Aschenpummel
Roman. Originalausgabe
Teddy Kis ist, gelinde gesagt, ziemlich frustriert. Sie ist pummelig, ihr Job ist eine Zumutung und ihre Familie ebenso. Dann ist da auch noch ihre heimliche, unerreichbare Liebe: der Buchhändler von gegenüber. Von heute auf morgen...
Leider schon ausverkauft
versandkostenfrei
Buch (Kartoniert)
8.99 €
Produktdetails
Produktinformationen zu „Aschenpummel “
Teddy Kis ist, gelinde gesagt, ziemlich frustriert. Sie ist pummelig, ihr Job ist eine Zumutung und ihre Familie ebenso. Dann ist da auch noch ihre heimliche, unerreichbare Liebe: der Buchhändler von gegenüber. Von heute auf morgen beschließt Teddy, sich ihr Glück zu holen. Und zwar auf Vollgas!
Klappentext zu „Aschenpummel “
Kein Fettnäpfchen ist so klein, dass Teddy Kis es nicht mit schlafwandlerischer Sicherheit finden würde. Das ist leider auch schon das einzige, was derzeit bei ihr klappt. Ansonsten läuft es gerade nicht so gut: die Mutter eine Tyrannin, die Schwester eine Traumfrau mit Doktortitel, der Job eine Zumutung und von Figurproblemen fangen wir lieber gar nicht erst an. Teddy fühlt sich zu dick, zu doof, zu ungeliebt. Aber es gibt einen Lichtblick: den Pirat und Buchhändler von gegenüber, ihre heimliche Liebe! Und auf einmal ist Teddy wild entschlossen, sich ihren Teil vom Glück zu nehmen, komme, was wolle. Selbstmitleid war gestern, Tussis, zieht euch warm an, jetzt kommt Teddy Kis!
Lese-Probe zu „Aschenpummel “
Aschenpummel von Nora Miedler1
... mehr
Mein Leben war ein Phänomen, denn ich hatte einfach alles. Einfach alles, was eine Frau nicht brauchen konnte.
Ich hatte eine Schwester mit Doktortitel und Miss-Universum-Körper, eine Mutter mit Verfolgungswahn und sadistischer Ader, einen mies bezahlten Job in einem verschwindend kleinen Schuhladen, und jede kulinarische Sünde sichtbar verewigt an den falschen Stellen meines Körpers.
Außerdem hatte ich Liebeskummer. Und die herausragende Gabe, sämtliche Fettnäpfchen in meiner Umgebung aufzuspüren, um mich darin zu wälzen.
Und dann hatte ich noch etwas. Es war winzig klein, ging aber trotzdem nie verloren - obwohl ich ansonsten eine Meisterin im Verlieren war. Doch dieses Kinkerlitzchen wurde ich einfach nicht los, und so wie die Dinge standen, würde es mir noch im Tod die Treue halten.
Ich sah die Szene schon vor mir:
Meine kalte Leiche auf dem Tisch. Darüber gebeugt zwei Pathologen. Der eine: »Immer diese Hundertjährigen. Da bleibt man beim Untersuchen in jeder Falte hängen.«
Der andere: »O mein Gott, du wirst nicht glauben, an was ich jetzt hängen geblieben bin. An ihrem Jungfernhäutchen!«
Der eine: »War sie Nonne?«
Der andere: »Nö, die war einfach nur hässlich.«
Okay, vielleicht war das übertrieben. Wahrscheinlich würde ein einziger Pathologe reichen, um mich zu untersuchen. Es sei denn, Mama beschloss, mein Ende ein paar Jahrzehnte vorzuverlegen und mich am Sonntag zu ermorden, bei Mord müssen sicher zwei ran. Grund genug hätte sie. Bei dem Gedanken brach ich in Schweiß aus. Aber ich durfte nicht schwitzen! Ich musste bildschön oder zumindest trocken aussehen, denn in zehn Minuten würde ich hinüber ins Buchgeschäft gehen und meinem Traummann gegenüberstehen.
Höchste Zeit, den Laden dichtzumachen. Ächzend bückte ich mich und sammelte acht Paar Sportschuhe, Größe 27, ein. Weiße mit blauen Blümchen, silberne mit Glitzerstreifen, rote mit gelben Sternen, der Rest in fünf verschiedenen Rosaschattierungen. Und trotzdem hatte die kleine Melli wie stets nur die Nase gerümpft und ihr Schokoladeneis auf meinem Hocker verteilt. »Ich will aba Prinzessinnenportsuhe!«
Wie sollten die aussehen? Mit Stöckel drunter und Krönchen drauf?
Ich balancierte die Schuhschachteln hinter den Vorhang und pfefferte sie ins erstbeste Regal, in dem noch Platz war. Das machte ich immer so. Bonnie-Denise zuliebe. Sie war ganz versessen aufs Ordnen und Schichten.
Ein letzter Blick in den Spiegel. Nicht gut. Ich sah absolut scheiße aus, mehr noch als sonst. Ich nahm die Brille ab und beugte mich so weit vor, dass ich mit der Nase gegen den Spiegel stieß. Einmal dem Piraten so nahe sein ... Ich setzte die Brille wieder auf und rubbelte mit den Händen über meine Wangen, um wenigstens dort ein bisschen Farbe zu bekommen. Es war Ende August, Ende eines Jahrhundertsommers, und ich war weißer als der weiße Hai, fast so schlimm wie in den Wintermonaten, in denen ich weißer war als das kleine Gespenst.
»Keine Farbpigmente, das Kind, fast ein Albino«, hatte meine Mutter jahrelang jedem, der nicht schnell genug war, zugeflüstert. »Ich hab doch braune Haare und braune Augen«, hatte ich aufbegehrt, woraufhin mir Mama einen Blick zuwarf, der zwischen »Was weißt du schon?« und »Wer weiß, wie lange noch!« lag.
Ich reckte das Kinn hoch. Mein Hals immerhin hatte Farbe. Aber leider nicht die gute Sorte: rote, kreisrunde Flecken, die sich auf den Wangen sicher ganz reizend ausgenommen hätten, überall anders aber nach Ausschlag aussahen. Ich schnappte mir eines von den Seidentüchern, die wir verkauften, und wickelte es mir um den Hals. Ich dachte sogar daran, es so zu knoten, dass das Preisschild zwischen Hals und Tuch verschwand. Das olivfarbene Leinenkleid, das ich trug, hing wie ein Sack an mir herunter - und trotzdem zeichneten sich die Schenkel links und rechts als Beulen ab. Ich kramte das Reservemiederhöschen aus meinem Rucksack und quetschte meine Hüften hinein.
Zwei juckende Miederhöschen übereinander. Das war ich. Teddy Kis.
Auf dem Weg zum Mann meiner Träume. Zum Piraten.
Vor vier Monaten war er mit all seinen Büchern in den Laden nebenan eingezogen. Er hatte in bunten Lettern die Worte Libri Liberi auf ein Schild gemalt und saß seither wochentags von zehn bis neunzehn Uhr zwischen den ganzen abgegriffenen Heften und Büchern und verkaufte sie für zwei Euro und weniger das Stück.
Jeden Abend kaufte ich bei ihm ein Buch. Ich ließ mir beim Aussuchen Zeit, erst, wenn ich die allerletzte Kundin war, ging ich zur Kassa. Beim Zahlen sah ich ihn nie an - was natürlich unsinnig war, aber ich hatte nicht viel Vertrauen in mich, was das Unterdrücken von hysterischen Kicheranfällen betraf. Dafür drückte ich ihm den Schein so in die Hand, dass wir dabei Hautkontakt hatten. Ich zahlte immer mit einem Schein. Das Wechselgeld, das ich von ihm bekam, legte ich in der Nacht unter mein Kopfkissen. Und am nächsten Tag in den Schuhkarton, der unter meinem Bett stand. Um die achthundert Münzen lagen darin. Er war voll. Kein Platz mehr für weiteres Wechselgeld.
Das war aber nicht der Grund, warum der heutige Besuch beim Piraten der erbaulichste jemals werden musste. Der Grund war wie immer Mama. Und dass sie mir am Sonntag endgültig den Kopf abreißen würde. Und dass heute schon Freitag war!
»Mach dir keine Sorgen, Teddy. Ich beschütze dich. Kein Sonntag der Welt kann dir etwas anhaben, denn du bist eine schöne und starke Frau, die Frau meiner Träume, und ich werde dich auf Händen durch alle Widrigkeiten dieser Welt tragen. Ich liebe dich.«
Ich schloss die Augen. Wenn der Pirat diese Worte tatsächlich zu mir sagen würde, dann könnten mich wahrhaftig sämtliche Widrigkeiten an meinem Hintern lecken. Den Gedanken, dass die Widrigkeiten recht viel zum Lecken hätten, verdrängte ich rasch wieder. Stattdessen ließ ich den Piraten weitere Liebesworte flüstern: »Ich habe noch nie eine Frau wie dich gekannt, Teddy. Du bist einzigartig, und die Tatsache, dass du noch Single bist, muss bedeuten, dass alle anderen Männer auf dieser Welt blind sind.«
Als ich die Augen wieder öffnete, zeigte mir mein Spiegelbild erbarmungslos, dass die anderen Männer wohl eher nicht blind waren, wenn sie mich verschmähten, und dass ich außerdem wieder mal meinen Handrücken knutschte. Ich bückte mich, um den CD-Player auszuschalten, doch dann zog ich meinen ausgestreckten Finger zurück und richtete mich auf. Diesen Song konnte ich nicht unterbrechen. Er war mein Song.
»I traveled each and every highway ...« Denn er gab mir das Gefühl, genauso zu leben zu dürfen, wie ich wollte, und am Ende einfach schmettern zu können: »Scheißegal! I did it my way!« Natürlich würde ich erst mal damit anfangen müssen, so zu leben, wie ich wollte, um am Ende meiner Tage mit vollem Anrecht mitsingen zu dürfen, aber in dem Text lag so viel Kraft und Selbstvertrauen, dass ich mich allein schon beim Zuhören stark, ja beinahe todesmutig fühlte.
Seit fünfzehn Jahren arbeitete ich hier, fast die Hälfte meines Lebens, und nie war auch nur ein Tag im Schuhladen vergangen, wo wir nicht vom Aufsperren bis zum Absperren Sinatra gehört hätten. Weil Hans, der ehemalige Besitzer des Schuh-Bi-Dubi-Du, »Ol'Blue Eyes« ja persönlich gekannt und verehrt hatte wie kein anderer. Und es erfüllte mich mit Stolz, seit Hans' Tod vor drei Jahren persönlich dafür zu sorgen, dass die Tradition aufrechterhalten wurde. Auch wenn das einige Kämpfe mit BonnieDenise bedeutete, die viel lieber Katy Perry, oder »wenn schon so was Vorsintflutliches, dann wenigstens Shaggy«, gehört hätte.
Es war so weit. Ich schaltete den CD-Player ab, reckte das Kinn vor und straffte die Schultern. Ich würde jetzt da rübergehen und den Piraten mit meiner unwiderstehlichen Anziehungskraft umhauen. Das konnte doch nicht so schwer sein. Ich musste es nur schaffen, ein bisschen Liebreiz, Anmut und Stolz auszustrahlen. Ich würde es ganz einfach my way tun. Jawohl.
Ich schloss die Tür ab und sah Batman auf der anderen Straßenseite. Er gähnte. Als ich ihm zuwinkte, stand er auf und fing an, aufgeregt hin und her zu tänzeln. Ich signalisierte ihm, indem ich auf mein uhrloses Handgelenk deutete, dass ich heute leider keine Zeit für ihn hatte. Auf der Stelle nahm er wieder seinen Platz ein. Batman war der Einzige, der mich immer verstand.
Ich holte tief Luft, dreimal hintereinander, bis mir schwindelig wurde, dann marschierte ich los. Liebreizend und anmutig. My way. Es sind exakt zwölfeinhalb Schritte vom Schuh-Bi zum Libri Liberi. Ich wusste nicht warum, aber ich zählte sie jedes Mal. Und heute, wo es besonders wichtig war, zählte und ging ich mit geschlossenen Augen. Zehn, elf, zwölf, zwölfeinhalb.
Ich fand es wahnsinnig romantisch, dass ich den Weg so gut kannte, dass ich ihn sogar blind fand, blind nach der Türklinke greifen konnte ... ich fasste ins Leere, denn die Türe war bereits geöffnet. Ich stolperte die kleine Stufe ins Geschäft und riss in meiner Panik beinahe den erstbesten Bücherständer um. Das Ganze verursachte einen unglaublichen Lärm, Quietschen meinerseits inklusive.
Der Pirat saß hinter seinem Schreibtisch und sah mich an. »Oh«, sagte er. Und dann: »Guten Abend.«
»Guten Abend«, flüsterte ich, ließ den Ständer los und verschwand hinter einem Regal. Dort biss ich mir erst einmal auf alle zehn Fingernägel zugleich. So lange bis mir klar wurde, dass das Geräusch, das meine Zähne dabei machten, in dem kleinen Laden widerhallte wie ein Lachanfall in der Kirche. Ich zog die Finger aus meinem Mund und blickte mich vorsichtig um. Niemand sonst war zu sehen, der Pirat und ich waren alleine. Verdammt, Teddy! Liebreizend und anmutig? Shiti!
Doch ich ermahnte mich sofort, wieder Haltung anzunehmen, schließlich kann auch die anmutigste Frau mal ein kleines bisschen ins Stolpern geraten. Jetzt war es an der Zeit, mich auf mein eigentliches Ziel zu konzentrieren: endlich den Piraten zu verführen.
© Ullstein TB (Verlag)
Mein Leben war ein Phänomen, denn ich hatte einfach alles. Einfach alles, was eine Frau nicht brauchen konnte.
Ich hatte eine Schwester mit Doktortitel und Miss-Universum-Körper, eine Mutter mit Verfolgungswahn und sadistischer Ader, einen mies bezahlten Job in einem verschwindend kleinen Schuhladen, und jede kulinarische Sünde sichtbar verewigt an den falschen Stellen meines Körpers.
Außerdem hatte ich Liebeskummer. Und die herausragende Gabe, sämtliche Fettnäpfchen in meiner Umgebung aufzuspüren, um mich darin zu wälzen.
Und dann hatte ich noch etwas. Es war winzig klein, ging aber trotzdem nie verloren - obwohl ich ansonsten eine Meisterin im Verlieren war. Doch dieses Kinkerlitzchen wurde ich einfach nicht los, und so wie die Dinge standen, würde es mir noch im Tod die Treue halten.
Ich sah die Szene schon vor mir:
Meine kalte Leiche auf dem Tisch. Darüber gebeugt zwei Pathologen. Der eine: »Immer diese Hundertjährigen. Da bleibt man beim Untersuchen in jeder Falte hängen.«
Der andere: »O mein Gott, du wirst nicht glauben, an was ich jetzt hängen geblieben bin. An ihrem Jungfernhäutchen!«
Der eine: »War sie Nonne?«
Der andere: »Nö, die war einfach nur hässlich.«
Okay, vielleicht war das übertrieben. Wahrscheinlich würde ein einziger Pathologe reichen, um mich zu untersuchen. Es sei denn, Mama beschloss, mein Ende ein paar Jahrzehnte vorzuverlegen und mich am Sonntag zu ermorden, bei Mord müssen sicher zwei ran. Grund genug hätte sie. Bei dem Gedanken brach ich in Schweiß aus. Aber ich durfte nicht schwitzen! Ich musste bildschön oder zumindest trocken aussehen, denn in zehn Minuten würde ich hinüber ins Buchgeschäft gehen und meinem Traummann gegenüberstehen.
Höchste Zeit, den Laden dichtzumachen. Ächzend bückte ich mich und sammelte acht Paar Sportschuhe, Größe 27, ein. Weiße mit blauen Blümchen, silberne mit Glitzerstreifen, rote mit gelben Sternen, der Rest in fünf verschiedenen Rosaschattierungen. Und trotzdem hatte die kleine Melli wie stets nur die Nase gerümpft und ihr Schokoladeneis auf meinem Hocker verteilt. »Ich will aba Prinzessinnenportsuhe!«
Wie sollten die aussehen? Mit Stöckel drunter und Krönchen drauf?
Ich balancierte die Schuhschachteln hinter den Vorhang und pfefferte sie ins erstbeste Regal, in dem noch Platz war. Das machte ich immer so. Bonnie-Denise zuliebe. Sie war ganz versessen aufs Ordnen und Schichten.
Ein letzter Blick in den Spiegel. Nicht gut. Ich sah absolut scheiße aus, mehr noch als sonst. Ich nahm die Brille ab und beugte mich so weit vor, dass ich mit der Nase gegen den Spiegel stieß. Einmal dem Piraten so nahe sein ... Ich setzte die Brille wieder auf und rubbelte mit den Händen über meine Wangen, um wenigstens dort ein bisschen Farbe zu bekommen. Es war Ende August, Ende eines Jahrhundertsommers, und ich war weißer als der weiße Hai, fast so schlimm wie in den Wintermonaten, in denen ich weißer war als das kleine Gespenst.
»Keine Farbpigmente, das Kind, fast ein Albino«, hatte meine Mutter jahrelang jedem, der nicht schnell genug war, zugeflüstert. »Ich hab doch braune Haare und braune Augen«, hatte ich aufbegehrt, woraufhin mir Mama einen Blick zuwarf, der zwischen »Was weißt du schon?« und »Wer weiß, wie lange noch!« lag.
Ich reckte das Kinn hoch. Mein Hals immerhin hatte Farbe. Aber leider nicht die gute Sorte: rote, kreisrunde Flecken, die sich auf den Wangen sicher ganz reizend ausgenommen hätten, überall anders aber nach Ausschlag aussahen. Ich schnappte mir eines von den Seidentüchern, die wir verkauften, und wickelte es mir um den Hals. Ich dachte sogar daran, es so zu knoten, dass das Preisschild zwischen Hals und Tuch verschwand. Das olivfarbene Leinenkleid, das ich trug, hing wie ein Sack an mir herunter - und trotzdem zeichneten sich die Schenkel links und rechts als Beulen ab. Ich kramte das Reservemiederhöschen aus meinem Rucksack und quetschte meine Hüften hinein.
Zwei juckende Miederhöschen übereinander. Das war ich. Teddy Kis.
Auf dem Weg zum Mann meiner Träume. Zum Piraten.
Vor vier Monaten war er mit all seinen Büchern in den Laden nebenan eingezogen. Er hatte in bunten Lettern die Worte Libri Liberi auf ein Schild gemalt und saß seither wochentags von zehn bis neunzehn Uhr zwischen den ganzen abgegriffenen Heften und Büchern und verkaufte sie für zwei Euro und weniger das Stück.
Jeden Abend kaufte ich bei ihm ein Buch. Ich ließ mir beim Aussuchen Zeit, erst, wenn ich die allerletzte Kundin war, ging ich zur Kassa. Beim Zahlen sah ich ihn nie an - was natürlich unsinnig war, aber ich hatte nicht viel Vertrauen in mich, was das Unterdrücken von hysterischen Kicheranfällen betraf. Dafür drückte ich ihm den Schein so in die Hand, dass wir dabei Hautkontakt hatten. Ich zahlte immer mit einem Schein. Das Wechselgeld, das ich von ihm bekam, legte ich in der Nacht unter mein Kopfkissen. Und am nächsten Tag in den Schuhkarton, der unter meinem Bett stand. Um die achthundert Münzen lagen darin. Er war voll. Kein Platz mehr für weiteres Wechselgeld.
Das war aber nicht der Grund, warum der heutige Besuch beim Piraten der erbaulichste jemals werden musste. Der Grund war wie immer Mama. Und dass sie mir am Sonntag endgültig den Kopf abreißen würde. Und dass heute schon Freitag war!
»Mach dir keine Sorgen, Teddy. Ich beschütze dich. Kein Sonntag der Welt kann dir etwas anhaben, denn du bist eine schöne und starke Frau, die Frau meiner Träume, und ich werde dich auf Händen durch alle Widrigkeiten dieser Welt tragen. Ich liebe dich.«
Ich schloss die Augen. Wenn der Pirat diese Worte tatsächlich zu mir sagen würde, dann könnten mich wahrhaftig sämtliche Widrigkeiten an meinem Hintern lecken. Den Gedanken, dass die Widrigkeiten recht viel zum Lecken hätten, verdrängte ich rasch wieder. Stattdessen ließ ich den Piraten weitere Liebesworte flüstern: »Ich habe noch nie eine Frau wie dich gekannt, Teddy. Du bist einzigartig, und die Tatsache, dass du noch Single bist, muss bedeuten, dass alle anderen Männer auf dieser Welt blind sind.«
Als ich die Augen wieder öffnete, zeigte mir mein Spiegelbild erbarmungslos, dass die anderen Männer wohl eher nicht blind waren, wenn sie mich verschmähten, und dass ich außerdem wieder mal meinen Handrücken knutschte. Ich bückte mich, um den CD-Player auszuschalten, doch dann zog ich meinen ausgestreckten Finger zurück und richtete mich auf. Diesen Song konnte ich nicht unterbrechen. Er war mein Song.
»I traveled each and every highway ...« Denn er gab mir das Gefühl, genauso zu leben zu dürfen, wie ich wollte, und am Ende einfach schmettern zu können: »Scheißegal! I did it my way!« Natürlich würde ich erst mal damit anfangen müssen, so zu leben, wie ich wollte, um am Ende meiner Tage mit vollem Anrecht mitsingen zu dürfen, aber in dem Text lag so viel Kraft und Selbstvertrauen, dass ich mich allein schon beim Zuhören stark, ja beinahe todesmutig fühlte.
Seit fünfzehn Jahren arbeitete ich hier, fast die Hälfte meines Lebens, und nie war auch nur ein Tag im Schuhladen vergangen, wo wir nicht vom Aufsperren bis zum Absperren Sinatra gehört hätten. Weil Hans, der ehemalige Besitzer des Schuh-Bi-Dubi-Du, »Ol'Blue Eyes« ja persönlich gekannt und verehrt hatte wie kein anderer. Und es erfüllte mich mit Stolz, seit Hans' Tod vor drei Jahren persönlich dafür zu sorgen, dass die Tradition aufrechterhalten wurde. Auch wenn das einige Kämpfe mit BonnieDenise bedeutete, die viel lieber Katy Perry, oder »wenn schon so was Vorsintflutliches, dann wenigstens Shaggy«, gehört hätte.
Es war so weit. Ich schaltete den CD-Player ab, reckte das Kinn vor und straffte die Schultern. Ich würde jetzt da rübergehen und den Piraten mit meiner unwiderstehlichen Anziehungskraft umhauen. Das konnte doch nicht so schwer sein. Ich musste es nur schaffen, ein bisschen Liebreiz, Anmut und Stolz auszustrahlen. Ich würde es ganz einfach my way tun. Jawohl.
Ich schloss die Tür ab und sah Batman auf der anderen Straßenseite. Er gähnte. Als ich ihm zuwinkte, stand er auf und fing an, aufgeregt hin und her zu tänzeln. Ich signalisierte ihm, indem ich auf mein uhrloses Handgelenk deutete, dass ich heute leider keine Zeit für ihn hatte. Auf der Stelle nahm er wieder seinen Platz ein. Batman war der Einzige, der mich immer verstand.
Ich holte tief Luft, dreimal hintereinander, bis mir schwindelig wurde, dann marschierte ich los. Liebreizend und anmutig. My way. Es sind exakt zwölfeinhalb Schritte vom Schuh-Bi zum Libri Liberi. Ich wusste nicht warum, aber ich zählte sie jedes Mal. Und heute, wo es besonders wichtig war, zählte und ging ich mit geschlossenen Augen. Zehn, elf, zwölf, zwölfeinhalb.
Ich fand es wahnsinnig romantisch, dass ich den Weg so gut kannte, dass ich ihn sogar blind fand, blind nach der Türklinke greifen konnte ... ich fasste ins Leere, denn die Türe war bereits geöffnet. Ich stolperte die kleine Stufe ins Geschäft und riss in meiner Panik beinahe den erstbesten Bücherständer um. Das Ganze verursachte einen unglaublichen Lärm, Quietschen meinerseits inklusive.
Der Pirat saß hinter seinem Schreibtisch und sah mich an. »Oh«, sagte er. Und dann: »Guten Abend.«
»Guten Abend«, flüsterte ich, ließ den Ständer los und verschwand hinter einem Regal. Dort biss ich mir erst einmal auf alle zehn Fingernägel zugleich. So lange bis mir klar wurde, dass das Geräusch, das meine Zähne dabei machten, in dem kleinen Laden widerhallte wie ein Lachanfall in der Kirche. Ich zog die Finger aus meinem Mund und blickte mich vorsichtig um. Niemand sonst war zu sehen, der Pirat und ich waren alleine. Verdammt, Teddy! Liebreizend und anmutig? Shiti!
Doch ich ermahnte mich sofort, wieder Haltung anzunehmen, schließlich kann auch die anmutigste Frau mal ein kleines bisschen ins Stolpern geraten. Jetzt war es an der Zeit, mich auf mein eigentliches Ziel zu konzentrieren: endlich den Piraten zu verführen.
© Ullstein TB (Verlag)
... weniger
Autoren-Porträt von Nora Miedler
Miedler, NoraNora Miedler, Jahrgang 1977, ist ausgebildete Schauspielerin, lebt in Wien und ist bereits erfolgreiche Krimiautorin. Grund genug, jetzt auch einmal etwas anderes zu schreiben, über Teddy Kis, eine rundum unperfekte Frau. Ein zweiter Teddy-Kis-Roman ist bereits in Arbeit.
Bibliographische Angaben
- Autor: Nora Miedler
- 2012, 272 Seiten, Maße: 12 x 19 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: Ullstein TB
- ISBN-10: 354828342X
- ISBN-13: 9783548283425
Rezension zu „Aschenpummel “
"Nora Miedler überrascht und unterhält mit feinem Gespür für Beziehungen." Freundin, Freundin, 18.04.2012
Kommentare zu "Aschenpummel"
0 Gebrauchte Artikel zu „Aschenpummel“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
4.5 von 5 Sternen
5 Sterne 10Schreiben Sie einen Kommentar zu "Aschenpummel".
Kommentar verfassen