Föhrenwald, Audio-CD
Ein Hörspiel. Ausgezeichnet mit dem Hörspielpreis der Kriegsblinden 2006. 59 Min.
Danziger Freiheit Independence Place KolpingplatzElsässer Straße Illinois Straße AndreasstraßeAdolf-Hitler-Platz Roosevelt Square Seminar PlatzSudeten Straße Ohio Straße WeldenstraßeSteierer Straße Florida...
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Produktinformationen zu „Föhrenwald, Audio-CD “
Danziger Freiheit Independence Place Kolpingplatz
Elsässer Straße Illinois Straße Andreasstraße
Adolf-Hitler-Platz Roosevelt Square Seminar Platz
Sudeten Straße Ohio Straße Weldenstraße
Steierer Straße Florida Straße Gebsattelstraße
... beschreibt eine lebhafte, unbekümmerte Kinderstimme in
Michaela Meliáns Hörspiel (und Soundtrack zur gleichnamigen
Diaprojektion) Föhrenwald, 2005. 1 Die ursprünglich nach
den sogenannten wiedergewonnenen Gebieten bezeichneten
Straßen und Plätze der Siedlung Föhrenwald wurden entsprechend
der jeweiligen politischen Verhältnisse innerhalb
von 16 Jahren zweimal umbenannt und die Straßennamen
markieren die prägenden historischen Umkehrpunkte im
"Leben" des Ortes.
Föhrenwald, heute Waldram, ein Ortsteil von Wolfratshausen,
liegt ca. 30 km südlich von München. Die erste kartographische
Aufzeichnung der Region stammt von 1811 und
zeigt das Gebiet als wenig besiedelt, aber bereits intensiv
für Ackerbau genutzt. Der Streifen entlang der Isar war Teil
des Königlichen Forsts. Dann die ersten Überfl ugaufnahmen
von Föhrenwald: sie stammen vom 09. April 1945 und
wurden von der amerikanischen Luftwaffe noch vor dem
offi ziellen Kriegsende aufgenommen.2 Die strategische Lage
der Siedlung ist darauf gut zu erkennen: durch einen Bahnhof
an die Schienentrasse der Isartalbahn angebunden und in kurzer
Distanz zu den im angrenzenden Waldstück verborgenen
Munitionsfabriken, die zu den größten Rüstungsbetrieben des
nationalsozialistischen Regimes zählten. Auch die zahlreichen
Bombeneinschläge lassen sich hier ablesen.
Föhrenwald entstand Ende der 1930er Jahre als eine von
zahlreichen Arbeitermustersiedlungen im Rahmen nationalsozialistischer
Planungsziele und städtebaulicher Organisationsideen.
Genutzt wurde die Siedlung, die Teil der "Sozialen Wohnungsbauten
der Verwertungsgesellschaft für Montanindustrie
GmbH, Berlin" war, schließlich als Lager für Zwangsarbeiter in
der Rüstungsindustrie mit einer Kapazität von 4.500 Personen.
Nach Ende des Zweiten Weltkrieges diente der Ort aus 302
Wohneinheiten in Form von Reihen- und Doppelhäusern mehr
als zehn Jahre als exterritoriale Siedlung für jüdische Displaced
Persons. So entstand der am längsten bestehende "Wartesaal"
3 der Auswanderung - Föhrenwald wurde 1957 als letztes
Displaced Persons Camp aufgelöst -, aber auch ein Ort einer
aus der Not geborenen neuerlichen Etablierung jüdischen Lebens
in Deutschland. Darüber hinaus bildete sich hier einer der
Ausgangspunkte für unterschiedliche Aktivitäten zur Vorbereitung
und Unterstützung eines jüdischen Staates, wie z.B. der
Ausbildung von KämpferInnen für den israelischen Unabhängigkeitskrieg.
Nach der Aufl ösung des selbstverwalteten Lagers
mit autarker Infrastruktur wurden ab 1956 schließlich kinderreiche
deutsche heimatvertriebene Familien angesiedelt.
Nachdrücklich und auf sehr subtile Weise bildet sich vor allem
die unbegreifl iche Situation ab, der jüdische Displaced Persons
nach Kriegsende in Deutschland ausgesetzt waren: Kaum
der Verfolgung und den Konzentrationslagern entronnen, blieb
den meisten erst einmal nichts anderes, als auf dem verhaßten
deutschen Boden zu verharren in der Hoffnung auf eine baldige
Auswanderung - möglichst in ein eigenes Land. Doch die Aufnahmebereitschaft
vieler Länder war nicht so herzlich, wie man
es erhofft und auch erwartet hatte, und der Staat Israel war
noch nicht gegründet. (Am Rand: Eine verblüffende Überlegung
zur Lösung des Auswanderungsproblems war im Übrigen, in
Bayern einen eigenen jüdischen Staat aufzubauen.) So wurden
wieder Lager eingerichtet, wieder Zäune gezogen bzw. die
alten gleich weiterbenutzt. Trotzdem oder gerade deshalb, die
historischen Abbildungen vom Leben im sogenannten "Regierungslager
für heimatlose Ausländer" Föhrenwald von Anfang
der 1950er Jahre rufen auch die in die eigenen Familienfotoalben
eingeklebten Erinnerungen wach.
Die Siedlungsform Föhrenwalds fügt sich perfekt ein in die von
kleinen Wällen durchzogene Moränenlandschaft, gespiegelt an
einer Hauptstraße, welche die Verbindung zur Außenwelt herstellt.
Diese Straße zweigt ab von einer Landstraße, die bereits
auf den Uraufnahmen von 1811 eingezeichnet ist und die die
Umgebung als nach Westen Ackerland, nach Norden und Süden
stark bewaldet und im Osten an die Isar grenzend zeigen.
Im Waldgürtel (dem Föhrenwald) nach Südosten entlang des
Isarlaufs entstanden (nach erzwungenen Grundstücksverkäufen)
um 1938/39 die Munitionsfabriken der Deutschen Sprengchemie
GmbH und der Dynamit Actien-Gesellschaft (mit einer
der größten Produktionskapazitäten des Deutschen Reiches),
welche die Grundlage für die Stadtentwicklungen von Geretsried
(das bis 1937 18 EinwohnerInnen zählte) und Wolfratshausen
bilden sollten. Die Hauptstraße überquert die Schienentrasse
der ehemaligen Isartalbahn und wird zur Achse der Siedlung,
die schließlich auf dem zentralen ehemaligen Aufmarschplatz
(1940: Adolf-Hitler-Platz > 1945: Roosevelt Square > 1957: Seminarplatz)
endet. Die 1891 in Betrieb genommene Isartalbahn
verband (bis 1964) die Region mit München, aber auch mit den
Munitionsfabriken und bot somit die optimale Infrastruktur,
ohne jedoch den Zweck zu offenkundig werden zu lassen. Die
Bevölkerung sprach von einer Schokoladenfabrik.
Die Musikerin und Künstlerin Michaela Melián (geboren 1956,
lebt in Oberbayern) überlagert diese zahlreichen divergierenden
Geschichten und historischen Bezugsfelder in der 60 minütigen
Diaprojektion Föhrenwald auf subtile und gleichzeitig eindrückliche
Art und Weise zu einer Geschichts(de)konstruktionsmas
chine: Aus dem Dunkel treten weiße Linien hervor, schematisierte
Umrißzeichnungen von Straßen- und Gebäudeszenerien,
Strommasten, Straßenschilder, Hecken, Eingangtüren, Fenster,
hochaufragende Giebeldächer. Zäune. Unbestimmte Zeit.
Die als Diapositive projizierten, aber ins Negative gekehrten
Zeichnungen lassen in weißem Strich ein überzeitliches Bild
von Föhrenwald entstehen, das die Siedlung auf ihre wesentlichen
Merkmale und Elemente reduziert und soziologische
wie historische Zuschreibungen negiert oder immer wieder
entzieht. Der Strich vereinfacht und uniformiert die lokale Szenerie.
Die im großen Zusammenhang kleinen Details stehen
gleichberechtigt neben den großen Formen, normierte Tür- und
Fensterelemente werden zu individuellen Protagonisten in
einem Ensemble aus satten weißen Strichen. Grauwerte entstehen
vor allem in den kurzen Momenten der Überblendung,
in denen zwei Motive ineinandergreifen, oder als eine optische
Erfahrung, wenn die Linie anfängt zu bröckeln, faserig zu werden,
sich in den pechschwarzen Grund einstanzt. Die Umkehrung
der Linie ins Negative, das berückende Aufscheinen der
weißen Konturen aus Licht in dem ansonsten dominierenden
schwarzen Umraum, das Comichafte, bewirken einen Entfremdungseffekt,
der den genähten, durch eine Maschine geführten
Linien in früheren Diaprojektionen und Zeichnungsserien Meliáns,
die Geschichte buchstäblich "einnähen"8, entspricht.
Der gleichförmige Rhythmus der Diaprojektion fi ndet seinen
Widerhall in einem Soundloop aus Sprache und Musik, der
die Bildschleife überlagert. Verschiedene Stimmen berichten
vom wechselvollen Leben in der Siedlung. Das Material liefern
Texte aus der Entstehungszeit Ende der 1930er/Anfang der
1940er Jahre, Erinnerungen von ZwangsarbeiterInnen, die in
den frühen 1940er Jahren im Lager Föhrenwald lebten, Interviews
mit jüdischen BewohnerInnen des von 1945 bis 1957
bestehenden Displaced Persons Camps sowie mit seit 1956
angesiedelten deutschen Heimatvertriebenen, deren Familien
teilweise bis heute dort wohnen. Das Hörspiel präsentiert keine
Originalaufzeichnungen, sondern arbeitet mit im Studio von
professionellen SprecherInnen in sachlichem Tonfall eingesprochenen
Bearbeitungen der Erinnerungen und Interviews. Distanziert-
unbekümmerte Kinderstimmen sprechen historische
Verwaltungsdokumente. Die Überblendung der einzelnen Dias
wird gespiegelt im Beat des Soundtracks, der als Ausgangsmaterial
auf Fragmente von Kompositionen von Bach, Beethoven,
Schubert und Mendelssohn Bartholdy zurückgreift und diese
bis zur Unkenntlichkeit dicht in ambientem Sound verwebt. Die
verwendeten Kompositionen entstammen Schellackplattenaufnahmen,
die in den Jahren 1931-35 von jüdischen Schallplattenfi
rmen wie beispielsweise von dem Spezial-Radio-Haus Lukra,
Berlin, unter dem Namen Lukraphon veröffentlicht worden
sind.9
Lukraphon galt als Hauslabel des Jüdischen Kulturbunds.
Dieser war um 1935 (bis zu seinem Verbot 1941) in Folge der
konzertierten totalen Verdrängung jüdischer KünstlerInnen
aus dem offi ziellen, deutschen Kulturbetrieb entstanden, um
jüdischen Kulturschaffenden eine weitere künstlerische Arbeit
- natürlich nur vor einem ebenfalls rein jüdischen Publikum und
mit einem rein jüdischen Repertoire - zu ermöglichen. Tatsächlich
kam diese Gründung den Nationalsozialisten als "Lösung"
für die entstandene jüdische Massenarbeitslosigkeit entgegen,
einerseits um im Ausland ein positives Bild eines scheinbar
fl orierenden jüdischen Leben zu erzeugen, andererseits aber
vor allem als propagandistisches Werkzeug zur Demonstration
und Ausgrenzung der "verachteten" sogenannten "arteigenen"
jüdischen Kultur im Gegensatz zur "geschätzten" rein
"arischen" Kultur. Einige der im Umfeld des Kulturbundes aufgenommenen
Schallplatten wurden Mitte der 1930er Jahre in
Palästina herausgegeben und markierten so den Anfang einer
israelischen Plattenindustrie.
Der schmale Grat zwischen einer Siedlung als geschlossener,
nach Außen abgegrenzter Gemeinschaft - Föhrenwald
war entsprechend nationalsozialistischer Ideologie als "sozialer
Wohnungsbau" defi niert - und einem umzäunten Lager ist
offensichtlich und auch der Föhrenwald ausführende Architekt
Hermann Grünenwald überblendet die beiden Funktionen
zwischen Arbeitermustersiedlung einerseits und Lager andererseits
und zeigt den "Arbeite" (und seine Familien) im "Großdeutschen
Reich" als "Lagerinsassen": "Der Lageplan zeigt
einen gemischten Wirtschaftsbetrieb, da hier mehrere Tausend
männliche und weibliche Gefolgschaftsmitglieder und 40 bis 50
meist kinderreiche Familien unterzubringen sind. (...) Die rund
300 massiven Unterkunftsbauten wurden in gelockerter Bauweise
an Straßenzügen um die in die Mitte gestellten Gemeinschaftsbauten
gruppiert, so daß zwischen den Wohnbauten
geräumige Grünanlagen entstanden. Durch eine Achsenstraße
und niedere Holzzäune geteilt, ist eine geschlechtermäßige
Trennung der Lagerinsassen erzielt. Die Familienwohnungen
mit Nutzgärten sind an einer Randstraße angeordnet. (...) Das
ganze Terrain ist mit einem Draht- und Holzzaun umgeben, um
der in der Pforte untergebrachten Lagerwache die Kontrolle
und Lagerwache zu erleichtern. Das Lager ist in allen seinen
Anlagen eingerichtet im Betrieb und zeigt das Wohnen des
deutschen Arbeiters im Großdeutschen Reich."
Im Gegensatz zu Michaela Meliáns früheren Installationen,
wie beispielsweise Panorama II (Kunsthalle Baden-Baden,
2004), Straße (Galerie Barbara Groß, München, 2003), Panorama
(Galerie im Taxispalais Innsbruck, 2003) oder Ignaz Guenther
House (Ignaz-Günther-Haus, München, 2002), in denen der
die jeweilige Diaprojektion begleitende Soundtrack den Ausstellungsraum
beherrscht, den Beat der Betrachtung prägt und
vorantreibt, tritt in Föhrenwald das musikalische Thema zurück.
Weniger minimalistischer Technobeat mehr romantische Assoziation,
ein Gitarren-, ein Glockenspielthema, neu eingespielt
wie auch gesampelt, wiederkehrende Loops in großen Schleifen,
die den Rhythmus der Diaprojektion vorwegnehmen. "Von
Disko zu House mit dem Klick einer Computer Mouse" singt
Michaela Melián auf der F.S.K.-Platte "First Take then Shake":
im Fall vom Ignatz Guenther House ging es vom Barock zur
House-Musik mit einem Klick oder bei Föhrenwald von der Romantik
bis zum Minimal.
Michaela Meliáns Diainstallationen, Wandarbeiten und Zeichnungsserien
verzahnen sich - wie bei einem Delay, das einzelne
Sequenzen zu immer komplexeren musikalischen Soundmassiven
auftürmt - zu einem geographischen, soziologischen
und kritisch historiographischen Loop (im Fall der genannten
Werkbeispiele vom niedersächsischen Triangel mit Bernward
Vespers Biographie als Sohn eines überzeugten Nationalsozialisten
und als zeitweiligem Lebensgefährten von Gudrun
Ensslin im Hintergrund, über das Innsbrucker Riesenrundgemälde,
zurück nach München zur Kommune I und Rainer Werner
Fassbinder, weiter nach Baden-Baden den französischen
Schriftsteller, Mediziner und Kollaborateur des faschistischen
Vichy-Regimes Louis-Ferdinand Céline im Schlepptau). Hörspiel
und Diainstallation Föhrenwald eröffnen hier ein weiteres Feld
und bedienen sich stärker dramaturgischer und kinematographischer
Elemente, um die Konstruktion und eindimensionale
Lesart gesellschaftlicher Ordnungen und politischer Systeme
zu dekonstruieren.
"Der erste, welcher ein Stück Landes umzäunte, sich in den
Sinn kommen ließ zu sagen: dies ist mein, und einfältige Leute
antraf, die es ihm glaubten, der war der wahre Stifter der bürgerlichen
Gesellschaft."10 Die Lagerzäune sind Gartenzäunen
gewichen und die Siedlung ist im 21. Jahrhundert angekommen.
An vielen Ecken wird gebaut, die Siedlung hat sich um
etliche Straßen und Hecken erweitert, Buddha-Figuren haben
in der jetzt katholisch, ehemals jüdisch geprägten Siedlung
Einzug gehalten und verkörpern die weltweite Faszination für
fernöstliche Religion und Philosophie - auch wenn es nur zur
Dekoration im Vorgarten ist. Die Freizeitzone Isar ist in unmittelbarer
Nähe und lockt auch Auswärtige in die Region. Die Do
it yourself-Moderne und die mit ihr einhergehende "Obisierung"
legt sich über das "historische Monument" Föhrenwald,
sie neutralisiert und verdrängt die historischen Bedeutungsschichten11
durch ihr vielfältiges Repertoire an Metall- oder
Naturholzzäunen, durch die Variationsbreite von Eingangtüren,
Vordächern, Fenstermodellen und Carports oder die Farbschattierungen
der Dachziegel aus über 60 Jahren Geschichte. An
nur noch wenigen Hausdächern ist als inzwischen fremdes historisches
Detail die sensationell akkurate Stirnseitenabschlußkante,
die auf eine Konstruktion ohne Dachstuhl verweist, zu
finden - buchstäblich "Lost in Transition".
Der Bund der Kriegsblinden e.V. und Filmstiftung NRW verleihen zum 55. Mal die renommierte Auszeichnung "Hörspielpreis der Kriegsblinden/Preis für Radiokunst". In diesem Jahr erhält ihn Michaela Melián für "Föhrenwald".
Aus der Pressemeldung: "Der Hörspielpreis der Kriegsblinden, der zu den renommiertesten Auszeichnungen für Hörspielautoren zählt, wird gemeinsam vom Bund der Kriegsblinden Deutschlands e.V. und der Filmstiftung Nordrhein-Westfalen getragen. Mit dem Preis wird laut Statut jährlich ein von einem deutschsprachigen Sender konzipiertes und produziertes Hörspiel ausgezeichnet, das "in herausragender Weise die Möglichkeiten der Kunstform realisiert und erweitert".
Das Hörspiel "Föhrenwald", das die bildende Künstlerin und Musikerin Michaela Melián parallel zu einer multimedialen Installation gleichen Namens realisierte, wurde vom Bayerischen Rundfunk produziert und am 4. Juli 2005 urgesendet.
Die Preisverleihung findet am 31. Mai im Plenarsaal des Bundesrates in Berlin statt.
Entschließung der Jury:
"Das Lager - eine Metapher für das zwanzigste Jahrhundert. Michaela Meliáns Hörspiel hat die Geschichte des Lagers Föhrenwald bei München zum Thema. Es war Lager zur Nazizeit, in der amerikanischen Zone und in der jungen Bundesrepublik: Zuerst Lager für Zwangsarbeiter, dann Lager für aus schlimmeren Lagern Befreite, schließlich Lager für Flüchtlinge. Michaela Melián setzt sich mit einem bedeutenden Thema auseinander, das sie mit großer Kunst stimmig aufarbeitet. Sehr verdichtet ist der Wechsel von Zeit und Bedeutung zusammengefasst in dem lakonisch zitierten Wechsel der Straßennamen in Föhrenwald: Adolf-Hitler-Platz - Independence Platz - Kolpingplatz.
Bei diesem aus persönlichen Berichten und historischen Quellen gestalteten Hörspiel würdigt die Jury sowohl die sorgfältige und ergebnisreiche Recherche wie die künstlerische Darstellung. Zwei Jahre lang suchte Melián Zeitzeugen aus allen Epochen des Lagers, gewann ihr Vertrauen und befragte sie. Ihr Interesse gilt vor allem der Zeit zwischen 1946 und 1956, als Föhrenwald Auffanglager für sogenannte ,displaced persons' war - befreite KZ-Häftlinge, die meisten osteuropäische Juden, die auf Ausreise nach Israel oder Amerika hofften.
Aus den Dokumenten gestaltet sie eine vielstimmige Komposition, die sehr klar, sehr konzentriert ist durch die Auswahl der Texte und durch die Darbietung: Die Erlebnisberichte werden nicht von den Zeitzeugen selbst, sondern von Schauspielern gesprochen. Dadurch werden sie vom Persönlichen abgelöst und auf eine andere Ebene gehoben. Durch die sparsam gewählten Mittel entsteht eine konzentrierte Ruhe, die den Hörer bannt.
Dem rhythmischen Wechsel der Stimmen, in dem das individuelle Schicksal immer wieder durch virtuos gesetzte Zäsuren als ein gebrochenes dargestellt wird, steht die fließende Hörspielmusik gegenüber. Melián komponierte sie gemeinsam mit Carl Oesterhelt aus kurzen Fragmenten alter, verrauschter und zerkratzter Schallplattenaufnahmen klassischer Musik. In dieser Musik wird Zeit als ein unaufhaltsamer Fluss der Geschichte vertont, der gleichgültig über Einzelschicksale hinweggeht.
Auf diese Weise setzt Melián historische Allgemeingültigkeit mit individuell Erlebtem in Beziehung und bereichert das Genre des Hörspiels um einen akustischen Ausdruck für erinnerndes Bewusstsein."
Zur diesjährigen Preisträgerin:
Michaela Melián wurde 1956 in München geboren und lebt in Wolfratshausen, unweit des ehemaligen Lagers Föhrenwald. Sie studierte Musik am Richard-Strauss-Konservatorium und Malerei an der Kunstakademie München, an der sie 1998 und 1999 als Gastprofessorin lehrte. Seit 1982 zahlreiche Ausstellungen im In- und Ausland.
Melián veröffentlichte verschiedene CDs unter eigenem Namen sowie als Bassistin und Sängerin der Gruppe F.S.K (Freiwillige Selbstkontrolle).
Viele ihrer künstlerischen Projekte sind dadurch gekennzeichnet, dass sie die klassische Trennung von Musik und bildender Kunst überwinden und "Klangbilder" im Sinne des Wortes schaffen.
Die parallel zu dem Hörspiel entstandene multimediale Installation "Föhrenwald" wird als Sonderausstellung des Jüdischen Museums Franken (Fürth) bis zum 14.5.2006 nochmals zu erleben sein, in Dresden ist sie auf dem Hof der neuen Synagoge im Rahmen der Ausstellung "Von der Abwesenheit des Lagers" im Kunsthaus Dresden noch bis zum 7.5. installiert.
Der Jury unter Vorsitz der Autorin Anna Dünnebier gehören jeweils sieben Kriegsblinde und sieben Fachkritiker sowie fünf von der Filmstiftung NRW berufene Juroren aus dem Kulturbereich an. Frühere Preisträger waren u.a. Ingeborg Bachmann, Friedrich Dürrenmatt, Heiner Müller, Heiner Goebbels, Urs Widmer, Günter Eich, Ernst Jandl, Friederike Mayröcker, Walter Kempowski, Wolfgang Weyrauch, Christoph Schlingensief, Elfriede Jelinek und im vergangenen Jahr Stefan Weigl."
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Autoren-Porträt von Michaela Melián
Michaela Melián wurde 1956 in München geboren und lebt in Wolfratshausen, unweit des ehemaligen Lagers Föhrenwald. Sie studierte Musik am Richard-Strauss-Konservatorium und Malerei an der Kunstakademie München, an der sie 1998 und 1999 als Gastprofessorin lehrte. Seit 1982 zahlreiche Ausstellungen im In- und Ausland. Melián veröffentlichte verschiedene CDs unter eigenem Namen sowie als Bassistin und Sängerin der Gruppe F.S.K (Freiwillige Selbstkontrolle). Viele ihrer künstlerischen Projekte sind dadurch gekennzeichnet, dass sie die klassische Trennung von Musik und bildender Kunst überwinden und Klangbilder im Sinne des Wortes schaffen.
Bibliographische Angaben
- Autor: Michaela Melián
- CD
- 2006
- Verlag: intermedium rec
- ISBN-10: 393944426X
- ISBN-13: 9783939444268
- Erscheinungsdatum: 08.09.2006
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