Auf lautlosen Schwingen / Ghostwalker Bd.3
Roman
Die zurückgezogen lebende Amber wird vom Rat der Berglöwen gebeten, den Adlerwandlern eine Nachricht zu überbringen. Dafür überschreitet sie zum ersten Mal die unsichtbare Grenze zwischen ihr und dem Adler Griffin, der sie als Kind vor den Mördern ihres...
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Produktinformationen zu „Auf lautlosen Schwingen / Ghostwalker Bd.3 “
Klappentext zu „Auf lautlosen Schwingen / Ghostwalker Bd.3 “
Die zurückgezogen lebende Amber wird vom Rat der Berglöwen gebeten, den Adlerwandlern eine Nachricht zu überbringen. Dafür überschreitet sie zum ersten Mal die unsichtbare Grenze zwischen ihr und dem Adler Griffin, der sie als Kind vor den Mördern ihres Vaters gerettet hat. Im Gebiet der Adler wird sie angegriffen, und wieder kommt Griffin ihr in letzter Minute zu Hilfe. Zum ersten Mal begegnen sie sich in ihrer menschlichen Gestalt, und erkennen, dass sie sich noch immer zueinander hingezogen fühlen. Aber können eine Berglöwin und ein Adler ein Paar werden? Während sie nach einem Weg suchen, wie sie ihr Leben gemeinsam gestalten können, wird ein Berglöwenwandler von unbekannten Angreifern schwer verletzt und sie begreifen, dass viel mehr auf dem Spiel steht als nur ihre Liebe.
Lese-Probe zu „Auf lautlosen Schwingen / Ghostwalker Bd.3 “
Ghostwalker - Auf lautlosen Schwingen von Michelle RavenProlog
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Ängstlich blickte Amber sich um. Bisher war ihr der Wald immer wie ein Freund vorgekommen, doch jetzt wirkten die riesigen Bäume bedrohlich, ihre Blätter verdeckten die Sonne und ließen alles düsterer erscheinen. Die Büsche schienen näher zu rücken, und überall raschelte es. Amber hatte das Gefühl, als wären von allen Seiten Augen auf sie gerichtet. Sie wollte nach Hause! Mit einem kläglichen Laut setzte sie sich auf den weichen Wald¬boden und versuchte sich zu erinnern, aus welcher Richtung sie gekommen war. Aber es sah überall gleich aus.
Noch nie hatte sie sich so weit vom Lager der Berglöwen¬wandler entfernt, schon gar nicht ohne ihre Eltern oder ihren älteren Bruder Coyle. Eigentlich hatte ihre Mutter Coyle ge¬beten, auf sie aufzupassen, aber er wollte sich lieber mit seinem besten Freund Finn treffen und hatte ihr gesagt, sie sollte im Haus bleiben. Aber dazu hatte sie keine Lust gehabt und war stattdessen zum Spielen nach draußen gegangen. Sie liebte die Natur, es gab immer so viele aufregende Dinge zu entdecken. Diesmal war es ein Reh gewesen, bei dem sie ihre Anschleich¬technik geübt hatte. Amber war ihm gefolgt, bis es sie ent¬deckte und mit großen Sprüngen zwischen den Bäumen ver¬schwand. Erst da hatte sie gemerkt, dass sie nicht mehr wusste, wo sie war.
Sie war so in ihr Elend vertieft, dass sie die Stimmen erst hörte, als sie schon ganz nah waren. Abrupt setzte sie sich auf, voller Hoffnung, dass einer der Berglöwenwandler zufällig in der Nähe war und sie mit zum Lager nehmen konnte.
„Ich sage dir, ich habe eben etwas gehört. Es muss hier irgend¬wo gewesen sein."
„Wenn du uns wieder stundenlang nach etwas suchen lässt, das es gar nicht gibt, gehen wir nie wieder mit dir auf die Jagd."
Furcht kroch über Ambers Rückgrat. Die Männer waren keine Wandler, sondern Menschen! Ihre Eltern hatten sie vor ihnen gewarnt. Sie durften sie auf keinen Fall finden. Hastig rappelte Amber sich auf und begann, vorsichtig in Richtung eines Dickichts zu pirschen. Sie musste sich irgendwo verkriechen und abwarten, bis die Männer verschwunden waren. Danach würde sie dann einen Weg nach Hause finden.
„Da ist es wieder. Los, kommt!" Aufregung klang in der Stim¬me des Mannes mit.
Amber schob sich tiefer in das Dickicht, bemüht, so leise wie möglich zu sein. Ihr Herz klopfte so laut, dass sie nichts anderes mehr hören konnte. Als sie nicht weiterkonnte, presste sie sich so dicht auf den Boden, wie es ging, und kniff die Augen zu. Viel¬leicht würden sie einfach weitergehen, wenn sie sie nicht sehen konnten. Bitte. Bitte. Der Geruch der Männer wurde immer intensiver, er war irgendwie ... falsch. Die Wandler rochen nach einer Mischung aus Berglöwe, Mensch und Natur, doch diese Menschen stanken. Die Zweige über ihr knackten, und Amber hatte Mühe, ein Wimmern zu unterdrücken.
„Ah, wen haben wir denn da? Ein Pumajunges."
Amber riss die Augen auf und starrte ängstlich nach oben. Einer der Männer hatte die Zweige zur Seite geschoben und blickte sie nun an.
„Los, schnell, fangt es ein!"
Panik durchzuckte Amber, und sie rannte blindlings los. Damit überraschte sie die Männer und schaffte es, ihnen zu entgehen. Amber hörte, wie sie etwas riefen, aber sie konnte sie nicht verstehen. Die Angst ließ das Blut in ihren Ohren rauschen, als sie einen Haken schlug und versuchte, durch dichteres Busch¬werk zu entkommen. Die Flüche hinter ihr ließen sie für einen Moment hoffen, dass sie noch einmal davonkommen würde. Sie blickte im Laufen hinter sich und stieß unerwartet gegen etwas Hartes. Benommen versuchte sie, wieder auf die Füße zu kommen, und erstarrte, als sie über sich einen der Menschen er¬blickte. Er lehnte einen langen Gegenstand aus Holz und Metall an einen Baumstamm und beugte sich zu ihr hinunter.
„Hab ich dich." Zufriedenheit lag in seiner Stimme. Er sah seinen Kumpanen entgegen. „Ein schönes Exemplar, das wird uns jede Menge einbringen."
Was immer er damit meinte, es hörte sich nicht gut an. Amber versuchte sich aufzurichten, aber der Mann stellte seinen Fuß auf ihren Rücken.
„Du bleibst schön hier." Er wandte sich an einen der Männer. „Gib mir einen Sack."
Nein! Verzweifelt versuchte Amber zu entkommen, doch der Druck wurde immer stärker, bis sie glaubte, ihr Rücken würde durchbrechen. Sie fauchte schwach und schlug mit der Pfote nach dem Bein.
Der Mann lachte nur. „Wie niedlich, unser Kätzchen hat Kral¬len." Er beugte sich zu ihr hinunter, seine Hand ausgestreckt.
Bevor Amber irgendetwas tun konnte, stieß etwas mit voller Wucht gegen den Menschen, und sie war frei. Sie wollte da¬vonlaufen, blieb aber wie erstarrt stehen, als sie ihren Vater sah, der sich gegen den Mann geworfen hatte und ihn nun am Boden hielt. Für einen Moment schien die Zeit stillzustehen, die Menschen waren so vom Auftauchen des gewaltigen Berg¬löwen überrascht, dass sie ihn nur mit offenen Mündern an¬starrten. Dann schrie der Mann am Boden, als ihr Vater zubiss, und der Augenblick zerrann. Zeitgleich rissen die Menschen ihre Gewehre hoch.
„Schießt endlich!"
Amber blickte wild umher. Wo waren die anderen Wandler? Kam ihnen denn niemand zu Hilfe? Sie stürzte sich auf das Bein eines der Männer, aber der schüttelte sie einfach nur ab. Amber flog durch die Luft und landete einige Meter entfernt an einem Baum. Ein Knall hallte durch den Wald. Amber rappelte sich wieder auf und sah zu ihrem Vater hinüber. Er war über dem Mann zusammengebrochen, sein Fell färbte sich an der Seite rot. Nein!
„Nehmt ihn von mir runter!" Die Stimme des Menschen klang schrill.
Amber presste sich zitternd auf den Boden. Ihrem Vater durfte nichts passiert sein! Sicher würde er gleich aufstehen und mit ihr davonlaufen, damit sie diesen schrecklichen Menschen entkommen konnten. Aber das tat er nicht. Die Männer hoben ihn stöhnend hoch und warfen ihn zur Seite. Amber stieß ein Wimmern aus, als sie das Blut in seinem Gesicht sah. Seine Augen öffneten sich langsam, und er sah sie direkt an. Lauf! Das tiefe Grollen war ein Befehl, doch sie zögerte. Sie konnte ihn doch nicht mit den bösen Menschen alleine lassen. Irgendwie musste sie ihm helfen, und dann würden sie gemeinsam zum Lager zurückkehren.
Sie machte einen vorsichtigen Schritt auf ihn zu. Ihr Vater atmete tief aus, seine Augen schlossen sich. Danach lag er still da. Nein, er durfte jetzt nicht schlafen, er musste mit ihr kommen!
„Verdammtes Vieh, beinahe hätte es mich umgebracht. Wo¬rauf habt ihr gewartet? Dass es mir die Kehle herausreißt?" Der Mann hockte sich neben ihren Vater und betrachtete ihn. „Er ist tot. Eine Schande, das war ein Prachtexemplar von einem Männ¬chen. Das hätte gutes Geld eingebracht."
Während Amber ihn wie betäubt anstarrte, unfähig zu glau¬ben, dass ihr Vater tot sein sollte, rechtfertigte sich der Schütze.
„Nächstes Mal lassen wir dich draufgehen, dann müssen wir den Gewinn auch nur durch zwei teilen."
„Sehr witzig. Los, schnappt euch das Kleine, und dann ver¬schwinden wir hier. Ich habe keine Lust, dass sich einer der Parkranger hierher verirrt und uns wegen Wilderei drankriegt."
Der Schock löste sich, und der Schmerz breitete sich in ihr aus. Seit sie denken konnte, war ihr Vater für sie da gewesen, sie konnte sich nicht vorstellen, dass er fort war. Der Gedanke an ihre Mutter und ihren Bruder verschärfte den Kummer noch. Dann wurde ihr bewusst, was der Mann gesagt hatte. Sie wollten sie einfangen! Ihr Vater hatte seine letzte Kraft aufgewendet, um ihr zu sagen, dass sie weglaufen sollte, also tat sie genau das. Sie konnte die schweren Schritte der Menschen hinter sich hören und versuchte schneller zu laufen, doch ihre kurzen Beine ver¬hedderten sich immer öfter in der Vegetation. Die Angst trieb sie vorwärts, bis sie vor Erschöpfung schwankte. Aber sie durfte nicht aufgeben, sonst war ihr Vater umsonst gestorben.
Amber spürte, wie etwas ihre Hüfte streifte, und schlug einen Haken. Mit letzter Kraft brach sie durch ein Gebüsch und sah sich verzweifelt um, doch da war nichts. Der Schwung trug sie vorwärts, und sie rutschte über eine Klippe ins Nichts. Sie ruderte mit den Beinen und versuchte, sich an irgendetwas festzukrallen, doch es gelang ihr nicht. Sie fiel, schlug gegen vorstehende Felsen und sich an den Steilhang klammernde Büsche, bis sie schlie߬lich tief unten auf einem Vorsprung liegen blieb. Ein Wimmern löste sich aus ihrer Kehle, als die Schmerzen in ihrem Körper explodierten.
„Seht ihr es irgendwo?"
Die Menschen! Amber versuchte, sich so klein zusammen¬zurollen, wie es nur ging, damit sie nicht entdeckt wurde. Sie zitterte am ganzen Körper, was die Schmerzen noch verstärkte.
„Da, ich sehe es! Verdammt, nach dem Sturz ist es entweder bereits tot oder hat sich sämtliche Knochen gebrochen und ist damit für uns wertlos. Kommt, sehen wir zu, dass wir hier ver¬schwinden."
Furcht überschwemmte Amber. Stimmte es, was der Mann sagte und sie würde hier sterben? Tränen bildeten sich hinter ihren geschlossenen Lidern und liefen über ihr Fell. Sie wollte zu ihrer Mutter! Erschöpfung breitete sich in ihr aus, und ihre Gedanken lösten sich auf. Schwärze senkte sich über sie.
Ein hoher Schrei riss Amber aus ihrer Bewusstlosigkeit. Be¬nommen hob sie den Kopf und blickte in den Abgrund. Rasend schnell kamen die Erinnerungen zurück, und Angst und Kum¬mer holten sie wieder ein. Ihr ganzer Körper war steif, jede kleinste Bewegung löste furchtbare Schmerzen aus. So konnte sie nur vorsichtig den Kopf drehen und versuchen herauszufin¬den, woher das Geräusch gekommen war. Amber glaubte, die Anwesenheit eines anderen Lebewesens zu spüren, aber sie sah niemanden. Tief atmete sie ein und bemerkte einen fremden Geruch. Sie konnte sich nicht erinnern, so etwas schon einmal wahrgenommen zu haben, aber es war nicht so furchteinflößend wie der Menschengeruch.
Als etwas über ihr knackte, blickte sie auf. Auf dem Ast eines verkrüppelten Baumes, der schräg über ihr an der Felswand wuchs, saß ein großer Vogel. Ihr Herz begann schneller zu klop¬fen, als er erneut einen Schrei ausstieß und sie erkannte, dass es ein Adler war. Ihre Eltern hatten sie gewarnt, nie einem solchen Raubvogel zu nahe zu kommen, weil sie wehrlose oder verletzte Jungtiere schlugen. Wartete der Vogel nur darauf, sie anzugrei¬fen? Auf dem kleinen Vorsprung hatte sie keine Möglichkeit, ihm zu entkommen. Wenn sie sich wenigstens aufrichten könnte, wür¬de der Adler sicher wissen, dass sie keine leichte Beute war, aber sie brach mit einem Schmerzenslaut sofort wieder zusammen.
Der Vogel gab ein klickendes Geräusch von sich, das beinahe beruhigend klang. Nervös sah Amber zu, wie er mit einigen wenigen Flügelschlägen zu ihr hinunterschwebte und nur zwei Meter von ihr entfernt auf einer aus den Felsen ragenden Wurzel landete. Große dunkelbraune Augen blickten sie prüfend an, dann senkte er seinen braun gefiederten Kopf, wie um ihr zu¬zunicken. Da er anscheinend nicht vorhatte, sie anzugreifen, legte Amber ihren Kopf wieder auf ihre Pfoten. Es war irgendwie tröstlich, nicht mehr alleine zu sein, auch wenn er nur ein Adler war und sie nicht mit ihm reden konnte. Er würde ihr nicht helfen können, wieder nach oben zu kommen, aber so hatte sie wenigstens Gesellschaft. Sein Geruch war jetzt stärker, er wi¬ckelte sich um sie und drang in jede Pore ein, bis sie wusste, dass sie ihn überall wiedererkennen würde.
Je länger sie dort lag, desto schwächer wurde sie. Schließlich hatte sie sogar Mühe, die Augen offen zu halten. Immer wieder glitten sie zu, und sie dämmerte ein. Ein scharfer Laut schreckte sie wieder auf. Der Adler sah sie direkt an und nickte heftig mit dem Kopf. Anscheinend wollte er, dass sie wach blieb, aber es fiel ihr so schwer ... Sie riss die Augen auf, als der Vogel seine Flügel ausbreitete und sich von der Wurzel abstieß. Zuerst dachte sie, er würde zu ihr kommen, aber dann drehte er ab und stieg in engen Schrauben immer höher aus dem Abgrund hinaus. Das Letzte, was sie von ihm sah, waren die hellen Bänder an der Unterseite seiner Schwanzfedern, bevor er über den Bäumen auf der Klippe verschwand.
Nein, komm zurück! Doch es war klar, dass er nicht zurückkeh¬ren würde. Wahrscheinlich war es ihm zu langweilig geworden, sie dabei zu beobachten, wie sie immer wieder einnickte. Selt¬samerweise fühlte sie sich jetzt noch verlassener als vor seinem Auftauchen. Wütend auf sich selbst drängte sie die Tränen zu¬rück, die in ihren Augen schwammen. Es war nur ein dummer Vogel gewesen, kein Freund. Sie sollte ihre Kraft schonen und lieber darauf hoffen, dass jemand aus ihrer Wandlergruppe sie fand. Mit Mühe konzentrierte sie sich darauf, nur noch ein- und auszuatmen und das Zittern zu stoppen, das wieder auf¬gekommen war, nachdem der Adler sie verlassen hatte. Langsam driftete Amber in den Schlaf.
„Amber!" Der Ruf weckte sie. Erschöpft blickte sie nach oben und erkannte ihren Bruder, der an den Klippen nach unten kletterte. Ihr Herz begann zu hämmern. Endlich kam jemand, um ihr zu helfen! Ängstlich sah sie zu, wie Coyle sich vorsichtig an den Felsen entlang nach unten bewegte. Hoffentlich rutschte er nicht ab. Mit seinen zwölf Jahren war er zwar wesentlich größer und kräftiger als sie selbst, aber er war immer noch ein Kind. Warum war keiner der Erwachsenen hier?
Amber versuchte, auf die Pfoten zu kommen, aber es gelang ihr nicht. So konnte sie nur zu ihm hinaufblicken und warten, bis er bei ihr ankam. Nach einer Zeit, die ihr wie eine Ewigkeit vorkam, trat er vorsichtig auf ihren Vorsprung und hockte sich neben sie.
Coyle hatte Tränen in den Augen, als er mit den Händen vorsichtig über ihr Fell strich. „Ich bin so froh, dass ich dich gefunden habe. Kannst du dich verwandeln, damit ich sehen kann, wo du verletzt bist?"
Amber wusste nicht, ob sie die Kraft dazu hatte, aber sie musste es zumindest versuchen. Quälend langsam setzte die Verwandlung ein, bis sie schließlich in Menschenform auf dem rauen Fels lag.
„Oh Gott, Amber. Es tut mir so leid." Schmerz und Scham lagen in Coyles Gesicht, als er auf ihre Verletzungen blickte. „Ich hätte dich nie wegschicken dürfen."
Amber wollte seine Hand nehmen, aber sie schaffte es nicht, ihren Arm zu heben. „M ... meine Schuld, ich hätte nicht alleine rausgehen dürfen." Tränen liefen über ihre Wangen. „Dad ..." Sie brachte es nicht über sich, zu erzählen, was geschehen war.
Coyle schluckte heftig. „Ich weiß, ich habe ihn gefunden." Er weinte ebenfalls, aber er schien es gar nicht zu bemerken. „Ich dachte, der Mörder hätte dich mitgenommen und ich würde dich nie wiedersehen."
„Dad hat gesagt ... ich soll fliehen. Deshalb bin ich so schnell gelaufen, wie ich konnte, aber sie waren immer noch hinter mir. Ich habe die Klippe nicht gesehen und bin hinuntergefallen." Ein Schauder lief durch ihren Körper und löste neue Schmerzen aus. „Die Männer dachten, es lohnt sich nicht, mich hier heraus¬zuholen, weil ich fast tot bin."
„Gott sei Dank haben sie es nicht versucht!" Coyle beugte sich über sie und legte seine Stirn an ihre. „Ich hätte dich nie gefunden, wenn mich der Adler nicht hierhergeführt hätte."
Amber riss die Augen auf. „Du hast ihn gesehen? Er hat mir Gesellschaft geleistet, und als er wegflog, dachte ich, es wäre ihm zu langweilig geworden."
Coyle rückte von ihr ab. „Nein, er hat dich nicht alleingelassen, sondern Hilfe geholt. Ich glaube, er ist auch ein Wandler, so wie wir, er roch zumindest so."
„Und ich dachte erst, er würde mich fressen."
Beinahe etwas wie ein Lächeln zog über Coyles Gesicht, während er ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht schob. „Ich glaube, er war noch sehr jung, vielleicht so alt wie du. Er hätte dich sowieso nicht tragen können. Außerdem jagen Wandler keine Wandler." Coyle wurde wieder ernst. „Und jetzt werde ich dich nach Hause bringen."
Nachdem er festgestellt hatte, dass sie nicht alleine laufen konnte, setzte er sie auf seine Schultern und begann den Abstieg in den Abgrund, der kürzer und ungefährlicher war, als der Aufstieg gewesen wäre. Jede Bewegung ließ den Schmerz in Amber wieder aufflammen, aber immerhin war Coyle bei ihr und brachte sie nach Hause, und so klammerte sie sich nur so fest an ihn, wie sie konnte. Als ein Vogelschrei erklang, blickte sie in den Himmel und erkannte den Adler, der über ihnen seine Kreise zog. Sie wünschte, er würde näher kommen, damit sie sich bei ihm bedanken konnte, doch er blieb weit oben. Zögernd hob sie die Hand und winkte ihm zu. Er stieß noch einen Schrei aus, dann verschwand er über den Klippen. Als er nicht wieder auf¬tauchte, schloss Amber die Augen und versank in der wartenden Dunkelheit.
© 2010 LYX verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH.
Ängstlich blickte Amber sich um. Bisher war ihr der Wald immer wie ein Freund vorgekommen, doch jetzt wirkten die riesigen Bäume bedrohlich, ihre Blätter verdeckten die Sonne und ließen alles düsterer erscheinen. Die Büsche schienen näher zu rücken, und überall raschelte es. Amber hatte das Gefühl, als wären von allen Seiten Augen auf sie gerichtet. Sie wollte nach Hause! Mit einem kläglichen Laut setzte sie sich auf den weichen Wald¬boden und versuchte sich zu erinnern, aus welcher Richtung sie gekommen war. Aber es sah überall gleich aus.
Noch nie hatte sie sich so weit vom Lager der Berglöwen¬wandler entfernt, schon gar nicht ohne ihre Eltern oder ihren älteren Bruder Coyle. Eigentlich hatte ihre Mutter Coyle ge¬beten, auf sie aufzupassen, aber er wollte sich lieber mit seinem besten Freund Finn treffen und hatte ihr gesagt, sie sollte im Haus bleiben. Aber dazu hatte sie keine Lust gehabt und war stattdessen zum Spielen nach draußen gegangen. Sie liebte die Natur, es gab immer so viele aufregende Dinge zu entdecken. Diesmal war es ein Reh gewesen, bei dem sie ihre Anschleich¬technik geübt hatte. Amber war ihm gefolgt, bis es sie ent¬deckte und mit großen Sprüngen zwischen den Bäumen ver¬schwand. Erst da hatte sie gemerkt, dass sie nicht mehr wusste, wo sie war.
Sie war so in ihr Elend vertieft, dass sie die Stimmen erst hörte, als sie schon ganz nah waren. Abrupt setzte sie sich auf, voller Hoffnung, dass einer der Berglöwenwandler zufällig in der Nähe war und sie mit zum Lager nehmen konnte.
„Ich sage dir, ich habe eben etwas gehört. Es muss hier irgend¬wo gewesen sein."
„Wenn du uns wieder stundenlang nach etwas suchen lässt, das es gar nicht gibt, gehen wir nie wieder mit dir auf die Jagd."
Furcht kroch über Ambers Rückgrat. Die Männer waren keine Wandler, sondern Menschen! Ihre Eltern hatten sie vor ihnen gewarnt. Sie durften sie auf keinen Fall finden. Hastig rappelte Amber sich auf und begann, vorsichtig in Richtung eines Dickichts zu pirschen. Sie musste sich irgendwo verkriechen und abwarten, bis die Männer verschwunden waren. Danach würde sie dann einen Weg nach Hause finden.
„Da ist es wieder. Los, kommt!" Aufregung klang in der Stim¬me des Mannes mit.
Amber schob sich tiefer in das Dickicht, bemüht, so leise wie möglich zu sein. Ihr Herz klopfte so laut, dass sie nichts anderes mehr hören konnte. Als sie nicht weiterkonnte, presste sie sich so dicht auf den Boden, wie es ging, und kniff die Augen zu. Viel¬leicht würden sie einfach weitergehen, wenn sie sie nicht sehen konnten. Bitte. Bitte. Der Geruch der Männer wurde immer intensiver, er war irgendwie ... falsch. Die Wandler rochen nach einer Mischung aus Berglöwe, Mensch und Natur, doch diese Menschen stanken. Die Zweige über ihr knackten, und Amber hatte Mühe, ein Wimmern zu unterdrücken.
„Ah, wen haben wir denn da? Ein Pumajunges."
Amber riss die Augen auf und starrte ängstlich nach oben. Einer der Männer hatte die Zweige zur Seite geschoben und blickte sie nun an.
„Los, schnell, fangt es ein!"
Panik durchzuckte Amber, und sie rannte blindlings los. Damit überraschte sie die Männer und schaffte es, ihnen zu entgehen. Amber hörte, wie sie etwas riefen, aber sie konnte sie nicht verstehen. Die Angst ließ das Blut in ihren Ohren rauschen, als sie einen Haken schlug und versuchte, durch dichteres Busch¬werk zu entkommen. Die Flüche hinter ihr ließen sie für einen Moment hoffen, dass sie noch einmal davonkommen würde. Sie blickte im Laufen hinter sich und stieß unerwartet gegen etwas Hartes. Benommen versuchte sie, wieder auf die Füße zu kommen, und erstarrte, als sie über sich einen der Menschen er¬blickte. Er lehnte einen langen Gegenstand aus Holz und Metall an einen Baumstamm und beugte sich zu ihr hinunter.
„Hab ich dich." Zufriedenheit lag in seiner Stimme. Er sah seinen Kumpanen entgegen. „Ein schönes Exemplar, das wird uns jede Menge einbringen."
Was immer er damit meinte, es hörte sich nicht gut an. Amber versuchte sich aufzurichten, aber der Mann stellte seinen Fuß auf ihren Rücken.
„Du bleibst schön hier." Er wandte sich an einen der Männer. „Gib mir einen Sack."
Nein! Verzweifelt versuchte Amber zu entkommen, doch der Druck wurde immer stärker, bis sie glaubte, ihr Rücken würde durchbrechen. Sie fauchte schwach und schlug mit der Pfote nach dem Bein.
Der Mann lachte nur. „Wie niedlich, unser Kätzchen hat Kral¬len." Er beugte sich zu ihr hinunter, seine Hand ausgestreckt.
Bevor Amber irgendetwas tun konnte, stieß etwas mit voller Wucht gegen den Menschen, und sie war frei. Sie wollte da¬vonlaufen, blieb aber wie erstarrt stehen, als sie ihren Vater sah, der sich gegen den Mann geworfen hatte und ihn nun am Boden hielt. Für einen Moment schien die Zeit stillzustehen, die Menschen waren so vom Auftauchen des gewaltigen Berg¬löwen überrascht, dass sie ihn nur mit offenen Mündern an¬starrten. Dann schrie der Mann am Boden, als ihr Vater zubiss, und der Augenblick zerrann. Zeitgleich rissen die Menschen ihre Gewehre hoch.
„Schießt endlich!"
Amber blickte wild umher. Wo waren die anderen Wandler? Kam ihnen denn niemand zu Hilfe? Sie stürzte sich auf das Bein eines der Männer, aber der schüttelte sie einfach nur ab. Amber flog durch die Luft und landete einige Meter entfernt an einem Baum. Ein Knall hallte durch den Wald. Amber rappelte sich wieder auf und sah zu ihrem Vater hinüber. Er war über dem Mann zusammengebrochen, sein Fell färbte sich an der Seite rot. Nein!
„Nehmt ihn von mir runter!" Die Stimme des Menschen klang schrill.
Amber presste sich zitternd auf den Boden. Ihrem Vater durfte nichts passiert sein! Sicher würde er gleich aufstehen und mit ihr davonlaufen, damit sie diesen schrecklichen Menschen entkommen konnten. Aber das tat er nicht. Die Männer hoben ihn stöhnend hoch und warfen ihn zur Seite. Amber stieß ein Wimmern aus, als sie das Blut in seinem Gesicht sah. Seine Augen öffneten sich langsam, und er sah sie direkt an. Lauf! Das tiefe Grollen war ein Befehl, doch sie zögerte. Sie konnte ihn doch nicht mit den bösen Menschen alleine lassen. Irgendwie musste sie ihm helfen, und dann würden sie gemeinsam zum Lager zurückkehren.
Sie machte einen vorsichtigen Schritt auf ihn zu. Ihr Vater atmete tief aus, seine Augen schlossen sich. Danach lag er still da. Nein, er durfte jetzt nicht schlafen, er musste mit ihr kommen!
„Verdammtes Vieh, beinahe hätte es mich umgebracht. Wo¬rauf habt ihr gewartet? Dass es mir die Kehle herausreißt?" Der Mann hockte sich neben ihren Vater und betrachtete ihn. „Er ist tot. Eine Schande, das war ein Prachtexemplar von einem Männ¬chen. Das hätte gutes Geld eingebracht."
Während Amber ihn wie betäubt anstarrte, unfähig zu glau¬ben, dass ihr Vater tot sein sollte, rechtfertigte sich der Schütze.
„Nächstes Mal lassen wir dich draufgehen, dann müssen wir den Gewinn auch nur durch zwei teilen."
„Sehr witzig. Los, schnappt euch das Kleine, und dann ver¬schwinden wir hier. Ich habe keine Lust, dass sich einer der Parkranger hierher verirrt und uns wegen Wilderei drankriegt."
Der Schock löste sich, und der Schmerz breitete sich in ihr aus. Seit sie denken konnte, war ihr Vater für sie da gewesen, sie konnte sich nicht vorstellen, dass er fort war. Der Gedanke an ihre Mutter und ihren Bruder verschärfte den Kummer noch. Dann wurde ihr bewusst, was der Mann gesagt hatte. Sie wollten sie einfangen! Ihr Vater hatte seine letzte Kraft aufgewendet, um ihr zu sagen, dass sie weglaufen sollte, also tat sie genau das. Sie konnte die schweren Schritte der Menschen hinter sich hören und versuchte schneller zu laufen, doch ihre kurzen Beine ver¬hedderten sich immer öfter in der Vegetation. Die Angst trieb sie vorwärts, bis sie vor Erschöpfung schwankte. Aber sie durfte nicht aufgeben, sonst war ihr Vater umsonst gestorben.
Amber spürte, wie etwas ihre Hüfte streifte, und schlug einen Haken. Mit letzter Kraft brach sie durch ein Gebüsch und sah sich verzweifelt um, doch da war nichts. Der Schwung trug sie vorwärts, und sie rutschte über eine Klippe ins Nichts. Sie ruderte mit den Beinen und versuchte, sich an irgendetwas festzukrallen, doch es gelang ihr nicht. Sie fiel, schlug gegen vorstehende Felsen und sich an den Steilhang klammernde Büsche, bis sie schlie߬lich tief unten auf einem Vorsprung liegen blieb. Ein Wimmern löste sich aus ihrer Kehle, als die Schmerzen in ihrem Körper explodierten.
„Seht ihr es irgendwo?"
Die Menschen! Amber versuchte, sich so klein zusammen¬zurollen, wie es nur ging, damit sie nicht entdeckt wurde. Sie zitterte am ganzen Körper, was die Schmerzen noch verstärkte.
„Da, ich sehe es! Verdammt, nach dem Sturz ist es entweder bereits tot oder hat sich sämtliche Knochen gebrochen und ist damit für uns wertlos. Kommt, sehen wir zu, dass wir hier ver¬schwinden."
Furcht überschwemmte Amber. Stimmte es, was der Mann sagte und sie würde hier sterben? Tränen bildeten sich hinter ihren geschlossenen Lidern und liefen über ihr Fell. Sie wollte zu ihrer Mutter! Erschöpfung breitete sich in ihr aus, und ihre Gedanken lösten sich auf. Schwärze senkte sich über sie.
Ein hoher Schrei riss Amber aus ihrer Bewusstlosigkeit. Be¬nommen hob sie den Kopf und blickte in den Abgrund. Rasend schnell kamen die Erinnerungen zurück, und Angst und Kum¬mer holten sie wieder ein. Ihr ganzer Körper war steif, jede kleinste Bewegung löste furchtbare Schmerzen aus. So konnte sie nur vorsichtig den Kopf drehen und versuchen herauszufin¬den, woher das Geräusch gekommen war. Amber glaubte, die Anwesenheit eines anderen Lebewesens zu spüren, aber sie sah niemanden. Tief atmete sie ein und bemerkte einen fremden Geruch. Sie konnte sich nicht erinnern, so etwas schon einmal wahrgenommen zu haben, aber es war nicht so furchteinflößend wie der Menschengeruch.
Als etwas über ihr knackte, blickte sie auf. Auf dem Ast eines verkrüppelten Baumes, der schräg über ihr an der Felswand wuchs, saß ein großer Vogel. Ihr Herz begann schneller zu klop¬fen, als er erneut einen Schrei ausstieß und sie erkannte, dass es ein Adler war. Ihre Eltern hatten sie gewarnt, nie einem solchen Raubvogel zu nahe zu kommen, weil sie wehrlose oder verletzte Jungtiere schlugen. Wartete der Vogel nur darauf, sie anzugrei¬fen? Auf dem kleinen Vorsprung hatte sie keine Möglichkeit, ihm zu entkommen. Wenn sie sich wenigstens aufrichten könnte, wür¬de der Adler sicher wissen, dass sie keine leichte Beute war, aber sie brach mit einem Schmerzenslaut sofort wieder zusammen.
Der Vogel gab ein klickendes Geräusch von sich, das beinahe beruhigend klang. Nervös sah Amber zu, wie er mit einigen wenigen Flügelschlägen zu ihr hinunterschwebte und nur zwei Meter von ihr entfernt auf einer aus den Felsen ragenden Wurzel landete. Große dunkelbraune Augen blickten sie prüfend an, dann senkte er seinen braun gefiederten Kopf, wie um ihr zu¬zunicken. Da er anscheinend nicht vorhatte, sie anzugreifen, legte Amber ihren Kopf wieder auf ihre Pfoten. Es war irgendwie tröstlich, nicht mehr alleine zu sein, auch wenn er nur ein Adler war und sie nicht mit ihm reden konnte. Er würde ihr nicht helfen können, wieder nach oben zu kommen, aber so hatte sie wenigstens Gesellschaft. Sein Geruch war jetzt stärker, er wi¬ckelte sich um sie und drang in jede Pore ein, bis sie wusste, dass sie ihn überall wiedererkennen würde.
Je länger sie dort lag, desto schwächer wurde sie. Schließlich hatte sie sogar Mühe, die Augen offen zu halten. Immer wieder glitten sie zu, und sie dämmerte ein. Ein scharfer Laut schreckte sie wieder auf. Der Adler sah sie direkt an und nickte heftig mit dem Kopf. Anscheinend wollte er, dass sie wach blieb, aber es fiel ihr so schwer ... Sie riss die Augen auf, als der Vogel seine Flügel ausbreitete und sich von der Wurzel abstieß. Zuerst dachte sie, er würde zu ihr kommen, aber dann drehte er ab und stieg in engen Schrauben immer höher aus dem Abgrund hinaus. Das Letzte, was sie von ihm sah, waren die hellen Bänder an der Unterseite seiner Schwanzfedern, bevor er über den Bäumen auf der Klippe verschwand.
Nein, komm zurück! Doch es war klar, dass er nicht zurückkeh¬ren würde. Wahrscheinlich war es ihm zu langweilig geworden, sie dabei zu beobachten, wie sie immer wieder einnickte. Selt¬samerweise fühlte sie sich jetzt noch verlassener als vor seinem Auftauchen. Wütend auf sich selbst drängte sie die Tränen zu¬rück, die in ihren Augen schwammen. Es war nur ein dummer Vogel gewesen, kein Freund. Sie sollte ihre Kraft schonen und lieber darauf hoffen, dass jemand aus ihrer Wandlergruppe sie fand. Mit Mühe konzentrierte sie sich darauf, nur noch ein- und auszuatmen und das Zittern zu stoppen, das wieder auf¬gekommen war, nachdem der Adler sie verlassen hatte. Langsam driftete Amber in den Schlaf.
„Amber!" Der Ruf weckte sie. Erschöpft blickte sie nach oben und erkannte ihren Bruder, der an den Klippen nach unten kletterte. Ihr Herz begann zu hämmern. Endlich kam jemand, um ihr zu helfen! Ängstlich sah sie zu, wie Coyle sich vorsichtig an den Felsen entlang nach unten bewegte. Hoffentlich rutschte er nicht ab. Mit seinen zwölf Jahren war er zwar wesentlich größer und kräftiger als sie selbst, aber er war immer noch ein Kind. Warum war keiner der Erwachsenen hier?
Amber versuchte, auf die Pfoten zu kommen, aber es gelang ihr nicht. So konnte sie nur zu ihm hinaufblicken und warten, bis er bei ihr ankam. Nach einer Zeit, die ihr wie eine Ewigkeit vorkam, trat er vorsichtig auf ihren Vorsprung und hockte sich neben sie.
Coyle hatte Tränen in den Augen, als er mit den Händen vorsichtig über ihr Fell strich. „Ich bin so froh, dass ich dich gefunden habe. Kannst du dich verwandeln, damit ich sehen kann, wo du verletzt bist?"
Amber wusste nicht, ob sie die Kraft dazu hatte, aber sie musste es zumindest versuchen. Quälend langsam setzte die Verwandlung ein, bis sie schließlich in Menschenform auf dem rauen Fels lag.
„Oh Gott, Amber. Es tut mir so leid." Schmerz und Scham lagen in Coyles Gesicht, als er auf ihre Verletzungen blickte. „Ich hätte dich nie wegschicken dürfen."
Amber wollte seine Hand nehmen, aber sie schaffte es nicht, ihren Arm zu heben. „M ... meine Schuld, ich hätte nicht alleine rausgehen dürfen." Tränen liefen über ihre Wangen. „Dad ..." Sie brachte es nicht über sich, zu erzählen, was geschehen war.
Coyle schluckte heftig. „Ich weiß, ich habe ihn gefunden." Er weinte ebenfalls, aber er schien es gar nicht zu bemerken. „Ich dachte, der Mörder hätte dich mitgenommen und ich würde dich nie wiedersehen."
„Dad hat gesagt ... ich soll fliehen. Deshalb bin ich so schnell gelaufen, wie ich konnte, aber sie waren immer noch hinter mir. Ich habe die Klippe nicht gesehen und bin hinuntergefallen." Ein Schauder lief durch ihren Körper und löste neue Schmerzen aus. „Die Männer dachten, es lohnt sich nicht, mich hier heraus¬zuholen, weil ich fast tot bin."
„Gott sei Dank haben sie es nicht versucht!" Coyle beugte sich über sie und legte seine Stirn an ihre. „Ich hätte dich nie gefunden, wenn mich der Adler nicht hierhergeführt hätte."
Amber riss die Augen auf. „Du hast ihn gesehen? Er hat mir Gesellschaft geleistet, und als er wegflog, dachte ich, es wäre ihm zu langweilig geworden."
Coyle rückte von ihr ab. „Nein, er hat dich nicht alleingelassen, sondern Hilfe geholt. Ich glaube, er ist auch ein Wandler, so wie wir, er roch zumindest so."
„Und ich dachte erst, er würde mich fressen."
Beinahe etwas wie ein Lächeln zog über Coyles Gesicht, während er ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht schob. „Ich glaube, er war noch sehr jung, vielleicht so alt wie du. Er hätte dich sowieso nicht tragen können. Außerdem jagen Wandler keine Wandler." Coyle wurde wieder ernst. „Und jetzt werde ich dich nach Hause bringen."
Nachdem er festgestellt hatte, dass sie nicht alleine laufen konnte, setzte er sie auf seine Schultern und begann den Abstieg in den Abgrund, der kürzer und ungefährlicher war, als der Aufstieg gewesen wäre. Jede Bewegung ließ den Schmerz in Amber wieder aufflammen, aber immerhin war Coyle bei ihr und brachte sie nach Hause, und so klammerte sie sich nur so fest an ihn, wie sie konnte. Als ein Vogelschrei erklang, blickte sie in den Himmel und erkannte den Adler, der über ihnen seine Kreise zog. Sie wünschte, er würde näher kommen, damit sie sich bei ihm bedanken konnte, doch er blieb weit oben. Zögernd hob sie die Hand und winkte ihm zu. Er stieß noch einen Schrei aus, dann verschwand er über den Klippen. Als er nicht wieder auf¬tauchte, schloss Amber die Augen und versank in der wartenden Dunkelheit.
© 2010 LYX verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH.
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Autoren-Porträt von Michelle Raven
Michaela Rabe wurde 1972 in Hannover geboren und studierte Bibliothekswesen. Sie arbeitet als Bibliotheksleiterin in Niedersachsen. 2002 veröffentlichte sie unter dem Pseudonym Michelle Raven ihren ersten Roman. Inzwischen gehört sie zu Deutschlands erfolgreichsten Autorinnen im Bereich Romantic Fantasy und Romantic Thrill.
Bibliographische Angaben
- Autor: Michelle Raven
- 2010, 2. Aufl,., 448 Seiten, Maße: 12,6 x 18,1 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: LYX
- ISBN-10: 3802583698
- ISBN-13: 9783802583698
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