Am Hofe der Löwin
Roman. Originalausgabe
Südengland, 1127: Die junge Aline flieht vor ihrem grausamen Herrn. Matilda, Tochter und Thronerbin des Königs Henry I. von England, rettet sie und macht sie bald zu ihrer Vertrauten. Am Königshof verliebt sich Aline in Ethan. Und gerät...
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Produktinformationen zu „Am Hofe der Löwin “
Südengland, 1127: Die junge Aline flieht vor ihrem grausamen Herrn. Matilda, Tochter und Thronerbin des Königs Henry I. von England, rettet sie und macht sie bald zu ihrer Vertrauten. Am Königshof verliebt sich Aline in Ethan. Und gerät auch mitten in die Wirren einer grausamen Rivalität.
Klappentext zu „Am Hofe der Löwin “
Eine junge Frau zwischen Liebe und Loyalität - in einer der farbenprächtigsten Epochen SüdenglandsSüdengland, 1127: Die junge Aline flieht vor ihrem grausamen Dienstherrn in den Wald. Dessen Knechte spüren sie bald wieder auf, doch bevor Aline zurückgebracht und schwer bestraft werden kann, wird sie von einer adeligen Dame gerettet: Matilda, Tochter und Thronerbin des englischen Königs Henry I. Aline bleibt fortan an Matildas Seite, zuerst als loyale Dienerin, dann auch als Vertraute. Am Königshof lernt sie den jungen Ethan kennen, und die beiden verlieben sich ineinander. Doch Ethan gehört zum Gefolge von Matildas Rivalen um den Thron, und bald wird das Paar auseinandergerissen in den Wirren eines grausamen Bürgerkrieges ...
Lese-Probe zu „Am Hofe der Löwin “
Am Hofe der Löwin von Beate SauerKapitel 1
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Sie befand sich wieder auf dem Gehöft ihrer Eltern. Kleine weiße Wolken zogen über den Sommerhimmel. Un-
ter dem Apfelbaum summten die Bienen um ihre Körbe aus Stroh, und der süße Geruch von Lavendel, Johanniskraut und Eberraute, die zwischen den Gemüsebeeten wuchsen, erfüllte die Luft. Die Fensterläden des niedrigen, gekalkten Wohnhauses standen offen. Von dort war jetzt die helle Stimme ihres kleinen Bruders Haimo zu hören. Ihre Mutter antwortete ihm etwas und lachte dabei.
Ein warmes Glücksgefühl breitete sich wie Sonnenstrahlen in ihr aus. Ja, sie war zu Hause. Der Weizen auf dem Feld jenseits des Weidenzauns war goldgelb und reif. In den nächsten Tagen würde der Vater die Ähren mit der Sichel schneiden, und sie und ihre Mutter würden auf den stoppeligen Furchen hinter ihm her gehen und das Korn zu Garben binden.
Eine Wolke verdeckte die Sonne. Der plötzliche Schatten ließ sie frösteln. In den Duft der Kräuter mischte sich der Gestank von kaltem Rauch und verbranntem Kohl.
Schon während Aline aufwachte, spürte sie das Eisenband um ihren Hals. Ihr Körper schmerzte von den Schlägen, die ihr der Verwalter am Vortag wegen einer Nichtigkeit verpasst hatte. Die Erkenntnis, dass sie von dem Gehöft ihrer Eltern nur geträumt hatte, und nun das Leben als Leibeigene des Barons de Thorigny ihre Wirklichkeit bildete, schnürte ihr die Kehle zu. Sie hielt die Augen geschlossen, wollte die Küche mit der breiten Feuerstelle und der rußigen Balkendecke, wo sie nun seit einigen Wochen auf dem Boden schlief, nicht sehen.
Doch nur zu bald scheuchte die raue Stimme der Köchin Aline und die anderen Mägde hoch. Dumpf kam sie ihren Aufgaben nach, Feuerholz und Wasser von dem Brunnen auf dem Hof zu holen. Als die Suppe fertig war, drängten die Knechte in die Küche. Aline nahm ihren Platz am unteren Ende des groben Holztischs ein. Bis sich alle der drei Dutzend Leibeigenen von der Speise genommen hatten, war die Schüssel fast leer, und Aline musste sich die Reste zusammenkratzen. Die Suppe war voller Spelzen und ohne Gewürze oder nennenswerte Mengen an Fett zubereitet, aber Aline war so hungrig, dass sie sie gierig hinunterschlang.
Niemand sprach ein Wort oder lachte gar. Verzweifelt versuchte Aline, nicht an ihren kleinen Bruder zu denken, der so stolz gewesen war, dass er schon selbst den Löffel zum Mund führen konnte, auch wenn er dabei einen Großteil des Getreidebreis um seinen Mund verschmierte. Während der Mahlzeiten hatte ihr Vater oft in seiner langsamen, geduldigen Art von der Arbeit auf den Feldern oder im Stall berichtet, oder er hatte Neuigkeiten erzählt, die er im Dorf erfahren hatte. Dann und wann hatte ihre temperamentvolle Mutter ihn unterbrochen und mit Aline und ihrem Bruder geschimpft und gescherzt.
Ein Windstoß fuhr in die Küche, als der Verwalter Fulk den Raum betrat und sich auf seinen Stuhl am Kopfende des Tischs setzte. Eilig stand die Köchin auf und brachte ihm eine Schale mit der Suppe, die eigens für ihn zubereitet wurde und wie immer reichlich Fleischstücke oder Käse enthielt. Anfangs hatte Aline darüber noch Zorn empfunden. Doch mittlerweile nahm sie dies gleichgültig hin.
Müde verfolgte sie, wie der vierschrötige, rotgesichtige Mann aß und sich schließlich an die Köchin wandte. »Guy d'Esne wird heute oder morgen auf den Hof kommen. Sieh zu, dass du was Anständiges für ihn auf den Tisch bringst.«
»Der Aufseher unseres Herrn ist lange nicht mehr hier gewesen«, murmelte die ältliche Frau und bedachte Aline mit einem merkwürdigen, ja, beinahe besorgten Blick. Diese dachte jedoch nicht weiter darüber nach, denn Fulk brachte zwischen zwei Bissen hervor: »Guy d'Esne will die neuen Besitzungen des Barons besichtigen.« Damit war, wie Aline begriff, auch das Anwesen ihrer Eltern gemeint, das zwei Tagesritte entfernt war.
Nachdem Fulk seine Schale geleert hatte, wies er den Leibeigenen ihre Arbeit zu. Aline befahl er, frisches Schilf für den Boden der Halle zu schneiden.
Als sie die Küche verließ, wehte ein kalter Wind, und graue Wolken bedeckten den Himmel. Während der letzten Tage hatte es geregnet. Pfützen standen auf den Wiesen, und der Weg zum See war schlammig. Kahl und trostlos breitete sich die hügelige Landschaft um sie aus. Am See- ufer streifte Aline ihre Holzschuhe ab und band ihren Kittel hoch. Das Wasser reichte ihr bis zu den Knien und war eiskalt. Zitternd begann sie, die Binsen zu schneiden und am Ufer aufzuschichten.
Mittlerweile muss es März sein, ging es Aline durch den Kopf. Seit zwei Monaten war sie nun gezwungen, auf dem Gut des normannischen Barons zu leben. Eine Zeitspanne, die ihr wie eine Ewigkeit erschien. Anfangs hatte sie noch gehofft, das alles sei ein Albtraum, aus dem sie irgendwann erwachen würde. Doch inzwischen wusste sie, dass dies die Wirklichkeit war und es für sie kein Entrinnen gab.
Sie erinnerte sich noch gut daran, wie ihr Vater zu Beginn der Adventszeit, an einem stürmischen, schneereichen Tag, nach Hause gekommen war und erzählt hatte, dass der alte Baron gestorben sei und die Gegend um Salisbury - dort befand sich das Gehöft ihrer Familie - einen neuen normannischen Herrn bekommen habe. Alines Mutter hatte sich Sorgen gemacht. Doch der Vater hatte erwidert, er sei, wie auch seine Vorfahren, ein freier Bauer. Sein Großvater habe für Roger of Montgomery - einen hohen Gefolgsmann König Williams - gekämpft, und dieser habe ihm dieses Recht noch einmal verbürgt.
Dann hatte er Aline die Hände auf die Schultern gelegt und ernster, als es sonst seine Art war, gesagt: »Wir zahlen unserem Grundherrn den Zehnten. Aber wir haben niemals einem anderen Menschen gehört. Das darfst du nie vergessen.«
Bald darauf hatte ein heftiges Fieber in der Gegend gewütet. Auch Aline und ihre Familie hatte es befallen. Sie hatte geglaubt zu verglühen. Wirre, schreckliche Träume hatten sie heimgesucht, in denen sie ihren Bruder Haimo jammern und ihre Eltern stöhnen hörte. Doch sie hatte ihnen nicht helfen können.
In der Scheune von Nachbarn war sie wieder zu sich gekommen. Diese hatten ihr eröffnet, dass ihre Eltern und ihr Bruder in der Zwischenzeit an dem Fieber gestorben waren. Außerdem waren Dienstleute des Barons Thorigny in das Dorf gekommen und hatten das Anwesen von Alines Familie für ihren Herrn in Besitz genommen. Auch Aline - so die Nachbarn weiter - gehöre nun dem Baron. Damals war sie viel zu mitgenommen von dem Tod der geliebten Menschen und geschwächt von dem Fieber gewesen, um wirklich zu verstehen, was das bedeutete.
Andernfalls, dachte Aline bitter, während sie frierend einen weiteren Armvoll Binsen an das Ufer schleppte, wäre ich geflohen. Aber so war sie nur apathisch in der Scheune liegen geblieben.
An einem Tag Mitte Januar dann - sie war gerade wieder kräftig genug gewesen, um sich auf den Beinen zu halten - war Fulk mit einem Knecht erschienen, um sie zu holen. Erst als sie den vierschrötigen Mann mit den kleinen, harten Augen und den Strick in seiner Hand gesehen hatte, hatte sie begriffen, was ihr bevorstand. Sie hatte sich gewehrt; geschrien, sie sei frei geboren, er habe kein Recht, sie zur Leibeigenen zu machen und das Anwesen für seinen Herrn zu beanspruchen. Doch Fulk hatte nur gelacht und sie mühelos überwältigt. Keiner der Dorfbewohner, die auf Alines Schreie hin zusammenströmten, war bereit gewesen, für sie einzustehen - auch nicht der Priester.
Während der ersten Zeit auf dem Gut des Barons de Thorigny hatte Aline noch versucht, sich zu widersetzen. Aber Prügel und Nahrungsentzug hatten sie schließlich gefügig gemacht. Um ihr jeden Gedanken an Flucht auszutreiben, hatte Fulk ihr gleich am ersten Tag das Eisenband um den Hals schmieden lassen, das sie als Leibeigene kennzeichnete.
Gegen Mittag hatte Aline endlich eine ausreichende Menge Binsen geschnitten. Ihre Beine waren wie taub, sie war völlig durchgefroren und hungrig. Ein leichter Sprühregen fiel, der die Gegend noch unwirtlicher erscheinen ließ. Ein Gefühl abgrundtiefer Hoffnungslosigkeit erfasste sie. Würde sie nun Jahr um Jahr so weiterleben müssen? Der Willkür anderer Menschen ausgeliefert, bis sie schließlich an Entkräftung oder einer Krankheit sterben würde?
Aline wusste, dass sie so schnell wie möglich zum Gutshaus zurückkehren musste, um eine weitere Arbeit zu übernehmen. Doch plötzlich glaubte sie, die Gegenwart der anderen Leibeigenen, die ihr Schicksal einfach ergeben hinnahmen, nicht mehr ertragen zu können.
In einem Stall auf einer der Weiden ganz in der Nähe stand seit einigen Tagen ein junges Pferd, das sich mit der restlichen Herde nicht vertrug. Fulk hatte ihr ein paarmal aufgetragen, dem Tier Futter zu bringen. Das Pferd hatte sie gleich an das Maultier ihrer Familie erinnert. Voller Heimweh rannte Aline über die nasse Wiese zu dem Stall.
Der kleine Braune empfing sie mit einem zutraulichen Schnauben. Zärtlich streichelte Aline ihn zwischen den Nüstern, hielt aber gleich darauf erschrocken inne. Die Nasenlöcher des Tiers fühlten sich trocken an, und seine Augen blickten stumpf. Nun sah sie, dass sich an seinem rechten Vorderlauf eine Schwellung gebildet hatte. Eine schmierige Paste bedeckte die kranke Stelle. Sie roch daran. Bei der Schmiere handelte es sich um Gänseschmalz. Völlig nutzlos!
Ihre Mutter war heilkundig gewesen. Schon als kleines Kind hatte Aline ihr häufig gelauscht, wenn sie die Dörfler oder deren Tiere behandelt hatte, und als sie älter geworden war, hatte die Mutter sie dann und wann Wunden untersuchen lassen. Vorsichtig berührte sie die kranke Stelle. Die Schwellung rührte nicht von Eiter, sondern von einer Entzündung her.
Hastig lief Aline nach draußen auf die Wiese. Sie musste nicht lange nach Breitwegerichblättern suchen und pflück- te eine große Handvoll davon. Wieder in dem Stall, zerrieb sie das Kraut zwischen ihren Fingern zu einer Paste, die sie anschließend behutsam in den kranken Lauf massierte. Sie war so auf das Pferd konzentriert, dass sie die Schritte auf der Weide nicht hörte. Erst als die Tür geöffnet wurde, schreckte sie auf. O Gott, wenn Fulk sie bei dem Tier ertappte ...
Aber nicht der Verwalter stand vor ihr, sondern ein großer, kahlköpfiger Mann in den Dreißigern, der ein aufgedunsenes, teigiges Gesicht hatte. Sein blauer Mantel war nass vom Regen und bestand aus einem teuren Stoff. Dies muss Guy d'Esne sein, schoss es Aline durch den Kopf.
»Ich ...«, stammelte sie, während sie sich ängstlich erhob und vor ihm zurückwich. »Verzeiht ...«
»Also hatte ich doch Recht, als ich jemanden in den Stall schlüpfen sah.« Er musterte sie von oben bis unten. Aline schämte sich, dass sie so schmutzig war. Seit Tagen hatte sie sich nicht mehr waschen können. Auch ihr Kittel war von Lehmspritzern und Grasflecken übersät. »Was treibst du hier?«
»Ich ...« Sie schluckte. »Ich habe den kranken Vorderlauf des Pferdes versorgt.«
»Du lügst.« Die Stimme des Aufsehers klang kalt. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass Fulk dich damit beauftragt hat.«
»Das hat er auch nicht. Aber ich habe bemerkt, dass das Pferd falsch behandelt wurde. Deshalb habe ich sein Bein mit zerriebenen Breitwegerichblättern bestrichen.«
»Du behauptest also, dich mit Pferden besser auszukennen als der Verwalter.« Er stieß ein meckerndes Lachen aus.
Alines Mund war ganz trocken. »Ich habe von meiner Mutter viel über Heilkunde gelernt«, flüsterte sie. »Sieh an, du bist also das widerspenstige Ding von dem Gut bei Salisbury.« Wieder musterte er sie abschätzend. »Wie alt bist du?«
»Fast zwölf, Herr.« Sein Blick war ihr unangenehm. Sie sah zu Boden.
Guy d'Esne fasste sie unter dem Kinn und hob ihren Kopf hoch, sodass sie ihn anschauen musste. »Wenn man sich den Schmutz wegdenkt, bist du recht hübsch mit deinem blonden Haar, den braunen Augen und dem herzförmigen Gesichtchen. Obwohl du ein bisschen mager bist. Ich werde Fulk befehlen, dass er dir mehr zu essen gibt.« Seine Finger wanderten über ihre Wange, dann zu ihren Lippen. Aline begann zu zittern. Was wollte er von ihr?
»Genau genommen bist du die hübscheste Leibeigene, die mir seit langem auf Thorignys Gütern begegnet ist.« Ein Glitzern trat in seine Augen, das Aline noch mehr erschreckte. Sein nach Most und Zwiebeln stinkender Atem ging schneller.
Ehe sie reagieren konnte, versetzte er ihr einen Schubs, der sie rücklings in das Stroh fallen ließ. Im nächsten Moment kniete er auf ihr und machte sich an seiner Hose zu schaffen. Ihr wurde übel, als sie begriff, was er vorhatte. »Nein«, flehte sie. »Bitte nicht ... Lasst mich gehen.«
Er lachte nur, spreizte grob ihre Beine und zerrte ihren Kittel hoch. »Bitte ... «, wimmerte sie wieder.
»Stell dich nicht so an.« Das Messer, mit dem sie die Binsen geschnitten hatte, lag bei dem unruhig schnaubenden Braunen. Weit außerhalb ihrer Reichweite ... Verzweifelt bäumte sie sich auf und fuhr Guy d'Esne mit den gekrümmten Fingern ins Gesicht. Ihre Nägel hinterließen rote Kratzer auf seiner Wange.
»Verdammte Katze!« Er versetzte ihr eine brutale Ohrfeige. Sein Gewicht raubte ihr fast den Atem. Nein ... Aus den Augenwinkeln sah Aline den Griff einer Waffe, die in seinem Gürtel steckte. Ihre Hand schloss sich um den Schaft. In dem Moment, als Guy d'Esne in sie eindringen wollte, rammte sie den Dolch tief in seinen Oberschenkel.
Er brüllte auf und krümmte sich. Es gelang ihr, sich unter ihm hervorzuwinden. Mit einem Aufschrei fasste er nach ihr und bekam sie am Ärmel ihres Kittels zu fassen.
»Verfluchte Hexe, das wirst du mir büßen!« Sein teigiges Gesicht war wutverzerrt. Schluchzend riss sie sich los. Er versuchte, aufzustehen und ihr nachzusetzen. Das verletzte Bein gab jedoch unter ihm nach, und er stolperte. Ehe er noch einmal nach ihr greifen konnte, hatte sie die Stalltür hinter sich zugeschlagen und den Riegel vorgeschoben.
Während sie weinend davonrannte, hörte sie Guy gegen die Bretter hämmern und wüste Verwünschungen ausstoßen.
Copyright © dieser Ausgabe 2011
by Wilhelm Goldmann Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Sie befand sich wieder auf dem Gehöft ihrer Eltern. Kleine weiße Wolken zogen über den Sommerhimmel. Un-
ter dem Apfelbaum summten die Bienen um ihre Körbe aus Stroh, und der süße Geruch von Lavendel, Johanniskraut und Eberraute, die zwischen den Gemüsebeeten wuchsen, erfüllte die Luft. Die Fensterläden des niedrigen, gekalkten Wohnhauses standen offen. Von dort war jetzt die helle Stimme ihres kleinen Bruders Haimo zu hören. Ihre Mutter antwortete ihm etwas und lachte dabei.
Ein warmes Glücksgefühl breitete sich wie Sonnenstrahlen in ihr aus. Ja, sie war zu Hause. Der Weizen auf dem Feld jenseits des Weidenzauns war goldgelb und reif. In den nächsten Tagen würde der Vater die Ähren mit der Sichel schneiden, und sie und ihre Mutter würden auf den stoppeligen Furchen hinter ihm her gehen und das Korn zu Garben binden.
Eine Wolke verdeckte die Sonne. Der plötzliche Schatten ließ sie frösteln. In den Duft der Kräuter mischte sich der Gestank von kaltem Rauch und verbranntem Kohl.
Schon während Aline aufwachte, spürte sie das Eisenband um ihren Hals. Ihr Körper schmerzte von den Schlägen, die ihr der Verwalter am Vortag wegen einer Nichtigkeit verpasst hatte. Die Erkenntnis, dass sie von dem Gehöft ihrer Eltern nur geträumt hatte, und nun das Leben als Leibeigene des Barons de Thorigny ihre Wirklichkeit bildete, schnürte ihr die Kehle zu. Sie hielt die Augen geschlossen, wollte die Küche mit der breiten Feuerstelle und der rußigen Balkendecke, wo sie nun seit einigen Wochen auf dem Boden schlief, nicht sehen.
Doch nur zu bald scheuchte die raue Stimme der Köchin Aline und die anderen Mägde hoch. Dumpf kam sie ihren Aufgaben nach, Feuerholz und Wasser von dem Brunnen auf dem Hof zu holen. Als die Suppe fertig war, drängten die Knechte in die Küche. Aline nahm ihren Platz am unteren Ende des groben Holztischs ein. Bis sich alle der drei Dutzend Leibeigenen von der Speise genommen hatten, war die Schüssel fast leer, und Aline musste sich die Reste zusammenkratzen. Die Suppe war voller Spelzen und ohne Gewürze oder nennenswerte Mengen an Fett zubereitet, aber Aline war so hungrig, dass sie sie gierig hinunterschlang.
Niemand sprach ein Wort oder lachte gar. Verzweifelt versuchte Aline, nicht an ihren kleinen Bruder zu denken, der so stolz gewesen war, dass er schon selbst den Löffel zum Mund führen konnte, auch wenn er dabei einen Großteil des Getreidebreis um seinen Mund verschmierte. Während der Mahlzeiten hatte ihr Vater oft in seiner langsamen, geduldigen Art von der Arbeit auf den Feldern oder im Stall berichtet, oder er hatte Neuigkeiten erzählt, die er im Dorf erfahren hatte. Dann und wann hatte ihre temperamentvolle Mutter ihn unterbrochen und mit Aline und ihrem Bruder geschimpft und gescherzt.
Ein Windstoß fuhr in die Küche, als der Verwalter Fulk den Raum betrat und sich auf seinen Stuhl am Kopfende des Tischs setzte. Eilig stand die Köchin auf und brachte ihm eine Schale mit der Suppe, die eigens für ihn zubereitet wurde und wie immer reichlich Fleischstücke oder Käse enthielt. Anfangs hatte Aline darüber noch Zorn empfunden. Doch mittlerweile nahm sie dies gleichgültig hin.
Müde verfolgte sie, wie der vierschrötige, rotgesichtige Mann aß und sich schließlich an die Köchin wandte. »Guy d'Esne wird heute oder morgen auf den Hof kommen. Sieh zu, dass du was Anständiges für ihn auf den Tisch bringst.«
»Der Aufseher unseres Herrn ist lange nicht mehr hier gewesen«, murmelte die ältliche Frau und bedachte Aline mit einem merkwürdigen, ja, beinahe besorgten Blick. Diese dachte jedoch nicht weiter darüber nach, denn Fulk brachte zwischen zwei Bissen hervor: »Guy d'Esne will die neuen Besitzungen des Barons besichtigen.« Damit war, wie Aline begriff, auch das Anwesen ihrer Eltern gemeint, das zwei Tagesritte entfernt war.
Nachdem Fulk seine Schale geleert hatte, wies er den Leibeigenen ihre Arbeit zu. Aline befahl er, frisches Schilf für den Boden der Halle zu schneiden.
Als sie die Küche verließ, wehte ein kalter Wind, und graue Wolken bedeckten den Himmel. Während der letzten Tage hatte es geregnet. Pfützen standen auf den Wiesen, und der Weg zum See war schlammig. Kahl und trostlos breitete sich die hügelige Landschaft um sie aus. Am See- ufer streifte Aline ihre Holzschuhe ab und band ihren Kittel hoch. Das Wasser reichte ihr bis zu den Knien und war eiskalt. Zitternd begann sie, die Binsen zu schneiden und am Ufer aufzuschichten.
Mittlerweile muss es März sein, ging es Aline durch den Kopf. Seit zwei Monaten war sie nun gezwungen, auf dem Gut des normannischen Barons zu leben. Eine Zeitspanne, die ihr wie eine Ewigkeit erschien. Anfangs hatte sie noch gehofft, das alles sei ein Albtraum, aus dem sie irgendwann erwachen würde. Doch inzwischen wusste sie, dass dies die Wirklichkeit war und es für sie kein Entrinnen gab.
Sie erinnerte sich noch gut daran, wie ihr Vater zu Beginn der Adventszeit, an einem stürmischen, schneereichen Tag, nach Hause gekommen war und erzählt hatte, dass der alte Baron gestorben sei und die Gegend um Salisbury - dort befand sich das Gehöft ihrer Familie - einen neuen normannischen Herrn bekommen habe. Alines Mutter hatte sich Sorgen gemacht. Doch der Vater hatte erwidert, er sei, wie auch seine Vorfahren, ein freier Bauer. Sein Großvater habe für Roger of Montgomery - einen hohen Gefolgsmann König Williams - gekämpft, und dieser habe ihm dieses Recht noch einmal verbürgt.
Dann hatte er Aline die Hände auf die Schultern gelegt und ernster, als es sonst seine Art war, gesagt: »Wir zahlen unserem Grundherrn den Zehnten. Aber wir haben niemals einem anderen Menschen gehört. Das darfst du nie vergessen.«
Bald darauf hatte ein heftiges Fieber in der Gegend gewütet. Auch Aline und ihre Familie hatte es befallen. Sie hatte geglaubt zu verglühen. Wirre, schreckliche Träume hatten sie heimgesucht, in denen sie ihren Bruder Haimo jammern und ihre Eltern stöhnen hörte. Doch sie hatte ihnen nicht helfen können.
In der Scheune von Nachbarn war sie wieder zu sich gekommen. Diese hatten ihr eröffnet, dass ihre Eltern und ihr Bruder in der Zwischenzeit an dem Fieber gestorben waren. Außerdem waren Dienstleute des Barons Thorigny in das Dorf gekommen und hatten das Anwesen von Alines Familie für ihren Herrn in Besitz genommen. Auch Aline - so die Nachbarn weiter - gehöre nun dem Baron. Damals war sie viel zu mitgenommen von dem Tod der geliebten Menschen und geschwächt von dem Fieber gewesen, um wirklich zu verstehen, was das bedeutete.
Andernfalls, dachte Aline bitter, während sie frierend einen weiteren Armvoll Binsen an das Ufer schleppte, wäre ich geflohen. Aber so war sie nur apathisch in der Scheune liegen geblieben.
An einem Tag Mitte Januar dann - sie war gerade wieder kräftig genug gewesen, um sich auf den Beinen zu halten - war Fulk mit einem Knecht erschienen, um sie zu holen. Erst als sie den vierschrötigen Mann mit den kleinen, harten Augen und den Strick in seiner Hand gesehen hatte, hatte sie begriffen, was ihr bevorstand. Sie hatte sich gewehrt; geschrien, sie sei frei geboren, er habe kein Recht, sie zur Leibeigenen zu machen und das Anwesen für seinen Herrn zu beanspruchen. Doch Fulk hatte nur gelacht und sie mühelos überwältigt. Keiner der Dorfbewohner, die auf Alines Schreie hin zusammenströmten, war bereit gewesen, für sie einzustehen - auch nicht der Priester.
Während der ersten Zeit auf dem Gut des Barons de Thorigny hatte Aline noch versucht, sich zu widersetzen. Aber Prügel und Nahrungsentzug hatten sie schließlich gefügig gemacht. Um ihr jeden Gedanken an Flucht auszutreiben, hatte Fulk ihr gleich am ersten Tag das Eisenband um den Hals schmieden lassen, das sie als Leibeigene kennzeichnete.
Gegen Mittag hatte Aline endlich eine ausreichende Menge Binsen geschnitten. Ihre Beine waren wie taub, sie war völlig durchgefroren und hungrig. Ein leichter Sprühregen fiel, der die Gegend noch unwirtlicher erscheinen ließ. Ein Gefühl abgrundtiefer Hoffnungslosigkeit erfasste sie. Würde sie nun Jahr um Jahr so weiterleben müssen? Der Willkür anderer Menschen ausgeliefert, bis sie schließlich an Entkräftung oder einer Krankheit sterben würde?
Aline wusste, dass sie so schnell wie möglich zum Gutshaus zurückkehren musste, um eine weitere Arbeit zu übernehmen. Doch plötzlich glaubte sie, die Gegenwart der anderen Leibeigenen, die ihr Schicksal einfach ergeben hinnahmen, nicht mehr ertragen zu können.
In einem Stall auf einer der Weiden ganz in der Nähe stand seit einigen Tagen ein junges Pferd, das sich mit der restlichen Herde nicht vertrug. Fulk hatte ihr ein paarmal aufgetragen, dem Tier Futter zu bringen. Das Pferd hatte sie gleich an das Maultier ihrer Familie erinnert. Voller Heimweh rannte Aline über die nasse Wiese zu dem Stall.
Der kleine Braune empfing sie mit einem zutraulichen Schnauben. Zärtlich streichelte Aline ihn zwischen den Nüstern, hielt aber gleich darauf erschrocken inne. Die Nasenlöcher des Tiers fühlten sich trocken an, und seine Augen blickten stumpf. Nun sah sie, dass sich an seinem rechten Vorderlauf eine Schwellung gebildet hatte. Eine schmierige Paste bedeckte die kranke Stelle. Sie roch daran. Bei der Schmiere handelte es sich um Gänseschmalz. Völlig nutzlos!
Ihre Mutter war heilkundig gewesen. Schon als kleines Kind hatte Aline ihr häufig gelauscht, wenn sie die Dörfler oder deren Tiere behandelt hatte, und als sie älter geworden war, hatte die Mutter sie dann und wann Wunden untersuchen lassen. Vorsichtig berührte sie die kranke Stelle. Die Schwellung rührte nicht von Eiter, sondern von einer Entzündung her.
Hastig lief Aline nach draußen auf die Wiese. Sie musste nicht lange nach Breitwegerichblättern suchen und pflück- te eine große Handvoll davon. Wieder in dem Stall, zerrieb sie das Kraut zwischen ihren Fingern zu einer Paste, die sie anschließend behutsam in den kranken Lauf massierte. Sie war so auf das Pferd konzentriert, dass sie die Schritte auf der Weide nicht hörte. Erst als die Tür geöffnet wurde, schreckte sie auf. O Gott, wenn Fulk sie bei dem Tier ertappte ...
Aber nicht der Verwalter stand vor ihr, sondern ein großer, kahlköpfiger Mann in den Dreißigern, der ein aufgedunsenes, teigiges Gesicht hatte. Sein blauer Mantel war nass vom Regen und bestand aus einem teuren Stoff. Dies muss Guy d'Esne sein, schoss es Aline durch den Kopf.
»Ich ...«, stammelte sie, während sie sich ängstlich erhob und vor ihm zurückwich. »Verzeiht ...«
»Also hatte ich doch Recht, als ich jemanden in den Stall schlüpfen sah.« Er musterte sie von oben bis unten. Aline schämte sich, dass sie so schmutzig war. Seit Tagen hatte sie sich nicht mehr waschen können. Auch ihr Kittel war von Lehmspritzern und Grasflecken übersät. »Was treibst du hier?«
»Ich ...« Sie schluckte. »Ich habe den kranken Vorderlauf des Pferdes versorgt.«
»Du lügst.« Die Stimme des Aufsehers klang kalt. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass Fulk dich damit beauftragt hat.«
»Das hat er auch nicht. Aber ich habe bemerkt, dass das Pferd falsch behandelt wurde. Deshalb habe ich sein Bein mit zerriebenen Breitwegerichblättern bestrichen.«
»Du behauptest also, dich mit Pferden besser auszukennen als der Verwalter.« Er stieß ein meckerndes Lachen aus.
Alines Mund war ganz trocken. »Ich habe von meiner Mutter viel über Heilkunde gelernt«, flüsterte sie. »Sieh an, du bist also das widerspenstige Ding von dem Gut bei Salisbury.« Wieder musterte er sie abschätzend. »Wie alt bist du?«
»Fast zwölf, Herr.« Sein Blick war ihr unangenehm. Sie sah zu Boden.
Guy d'Esne fasste sie unter dem Kinn und hob ihren Kopf hoch, sodass sie ihn anschauen musste. »Wenn man sich den Schmutz wegdenkt, bist du recht hübsch mit deinem blonden Haar, den braunen Augen und dem herzförmigen Gesichtchen. Obwohl du ein bisschen mager bist. Ich werde Fulk befehlen, dass er dir mehr zu essen gibt.« Seine Finger wanderten über ihre Wange, dann zu ihren Lippen. Aline begann zu zittern. Was wollte er von ihr?
»Genau genommen bist du die hübscheste Leibeigene, die mir seit langem auf Thorignys Gütern begegnet ist.« Ein Glitzern trat in seine Augen, das Aline noch mehr erschreckte. Sein nach Most und Zwiebeln stinkender Atem ging schneller.
Ehe sie reagieren konnte, versetzte er ihr einen Schubs, der sie rücklings in das Stroh fallen ließ. Im nächsten Moment kniete er auf ihr und machte sich an seiner Hose zu schaffen. Ihr wurde übel, als sie begriff, was er vorhatte. »Nein«, flehte sie. »Bitte nicht ... Lasst mich gehen.«
Er lachte nur, spreizte grob ihre Beine und zerrte ihren Kittel hoch. »Bitte ... «, wimmerte sie wieder.
»Stell dich nicht so an.« Das Messer, mit dem sie die Binsen geschnitten hatte, lag bei dem unruhig schnaubenden Braunen. Weit außerhalb ihrer Reichweite ... Verzweifelt bäumte sie sich auf und fuhr Guy d'Esne mit den gekrümmten Fingern ins Gesicht. Ihre Nägel hinterließen rote Kratzer auf seiner Wange.
»Verdammte Katze!« Er versetzte ihr eine brutale Ohrfeige. Sein Gewicht raubte ihr fast den Atem. Nein ... Aus den Augenwinkeln sah Aline den Griff einer Waffe, die in seinem Gürtel steckte. Ihre Hand schloss sich um den Schaft. In dem Moment, als Guy d'Esne in sie eindringen wollte, rammte sie den Dolch tief in seinen Oberschenkel.
Er brüllte auf und krümmte sich. Es gelang ihr, sich unter ihm hervorzuwinden. Mit einem Aufschrei fasste er nach ihr und bekam sie am Ärmel ihres Kittels zu fassen.
»Verfluchte Hexe, das wirst du mir büßen!« Sein teigiges Gesicht war wutverzerrt. Schluchzend riss sie sich los. Er versuchte, aufzustehen und ihr nachzusetzen. Das verletzte Bein gab jedoch unter ihm nach, und er stolperte. Ehe er noch einmal nach ihr greifen konnte, hatte sie die Stalltür hinter sich zugeschlagen und den Riegel vorgeschoben.
Während sie weinend davonrannte, hörte sie Guy gegen die Bretter hämmern und wüste Verwünschungen ausstoßen.
Copyright © dieser Ausgabe 2011
by Wilhelm Goldmann Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
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Autoren-Porträt von Beate Sauer
Beate Sauer, geboren 1966 in Aschaffenburg, studierte Philosophie und katholische Theologie in Würzburg unf Frankfurt/Main. Seit 1997 lebt und arbeitet sie als Autorin in Köln.
Bibliographische Angaben
- Autor: Beate Sauer
- 2011, 446 Seiten, Maße: 11,8 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Goldmann
- ISBN-10: 3442468264
- ISBN-13: 9783442468263
Rezension zu „Am Hofe der Löwin “
"Viefalt an Emotion, Dramatik und Detailliebe."
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