, sagte er. »Wie heißt du?«
Doch ach, er hörte ihre Antwort nicht. Bob hatte ihn am Schlafittchen und zerrte ihn zurück in die Küche, wobei er ihm seine Absicht skizzierte, ihm schwerste Verletzungen zuzufügen, und ihm erklärte, dass er jetzt dran sei, bei Gott. Die ganze Zeit über protestierte Ramilow, und noch als die Tür zum Kühlraum geschlossen und verriegelt war, konnte man ihn dumpf über den freien Willen räsonieren hören und über die Qualen des Herzens, auch wenn davon eigentlich nur er selbst etwas hatte.
Dave hatte das Raufußhuhn an die 38 abgehen lassen, bevor Bob wiederkommen und ihn aus reiner Gehässigkeit alles neu anrichten lassen konnte, und Dibden war von den Nachspeisen in Ramilows Abteilung gewetzt und ballerte einen Teller nach dem anderen raus, damit wir nicht in den Bons erstickten, die sich in der Klemmleiste über dem Pass sammelten. Ab und zu warf er ängstliche Blicke zum Kühlraum hinüber, wo Ramilow gefangen saß. Nicht sehr angenehm, dort eingeschlossen zu sein, bei vier Grad Celsius in völliger Finsternis, und zu versuchen, niemandes Mise en place umzustoßen, weil man sonst noch tiefer in der Scheiße saß, wenn man rauskam, und vielleicht gleich wieder hineinmusste. Bob nannte den Kühlraum gerne seinen Isolationstank oder, in ungezügelter Straflust, den Abkühler. In seinen sechs Wochen in dieser Küche hatte Ramilow sich den Kühlraum zur zweiten Heimat gemacht.
»Miete sollte ich von der Fotze nehmen«, brummelte Bob und kehrte für seine Lifestyle-Ansage an den Pass zurück.
Dibden wirkte immer fahriger. Seine schmerzzerfurchten Züge, die immer von schwersten inneren Kämpfen kündeten, verdüsterten sich unter dem zunehmenden Druck. Seine langen Finger fingen an zu zittern, seine Bewegungen wurden unsicher, und er flüsterte in einem fort: »Zucker ... Zucker ...«, als litte er an einem nervösen Tick. Dibden glaubte, dass Maria Magdalena weinen musste, wenn man fluchte, und dass man eine Frau nie zum Weinen bringen durfte, besonders nicht eine so nette wie Maria Magdalena.
»Was ist denn, Kollege?« Bob war Dibdens Unruhe nicht entgangen, und er blickte ihn finster vom Pass heran.
»Mir sind die ... mir sind die Zitronenschnitze ausgegangen, Chef«, erwiderte er.
Die Zitronen lagen im Kühlraum beim bösen Onkel Ramilow.
»Monocle«, sagte Bob, »schieb mal deine dicke Fresse in den Kühlraum, er soll dir ein paar Zitronen rausreichen. Kein Wort zu der Fotze, sonst kannst du gleich mit rein.«
Copyright © Ullstein Verlag.
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Autoren-Porträt von Simon Wroe
Simon Wroe ist ein gelernter Koch und arbeitet inzwischen als freier Journalist. Beiträge von ihm erscheinen unter anderem in "The Economist", "The Guardian" und "The Evening Standard". "Chop Chop" ist sein erster Roman.
Bibliographische Angaben
- Autor: Simon Wroe
- 2014, 1. Auflage, 256 Seiten, Deutsch
- Übersetzer: Robin Detje
- Verlag: Ullstein Taschenbuchvlg.
- ISBN-10: 3843707138
- ISBN-13: 9783843707138
- Erscheinungsdatum: 11.04.2014
Abhängig von Bildschirmgröße und eingestellter Schriftgröße kann die Seitenzahl auf Ihrem Lesegerät variieren.
eBook Informationen
- Dateiformat: ePub
- Größe: 1.15 MB
- Ohne Kopierschutz
Family Sharing
eBooks und Audiobooks (Hörbuch-Downloads) mit der Familie teilen und gemeinsam genießen. Mehr Infos hier.
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