Alex Cross - HEAT
An seinem Geburtstag erreicht Alex Cross eine grauenvolle Nachricht. Seine Nichte wurde auf äußerst brutale Weise umgebracht und verstümmelt. Cross beginnt sofort mit den Ermittlungen und stößt schnell auf ein dunkles Geheimnis...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Alex Cross - HEAT “
An seinem Geburtstag erreicht Alex Cross eine grauenvolle Nachricht. Seine Nichte wurde auf äußerst brutale Weise umgebracht und verstümmelt. Cross beginnt sofort mit den Ermittlungen und stößt schnell auf ein dunkles Geheimnis seiner Nichte. Dann schaltet sich auch der Geheimdienst in die Aufklärung des Falls ein und plötzlich wird Alex von höchster Stelle des Weißen Hauses dazu angehalten, seine Untersuchungen einzustellen.
"Mit Patterson ist es wie mit Hitchcock: Man kann einfach nicht genug von ihm bekommen!"
Publishers Weekly
Lese-Probe zu „Alex Cross - HEAT “
Heat von James Patterson... mehr
1
Hannah Willis studierte im zweiten Jahr Jura an der Virginia. Sieschien eine glänzende, vielversprechende Zukunft vor sich zu haben ... abgesehen natürlich davon, dass sie über kurz oder lang inmitten dieses dunklen, bedrückenden und düsteren Waldes sterben würde.
Weiter, Hannah, sagte sie sich. Immer weiter. Nicht nachdenken. Heulen und jammern bringt dir jetzt gar nichts. Aber rennen vielleicht schon.
Sie taumelte vorwärts, stolperte, strauchelte, bis ihre Hände einen Baumstamm fanden, an dem sie sich festhalten konnte. Sie lehnte ihren schmerzenden Körper dagegen, wartete, bis sie genügend Kraft gesammelt hatte, um den nächsten Atemzug zu tun. Um wieder ein paar Schritte weiter zu hetzen.
Lauf weiter, sonst musst du sterben, hier, irgendwo in diesem Wald. So einfach ist das.
Die Kugel in ihrem hinteren Lendenbereich machte jede Bewegung, jeden Atemzug zur Qual und bereitete Hannah mehr Schmerzen, als sie jemals für möglich gehalten hätte. Nur die Angst vor einer zweiten Kugel oder womöglich noch Schlimmerem hielt sie auf den Beinen und am Laufen.
Mein Gott, hier im Wald war es wirklich pechschwarz. Der Sichelmond ließ kaum einen Lichtstrahl durch das dichte Laubdach auf den Boden zu ihren Füßen fallen. Die Bäume waren nichts als Schatten. Das Unterholz steckte voller unsichtbarer Dornen und Gestrüpp und stach und kratzte ihr die Beine blutig. Das Wenige, das sie zu Anfang einmal am Leib gehabt hatte - nichts weiter als einen teuren, schwarzen Spitzenbody -, hing ihr mittlerweile in Fetzen vom Leib.
Aber nichts von alledem spielte mittlerweile noch eine Rolle oder drang in Hannahs Bewusstsein. Der einzig klare Gedanke, der immer wieder ihre Schmerzen und ihre Panik durchdrang, war: Lauf weiter! Alles andere war ein einziger sprachloser, richtungsloser Albtraum.
Plötzlich öffnete sich der tief hängende Baldachin des Waldes. »Was ...?« Die Erde unter ihren Füßen wurde zu Schotter, und Hannah stolperte und fiel auf die Knie, weil sie nichts mehr hatte, woran sie sich festhalten konnte.
Im milchigen Schein des Mondes erkannte sie schemenhaft eine Doppellinie, die den Kurvenverlauf einer Landstraße markierte. Es kam ihr vor wie ein Wunder. Zumindest ein halbes, denn ihr war klar, dass sie noch längst nicht alle Probleme hinter sich hatte. Als in der Ferne ein Motorengeräusch ertönte, stützte Hannah die Hände auf den Schotter und stemmte sich auf die Beine. Ohne zu wissen, woher sie die Kraft dazu nahm, stand sie noch einmal auf und taumelte auf die Straße. Der Schweiß und frische Tränen ließen die Welt vor ihren Augen verschwimmen.
Bitte, lieber Gott, bitte lass es nicht sie sein. Nicht diese beiden Widerlinge.
So grausam kannst du doch nicht sein, oder?
Ein roter Pick-up schlingerte um die Kurve und kam auf sie zu. Schnell. Zu schnell! Mit einem Mal war sie genauso blind wie vorher im Wald, aber dieses Mal wegen der Scheinwerfer.
»Halt! Bitte, anhalten! Bit-teeeeee!«, kreischte sie. »Halt an, du Schwein!«
Im letzten Augenblick kreischten die Reifen über den Asphalt. Der rote Pick-up rutschte noch ein Stück auf sie zu und hätte sie wirklich um ein Haar überfahren. Sie konnte die Wärme spüren, die durch den Kühlergrill nach draußen drang.
»Hey, Süße, hübsches Outfit! Du hättest bloß deinen Daumen rauszuhalten brauchen.«
Die Stimme kam ihr nicht bekannt vor, und das war gut. Das war richtig gut. Aus der Fahrerkabine dröhnte laute CountryMusik... Charlie Daniels Band, schoss es Hannah noch durch den Kopf, bevor sie mitten auf der Straße zusammenbrach.
Als sie eine Sekunde später das Bewusstsein wiedererlangte, kniete der Fahrer neben ihr. »Oh, mein Gott, das habe ich ja gar nicht ... Was ist denn passiert? Sind Sie ... Was ist denn passiert?«
»Bitte.« Sie brachte kaum einen Ton heraus. »Wenn sie mich hier finden, dann bringen sie uns alle beide um.«
Der Mann nahm sie in seine starken Arme und hob sie auf. Dabei streifte er das Loch in ihrem Rücken, das nicht größer als ein Zehncentstück war. Sie stieß lediglich den Atem aus, zu schwach, um noch zu schreien. Ein paar graue und verschwommene Augenblicke später saßen sie in dem Pick-up und rasten die zweispurige Landstraße entlang.
»Durchhalten, Schätzchen.« Die Stimme des Fahrers zitterte. »Wer hat dir das angetan?«
Hannah spürte, wie sie erneut das Bewusstsein verlor. »Die Männer...«
»Die Männer? Welche Männer, Süße? Wen meinst du denn?«
Eine Antwort schwebte schemenhaft durch Hannahs Geist, und sie wusste nicht, ob sie sie ausgesprochen oder vielleicht nur gedacht hatte, bevor alles um sie herum schwarz wurde.
Die Männer aus dem Weißen Haus.
2
Sein Name war Johnny Tucci, aber die Jungs damals in seinem Viertel in South Philadelphia hatten ihn Johnny Twitchy genannt,
weil er so mit den Augen zuckte, wenn er nervös war. Also praktisch immer.
Aber nach dem heutigen Abend konnten die Jungs in Philly ihn mal kreuzweise. Denn der heutige Abend war der Abend, an dem Johnny richtig eingestiegen war. Wie ein Mann. Er hatte schließlich »das Paket« dabei, oder etwa nicht?
Es war ein einfacher Job, aber echt gut, weil er ihn alleine erledigte und die ganze Verantwortung auf seinen Schultern lag. Das Paket hatte er bereits abgeholt. Hatte zwar Schiss gehabt, aber alles gut hingekriegt.
Auch wenn nie jemand darüber sprach, aber wenn man einmal mit solchen Lieferungen angefangen hat, dann hatte man was gegen die Familie in der Hand und umgekehrt. Mit anderen Worten: Da war eine Beziehung entstanden. Nach dem heutigen Abend würde Johnny sich nicht mehr mit irgendwelchen Botengängen abgeben müssen, würde nicht mehr mühsam irgendwelche Brotkrumen in den Wohnvierteln im Süden zusammenklauben. Wie hieß noch mal dieser Spruch? Heute ist der erste Tag vom Rest deines Lebens.
Also war er natürlich ziemlich gut drauf ... und auch ein kleines bisschen nervös.
Onkel Eddies warnende Worte gingen ihm immer und immer wieder durch den Kopf. Dass du's mir ja nicht versaust, Twitchy, hatte Eddie gesagt. Ich hab mich mächtig weit aus dem Fenster gelehnt für dich. Als ob er ihm mit diesem Job so was wie einen riesengroßen Gefallen getan hätte. Na ja, dachte Johnny, hat er ja vielleicht auch, aber trotzdem. Das brauchte ihm sein Onkel ja nicht ständig unter die Nase zu reiben, oder?
Er schaltete das Radio ein. Sogar die Country-Musik, die hier unten gespielt wurde, war besser, als den ganzen Abend lang Eddies nervtötendes Nölen im Ohr zu haben. Das Stück war ein alter Song der Charlie Daniels Band, »The Devil Went Down to Georgia.« Er kannte sogar ein paar Zeilen auswendig. Doch auch die vertrauten Worte konnten Eddies Stimme nicht aus Johnnys Kopf verjagen.
Dass du's mir ja nicht versaust, Twitchy.
Ich hab mich mächtig weit aus dem Fenster gelehnt für dich. Ach, du Scheiße!
Blaue Blinklichter tauchten in seinem Rückspiegel auf wie aus dem Nichts. Noch vor zwei, drei Sekunden hätte er schwören können, dass er die ganze Interstate 95 für sich alleine hatte.
Da hatte er sich anscheinend geirrt.
Johnny spürte das Zucken in seinem rechten Augenwinkel.
Er gab Vollgas. Vielleicht ließen sie sich ja abschütteln. Aber dann fiel ihm ein, dass die Schrottkarre, die er auf dem Parkplatz des Motel 6 in Essington geklaut hatte, nur ein beschissener Dodge war. Gottverdammte Scheiße noch mal! Ich hätte mir beim Marriott einen Japaner besorgen sollen.
Aber es war immer noch denkbar, dass der Dodge noch gar nicht als gestohlen gemeldet war. Der Besitzer lag wahrscheinlich in seinem Motelbett und schlief. Mit ein bisschen Glück konnte Johnny einfach nur seinen Strafzettel kassieren, und niemand würde etwas erfahren.
Aber so ein Glück hatten immer nur die anderen, niemals
er.
Die Bullen brauchten eine halbe Ewigkeit, bis sie endlich aus ihrem Streifenwagen ausgestiegen waren, und das war ein schlechtes Zeichen ... ein sehr schlechtes. Sie kontrollierten den Fahrzeugtyp und die Kennzeichen. Als sie schließlich zu beiden Seiten des Dodge angelangt waren, zuckten Johnnys Augen wie ein Paar mexikanische Springbohnen.
Er versuchte, ganz cool zu bleiben. »n'Abend, Officers. Was gibt es denn ...?«
Der Typ auf seiner Seite, ein großer Kerl mit Südstaatenakzent, machte die Fahrertür auf. »Halten Sie einfach nur den Mund. Steigen Sie aus dem Fahrzeug.«
Es dauerte nicht lange, da hatten sie das Paket gefunden. Zuerst schauten sie auf den Vordersitzen und der Rückbank nach, dann ließen sie den Kofferraum aufschnappen, zogen die Abdeckung für das Reserverad beiseite, und das war's dann.
»Heilige Mutter Gottes!« Einer der Polizisten leuchtete mit seiner Taschenlampe hinein. Der andere fing bei dem Anblick sofort an zu würgen. »Was, zum Teufel, haben Sie getan?«
Johnny blieb nicht sitzen und gab auch keine Antwort. Er rannte bereits um sein Leben.
3
Noch nie war jemand toter oder dämlicher gewesen als er jetzt. Das war Johnny Tucci schon in dem Moment klar, als er sich am
Straßenrand in die Büsche schlug und anfing, in eine steil abfallende Schlucht hinabzurutschen.
Vor diesen Bullen, da konnte er sich womöglich verstecken, aber nicht vor der Familie. Weder im Gefängnis noch sonst irgendwo. Das war eine Tatsache. Ein »Paket« wie dieses zu verlieren, bedeutete automatisch, dass man selbst eins wurde.
Vom oberen Rand des Abhangs drangen Stimmen zu ihm herunter, die Lichtkegel von Taschenlampen zuckten hin und her. Johnny duckte sich und warf sich unter ein Gebüsch. Er zitterte am ganzen Körper, sein Herz schlug so heftig, dass es wehtat, und seine Lungen ächzten vom Rauch zu vieler Zigaretten. Es war fast unmöglich, ruhig dazuliegen und kein Geräusch zu machen.
Oh, Scheiße, ich bin so tot, ich bin so dermaßen tot. »Siehst du was? Siehst du den kleinen Scheißer? Diesen Irren?«
»Noch nicht. Aber den kriegen wir schon noch. Irgendwo da unten muss er ja stecken. Kann nicht weit sein.«
Die Polizisten schwärmten nach links und rechts aus und arbeiteten sich nach unten. Sehr überlegt, sehr systematisch.
Obwohl er jetzt so langsam wieder zu Atem kam, wurde das Zittern nur noch schlimmer, und das lag nicht alleine an den Bullen. Es lag daran, dass ihm mittlerweile klargeworden war, was er als Nächstes zu tun hatte. Im Grunde genommen hatte er nur zwei Möglichkeiten. Die eine hing mit der Achtunddreißiger zusammen, die in seinem Knöchelhalfter steckte. Die andere mit dem Paket ... und mit dessen Besitzer. Es ging lediglich um die Frage, auf welche Art und Weise er sterben wollte.
Aber hier unten, im kalten Licht des Mondes, war die Antwort eigentlich klar.
So langsam wie nur irgend möglich streckte er die Hand aus und zog die Achtunddreißiger aus dem Halfter. Mit erbärmlich zitteriger Hand steckte er sich den Lauf in den Mund. Das verdammte Metall schlug gegen seine Zähne und hinterließ einen säuerlichen Geschmack auf seiner Zunge. Er schämte sich der Tränen, die ihm über das Gesicht rannen, aber das ließ sich nicht ändern, und außerdem würde es sowieso nie jemand erfahren.
Mein Gott, sollte es denn wirklich so zu Ende gehen? Heulend wie ein Penner, einsam und verlassen im Wald? Was war das doch für eine schäbige Welt.
Er konnte die Jungs geradezu hören. Hätte ja keinen Bock, so abzutreten wie Johnny. Johnny Twitchy. Das würden sie ihm auf den Grabstein schreiben - aus reiner Gehässigkeit. Diese gottlosen Arschgesichter!
Die ganze Zeit über befahl Johnnys Verstand: Drück ab, aber sein Zeigefinger reagierte nicht. Er probierte es erneut, legte diesmal beide Hände an den Griff, aber es ging nicht. Nicht einmal das kriegte er anständig hin.
Schließlich spuckte er den Lauf wieder aus. Er flennte immer noch wie ein Baby. Irgendwie nützte es gar nichts, dass er jetzt vorerst am Leben bleiben würde. Er lag einfach nur da, biss sich auf die Lippen, tat sich selbst leid, so lange, bis die Bullen bei dem Fluss am Grund der Schlucht angelangt waren.
Dann krabbelte Johnny Twitchy schnell den Abhang wieder rauf, rannte quer über den Interstate Highway und stürzte sich auf der anderen Straßenseite in den Wald. Dabei fragte er sich ständig, wie um alles in der Welt er es schaffen sollte, einfach vom Erdboden zu verschwinden. Er wusste, dass er das niemals schaffen würde.
Er hatte nachgeschaut. Er hatte gesehen, was in dem »Paket« war.
Copyright der Originalausgabe © 2009 by James Patterson
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2010 by Blanvalet Verlag, München
1
Hannah Willis studierte im zweiten Jahr Jura an der Virginia. Sieschien eine glänzende, vielversprechende Zukunft vor sich zu haben ... abgesehen natürlich davon, dass sie über kurz oder lang inmitten dieses dunklen, bedrückenden und düsteren Waldes sterben würde.
Weiter, Hannah, sagte sie sich. Immer weiter. Nicht nachdenken. Heulen und jammern bringt dir jetzt gar nichts. Aber rennen vielleicht schon.
Sie taumelte vorwärts, stolperte, strauchelte, bis ihre Hände einen Baumstamm fanden, an dem sie sich festhalten konnte. Sie lehnte ihren schmerzenden Körper dagegen, wartete, bis sie genügend Kraft gesammelt hatte, um den nächsten Atemzug zu tun. Um wieder ein paar Schritte weiter zu hetzen.
Lauf weiter, sonst musst du sterben, hier, irgendwo in diesem Wald. So einfach ist das.
Die Kugel in ihrem hinteren Lendenbereich machte jede Bewegung, jeden Atemzug zur Qual und bereitete Hannah mehr Schmerzen, als sie jemals für möglich gehalten hätte. Nur die Angst vor einer zweiten Kugel oder womöglich noch Schlimmerem hielt sie auf den Beinen und am Laufen.
Mein Gott, hier im Wald war es wirklich pechschwarz. Der Sichelmond ließ kaum einen Lichtstrahl durch das dichte Laubdach auf den Boden zu ihren Füßen fallen. Die Bäume waren nichts als Schatten. Das Unterholz steckte voller unsichtbarer Dornen und Gestrüpp und stach und kratzte ihr die Beine blutig. Das Wenige, das sie zu Anfang einmal am Leib gehabt hatte - nichts weiter als einen teuren, schwarzen Spitzenbody -, hing ihr mittlerweile in Fetzen vom Leib.
Aber nichts von alledem spielte mittlerweile noch eine Rolle oder drang in Hannahs Bewusstsein. Der einzig klare Gedanke, der immer wieder ihre Schmerzen und ihre Panik durchdrang, war: Lauf weiter! Alles andere war ein einziger sprachloser, richtungsloser Albtraum.
Plötzlich öffnete sich der tief hängende Baldachin des Waldes. »Was ...?« Die Erde unter ihren Füßen wurde zu Schotter, und Hannah stolperte und fiel auf die Knie, weil sie nichts mehr hatte, woran sie sich festhalten konnte.
Im milchigen Schein des Mondes erkannte sie schemenhaft eine Doppellinie, die den Kurvenverlauf einer Landstraße markierte. Es kam ihr vor wie ein Wunder. Zumindest ein halbes, denn ihr war klar, dass sie noch längst nicht alle Probleme hinter sich hatte. Als in der Ferne ein Motorengeräusch ertönte, stützte Hannah die Hände auf den Schotter und stemmte sich auf die Beine. Ohne zu wissen, woher sie die Kraft dazu nahm, stand sie noch einmal auf und taumelte auf die Straße. Der Schweiß und frische Tränen ließen die Welt vor ihren Augen verschwimmen.
Bitte, lieber Gott, bitte lass es nicht sie sein. Nicht diese beiden Widerlinge.
So grausam kannst du doch nicht sein, oder?
Ein roter Pick-up schlingerte um die Kurve und kam auf sie zu. Schnell. Zu schnell! Mit einem Mal war sie genauso blind wie vorher im Wald, aber dieses Mal wegen der Scheinwerfer.
»Halt! Bitte, anhalten! Bit-teeeeee!«, kreischte sie. »Halt an, du Schwein!«
Im letzten Augenblick kreischten die Reifen über den Asphalt. Der rote Pick-up rutschte noch ein Stück auf sie zu und hätte sie wirklich um ein Haar überfahren. Sie konnte die Wärme spüren, die durch den Kühlergrill nach draußen drang.
»Hey, Süße, hübsches Outfit! Du hättest bloß deinen Daumen rauszuhalten brauchen.«
Die Stimme kam ihr nicht bekannt vor, und das war gut. Das war richtig gut. Aus der Fahrerkabine dröhnte laute CountryMusik... Charlie Daniels Band, schoss es Hannah noch durch den Kopf, bevor sie mitten auf der Straße zusammenbrach.
Als sie eine Sekunde später das Bewusstsein wiedererlangte, kniete der Fahrer neben ihr. »Oh, mein Gott, das habe ich ja gar nicht ... Was ist denn passiert? Sind Sie ... Was ist denn passiert?«
»Bitte.« Sie brachte kaum einen Ton heraus. »Wenn sie mich hier finden, dann bringen sie uns alle beide um.«
Der Mann nahm sie in seine starken Arme und hob sie auf. Dabei streifte er das Loch in ihrem Rücken, das nicht größer als ein Zehncentstück war. Sie stieß lediglich den Atem aus, zu schwach, um noch zu schreien. Ein paar graue und verschwommene Augenblicke später saßen sie in dem Pick-up und rasten die zweispurige Landstraße entlang.
»Durchhalten, Schätzchen.« Die Stimme des Fahrers zitterte. »Wer hat dir das angetan?«
Hannah spürte, wie sie erneut das Bewusstsein verlor. »Die Männer...«
»Die Männer? Welche Männer, Süße? Wen meinst du denn?«
Eine Antwort schwebte schemenhaft durch Hannahs Geist, und sie wusste nicht, ob sie sie ausgesprochen oder vielleicht nur gedacht hatte, bevor alles um sie herum schwarz wurde.
Die Männer aus dem Weißen Haus.
2
Sein Name war Johnny Tucci, aber die Jungs damals in seinem Viertel in South Philadelphia hatten ihn Johnny Twitchy genannt,
weil er so mit den Augen zuckte, wenn er nervös war. Also praktisch immer.
Aber nach dem heutigen Abend konnten die Jungs in Philly ihn mal kreuzweise. Denn der heutige Abend war der Abend, an dem Johnny richtig eingestiegen war. Wie ein Mann. Er hatte schließlich »das Paket« dabei, oder etwa nicht?
Es war ein einfacher Job, aber echt gut, weil er ihn alleine erledigte und die ganze Verantwortung auf seinen Schultern lag. Das Paket hatte er bereits abgeholt. Hatte zwar Schiss gehabt, aber alles gut hingekriegt.
Auch wenn nie jemand darüber sprach, aber wenn man einmal mit solchen Lieferungen angefangen hat, dann hatte man was gegen die Familie in der Hand und umgekehrt. Mit anderen Worten: Da war eine Beziehung entstanden. Nach dem heutigen Abend würde Johnny sich nicht mehr mit irgendwelchen Botengängen abgeben müssen, würde nicht mehr mühsam irgendwelche Brotkrumen in den Wohnvierteln im Süden zusammenklauben. Wie hieß noch mal dieser Spruch? Heute ist der erste Tag vom Rest deines Lebens.
Also war er natürlich ziemlich gut drauf ... und auch ein kleines bisschen nervös.
Onkel Eddies warnende Worte gingen ihm immer und immer wieder durch den Kopf. Dass du's mir ja nicht versaust, Twitchy, hatte Eddie gesagt. Ich hab mich mächtig weit aus dem Fenster gelehnt für dich. Als ob er ihm mit diesem Job so was wie einen riesengroßen Gefallen getan hätte. Na ja, dachte Johnny, hat er ja vielleicht auch, aber trotzdem. Das brauchte ihm sein Onkel ja nicht ständig unter die Nase zu reiben, oder?
Er schaltete das Radio ein. Sogar die Country-Musik, die hier unten gespielt wurde, war besser, als den ganzen Abend lang Eddies nervtötendes Nölen im Ohr zu haben. Das Stück war ein alter Song der Charlie Daniels Band, »The Devil Went Down to Georgia.« Er kannte sogar ein paar Zeilen auswendig. Doch auch die vertrauten Worte konnten Eddies Stimme nicht aus Johnnys Kopf verjagen.
Dass du's mir ja nicht versaust, Twitchy.
Ich hab mich mächtig weit aus dem Fenster gelehnt für dich. Ach, du Scheiße!
Blaue Blinklichter tauchten in seinem Rückspiegel auf wie aus dem Nichts. Noch vor zwei, drei Sekunden hätte er schwören können, dass er die ganze Interstate 95 für sich alleine hatte.
Da hatte er sich anscheinend geirrt.
Johnny spürte das Zucken in seinem rechten Augenwinkel.
Er gab Vollgas. Vielleicht ließen sie sich ja abschütteln. Aber dann fiel ihm ein, dass die Schrottkarre, die er auf dem Parkplatz des Motel 6 in Essington geklaut hatte, nur ein beschissener Dodge war. Gottverdammte Scheiße noch mal! Ich hätte mir beim Marriott einen Japaner besorgen sollen.
Aber es war immer noch denkbar, dass der Dodge noch gar nicht als gestohlen gemeldet war. Der Besitzer lag wahrscheinlich in seinem Motelbett und schlief. Mit ein bisschen Glück konnte Johnny einfach nur seinen Strafzettel kassieren, und niemand würde etwas erfahren.
Aber so ein Glück hatten immer nur die anderen, niemals
er.
Die Bullen brauchten eine halbe Ewigkeit, bis sie endlich aus ihrem Streifenwagen ausgestiegen waren, und das war ein schlechtes Zeichen ... ein sehr schlechtes. Sie kontrollierten den Fahrzeugtyp und die Kennzeichen. Als sie schließlich zu beiden Seiten des Dodge angelangt waren, zuckten Johnnys Augen wie ein Paar mexikanische Springbohnen.
Er versuchte, ganz cool zu bleiben. »n'Abend, Officers. Was gibt es denn ...?«
Der Typ auf seiner Seite, ein großer Kerl mit Südstaatenakzent, machte die Fahrertür auf. »Halten Sie einfach nur den Mund. Steigen Sie aus dem Fahrzeug.«
Es dauerte nicht lange, da hatten sie das Paket gefunden. Zuerst schauten sie auf den Vordersitzen und der Rückbank nach, dann ließen sie den Kofferraum aufschnappen, zogen die Abdeckung für das Reserverad beiseite, und das war's dann.
»Heilige Mutter Gottes!« Einer der Polizisten leuchtete mit seiner Taschenlampe hinein. Der andere fing bei dem Anblick sofort an zu würgen. »Was, zum Teufel, haben Sie getan?«
Johnny blieb nicht sitzen und gab auch keine Antwort. Er rannte bereits um sein Leben.
3
Noch nie war jemand toter oder dämlicher gewesen als er jetzt. Das war Johnny Tucci schon in dem Moment klar, als er sich am
Straßenrand in die Büsche schlug und anfing, in eine steil abfallende Schlucht hinabzurutschen.
Vor diesen Bullen, da konnte er sich womöglich verstecken, aber nicht vor der Familie. Weder im Gefängnis noch sonst irgendwo. Das war eine Tatsache. Ein »Paket« wie dieses zu verlieren, bedeutete automatisch, dass man selbst eins wurde.
Vom oberen Rand des Abhangs drangen Stimmen zu ihm herunter, die Lichtkegel von Taschenlampen zuckten hin und her. Johnny duckte sich und warf sich unter ein Gebüsch. Er zitterte am ganzen Körper, sein Herz schlug so heftig, dass es wehtat, und seine Lungen ächzten vom Rauch zu vieler Zigaretten. Es war fast unmöglich, ruhig dazuliegen und kein Geräusch zu machen.
Oh, Scheiße, ich bin so tot, ich bin so dermaßen tot. »Siehst du was? Siehst du den kleinen Scheißer? Diesen Irren?«
»Noch nicht. Aber den kriegen wir schon noch. Irgendwo da unten muss er ja stecken. Kann nicht weit sein.«
Die Polizisten schwärmten nach links und rechts aus und arbeiteten sich nach unten. Sehr überlegt, sehr systematisch.
Obwohl er jetzt so langsam wieder zu Atem kam, wurde das Zittern nur noch schlimmer, und das lag nicht alleine an den Bullen. Es lag daran, dass ihm mittlerweile klargeworden war, was er als Nächstes zu tun hatte. Im Grunde genommen hatte er nur zwei Möglichkeiten. Die eine hing mit der Achtunddreißiger zusammen, die in seinem Knöchelhalfter steckte. Die andere mit dem Paket ... und mit dessen Besitzer. Es ging lediglich um die Frage, auf welche Art und Weise er sterben wollte.
Aber hier unten, im kalten Licht des Mondes, war die Antwort eigentlich klar.
So langsam wie nur irgend möglich streckte er die Hand aus und zog die Achtunddreißiger aus dem Halfter. Mit erbärmlich zitteriger Hand steckte er sich den Lauf in den Mund. Das verdammte Metall schlug gegen seine Zähne und hinterließ einen säuerlichen Geschmack auf seiner Zunge. Er schämte sich der Tränen, die ihm über das Gesicht rannen, aber das ließ sich nicht ändern, und außerdem würde es sowieso nie jemand erfahren.
Mein Gott, sollte es denn wirklich so zu Ende gehen? Heulend wie ein Penner, einsam und verlassen im Wald? Was war das doch für eine schäbige Welt.
Er konnte die Jungs geradezu hören. Hätte ja keinen Bock, so abzutreten wie Johnny. Johnny Twitchy. Das würden sie ihm auf den Grabstein schreiben - aus reiner Gehässigkeit. Diese gottlosen Arschgesichter!
Die ganze Zeit über befahl Johnnys Verstand: Drück ab, aber sein Zeigefinger reagierte nicht. Er probierte es erneut, legte diesmal beide Hände an den Griff, aber es ging nicht. Nicht einmal das kriegte er anständig hin.
Schließlich spuckte er den Lauf wieder aus. Er flennte immer noch wie ein Baby. Irgendwie nützte es gar nichts, dass er jetzt vorerst am Leben bleiben würde. Er lag einfach nur da, biss sich auf die Lippen, tat sich selbst leid, so lange, bis die Bullen bei dem Fluss am Grund der Schlucht angelangt waren.
Dann krabbelte Johnny Twitchy schnell den Abhang wieder rauf, rannte quer über den Interstate Highway und stürzte sich auf der anderen Straßenseite in den Wald. Dabei fragte er sich ständig, wie um alles in der Welt er es schaffen sollte, einfach vom Erdboden zu verschwinden. Er wusste, dass er das niemals schaffen würde.
Er hatte nachgeschaut. Er hatte gesehen, was in dem »Paket« war.
Copyright der Originalausgabe © 2009 by James Patterson
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2010 by Blanvalet Verlag, München
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Autoren-Porträt von James Patterson
James Patterson, Jahrgang 1949, war Kreativdirektor bei einer großen New Yorker Werbeagentur. Er ist Autor mehrerer äußerst erfolgreicher Psychothriller. Seine Romane wurden bisher in 27 Sprachen übersetzt . Für sein Erstlingswerk erhielt James Patterson den begehrten Edgar Allan Poe Award. Heute lebt er mit seiner Familie in New York und Florida.
Bibliographische Angaben
- Autor: James Patterson
- 2010, 1, 366 Seiten, Maße: 14,5 x 22 cm, Geb. mit Su.
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3868004505
- ISBN-13: 9783868004502
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