Andreas Franz Krimi-Box
Die Peter-Brandt-Reihe. Vier Bände im Schuber.
Schreiben war von jeher die Leidenschaft von Andreas Franz. Bereits sein Debütroman "Jung, blond, tot" zog Krimifans in seinen Bann. Dann folgte Bestseller auf Bestseller. Am 13. März 2011 starb Andreas Franz an Herzversagen.
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Produktinformationen zu „Andreas Franz Krimi-Box “
Schreiben war von jeher die Leidenschaft von Andreas Franz. Bereits sein Debütroman "Jung, blond, tot" zog Krimifans in seinen Bann. Dann folgte Bestseller auf Bestseller. Am 13. März 2011 starb Andreas Franz an Herzversagen.
Ein Muss für alle Fans des Offenbacher Hauptkommissars Peter Brandt und seiner Vorgesetzten, der Staatsanwältin Elvira Klein!
- Tod eines Lehrers: Oberstudienrat Schirner wird ermordet. Der Pädagoge war beliebt und glücklich verheiratet. Doch dann stellt sich heraus, dass an Schirners Gymnasium Dinge vorgingen, die keinesfalls für die Öffentlichkeit bestimmt waren.
- Mord auf Raten: Der Arzt Jürgen Kaufung wird in seiner Praxis aufgefunden - erstochen. Kurz darauf wird auch der Hauptverdächtige umgebracht. Brandt legt sich wieder einmal mit Elvira Klein an.
- Schrei der Nachtigall: Landwirt Wrotzek stürzt vom Heuschober - Genickbruch. Ein Unfall? Niemand scheint seinen Tod zu bedauern.
- Teufelsleib: Brandt und seine Freundin Elvira werden mit einem mysteriösen Mordfall konfrontiert: In der Hand des Opfers findet man einen Olivenzweig, im Mund eine Olive und eine Taubenfeder
"Krimis von Andreas Franz legt man nicht so schnell aus der Hand - da lasse ich zu Hause das Telefon oft einfach klingeln..."
JACQUELINE SCHÄDLICH, WELTBILDFILIALE CHEMNITZ
Lese-Probe zu „Andreas Franz Krimi-Box “
Tod eines Lehrers von Andreas FranzDienstag, 11. Februar, 23.05 Uhr
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Rudolf Schirner hatte sich bereits seine Schuhe angezogen, wartete auf Wickerts obligatorisches Abschlusswort »Das Wetter« und sah sich als letzten Teil der Tagesthemen noch den Wetterbericht an, der auch für die nächsten Tage fast arktische, trockene Kälte mit viel Sonnenschein und sternenklare Nächte prognostizierte. Henry, sein Golden Retriever, lag neben dem Sessel, die Ohren gespitzt. Der Hund wusste, es war nur eine Frage von Minuten, bis sie ihr abendliches Ritual beginnen würden, er wartete nur noch auf die Schlussmelodie der Nachrichtensendung. Sie würden ziemlich genau eine Dreiviertelstunde laufen, hinüber zumWald, und wie meist im Winter würden sie auch heute Nacht keinem Menschen mehr begegnen, denn in dieser Gegend ließ man mit Einbruch der Dunkelheit die Rollläden herunter, schloss die Haustüren ab und setzte sich vor den Fernseher oder las oder machte irgendetwas anderes, etwas, das man gerne in solchenWinternächten tat.
»Auf geht's, mein Lieber.« Schirner gab Henry einen leichten Klaps auf den Rücken. »Dann wollen wir mal.« Er schaltete mit der Fernbedienung den Fernsehapparat aus und erhob sich. Die Tischlampe ließ er brennen. Henry wedelte aufgeregt mit dem Schwanz und blickte seinen Herrn erwartungsvoll an. »Ist ja gut, wir gehen gleich. Aber erst zieh ich mir meinen Mantel und meinen Schal an, draußen ist es nämlich noch immer ziemlich kalt«, sagte Schirner liebevoll. Seine Frau Helga und sein Sohn Thomas schliefen längst, Carmen, die zwanzigjährige Tochter, studierte seit Oktober in Frankfurt, wo sie sich kurz vor Weihnachten gegen seinen Willen eine Wohnung genommen hatte und jetzt nur am Wochenende, an Feiertagen oder zu bestimmten Anlässen wie Geburtstagen nach Hause kam, obwohl sie gerade einmal eine gute halbe Stunde entfernt wohnte. Er hatte mit Engelszungen auf sie eingeredet, aber Carmen wollte sich nicht umstimmen lassen. Frankfurt, die Stadt des Lasters und der Verbrechen, so hatte er argumentiert, sei nichts für eine junge Frau, die praktisch auf dem Land groß geworden sei, denn als solches empfand er die geborgene Umgebung von Langen, wo er selbst schon seine Kindheit verbracht hatte und wo seine Wurzeln lagen. Doch alle Argumente hatten nichts geholfen, sie hatte dagegengehalten, dass es für alle besser sei, wenn sie in Ruhe studieren könne, wenn nicht der Krach lauter Musik aus Thomas'Zimmer komme oder ihre Mutter frage, ob sie dies oder jenes erledigen könne. Es war ein zeitaufwendiges Studium. Sie war im zweiten Semester, dreimal in derWoche hielt sie sich bis mindestens zwanzig Uhr in der Uni auf, manchmal sogar länger. Sie studierte Theologie, wozu auch die Fächer Latein, Altgriechisch und Hebräisch gehörten. Und Rudolf Schirner war, auch wenn er es nie zugeben würde, auf eine gewisse Weise stolz, eine Tochter zu haben, die sich nicht für einen dieser, wie er es nannte, profanen Studiengänge wie BWL oder Soziologie entschieden hatte, obgleich er es gerne gesehen hätte, wenn sie in seine Fußstapfen getreten wäre, um später als Lehrerin zu arbeiten. Doch ihr großes Ziel war es, eines Tages eine Gemeinde zu übernehmen und jeden Sonntag von der Kanzel zu predigen und sich um die großen und kleinen Sorgen und Nöte der Mitglieder zu kümmern. Sie schlug aus der Art, und er hatte keine Erklärung, warum es ausgerechnet Theologie sein musste, wo doch sonst keiner in der Familie mit Religion viel am Hut hatte. Aber Carmen war schon immer eine Einzelgängerin gewesen. Sie hatte bereits als Kind und Jugendliche die Bibel mehrfach geradezu verschlungen, war eifrig in die Kirche gegangen, hatte ihre Freizeit fast vollständig in den Dienst der Gemeindearbeit gestellt, und überhaupt schien Gott und die ihn umgebende mystische Aura, wie Rudolf Schirner es etwas abfällig bezeichnete, eine für ihn unerklärliche Faszination auf seine Tochter auszuüben. Jetzt lebte sie zusammen mit einer Kommilitonin in einer erstaunlich preiswerten, aber schmucken Zweizimmerwohnung in Uni-Nähe, telefonierte einmal täglich kurz mit ihrer Mutter, um ihr mitzuteilen, dass es ihr gut gehe, aber ansonsten sah und hörte man recht wenig von ihr. Rudolf Schirner, fünfzig Jahre alt und einszweiundachtzig groß, dessen blondes, streng zurückgekämmtes Haar inzwischen licht geworden war, legte einen dicken Schal um seinen Hals, zog sich seinen Mantel über und leinte Henry an. Er liebte seinen Hund und die morgendlichen und nächtlichen Spaziergänge, während deren er sich entweder auf den Tag vorbereiten oder nach getaner Arbeit abschalten konnte. Er zog leise die Tür hinter sich ins Schloss, nicht ohne vorher die Außenbeleuchtung angemacht zu haben, trat durch das Gartentor auf den Bürgersteig, ging vom Rotkehlchenweg hundert Meter geradeaus, bis er zur Hauptstraße kam, überquerte diese und bog nach weiteren fünfzig Metern rechts in denWald ab, der linker Hand zum größten Teil zum Schloss Wolfsgarten gehörte und von einem scheinbar endlosen Zaun umgeben war. Die ersten Meter waren übersichtlich, doch nach gut hundertfünfzig Metern kamen die dicht an dicht stehenden Bäume, dazwischen über die Jahrzehnte und Jahrhunderte entstandenes Unterholz und zwei kleinere, weniger gut begehbareWege, die nach rechts abzweigten. Die Temperatur war auf minus zwölf Grad gesunken, ein eisiger, böiger Wind, der aus allen Richtungen zu kommen schien, fegte übers Land, der Himmelwar sternenklar, noch drei Tage bis Vollmond, der schon jetzt nur noch eine kaum erkennbare dunkle Kontur an der äußersten linken Seite aufwies. Alleswar gefroren, der harte Boden knirschte leise unter seinen Schuhen. Er musste mehrfach kurz anhalten, damit Henry seine üblichen Markierungen machen konnte. Seit er hier wohnte, verging kein Abend, an dem er nicht mit dem Hund diese Strecke lief. Er tat dies mit ausgreifenden Schritten, seine Art, sich fit zu halten. Während der ersten Minuten ließ er den Tag Revue passieren und dachte auch an morgen, wenn er sechs Stunden am Stück unterrichten musste. Sein Beruf machte ihm Spaß, der Umgang mit den Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die an seiner Schule zum Glück noch so etwas wie Anstand und Respekt vor den Lehrern bewiesen. Seit fünfundzwanzig Jahren war er an der Schule, seit vierzehn Jahren Oberstudienrat, im fünften Jahr hintereinander Vertrauenslehrer, und vor drei Jahren wurde er zum stellvertretenden Direktor ernannt. Er unterrichtete Mathematik, Physik und Ethik, wobei sein Ethikkurs wesentlich stärker frequentiert war als der zeitgleich stattfindende Religionsunterricht seinesKollegen Baumann, der sich zwar redlich bemühte, es aber nicht schaffte, den beinahe erwachsenen Jugendlichen Gott und alles, was damit zusammenhing, wirklich nahe zu bringen. Für Schirner selbst war Gott nur eine Fiktion, etwas, das sich die Menschen im Laufe der Jahrtausende zusammengebastelt hatten, woran sie sich klammern konnten, das nicht greifbar war, weil es nicht aus Materie bestand,wovon sie sich aber erhofften, Es oder Er würde ihnen in Zeiten der größten Not beistehen. Schirner tat dies als Blödsinn ab, für ihn gab es keinen Gott, keinen Christus, zumindest nicht so, wie in der Bibel beschrieben und in späteren Zeiten glorifiziert. Er glaubte auch nicht an ein Jenseits, ein Leben nach dem Tod oder Wiedergeburt. Für ihn, einen überzeugten Existenzialisten und Atheisten, wurde man geboren, lebte und starb, um irgendwann zu Asche zu zerfallen. Seine Tochter Carmen dagegen war fest von der Existenz Gottes überzeugt, und er würde einen Teufel tun, sie davon abzubringen. Er hatte versucht ihr klar zu machen, dass es unmöglich einWesen geben könne, das zum einen im ganzen Universum und zum andern in jedem Einzelnen existierte. Das sei mathematisch und physikalisch schlicht unmöglich. Sein Versuch war fehlgeschlagen, und jetzt sollte sie ihren eigenen Weg gehen, und sicher würde sie eines Tages jene bittere Erfahrung machen, die ihr zeigte, dass sie nichts als einer Fata Morgana nachgelaufen war. Er ging seit zehn Minuten mit leicht gesenktem Kopf in Gedanken versunken durch die mondhelle Nacht, Henry blieb zum x-ten Mal stehen, um das Bein zu heben, als Schirner eine dunkle Gestalt erblickte, die plötzlich aus dem zweiten Weg rechts um die Ecke kam. Schirner zog die Stirn in Falten und kniff die Augen zusammen - nur sehr selten traf er um diese Zeit noch einen andern Menschen an -, doch er hatte keine Angst, denn dies war eine sichere Gegend mit anständigen Bewohnern, und so gutmütig Henry auch war, so argwöhnisch verhielt er sich Fremden gegenüber. Die Gestalt kam näher, Schirner erkannte die Person, die leichte Anspannung wich, und ein Lächeln zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. »Hallo«, sagte er freundlich, »so spät noch unterwegs?« »Ich konnte nicht schlafen. Noch 'ne Runde mit Henry drehen? «
»Wie jeden Abend. Ganz schön kalt, was?« »Hm. Wenigstens ist es eine trockene Kälte, und damit verschwindet hoffentlich endlich mal das Ungeziefer. Ich muss jetzt aber los, mein Bett ruft. Schönen Abend noch«, sagte die ganz in Schwarz gekleidete Person, die von Henry, der an einem Baum schnüffelte, erst freudig begrüßt und jetzt nur noch nebenbei wahrgenommen wurde, ging weiter, blieb aber einen Moment später stehen, drehte sich um, kam noch einmal auf Schirner zu und sagte: »Ich hab was vergessen. Nur eine Frage ...«
»Ja, was ...« Zu mehr kam Schirner nicht, er sah nicht den blitzschnell geführten Stoß kommen, die lange silberne Klinge, die ihn unvermittelt in den Bauch traf, immer und immer wieder. Er hatte die Augen weit aufgerissen, ein Stich nach dem andern drang in seinen Bauch und seine Brust. Ihm wurde schwindlig, er hatte das Gefühl, als würde er von allen Seiten attackiert, aber er nahm nur dieses eine Messer wahr. Alles um ihn herum verschwamm, er sank zu Boden, Blut rann aus seinem Mund, er bäumte sich noch dreimal auf, bis ein langes Zucken durch seinen Körper raste und auch dieses letzte Lebenszeichen aufhörte und Schirner mit gebrochenen Augen dalag. Henry jaulte kurz auf und leckte dann über das tote Gesicht seines Herrn, bis ihm ein paarmal freundschaftlich auf die Schulter geklopft und er weggeführt wurde. »Komm, wir rennen ein bisschen, damit uns warm wird. Es ist wirklich schweinekalt. «
Mittwoch, 6.24 Uhr
Peter Brandt, Hauptkommissar bei der Mordkommission Offenbach, zuständig für den Bereich Südosthessen, der von Bad Orb, Schlüchtern über Seligenstadt bis hinunter nach Langen reichte, wurde vom Telefon geweckt. Er blickte mit verschlafenen Augen zur Uhr, stieß einen derben Fluch aus, nahm den Hörer vom Apparat auf seinem Nachtschrank und meldete sich mit einem mürrischen und knappen »Ja?«. »Hier Krüger, KDD. Schwing dich aus den Federn, Alter, es gibt Arbeit.« »So früh? Was zum Teufel ...« »Ein Toter in Langen, auf einem Waldweg in der Nähe vom Schloss Wolfsgarten. Wurde vor einer guten halben Stunde gefunden. Soll ziemlich übel aussehen. Schau ihn dir an. Ein Streifenwagen steht an der Straße, damit du's nicht verfehlst.« »Wer ist vor Ort?« »Im Moment nur Kollegen aus Langen. Ich hab denen schon gesagt, dass du in spätestens einer halben Stunde dort bist.« »Bist du wahnsinnig?!Wie soll ich das in einer halben Stunde schaffen? Meinst du vielleicht, ich warte nur drauf, dass mitten in der Nacht jemand umgebracht wird? Ich bin in einer Stunde dort, richte denen das aus. Und die sollen nichts anrühren.« »Okay, aber beeil dich.«
Krüger beendete einfach das Gespräch, Brandt brummte ein leises »Arschloch«, legte den Hörer zurück und setzte sich auf. Im Flur brannte bereits Licht. Er ging nur mit einem T-Shirt und einer Boxershorts bekleidet zum Badezimmer, doch die Tür war abgeschlossen. Brandt war einssiebzig groß oder klein, wie immer man es betrachtete, leicht untersetzt und doch muskulös, hatte volles dunkles, von vielen grauen Strähnen durchzogenes Haar und ein kantiges, leicht gebräuntes Gesicht mit einem markant hervorstehenden Kinn. »Wer ist da drin?«, fragte er. »Ich.« »Sarah, bitte, lass mich ausnahmsweise zuerst rein.« »Ich muss mich für die Schule fertig machen!« »He, liebes Töchterchen, ich muss in fünf Minuten los, ein dringender Fall. Also mach schon auf.« Sie öffnete die Tür und stand im Nachthemd vor ihm und sah ihn mit gekräuselter Stirn an, ein Zeichen ihrer Ungehaltenheit. Sarah war vierzehn und lebte seit der Scheidung von seiner Frau vor einem Jahr zusammen mit ihrer zwölfjährigen Schwester Michelle bei ihm, weil die Mädchen das so gewollt hatten. Ihre Mutter hatte zwar alle Hebel in Bewegung gesetzt, sie bei sich behalten zu können, doch als die Familienrichterin erfuhr, dass sie vorhatte, mit ihrem neuen Lover, einem stinkreichen Kunsthändler, eventuell nach Spanien zu ziehen und die Mädchen in ein Internat abzuschieben, wurde der Antrag auf alleiniges Sorgerecht abgeschmettert und dem Wunsch von Sarah und Michelle entsprochen, bei ihm zu wohnen. Als Brandt herausbekam, dass seine Frau nach dem schmutzigen Scheidungskrieg ihm die Töchter aus reiner Bosheit entziehen wollte, wurde er zum ersten Mal in seinem Leben richtig wütend. Niemals hätte er zugelassen, dass Sarah und Michelle in ein Internat abgegeben wurden, wo er sie maximal einmal im Monat für ein Wochenende hätte sehen können. Ein Internat war für ihn ein elitäres Gefängnis, in das reiche Leute ihre verwöhnten Kinder schickten.
Seine Ex hatte zwar Berufung eingelegt, indem sie die Begründung vorbrachte, er sei gar nicht in der Lage, gut für die Mädchen zu sorgen, da sein Beruf als Polizist mit den ungeregelten Arbeitszeiten das nicht zulasse, aber er führte als Gegenargument an, dass seine Eltern in der Buchhügelallee, die nur fünf Minuten zu Fuß von seinerWohnung in der Elisabethenstraße entfernt war, wohnten und noch sehr rüstig waren und sich um Sarah und Michelle kümmern würden, wenn er einmal nicht zur Verfügung stand. Und das taten sie auch. Die Mädchen schliefen hin und wieder bei den Großeltern, meist jedoch in den eigenen Betten, weil Peter Brandt es fast immer schaffte, rechtzeitig zu Hause zu sein. Nach der Schule gingen die beiden in der Regel zu ihren Großeltern - außer wenn Brandt dienstfrei hatte -, aßen dort zu Mittag, machten ihre Hausaufgaben, trafen sich mit Freundinnen und wurden abends von ihrem Vater abgeholt. Sie führten ein relativ ruhiges Leben, jedenfalls ruhiger als zu den Zeiten, als ihre Mutter noch zur Familie gehörte, und sosehr Brandt die Trennung anfangs geschmerzt hatte, so wohler und befreiter fühlte er sich von Monat zu Monat. »Wo musst du denn jetzt schon hin?«, fragte sie mürrisch.»Beeil dich bloß, ich verpass sonst meinen Bus.« »Guten Morgen, liebste Sarah. Es gibt da einen Toten in Langen. Ich bin in fünf Minuten wieder draußen, und dann kannst du dich weiter deiner Schönheit widmen.« Er grinste, gab ihr einen Kuss auf die Stirn, drängte sich an ihr vorbei, erledigte seine Morgentoilette, wusch sich die Hände und das Gesicht, rasieren würde er sich erst am Abend. »Kannst du mir bitte zwei Toasts reinstecken?« »Hm.«
Michelle kam verschlafen aus ihrem Zimmer, murmelte ein »Guten Morgen« und begab sich schnurstracks zum Gästeklo. Michelle hatte langes blondes Haar und war ihrer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten, was kein Nachteil war, ganz im Gegenteil, doch glücklicherweise zeigte sie bis jetzt nicht deren Allüren. Sarah hingegen war ein eher südländischer Typ und sah seiner Mutter sehr ähnlich, einer Italienerin, die allerdings schon seit fast fünfzig Jahren in Deutschland lebte. Während Michelle ein ruhiges und sanftes Wesen hatte, war Sarah manchmal recht zickig und aufbrausend, aber ihr Beleidigtsein oder ihre Wut hielt meist nur wenige Minuten. Es reichte schon, sie in den Arm zu nehmen und ihr ein paar nette Worte zuzuflüstern, um ihre schlechte Laune zu vertreiben.
Peter Brandt liebte seine Töchter über alles. Sie waren seit der Scheidung sein Lebensinhalt geworden, und er tat alles, um ihnen ein guter Vater zu sein. Auch wenn sein Beruf ihm häufig zu wenig Zeit für sie ließ, widmete er die wenige Zeit ganz und gar ihnen. Sie gingen ins Kino, ließen sich Pizza kommen, unterhielten sich über die Schule, und manchmal machten sie auch einfach nur Blödsinn.
Er brauchte keine fünf Minuten im Bad. Als er herauskam, sagte Sarah: »Wird es heute spät?« Brandt schüttelte den Kopf und meinte: »Kann ich mir nicht vorstellen. Ich bin bestimmt nicht später als sechs wieder zu Hause. Und falls doch, sag ich Bescheid. Hast du mir die Toasts gemacht?« »Klar doch, liebster Papa«, antwortete sie grinsend und verschwand wieder im Bad. »Was ist eigentlich mit der Daunenjacke? «, rief sie aus dem Bad. »Welche Daunenjacke?«
Die Tür ging erneut auf, und Sarah steckte den Kopf heraus. »Ich hab dir doch schon amWochenende gezeigt, dass meine im Arsch ist ...« »Sarah, bitte, nicht diese Ausdrücke«, sagte er mahnend. »Ja, ich kann mich vage erinnern. Wann wollen wir die kaufen?«
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Copyright der Originalausgabe © 2004 by Knaur Taschenbuch.
Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München
Rudolf Schirner hatte sich bereits seine Schuhe angezogen, wartete auf Wickerts obligatorisches Abschlusswort »Das Wetter« und sah sich als letzten Teil der Tagesthemen noch den Wetterbericht an, der auch für die nächsten Tage fast arktische, trockene Kälte mit viel Sonnenschein und sternenklare Nächte prognostizierte. Henry, sein Golden Retriever, lag neben dem Sessel, die Ohren gespitzt. Der Hund wusste, es war nur eine Frage von Minuten, bis sie ihr abendliches Ritual beginnen würden, er wartete nur noch auf die Schlussmelodie der Nachrichtensendung. Sie würden ziemlich genau eine Dreiviertelstunde laufen, hinüber zumWald, und wie meist im Winter würden sie auch heute Nacht keinem Menschen mehr begegnen, denn in dieser Gegend ließ man mit Einbruch der Dunkelheit die Rollläden herunter, schloss die Haustüren ab und setzte sich vor den Fernseher oder las oder machte irgendetwas anderes, etwas, das man gerne in solchenWinternächten tat.
»Auf geht's, mein Lieber.« Schirner gab Henry einen leichten Klaps auf den Rücken. »Dann wollen wir mal.« Er schaltete mit der Fernbedienung den Fernsehapparat aus und erhob sich. Die Tischlampe ließ er brennen. Henry wedelte aufgeregt mit dem Schwanz und blickte seinen Herrn erwartungsvoll an. »Ist ja gut, wir gehen gleich. Aber erst zieh ich mir meinen Mantel und meinen Schal an, draußen ist es nämlich noch immer ziemlich kalt«, sagte Schirner liebevoll. Seine Frau Helga und sein Sohn Thomas schliefen längst, Carmen, die zwanzigjährige Tochter, studierte seit Oktober in Frankfurt, wo sie sich kurz vor Weihnachten gegen seinen Willen eine Wohnung genommen hatte und jetzt nur am Wochenende, an Feiertagen oder zu bestimmten Anlässen wie Geburtstagen nach Hause kam, obwohl sie gerade einmal eine gute halbe Stunde entfernt wohnte. Er hatte mit Engelszungen auf sie eingeredet, aber Carmen wollte sich nicht umstimmen lassen. Frankfurt, die Stadt des Lasters und der Verbrechen, so hatte er argumentiert, sei nichts für eine junge Frau, die praktisch auf dem Land groß geworden sei, denn als solches empfand er die geborgene Umgebung von Langen, wo er selbst schon seine Kindheit verbracht hatte und wo seine Wurzeln lagen. Doch alle Argumente hatten nichts geholfen, sie hatte dagegengehalten, dass es für alle besser sei, wenn sie in Ruhe studieren könne, wenn nicht der Krach lauter Musik aus Thomas'Zimmer komme oder ihre Mutter frage, ob sie dies oder jenes erledigen könne. Es war ein zeitaufwendiges Studium. Sie war im zweiten Semester, dreimal in derWoche hielt sie sich bis mindestens zwanzig Uhr in der Uni auf, manchmal sogar länger. Sie studierte Theologie, wozu auch die Fächer Latein, Altgriechisch und Hebräisch gehörten. Und Rudolf Schirner war, auch wenn er es nie zugeben würde, auf eine gewisse Weise stolz, eine Tochter zu haben, die sich nicht für einen dieser, wie er es nannte, profanen Studiengänge wie BWL oder Soziologie entschieden hatte, obgleich er es gerne gesehen hätte, wenn sie in seine Fußstapfen getreten wäre, um später als Lehrerin zu arbeiten. Doch ihr großes Ziel war es, eines Tages eine Gemeinde zu übernehmen und jeden Sonntag von der Kanzel zu predigen und sich um die großen und kleinen Sorgen und Nöte der Mitglieder zu kümmern. Sie schlug aus der Art, und er hatte keine Erklärung, warum es ausgerechnet Theologie sein musste, wo doch sonst keiner in der Familie mit Religion viel am Hut hatte. Aber Carmen war schon immer eine Einzelgängerin gewesen. Sie hatte bereits als Kind und Jugendliche die Bibel mehrfach geradezu verschlungen, war eifrig in die Kirche gegangen, hatte ihre Freizeit fast vollständig in den Dienst der Gemeindearbeit gestellt, und überhaupt schien Gott und die ihn umgebende mystische Aura, wie Rudolf Schirner es etwas abfällig bezeichnete, eine für ihn unerklärliche Faszination auf seine Tochter auszuüben. Jetzt lebte sie zusammen mit einer Kommilitonin in einer erstaunlich preiswerten, aber schmucken Zweizimmerwohnung in Uni-Nähe, telefonierte einmal täglich kurz mit ihrer Mutter, um ihr mitzuteilen, dass es ihr gut gehe, aber ansonsten sah und hörte man recht wenig von ihr. Rudolf Schirner, fünfzig Jahre alt und einszweiundachtzig groß, dessen blondes, streng zurückgekämmtes Haar inzwischen licht geworden war, legte einen dicken Schal um seinen Hals, zog sich seinen Mantel über und leinte Henry an. Er liebte seinen Hund und die morgendlichen und nächtlichen Spaziergänge, während deren er sich entweder auf den Tag vorbereiten oder nach getaner Arbeit abschalten konnte. Er zog leise die Tür hinter sich ins Schloss, nicht ohne vorher die Außenbeleuchtung angemacht zu haben, trat durch das Gartentor auf den Bürgersteig, ging vom Rotkehlchenweg hundert Meter geradeaus, bis er zur Hauptstraße kam, überquerte diese und bog nach weiteren fünfzig Metern rechts in denWald ab, der linker Hand zum größten Teil zum Schloss Wolfsgarten gehörte und von einem scheinbar endlosen Zaun umgeben war. Die ersten Meter waren übersichtlich, doch nach gut hundertfünfzig Metern kamen die dicht an dicht stehenden Bäume, dazwischen über die Jahrzehnte und Jahrhunderte entstandenes Unterholz und zwei kleinere, weniger gut begehbareWege, die nach rechts abzweigten. Die Temperatur war auf minus zwölf Grad gesunken, ein eisiger, böiger Wind, der aus allen Richtungen zu kommen schien, fegte übers Land, der Himmelwar sternenklar, noch drei Tage bis Vollmond, der schon jetzt nur noch eine kaum erkennbare dunkle Kontur an der äußersten linken Seite aufwies. Alleswar gefroren, der harte Boden knirschte leise unter seinen Schuhen. Er musste mehrfach kurz anhalten, damit Henry seine üblichen Markierungen machen konnte. Seit er hier wohnte, verging kein Abend, an dem er nicht mit dem Hund diese Strecke lief. Er tat dies mit ausgreifenden Schritten, seine Art, sich fit zu halten. Während der ersten Minuten ließ er den Tag Revue passieren und dachte auch an morgen, wenn er sechs Stunden am Stück unterrichten musste. Sein Beruf machte ihm Spaß, der Umgang mit den Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die an seiner Schule zum Glück noch so etwas wie Anstand und Respekt vor den Lehrern bewiesen. Seit fünfundzwanzig Jahren war er an der Schule, seit vierzehn Jahren Oberstudienrat, im fünften Jahr hintereinander Vertrauenslehrer, und vor drei Jahren wurde er zum stellvertretenden Direktor ernannt. Er unterrichtete Mathematik, Physik und Ethik, wobei sein Ethikkurs wesentlich stärker frequentiert war als der zeitgleich stattfindende Religionsunterricht seinesKollegen Baumann, der sich zwar redlich bemühte, es aber nicht schaffte, den beinahe erwachsenen Jugendlichen Gott und alles, was damit zusammenhing, wirklich nahe zu bringen. Für Schirner selbst war Gott nur eine Fiktion, etwas, das sich die Menschen im Laufe der Jahrtausende zusammengebastelt hatten, woran sie sich klammern konnten, das nicht greifbar war, weil es nicht aus Materie bestand,wovon sie sich aber erhofften, Es oder Er würde ihnen in Zeiten der größten Not beistehen. Schirner tat dies als Blödsinn ab, für ihn gab es keinen Gott, keinen Christus, zumindest nicht so, wie in der Bibel beschrieben und in späteren Zeiten glorifiziert. Er glaubte auch nicht an ein Jenseits, ein Leben nach dem Tod oder Wiedergeburt. Für ihn, einen überzeugten Existenzialisten und Atheisten, wurde man geboren, lebte und starb, um irgendwann zu Asche zu zerfallen. Seine Tochter Carmen dagegen war fest von der Existenz Gottes überzeugt, und er würde einen Teufel tun, sie davon abzubringen. Er hatte versucht ihr klar zu machen, dass es unmöglich einWesen geben könne, das zum einen im ganzen Universum und zum andern in jedem Einzelnen existierte. Das sei mathematisch und physikalisch schlicht unmöglich. Sein Versuch war fehlgeschlagen, und jetzt sollte sie ihren eigenen Weg gehen, und sicher würde sie eines Tages jene bittere Erfahrung machen, die ihr zeigte, dass sie nichts als einer Fata Morgana nachgelaufen war. Er ging seit zehn Minuten mit leicht gesenktem Kopf in Gedanken versunken durch die mondhelle Nacht, Henry blieb zum x-ten Mal stehen, um das Bein zu heben, als Schirner eine dunkle Gestalt erblickte, die plötzlich aus dem zweiten Weg rechts um die Ecke kam. Schirner zog die Stirn in Falten und kniff die Augen zusammen - nur sehr selten traf er um diese Zeit noch einen andern Menschen an -, doch er hatte keine Angst, denn dies war eine sichere Gegend mit anständigen Bewohnern, und so gutmütig Henry auch war, so argwöhnisch verhielt er sich Fremden gegenüber. Die Gestalt kam näher, Schirner erkannte die Person, die leichte Anspannung wich, und ein Lächeln zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. »Hallo«, sagte er freundlich, »so spät noch unterwegs?« »Ich konnte nicht schlafen. Noch 'ne Runde mit Henry drehen? «
»Wie jeden Abend. Ganz schön kalt, was?« »Hm. Wenigstens ist es eine trockene Kälte, und damit verschwindet hoffentlich endlich mal das Ungeziefer. Ich muss jetzt aber los, mein Bett ruft. Schönen Abend noch«, sagte die ganz in Schwarz gekleidete Person, die von Henry, der an einem Baum schnüffelte, erst freudig begrüßt und jetzt nur noch nebenbei wahrgenommen wurde, ging weiter, blieb aber einen Moment später stehen, drehte sich um, kam noch einmal auf Schirner zu und sagte: »Ich hab was vergessen. Nur eine Frage ...«
»Ja, was ...« Zu mehr kam Schirner nicht, er sah nicht den blitzschnell geführten Stoß kommen, die lange silberne Klinge, die ihn unvermittelt in den Bauch traf, immer und immer wieder. Er hatte die Augen weit aufgerissen, ein Stich nach dem andern drang in seinen Bauch und seine Brust. Ihm wurde schwindlig, er hatte das Gefühl, als würde er von allen Seiten attackiert, aber er nahm nur dieses eine Messer wahr. Alles um ihn herum verschwamm, er sank zu Boden, Blut rann aus seinem Mund, er bäumte sich noch dreimal auf, bis ein langes Zucken durch seinen Körper raste und auch dieses letzte Lebenszeichen aufhörte und Schirner mit gebrochenen Augen dalag. Henry jaulte kurz auf und leckte dann über das tote Gesicht seines Herrn, bis ihm ein paarmal freundschaftlich auf die Schulter geklopft und er weggeführt wurde. »Komm, wir rennen ein bisschen, damit uns warm wird. Es ist wirklich schweinekalt. «
Mittwoch, 6.24 Uhr
Peter Brandt, Hauptkommissar bei der Mordkommission Offenbach, zuständig für den Bereich Südosthessen, der von Bad Orb, Schlüchtern über Seligenstadt bis hinunter nach Langen reichte, wurde vom Telefon geweckt. Er blickte mit verschlafenen Augen zur Uhr, stieß einen derben Fluch aus, nahm den Hörer vom Apparat auf seinem Nachtschrank und meldete sich mit einem mürrischen und knappen »Ja?«. »Hier Krüger, KDD. Schwing dich aus den Federn, Alter, es gibt Arbeit.« »So früh? Was zum Teufel ...« »Ein Toter in Langen, auf einem Waldweg in der Nähe vom Schloss Wolfsgarten. Wurde vor einer guten halben Stunde gefunden. Soll ziemlich übel aussehen. Schau ihn dir an. Ein Streifenwagen steht an der Straße, damit du's nicht verfehlst.« »Wer ist vor Ort?« »Im Moment nur Kollegen aus Langen. Ich hab denen schon gesagt, dass du in spätestens einer halben Stunde dort bist.« »Bist du wahnsinnig?!Wie soll ich das in einer halben Stunde schaffen? Meinst du vielleicht, ich warte nur drauf, dass mitten in der Nacht jemand umgebracht wird? Ich bin in einer Stunde dort, richte denen das aus. Und die sollen nichts anrühren.« »Okay, aber beeil dich.«
Krüger beendete einfach das Gespräch, Brandt brummte ein leises »Arschloch«, legte den Hörer zurück und setzte sich auf. Im Flur brannte bereits Licht. Er ging nur mit einem T-Shirt und einer Boxershorts bekleidet zum Badezimmer, doch die Tür war abgeschlossen. Brandt war einssiebzig groß oder klein, wie immer man es betrachtete, leicht untersetzt und doch muskulös, hatte volles dunkles, von vielen grauen Strähnen durchzogenes Haar und ein kantiges, leicht gebräuntes Gesicht mit einem markant hervorstehenden Kinn. »Wer ist da drin?«, fragte er. »Ich.« »Sarah, bitte, lass mich ausnahmsweise zuerst rein.« »Ich muss mich für die Schule fertig machen!« »He, liebes Töchterchen, ich muss in fünf Minuten los, ein dringender Fall. Also mach schon auf.« Sie öffnete die Tür und stand im Nachthemd vor ihm und sah ihn mit gekräuselter Stirn an, ein Zeichen ihrer Ungehaltenheit. Sarah war vierzehn und lebte seit der Scheidung von seiner Frau vor einem Jahr zusammen mit ihrer zwölfjährigen Schwester Michelle bei ihm, weil die Mädchen das so gewollt hatten. Ihre Mutter hatte zwar alle Hebel in Bewegung gesetzt, sie bei sich behalten zu können, doch als die Familienrichterin erfuhr, dass sie vorhatte, mit ihrem neuen Lover, einem stinkreichen Kunsthändler, eventuell nach Spanien zu ziehen und die Mädchen in ein Internat abzuschieben, wurde der Antrag auf alleiniges Sorgerecht abgeschmettert und dem Wunsch von Sarah und Michelle entsprochen, bei ihm zu wohnen. Als Brandt herausbekam, dass seine Frau nach dem schmutzigen Scheidungskrieg ihm die Töchter aus reiner Bosheit entziehen wollte, wurde er zum ersten Mal in seinem Leben richtig wütend. Niemals hätte er zugelassen, dass Sarah und Michelle in ein Internat abgegeben wurden, wo er sie maximal einmal im Monat für ein Wochenende hätte sehen können. Ein Internat war für ihn ein elitäres Gefängnis, in das reiche Leute ihre verwöhnten Kinder schickten.
Seine Ex hatte zwar Berufung eingelegt, indem sie die Begründung vorbrachte, er sei gar nicht in der Lage, gut für die Mädchen zu sorgen, da sein Beruf als Polizist mit den ungeregelten Arbeitszeiten das nicht zulasse, aber er führte als Gegenargument an, dass seine Eltern in der Buchhügelallee, die nur fünf Minuten zu Fuß von seinerWohnung in der Elisabethenstraße entfernt war, wohnten und noch sehr rüstig waren und sich um Sarah und Michelle kümmern würden, wenn er einmal nicht zur Verfügung stand. Und das taten sie auch. Die Mädchen schliefen hin und wieder bei den Großeltern, meist jedoch in den eigenen Betten, weil Peter Brandt es fast immer schaffte, rechtzeitig zu Hause zu sein. Nach der Schule gingen die beiden in der Regel zu ihren Großeltern - außer wenn Brandt dienstfrei hatte -, aßen dort zu Mittag, machten ihre Hausaufgaben, trafen sich mit Freundinnen und wurden abends von ihrem Vater abgeholt. Sie führten ein relativ ruhiges Leben, jedenfalls ruhiger als zu den Zeiten, als ihre Mutter noch zur Familie gehörte, und sosehr Brandt die Trennung anfangs geschmerzt hatte, so wohler und befreiter fühlte er sich von Monat zu Monat. »Wo musst du denn jetzt schon hin?«, fragte sie mürrisch.»Beeil dich bloß, ich verpass sonst meinen Bus.« »Guten Morgen, liebste Sarah. Es gibt da einen Toten in Langen. Ich bin in fünf Minuten wieder draußen, und dann kannst du dich weiter deiner Schönheit widmen.« Er grinste, gab ihr einen Kuss auf die Stirn, drängte sich an ihr vorbei, erledigte seine Morgentoilette, wusch sich die Hände und das Gesicht, rasieren würde er sich erst am Abend. »Kannst du mir bitte zwei Toasts reinstecken?« »Hm.«
Michelle kam verschlafen aus ihrem Zimmer, murmelte ein »Guten Morgen« und begab sich schnurstracks zum Gästeklo. Michelle hatte langes blondes Haar und war ihrer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten, was kein Nachteil war, ganz im Gegenteil, doch glücklicherweise zeigte sie bis jetzt nicht deren Allüren. Sarah hingegen war ein eher südländischer Typ und sah seiner Mutter sehr ähnlich, einer Italienerin, die allerdings schon seit fast fünfzig Jahren in Deutschland lebte. Während Michelle ein ruhiges und sanftes Wesen hatte, war Sarah manchmal recht zickig und aufbrausend, aber ihr Beleidigtsein oder ihre Wut hielt meist nur wenige Minuten. Es reichte schon, sie in den Arm zu nehmen und ihr ein paar nette Worte zuzuflüstern, um ihre schlechte Laune zu vertreiben.
Peter Brandt liebte seine Töchter über alles. Sie waren seit der Scheidung sein Lebensinhalt geworden, und er tat alles, um ihnen ein guter Vater zu sein. Auch wenn sein Beruf ihm häufig zu wenig Zeit für sie ließ, widmete er die wenige Zeit ganz und gar ihnen. Sie gingen ins Kino, ließen sich Pizza kommen, unterhielten sich über die Schule, und manchmal machten sie auch einfach nur Blödsinn.
Er brauchte keine fünf Minuten im Bad. Als er herauskam, sagte Sarah: »Wird es heute spät?« Brandt schüttelte den Kopf und meinte: »Kann ich mir nicht vorstellen. Ich bin bestimmt nicht später als sechs wieder zu Hause. Und falls doch, sag ich Bescheid. Hast du mir die Toasts gemacht?« »Klar doch, liebster Papa«, antwortete sie grinsend und verschwand wieder im Bad. »Was ist eigentlich mit der Daunenjacke? «, rief sie aus dem Bad. »Welche Daunenjacke?«
Die Tür ging erneut auf, und Sarah steckte den Kopf heraus. »Ich hab dir doch schon amWochenende gezeigt, dass meine im Arsch ist ...« »Sarah, bitte, nicht diese Ausdrücke«, sagte er mahnend. »Ja, ich kann mich vage erinnern. Wann wollen wir die kaufen?«
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Autoren-Porträt von Andreas Franz
ANDREAS FRANZ (1954 - 2011)Andreas Franz arbeitete als Studiomusiker, LKW-Fahrer und Übersetzer doch seine große Leidenschaft galt von jeher dem Schreiben. Bereits mit seinem Debütroman "Jung, blond, tot" zog er unzählige Krimifans in seinen Bann. Seitdem folgte Bestseller auf Bestseller, die ihn zu Deutschlands erfolgreichstem Thrillerautor machten. Die verblüffende Authentizität seiner Romane beruht nicht zuletzt auf Franz' ausgezeichneten Kontakten zur Polizei. Der Autor war seit 1974 verheiratet und hatte fünf Kinder. Er wohnte zuletzt in Hattersheim am Main. Am 13. März 2011 starb Andreas Franz an Herzversagen.
Bibliographische Angaben
- Autor: Andreas Franz
- 2011, 1, 1678 Seiten, Maße: 13,5 x 19,5 cm, Geb. im Schuber
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3868007385
- ISBN-13: 9783868007381
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