Bericht am Feuer
Gespräche, E-Mails und Telefonate zum Werk von Christoph Ransmayr
Das Geheimnis des Erzählens - Zum Werk von Christoph Ransmayr.
Christoph Ransmayr erzählt in einem langen Gespräch von den Wegen seines Schreibens. Ins Innere seiner Geschichten folgen ihm drei seiner Übersetzer und zwei Wissenschaftler, die mit der...
Christoph Ransmayr erzählt in einem langen Gespräch von den Wegen seines Schreibens. Ins Innere seiner Geschichten folgen ihm drei seiner Übersetzer und zwei Wissenschaftler, die mit der...
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Produktinformationen zu „Bericht am Feuer “
Klappentext zu „Bericht am Feuer “
Das Geheimnis des Erzählens - Zum Werk von Christoph Ransmayr.Christoph Ransmayr erzählt in einem langen Gespräch von den Wegen seines Schreibens. Ins Innere seiner Geschichten folgen ihm drei seiner Übersetzer und zwei Wissenschaftler, die mit der Herausgeberin Insa Wilke über sein Werk gesprochen haben. Sie erzählen davon, welche eigenen Vorstellungswelten sich auf den imaginären Reisen geöffnet haben. So entsteht in den mündlichen und schriftlichen Korrespondenzen ein Buch über die Rätselhaftigkeit der Materie und die Erkundung der Welt im Schreiben, gewidmet einem der bedeutendsten Künstler der Gegenwartsliteratur. Eine Einladung, sich auf den Weg zu machen ins Unbekannte.
»Schreiben gleicht manchmal dem Weg in die Wildnis: Da wie dort öffnen sich scheinbar grenzenlose, menschenleere Räume, in denen es aber nur wenige gangbare Wege gibt.« (Christoph Ransmayr)
Lese-Probe zu „Bericht am Feuer “
Bericht am Feuer von Christoph RansmayrEinleitung
Wenn das Schreiben ein Aufbruch ins Unbekannte ist, was nimmt ein Erzähler dann mit auf seinen »Weg ins Innere einer Geschichte«? Und was hebt er unterwegs auf, um die Daheimgebliebenen an dem teilhaben zu lassen, was er gehört und gesehen, ja, was er empfunden hat? Solche Fragen stellten sich mir, als ich überlegte, was das eigentlich ist: ein »Materialienband«. Einen solchen wollte der S. Fischer Verlag Christoph Ransmayr zu seinem sechzigsten Geburtstag schenken.
»Wenn du phantasieren willst, brauchst du die Wirklichkeit «, hat Christoph Ransmayr einmal gesagt. Das Material eines Schriftstellers muss also doch der Rohstoff vor seiner Formwerdung sein. Ein Rohstoff, der aber schon von der Suche nach der Form erzählt, von seiner Verwandlung in Literatur. Von diesem Rohstoff weiß nur der Schriftsteller selbst, dachte ich und fragte also Christoph Ransmayr danach, von dem es heißt, er hebe nie etwas auf. Alles Materielle verwandle sich bei ihm in Sprache, obwohl seinen Werken - von »Die Schrecken des Eises und der Finsternis« bis zum »Atlas eines ängstlichen Mannes« und den Bänden der »Weißen Reihe« - abzulesen ist, dass ihr Verfasser kein Theoretiker ist, sondern einer, der sein Material, aus dem er Figuren, Landschaften und ihre Geschichten erschafft, sinnlich erfahren hat, auf vielfältige Weise am eigenen Leib. Auf Zettelkästen, Erinnerungsstücke, aufgehobene Rechnungen oder wild kommentierte Zeitungsartikel und Notizen auf Bierdeckeln mit den spektakulären Spuren durchzechter Nächte dürfe ich trotzdem in diesem Fall nicht zählen, sagte man mir.
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Was einer erzähle, könne »nirgends stärker sein als im Inneren seiner Geschichte«, hat Christoph Ransmayr in »Die Verbeugung des Riesen« geschrieben. »Danach kann er sich nur abwenden und davongehen, immer weiter, bis der Weg ins Innere einer neuen Geschichte erkennbar wird und er seine Stimme wiederfindet und zurückkehren kann in die Mitte der Welt.« Wer vor sein Werk trete und glaube, eine Erklärung schuldig zu sein, finde sich plötzlich in einer seltsamen Fremde wieder, in der andere Bräuche gepflegt und eine unverständliche Sprache gesprochen würden und nichts mehr gelte, was in der Zeit der Arbeit an diesem Werk von Bedeutung gewesen sei.
Tatsächlich runzelte Christoph Ransmayr an einem sonnig-kalten Tag im April des Jahres 2013 die Stirn, sobald ich an unserem Wiener Kaffeehaustisch auf Privates, auf seine Person und Zeugnisse seines Lebens als Künstler zu sprechen kam oder ihn vom Erzählen erzählen lassen wollte. Das sei doch alles uninteressant. Wieso nicht einfach ein mäanderndes Gespräch führen, rund um Materialien, auf die ich ihn allerdings schon selbst bringen müsse. Gespräche seien ja das eigentliche Material seiner Arbeit.
Das Gespräch als Grundform eines »Materialienban des« über das Werk von Christoph Ransmayr festzulegen leuchtete mir ein. Um einen weiteren assoziativen Raum zu öffnen, habe ich Zitate aus den Werken von Christoph Ransmayr oft zufällig, auf jeden Fall aber sehr subjektiv ausgewählt und vom linken und rechten Rand der Buchseiten in die Gespräche hineinlaufen lassen. Die Form des Gesprächs ist, obwohl von ihm selbst vorgeschlagen, insofern eine Besonderheit, als dass es nicht leicht ist, Christoph Ransmayr, diesem »Kontrollwahnsinnigen « und geradezu besessen akribischen, ja, vielleicht sogar auch im besten Sinne »ängstlichen« Sprachmeister die losere, mündliche Form zuzumuten. Sich selbst zu viel Gewicht beizumessen, am Wesentlichen vorbeizureden, diese Vorstellung ist ihm ein Horror. Am
4. Juli 2013 sagte er, dem Gesprächsprojekt gegenüber wieder erhöht skeptisch, in einem Telefonat: »Mit welchem Ernst man von etwas spricht, hat ein Ablaufdatum.« Die mündliche Formulierung ist sicher manchmal leichtsinniger, sorgloser auch und flüchtiger. Dafür aber lässt sie das unkalkulierbar Überraschende zu, legt Blickwinkel frei, die wieder durchlässig werden lassen, was im schriftlichen Werk so festgefügt schien. Das Gespräch könnte ein Weg sein, entschieden wir damals risikofreudig in Wien, den Transit-Raum, in dem Literatur entsteht und der so schwer nur zur Sprache gebracht werden kann, als Wunderkammer der Wirklichkeit zu entwerfen und begehbar zu machen. So ist dieses Buch entstanden.
Sein erstes Kapitel ist ein langes Gespräch mit Christoph Ransmayr (übrigens wie seine Werke in alter Rechtschreibung), das tastend um dieses Wort »Material« kreist. Mal als Kontrapunkte, mal als Illustration haben wir Fotos in den Text gesetzt. Bei ihnen handelt es sich um optische Notizen, die Christoph Ransmayr auf seinen Reisen spontan mit dem Telefon oder einer Kompaktkamera aufgenommen hat. Sie haben ihren Wert nicht als Fotografien, sondern eben als Notizen, von denen noch Tausende auf Christoph Ransmayrs Festplatte darauf warten, wieder angeschaut zu werden und vielleicht den ausschlaggebenden Funken für ein treffendes poetisches Bild oder gar einen ganzen Roman in der Vorstellung ihres Betrachters zu entzünden.
Aber bei einem Materialienband geht es nicht nur um die Rohstoffe, die sich unter den Händen und durch die Phantasie eines Schriftstellers zu Geschichten verwandeln und zwischen Buchdeckeln Gestalt annehmen können. Es geht auch um das Material, das der Schriftsteller uns, seinen Leserinnen und Lesern, für die Gestaltwerdung in unseren Köpfen liefert. Als ich mit Christoph Ransmayr darüber sprach, welche Lesenden sich in besonderem Maße mit seinen Romanen auseinandergesetzt haben, nannte er sofort seine Übersetzerinnen und Übersetzer. Sie kommen der Black Box des Schreibens am nächsten. Sie sind am wenigsten an die formalisierten Sprachen von Wissenschaft oder Journalismus gebunden und sind doch durch ihre sprachliche Distanz auf besondere Weise objektiv. Mit John Woods, Claudio Groff und Jean-Pierre Lefebvre haben wir drei der Übersetzer von Christoph Ransmayrs Werken gewinnen können, sich mit mir auf das Wagnis eines Gesprächs über ihre Arbeit und den Rohstoff einzulassen, den Christoph Ransmayr in ihre Hände legt. Und sie sind Teil des Echo-Raums, den die Literatur schafft.
Woods, Groff und Lefebvre kommen zwar mit den USA, Italien und Frankreich aus unterschiedlichen Ländern und Sprachen, gehören aber derselben Generation an. Sie sind alle Anfang der 1940er Jahre geboren worden, in ein Europa hinein, das sich gerade neu zusammensetzte und noch - erst schweigend und dann revoltierend - nachzitterte und zu formulieren versuchte, was sich hinter der zur Chiffre gewordenen Jahreszahl »1945« verbarg. Wie klingt das Echo von Christoph Ransmayrs Büchern in einer jüngeren Generation, vor dem Hintergrund anderer Werdegänge und Erfahrungen? Davon gibt das Gespräch mit Christine Abbt und Thomas Wild eine Vorstellung, in das zwei ungewöhnliche und erhellende Essays der beiden Wissenschaftler eingebettet sind.
Mit Christoph Ransmayr habe ich mich in Wien, mit John Woods in Berlin, mit Jean-Pierre Lefebvre in Paris getroffen und mit Claudio Groff im virtuellen Raum des Internets. Christine Abbt und Thomas Wild haben miteinander telefoniert, geskyped, und wir haben uns zu dritt gemailt. Die unterschiedlichen Gesprächswege haben die Texte jeweils geprägt. Aber vor allem haben das die Persönlichkeiten und der jeweils ganz eigene Ton der Gesprächspartner getan. Völlig unerwartet war für mich, und ich habe Hochachtung davor, wie persönlich sich alle Beteiligten auf diesen Versuch eingelassen haben, Christoph Ransmayr ins Innere seiner Geschichten zu folgen, bzw. wie sich der Schriftsteller selbst dazu bereiterklärt hat, den Weg in diese vertraute Fremde gegen seine Überzeugung noch einmal zu beschreiten. Wir haben einander davon erzählt, was uns am Wegesrand begegnet und durch den Kopf gegangen ist. Welche eigenen Vorstellungswelten sich in den imaginären Reisen mit diesem Dichter des Vergessens und Erinnerns geöffnet haben und vor welchen persönlichen Hintergründen sie sich so überhaupt erst öffnen konnten.
Ganz zufällig verknüpfen sich die Einzelgespräche, die von Deutschland nach Österreich, nach Italien und Frankreich, in die Schweiz und die USA geführt wurden, durch Übereinstimmungen und völlig entgegengesetzte Ansichten und Erfahrungen zu einem großen Gespräch über die Rätselhaftigkeit der Materie und die Erkundung der Welt im Schreiben und Lesen. Die Zitate aus den Werken von Christoph Ransmayr, die allerdings, wie gesagt, von der Herausgeberin und nicht vom Autor ausgewählt und arrangiert wurden, schaffen eine weitere Ebene der Korrespondenzen und Widersprüche.
Vielleicht werden Sie als Leserinnen und Leser also eine ähnliche Erfahrung machen wie Josef Mazzini, die abwesende Hauptfigur aus »Die Schrecken des Eises und der Finsternis«, dem im Gehen die Welt so groß geworden war, »daß er schließlich in ihr verschwand«. Aber auch dieser hoffnungsvolle Satz aus Christoph Ransmayrs Reportage »Der Weg nach Surabaya« beschreibt den Versuch, auf den dieses Buch ganz ungeplant zugelaufen ist: »Gemeinsam hatten wir aus Zeichen und Lauten eine Sprache, aus einem Spiel eine Geschichte und aus der Straße eine Zeile gemacht«. Ich danke allen Beteiligten dafür und möchte nun Sie einladen, uns auf den Weg ins Unbekannte zu folgen.
Insa Wilke, Bechtersweiler, im Oktober 2013
Wie ein Adlerhorst liegt Christoph Ransmayrs Wohnung hoch oben in einem Wiener Altbau. Im Ausschnitt eines großen Fensters treiben Kumulus-Wolken im Blau. Christoph Ransmayr ist gerade aus Marokko zurückgekehrt. Jetzt schaut er den ziehenden Wolken nach und wippt mit dem Fuß, als ich frage: Im Jahr 2000 waren Sie »Dichter zu Gast« bei den Salzburger Festspielen - einer der wenigen Ausflüge in die Theaterwelt, bevor Sie sich wieder in die freieren Bezirke der Literatur »auf und davon« machten. Ist es für jemanden, der Welten allein durch die Kraft seiner Phantasie und Vorstellung errichtet, erlösend oder bedrückend, innere Bilder mit Hilfe einer Bühnenmaschinerie zu materialisieren?
Ich habe damals auf dem Instrumentarium der Salzburger Festspiele, einer Art viermanualigen Orgel, nach einjähriger Vorbereitung mit großem Vergnügen gespielt. Aber der Erzähler eines Romans muß beispielsweise bloß »Ein Küstenstrich« sagen, »in der Ferne Gebirgszüge, einige Gipfel kahl, andere vergletschert. Der Strand blühend, in der Brandung ein Wrack«, um in wenigen Zeilen die Farben, Schatten und Temperaturen der Wirklichkeit zu beschwören und Bilder entstehen zu lassen. Eine solche Szenerie als Bühnenbild umzusetzen ist dagegen ziemlich aufwendig. Natürlich gilt für die Umsetzung einer Geschichte auf der Bühne Ähnliches wie für die Verwandlung einer Geschichte im Kopf eines Lesers oder Zuhörers. Solche Verwandlungen sind weder erlösend noch bedrückend, sondern unumgänglich und jedenfalls ein Zeichen dafür, daß ein Erzähler sein Publikum auf die eine oder andere Art erreicht hat.
Die Offenheit des Titels, den Sie Ihrem Salzburger Projekt gegeben haben, widerspricht der Statik und Materialität eines Bühnenbildes: »Unterwegs nach Babylon. Spielformen des Erzählens «. Wie sind Sie den Produktionszwängen der Festspiele entwischt?
Ich wollte mit sieben einmaligen, tatsächlich unwiederholbaren Abenden einen Bogen spannen, der über einen Fächer von Erzählformen dorthin zurückführt, wo alles anfing, und damit zeigen: Keine Erzählung kann für alle Zeit überliefert und bewahrt werden. Jede sinkt irgendwann ins Vergessen zurück.
Und die Bühne? Was haben Sie als Bild tatsächlich materialisiert?
Als mein Freund Reinhold Messner im Rahmen dieser Spielformen in der riesigen Salzburger Felsenreitschule an einem von sieben Abenden, der »Bericht am Feuer« hieß, am Schicksal der Shackleton-Südpolarexpedition die schriftlose Form des Erzählens vorführte, eine Form, in der ja schon Jäger und Sammler den Daheimgebliebenen berichtet haben und die wohl zu den Urformen alles Erzählens gehört, tat er das auf einer als Treibeisfeld gestalteten und tatsächlich gefluteten Bühne. Die ersten Sitzreihen waren mit weißen Tuchbahnen verhängt - Eisimaginationen. Hinter dem vor so großer Kulisse winzig wirkenden Erzähler erschienen und erloschen, sozusagen im Rhythmus seines Berichtes, etwa zwanzig Meter hohe Projektionen originaler Plattenfotografien von Shackletons Expeditionsfotografen. Tage später habe ich dann mit einem Auszug aus einem »Morbus Kitahara «-Kapitel - in weißer Schrift auf tiefblaue, hauchdünne Flugblätter gedruckt - den Hof der Salzburger Residenz sozusagen überflutet. Die Leute sind auf dem Weg zu ihren Plätzen einfach über diese Blätter gegangen, geschritten, getrampelt, und damit sollte auch vorgeführt werden: Was da verstreut herumliegt, ist nicht mehr zum Lesen, sondern nur noch Untergrund. Man geht über den Text, streift die Schuhe daran ab, weil es eine Wirklichkeit gibt, an die alles, was auf diesen blauen Flugblättern zu lesen war, zurückgefallen ist. Auf der Bühne wurde unterdessen gespielt, wovon das Kapitel handelte: ein Konzert im Freien. Am Ende verlor sich auch die Musik in der Dunkelheit, und es wurde genauso still wie am Anfang des ersten Tages.
Als Kind hatten Sie Angst vor der Dunkelheit, die Sie jetzt beschwören. Es mußte immer eine Lampe brennen, wenn Sie einschliefen. Wann hat sich diese Angst verflüchtigt?
Diese Angst gehört ja wohl für viele Menschen zu ihren Kindheitserinnerungen. Die Sternennacht dagegen hatte für mich schon in frühester Zeit etwas Zauberisches. Die Dunkelheit in einem geschlossenen Raum ist ja etwas anderes. Dort ist die Finsternis wie in einer Höhle absolut, ohne den geringsten Lichtfunken. Und meine Angst galt jener Finsternis, in der sich ein Mensch befindet, der lebendig begraben oder in einem Verlies, einem Brunnenschacht gefangen ist. Gelangt man ins Freie, gibt es ja immer von irgendwo ein Lichtzeichen, das zeigt: Nicht alles ist schwarze Nacht. Und dann gibt es natürlich noch jene Form der Dunkelheit, in der man sich nicht »
Monstern und Bestien außerhalb des eigenen Wahrnehmungsfeldes, Einflusses oder Erfahrungsbereichs, sondern vor jenem Heer von Gestalten, die aus einem selber hervorstürzen können. Je dunkler und stiller, umso größer wird unter bestimmten Umständen die Wahrscheinlichkeit, daß es zu einem solchen Ausbruch dieser Bewußtseins- und Seelenmonster kommt.
In der Leere können solche Monster auch am hellen Tag ausbrechen, in der Einsamkeit einer leeren Landschaft.
Aber dort gibt es kleinere und riesige Öffnungen. Der offene Himmel hat ja nur sehr selten, vielleicht bei extremen Windstärken, etwas Erschreckendes. Aber schon der bedeckte Himmel, der zweifeln läßt, ob es überhaupt noch etwas jenseits dieser Wolkendecke geben kann, nimmt manchmal und unter bestimmten Wetterbedingungen etwas Bedrohliches an. Und dann die Dunkelheit: Auch als Kind habe ich ja nicht gefürchtet, daß plötzlich ein Wolf leibhaftig auf mich zuspringen könnte, sehr wohl aber, daß Wesen es tun könnten, von denen ich in Märchen und Erzählungen gehört hatte und die in rasenden Geisterprozessionen durch meinen Kopf jagten. Ich habe für möglich gehalten, daß diese Phantasiekreaturen sich plötzlich materialisieren könnten, daß ich sie herbeidenke. Wenn es keine Ablenkung, kein Licht, keine Geräusche und Stimmen gab, die mich von diesem Herbeidenken des Ungeheuerlichen abhielten, wurden Stille und Dunkelheit gefährlich.
Die Furcht vor der Dunkelheit kann auch die vor dem Tod meinen. Viele Menschen tröstet der Gedanke, daß sie Spuren hinterlassen werden und durch die Erinnerung unsterblich sind. Von dieser Hoffnung, der Auslöschung zu entkommen, handelt auch »Die letzte Welt« und der Versuch der Hauptfigur Naso, Werk und Person gegen den Willen des Imperators und Schicksals in Stein zu meißeln. Ihre Werke setzen diesem Wunsch eine andere Vorstellung entgegen: Von mir wird nichts bleiben. - Ein tröstlicher Satz?
Im Kern ist jede Angst die vor dem Tod. Die Hoffnung auf das Bleiben ist kindlich, ja kindisch. Gerade im Zusammenhang mit der Kunst wird ja immer wieder diese blödsinnige Frage gestellt: Und was wird bleiben? Natürlich wird nichts bleiben. Aus diesem Bewußtsein heraus sollte man sich aber die Kostbarkeit dessen vergegenwärtigen, was ist. Für meine Salzburger Abende habe ich mir allerdings weder eine Predigt über das Verschwinden ausgedacht, noch wollte ich missionarisch für die Einsicht in die Unmöglichkeit der Dauer werben. Aber das Rauschen der Zeit sollte im Hintergrund immerhin hörbar sein. Schließlich haben damals ja nur wenige Zuschauer alle sieben Abende besucht, um den Zusammenhang zwischen der Stille am Anfang und der Stille am Ende tatsächlich zu erleben. Die anderen erlebten Abend für Abend die übliche Situation, in der es, wie immer, nach dem letzten Vorhang wieder dunkel und still wird und der Schlußapplaus alle Beteiligten wieder in die Wirklichkeit entläßt.
Copyright © S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main
Was einer erzähle, könne »nirgends stärker sein als im Inneren seiner Geschichte«, hat Christoph Ransmayr in »Die Verbeugung des Riesen« geschrieben. »Danach kann er sich nur abwenden und davongehen, immer weiter, bis der Weg ins Innere einer neuen Geschichte erkennbar wird und er seine Stimme wiederfindet und zurückkehren kann in die Mitte der Welt.« Wer vor sein Werk trete und glaube, eine Erklärung schuldig zu sein, finde sich plötzlich in einer seltsamen Fremde wieder, in der andere Bräuche gepflegt und eine unverständliche Sprache gesprochen würden und nichts mehr gelte, was in der Zeit der Arbeit an diesem Werk von Bedeutung gewesen sei.
Tatsächlich runzelte Christoph Ransmayr an einem sonnig-kalten Tag im April des Jahres 2013 die Stirn, sobald ich an unserem Wiener Kaffeehaustisch auf Privates, auf seine Person und Zeugnisse seines Lebens als Künstler zu sprechen kam oder ihn vom Erzählen erzählen lassen wollte. Das sei doch alles uninteressant. Wieso nicht einfach ein mäanderndes Gespräch führen, rund um Materialien, auf die ich ihn allerdings schon selbst bringen müsse. Gespräche seien ja das eigentliche Material seiner Arbeit.
Das Gespräch als Grundform eines »Materialienban des« über das Werk von Christoph Ransmayr festzulegen leuchtete mir ein. Um einen weiteren assoziativen Raum zu öffnen, habe ich Zitate aus den Werken von Christoph Ransmayr oft zufällig, auf jeden Fall aber sehr subjektiv ausgewählt und vom linken und rechten Rand der Buchseiten in die Gespräche hineinlaufen lassen. Die Form des Gesprächs ist, obwohl von ihm selbst vorgeschlagen, insofern eine Besonderheit, als dass es nicht leicht ist, Christoph Ransmayr, diesem »Kontrollwahnsinnigen « und geradezu besessen akribischen, ja, vielleicht sogar auch im besten Sinne »ängstlichen« Sprachmeister die losere, mündliche Form zuzumuten. Sich selbst zu viel Gewicht beizumessen, am Wesentlichen vorbeizureden, diese Vorstellung ist ihm ein Horror. Am
4. Juli 2013 sagte er, dem Gesprächsprojekt gegenüber wieder erhöht skeptisch, in einem Telefonat: »Mit welchem Ernst man von etwas spricht, hat ein Ablaufdatum.« Die mündliche Formulierung ist sicher manchmal leichtsinniger, sorgloser auch und flüchtiger. Dafür aber lässt sie das unkalkulierbar Überraschende zu, legt Blickwinkel frei, die wieder durchlässig werden lassen, was im schriftlichen Werk so festgefügt schien. Das Gespräch könnte ein Weg sein, entschieden wir damals risikofreudig in Wien, den Transit-Raum, in dem Literatur entsteht und der so schwer nur zur Sprache gebracht werden kann, als Wunderkammer der Wirklichkeit zu entwerfen und begehbar zu machen. So ist dieses Buch entstanden.
Sein erstes Kapitel ist ein langes Gespräch mit Christoph Ransmayr (übrigens wie seine Werke in alter Rechtschreibung), das tastend um dieses Wort »Material« kreist. Mal als Kontrapunkte, mal als Illustration haben wir Fotos in den Text gesetzt. Bei ihnen handelt es sich um optische Notizen, die Christoph Ransmayr auf seinen Reisen spontan mit dem Telefon oder einer Kompaktkamera aufgenommen hat. Sie haben ihren Wert nicht als Fotografien, sondern eben als Notizen, von denen noch Tausende auf Christoph Ransmayrs Festplatte darauf warten, wieder angeschaut zu werden und vielleicht den ausschlaggebenden Funken für ein treffendes poetisches Bild oder gar einen ganzen Roman in der Vorstellung ihres Betrachters zu entzünden.
Aber bei einem Materialienband geht es nicht nur um die Rohstoffe, die sich unter den Händen und durch die Phantasie eines Schriftstellers zu Geschichten verwandeln und zwischen Buchdeckeln Gestalt annehmen können. Es geht auch um das Material, das der Schriftsteller uns, seinen Leserinnen und Lesern, für die Gestaltwerdung in unseren Köpfen liefert. Als ich mit Christoph Ransmayr darüber sprach, welche Lesenden sich in besonderem Maße mit seinen Romanen auseinandergesetzt haben, nannte er sofort seine Übersetzerinnen und Übersetzer. Sie kommen der Black Box des Schreibens am nächsten. Sie sind am wenigsten an die formalisierten Sprachen von Wissenschaft oder Journalismus gebunden und sind doch durch ihre sprachliche Distanz auf besondere Weise objektiv. Mit John Woods, Claudio Groff und Jean-Pierre Lefebvre haben wir drei der Übersetzer von Christoph Ransmayrs Werken gewinnen können, sich mit mir auf das Wagnis eines Gesprächs über ihre Arbeit und den Rohstoff einzulassen, den Christoph Ransmayr in ihre Hände legt. Und sie sind Teil des Echo-Raums, den die Literatur schafft.
Woods, Groff und Lefebvre kommen zwar mit den USA, Italien und Frankreich aus unterschiedlichen Ländern und Sprachen, gehören aber derselben Generation an. Sie sind alle Anfang der 1940er Jahre geboren worden, in ein Europa hinein, das sich gerade neu zusammensetzte und noch - erst schweigend und dann revoltierend - nachzitterte und zu formulieren versuchte, was sich hinter der zur Chiffre gewordenen Jahreszahl »1945« verbarg. Wie klingt das Echo von Christoph Ransmayrs Büchern in einer jüngeren Generation, vor dem Hintergrund anderer Werdegänge und Erfahrungen? Davon gibt das Gespräch mit Christine Abbt und Thomas Wild eine Vorstellung, in das zwei ungewöhnliche und erhellende Essays der beiden Wissenschaftler eingebettet sind.
Mit Christoph Ransmayr habe ich mich in Wien, mit John Woods in Berlin, mit Jean-Pierre Lefebvre in Paris getroffen und mit Claudio Groff im virtuellen Raum des Internets. Christine Abbt und Thomas Wild haben miteinander telefoniert, geskyped, und wir haben uns zu dritt gemailt. Die unterschiedlichen Gesprächswege haben die Texte jeweils geprägt. Aber vor allem haben das die Persönlichkeiten und der jeweils ganz eigene Ton der Gesprächspartner getan. Völlig unerwartet war für mich, und ich habe Hochachtung davor, wie persönlich sich alle Beteiligten auf diesen Versuch eingelassen haben, Christoph Ransmayr ins Innere seiner Geschichten zu folgen, bzw. wie sich der Schriftsteller selbst dazu bereiterklärt hat, den Weg in diese vertraute Fremde gegen seine Überzeugung noch einmal zu beschreiten. Wir haben einander davon erzählt, was uns am Wegesrand begegnet und durch den Kopf gegangen ist. Welche eigenen Vorstellungswelten sich in den imaginären Reisen mit diesem Dichter des Vergessens und Erinnerns geöffnet haben und vor welchen persönlichen Hintergründen sie sich so überhaupt erst öffnen konnten.
Ganz zufällig verknüpfen sich die Einzelgespräche, die von Deutschland nach Österreich, nach Italien und Frankreich, in die Schweiz und die USA geführt wurden, durch Übereinstimmungen und völlig entgegengesetzte Ansichten und Erfahrungen zu einem großen Gespräch über die Rätselhaftigkeit der Materie und die Erkundung der Welt im Schreiben und Lesen. Die Zitate aus den Werken von Christoph Ransmayr, die allerdings, wie gesagt, von der Herausgeberin und nicht vom Autor ausgewählt und arrangiert wurden, schaffen eine weitere Ebene der Korrespondenzen und Widersprüche.
Vielleicht werden Sie als Leserinnen und Leser also eine ähnliche Erfahrung machen wie Josef Mazzini, die abwesende Hauptfigur aus »Die Schrecken des Eises und der Finsternis«, dem im Gehen die Welt so groß geworden war, »daß er schließlich in ihr verschwand«. Aber auch dieser hoffnungsvolle Satz aus Christoph Ransmayrs Reportage »Der Weg nach Surabaya« beschreibt den Versuch, auf den dieses Buch ganz ungeplant zugelaufen ist: »Gemeinsam hatten wir aus Zeichen und Lauten eine Sprache, aus einem Spiel eine Geschichte und aus der Straße eine Zeile gemacht«. Ich danke allen Beteiligten dafür und möchte nun Sie einladen, uns auf den Weg ins Unbekannte zu folgen.
Insa Wilke, Bechtersweiler, im Oktober 2013
Wie ein Adlerhorst liegt Christoph Ransmayrs Wohnung hoch oben in einem Wiener Altbau. Im Ausschnitt eines großen Fensters treiben Kumulus-Wolken im Blau. Christoph Ransmayr ist gerade aus Marokko zurückgekehrt. Jetzt schaut er den ziehenden Wolken nach und wippt mit dem Fuß, als ich frage: Im Jahr 2000 waren Sie »Dichter zu Gast« bei den Salzburger Festspielen - einer der wenigen Ausflüge in die Theaterwelt, bevor Sie sich wieder in die freieren Bezirke der Literatur »auf und davon« machten. Ist es für jemanden, der Welten allein durch die Kraft seiner Phantasie und Vorstellung errichtet, erlösend oder bedrückend, innere Bilder mit Hilfe einer Bühnenmaschinerie zu materialisieren?
Ich habe damals auf dem Instrumentarium der Salzburger Festspiele, einer Art viermanualigen Orgel, nach einjähriger Vorbereitung mit großem Vergnügen gespielt. Aber der Erzähler eines Romans muß beispielsweise bloß »Ein Küstenstrich« sagen, »in der Ferne Gebirgszüge, einige Gipfel kahl, andere vergletschert. Der Strand blühend, in der Brandung ein Wrack«, um in wenigen Zeilen die Farben, Schatten und Temperaturen der Wirklichkeit zu beschwören und Bilder entstehen zu lassen. Eine solche Szenerie als Bühnenbild umzusetzen ist dagegen ziemlich aufwendig. Natürlich gilt für die Umsetzung einer Geschichte auf der Bühne Ähnliches wie für die Verwandlung einer Geschichte im Kopf eines Lesers oder Zuhörers. Solche Verwandlungen sind weder erlösend noch bedrückend, sondern unumgänglich und jedenfalls ein Zeichen dafür, daß ein Erzähler sein Publikum auf die eine oder andere Art erreicht hat.
Die Offenheit des Titels, den Sie Ihrem Salzburger Projekt gegeben haben, widerspricht der Statik und Materialität eines Bühnenbildes: »Unterwegs nach Babylon. Spielformen des Erzählens «. Wie sind Sie den Produktionszwängen der Festspiele entwischt?
Ich wollte mit sieben einmaligen, tatsächlich unwiederholbaren Abenden einen Bogen spannen, der über einen Fächer von Erzählformen dorthin zurückführt, wo alles anfing, und damit zeigen: Keine Erzählung kann für alle Zeit überliefert und bewahrt werden. Jede sinkt irgendwann ins Vergessen zurück.
Und die Bühne? Was haben Sie als Bild tatsächlich materialisiert?
Als mein Freund Reinhold Messner im Rahmen dieser Spielformen in der riesigen Salzburger Felsenreitschule an einem von sieben Abenden, der »Bericht am Feuer« hieß, am Schicksal der Shackleton-Südpolarexpedition die schriftlose Form des Erzählens vorführte, eine Form, in der ja schon Jäger und Sammler den Daheimgebliebenen berichtet haben und die wohl zu den Urformen alles Erzählens gehört, tat er das auf einer als Treibeisfeld gestalteten und tatsächlich gefluteten Bühne. Die ersten Sitzreihen waren mit weißen Tuchbahnen verhängt - Eisimaginationen. Hinter dem vor so großer Kulisse winzig wirkenden Erzähler erschienen und erloschen, sozusagen im Rhythmus seines Berichtes, etwa zwanzig Meter hohe Projektionen originaler Plattenfotografien von Shackletons Expeditionsfotografen. Tage später habe ich dann mit einem Auszug aus einem »Morbus Kitahara «-Kapitel - in weißer Schrift auf tiefblaue, hauchdünne Flugblätter gedruckt - den Hof der Salzburger Residenz sozusagen überflutet. Die Leute sind auf dem Weg zu ihren Plätzen einfach über diese Blätter gegangen, geschritten, getrampelt, und damit sollte auch vorgeführt werden: Was da verstreut herumliegt, ist nicht mehr zum Lesen, sondern nur noch Untergrund. Man geht über den Text, streift die Schuhe daran ab, weil es eine Wirklichkeit gibt, an die alles, was auf diesen blauen Flugblättern zu lesen war, zurückgefallen ist. Auf der Bühne wurde unterdessen gespielt, wovon das Kapitel handelte: ein Konzert im Freien. Am Ende verlor sich auch die Musik in der Dunkelheit, und es wurde genauso still wie am Anfang des ersten Tages.
Als Kind hatten Sie Angst vor der Dunkelheit, die Sie jetzt beschwören. Es mußte immer eine Lampe brennen, wenn Sie einschliefen. Wann hat sich diese Angst verflüchtigt?
Diese Angst gehört ja wohl für viele Menschen zu ihren Kindheitserinnerungen. Die Sternennacht dagegen hatte für mich schon in frühester Zeit etwas Zauberisches. Die Dunkelheit in einem geschlossenen Raum ist ja etwas anderes. Dort ist die Finsternis wie in einer Höhle absolut, ohne den geringsten Lichtfunken. Und meine Angst galt jener Finsternis, in der sich ein Mensch befindet, der lebendig begraben oder in einem Verlies, einem Brunnenschacht gefangen ist. Gelangt man ins Freie, gibt es ja immer von irgendwo ein Lichtzeichen, das zeigt: Nicht alles ist schwarze Nacht. Und dann gibt es natürlich noch jene Form der Dunkelheit, in der man sich nicht »
Monstern und Bestien außerhalb des eigenen Wahrnehmungsfeldes, Einflusses oder Erfahrungsbereichs, sondern vor jenem Heer von Gestalten, die aus einem selber hervorstürzen können. Je dunkler und stiller, umso größer wird unter bestimmten Umständen die Wahrscheinlichkeit, daß es zu einem solchen Ausbruch dieser Bewußtseins- und Seelenmonster kommt.
In der Leere können solche Monster auch am hellen Tag ausbrechen, in der Einsamkeit einer leeren Landschaft.
Aber dort gibt es kleinere und riesige Öffnungen. Der offene Himmel hat ja nur sehr selten, vielleicht bei extremen Windstärken, etwas Erschreckendes. Aber schon der bedeckte Himmel, der zweifeln läßt, ob es überhaupt noch etwas jenseits dieser Wolkendecke geben kann, nimmt manchmal und unter bestimmten Wetterbedingungen etwas Bedrohliches an. Und dann die Dunkelheit: Auch als Kind habe ich ja nicht gefürchtet, daß plötzlich ein Wolf leibhaftig auf mich zuspringen könnte, sehr wohl aber, daß Wesen es tun könnten, von denen ich in Märchen und Erzählungen gehört hatte und die in rasenden Geisterprozessionen durch meinen Kopf jagten. Ich habe für möglich gehalten, daß diese Phantasiekreaturen sich plötzlich materialisieren könnten, daß ich sie herbeidenke. Wenn es keine Ablenkung, kein Licht, keine Geräusche und Stimmen gab, die mich von diesem Herbeidenken des Ungeheuerlichen abhielten, wurden Stille und Dunkelheit gefährlich.
Die Furcht vor der Dunkelheit kann auch die vor dem Tod meinen. Viele Menschen tröstet der Gedanke, daß sie Spuren hinterlassen werden und durch die Erinnerung unsterblich sind. Von dieser Hoffnung, der Auslöschung zu entkommen, handelt auch »Die letzte Welt« und der Versuch der Hauptfigur Naso, Werk und Person gegen den Willen des Imperators und Schicksals in Stein zu meißeln. Ihre Werke setzen diesem Wunsch eine andere Vorstellung entgegen: Von mir wird nichts bleiben. - Ein tröstlicher Satz?
Im Kern ist jede Angst die vor dem Tod. Die Hoffnung auf das Bleiben ist kindlich, ja kindisch. Gerade im Zusammenhang mit der Kunst wird ja immer wieder diese blödsinnige Frage gestellt: Und was wird bleiben? Natürlich wird nichts bleiben. Aus diesem Bewußtsein heraus sollte man sich aber die Kostbarkeit dessen vergegenwärtigen, was ist. Für meine Salzburger Abende habe ich mir allerdings weder eine Predigt über das Verschwinden ausgedacht, noch wollte ich missionarisch für die Einsicht in die Unmöglichkeit der Dauer werben. Aber das Rauschen der Zeit sollte im Hintergrund immerhin hörbar sein. Schließlich haben damals ja nur wenige Zuschauer alle sieben Abende besucht, um den Zusammenhang zwischen der Stille am Anfang und der Stille am Ende tatsächlich zu erleben. Die anderen erlebten Abend für Abend die übliche Situation, in der es, wie immer, nach dem letzten Vorhang wieder dunkel und still wird und der Schlußapplaus alle Beteiligten wieder in die Wirklichkeit entläßt.
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Autoren-Porträt von Christoph Ransmayr
Christoph Ransmayr wurde 1954 in Wels/Oberösterreich geboren und lebt nach Jahren in Irland und auf Reisen wieder in Wien. Neben seinen Romanen »Die Schrecken des Eises und der Finsternis«, »Die letzte Welt«, »Morbus Kitahara«, »Der fliegende Berg«, »Cox oder Der Lauf der Zeit«, »Der Fallmeister. Eine kurze Geschichte vom Töten« und dem »Atlas eines ängstlichen Mannes« erscheinen Spielformen des Erzählens, darunter »Damen & Herren unter Wasser«, »Geständnisse eines Touristen«, »Der Wolfsjäger« und »Arznei gegen die Sterblichkeit«, im Juli 2022 »Jägerin im Sonnenbad. Dreizehn Balladen und Gedichte«. Zum Werk Christoph Ransmayrs erschien der Band »Bericht am Feuer«. Für seine Bücher, die in mehr als dreißig Sprachen übersetzt wurden, erhielt er zahlreiche literarische Auszeichnungen, unter anderem die nach Friedrich Hölderlin, Franz Kafka und Bert Brecht benannten Literaturpreise, den Kleist-Preis, den Premio Mondello und, gemeinsam mit Salman Rushdie, den Prix Aristeion der Europäischen Union, den Prix du meilleur livre étranger und den Prix Jean Monnet de Littérature Européenne. Literaturpreise:Anton-Wildgans Preis der österreichischen Industrie (1989), Großer Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste (1992), Franz-Kafka-Preis (1995), Franz-Nabl-Preis der Stadt Graz (1996), Aristeion-Preis der Europäischen Union (1996, gemeinsam mit Salman Rushdie), Solothurner Literaturpreis (1997), Premio Letterario Internazionale Mondello (1997), Landeskulturpreis für Literatur des Bundeslandes Oberösterreich (1997), Friedrich Hölderlin Preis der Stadt Bad Homburg (1998), Nestroy-Preis (Bestes Stück - Autorenpreis) für »Die Unsichtbare« (2001), Bertolt-Brecht-Literaturpreis der Stadt Augsburg (2004), Heinrich-Böll-Preis (2007), Premio Itas (2009), Premio La voce dei lettori (2009), Premio Gambrinus (2010), Ernst-Toller-Preis (2013), Brüder-Grimm-Preis der Stadt Hanau (2013), Franz-Josef-Altenburg-Preis (2014), Donauland Sachbuchpreis (2014), Fontane-Preis für
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Literatur (2014), Prix Jean Monnet de Littératures Européennes (2015), Prix du Meilleur livre étranger (2015), Marieluise-Fleißer-Preis (2017), Würth-Preis für Europäische Literatur (2018), Kleist-Preis (2018), Nominierung für den Man Booker International Prize (2018), Ehrenpreis des Bayerischen Ministerpräsidenten (2018), Ludwig-Börne-Preis (2020), Premio Navicella d'Oro der Società Geografica Italiana (2023), Park-Kyung-ni-Literaturpreis (2023). Insa Wilke wurde 1978 in Bremerhaven geboren und lebt als Publizistin, Literaturkritikerin und Moderatorin in Frankfurt am Main. Sie veröffentlichte u.a. die Monographie 'Ist das ein Leben. Der Dichter Thomas Brasch' (2010) und 'Bericht am Feuer. Gespräche, E-Mails und Telefonate zum Werk von Christoph Ransmayr' (2014). 2010 übernahm sie die Programmleitung im Literaturhaus Köln und gab diese Tätigkeit zugunsten des freiberuflichen Arbeitens 2012 wieder auf. 2014 wurde sie mit dem Alfred-Kerr-Preis für Literaturkritik ausgezeichnet.
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Bibliographische Angaben
- Autor: Christoph Ransmayr
- 2014, 1. Auflage, 320 Seiten, Maße: 12 x 20,2 cm, Gebunden, Deutsch
- Herausgegeben: Insa Wilke
- Verlag: S. Fischer Verlag GmbH
- ISBN-10: 3100629531
- ISBN-13: 9783100629531
- Erscheinungsdatum: 19.02.2014
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