Angst in deinen Augen
Schon zweimal wurde auf die Krankenschwester Nina ein Mordanschlag verübt. Und schon zweimal hat Cop Sam Navarro sie gerettet. Sam will unbedingt herausfinden, warum Nina getötet werden soll. Denn er hat sich in die schöne Frau verliebt. Und...
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Produktinformationen zu „Angst in deinen Augen “
Schon zweimal wurde auf die Krankenschwester Nina ein Mordanschlag verübt. Und schon zweimal hat Cop Sam Navarro sie gerettet. Sam will unbedingt herausfinden, warum Nina getötet werden soll. Denn er hat sich in die schöne Frau verliebt. Und dann kommt er tatsächlich auf die Spur des Täters.
Klappentext zu „Angst in deinen Augen “
Schon zweimal hat der Cop Sam Navarro der Krankenschwester Nina bei Attentaten das Leben gerettet. Er sieht die Angst in ihren Augen und verliebt sich in sie. Doch solange er nicht weiß, wo ihr mörderischer Feind lauert, darf er sich nicht zu seinen Gefühlen bekennen. Fingerabdrücke führen ihn schließlich auf die Spur des Täters. Plötzlich ahnt Sam, warum Nina getötet werden soll.
Lese-Probe zu „Angst in deinen Augen “
Angst in deinen Augen von Tess Gerritsen1. Kapitel (Auszug)
Die Hochzeit war geplatzt. Abgeblasen.
Nina Cormier, die im Nebenraum der Kirche vor dem Ankleidespiegel saß, schaute
sich an und fragte sich, warum sie nicht weinen konnte. Sie wusste, dass der Schmerz da
war, aber sie fühlte ihn nicht. Noch nicht. Sie konnte nur mit trockenen Augen dasitzen und
ihr Spiegelbild anstarren. Die perfekte Braut. Ein hauchzarter Schleier umrahmte ihr Gesicht.
Das mit Staubperlen besetzte Oberteil ihres elfenbeinfarbenen Satinkleids gab bezaubernd
die Schultern frei. Ihr langes schwarzes Haar war im Nacken zu einem weichen Knoten
zusammengefasst. Jeder, der sie heute Morgen hier im Ankleideraum gesehen hatte -- ihre
Mutter, ihre Schwester Wendy, ihre Stiefmutter Daniella -, hatte seiner Begeisterung darüber,
was für eine wunderschöne Braut sie war, Ausdruck verliehen.
Und sie wäre es gewesen. Wenn nur der Bräutigam aufgetaucht wäre.
Er hatte es nicht einmal für nötig gehalten, es ihr persönlich zu sagen. Nach sechs Monaten, in denen sie geplant und geträumt hatte, hatte sie seine Nachricht knapp zwanzig Minuten vor Beginn der Trauung erhalten. Von seinem Trauzeugen.
Nina, ich brauche noch Zeit, um nachzudenken. Es tut mir Leid. Wirklich. Ich fahre für ein paar
Tage weg. Ich rufe dich bald an.
Robert.
Sie zwang sich, das Schreiben noch einmal zu lesen.
Ich brauche Zeit … ich brauche Zeit …
Wie viel Zeit braucht ein Mann? fragte sie sich und starrte regungslos auf den Zettel in ihrer Hand.
Vor einem Jahr war sie mit Robert Bledsoe zusammengezogen. Der einzige Weg, um herauszufinden, ob sie zusammenpassten oder nicht, hatte er gesagt und sie hatte ihm geglaubt. Die Ehe war so eine große Verantwortung, eine dauernde Verantwortung, und er wollte keinen Fehler machen. Mit seinen 41 Jahren hatte Robert schon einige Katastrophenbeziehungen
... mehr
hinter sich, und er war wild entschlossen, nicht noch mehr Fehler zu machen. Er hatte sich absolut sicher sein wollen, dass Nina auch wirklich die Frau war, mit der er sein ganzes restliches Leben verbringen wollte.
Sie war sich sicher gewesen, dass Robert der Mann war, auf den sie ihr ganzes Leben gewartet hatte. So sicher, dass sie an jenem Tag, an dem er ihr vorgeschlagen hatte, zu ihm zu ziehen, sofort nach Hause gefahren war und ihre Sachen gepackt …
“Nina? Nina, mach auf!” Ihre Schwester Wendy rüttelte an der Türklinke. “Bitte, lass mich rein.”
Nina ließ den Kopf in die Hände fallen. “Ich will jetzt niemand sehen.”
“Du brauchst aber jemand.”
“Lass mich, ich will einfach nur allein sein.”
“Schau, die Gäste sind schon alle weg. Ich bin die Einzige, die noch da ist.”
“Ich will aber mit niemand sprechen. Fahr jetzt einfach, okay? Bitte, geh.”
Vor der Tür blieb es lange still. Dann sagte Wendy: “Und wie willst du dann nach Hause kommen?”
“Ich rufe mir ein Taxi. Oder Reverend Sullivan fährt mich.”
“Du bist dir wirklich sicher, dass du nicht reden willst?”
“Ja. Ich ruf dich später an, okay?”
“Wenn du es wirklich willst.” Wendy machte eine Pause, dann fügte sie mit einer Spur von Gehässigkeit, die man sogar durch die Tür hören konnte, hinzu: “Robert ist wirklich ein Armleuchter, weißt du. Das hätte ich dir gleich sagen können. Ich habe es immer gedacht.”
Nina antwortete nicht. Sie saß mit dem Kopf in den Händen zusammengesunken da und wollte weinen, aber sie konnte es nicht. Sie hörte, wie Wendys Schritte sich entfernten, dann wurde es still. Die Tränen weigerten sich immer noch zu kommen. Sie konnte jetzt nicht über Robert nachdenken und darüber, wie ihr Leben ohne ihn nach der abgesagten Hochzeit weitergehen sollte. Stattdessen schien ihr Gehirn eigensinnig darauf zu beharren, über die praktischen Auswirkungen einer geplatzten Hochzeit nachzudenken. Die für die Feier angemieteten Räume und all das Essen. Die Geschenke, die sie zurückgeben musste. Die Flugtickets nach St. John Islands, die man nicht zurückgeben konnte. Vielleicht sollte sie allein auf Hochzeitsreise gehen und Dr. Robert Bledsoe vergessen. Jawohl, sie würde allein fliegen, nur sie und ihr Bikini. Sie würde diese ganze jämmerliche Geschichte einfach hinter sich lassen und zumindest schön braun gebrannt zurückkommen. Wäre das nicht eine Alternative?
Sie hob langsam den Kopf und schaute auf ihr Spiegelbild. So eine schöne Braut war sie auch wieder nicht. Ihr Lippenstift war verschmiert und ihr Knoten ging auf. Sie befand sich in einem Stadium der Auflösung.
In plötzlicher Wut riss sie sich den Schleier herunter. Haarnadeln spritzten in alle Himmelsrichtungen auseinander und gaben eine wilde schwarze Mähne frei. Zum Teufel mit dem Schleier! Sie feuerte ihn in den Papierkorb. Dann schnappte sie sich ihren Brautstrauß aus weißen Lilien und rosa Rosen und stopfte ihn ebenfalls in den Müll. Es war eine Erleichterung. Ihr Zorn rauschte ihr wie ein Brennstoff durch die Adern, der sie von ihrem Stuhl aufspringen ließ.
Sie verließ, ihre Schleppe hinter sich herziehend, den Raum und betrat das Mittelschiff.
Die Bankreihen waren leer. Die Gänge und der Altar waren mit Blumen geschmückt.
Die Bühne war für eine Hochzeit bereitet, die nicht stattfinden würde. Doch Nina bemerkte die Früchte, die die harte Arbeit der Floristin getragen hatte, kaum, als sie zielstrebig den Mittelgang hinunterging. Ihre gesamte Aufmerksamkeit war auf das Portal gerichtet. Auf ihr Entkommen. Selbst die besorgte Stimme von Reverend Sullivan konnte sie nicht veranlassen, ihre Schritte zu verlangsamen. Sie ging an den blumigen Erinnerungen an das Fiasko des heutigen Tages vorbei durch die schweren Doppeltüren.
In der Mitte der Treppe blieb sie stehen. Die Julisonne blendete sie, und sie war sich mit plötzlicher Schärfe bewusst, wie sehr eine Frau allein in einem Brautkleid auffallen musste, die versuchte, sich ein Taxi heranzuwinken. Erst in diesem Moment, in dem sie im grellen Licht des Nachmittags gefangen war, spürte sie die Tränen kommen. Oh nein, Gott, nein. Gleich würde sie hier mitten auf der Treppe zusammenbrechen und weinen. Und jeder, der auf der Forest Avenue vorbeifuhr, würde es sehen. “Nina? Nina, Liebe.”
Sie drehte sich um. Reverend Sullivan stand ein paar Stufen über ihr und schaute sie mit einem Ausdruck von Besorgnis auf dem freundlichen Gesicht an. “Kann ich irgendetwas für Sie tun?” fragte er. “Wenn Sie möchten, können wir hineingehen und reden. Ich würde Ihnen gern helfen.”
Sie schüttelte unglücklich den Kopf. “Ich möchte nur weg von hier. Bitte, ich will einfach nur weg.”
“Aber natürlich.” Er nahm sanft ihren Arm. “Ich fahre Sie nach Hause.”
Reverend Sullivan führte sie die Treppe nach unten und um die Kirche herum auf den Parkplatz. Nina griff nach ihrer Schleppe, die ganz schmutzig war, und stieg in seinen Wagen. Dort saß sie dann mit einem riesigen Satinknäuel auf dem Schoß da und starrte schweigend vor sich hin.
“Sie beide sind zweifellos die Versager des Jahres.”
Sam Navarro, Polizeidetective aus Portland, der dem offensichtlich aufgebrachten Norm Liddell gegenübersaß, zuckte mit keiner Wimper. Sie saßen zu fünft in einem Besprechungsraum der Polizeistation, und Sam dachte gar nicht daran, dieser Primadonna von Bezirksstaatsanwalt die Genugtuung zu verschaffen, dass er zusammenzuckte. Genauso wenig aber hatte er die Absicht, sich zu verteidigen, denn sie hatten es vermasselt. Er und Gillis hatten die Sache vermasselt, und jetzt war ein Polizist tot. Ein Idiot zwar, aber dennoch ein Polizist. Einer von ihnen.
“Wir müssen allerdings zu unserer Verteidigung sagen”, ergriff Sams Partner Gordon Gillis das Wort, “dass wir Marty Pickett keine Erlaubnis gegeben haben, das Gelände zu betreten. Wir wussten nicht, dass er hinter die Absperrung …”
“Sie hatten die Verantwortung”, unterbrach ihn Liddell.
“Halt, Moment mal”, widersprach Gillis. “Officer Pickett trifft auch ein Teil der Schuld.”
“Pickett war ein Grünschnabel.”
“Er hätte sich an die Vorschriften halten müssen. Wenn er …”
“Klappe, Gillis”, sagte Sam.
Gillis schaute seinen Partner an. “Sam, ich versuche nur, etwas richtig zu stellen.”
“Da wir offensichtlich als Sündenböcke herhalten sollen, hilft uns das rein gar nichts.”
Sam lehnte sich in seinen Stuhl zurück und schaute Liddell über den Konferenztisch hinweg an. “Was fordern Sie, Herr Staatsanwalt? Eine öffentliche Tracht Prügel? Unsere Entlassung?”
“Kein Mensch fordert Ihre Entlassung”, gab Liddell zurück. “Aber wir haben einen toten Polizisten …”
“Glauben Sie, das weiß ich nicht?” brauste jetzt Chief Coopersmith auf. “Schließlich bin ich es, der sich den Fragen der Witwe stellen muss. Ganz zu schweigen von diesen blutsaugenden Reportern. Kommen Sie mir nicht mit diesem Wir- und Uns-Mist, Herr Staatsanwalt. Es war einer von uns, der hier umgekommen ist. Ein Polizist. Kein Anwalt.”
Sam schaute seinen Vorgesetzten überrascht an. Coopersmith auf seiner Seite zu haben war eine neue Erfahrung. Der Abe Coopersmith, den er kannte, war normalerweise sehr sparsam mit Worten, und nur wenige davon waren schmeichelhaft. Jetzt legte er sich für sie ins Zeug, weil ihnen das, was Liddell sagte, allen gegen den Strich ging. Unter Beschuss hielt die Polizei zusammen.
“Kommen wir wieder zur Sache”, sagte Coopersmith. “Wir haben einen Bombenleger in der Stadt. Und unseren ersten Toten. Was wissen wir bis jetzt?” Er schaute auf Sam, den Einsatzleiter der kürzlich wieder zusammengestellten Bombeneinsatztruppe. “Navarro?”
“Bis jetzt noch nicht sehr viel”, räumte Sam ein. Er öffnete eine Unterlagenmappe und nahm einen Stapel Blätter heraus. Er verteilte die Kopien unter den anderen vier Männern, die um den Tisch saßen - Liddell, Chief Coopersmith, Gillis und Ernie Takeda, der Sprengstoffexperte aus dem Labor des Bundesstaates Maine. “Die erste Explosion ereignete sich um 2:15 morgens. Die zweite um 2:30. Bei der zweiten Explosion ging die R.S. Hancock Lagerhalle hoch. Sie hat auch bei zwei angrenzenden Gebäuden geringfügigen Schaden angerichtet. Ein Wachmann hatte die Bombe zufällig entdeckt und alarmierte um 1:30 die Polizei. Gillis war um 1:50 dort, ich um 2:00. Wir hatten das Gelände gerade weiträumig abgesperrt und wollten uns eben an die Arbeit machen, als die erste Bombe hochging. Dann, fünfzehn Minuten später, noch ehe wir dazu kamen, das Gebäude zu durchsuchen, explodierte die zweite. Und tötete Officer Pickett.” Sam schaute Liddell an, aber dieses Mal hielt sich der Staatsanwalt mit einem Kommentar zurück. “Es handelt sich um Dynamit.” Eine Weile herrschte Schweigen. Dann fragte Coopersmith: “Aber es stammt nicht aus derselben Serie wie die beiden Bomben vom letzten Jahr?”
“Sehr wahrscheinlich doch”, gab Sam zurück. “Weil es der einzige große Dynamitdiebstahl war, den wir in den vergangenen Jahren hier zu verzeichnen haben.”
“Aber diese Bombenanschläge wurden aufgeklärt”, mischte sich Liddell ein. “Und wir wissen, dass Victor Spectre tot ist. Wer also hat diese Bomben hier gebastelt?”
“Vielleicht haben wir es ja mit jemandem zu tun, der bei Spectre in die Lehre gegangen ist. Jemand, der nicht nur die Technik des Meisters übernommen hat, sondern auch Zugang zu dessen Dynamitvorräten hat. Die wir, wenn ich daran erinnern darf, nie entdeckt haben.”
“Bis jetzt steht nicht fest, dass das Dynamit aus derselben Quelle stammt”, sagte Liddell. “Vielleicht gibt es ja gar keinen Zusammenhang mit den Spectre-Bomben.”
“Ich fürchte, dass unsere Beweise eine andere Sprache sprechen”, erwiderte Sam. “Und das wird Ihnen gar nicht gefallen.” Er schaute Ernie Takeda an. “Du bist dran, Ernie.”
Takeda, der sich immer unbehaglich fühlte, wenn er vor Publikum reden musste, hielt den Laborbericht vor sich und führte in schmucklosen Worten seine Untersuchungsergebnisse aus. “Basierend auf dem Material, das wir am Tatort zusammengetragen haben, können wir eine Vorvermutung über die Bauart der Bombe anstellen. Wir glauben, dass es sich um denselben Zeitzünder handelt, den Vincent Spectre letztes Jahr benutzt hat. Es scheint dasselbe Schaltsystem zu sein, durch das das Dynamit entzündet wurde. Die Stäbe waren mit zwei Zoll breitem grünen Isolierband zusammengebunden.”
Liddell schaute auf Sam. “Dasselbe Schaltsystem, dieselbe Serie? Was, zum Teufel, geht hier vor?”
“Offensichtlich hat Vincent Spectre vor seinem Tod ein paar seiner Kenntnisse weitergegeben”, sagte Gillis. “Jetzt haben wir es mit einer zweiten Generation von Bombenlegern zu tun.”
“Was uns jetzt noch fehlt, ist das psychologische Profil dieses Neueinsteigers”, sagte Sam. “Spectre hat aus reiner Geldgier gehandelt. Er hat sich kaufen lassen und seine Jobs kaltblütig erledigt. Bei diesem neuen Bombenleger müssen wir erst noch ein Motivationsmuster herausfiltern.”
“Heißt das, Sie gehen davon aus, dass er wieder zuschlägt?” fragte Liddell.
Sam nickte müde. “Leider ja.”
Es klopfte an der Tür. Eine Polizistin steckte den Kopf durch den Türspalt.
“Entschuldigen Sie, aber hier ist ein Anruf für Navarro und Gillis.”
“Ich gehe”, sagte Gillis. Er stand schwerfällig auf und trabte zum Telefon. Liddell konzentrierte sich immer noch auf Sam. “Dann ist das also alles, womit Portlands Eliteeinheit aufwarten kann? Wir warten auf den nächsten Bombenanschlag, damit wir ein Motivationsmuster herausfiltern können? Und erst dann werden wir vielleicht, aber nur ganz vielleicht eine Idee bekommen, was, zum Teufel, wir tun können?”
“Ein Bombenanschlag ist eine feige Tat, Mr. Liddell”, erklärte Sam ruhig. “Es handelt sich um Gewalt in Abwesenheit des Täters. Ich wiederhole das Wort - Abwesenheit. Wir haben keinerlei wie auch immer gearteten Hinweise, keine Fingerabdrücke, keine Zeugen, keine …”
“He, Chief”, mischte sich Gillis ein. “Eben wurde ein weiterer Bombenanschlag gemeldet.”
“Was?” ächzte Coopersmith.
Sam war bereits auf den Beinen und ging mit großen Schritten zur Tür.
“Was war es denn diesmal?” fragte Liddell. “Wieder eine Lagerhalle?”
“Nein”, sagte Gillis. “Eine Kirche.”
© 1996 by Tess Gerritsen
Sie war sich sicher gewesen, dass Robert der Mann war, auf den sie ihr ganzes Leben gewartet hatte. So sicher, dass sie an jenem Tag, an dem er ihr vorgeschlagen hatte, zu ihm zu ziehen, sofort nach Hause gefahren war und ihre Sachen gepackt …
“Nina? Nina, mach auf!” Ihre Schwester Wendy rüttelte an der Türklinke. “Bitte, lass mich rein.”
Nina ließ den Kopf in die Hände fallen. “Ich will jetzt niemand sehen.”
“Du brauchst aber jemand.”
“Lass mich, ich will einfach nur allein sein.”
“Schau, die Gäste sind schon alle weg. Ich bin die Einzige, die noch da ist.”
“Ich will aber mit niemand sprechen. Fahr jetzt einfach, okay? Bitte, geh.”
Vor der Tür blieb es lange still. Dann sagte Wendy: “Und wie willst du dann nach Hause kommen?”
“Ich rufe mir ein Taxi. Oder Reverend Sullivan fährt mich.”
“Du bist dir wirklich sicher, dass du nicht reden willst?”
“Ja. Ich ruf dich später an, okay?”
“Wenn du es wirklich willst.” Wendy machte eine Pause, dann fügte sie mit einer Spur von Gehässigkeit, die man sogar durch die Tür hören konnte, hinzu: “Robert ist wirklich ein Armleuchter, weißt du. Das hätte ich dir gleich sagen können. Ich habe es immer gedacht.”
Nina antwortete nicht. Sie saß mit dem Kopf in den Händen zusammengesunken da und wollte weinen, aber sie konnte es nicht. Sie hörte, wie Wendys Schritte sich entfernten, dann wurde es still. Die Tränen weigerten sich immer noch zu kommen. Sie konnte jetzt nicht über Robert nachdenken und darüber, wie ihr Leben ohne ihn nach der abgesagten Hochzeit weitergehen sollte. Stattdessen schien ihr Gehirn eigensinnig darauf zu beharren, über die praktischen Auswirkungen einer geplatzten Hochzeit nachzudenken. Die für die Feier angemieteten Räume und all das Essen. Die Geschenke, die sie zurückgeben musste. Die Flugtickets nach St. John Islands, die man nicht zurückgeben konnte. Vielleicht sollte sie allein auf Hochzeitsreise gehen und Dr. Robert Bledsoe vergessen. Jawohl, sie würde allein fliegen, nur sie und ihr Bikini. Sie würde diese ganze jämmerliche Geschichte einfach hinter sich lassen und zumindest schön braun gebrannt zurückkommen. Wäre das nicht eine Alternative?
Sie hob langsam den Kopf und schaute auf ihr Spiegelbild. So eine schöne Braut war sie auch wieder nicht. Ihr Lippenstift war verschmiert und ihr Knoten ging auf. Sie befand sich in einem Stadium der Auflösung.
In plötzlicher Wut riss sie sich den Schleier herunter. Haarnadeln spritzten in alle Himmelsrichtungen auseinander und gaben eine wilde schwarze Mähne frei. Zum Teufel mit dem Schleier! Sie feuerte ihn in den Papierkorb. Dann schnappte sie sich ihren Brautstrauß aus weißen Lilien und rosa Rosen und stopfte ihn ebenfalls in den Müll. Es war eine Erleichterung. Ihr Zorn rauschte ihr wie ein Brennstoff durch die Adern, der sie von ihrem Stuhl aufspringen ließ.
Sie verließ, ihre Schleppe hinter sich herziehend, den Raum und betrat das Mittelschiff.
Die Bankreihen waren leer. Die Gänge und der Altar waren mit Blumen geschmückt.
Die Bühne war für eine Hochzeit bereitet, die nicht stattfinden würde. Doch Nina bemerkte die Früchte, die die harte Arbeit der Floristin getragen hatte, kaum, als sie zielstrebig den Mittelgang hinunterging. Ihre gesamte Aufmerksamkeit war auf das Portal gerichtet. Auf ihr Entkommen. Selbst die besorgte Stimme von Reverend Sullivan konnte sie nicht veranlassen, ihre Schritte zu verlangsamen. Sie ging an den blumigen Erinnerungen an das Fiasko des heutigen Tages vorbei durch die schweren Doppeltüren.
In der Mitte der Treppe blieb sie stehen. Die Julisonne blendete sie, und sie war sich mit plötzlicher Schärfe bewusst, wie sehr eine Frau allein in einem Brautkleid auffallen musste, die versuchte, sich ein Taxi heranzuwinken. Erst in diesem Moment, in dem sie im grellen Licht des Nachmittags gefangen war, spürte sie die Tränen kommen. Oh nein, Gott, nein. Gleich würde sie hier mitten auf der Treppe zusammenbrechen und weinen. Und jeder, der auf der Forest Avenue vorbeifuhr, würde es sehen. “Nina? Nina, Liebe.”
Sie drehte sich um. Reverend Sullivan stand ein paar Stufen über ihr und schaute sie mit einem Ausdruck von Besorgnis auf dem freundlichen Gesicht an. “Kann ich irgendetwas für Sie tun?” fragte er. “Wenn Sie möchten, können wir hineingehen und reden. Ich würde Ihnen gern helfen.”
Sie schüttelte unglücklich den Kopf. “Ich möchte nur weg von hier. Bitte, ich will einfach nur weg.”
“Aber natürlich.” Er nahm sanft ihren Arm. “Ich fahre Sie nach Hause.”
Reverend Sullivan führte sie die Treppe nach unten und um die Kirche herum auf den Parkplatz. Nina griff nach ihrer Schleppe, die ganz schmutzig war, und stieg in seinen Wagen. Dort saß sie dann mit einem riesigen Satinknäuel auf dem Schoß da und starrte schweigend vor sich hin.
“Sie beide sind zweifellos die Versager des Jahres.”
Sam Navarro, Polizeidetective aus Portland, der dem offensichtlich aufgebrachten Norm Liddell gegenübersaß, zuckte mit keiner Wimper. Sie saßen zu fünft in einem Besprechungsraum der Polizeistation, und Sam dachte gar nicht daran, dieser Primadonna von Bezirksstaatsanwalt die Genugtuung zu verschaffen, dass er zusammenzuckte. Genauso wenig aber hatte er die Absicht, sich zu verteidigen, denn sie hatten es vermasselt. Er und Gillis hatten die Sache vermasselt, und jetzt war ein Polizist tot. Ein Idiot zwar, aber dennoch ein Polizist. Einer von ihnen.
“Wir müssen allerdings zu unserer Verteidigung sagen”, ergriff Sams Partner Gordon Gillis das Wort, “dass wir Marty Pickett keine Erlaubnis gegeben haben, das Gelände zu betreten. Wir wussten nicht, dass er hinter die Absperrung …”
“Sie hatten die Verantwortung”, unterbrach ihn Liddell.
“Halt, Moment mal”, widersprach Gillis. “Officer Pickett trifft auch ein Teil der Schuld.”
“Pickett war ein Grünschnabel.”
“Er hätte sich an die Vorschriften halten müssen. Wenn er …”
“Klappe, Gillis”, sagte Sam.
Gillis schaute seinen Partner an. “Sam, ich versuche nur, etwas richtig zu stellen.”
“Da wir offensichtlich als Sündenböcke herhalten sollen, hilft uns das rein gar nichts.”
Sam lehnte sich in seinen Stuhl zurück und schaute Liddell über den Konferenztisch hinweg an. “Was fordern Sie, Herr Staatsanwalt? Eine öffentliche Tracht Prügel? Unsere Entlassung?”
“Kein Mensch fordert Ihre Entlassung”, gab Liddell zurück. “Aber wir haben einen toten Polizisten …”
“Glauben Sie, das weiß ich nicht?” brauste jetzt Chief Coopersmith auf. “Schließlich bin ich es, der sich den Fragen der Witwe stellen muss. Ganz zu schweigen von diesen blutsaugenden Reportern. Kommen Sie mir nicht mit diesem Wir- und Uns-Mist, Herr Staatsanwalt. Es war einer von uns, der hier umgekommen ist. Ein Polizist. Kein Anwalt.”
Sam schaute seinen Vorgesetzten überrascht an. Coopersmith auf seiner Seite zu haben war eine neue Erfahrung. Der Abe Coopersmith, den er kannte, war normalerweise sehr sparsam mit Worten, und nur wenige davon waren schmeichelhaft. Jetzt legte er sich für sie ins Zeug, weil ihnen das, was Liddell sagte, allen gegen den Strich ging. Unter Beschuss hielt die Polizei zusammen.
“Kommen wir wieder zur Sache”, sagte Coopersmith. “Wir haben einen Bombenleger in der Stadt. Und unseren ersten Toten. Was wissen wir bis jetzt?” Er schaute auf Sam, den Einsatzleiter der kürzlich wieder zusammengestellten Bombeneinsatztruppe. “Navarro?”
“Bis jetzt noch nicht sehr viel”, räumte Sam ein. Er öffnete eine Unterlagenmappe und nahm einen Stapel Blätter heraus. Er verteilte die Kopien unter den anderen vier Männern, die um den Tisch saßen - Liddell, Chief Coopersmith, Gillis und Ernie Takeda, der Sprengstoffexperte aus dem Labor des Bundesstaates Maine. “Die erste Explosion ereignete sich um 2:15 morgens. Die zweite um 2:30. Bei der zweiten Explosion ging die R.S. Hancock Lagerhalle hoch. Sie hat auch bei zwei angrenzenden Gebäuden geringfügigen Schaden angerichtet. Ein Wachmann hatte die Bombe zufällig entdeckt und alarmierte um 1:30 die Polizei. Gillis war um 1:50 dort, ich um 2:00. Wir hatten das Gelände gerade weiträumig abgesperrt und wollten uns eben an die Arbeit machen, als die erste Bombe hochging. Dann, fünfzehn Minuten später, noch ehe wir dazu kamen, das Gebäude zu durchsuchen, explodierte die zweite. Und tötete Officer Pickett.” Sam schaute Liddell an, aber dieses Mal hielt sich der Staatsanwalt mit einem Kommentar zurück. “Es handelt sich um Dynamit.” Eine Weile herrschte Schweigen. Dann fragte Coopersmith: “Aber es stammt nicht aus derselben Serie wie die beiden Bomben vom letzten Jahr?”
“Sehr wahrscheinlich doch”, gab Sam zurück. “Weil es der einzige große Dynamitdiebstahl war, den wir in den vergangenen Jahren hier zu verzeichnen haben.”
“Aber diese Bombenanschläge wurden aufgeklärt”, mischte sich Liddell ein. “Und wir wissen, dass Victor Spectre tot ist. Wer also hat diese Bomben hier gebastelt?”
“Vielleicht haben wir es ja mit jemandem zu tun, der bei Spectre in die Lehre gegangen ist. Jemand, der nicht nur die Technik des Meisters übernommen hat, sondern auch Zugang zu dessen Dynamitvorräten hat. Die wir, wenn ich daran erinnern darf, nie entdeckt haben.”
“Bis jetzt steht nicht fest, dass das Dynamit aus derselben Quelle stammt”, sagte Liddell. “Vielleicht gibt es ja gar keinen Zusammenhang mit den Spectre-Bomben.”
“Ich fürchte, dass unsere Beweise eine andere Sprache sprechen”, erwiderte Sam. “Und das wird Ihnen gar nicht gefallen.” Er schaute Ernie Takeda an. “Du bist dran, Ernie.”
Takeda, der sich immer unbehaglich fühlte, wenn er vor Publikum reden musste, hielt den Laborbericht vor sich und führte in schmucklosen Worten seine Untersuchungsergebnisse aus. “Basierend auf dem Material, das wir am Tatort zusammengetragen haben, können wir eine Vorvermutung über die Bauart der Bombe anstellen. Wir glauben, dass es sich um denselben Zeitzünder handelt, den Vincent Spectre letztes Jahr benutzt hat. Es scheint dasselbe Schaltsystem zu sein, durch das das Dynamit entzündet wurde. Die Stäbe waren mit zwei Zoll breitem grünen Isolierband zusammengebunden.”
Liddell schaute auf Sam. “Dasselbe Schaltsystem, dieselbe Serie? Was, zum Teufel, geht hier vor?”
“Offensichtlich hat Vincent Spectre vor seinem Tod ein paar seiner Kenntnisse weitergegeben”, sagte Gillis. “Jetzt haben wir es mit einer zweiten Generation von Bombenlegern zu tun.”
“Was uns jetzt noch fehlt, ist das psychologische Profil dieses Neueinsteigers”, sagte Sam. “Spectre hat aus reiner Geldgier gehandelt. Er hat sich kaufen lassen und seine Jobs kaltblütig erledigt. Bei diesem neuen Bombenleger müssen wir erst noch ein Motivationsmuster herausfiltern.”
“Heißt das, Sie gehen davon aus, dass er wieder zuschlägt?” fragte Liddell.
Sam nickte müde. “Leider ja.”
Es klopfte an der Tür. Eine Polizistin steckte den Kopf durch den Türspalt.
“Entschuldigen Sie, aber hier ist ein Anruf für Navarro und Gillis.”
“Ich gehe”, sagte Gillis. Er stand schwerfällig auf und trabte zum Telefon. Liddell konzentrierte sich immer noch auf Sam. “Dann ist das also alles, womit Portlands Eliteeinheit aufwarten kann? Wir warten auf den nächsten Bombenanschlag, damit wir ein Motivationsmuster herausfiltern können? Und erst dann werden wir vielleicht, aber nur ganz vielleicht eine Idee bekommen, was, zum Teufel, wir tun können?”
“Ein Bombenanschlag ist eine feige Tat, Mr. Liddell”, erklärte Sam ruhig. “Es handelt sich um Gewalt in Abwesenheit des Täters. Ich wiederhole das Wort - Abwesenheit. Wir haben keinerlei wie auch immer gearteten Hinweise, keine Fingerabdrücke, keine Zeugen, keine …”
“He, Chief”, mischte sich Gillis ein. “Eben wurde ein weiterer Bombenanschlag gemeldet.”
“Was?” ächzte Coopersmith.
Sam war bereits auf den Beinen und ging mit großen Schritten zur Tür.
“Was war es denn diesmal?” fragte Liddell. “Wieder eine Lagerhalle?”
“Nein”, sagte Gillis. “Eine Kirche.”
© 1996 by Tess Gerritsen
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Autoren-Porträt von Tess Gerritsen
Die chinesischstämmige Tess Gerritsen arbeitete erfolgreich als Ärztin, bevor sie sich ihrer Jugendleidenschaft besann und anfing, Romane zu schreiben. Kaum jemand vereint seit vielen Jahren so gekonnt wie sie erzählerische Raffinesse mit medizinischer Detailgenauigkeit und psychologischer Glaubwürdigkeit der Figuren. Tess Gerritsen lebt mit ihrer Familie in Maine.
Bibliographische Angaben
- Autor: Tess Gerritsen
- 2009, 252 Seiten, Maße: 11,5 x 18 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Übersetzung: Luxx, Emma
- Übersetzer: Emma Luxx
- Verlag: MIRA Taschenbuch
- ISBN-10: 3899416279
- ISBN-13: 9783899416275
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