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Torsten Rohde alias Oma Bergmann über besorgte Fans und wie Renate es schafft, die Generationen zu verbinden
Wie ist die Kunst- und Kultfigur Renate Bergmann eigentlich entstanden? War sie als Scherz gedacht oder wie kam es zum ersten Omi-Tweet?
Torsten Rohde: Spaß ist Renate bis heute, aber am Anfang stand tatsächlich ein simpler Scherz. Bei versammelter Frauenpower am Weihnachtsfest bekam ich so viele Sprüche zu Gehör, dass ich mich fragte: Ist das eigentlich in allen Familien so? Die Reaktionen auf meine ersten Tweets bestätigten mich: JEDER hat eine Schwiegermutter, Oma oder Tante zu Besuch, die irgendwie liebevoll, aber über weite Strecken auch anstrengend ist.
Viele Bergmann-Fans fragen sich: Gibt es eine reale Vorlage für Renate? Ihre eigene Oma, Uroma, Mutter, Tante, Nachbarin? Und was sagt Ihre Verwandtschaft zu Renate?
Torsten Rohde: Renate Bergmann ist eine Melange aus Erinnerungen an die Sprüche meiner eigenen Omas, aus Beobachtungen im Alltag und natürlich aus Übertreibungen und Klischees. Keine alte Dame ist wirklich so! Fast jeder hat jedoch entweder eine Omi zu Hause auf dem Sofa sitzen oder trägt Erinnerungen an Großmütter in sich, die Renate wachruft und in denen man die eine oder andere Eigenart wiedererkennt.
Renate gehen die Ideen nicht aus. Zuletzt hat sie ein Kochbuch verfasst, war auf Kreuzfahrt und hat Trickbetrüger gejagt. Woher nehmen Sie Ihr Insiderwissen rund um die Themen der Generation 80plus? Wer sind Ihre Quellen? Bzw. sind Sie immer auf Beobachtungsposten?
Torsten Rohde: Immer und überall! Man trifft die älteren Herrschaften, wohin das Auge fällt: Im Supermarkt an der Kasse, im Wartezimmer beim Arzt, und auch Friseurbesuche sind sehr ergiebig. Oft „übersetze“ ich aber auch Alltagsbegebenheiten mit jüngeren Menschen „auf Oma“, in dem ich mir überlege: „Das war witzig, aber wie hätte Renate reagiert?“. Ich habe immer entweder Laptop oder Notizblock dabei, und wenn gar nichts geht, mache ich mir schnell Sprachnotizen im Handy. Meine Stoffsammlung gleicht Omas Knopfkiste: bunt und durcheinandergewürfelt. Kein Außenstehender würde einen Sinn in den Wortfetzen und Ideen sehen, aber ich habe ziemlich genau im Kopf, was wo hinpasst. Und was erstmal nirgendwo passt, kommt ins Töpfchen „Wer weiß, wozu es nochmal gut ist“.
Torsten Rohde: "Ständig muss ich mich als Oma Bergmann outen"
Zu Beginn von Renates Online-Karriere war so manchem Leser nicht klar, dass die 82-Jährige fiktiv ist und nicht selbst twittert. Stimmt es, dass Fans um ihre Gesundheit besorgt waren, wenn Renate länger offline war? Wann haben Sie sich als Autor geoutet und wie haben die Follower reagiert?
Torsten Rohde: Das ist bis heute so, dass ich mich ständig neu als Oma „outen“ muss, denn es kommen - zu meiner großen Freude - noch immer neue Leser hinzu. Es ist für mich aber auch ein großes Kompliment, wenn das, was ich schreibe, für so authentisch gehalten wird, dass manche Leute es tatsächlich für echt halten. Niemand war bisher wirklich böse oder enttäuscht, wenn er die Wahrheit erfahren hat. Das schlägt dann eher um in „So wie Renate ist, so will ich auch mal sein, wenn ich alt bin.“
Renate ist einerseits eine typische alte Dame, die viele auch an die eigene Oma erinnert. Und gleichzeitig lebt sie im Hier und Jetzt, ist mit ihrem Klappcomputer online auf Twitter, "Fäßbock" und Co unterwegs. Ist sie ein Vorbild für Senioren? Verbindet Renate Bergmann die Generationen?
Torsten Rohde: Ich glaube mittlerweile nicht mehr, dass Renate eine typische alte Dame ist. Die Omis von heute sind wie selbstverständlich bei Facebook und mit dem Smartphone unterwegs, und sie besprühen sich auch nicht zwangsläufig mit 4711. Ich habe vor kurzem in einem Seniorenheim aus den Geschichten vorgelesen und hatte ein bisschen Bammel vor den Reaktionen. Am Schluss kam eine Dame mit über 90 Jahren auf mich zu und meinte, sie hätte seit langem nicht mehr so gelacht, und ihre Mutter wäre genau so gewesen. Die älteren Damen beziehen das gar nicht auf sich selbst und fühlen sich nicht aufs Korn genommen, sondern projizieren das auf ihre Mütter. Oft haben wir in den Lesungen Omis, die mit ihren Töchtern und Enkeln da sind und die mir berichten, wer wen mit Renate Bergmann angesteckt hat. Mal hat die Enkelin es bei Facebook gesehen und der Oma dann die Bücher gekauft und mal ist es umgekehrt. In diesem schönen Sinne - ja, ein bisschen verbindet Renate da die Generationen.