Bevor der Tag sich neigt
Jessica weiß, sie wird bald erblinden. Daher will sie noch einmal ihre Tochter sehen, die damals von ihrer Schwester Luz adoptiert wurde. Luz hat Angst, das Mädchen an Jessica zu verlieren. Sie ahnt nicht, dass ihre Schwester noch andere Geheimnisse verbirgt.
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Produktinformationen zu „Bevor der Tag sich neigt “
Jessica weiß, sie wird bald erblinden. Daher will sie noch einmal ihre Tochter sehen, die damals von ihrer Schwester Luz adoptiert wurde. Luz hat Angst, das Mädchen an Jessica zu verlieren. Sie ahnt nicht, dass ihre Schwester noch andere Geheimnisse verbirgt.
Lese-Probe zu „Bevor der Tag sich neigt “
Bevor der Tag sich neigt von Susan WiggsIm Herzen jeder Frau liegt ein Funke himmlischen Feuers, der im hellen Tageslicht guter Zeiten unbemerkt ruht, aber aufflackert, leuchtet und lodert in der dunklen Stunde der Not.
Washington Irving
Teil 1
Vorher
Unsere heutige Jugend liebt den Luxus, hat schlechte Manieren und keine Achtung vor der Autorität; die jungen Leute erweisen dem Alter keinen Respekt und vertun ihre Zeit mit eitlem Geschwätz, statt sich zu bilden. Kinder sind heute Tyrannen, nicht Diener ihres Hauses. Sie erheben sich nicht mehr, wenn Ältere den Raum betreten. Sie widersprechen ihren Eltern, schwatzen in Gesellschaft, essen nicht manierlich und tyrannisieren ihre Lehrer. Sokrates (399 v. Chr.)
Kapitel 1
Dieser Stich der Panik, den eine Frau verspürt, wenn der Gedanke sie zum ersten Mal überfällt Ich bin schwanger , ist unvergleichlich. Sechzehn Jahre nach jenem Augenblick verfolgte er Jessie Ryder auf ihrer Fahrt durch die texanische Hitze wie ein Echo, nachdem sie um die halbe Welt gereist war, um die Tochter zu besuchen, die sie noch nie gesehen hatte. Sie konnte sich immer noch erinnern, wie entsetzlich und wundersam dieses Wissen war, das ein nicht einmal sichtbares Häuflein Zellen ihr Leben auf unvorstellbare Weise für immer verändern würde. Sechzehn Jahre und unzählige Meilen trennten sie nun von jenem Tag, doch diese Entfernung schmolz rasch dahin. Simon hatte versucht, sie davon abzuhalten Das ist doch verrückt, Jess, du kannst jetzt nicht einfach so nach Texas verschwinden , doch Simon irrte sich. Und dies war nicht das Verrückteste, was sie je getan hatte, bei Weitem nicht. Zum hundertsten Mal, seit Jessie in ihrem Hotelzimmer in Auckland ihre Habseligkeiten in eine Reisetasche gestopft hatte, fragte sie sich, was sie sonst hätte tun sollen. Hierfür gab es keine Regieanweisung, keine
... mehr
Gebrauchsanleitung, wie man die Scherben eines zerbrochenen Lebens wieder zusammensetzte. Es gab nur den Heimkehrinstinkt, die Neigung des verletzten Tieres, sich in der sicheren Höhle zu verkriechen. Und dann war da noch der unwiderstehliche Drang, tief begraben, doch nie ganz vergessen, das Kind zu sehen, das sie gleich nach der Geburt dem einzigen Menschen auf der Welt übergeben hatte, dem sie vertraute Luz, ihrer Schwester. Das Vorderrad ratterte über die Linie dicker gelber Scheiben, welche den Mittelstreifen des Highways markierten. Jessies Tage am Steuer waren gezählt, doch ihr angeborener Drang nach Unabhängigkeit und eine neue Verzweiflung machten sie trotzig. Sie ging vom Gas, warf einen Blick in den Rückspiegel sie musste sich noch daran gewöhnen, amerikanische Autos auf der rechten Straßenseite zu fahren und hielt am Straßenrand. Sie hatte sich schon wieder verfahren. Die Sonne stand tief über den zerklüfteten Umrissen der Hügel und stach ihr in die Augen, sodass sie die Blende herunterklappte. Sie griff nach der Straßenkarte und betrachtete die Route, die der Mitarbeiter der Autovermietung mit Leuchtstift markiert hatte. Südwestlich auf der Interstate bis zur Ausfahrt 135-A, den State Highway 290 bis zur Route 1486, dann immer den roten Strich von Straße entlang bis zu einem Ort, von dem wenige Leute je gehört hatten, und den noch weniger besuchen mochten. Jessie hatte die Wegbeschreibung genau befolgt. Oder nicht? Das war schwer zu sagen, und es war so lange her, seit sie zuletzt über diese vergessenen Landstraßen gereist war. Als sie mit dem Zeigefinger die markierte Route nachfuhr, sah sie aus dem Augenwinkel eine Bewegung auf der Straße. Ein Gürteltier. Die sah sie sonst nur als überfahrene Häuflein, als wären sie so geboren worden, die kleinen Dinosaurierbeine himmelwärts gestreckt. Doch da watschelte ihr eines über den Weg, wie aus einem Steinbeck-Roman. Ein Omen? Ein schlechtes Vorzeichen? Oder ein gewöhnliches texanisches Verkehrshindernis? Sie beobachtete, wie das Tier die andere Straßenseite erreichte und im niedrigen Gebüsch verschwand.
Ein Auto kam den nächsten Hügel herab auf sie zu. Sie kniff die Augen zusammen. Ein Pick-up, natürlich. Was sollte es hier draußen auch anderes sein? Als der Wagen langsamer wurde und auf der anderen Straßenseite hielt, spürte sie das Prickeln der Gefahr. Sie war ganz allein, irgendwo mitten in Texas, meilenweit außerhalb der Zivilisation. Das Fenster wurde heruntergekurbelt. Sie schützte die Augen mit einer Hand gegen die Sonne, konnte aber nur den Umriss des Fahrers erkennen breite Schultern, Baseball-Kappe und, seltsamerweise, einen Kindersitz auf der Beifahrerseite. Eine Angel ragte aus der Waffenhalterung. »Alles in Ordnung, Ma'am?«, fragte er. Mit der Sonne in ihren Augen konnte sie sein Gesicht nicht richtig erkennen, doch dieser breite Texas-Akzent beruhigte sie irgendwie, denn er rief vage Erinnerungen an faule, warme Tage und gemächliche, lächelnde Nachbarn hervor. »Ich bin auf dem Weg nach Edenville«, erwiderte sie. »Aber ich glaube, ich habe mich verfahren.« »Sie sind schon fast da«, sagte er und wies mit dem Daumen in die Richtung, aus der er gekommen war. »Das ist die richtige Straße. Sie sind nur noch nicht weit genug gefahren.« »Danke.« »Klar doch, Ma'am. Machen Sie's gut.« Der Pick-up rollte los, und eine Fehlzündung knallte, als er davonfuhr. Machen Sie's gut. Die freundlichen, beiläufigen Worte hallten in ihr nach, als sie wieder anfuhr. Sie spielte am Radio herum, fand jedoch nur Nachrichten und weinerliche Country-Musik. Schließlich entdeckte sie einen erträglichen Rocksender aus Austin und drehte ZZ Topp richtig laut auf. Sie hoffte, die Musik würde ihre Gedanken übertönen, vielleicht sogar ihre Ängste. Austins Schlafstädte mit Namen wie Saddlebrook Acres und Rockhurst Estates waren schon längst Orten mit volkstümlicheren Bezeichnungen wie Two-Dog Ranch gewichen.
Sie kam an einer Texaco-Tankstelle vorbei, vor der ein Pappschild verkündete: Benzin für jede Blechkiste. Der Spätnachmittag senkte sich über die Hügel. Die dunklen, schattigen Flecken in den Senken zwischen den zerfurchten Sandsteinhügeln waren trügerisch. Das watschelnde Gürteltier hatte sie daran erinnert, dass jeden Augenblick ein Kaninchen oder ein Hirsch auf die Straße springen konnte. Sie fände es entsetzlich, ein Tier anzufahren. Sie wollte nicht einmal ein totes Tier überfahren, bemerkte sie, als sie hastig einem zermalmten Kadaver auswich, der noch nicht zu platt gefahrenem Fell vertrocknet war wie ein grotesker Drachen. Die Fahrt kam ihr viel länger vor, als sie sie in Erinnerung hatte. Natürlich hatte sie es vor Jahren kaum erwarten können, diesen Ort zu verlassen; nun konnte sie es nicht erwarten, nach Hause zu kommen. Und bald schon sah sie es, das ausgebleichte Schild mit der Aufschrift »Willkommen in Edenville« vor dem verblassten Bild eines Pfirsichbaums. Kleinere Schilder sprossen aus dem Feld zu seinen Füßen: Halfway Baptist Church, Gottesdienste. Edenville, Heimat der Fighting Serpents. Lions-Club-Treffen jeden dritten Samstag im Monat. Das von Bäumen beschattete Städtchen war unheimlich vertraut, wie ein nur halb erinnerter Traum. Aneinander gedrängte Läden säumten den Platz um das klobige, über hundertjährige Gerichtsgebäude. Adams Spareribs & Grill und Eves Blumenladen standen noch immer Seite an Seite Roscoes Futtermitteln und einem müden alten Schott Discount gegenüber. Obwohl noch ein Celestial Cyber Café hinzugekommen war, hatte der Platz sich seinen gemächlichen 50er-Jahre-Charakter erhalten das Städtchen blieb gern zurück, während die Zeit wie der Verkehr auf der nahen Interstate vorbeiraste. Gleich nach der Highschool war Jessie weggezogen, um aufs College zu gehen. Austin hatte ihr sehr gefallen, mit seinem Großstadtgedränge und den verschlafenen Vororten, mit seiner bunten Mischung aus Politikern, Intellektuellen, Goths, Mexikanern, Verbrechern und Landeiern. Nun kehrte sie zurück in den kleinen Ort, zu allem, was sie zurückgelassen hatte, ob es ihr gefiel oder nicht. Obwohl es so lange her war, fand sie sich nun zurecht. Noch gut sieben Kilometer ein schmales Sträßchen entlang, vorbei am unnatürlich grünen Woodcreek-Golfplatz, danach rechts auf die Seestraße. Sie ließ alle vier Fenster des Autos herunter und atmete tief ein. Sie konnte den See riechen, bevor sie ihn sah Mesquitbäume und Zedern und der Duft reingewaschener Luft, die über frisches Wasser gestrichen war. Der Eagle Lake, einer der wenigen kalten Quellseen in Texas, leuchtete blauer als das herbstliche Zwielicht. Rund geschliffene Felsen, aus deren Spalten blühender Weißdorn wucherte, fielen jäh zum Wasser hin ab. Der See selbst war ein riesiger Spiegel, eingerahmt von den außergewöhnlichsten Bäumen in ganz Texas. Man nannte sie das Verirrte Wäldchen vom Eagle Lake, weil jedermann wusste, dass diese besonderen Bäume eigentlich nicht nach Texas gehörten. Ahornbäume wuchsen nur im langen, tiefen Schlaf des Winters in den Wäldern hoch im Norden, nicht im unvorhersehbaren, mal bitterkalten, mal drückend heißen Hügelland von Texas. Dennoch gediehen sie hier, diese Exoten, die sich am Ufer eines Bilderbuchsees zusammendrängten. Zahlreiche Legenden rankten sich um die Ahornbäume. Die Indianer erzählten, das seien die Seelen längst verstorbener Vorfahren aus dem Norden. Andere behaupteten, ein Siedler habe sie für seine Braut aus dem Norden gepflanzt, die den Herbst in New England schrecklich vermisste. Doch eigentlich wusste niemand mehr, als dass die Bäume verpflanzte Fremde waren, die nicht hierher gehörten, sich aber dennoch prächtig machten jeden Herbst flammten sie in hektisch bunten Farben auf, nachdem ein glühend heißer Sommer allem anderen das letzte bisschen Pigment ausgesogen hatte. Jeden Herbst loderten die Ahornbäume feuriger als ein Waldbrand, in so intensiven Farben, dass einem fast die Augen tränten: Magentarot, Gold, Orange, Ocker, Umbra. Jeden Herbst war die Straße zwei Wochen lang von Touristen blockiert, die zum County Park herausfuhren, um ihre Kinder zu fotografieren, wie sie Steinchen über die von Blättern bunt gefärbte Wasseroberfläche flitzen ließen oder in den von Gott selbst bemalten Bäumen herumkletterten. Während Jessie ihrem Ziel immer näher kam, überlegte sie, wann das Herbstlaub am prächtigsten leuchtete. Anfang November, erinnerte sie sich. Wenn alle über die Feiertage nach Hause kamen.
Übersetzung: Katharina Volk
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe
© 2004 by Knaur Taschenbuch.
Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München.
Ein Auto kam den nächsten Hügel herab auf sie zu. Sie kniff die Augen zusammen. Ein Pick-up, natürlich. Was sollte es hier draußen auch anderes sein? Als der Wagen langsamer wurde und auf der anderen Straßenseite hielt, spürte sie das Prickeln der Gefahr. Sie war ganz allein, irgendwo mitten in Texas, meilenweit außerhalb der Zivilisation. Das Fenster wurde heruntergekurbelt. Sie schützte die Augen mit einer Hand gegen die Sonne, konnte aber nur den Umriss des Fahrers erkennen breite Schultern, Baseball-Kappe und, seltsamerweise, einen Kindersitz auf der Beifahrerseite. Eine Angel ragte aus der Waffenhalterung. »Alles in Ordnung, Ma'am?«, fragte er. Mit der Sonne in ihren Augen konnte sie sein Gesicht nicht richtig erkennen, doch dieser breite Texas-Akzent beruhigte sie irgendwie, denn er rief vage Erinnerungen an faule, warme Tage und gemächliche, lächelnde Nachbarn hervor. »Ich bin auf dem Weg nach Edenville«, erwiderte sie. »Aber ich glaube, ich habe mich verfahren.« »Sie sind schon fast da«, sagte er und wies mit dem Daumen in die Richtung, aus der er gekommen war. »Das ist die richtige Straße. Sie sind nur noch nicht weit genug gefahren.« »Danke.« »Klar doch, Ma'am. Machen Sie's gut.« Der Pick-up rollte los, und eine Fehlzündung knallte, als er davonfuhr. Machen Sie's gut. Die freundlichen, beiläufigen Worte hallten in ihr nach, als sie wieder anfuhr. Sie spielte am Radio herum, fand jedoch nur Nachrichten und weinerliche Country-Musik. Schließlich entdeckte sie einen erträglichen Rocksender aus Austin und drehte ZZ Topp richtig laut auf. Sie hoffte, die Musik würde ihre Gedanken übertönen, vielleicht sogar ihre Ängste. Austins Schlafstädte mit Namen wie Saddlebrook Acres und Rockhurst Estates waren schon längst Orten mit volkstümlicheren Bezeichnungen wie Two-Dog Ranch gewichen.
Sie kam an einer Texaco-Tankstelle vorbei, vor der ein Pappschild verkündete: Benzin für jede Blechkiste. Der Spätnachmittag senkte sich über die Hügel. Die dunklen, schattigen Flecken in den Senken zwischen den zerfurchten Sandsteinhügeln waren trügerisch. Das watschelnde Gürteltier hatte sie daran erinnert, dass jeden Augenblick ein Kaninchen oder ein Hirsch auf die Straße springen konnte. Sie fände es entsetzlich, ein Tier anzufahren. Sie wollte nicht einmal ein totes Tier überfahren, bemerkte sie, als sie hastig einem zermalmten Kadaver auswich, der noch nicht zu platt gefahrenem Fell vertrocknet war wie ein grotesker Drachen. Die Fahrt kam ihr viel länger vor, als sie sie in Erinnerung hatte. Natürlich hatte sie es vor Jahren kaum erwarten können, diesen Ort zu verlassen; nun konnte sie es nicht erwarten, nach Hause zu kommen. Und bald schon sah sie es, das ausgebleichte Schild mit der Aufschrift »Willkommen in Edenville« vor dem verblassten Bild eines Pfirsichbaums. Kleinere Schilder sprossen aus dem Feld zu seinen Füßen: Halfway Baptist Church, Gottesdienste. Edenville, Heimat der Fighting Serpents. Lions-Club-Treffen jeden dritten Samstag im Monat. Das von Bäumen beschattete Städtchen war unheimlich vertraut, wie ein nur halb erinnerter Traum. Aneinander gedrängte Läden säumten den Platz um das klobige, über hundertjährige Gerichtsgebäude. Adams Spareribs & Grill und Eves Blumenladen standen noch immer Seite an Seite Roscoes Futtermitteln und einem müden alten Schott Discount gegenüber. Obwohl noch ein Celestial Cyber Café hinzugekommen war, hatte der Platz sich seinen gemächlichen 50er-Jahre-Charakter erhalten das Städtchen blieb gern zurück, während die Zeit wie der Verkehr auf der nahen Interstate vorbeiraste. Gleich nach der Highschool war Jessie weggezogen, um aufs College zu gehen. Austin hatte ihr sehr gefallen, mit seinem Großstadtgedränge und den verschlafenen Vororten, mit seiner bunten Mischung aus Politikern, Intellektuellen, Goths, Mexikanern, Verbrechern und Landeiern. Nun kehrte sie zurück in den kleinen Ort, zu allem, was sie zurückgelassen hatte, ob es ihr gefiel oder nicht. Obwohl es so lange her war, fand sie sich nun zurecht. Noch gut sieben Kilometer ein schmales Sträßchen entlang, vorbei am unnatürlich grünen Woodcreek-Golfplatz, danach rechts auf die Seestraße. Sie ließ alle vier Fenster des Autos herunter und atmete tief ein. Sie konnte den See riechen, bevor sie ihn sah Mesquitbäume und Zedern und der Duft reingewaschener Luft, die über frisches Wasser gestrichen war. Der Eagle Lake, einer der wenigen kalten Quellseen in Texas, leuchtete blauer als das herbstliche Zwielicht. Rund geschliffene Felsen, aus deren Spalten blühender Weißdorn wucherte, fielen jäh zum Wasser hin ab. Der See selbst war ein riesiger Spiegel, eingerahmt von den außergewöhnlichsten Bäumen in ganz Texas. Man nannte sie das Verirrte Wäldchen vom Eagle Lake, weil jedermann wusste, dass diese besonderen Bäume eigentlich nicht nach Texas gehörten. Ahornbäume wuchsen nur im langen, tiefen Schlaf des Winters in den Wäldern hoch im Norden, nicht im unvorhersehbaren, mal bitterkalten, mal drückend heißen Hügelland von Texas. Dennoch gediehen sie hier, diese Exoten, die sich am Ufer eines Bilderbuchsees zusammendrängten. Zahlreiche Legenden rankten sich um die Ahornbäume. Die Indianer erzählten, das seien die Seelen längst verstorbener Vorfahren aus dem Norden. Andere behaupteten, ein Siedler habe sie für seine Braut aus dem Norden gepflanzt, die den Herbst in New England schrecklich vermisste. Doch eigentlich wusste niemand mehr, als dass die Bäume verpflanzte Fremde waren, die nicht hierher gehörten, sich aber dennoch prächtig machten jeden Herbst flammten sie in hektisch bunten Farben auf, nachdem ein glühend heißer Sommer allem anderen das letzte bisschen Pigment ausgesogen hatte. Jeden Herbst loderten die Ahornbäume feuriger als ein Waldbrand, in so intensiven Farben, dass einem fast die Augen tränten: Magentarot, Gold, Orange, Ocker, Umbra. Jeden Herbst war die Straße zwei Wochen lang von Touristen blockiert, die zum County Park herausfuhren, um ihre Kinder zu fotografieren, wie sie Steinchen über die von Blättern bunt gefärbte Wasseroberfläche flitzen ließen oder in den von Gott selbst bemalten Bäumen herumkletterten. Während Jessie ihrem Ziel immer näher kam, überlegte sie, wann das Herbstlaub am prächtigsten leuchtete. Anfang November, erinnerte sie sich. Wenn alle über die Feiertage nach Hause kamen.
Übersetzung: Katharina Volk
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe
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Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München.
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Autoren-Porträt von Susan Wiggs
Susan Wiggs hat mit acht Jahren ihr erstes Buch geschrieben - das außer ihren Geschwistern aber keiner lesen wollte. Also ist sie erst einmal Mathematiklehrerin geworden. Bis dann der Drang zu schreiben doch wieder durchkam, und inzwischen eine der erfolgreichsten Romance-Autorinnen ist. Mit ihrer Familie lebt sie auf einer Insel im nordwestlichen Pazifik.
Bibliographische Angaben
- Autor: Susan Wiggs
- 2009, 1, 448 Seiten, Maße: 12,5 x 18,7 cm, Taschenbuch
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3868003460
- ISBN-13: 9783868003468
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