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Die Geschichte des "Café Engel" geht weiter

Marie Lamballe über ihre Familiengeschichte hinter dem Roman und Glück in Zeiten des Krieges

Direkt gegenüber des Staatstheaters Wiesbaden, dort wo heute das "Café Blum" seine Pforten geöffnet hat, stand einst das "Café Engel". Auch wenn es nicht so hieß. Die Freiheit hat sich Autorin Marie Lamballe genommen und das Künstler-Café aus den Erzählungen ihrer Eltern umbenannt. Die beiden waren am Wiesbadener Staatstheater engagiert und gern zu Gast im "Café Lehmann", wie es damals hieß, ein beliebter Treffpunkt für Schauspieler, Musiker und allerhand schillernde Persönlichkeiten.

Die Erinnerung an diese Geschichten und Anekdoten war es, die Marie Lamballe dazu inspirierte zurückzureisen in die Vergangenheit: In ihrem Roman bleibt das "Café Engel" der Familie Koch wie durch ein Wunder von den Kriegsbomben verschont. Doch der Kampf um Erfolg, Glück und Liebe geht weiter. Während der Zeit des Wiederaufbaus nach den schlimmen Kriegs- und Nachkriegsjahren versucht Hilde Koch ihre Eltern von einer Modernisierung des Traditions-Cafés zu überzeugen. Ihre Brüder kehren derweil aus der Kriegsgefangenschaft zurück und haben ihre ganz eigenen Kämpfe auszufechten.

Reise in die Vergangenheit: Marie Lamballe über ihre Familiengeschichte hinter dem "Café Engel", die Schrecken des Krieges und kostbare Glücksmomente

Ihr Vater war Schauspieler, Regisseur und Stückeschreiber am Staatstheater in Wiesbaden. Haben Sie Ihr Talent fürs Geschichtenerzählen von ihm geerbt?

Marie Lamballe: Das habe ich ganz sicher. Als ich klein war, bat ich meinen Vater oft um „eine Geschichte von einer Prinzessin“ oder eine „Kaspergeschichte“ oder „eine Geschichte von einem armen Kind“. Er setzte sich dann in den Sessel, ich kroch auf seinen Schoß und er erzählte. Er hatte das Talent, Geschichten aus dem Ärmel zu schütteln. Daher fand ich es später immer vollkommen normal, Geschichten zu erfinden.

Welche Anekdoten haben Ihnen Ihre Eltern erzählt, die Sie dazu inspiriert haben, über das Künstler-Café „Engel“ zu schreiben?

Marie Lamballe: Meine Eltern waren seinerzeit beide am Staatstheater Wiesbaden als Schauspieler engagiert. Mein Vater arbeitete zusätzlich als Regisseur und schrieb Theaterstücke, die in ganz Deutschland aufgeführt wurden. Da bei uns zuhause immer viel erzählt wurde, hörte ich schon als Kind eine Menge Anekdoten über das Leben am Theater, über liebe und weniger liebe Kollegen, über heitere und peinliche Zwischenfälle bei Aufführungen, über rauschende Silvesterfeiern und einsame Weihnachten. Meine Eltern haben ihren Beruf sehr geliebt, deshalb war es für meinen Vater tragisch, als er im Kriegsgefangenenlager in Attichy durch einen Hörsturz taub wurde und das Theater verlassen musste.

Kam das „Café Engel“ in den Erzählungen Ihrer Eltern auch vor? Hat es tatsächlich existiert?

Marie Lamballe: Die Vorlage zum „Café Engel“ ist das „Café Lehmann“, das vor dem Krieg gegenüber des Theaters auf der Wilhelmstraße lag. Dort trafen sich die Künstler gern nach Proben und Aufführung, weil sie dort liebevoll betreut wurden. Die Seele dieses Cafés war der Geschäftsführer Fritz Koch, ein Mensch mit einem großen Herzen für Künstler, von dessen väterlicher Art vor allem meine Mutter oft schwärmte. Leider wurde das „Café Lehmann“ im Krieg zerstört, heute befindet sich an dieser Stelle das „Café Blum“. Den liebenswerten alten Herrn Koch habe ich noch kennengelernt, er lebte später zurückgezogen in der Wiesbadener Altstadt und freute sich unendlich, wenn wir ihn besuchten.

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Wie haben Ihre Eltern die Nachkriegsjahre mit ihren Herausforderungen erlebt? War Glück überhaupt möglich? Oder haben die erlebten Schrecken alles überschattet?

Marie Lamballe: Die Frage ist nicht so einfach zu beantworten, weil die Erzählungen meiner Eltern das Schreckliche immer ausließen. Man wollte die Kinder nicht mit den grausamen Dingen belasten, auch wollte man selbst nicht daran erinnert werden, sondern nach vorn denken. Erst viele Jahre später, mit über neunzig Jahren, hat mir meine Tante ihre Erlebnisse während des finalen Bombenangriffs auf die Stadt Mainz erzählt. Und erst dann wurde mir klar, dass es nicht nur um zerstörte Häuser ging – es ging um Menschen, die auf den Straßen von Phosphorbomben getroffen, durch Detonationen zerrissen wurden, tote Frauen und Kinder, deren Körper man mit Verdunklungspapier bedeckte, damit die Vögel nicht darangingen. Der Rhein stand in Flammen, weil das brennende Phospor auf dem Wasser schwamm, das Pflaster war noch Tage später so heiß, dass man es kaum betreten konnte… Meine Eltern haben den Krieg in Hannover erlebt, dort muss es ähnlich gewesen sein.

Ob Glück bei all den Schrecknissen möglich ist? Ich glaube ja. Gerade dann empfindet man das Glück sehr viel intensiver, begreift, wie kostbar es ist. Ich glaube, dass meine Mutter den Augenblick, als mein Vater aus der Gefangenschaft zurückkehrte, nie in ihrem Leben vergessen hat. Weil es ein Geschenk war.

Wie geht es mit Familie Koch im zweiten Band der Café Engel-Saga weiter? Vor welche Herausforderungen stellen sie die 50er Jahre?

Marie Lamballe: Es geht um den Wiederaufbau nach den schlimmen Kriegs- und Nachkriegsjahren. Die beiden Söhne der Kochs sind aus der Gefangenschaft zurückgekommen, Wilhelm strebt eine Bühnenkarriere an während August mit den psychischen Folgen seiner Gefangenschaft in Russland kämpft. Jean-Jacques reist nach Frankreich, um eine Erbschaft anzutreten, was sich als sehr kompliziert erweist und Julia Wemhöner wagt einen mutigen Schritt. Natürlich geht es auch um die Liebe, wie könnte es anders sein.