Abschied von Chautauqua
Abschiedvon Chautauqua von Stewart ONan
LESEPROBE
Sie fuhren mit Arlenes Wagen, weil der eine Klimaanlagehatte und Emily sich nicht sicher war, ob der Olds es schaffen würde. Außerdemwar Arlenes Wagen größer, ein Kombi, da passten bei der Rückfahrt mehr Sachenrein.
Emily wusste, dass sie der Versuchung nicht würde widerstehenkönnen. Selbst den kleinsten Verlust fand sie unerträglich - ein in derSpülmaschine angeknackstes Glas, ein im Trockner eingegangener Pullover. Siewürde den Taurus voll alten Plunder packen, für den sie zu Hause keinen Platzhatte. Alles würde im Keller landen und neben dem zweiten Kühlschrankvermodern, der immer noch klirrend voll war mit Henrys Iron Citys. Sie trank keinBier, doch sie brachte es auch nicht über sich, die Flaschen eine nach deranderen zu öffnen und die schäumende Flüssigkeit in den Ausguss zu schütten,deshalb blieben sie dort stehen, allmählich verrosteten die gewellten Ränderder Kronkorken, und das Gemüse bekam einen metallischen Beigeschmack. Sie wusste,dass sie alles Mögliche aufheben würde, auch wenn Henry über das Durcheinanderden Kopf geschüttelt hätte.
Sie fuhr zum letzten Mal dorthin, sah zum letzten Mal das Sommerhaus.Um den Verkauf würde sich ihr Anwalt - eigentlich der von Henry - kümmern. Siewar dem Mann nur einmal begegnet, letzten Herbst, als sie halb betäubt HenrysNachlass durchgegangen war. Alles andere hatten sie telefonisch geregelt oder überFederal Express, was ihr verschwenderisch vorkam und vermutlich auf ihre Kostenging, doch Henry hatte sich dreißig Jahre auf Barney Pontzer verlassen, und indieser Angelegenheit vertraute sie seinem Urteil mehr als ihrem eigenen.
Das Sommerhaus lag ungefähr drei Stunden entfernt, je nachdem,wie dicht der Verkehr auf der 79 war. Samstags konnte dort viel los sein. Emilywollte gegen neun aufbrechen, damit sie mittags da waren, aber Arleneverspätete sich, machte großes Getue wegen Rufus und breitete umständlich einausgeblichenes Steelers-Handtuch über den Rücksitz. Emily versicherte ihr, dasser an diesem Morgen kein Futter bekommen hatte, doch Arlene ließ sich nichtdavon abhalten, das Handtuch in den Ritzen festzustecken. Genau darüber hattensie sich bereits gestritten, als sie an Weihnachten Kenneth besucht hatten. Eswar völlig sinnlos. Der Wagen stank nach Arlenes Luckies, daran würde sichauch nichts ändern.
«Ihm geht's gut», beteuerte Emily.
«Sicher ist sicher.»
«Er hat damit keine Probleme mehr.»
«Ich dachte mehr wegen der Haare.»
«Ich bitte dich », sagte Emily lachend, « ein Handtuch hilftda auch nicht weiter. Wenn wir angekommen sind, sauge ich den Sitz ab.»
«Irgendjemand muss sich drum kümmern.»
«Ich mach das.»
Diese ewigen Auseinandersetzungen, dachte Emily. Sah Arlenedenn nicht, dass es diesmal anders war? Henry führte die Engstirnigkeit seinerSchwester auf ihre Lehrerinnentätigkeit zurück, doch Emily fand, das war beiArlene eher angeboren. Arlene schien ständig auf der Hut zu sein, zubefürchten, dass sie irgendwie betrogen wurde. Das ergab einen Sinn: Henry war dasNesthäkchen gewesen, der Liebling ihrer Eltern, Ingenieur wie sein Vater. EinLeben lang hatte Arlene um jedes bisschen Zuwendung kämpfen müssen.
Aber sie sind alle tot, hätte Emily am liebsten gesagt. Du kannstjetzt damit aufhören.
Rufus hatte Hüftprobleme, und Emily musste ihm in den Wagenhelfen. Arlene sagte kein Wort, während sie das Handtuch zurechtzupfte. InWahrheit wurde es Rufus beim Autofahren immer noch übel, aber er musste sichnicht mehr übergeben. Im Lauf der Jahre hatte er gelernt, den Kopf unten zulassen, sodass ihm von dem endlosen Karussell der Bäume und Felder nichtlänger schwindlig wurde, doch er zuckte und hickste noch immer, als würde ersich erbrechen. Aber er sabberte nur, und ihm hingen lange, klebrigeSpeichelfäden aus dem Maul, die sich wie Spinnweben in seinem Fell verfingen.Und es stimmte schon, er haarte stark. Diesen Sommer hatte eine Affenhitzegeherrscht. Vor den Fußleisten im Schlafzimmer hatten dunkle Fellbüschel gelegen,die sich, sobald man mit dem Staubsauger kam, überall verteilten, doch beieinem Springerspaniel war das normal.
Konnten sie oder Arlene etwa behaupten, sie seien würdevollergealtert? Rufus war vierzehn und hatte jeden Sommer am See verbracht. Er hattees sich verdient, ein letztes Mal mit Emilys Enkeln herumzutollen, ein letztesMal beim Steg zu schwimmen, ein letztes Mal auf dem kühlen Verandaboden zudösen. Falls nötig, würde sie Arlenes Sitze absaugen.
Das Haus war abgeschlossen, die Fenster zu, der Anrufbeantworteran. Die Post ließ sie lagern, das Gemüsefach hatte sie gründlich saubergemacht. Im Olds war vorsichtshalber nur ganz wenig Benzin, für den Fall, dassjemand in die Garage einbrach, um ihn zu stehlen. Ihre Nachbarin Marcia hatteeinen Schlüssel und die Nummer in Chautauqua. Falls Emily etwas vergessenhatte, dann fiel es ihr zumindest nicht ein. (...)
© 2005 Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
Übersetzung: Thomas Gunkel
- Autor: Stewart O'Nan
- 2005, 2. Aufl., 704 Seiten, Maße: 14,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung:Gunkel, Thomas
- Verlag: Rowohlt
- ISBN-10: 3498050346
- ISBN-13: 9783498050344
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