AnarchoShnitzel schrieen sie
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Anarchoshnitzel schrieen sie von Oliver Maria Schmitt
LESEPROBE
Mein Doktor und die DDR
Wir waren irgendwo vor Eisenach, amRande der alten BRD, als die Angriffe begannen. Ich weiß noch, daß mein Arzt seltsame Sachen rief wie: «Mir zieht es die Schädeldeckeweg, ich krieg Panikattacken, überall diese Scheißviecher in der Luft, derverdammte Osten macht mich wieder fertig! Alarm!» Und plötzlich spürte ich esauch: Vor mir, über mir und um mich herum hing ein schrilles, ein kreischendesund trommelfellzerschredderndes Sägen in der Luft.Überall schwirrten komische Mistviecher, ich weiß nicht mehr, Mücken oder Käferoder Fledermäuse. Ich schwitzte. Fack!
Mir war, als würde mein Gehirn durcheine Kaffeemühle gedreht. Ich wurde völlig neurasthenisch, allein schon vomAnblick meines Arztes: Er war von Zuckungen befallen, hatte Schaum vor dem Mundund schrie: «Blendgranaten! Sperrfeuer! Der Mob will uns lynchen, aaargh!»
Mörderisch wummerndes Baßbrummen und grelle Fanfarenstöße kündigten unser Endean, infernalisches Geschrei und Geheule des Jüngsten Gerichts tobte in unserem dahinschießenden Wagen. Kam wahrscheinlich von draußen. Dasmuß der aufgepeitschte Ostmob sein, dachte ich, deruns nach dem Leben trachtet. Ich kannte mich ja nicht aus und vertraute Dr.med. Hollenbach, der panisch den Knopf für die Zentralverriegelung auf demWurzelholzarmaturenbrett suchte. «Wir müssen uns einschließen, die machen unsalle, todsicher!» schrie er. Hatten wir überhaupt eine Chance?
«Scheiße, o heilige Schweinescheiße»,jammerte ich und drohte mit der Faust nach draußen. «Ihr Mistkäfer, ihr verfackten! Verpißt euchgefälligst! Laßt mich und meinen Kumpel und unserschönes Auto in Ruhe!»
Der Wagen stoppte ruckartig, alswäre er gegen eine Wand gefahren. Der Lärm verstummte. Mit einem deutlichenZischen atmete die Hydraulikfederung aus, der Motor soff ab, und eine weiblicheStimme sagte: «Wagen in Ruheposition.»
Alles war friedlich und still. WederMücken noch Käfer, noch Fledermäuse, nichts.
Ich war verblüfft. Dr. Hollenbachkomischerweise nicht. Mit einer eleganten Handbewegung wischte er den Schaumseines übergeschwappten Dosenbieres von Windschutzscheibe, Armaturenbrett undMund und trötete triumphierend:
«Linguatronic!Ich hab dich gewarnt, Zombie, du hättest die Sprachsteuerung deaktivierensollen. Es bringt nichts, wenn man einem Auto ins Fahren reinredet.»
«Laß dasmit dem Zombie», sagte ich.
«Wagen in Ruheposition», schnarrtedie Computerdame.
«Soll die Fahrt fortgesetzt werden?»
«Halt die Klappe.» Ich drehte ihrden Saft ab. Hinter uns hupten mürrische Ostler. Wir standen mitten auf derBundesstraße.
«Hab dir ja gleich gesagt, daß Einstürzende Neubauten uns schlecht draufbringen.» Der Doktor dozierte nun äußerst zufrieden: «Dasist keine Musik zum Autofahren, die sind ja selbst alle bekloppt geworden. Blixa Bargeld kocht bei Biolek und läßtsich von Goethe-Instituten alimentie- ren, dieser Wichser, dem polier ich noch mal die Fresse.Und den Mistviechern auch, wenn sie uns wieder angreifen.»
Suchend blickte er um sich, doch dieViecher blieben verschwunden. «Die können von Glück sagen, daßwir sie uns nur eingebildet haben.» Er schaute prüfend auf das leereTablettenröhrchen in seiner Hand, dann auf mich. «Los, fahr weiter, aberschnell, damit wir dieses Scheißland endlich hinter uns haben.»
Der hatte gut reden. Wir hatten janoch alles vor uns! Durch das getönte Panzerglas sah ich nach draußen. Esschiffte gottserbärmlich. Da war gar nichts, nichtmal Landschaft.
«Ist das schon der Osten?»
«Glaubst du etwa, man hätte uns imWesten angegriffen? Gib Gas, Zombie.» «Laß das mitdem Zombie.»
«Rotscher, Zombie.»
«Arschloch.»
«Sag ich doch. Prost!»
Er hatte die Ein-Liter-Faxe-Dosemittlerweile wieder unter seinem beheizten Nappaledersitz hervorgeklaubt. EinSchluck war wohl noch drin. Im Dosenumdrehn wurde erGeschichte.
Es war schon fast Mittag, undTausende Kilometer lagen noch vor uns. Vielleicht sogar mehr, ich wußte es nicht. Ich war ziemlich verstört, denn ich hattenicht damit gerechnet, daß Ostdeutschland sogefährlich werden würde. Insgesamt war ich ja guter Dinge: Auf uns wartete einechtes Abenteuer und am Ende vielleicht sogar erotische Erfüllung oder auchsehr viel Geld - obwohl Geld war kein Argument, davon hatte ich genug. In denletzten fünfzehn Jahren hatte ich jedenfalls alle Gelegenheiten verstreichenlassen, auch nur einen Fuß ins Beitrittsgebiet zu setzen. Es interessierte micheinfach nicht.
«Paß auf,was ich sage», raunte verschwörerisch mein Arzt und nahm die leere Bierdose vomSchoß, um mir damit zu drohen. «Du mußt vorsichtigsein, du warst noch nie in der Zone. Ich dagegen kenne das Leben dort, ich warim Osten auf Tour, in allen großen und kleinen Städten, mit Rockbands undSchlagerkapellen. Deshalb laß dir eines gesagt sein:Was immer auch passiert und egal, was diese Mesotypenda draußen auch machen - die Verhandlungen führe ich, verstanden? Ichweiß, wie die ticken.»
Rasselnd atmete er durch, zündetesich eine an, inhalierte nachhaltig und scannte die Gegend. Lautlos zischte siean uns vorbei.
«Wird es gefährlich werden?»
«Der Osten ist gefährlich.»Doktor Hollenbach knetete selbstvergessen den Filter seiner Kippe und setztehinzu: «Aber man kann ihn überleben. Ich selbst bin der Beweis.»
Der Beweis machte sich an dem Kabelzu schaffen, das von seinem iPod zurMultimedia-Konsole des Wagens führte, rasterte einen Titel ein, drückte die Play-Taste - und die auf sechzehn Membranen und Kalottenverteilten zig Millionen Watt im Gehäuse unseres rubinschwarzen Mercedes-Bombers ballerten los: «Lets lynch the landlord, man!» schrie Jello Biafra, und die DeadKennedys ließen es laufen. Eine amtlich verzerrte Gitarre gab das Tempovor, das für Kennedys-Verhältnisse nochlangsame Schlagzeug purzelte rein, und der berühmte, später von den TotenHosen geklaute Baßriff sorgte für das Gerüst derglamourösen Punkhymne. Wütend sang Biafra vom unangemeldeten Hausbesuch seinesVermieters, von den Schaben und Ratten in der abgewrackten Wohnung, vom Regen,der durch die Decke kommt, und dem Backofen, der nach Dachau riecht.
Meine Ost-Panik war fürs erstegebannt, ich atmete durch, und überall im Wagen waberte nun einKlangwolkenmischmasch aus zerbröseltem Gitarrengekreische, Altherrenpunk undwilder Wut auf irgendwas. Die Musik war schnell und hart und duldete keinenWiderspruch, schon gar nicht von mir.
«Sachma»,fragte Dr. Hollenbach, «bist du eigentlich noch Punk?»
Was für eine Frage! Sah man das dennnicht? Doch gerade als ich meinen Arzt mit wüsten Beschimpfungen für dieseImpertinenz überziehen wollte, fiel mir keine rechte Antwort ein. Punk. Wannwar man denn einer? Und wann keiner mehr? ()
© Rowohlt Verlag
- Autor: Oliver Maria Schmitt
- 2006, 1. Auflage., 352 Seiten, Maße: 12,8 x 21 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Rowohlt, Berlin
- ISBN-10: 3871345555
- ISBN-13: 9783871345555
- Erscheinungsdatum: 22.09.2006
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