Alte Liebe
Lore und Harry sind schon 40 Jahre verheiratet. Das verbindet, klar. Trotzdem wird Lore leicht panisch bei der Vorstellung, bald mit ihrem pensionierten Ehemann untätig im Garten zu sitzen. Aber in einer Sache sind sich die beiden absolut einig: Ihre...
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Produktinformationen zu „Alte Liebe “
Lore und Harry sind schon 40 Jahre verheiratet. Das verbindet, klar. Trotzdem wird Lore leicht panisch bei der Vorstellung, bald mit ihrem pensionierten Ehemann untätig im Garten zu sitzen. Aber in einer Sache sind sich die beiden absolut einig: Ihre Tochter Gloria hat alles nur Erdenkliche in ihrem Leben falsch gemacht. Und nun will sie auch noch zum dritten Mal heiraten. In umwerfenden Dialogen erzählen Elke Heidenreich und Bernd Schroeder die Szenen einer "alten" Ehe, in denen sich eine ganze Generation wiedererkennen kann.
"Kinder, Männer, Alte: lesen! Elke Heidenreich und Bernd Schröder lassen ihr Romanpärchen munter über Gott, die Welt und die Literatur räsonieren."
FAZ
Lese-Probe zu „Alte Liebe “
Alte Liebe von Elke Heidenreich und Bernd Schroeder1 Lore
... mehr
Das gibt wieder endlose Diskussionen. Und am Ende werden wir doch hinfahren. Aber zuerst muss ich mir die ganze Litanei anhören, immer und immer - Damit will ich nichts zu tun haben, Das interessiert mich nicht mehr, Natürlich ist sie meine Tochter, aber ihr Privatleben geht mir allmählich am Arsch vorbei, Auf welcher Müllkippe hat sie diesen Kerl nun wieder gefunden ...
Ich hör es schon. Ich würde ihm am liebsten sagen: Harry, halt jetzt einfach den Mund, sag jetzt einfach gar nichts, nimm den Brief hin, lass uns zu dieser idiotischen Hochzeit fahren, ja, es ist eine idiotische Hochzeit, ja, du hast recht, aber es ist nun mal unsere Tochter und ich finde es völlig müßig, alles jetzt noch mal von vorn durchzukauen.
Was für ein Theater aber auch mit diesem Kind. Ich ärgere mich über Harrys Kommentare, die ich schon jetzt höre, als hätte er sie bereits losgelassen, ich kenn doch meinen Harry. Aber er hat recht, verdammt noch mal, er hat recht. Glorias Leben ist eine einzige Katastrophe. Sechsunddreißig Jahre, der dritte Mann, eine entsetzliche Ehe nach der anderen. Und dieser Mann ist auch falsch, ich fühle das. Eine Mutter fühlt so was. Das geht auch schief. Was haben wir bloß falsch gemacht mit diesem Kind. Sie war so ein süßes kleines Mädchen, blonde Locken, diese Sternenaugen, wie schön sie Klavier gespielt hat. Wir haben sie nie zu irgendwas gezwungen. Als sie die Schule abbrechen wollte, haben wir sie gelassen, als sie nach Indien wollte, haben wir sie gelassen, wir haben sie immer gelassen, vielleicht war das falsch. Sie wollte nicht so leben wie wir. Das wollen Kinder ja nie. Aber mein Gott, wie leben wir denn, ist das denn so schlecht? Immerhin hat unsere Ehe alle Stürme überdauert, eine 68er Ehe, das muss man erst mal bringen. Und Gloria - schon der dritte Ehemann. Die vielen überflüssigen Affären gar nicht mitgezählt. Ich weiß nicht, was ich Harry sagen soll. Ich sage erst mal gar nichts. Ich lass ihn den Brief lesen. Da muss er jetzt durch.
Und ich auch.
»Hast du gelesen?«
»Ja, natürlich.«
»Dann sag was.«
»Lore, was soll ich da denn sagen? Du weißt alles, was ich dazu sagen könnte.«
»Sie ist unsere Tochter, Harry.«
»Natürlich ist sie unsere Tochter. Sie bleibt auch immer unsere Tochter. Aber du weißt genau, dass mir ihr desaströses Privatleben allmählich am Arsch vorbeigeht.«
»Ich wusste, dass du das sagen würdest.«
»Warum fragst du dann.«
»Wir fahren also nicht?«
»Du kannst gern fahren, keiner hindert dich. Aber ich habe keine Lust, schon wieder einen dieser Kerle kennenzulernen, die sie auf irgendwelchen Müllkippen findet.«
»Sie ist Mitte dreißig. Vielleicht ist es ...«
»Sie ist bald Ende dreißig und es ist dieselbe Scheiße wie immer. Warum muss sie eigentlich jedes Mal heiraten? Wie spießig ist das eigentlich?«
»Wir haben auch geheiratet.«
»Ja. Einmal. Damals. Aus Liebe.«
»Liebe.«
»Ach, jetzt war es nicht mal mehr Liebe?«
»Darüber diskutier ich mit dir nach vierzig Jahren nun wirklich nicht mehr.«
»Wie gesagt, du kannst gerne fahren, ich guck mir diesen Basedow nicht an.«
»Bredow.«
»Bredow, Basedow, Ossi, oder?«
»Kann sein. Ich weiß es nicht, Harry, er hat viel Geld, schreibt sie. Sie wäre endlich - na ja, versorgt.«
»Ich hör wohl nicht richtig. Muss sie versorgt werden? Die hat doch eine Ausbildung!«
»Sie hat drei Ausbildungen, sie hat nichts abgeschlossen, sie hat das Kind, sie hat immer gearbeitet, aber du weißt doch selbst, dass das alles nicht rosig war. Nicht rosig ist. Warum soll nicht mal ein reicher ...«
»Besser als dieser Schluffi.«
»Schluffmann. Das ist nun zwanzig Jahre her, Harry, sie war siebzehn, mein Gott.
»Indien. Schluffi-Hochzeit in Indien. Ich sag am besten gar nichts mehr.«
»Ja, dann lass es doch. Ich fahr jedenfalls hin.«
...
»Wann soll das sein?«
»Im Herbst.«
»In Leipzig?«
»In Leipzig.«
»Ossi. Was macht der Kerl, außer Geld haben?«
»Das schreibt sie nicht.«
»Das schreibt sie nicht. Aha. Da stimmt doch wieder was nicht.«
»Harry, du machst mich wahnsinnig. Setz dich hin. Lass uns vernünftig reden.«
»Ich rede nicht unvernünftig. Nicht dass ich wüsste. Sie schreibt nichts von Laura.«
»Doch, dass Laura sich gut mit Frank versteht.«
»Frank?«
»Bredow.«
»Frank Basedow.«
»Bredow.«
»Herrgottnochmal, ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, was ich tun soll, sie ist meine Tochter, ja. Es ist unser Enkelkind, ja. Aber ich kann das nicht mehr ernst nehmen. Nichts mehr. Verstehst du das nicht?«
...
»Lore, ob du das nicht verstehst?«
»Ja. Doch.«
»Na also.«
2 Harry
Früher, wenn mit Gloria irgendwas war - und irgendwas war ja immer -, fragte Lore meistens, Harry, was haben wir falsch gemacht? Das fragt sie Gott sei Dank nicht mehr. Wir haben nichts falsch gemacht, Lore. Ich lehne es ab, immer etwas in der Erziehung falsch gemacht zu haben, wenn
die erwachsenen Kinder mit dem Leben nicht zurechtkommen. Wir haben Gloria ein intaktes Familienleben geboten. Wir waren immer für sie da und wir haben sie in Ruhe gelassen. Sie hatte alle Freiheiten und alle Möglichkeiten. Ich glaube, eines ihrer Probleme war, dass sie das gar nicht zu schätzen wusste, weil es so selbstverständlich war. Einmal, ich erinnere mich, Gloria war schon fast zwanzig und gerade aus Indien zurück und ziemlich am Ende, da sagte ich, ach, Kind, du hast so schön Klavier gespielt. Es war so schade, dass du das nicht weitergemacht hast. Sie hatte ja Begabung, von wem wissen wir nicht. Sie sang schön, war wirklich musikalisch. Da sagt sie doch tatsächlich: Ihr hättet mich eben zwingen müssen. Na fein! Das hätte ich erleben wollen, wenn wir sie jemals zu irgendetwas gezwungen hätten. Zwingen! Wie denn? Womit denn? Mit Ohrfeigen, Strafen, Verboten? Hätten wir sie zwingen sollen, die Schule fertig zu machen?
Hätten wir verhindern sollen, dass sie nach Indien ging mit diesem Schluffi? Hätten wir sie zur Abtreibung zwingen sollen, als sie später dann schwanger war von einem Kerl, der sich schon während ihres ersten Schwangerschaftsmonats ab seilte? Nein, das war bei uns nicht drin. Wir waren durch unsere autoritären und kriegsgeschädigten Eltern gewarnt. In diesen Dingen - in vielen anderen nicht - waren Lore und ich uns ziemlich einig. Natürlich war Lore der Tochter immer näher. Vielleicht denkt sie deswegen manchmal darüber nach, was sie falsch gemacht haben könnte, und dann sagt sie wir, wir haben was falsch gemacht.
Nun also Frank Bredow, gerade mal zehn Jahre jünger als ich, der Mann, den wir nicht kennengelernt haben, von dem bisher nie die Rede war, den sie vor einem halben Jahr wohl selbst noch gar nicht kannte. Frank Bredow, Leipzig, Heirat im September, Einladung zu großer Hochzeit. Kann man das ernst nehmen? Da heiratet die zum dritten Mal und macht ein solches Brimborium! Also ich weiß nicht - und ich will nicht. Frank Bredow. Ich habe über den Mann gegoogelt. Eckhart Bredow, der Vater, Inhaber der Firma Bredow-Bau-Hamburg (BBH), Immobilien, Baufirmen, zwölfhundert Angestellte. Sohn Frank Bredow, Juniorchef und Leiter der Filiale der BBH in Leipzig, vierhundert Angestellte. Also kein Ossi, liebe Lore. Leipzig, dachte ich mir, Leipzig, da ist doch der Kollege Polenz aus dem Bauamt nach der Wende hingegangen. Ich also den Polenz angerufen. Interessante Informationen! Die Bredows haben nach der Wende eine große Gründerzeitvilla mit sehr viel Grund und Boden zurückbekommen. Frank Bredow hat das Anwesen übernommen, restauriert und zugleich eine Filiale der väterlichen Firma aufgezogen. Er ist sozusagen von Beruf Erbe, sagt Polenz. Reiche Leute, naturgemäß im Osten nicht beliebt. Frank Bredow, so Polenz, ist ein arroganter, unangenehmer Kerl. Großkotz, kriegt aber jetzt was auf den Deckel. Er hat ungenehmigt einen Tennisplatz mit Kunstrasen vor seine Villa gebaut, mitten in ein Wohngebiet. Das hat die Stadt untersagt. Jetzt prozessiert er mit den Behörden herum, was natürlich die Chancen, mit der Stadt Immobiliengeschäfte zu machen, nicht gerade begünstigt. Jedenfalls, sagt Polenz, er wird sich den Tennisplatz abschminken müssen. Und dann hat er gefragt, warum mich der Mann interessiert. Er wird mein Schwiegersohn, hab ich gesagt, und ich hab gemerkt, wie fassungslos der Polenz war. Jetzt wollte er einiges zurücknehmen, klar, aber ich hab gesagt, ist schon gut, Polenz, ich kenn den Kerl nicht und ich glaube auch, dass ich ihn nicht mag. Übrigens, sagte Polenz am Ende noch, seine Firma heißt Kaiserreich, nach der Mutter, einer geborenen Kaiser. Kaiserreich. Das muss einem einfallen. Wann, wie und ob überhaupt ich das Lore erzähle, weiß ich noch nicht. Vielleicht ist es gut, wenn sie unvoreingenommen zu dieser Hochzeit fährt. Ich werde mich drücken - vielleicht krank werden, wer weiß.
»Ist sie denn eigentlich glücklich, Lore, hört man mal dazu was oder ist das egal?«
»Ich glaube, unsere Tochter ist zum ersten Mal im Leben richtig glücklich.«
»Das wär ja mal schön. Und woher willst du das wissen?«
»Sie sagt es.«
»Hat sie das nicht jedes Mal gesagt, wenn sie einen neuen Kerl hatte?«
»Hat sie nicht.«
»Doch.«
»Sei doch nicht so stur. Lass doch mal den Gedanken zu, dass Gloria älter und vernünftiger geworden ist. Sie macht am Telefon einen sehr ausgeglichenen Eindruck. Das war nicht immer so.«
»Wahrlich.«
»Das war niedlich: ich hab sie gefragt, ob sie nicht Schwierigkeiten damit hätte, nun plötzlich so einen wohlhabenden Mann zu haben. Mama, hat sie gesagt, Frank ist nicht wohlhabend, er ist reich, steinreich, aber ich habe überhaupt kein Problem damit.«
»Woher hat der denn die Kohle? Geerbt?«
»Das auch. Der Vater macht irgendwas mit Immobilien in Hamburg. Frank ist der einzige Sohn und hat eine Dependance der Firma in Leipzig, wo sie eine Riesenvilla haben.«
»Und da wohnen sie?«
»Ja, Frank, Gloria und Laura. Und Personal.«
»Personal? Wie kommt unser einstiges Freakmädchen mit Personal zurecht?«
»Sie wird ja auch älter, Harry. Die Villa muss riesig sein, renoviert, denkmalgeschützt, großes Grundstück, Stallungen für Pferde, ein Park und ein Pförtnerhaus. Und stell dir vor, vor dem Haus haben sie einen eigenen Tennisplatz.«
»Vor der denkmalgeschützten Villa mitten im Wohngebiet?«
»Ja. Warum nicht?«
»Würde mich wundern, wenn das in Leipzig erlaubt wäre, privater Tennisplatz mitten in einem Wohngebiet.«
»Ich glaub, es hat ein bisschen Ärger gegeben, aber jetzt existiert der Tennisplatz. Frank hat wohl Beziehungen, er hat es irgendwie als ›Wiese mit Streifen‹ deklariert. Komisch, oder? Wiese mit Streifen. Zur Hochzeit wird er eingeweiht. Und Gloria schenkt Frank zur Hochzeit so einen Hochsitz.«
»Einen Hochsitz? Geht der etwa zur Jagd?«
»Nein, so einen Schiedsrichterstuhl für den Tennisplatz, wo er oben draufsitzen kann, wenn sie mit anderen Tennis spielt und er den Schiedsrichter macht - oder Punktrichter oder wie das heißt.«
»Wie ein Kaiser auf dem Thron, der über sein Kaiserreich blickt und Punkte vergibt.«
»Harry, ich verstehe deine Ironie nicht.«
»Das kam mir gerade so als Bild. Ist er groß oder klein?«
»Normal, wie ein Tennisplatz eben, denke ich.«
»Nein, der Schwiegersohn.«
»Eher klein und untersetzt.«
»Sagt Gloria das?«
»Nein. Ich weiß jetzt nicht, wie ich dir das sagen soll, Harry, ich bin doch auch verunsichert durch diesen plötzlichen Wandel im Leben unserer Tochter. Man macht sich doch auch Sorgen.«
»Warum? Nun ist sie doch versorgt.«
»Genau das ist es doch, was mich verunsichert hat.«
»Dachtest du, aha, jetzt reißt sie sich einen Reichen unter den Nagel, egal, was es für eine Type ist.« »Ich wollte einfach wissen, was für ein Mensch er ist und ob ich Glorias Euphorie trauen kann.«
»Und weißt du es jetzt?«
»Na ja. Ich habe eine Kollegin aus der Leipziger Stadtbibliothek angerufen - die hab ich mal auf einem Lehrgang kennengelernt. Die hab ich ausgefragt.«
»Detektivin Lore, besorgte Mutter. Und was sagt die?«
»Sie sagt, dass die Bredows in Leipzig praktisch jeder kennt. Alteingesessene Familie, vor dem Krieg gehörten sie zu den Stadthonoratioren. Dann sind sie geflohen und jetzt zurückgekommen. Sie kennt Frank persönlich. Er sei sehr großzügig, habe zum Beispiel für den Ausbau der Bibliothek gespendet, tue viel für die Stadt und sei ein umgänglicher Mensch und sehr beliebt.«
»Und klein und untersetzt.«
»Das auch.«
»Also vermutlich kleiner als Gloria.«
»Vermutlich.«
»Lore, wie fändest du es, wenn unser Nachbar drüben die große Wiese vor seinem Haus zum Tennisplatz umbauen würde?«
»Was soll das denn jetzt, das ist doch ganz was anderes.«
»Und wir würden hier sitzen und es flögen uns die Tennisbälle um die Ohren. Und auf einem Schiedsrichterstuhl säße der Nachbar und würde rufen: fünfzehn, dreißig, Matchball, Ausgleich! Würde dir das gefallen?«
»Natürlich nicht.«
»Vielleicht gefällt das ein paar Leuten in Leipzig auch nicht.«
© Carl Hanser Verlag, München
Das gibt wieder endlose Diskussionen. Und am Ende werden wir doch hinfahren. Aber zuerst muss ich mir die ganze Litanei anhören, immer und immer - Damit will ich nichts zu tun haben, Das interessiert mich nicht mehr, Natürlich ist sie meine Tochter, aber ihr Privatleben geht mir allmählich am Arsch vorbei, Auf welcher Müllkippe hat sie diesen Kerl nun wieder gefunden ...
Ich hör es schon. Ich würde ihm am liebsten sagen: Harry, halt jetzt einfach den Mund, sag jetzt einfach gar nichts, nimm den Brief hin, lass uns zu dieser idiotischen Hochzeit fahren, ja, es ist eine idiotische Hochzeit, ja, du hast recht, aber es ist nun mal unsere Tochter und ich finde es völlig müßig, alles jetzt noch mal von vorn durchzukauen.
Was für ein Theater aber auch mit diesem Kind. Ich ärgere mich über Harrys Kommentare, die ich schon jetzt höre, als hätte er sie bereits losgelassen, ich kenn doch meinen Harry. Aber er hat recht, verdammt noch mal, er hat recht. Glorias Leben ist eine einzige Katastrophe. Sechsunddreißig Jahre, der dritte Mann, eine entsetzliche Ehe nach der anderen. Und dieser Mann ist auch falsch, ich fühle das. Eine Mutter fühlt so was. Das geht auch schief. Was haben wir bloß falsch gemacht mit diesem Kind. Sie war so ein süßes kleines Mädchen, blonde Locken, diese Sternenaugen, wie schön sie Klavier gespielt hat. Wir haben sie nie zu irgendwas gezwungen. Als sie die Schule abbrechen wollte, haben wir sie gelassen, als sie nach Indien wollte, haben wir sie gelassen, wir haben sie immer gelassen, vielleicht war das falsch. Sie wollte nicht so leben wie wir. Das wollen Kinder ja nie. Aber mein Gott, wie leben wir denn, ist das denn so schlecht? Immerhin hat unsere Ehe alle Stürme überdauert, eine 68er Ehe, das muss man erst mal bringen. Und Gloria - schon der dritte Ehemann. Die vielen überflüssigen Affären gar nicht mitgezählt. Ich weiß nicht, was ich Harry sagen soll. Ich sage erst mal gar nichts. Ich lass ihn den Brief lesen. Da muss er jetzt durch.
Und ich auch.
»Hast du gelesen?«
»Ja, natürlich.«
»Dann sag was.«
»Lore, was soll ich da denn sagen? Du weißt alles, was ich dazu sagen könnte.«
»Sie ist unsere Tochter, Harry.«
»Natürlich ist sie unsere Tochter. Sie bleibt auch immer unsere Tochter. Aber du weißt genau, dass mir ihr desaströses Privatleben allmählich am Arsch vorbeigeht.«
»Ich wusste, dass du das sagen würdest.«
»Warum fragst du dann.«
»Wir fahren also nicht?«
»Du kannst gern fahren, keiner hindert dich. Aber ich habe keine Lust, schon wieder einen dieser Kerle kennenzulernen, die sie auf irgendwelchen Müllkippen findet.«
»Sie ist Mitte dreißig. Vielleicht ist es ...«
»Sie ist bald Ende dreißig und es ist dieselbe Scheiße wie immer. Warum muss sie eigentlich jedes Mal heiraten? Wie spießig ist das eigentlich?«
»Wir haben auch geheiratet.«
»Ja. Einmal. Damals. Aus Liebe.«
»Liebe.«
»Ach, jetzt war es nicht mal mehr Liebe?«
»Darüber diskutier ich mit dir nach vierzig Jahren nun wirklich nicht mehr.«
»Wie gesagt, du kannst gerne fahren, ich guck mir diesen Basedow nicht an.«
»Bredow.«
»Bredow, Basedow, Ossi, oder?«
»Kann sein. Ich weiß es nicht, Harry, er hat viel Geld, schreibt sie. Sie wäre endlich - na ja, versorgt.«
»Ich hör wohl nicht richtig. Muss sie versorgt werden? Die hat doch eine Ausbildung!«
»Sie hat drei Ausbildungen, sie hat nichts abgeschlossen, sie hat das Kind, sie hat immer gearbeitet, aber du weißt doch selbst, dass das alles nicht rosig war. Nicht rosig ist. Warum soll nicht mal ein reicher ...«
»Besser als dieser Schluffi.«
»Schluffmann. Das ist nun zwanzig Jahre her, Harry, sie war siebzehn, mein Gott.
»Indien. Schluffi-Hochzeit in Indien. Ich sag am besten gar nichts mehr.«
»Ja, dann lass es doch. Ich fahr jedenfalls hin.«
...
»Wann soll das sein?«
»Im Herbst.«
»In Leipzig?«
»In Leipzig.«
»Ossi. Was macht der Kerl, außer Geld haben?«
»Das schreibt sie nicht.«
»Das schreibt sie nicht. Aha. Da stimmt doch wieder was nicht.«
»Harry, du machst mich wahnsinnig. Setz dich hin. Lass uns vernünftig reden.«
»Ich rede nicht unvernünftig. Nicht dass ich wüsste. Sie schreibt nichts von Laura.«
»Doch, dass Laura sich gut mit Frank versteht.«
»Frank?«
»Bredow.«
»Frank Basedow.«
»Bredow.«
»Herrgottnochmal, ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, was ich tun soll, sie ist meine Tochter, ja. Es ist unser Enkelkind, ja. Aber ich kann das nicht mehr ernst nehmen. Nichts mehr. Verstehst du das nicht?«
...
»Lore, ob du das nicht verstehst?«
»Ja. Doch.«
»Na also.«
2 Harry
Früher, wenn mit Gloria irgendwas war - und irgendwas war ja immer -, fragte Lore meistens, Harry, was haben wir falsch gemacht? Das fragt sie Gott sei Dank nicht mehr. Wir haben nichts falsch gemacht, Lore. Ich lehne es ab, immer etwas in der Erziehung falsch gemacht zu haben, wenn
die erwachsenen Kinder mit dem Leben nicht zurechtkommen. Wir haben Gloria ein intaktes Familienleben geboten. Wir waren immer für sie da und wir haben sie in Ruhe gelassen. Sie hatte alle Freiheiten und alle Möglichkeiten. Ich glaube, eines ihrer Probleme war, dass sie das gar nicht zu schätzen wusste, weil es so selbstverständlich war. Einmal, ich erinnere mich, Gloria war schon fast zwanzig und gerade aus Indien zurück und ziemlich am Ende, da sagte ich, ach, Kind, du hast so schön Klavier gespielt. Es war so schade, dass du das nicht weitergemacht hast. Sie hatte ja Begabung, von wem wissen wir nicht. Sie sang schön, war wirklich musikalisch. Da sagt sie doch tatsächlich: Ihr hättet mich eben zwingen müssen. Na fein! Das hätte ich erleben wollen, wenn wir sie jemals zu irgendetwas gezwungen hätten. Zwingen! Wie denn? Womit denn? Mit Ohrfeigen, Strafen, Verboten? Hätten wir sie zwingen sollen, die Schule fertig zu machen?
Hätten wir verhindern sollen, dass sie nach Indien ging mit diesem Schluffi? Hätten wir sie zur Abtreibung zwingen sollen, als sie später dann schwanger war von einem Kerl, der sich schon während ihres ersten Schwangerschaftsmonats ab seilte? Nein, das war bei uns nicht drin. Wir waren durch unsere autoritären und kriegsgeschädigten Eltern gewarnt. In diesen Dingen - in vielen anderen nicht - waren Lore und ich uns ziemlich einig. Natürlich war Lore der Tochter immer näher. Vielleicht denkt sie deswegen manchmal darüber nach, was sie falsch gemacht haben könnte, und dann sagt sie wir, wir haben was falsch gemacht.
Nun also Frank Bredow, gerade mal zehn Jahre jünger als ich, der Mann, den wir nicht kennengelernt haben, von dem bisher nie die Rede war, den sie vor einem halben Jahr wohl selbst noch gar nicht kannte. Frank Bredow, Leipzig, Heirat im September, Einladung zu großer Hochzeit. Kann man das ernst nehmen? Da heiratet die zum dritten Mal und macht ein solches Brimborium! Also ich weiß nicht - und ich will nicht. Frank Bredow. Ich habe über den Mann gegoogelt. Eckhart Bredow, der Vater, Inhaber der Firma Bredow-Bau-Hamburg (BBH), Immobilien, Baufirmen, zwölfhundert Angestellte. Sohn Frank Bredow, Juniorchef und Leiter der Filiale der BBH in Leipzig, vierhundert Angestellte. Also kein Ossi, liebe Lore. Leipzig, dachte ich mir, Leipzig, da ist doch der Kollege Polenz aus dem Bauamt nach der Wende hingegangen. Ich also den Polenz angerufen. Interessante Informationen! Die Bredows haben nach der Wende eine große Gründerzeitvilla mit sehr viel Grund und Boden zurückbekommen. Frank Bredow hat das Anwesen übernommen, restauriert und zugleich eine Filiale der väterlichen Firma aufgezogen. Er ist sozusagen von Beruf Erbe, sagt Polenz. Reiche Leute, naturgemäß im Osten nicht beliebt. Frank Bredow, so Polenz, ist ein arroganter, unangenehmer Kerl. Großkotz, kriegt aber jetzt was auf den Deckel. Er hat ungenehmigt einen Tennisplatz mit Kunstrasen vor seine Villa gebaut, mitten in ein Wohngebiet. Das hat die Stadt untersagt. Jetzt prozessiert er mit den Behörden herum, was natürlich die Chancen, mit der Stadt Immobiliengeschäfte zu machen, nicht gerade begünstigt. Jedenfalls, sagt Polenz, er wird sich den Tennisplatz abschminken müssen. Und dann hat er gefragt, warum mich der Mann interessiert. Er wird mein Schwiegersohn, hab ich gesagt, und ich hab gemerkt, wie fassungslos der Polenz war. Jetzt wollte er einiges zurücknehmen, klar, aber ich hab gesagt, ist schon gut, Polenz, ich kenn den Kerl nicht und ich glaube auch, dass ich ihn nicht mag. Übrigens, sagte Polenz am Ende noch, seine Firma heißt Kaiserreich, nach der Mutter, einer geborenen Kaiser. Kaiserreich. Das muss einem einfallen. Wann, wie und ob überhaupt ich das Lore erzähle, weiß ich noch nicht. Vielleicht ist es gut, wenn sie unvoreingenommen zu dieser Hochzeit fährt. Ich werde mich drücken - vielleicht krank werden, wer weiß.
»Ist sie denn eigentlich glücklich, Lore, hört man mal dazu was oder ist das egal?«
»Ich glaube, unsere Tochter ist zum ersten Mal im Leben richtig glücklich.«
»Das wär ja mal schön. Und woher willst du das wissen?«
»Sie sagt es.«
»Hat sie das nicht jedes Mal gesagt, wenn sie einen neuen Kerl hatte?«
»Hat sie nicht.«
»Doch.«
»Sei doch nicht so stur. Lass doch mal den Gedanken zu, dass Gloria älter und vernünftiger geworden ist. Sie macht am Telefon einen sehr ausgeglichenen Eindruck. Das war nicht immer so.«
»Wahrlich.«
»Das war niedlich: ich hab sie gefragt, ob sie nicht Schwierigkeiten damit hätte, nun plötzlich so einen wohlhabenden Mann zu haben. Mama, hat sie gesagt, Frank ist nicht wohlhabend, er ist reich, steinreich, aber ich habe überhaupt kein Problem damit.«
»Woher hat der denn die Kohle? Geerbt?«
»Das auch. Der Vater macht irgendwas mit Immobilien in Hamburg. Frank ist der einzige Sohn und hat eine Dependance der Firma in Leipzig, wo sie eine Riesenvilla haben.«
»Und da wohnen sie?«
»Ja, Frank, Gloria und Laura. Und Personal.«
»Personal? Wie kommt unser einstiges Freakmädchen mit Personal zurecht?«
»Sie wird ja auch älter, Harry. Die Villa muss riesig sein, renoviert, denkmalgeschützt, großes Grundstück, Stallungen für Pferde, ein Park und ein Pförtnerhaus. Und stell dir vor, vor dem Haus haben sie einen eigenen Tennisplatz.«
»Vor der denkmalgeschützten Villa mitten im Wohngebiet?«
»Ja. Warum nicht?«
»Würde mich wundern, wenn das in Leipzig erlaubt wäre, privater Tennisplatz mitten in einem Wohngebiet.«
»Ich glaub, es hat ein bisschen Ärger gegeben, aber jetzt existiert der Tennisplatz. Frank hat wohl Beziehungen, er hat es irgendwie als ›Wiese mit Streifen‹ deklariert. Komisch, oder? Wiese mit Streifen. Zur Hochzeit wird er eingeweiht. Und Gloria schenkt Frank zur Hochzeit so einen Hochsitz.«
»Einen Hochsitz? Geht der etwa zur Jagd?«
»Nein, so einen Schiedsrichterstuhl für den Tennisplatz, wo er oben draufsitzen kann, wenn sie mit anderen Tennis spielt und er den Schiedsrichter macht - oder Punktrichter oder wie das heißt.«
»Wie ein Kaiser auf dem Thron, der über sein Kaiserreich blickt und Punkte vergibt.«
»Harry, ich verstehe deine Ironie nicht.«
»Das kam mir gerade so als Bild. Ist er groß oder klein?«
»Normal, wie ein Tennisplatz eben, denke ich.«
»Nein, der Schwiegersohn.«
»Eher klein und untersetzt.«
»Sagt Gloria das?«
»Nein. Ich weiß jetzt nicht, wie ich dir das sagen soll, Harry, ich bin doch auch verunsichert durch diesen plötzlichen Wandel im Leben unserer Tochter. Man macht sich doch auch Sorgen.«
»Warum? Nun ist sie doch versorgt.«
»Genau das ist es doch, was mich verunsichert hat.«
»Dachtest du, aha, jetzt reißt sie sich einen Reichen unter den Nagel, egal, was es für eine Type ist.« »Ich wollte einfach wissen, was für ein Mensch er ist und ob ich Glorias Euphorie trauen kann.«
»Und weißt du es jetzt?«
»Na ja. Ich habe eine Kollegin aus der Leipziger Stadtbibliothek angerufen - die hab ich mal auf einem Lehrgang kennengelernt. Die hab ich ausgefragt.«
»Detektivin Lore, besorgte Mutter. Und was sagt die?«
»Sie sagt, dass die Bredows in Leipzig praktisch jeder kennt. Alteingesessene Familie, vor dem Krieg gehörten sie zu den Stadthonoratioren. Dann sind sie geflohen und jetzt zurückgekommen. Sie kennt Frank persönlich. Er sei sehr großzügig, habe zum Beispiel für den Ausbau der Bibliothek gespendet, tue viel für die Stadt und sei ein umgänglicher Mensch und sehr beliebt.«
»Und klein und untersetzt.«
»Das auch.«
»Also vermutlich kleiner als Gloria.«
»Vermutlich.«
»Lore, wie fändest du es, wenn unser Nachbar drüben die große Wiese vor seinem Haus zum Tennisplatz umbauen würde?«
»Was soll das denn jetzt, das ist doch ganz was anderes.«
»Und wir würden hier sitzen und es flögen uns die Tennisbälle um die Ohren. Und auf einem Schiedsrichterstuhl säße der Nachbar und würde rufen: fünfzehn, dreißig, Matchball, Ausgleich! Würde dir das gefallen?«
»Natürlich nicht.«
»Vielleicht gefällt das ein paar Leuten in Leipzig auch nicht.«
© Carl Hanser Verlag, München
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Autoren-Porträt von Elke Heidenreich, Bernd Schroeder
Elke Heidenreich, geboren 1943, lebt in Köln. Seit 1970 ist sie freie Autorin und Moderatorin bei Funk und Fernsehen. Seit 1983 ist Elke Heidenreich Kolumnistin bei der Zeitschrift "Brigitte" und schreibt regelmäßig Buchbesprechungen für verschiedene Fernseh- und Rundfunksender. 2008 wurde sie mit dem "Hans-Bausch-Mediapreis" ausgezeichnet. Bernd Schroeder, geboren 1944, aufgewachsen in Bayern, Studium der Theaterwissenschaft und Germanistik in München. Seit 1970 freier Autor. Bis 1992 hat er vorwiegend Fernseh- und Hörspiele geschrieben. 1985 erhielt er den Adolf-Grimme-Preis, 1992 den Deutschen Filmpreis. Seit 1993 hat er verschiedene Romane veröffentlicht. Bernd Schroeder lebt seit 1987 in Köln.
Bibliographische Angaben
- Autoren: Elke Heidenreich , Bernd Schroeder
- 191 Seiten, Maße: 13,1 x 20,9 cm, Soft-Cover (Weltbild Reader)
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3828997139
- ISBN-13: 9783828997134
Rezension zu „Alte Liebe “
"Es sind die Alltäglichkeiten, die dieses Buch liebenswert machen, und die klugen Gedanken von Heidenreich und Schroeder, die es veredeln: Was bietet das Leben mit Mitte 60? Was passiert mit den Idealen von 68? Was mit der Liebe?" (Brigitte, 09.09.09)"Ein wunderbar leicht dahinfließender Dialogroman, der aber letztlich schwer wiegt. Ein bühnenreifes Capriccio." (Der Spiegel, 31.08.09)
"Kinder, Männer, Alte: lesen! Elke Heidenreich und Bernd Schröder raufen sich literarisch zusammen und lassen ihr gemeinsam alt gewordenes und jung gebliebenes Romanpärchen munter über Gott, die Welt und die Literatur räsonieren." (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 07.09.09)
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