Betty will reich heiraten!
Betty (58) hatte es nie so mit diesen bürgerlichen Werten. Heiraten? War nichts für die Ex-Hippie und Kommunenbewohnerin. Doch jetzt sieht es plötzlich ganz anders aus. Denn sie verliert von heute auf morgen alles. Ihren Job als...
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Produktinformationen zu „Betty will reich heiraten! “
Betty (58) hatte es nie so mit diesen bürgerlichen Werten. Heiraten? War nichts für die Ex-Hippie und Kommunenbewohnerin. Doch jetzt sieht es plötzlich ganz anders aus. Denn sie verliert von heute auf morgen alles. Ihren Job als Feng-Shui-Beraterin, ihren Mann und sogar ihre Wohnung. Da bleibt Betty nur ein Ausweg. Sie will endlich heiraten. Und zwar am besten reich!
Lese-Probe zu „Betty will reich heiraten! “
Betty will reich heiraten! von Lilli Beck1. Der Duft von Patina
Wenn ich schlechte Laune habe, stelle ich erst mal meine Möbel um. Das verändert den Blickwinkel. Anstatt Tabletten zu schlucken oder zu einem Seelenklempner zu gehen, würde ich mir eher ein neues Möbelstück kaufen. Andere Frauen kaufen Schuhe, ich kaufe Einrichtungsgegenstände. Seit vielen Jahren auch berufl ich.
Besonders glücklich machen mich die Aufträge, bei denen ich nicht aufs Geld achten muss. Ich liebe es nämlich, Geld auszugeben. Mein eigenes, und das meiner Auftraggeber.
Meine Arbeit ist aber nicht zu verwechseln mit der einer Innenarchitektin. Ich gestalte nicht am Computer, sondern am Objekt.
Deshalb stehe ich im Moment bei Art déco, einem der edelsten und teuersten Antiquitätengeschäfte Berlins, und atme den Duft von Patina ein. Ich bin auf der Suche nach einem repräsentativen Esstisch für die Zehn-Zimmer-Villa von Frau Gehlen, meiner neusten Kundin.
»Kann ich behilfl ich sein?«
Ein elegant gekleideter Mann, mit glänzenden dunklen Haaren, tritt mir entgegen. Sein Blick wirkt etwas irritiert, als er mich von oben bis unten mustert. Ich kenne das, mein Aussehen kommt eben nicht bei allen Leuten gut an. Dabei sehe ich heute doch völlig normal aus. Jedenfalls soweit eine verwaschene Jeans mit Umschlag, verstaubte rote Turnschuhe, ein pinkfarbenes T-Shirt mit Che-Guevara-Porträt und ein übergroßes Jackett normal sind für eine Frau mit achtundfünfzig, die einige Pfunde zu viel und langes graumeliertes Haar hat.
»Könnte sein«, sage ich lächelnd und gebe dem Dandy meine Visitenkarte aus rotem, extra teuren Karton:
Betty Singer
Feng-Shui-Einrichtungsberaterin
... mehr
Oft ist die Karte der Beginn eines langen Gesprächs über Feng Shui. Der asiatische Trend ist zwar nicht mehr ganz neu, aber es gibt immer noch Menschen, die hinter diesem Namen eine Kampfsportart oder ein Sushi-Röllchen vermuten.
Der Dandy liest die Karte und deutet eine höfliche Verbeugung an. »Pierre Pötsch. Ich bin der Inhaber.«
Eine angenehme Überraschung, denn wegen seines jugendlichen Aussehens hatte ich ihn für einen Angestellten gehalten. Doch attraktiv wie er ist, könnte er auch ein Schauspieler ohne Engagement sein. Sein blendendes Aussehen, der wache Blick und der Waschbrettbauch, den ich unter seinem weißen Hemd vermute - ein klassischer Held, der allein mit seiner körperlichen Präsenz jede Bühne füllen würde. Ein Mann mit Stil und Klasse, der gut zu seinen Möbeln passt.
Ich beginne das Gespräch mit einem Kompliment über die ausgesucht schönen Stücke in seinem Laden. Das ist durchaus ernstgemeint; Möbel, die mir nicht gefallen und die ich nicht auch selbst gerne besitzen würde, schaue ich mir nämlich gar nicht erst an.
»Vielen Dank, Frau Singer, sehr freundlich.« Er ist sichtlich geschmeichelt. »Darf ich Sie herumführen?«
In seiner Begleitung schlendere ich durch drei große, ineinander übergehende Räume, streichle liebevoll über Tische, Stühle und Schränke, bewundere Lampen und Spiegel und frage nach der Herkunft der Stücke, die mir besonders auffallen. Später erzähle ich ihm von meinem Großauftrag. Interessiert hebt er die Augenbrauen. Er scheint zu ahnen, dass sich mein Besuch für ihn lohnen könnte. Aber ich weiß, wie Preise zustande kommen, und auch, wie man sie herunterhandelt. Dieses Mal spielt Geld allerdings keine Rolle, was selten vorkommt. Bei reichen Leuten spielt Geld nämlich meistens eine wichtige Rolle, sonst wären sie nicht reich. Ich vereinbare mit meinen Auftraggebern daher gerne Festpreise. Und je günstiger ich dann einkaufe, umso mehr Gewinn bleibt für mich. Ich bin aber nicht geldgierig. Ist ein Möbelstück genau das, was ich suche, kümmert es mich nicht, ob der Preis mein Honorar schmälert. Geld hat man, oder man hat es nicht. Und wenn ich welches habe, gebe ich es sowieso schnell wieder aus. Das ist eine alte Gewohnheit aus meiner Hippiezeit. Und ich bin nach wie vor der Meinung, Geld muss in Umlauf gebracht werden, damit es wieder zurückkommen kann.
Nachdem ich so gut wie jedes Stück im Laden angefasst habe, eröffnet Herr Pötsch den Handel. »Und? Ist etwas dabei, das in die Villa Ihrer Kundin passen würde?«, erkundigt er sich gespannt.
»Ja ... ich denke doch«, sage ich verheißungsvoll. Er merkt, dass ich wirklich interessiert bin und hört sicher schon die Kasse klingeln. Die beste Voraussetzung für einen erfolgreichen Handel!
Herr Pötsch scheint das wohl auch so zu sehen und fragt: »Darf ich Ihnen vielleicht eine Tasse Kaffee anbieten?«
Ich nehme dankend an.
Er entschuldigt sich für einen Moment und verschwindet hinter einem schwarz-goldenen Brokatvorhang mit ägyptischen Motiven. Ich setze mich an einen riesigen Tisch, der mit seiner schwarzlackierten Oberfläche und den Stahlrohrbeinen gut in die Villa passen würde.
Nach einigen Minuten kommt Herr Pötsch mit einem silbernen Tablett zurück, auf dem er zwei Espressotassen, ein Milchkännchen und eine Zuckerdose aus schlichtem weißem Porzellan balanciert.
Während ich den köstlichen Kaffee genieße, gebe ich etwa zwanzigtausend Euro aus. Theoretisch jedenfalls. Meine Auswahl steht nämlich fest.
»Sie werden sicher verstehen, dass ich nichts kaufen kann, ohne es mit meinen Auftraggebern abzusprechen. Feng-Shui ist schließlich keine Überraschungsshow.«
Seinem Schmunzeln entnehme ich, dass er diese TV-Sendungen, in denen ahnungslose Menschen von Freunden oder Verwandten mit Komplettrenovierungen überrascht werden, auch kennt. Ich fotografiere also die in Frage kommenden Stücke und kündige für übermorgen meine Entscheidung an.
Mit meiner Auftraggeberin bin ich zum Mittagessen in der Villa verabredet. Das Anwesen liegt im vornehmen Grunewald, Berlins Geldkiez. Da ich kein Auto habe - ja nicht mal einen Führerschein besitze -, leiste ich mir ein Taxi. Eigentlich sollte ich lieber sparen, denn in letzter Zeit läuft es mit den Aufträgen eher mies. Für die Schönen und Reichen scheint der Feng-Shui-Trend nämlich abgenutzt wie ein alter Besen. Und bekanntlich braucht es einen sehr heißen Trend-Besen, damit man bei den Reichen durchkehren darf. Es gab nochmal einen kurzfristigen Boom, als eines dieser Boulevardmagazine schrieb, Nicole Kidman würde einen eigenen Feng-Shui-Berater beschäftigen. Doch inzwischen zieht der Promi-Bonus auch nicht mehr. Durchaus möglich, dass ich mir bald einen neuen Job suchen muss. Wäre nicht das erste Mal.
In meiner Hippiezeit haben wir immer wieder nach kreativen Möglichkeiten gesucht, Geld zu verdienen.
Als Andy Warhol beispielsweise anfing, alles um sich herum mit einer Polaroidkamera zu fotografieren, griffen wir Frauen die Idee auf und knipsten uns gegenseitig beim Stillen unserer Babys. Oder beim Schlafen auf der großen Gemeinschaftsmatratze (ich meine den Schlaf, bei dem man sich in Morpheus Armen fallen lässt). Oder wir fotografierten unsere schönste Mitbewohnerin, die scharfe Tuti, mit nackten Brüsten am Kochtopf. Aus diesen Bildern gestalteten wir dann Collagen oder ließen Poster drucken und veranstalteten in einer Galerie ein Happening samt Ausstellung. Die Vergrößerungen von den Jungs auf dem Klo - inspiriert von Frank Zappa - wurden uns förmlich von den Wänden gerissen. Und einer von Tutis Bekannten, ein Werbefachmann, verkaufte das Ganze auch noch an eine große Münchener Boulevardzeitung. Die Aktion brachte immerhin ein paar Monatsmieten ein!
Für Frauen in meinem Alter herrschen derzeit aber eher trübe Aussichten auf dem Arbeitsmarkt. Würde ich heute aufs Arbeitsamt gehen, bekäme ich wahrscheinlich nur ein mitleidiges Lächeln und ein »Nicht vermittelbar« auf meine Akte gestempelt.
Frau Gehlen erwartet mich bereits ungeduldig. Mit ihrem Gemahl habe ich bisher nur telefoniert. Der Stimme nach zu urteilen, ist er aber nicht so jung wie seine Frau. Scheint eine dieser Ehen zu sein, in der der Mann das Geld nach Hause bringt, das die Frau dann ausgibt. Das stelle ich mir im Prinzip sehr amüsant vor. Allerdings kann ich da nicht wirklich mitreden, ich war noch nie verheiratet.
»Haben Sie etwas Passendes gefunden?«, fragt Frau Gehlen neugierig, als ich ihr auf dem Weg in die neurenovierte Küche von meinem Besuch bei Art déco erzähle. Zwischen Feldsalat und Pasta mit Trüffeln präsentiere ich ihr dann die Polaroids auf dem vom Schreiner nach Maß gefertigten Birkenholztisch.
»Wunderschön! Gefällt mir alles, ausnahmslos«, ruft sie begeistert beim Anblick der Fotos.
Das bestätigt mich in der Einschätzung, dass wir in Geschmacksfragen übereinstimmen. Die mintgrüne Küche im modernen Landhausstil hätte ich auch ausgesucht. Mein Job würde mir keinen Spaß machen, wenn ich endlose Diskussionen über Design, Blumen oder Streifen führen müsste. Obwohl ich da natürlich flexibel bin. Wer im Laura-Ashley-Stil wohnen möchte, der kriegt ihn auch. Nur bei den Feng-Shui-Regeln bleibe ich unnachgiebig. Ich würde nie einen Schreibtisch so positionieren, dass man mit dem Rücken zur Tür sitzt. Oder ein Bett in ein Durchgangszimmer stellen. Da rast das positive Chi dann durchs Zimmer wie ein Rennwagen auf der Teststrecke. Dass so ein zugiges Plätzchen die Ursache für unkonzentriertes Arbeiten oder unruhigen Schlaf ist, wollen diese Menschen oft nicht glauben. Ich empfehle ihnen dann, Katzen oder Hunde zu beobachten. Bei denen funktionieren die Instinkte noch. Kein Tier würde sich freiwillig an so einem Platz schlafen legen. Seltsamerweise suchen die Menschen doch auch geschützte Ecken, wenn sie zum Beispiel ein Lokal betreten. Schon merkwürdig, dass sie zu Hause ihren Instinkten manchmal misstrauen.
Frau Gehlen dagegen vertraut den ihren.
Sie stößt einen Entzückensschrei aus, als ich ihr versichere, dass es sich bei dem Esstisch um ein Einzelstück handelt. Ich schätze, sie kann es sich leisten, grundsätzlich nur für Einzelstücke in Begeisterung auszubrechen. Dafür sorgt schon das prall-gefüllte Konto ihres Gatten. Ihr karamellfarbenes Designerkleidchen wird da vermutlich der kleinste Posten im Budget gewesen sein. Diese elegante Frau mit dem dunklen Teint, den blitzenden Augen und der perfekten Figur würde aber auch noch in jeder Kittelschürze traumhaft aussehen. Was dem Gatten allerdings weniger gefallen dürfte. Man weiß ja, was Männer mögen. Und soweit ich mich erinnere, gehören Kittelschürzen nicht dazu. Für mich ist aber eigentlich nur wichtig, dass ihm gefällt, was ich aus seiner Villa mache, schließlich soll er die Verwandlung ja bezahlen.
»Wollen Sie die Fotos Ihrem Mann zeigen und mir dann Bescheid geben?«, frage ich deshalb, als wir beim Cappuccino angelangt sind.
»Nicht nötig«, antwortet Frau Gehlen mit der Sicherheit einer Frau, die weiß, was ihrem Mann gefällt. Ganz sicher aber weiß sie, was sie tun muss, damit es ihm gefällt.
Mir fehlt dieses Talent ja völlig. Vielleicht habe ich es aber auch nie kultiviert, weil es ziemlich anstrengend sein muss, einen vermögenden Mann von etwas zu überzeugen, was er gar nicht haben möchte. Das ist jedoch auch kein Thema, über das ich groß nachdenken müsste. Mein Lebensgefährte ist zwar kein Sozialfall, wird es aber nie zu großem Reichtum bringen. Uwe spielt ja nicht mal Lotto. Aber immerhin wohnen wir nicht mehr in einer großen Kommune, sondern in einer eigenen Wohnung. Zur Miete, versteht sich.
Nach dem Essen begutachten Frau Gehlen und ich noch den momentanen Stand der Renovierungsarbeiten im Haus. Die meisten Zimmer sind bereits leergeräumt und frisch gestrichen - daher das Essen in der Küche. Und bis auf den Schlafzimmerschrank, ein Eichenmonstrum aus den achtziger Jahren mit Albtraumgarantie, wurden die alten Möbel bereits entsorgt. Die gesamte Villa war vollgestopft mit Chippendale und Eiche rustikal. Frau Gehlen gestand mir verschämt, das würde alles aus einem anderen Leben ihres Mannes stammen. Ich nehme an, es waren die Reste einer früheren Ehe.
Leere Räume, nur von Licht durchdrungen, haben etwas Magisches. Ich kann fühlen, wie sie auf ihre Verwandlung warten, wie sie nach der Entrümpelung aufatmen und die Wände nach frischer Farbe lechzen. Ich finde es immer wieder faszinierend, was man aus einem Raum alles machen kann. In einem Loriot-Film heißt es: »In lila Sitzgruppen bringen sich die Leute um.« Bei mir nicht! Mit Feng-Shui und den richtigen Begleitfarben entferne ich aus jeder Sitzgruppe das Selbstmordrisiko. Auch aus einer lilafarbenen. In meiner Kommune war die Küche stets lila gestrichen. Schon damals fanden wir das kreativ.
Frau Gehlen bremst meinen stillen Nostalgieanfall aus und fragt: »Wie schnell kann der Antiquitätenhändler denn liefern?«
Ich freue mich über ihre Ungeduld. Ist sie doch eine Bestätigung meiner Arbeit. Ich versichere ihr, dass alles fertig sein wird, wenn sie und ihr Mann aus dem New-York-Urlaub zurückkommen. Während ihres zweiwöchigen Ausflugs in die ihrer Meinung nach »aufregendste Stadt der Welt« lasse ich die Schlafzimmereiche inklusive der rustikalen Albträume abholen. Maler werden dann die alte Strukturtapete von den Wänden ablösen und die beiden letzten Räume streichen. Für das endgültige Dekorieren bleibt mir dann noch eine Woche Zeit.
Am Ende eines jeden Auftrags betrachte ich mein Werk oft mit einem zufriedenen Kribbeln im Bauch. Und manchmal bin ich von dem Endergebnis so begeistert, dass ich mir wünsche, die Hausherrin zu sein. Der dazugehörige Reichtum würde mich kein bisschen stören. Im Gegenteil, so richtig reich zu sein wäre mal eine ganz neue Erfahrung. Doch mit normaler Arbeit ist noch niemand zu Reichtum gekommen. Und wenn ich Frau Gehlen so ansehe, ist reich Heiraten der direkteste Weg dorthin. Diesen Zug habe ich aber wohl verpasst. Es sei denn, ich schicke Uwe in die Wüste, falle in einen Jungbrunnen und finde einen reichen Mann, der sich in mich verliebt.
...
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Oft ist die Karte der Beginn eines langen Gesprächs über Feng Shui. Der asiatische Trend ist zwar nicht mehr ganz neu, aber es gibt immer noch Menschen, die hinter diesem Namen eine Kampfsportart oder ein Sushi-Röllchen vermuten.
Der Dandy liest die Karte und deutet eine höfliche Verbeugung an. »Pierre Pötsch. Ich bin der Inhaber.«
Eine angenehme Überraschung, denn wegen seines jugendlichen Aussehens hatte ich ihn für einen Angestellten gehalten. Doch attraktiv wie er ist, könnte er auch ein Schauspieler ohne Engagement sein. Sein blendendes Aussehen, der wache Blick und der Waschbrettbauch, den ich unter seinem weißen Hemd vermute - ein klassischer Held, der allein mit seiner körperlichen Präsenz jede Bühne füllen würde. Ein Mann mit Stil und Klasse, der gut zu seinen Möbeln passt.
Ich beginne das Gespräch mit einem Kompliment über die ausgesucht schönen Stücke in seinem Laden. Das ist durchaus ernstgemeint; Möbel, die mir nicht gefallen und die ich nicht auch selbst gerne besitzen würde, schaue ich mir nämlich gar nicht erst an.
»Vielen Dank, Frau Singer, sehr freundlich.« Er ist sichtlich geschmeichelt. »Darf ich Sie herumführen?«
In seiner Begleitung schlendere ich durch drei große, ineinander übergehende Räume, streichle liebevoll über Tische, Stühle und Schränke, bewundere Lampen und Spiegel und frage nach der Herkunft der Stücke, die mir besonders auffallen. Später erzähle ich ihm von meinem Großauftrag. Interessiert hebt er die Augenbrauen. Er scheint zu ahnen, dass sich mein Besuch für ihn lohnen könnte. Aber ich weiß, wie Preise zustande kommen, und auch, wie man sie herunterhandelt. Dieses Mal spielt Geld allerdings keine Rolle, was selten vorkommt. Bei reichen Leuten spielt Geld nämlich meistens eine wichtige Rolle, sonst wären sie nicht reich. Ich vereinbare mit meinen Auftraggebern daher gerne Festpreise. Und je günstiger ich dann einkaufe, umso mehr Gewinn bleibt für mich. Ich bin aber nicht geldgierig. Ist ein Möbelstück genau das, was ich suche, kümmert es mich nicht, ob der Preis mein Honorar schmälert. Geld hat man, oder man hat es nicht. Und wenn ich welches habe, gebe ich es sowieso schnell wieder aus. Das ist eine alte Gewohnheit aus meiner Hippiezeit. Und ich bin nach wie vor der Meinung, Geld muss in Umlauf gebracht werden, damit es wieder zurückkommen kann.
Nachdem ich so gut wie jedes Stück im Laden angefasst habe, eröffnet Herr Pötsch den Handel. »Und? Ist etwas dabei, das in die Villa Ihrer Kundin passen würde?«, erkundigt er sich gespannt.
»Ja ... ich denke doch«, sage ich verheißungsvoll. Er merkt, dass ich wirklich interessiert bin und hört sicher schon die Kasse klingeln. Die beste Voraussetzung für einen erfolgreichen Handel!
Herr Pötsch scheint das wohl auch so zu sehen und fragt: »Darf ich Ihnen vielleicht eine Tasse Kaffee anbieten?«
Ich nehme dankend an.
Er entschuldigt sich für einen Moment und verschwindet hinter einem schwarz-goldenen Brokatvorhang mit ägyptischen Motiven. Ich setze mich an einen riesigen Tisch, der mit seiner schwarzlackierten Oberfläche und den Stahlrohrbeinen gut in die Villa passen würde.
Nach einigen Minuten kommt Herr Pötsch mit einem silbernen Tablett zurück, auf dem er zwei Espressotassen, ein Milchkännchen und eine Zuckerdose aus schlichtem weißem Porzellan balanciert.
Während ich den köstlichen Kaffee genieße, gebe ich etwa zwanzigtausend Euro aus. Theoretisch jedenfalls. Meine Auswahl steht nämlich fest.
»Sie werden sicher verstehen, dass ich nichts kaufen kann, ohne es mit meinen Auftraggebern abzusprechen. Feng-Shui ist schließlich keine Überraschungsshow.«
Seinem Schmunzeln entnehme ich, dass er diese TV-Sendungen, in denen ahnungslose Menschen von Freunden oder Verwandten mit Komplettrenovierungen überrascht werden, auch kennt. Ich fotografiere also die in Frage kommenden Stücke und kündige für übermorgen meine Entscheidung an.
Mit meiner Auftraggeberin bin ich zum Mittagessen in der Villa verabredet. Das Anwesen liegt im vornehmen Grunewald, Berlins Geldkiez. Da ich kein Auto habe - ja nicht mal einen Führerschein besitze -, leiste ich mir ein Taxi. Eigentlich sollte ich lieber sparen, denn in letzter Zeit läuft es mit den Aufträgen eher mies. Für die Schönen und Reichen scheint der Feng-Shui-Trend nämlich abgenutzt wie ein alter Besen. Und bekanntlich braucht es einen sehr heißen Trend-Besen, damit man bei den Reichen durchkehren darf. Es gab nochmal einen kurzfristigen Boom, als eines dieser Boulevardmagazine schrieb, Nicole Kidman würde einen eigenen Feng-Shui-Berater beschäftigen. Doch inzwischen zieht der Promi-Bonus auch nicht mehr. Durchaus möglich, dass ich mir bald einen neuen Job suchen muss. Wäre nicht das erste Mal.
In meiner Hippiezeit haben wir immer wieder nach kreativen Möglichkeiten gesucht, Geld zu verdienen.
Als Andy Warhol beispielsweise anfing, alles um sich herum mit einer Polaroidkamera zu fotografieren, griffen wir Frauen die Idee auf und knipsten uns gegenseitig beim Stillen unserer Babys. Oder beim Schlafen auf der großen Gemeinschaftsmatratze (ich meine den Schlaf, bei dem man sich in Morpheus Armen fallen lässt). Oder wir fotografierten unsere schönste Mitbewohnerin, die scharfe Tuti, mit nackten Brüsten am Kochtopf. Aus diesen Bildern gestalteten wir dann Collagen oder ließen Poster drucken und veranstalteten in einer Galerie ein Happening samt Ausstellung. Die Vergrößerungen von den Jungs auf dem Klo - inspiriert von Frank Zappa - wurden uns förmlich von den Wänden gerissen. Und einer von Tutis Bekannten, ein Werbefachmann, verkaufte das Ganze auch noch an eine große Münchener Boulevardzeitung. Die Aktion brachte immerhin ein paar Monatsmieten ein!
Für Frauen in meinem Alter herrschen derzeit aber eher trübe Aussichten auf dem Arbeitsmarkt. Würde ich heute aufs Arbeitsamt gehen, bekäme ich wahrscheinlich nur ein mitleidiges Lächeln und ein »Nicht vermittelbar« auf meine Akte gestempelt.
Frau Gehlen erwartet mich bereits ungeduldig. Mit ihrem Gemahl habe ich bisher nur telefoniert. Der Stimme nach zu urteilen, ist er aber nicht so jung wie seine Frau. Scheint eine dieser Ehen zu sein, in der der Mann das Geld nach Hause bringt, das die Frau dann ausgibt. Das stelle ich mir im Prinzip sehr amüsant vor. Allerdings kann ich da nicht wirklich mitreden, ich war noch nie verheiratet.
»Haben Sie etwas Passendes gefunden?«, fragt Frau Gehlen neugierig, als ich ihr auf dem Weg in die neurenovierte Küche von meinem Besuch bei Art déco erzähle. Zwischen Feldsalat und Pasta mit Trüffeln präsentiere ich ihr dann die Polaroids auf dem vom Schreiner nach Maß gefertigten Birkenholztisch.
»Wunderschön! Gefällt mir alles, ausnahmslos«, ruft sie begeistert beim Anblick der Fotos.
Das bestätigt mich in der Einschätzung, dass wir in Geschmacksfragen übereinstimmen. Die mintgrüne Küche im modernen Landhausstil hätte ich auch ausgesucht. Mein Job würde mir keinen Spaß machen, wenn ich endlose Diskussionen über Design, Blumen oder Streifen führen müsste. Obwohl ich da natürlich flexibel bin. Wer im Laura-Ashley-Stil wohnen möchte, der kriegt ihn auch. Nur bei den Feng-Shui-Regeln bleibe ich unnachgiebig. Ich würde nie einen Schreibtisch so positionieren, dass man mit dem Rücken zur Tür sitzt. Oder ein Bett in ein Durchgangszimmer stellen. Da rast das positive Chi dann durchs Zimmer wie ein Rennwagen auf der Teststrecke. Dass so ein zugiges Plätzchen die Ursache für unkonzentriertes Arbeiten oder unruhigen Schlaf ist, wollen diese Menschen oft nicht glauben. Ich empfehle ihnen dann, Katzen oder Hunde zu beobachten. Bei denen funktionieren die Instinkte noch. Kein Tier würde sich freiwillig an so einem Platz schlafen legen. Seltsamerweise suchen die Menschen doch auch geschützte Ecken, wenn sie zum Beispiel ein Lokal betreten. Schon merkwürdig, dass sie zu Hause ihren Instinkten manchmal misstrauen.
Frau Gehlen dagegen vertraut den ihren.
Sie stößt einen Entzückensschrei aus, als ich ihr versichere, dass es sich bei dem Esstisch um ein Einzelstück handelt. Ich schätze, sie kann es sich leisten, grundsätzlich nur für Einzelstücke in Begeisterung auszubrechen. Dafür sorgt schon das prall-gefüllte Konto ihres Gatten. Ihr karamellfarbenes Designerkleidchen wird da vermutlich der kleinste Posten im Budget gewesen sein. Diese elegante Frau mit dem dunklen Teint, den blitzenden Augen und der perfekten Figur würde aber auch noch in jeder Kittelschürze traumhaft aussehen. Was dem Gatten allerdings weniger gefallen dürfte. Man weiß ja, was Männer mögen. Und soweit ich mich erinnere, gehören Kittelschürzen nicht dazu. Für mich ist aber eigentlich nur wichtig, dass ihm gefällt, was ich aus seiner Villa mache, schließlich soll er die Verwandlung ja bezahlen.
»Wollen Sie die Fotos Ihrem Mann zeigen und mir dann Bescheid geben?«, frage ich deshalb, als wir beim Cappuccino angelangt sind.
»Nicht nötig«, antwortet Frau Gehlen mit der Sicherheit einer Frau, die weiß, was ihrem Mann gefällt. Ganz sicher aber weiß sie, was sie tun muss, damit es ihm gefällt.
Mir fehlt dieses Talent ja völlig. Vielleicht habe ich es aber auch nie kultiviert, weil es ziemlich anstrengend sein muss, einen vermögenden Mann von etwas zu überzeugen, was er gar nicht haben möchte. Das ist jedoch auch kein Thema, über das ich groß nachdenken müsste. Mein Lebensgefährte ist zwar kein Sozialfall, wird es aber nie zu großem Reichtum bringen. Uwe spielt ja nicht mal Lotto. Aber immerhin wohnen wir nicht mehr in einer großen Kommune, sondern in einer eigenen Wohnung. Zur Miete, versteht sich.
Nach dem Essen begutachten Frau Gehlen und ich noch den momentanen Stand der Renovierungsarbeiten im Haus. Die meisten Zimmer sind bereits leergeräumt und frisch gestrichen - daher das Essen in der Küche. Und bis auf den Schlafzimmerschrank, ein Eichenmonstrum aus den achtziger Jahren mit Albtraumgarantie, wurden die alten Möbel bereits entsorgt. Die gesamte Villa war vollgestopft mit Chippendale und Eiche rustikal. Frau Gehlen gestand mir verschämt, das würde alles aus einem anderen Leben ihres Mannes stammen. Ich nehme an, es waren die Reste einer früheren Ehe.
Leere Räume, nur von Licht durchdrungen, haben etwas Magisches. Ich kann fühlen, wie sie auf ihre Verwandlung warten, wie sie nach der Entrümpelung aufatmen und die Wände nach frischer Farbe lechzen. Ich finde es immer wieder faszinierend, was man aus einem Raum alles machen kann. In einem Loriot-Film heißt es: »In lila Sitzgruppen bringen sich die Leute um.« Bei mir nicht! Mit Feng-Shui und den richtigen Begleitfarben entferne ich aus jeder Sitzgruppe das Selbstmordrisiko. Auch aus einer lilafarbenen. In meiner Kommune war die Küche stets lila gestrichen. Schon damals fanden wir das kreativ.
Frau Gehlen bremst meinen stillen Nostalgieanfall aus und fragt: »Wie schnell kann der Antiquitätenhändler denn liefern?«
Ich freue mich über ihre Ungeduld. Ist sie doch eine Bestätigung meiner Arbeit. Ich versichere ihr, dass alles fertig sein wird, wenn sie und ihr Mann aus dem New-York-Urlaub zurückkommen. Während ihres zweiwöchigen Ausflugs in die ihrer Meinung nach »aufregendste Stadt der Welt« lasse ich die Schlafzimmereiche inklusive der rustikalen Albträume abholen. Maler werden dann die alte Strukturtapete von den Wänden ablösen und die beiden letzten Räume streichen. Für das endgültige Dekorieren bleibt mir dann noch eine Woche Zeit.
Am Ende eines jeden Auftrags betrachte ich mein Werk oft mit einem zufriedenen Kribbeln im Bauch. Und manchmal bin ich von dem Endergebnis so begeistert, dass ich mir wünsche, die Hausherrin zu sein. Der dazugehörige Reichtum würde mich kein bisschen stören. Im Gegenteil, so richtig reich zu sein wäre mal eine ganz neue Erfahrung. Doch mit normaler Arbeit ist noch niemand zu Reichtum gekommen. Und wenn ich Frau Gehlen so ansehe, ist reich Heiraten der direkteste Weg dorthin. Diesen Zug habe ich aber wohl verpasst. Es sei denn, ich schicke Uwe in die Wüste, falle in einen Jungbrunnen und finde einen reichen Mann, der sich in mich verliebt.
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Autoren-Porträt von Lilli Beck
Lilli Beck, Jahrgang 1950, wuchs noch ohne Fernseher auf und verbrachte ihre Nachmittage am liebsten in der Bücherei und später im Kino. In den siebziger Jahren wohnte sie selbst in einer Kommune, die Hippiezeit hat sie intensiv durchlebt. Von Lilli Beck sind bereits mehrere Kurzkrimis erschienen. »Betty will reich heiraten!« ist ihr erster Roman.
Bibliographische Angaben
- Autor: Lilli Beck
- 256 Seiten, Maße: 12,5 x 18,7 cm, Taschenbuch
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3863650387
- ISBN-13: 9783863650384
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