Weltbrüder (ePub)
Am Nachmittag eines letzten Apriltages zog hoch oben durch die dünne Luft ein wallendes Meer von kleinen, zerrissenen Wölkchen über die Hauptstraße des Londoner Kensington-Viertels. Diese Nebelschwaden bedeckten fast das ganze Firmament und kämpften gegen...
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Produktinformationen zu „Weltbrüder (ePub)“
Am Nachmittag eines letzten Apriltages zog hoch oben durch die dünne Luft ein wallendes Meer von kleinen, zerrissenen Wölkchen über die Hauptstraße des Londoner Kensington-Viertels. Diese Nebelschwaden bedeckten fast das ganze Firmament und kämpften gegen ein kleines Stück blauen Himmels an, das noch hell schimmerte wie ein Stern, wie eine einzelne Enzianblüte auf einer weiten Wiese. Alle diese Wölkchen schienen mit unsichtbaren Flügeln ausgestattet und scharten sich wie rastlos schwirrende Insekten um diesen Blütenstern, der so klar leuchtete in seiner fernen Ruhe. Auf der einen Seite ballten sie sich zu wogenden Massen; so eng drängten sie sich aneinander, daß weder Form noch Umriß sichtbar wurde. Auf der anderen Seite schienen sie größer, kräftiger, von den übrigen Wolken sich zu lösen, anzustürmen gegen diesen Schimmer der Ewigkeit. In unaufhörlichem Wandel wogten die Millionen Nebelschwaden, in unwandelbarer Ruhe erglänzte jener einzige blaue Stern.
Tief unten auf der Straße, unter den zahllosen sanft beschwingten, ewig wandernden Wolken im ungetrübten Äther drängten sich Männer, Frauen, Kinder, neben ihren Mitgeschöpfen, den Pferden, Hunden, Katzen; sie alle gingen in heiterer Frühlingsstimmung ihrer Beschäftigung nach. Sie strömten dahin; und der Lärm ihres Treibens schwoll brausend zu dem gewaltigen Rufe: "Ich, ich ¿ ich, ich!"
Am dichtesten vielleicht war das Gedränge vor dem Kaufhaus der Firma Rose & Thorn. Jede Menschengattung, von der vornehmsten bis zur geringsten, fand sich unter den Passanten vor den hundert Eingangstüren. Vor dem Schaufenster für Kostüme stand eine ziemlich hochgewachsene, schlanke, anmutige Frau und dachte: 'Es ist richtiges Enzianblau! Aber ich weiß nicht, ob ich es mir leisten darf, wo so viel Elend herrscht!'
Ihre graugrünen Augen, die oft ironisch dreinsahen, aus Scheu, ihre Empfindung zu verraten, schienen ein Kleid in der Auslage bis zu den letzten Möglichkeiten seiner Begehrenswürdigkeit zu prüfen.
'Vielleicht gefalle ich Stephen gar nicht darin!' Bei diesem Zweifel begann sie mit ihren behandschuhten Fingern eine Falte in die Vorderbahn ihres Kleides zu kniffen. In diese kleine Falte legte sie ihr eigenstes Ich hinein, den Wunsch, zu besitzen und die Scheu vor dem Besitz, den Wunsch, zu sein und die Furcht vor dem Sein. Ihr Schleier, der sieben Zentimeter vom Gesicht entfernt über den Rand des Hutes fiel, umhüllte ihre feinen, unentschlossenen Züge, die etwas zu stark hervortretenden Backenknochen, die ...
Tief unten auf der Straße, unter den zahllosen sanft beschwingten, ewig wandernden Wolken im ungetrübten Äther drängten sich Männer, Frauen, Kinder, neben ihren Mitgeschöpfen, den Pferden, Hunden, Katzen; sie alle gingen in heiterer Frühlingsstimmung ihrer Beschäftigung nach. Sie strömten dahin; und der Lärm ihres Treibens schwoll brausend zu dem gewaltigen Rufe: "Ich, ich ¿ ich, ich!"
Am dichtesten vielleicht war das Gedränge vor dem Kaufhaus der Firma Rose & Thorn. Jede Menschengattung, von der vornehmsten bis zur geringsten, fand sich unter den Passanten vor den hundert Eingangstüren. Vor dem Schaufenster für Kostüme stand eine ziemlich hochgewachsene, schlanke, anmutige Frau und dachte: 'Es ist richtiges Enzianblau! Aber ich weiß nicht, ob ich es mir leisten darf, wo so viel Elend herrscht!'
Ihre graugrünen Augen, die oft ironisch dreinsahen, aus Scheu, ihre Empfindung zu verraten, schienen ein Kleid in der Auslage bis zu den letzten Möglichkeiten seiner Begehrenswürdigkeit zu prüfen.
'Vielleicht gefalle ich Stephen gar nicht darin!' Bei diesem Zweifel begann sie mit ihren behandschuhten Fingern eine Falte in die Vorderbahn ihres Kleides zu kniffen. In diese kleine Falte legte sie ihr eigenstes Ich hinein, den Wunsch, zu besitzen und die Scheu vor dem Besitz, den Wunsch, zu sein und die Furcht vor dem Sein. Ihr Schleier, der sieben Zentimeter vom Gesicht entfernt über den Rand des Hutes fiel, umhüllte ihre feinen, unentschlossenen Züge, die etwas zu stark hervortretenden Backenknochen, die ...
Autoren-Porträt von John Galsworthy
John Galsworthy lebte von 1867 bis 1933 und war ein englischer Schriftsteller.
Bibliographische Angaben
- Autor: John Galsworthy
- 2022, 1. Auflage, 420 Seiten, Deutsch
- Verlag: Books on Demand
- ISBN-10: 3756210006
- ISBN-13: 9783756210008
- Erscheinungsdatum: 06.07.2022
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eBook Informationen
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