Amanda
Amanda von Irmtraud Morgner
LESEPROBE
1. KapitelHölle und Himmel
In altenZeiten, als das Wünschen noch geholfen hat, gab es überhaupt keine halbiertenFrauen.
Dann kamder Fortschritt mit seinen Kriegen. Die großen Kriege waren eine Fortsetzungder kleinen Kriege mit anderen Mitteln. In den alltäglichen kleinen Kriegenzwischen Mann und Frau siegte gewöhnlich der Mann. In den großen Kriegen hattenbeide die Chance zu verrecken.
Als in derMitte des zwanzigsten Jahrhunderts der zweite Weltkrieg zu Ende war, glaubtenviele Überlebende: Das war der letzte auf Erden. Besonders junge Überlebendeglaubten es. Das Wunder, dem Inferno heil entronnen zu sein, begünstigte Wunderglauben.Zudem verschafft die Pubertät jedem Menschen die schöne Illusion, der zu sein,mit dem die Welt erst wirklich anfängt.
LauraSalman, Tochter des Lokführers Johann Salman und seiner Hausfrau Olga, warzwölf Jahre, als der zweite Weltkrieg zu Ende kam. Der Anfang nach dem Ende mußihr als Ereignis natürlicher Zauberei erschienen sein, weshalb ihr Gedanken ankünstliche zunächst überflüssig erschienen.
Ich eröffnemein Lebenswerk mit einer Erinnerung aus dem Jahre 1971. »Das Ende war derAnfang meiner größten Illusion«, gestand mir Laura damals frank auf freierStraße.
Ich hattedie Frau eben als Spielfrau angestellt. Die Straße führte auf den Platz derAkademie, vormals Gendarmenmarkt.
»KomischerAnfang«, sagte Laura lachend. Sie lachte nur bei ernsten Gelegenheiten, dashatte ich bald heraus. Aber vom Geheimnis ihres Lebens habe ich bis zu meinerBeerdigung nichts erfahren. Erst der Roman dieser Morgner hat geplaudert. AusDummheit? Aus Naivität?
DasGeständnis Lauras fand jedenfalls in Berlin statt. Am Abend einesHerbstäquinoktiums. Wir bevorzugten Berlin-Mitte für intime Gespräche, da dieCity zu abendlicher Stunde Qualitäten einer abgelegenen Gegend erreicht.Während solcher Gespräche wurde reichlich spaziert und knapp geredet. »Dieersten Tage nach dem 8. Mai - schlaraffig«, behauptete Laura. »Rundwegschlaraffig - natürlich nicht fürn Bauch. Der knurrte. Aber der Kopf und dieanderen Schamteile alle Art. Wer sich die in seinem Leben mal hat wirklichfüllen können, bleibt für Dressuren ungeeignet. Weil ich nämlich eine Pauseerlebte: Die Welt stand dir sage und schreibe ein Weilchen auf dem Kopf.Kennstudas?«
Ich kanntedie Äquinoktien als Zeitpunkte, da für alle Orte der Erde Tag und Nacht gleichsind. Ich wußte, daß die Straße, durch die wir spazierten, Charlottenstraßehieß. Und da Laura nicht lachte, vermutete ich einen Witz und sagte das. Laurasagte »Kamuff« und ähnliche Schroffheiten, die sich ihres Wohlgefallens undihrer Sammelinteressen erfreuten. Später erkundigte sie sich, ob meinePhantasie für die Vorstellung von einer schönen Art Himmelreich hinlänglichwäre, »jaodernein? «
Da ichzauderte, mich festzulegen, gab mir Laura Hilfestellung und verlangtegeometrische Kenntnisse. Am schnellsten käme ich nämlich auf den Trichter, wennich mir eine Pyramide vorstellte, dreiseitig, vierseitig, n-seitig, auf dieZahl der Seiten käme es nicht an. Aber auf Spitze und Grundfläche. Die Spitzemüßte ich mir von Paukern gebildet vorstellen. Nicht zu verwechseln mitTrommlern. Und bitte keine Beschränktheit auf Schulpauker. Großzügig müßtegedacht werden, an alle Sorten also, auch an gewisse Mitbewohner des Hauses, indem Lauras Eltern seit 1934 in C. gemietet hatten, auch an gewisse Nachbar‑
schaftensowie den Pfarrer, den lieben Gott, den Teufel und je nach dem prompt LaurasVater Johann. Die Grundfläche der Pyramide: alle Kinder des sächsischenGroßstadt-Vororts, Laura mittendrin. Die Füllung zwischen Spitze undGrundfläche: Frauen. Dideldudelknölle-fertig-istihölle.
»SchönesHimmelreich«, bestätigte ich, »aber für so was brauch ich keine Hilfestellung.Die Art jät ich dir zu jeder Tages- und Nachtzeit aus meinem Schädel. « Ichlegte einen Schritt zu. Laura mir nach. Murrend. Vorm verfallenen Eckhaus, indem einst der Dichter Ernst Theodor Amadeus Hoffmann gewohnt hatte, holte michLaura ein und stellte die Pyramide auf den Kopf. Ich glotzte. Laura:»Dideldudelkimmelseich-fertigistdashimmelreich.«
Übrigensauch so eine wunderliche Angewohnheit von ihr, diese Sprüche. Hätten mireigentlich zu denken geben müssen. Aber wahrscheinlich reichen für den Menschennicht mal achthundertdreiundvierzig Lebensjahre, um durchzusehen.
Laura halfalso wieder. Und ich sah zunächst wieder nur das Nächstliegende: Zaun. DerPlatz der Akademie war damals eingezäunt. Hinter den Latten, von Goldrutenumwuchert, gemauerte Baracken, Baubuden auf Rädern, Zinkblechteile, Schalholz,Ziegel, Steinplatten, liegende, in durchsichtige Plastfolie gehüllte Statuenund die teilweise eingerüstete Front des ehemaligen Schauspielhauses. DieFreitreppe vorm Säulenportikus war abgedeckt als Schuttrutsche in Gebrauch.Die Reliefs im rechten Giebelfeld fehlten noch. Auf den Treppenpodestenvollständige Bronzegenien, auf Panther beziehungsweise Löwin reitend. DieGoldrute war frostschwarz.
»NärrischeSprüche«, sagte ich. »Närrische Zeiten im Ernst«, sagte Laura. »Aber eben kurz.Leider nur ganz kurz wie jeder lichte Augenblick. Ich erlebte ihn auf demBleichplan und im Hof. « Laura sah sich mehrmals um. Der Platz lag still unterBaustellenbeleuchtung. Das Licht hob die Domruinen flächig aus der Dunkelheit.Beide Dome waren von Rasenanlagen umgeben. Die Luftschachtgitter in derRasenanlage des Deutschen Dorns ließen Stickluft fahren und in AbständenSchienenstöße. Um die Zeit verkehrten die U-Bahnzüge zwischen Pankow und Thälmannplatzaller zwanzig Minuten.
Plötzlichunflätiges Gelächter rein in die Stille. Der Hieb von Laura.
Sie hattesich auf die Rasenanlage des Französischen Dorns gepflanzt und kam erst wiederetwas zu Anstand, nachdem ich ihrem Beispiel gefolgt war.
Ich folgtewiderwillig. Laura wälzte sich. Um mir zu zeigen, wie sie sich damals gewälzthätte. Auf dem Bleichplan so und so von einem Zaun zum anderen. Hinter denHofzäunen Ruinenfassaden, auf die unter anderem mit Kreide geschrieben gewesenwäre: »Olga, Laura, lebt ihr?« Als Lauras Kleider rundum grasgrün gewesenwären, hätte sie mit einem Ziegelbrocken daneben gekratzt: »Gewaltig«. Dasgeschah mittags nach der bedingungslosen Kapitulation. Und dann lebten Lauraund ihre Freundin so weiter. Immer so weiter vierzehn Tage lang auf einemKriegsschauplatz. Der Bleichplan wäre nämlich der Ersatzkriegsschauplatz fürdie Hauspauker gewesen. Wobei der Bleichplan verglichen mit dem Hof noch wenigBrisanz hergegeben hätte. Das Betreten des Plans war Kindern nämlich glattverboten, das heißt mit Vorhängeschloß. Da der Hausbesitzer das Gatter und dieanderen Zaunlatten zudem mit Nägeln hatte spicken lassen, konnten die HerrenSchreibart, Broker und Klotz Bleichplandelikte fast nur an Untererwachsenenahnden. Ulanen, Steuerrevisoren, Volkssturmmänner, Feldwebel und Hausverwaltergehörten zu den Obererwachsenen. Eine Sorte, die sich selbstverständlich wiederin sich gliederte. Die Gliederung war aus der Reihenfolge der Aufzählung zuersehen. Klarer Fall, daß Ulanenfeldwebel a. D., Steuerrevisor undVolkssturmmann Schreibart dreimal soviel zählte wie der gemeine Unteroffiziera. D. Broker und Broker wiederum mindestens dreimal soviel wie derScheißzivilist Klotz, auch wenn der als Hausverwalter mit Hausbesitzersverkehrte. Die Obererwachsenen hätten untereinander auf Abstand geachtet undauf Ordnung. Nach der Devise: getrennt wohnen, vereint zwiebeln. »Hinterm Mondsein ist schon schlimm«, sagte Laura. »Aber immer und ewig hinter der Sonne ...wo war sie eigentlich heute?«
Icherklärte, daß die Sonne zur Zeit der Tag- und Nachtgleiche in ihrer scheinbarenBahn im Schnittpunkt der Ekliptik mit dem Himmelsäquator stünde. DerSchnittpunkt, in dem die Sonne vom Süd- zum Nordhimmel wechselte, hießeFrühlings- oder Widderpunkt, der Gegenpunkt Herbstpunkt.
»Widderpunkt«,gröhlte Laura und verteilte wieder Gelächter- hiebe in die Stille. »Widder,haha, Böcke, gehörnt hab ich die Stinktiere, von Ehefrauen gehörnte Kerle sindfad dagegen, und ich war ein Kind, wir waren Kinder und plötzlich ganz groß inder Sonne und die Hornviecher plötzlich ganz klein mit Hut hahaha, mit Butterauf dem Kopf, so was von Sonne hast du nicht erlebt ...«
Ich saßsteif. Bemüht, die Auflagefläche so klein wie möglich zu halten. Denn ichwußte, daß Grasflecken indanthren sind. Außerdem sah der Rasen gepflegt aus.
Laurabeobachtete meine Bemühungen mit verächtlichen Blikken. Sie war nicht halb sozahm wie im Roman beschrieben. Das Buch der Morgner stinkt nach innerer Zensur.Und trotzdem steht noch zu viel drin. Fürn Teufel zu viel, für Menschen zuwenig.
Auf demRasen des Deutschen Dorns nannte Laura den Teufel und den lieben GottPaukerpopanze. Im Gegensatz zu den anderen Paukersorten würde die Popanzsortean die Wand gemalt.
Wenn Kinderbeim Malen von Ballzielkreisen auf die Hofwand erwischt worden wären, hätte derHausverwalter Klotz Kopfnüsse verteilt und gebrüllt »geht aus der Sonne«, wasso viel hieß wie »verschwindet«. Laura beschrieb seine Inbrunst beim Verteilen.Dann beschrieb sie inbrünstig den Aufstand in Schutt und Asche. Rundum Ruinen,die ganze Stadt ein Trümmerhaufen und Maisonne nach dem Kalender. Abertatsächlich himmelweit von diesem Frühlings- oder Widderpunkt entfernt; tatsächlichhochsommerlich und schamlos und krachend. Aber nur für Laura und deren FreundinInge. Die Erwachsenen wären weiter im Gemäuer rumgekrochen. Auch dieUntererwachsenen. Obgleich gerade die nicht schlechter vom Kellerrheumagezwackt gewesen wären als die Kinder. Und gegen Rheuma hülfe bekanntlich Sonnebesser als Rotlicht.
Zu denUntererwachsenen zählten die Frauen - auch gegliedert selbstverständlich. Wenndie Frau vom Frontgefreiten erster Stock links die Wäsche dampfend auf den Plangebreitet hätte, so daß auf vergilbte Rasenflächen zu hoffen war, hätten diePauker lediglich von den Balkonen gehustet oder sich gegenseitig Vögel aufihren Stirnen gezeigt. Wenn jedoch die Wäsche vom alten Fräulein Röhr gegenAbend noch nicht vom Rasen gewesen wäre, hätten sich die Pauker »Nachtbleiche«zugerufen, von ihren Balkonen gespuckt und einander versichert, daß NachtbleicherVolksverräter wären, die Feindbomber anlockten. Da Lauras Mutter nicht genaugewußt hätte, in welche Kategorie der Gliederung sie als Lokführersfrau gezähltworden wäre, hätte sie sich die Rasenbleiche versagt und Leinenbleiche betrieben.Trotzdem hätte sich auch Olga Salman wie alle anderen Frauen der Mietparteienim fünfundvierziger Mai nur bis in den Hausflur getraut. ( )
© VerlagFaber & Faber
- Autor: Irmtraud Morgner
- 2007, unveränderte Neuauflage, 680 Seiten, Maße: 13,5 x 20,8 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Faber & Faber, Leipzig
- ISBN-10: 3867300607
- ISBN-13: 9783867300605
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