Billionenpoker
Wie Banken und Staaten die Welt mit Geld überschwemmen - und uns arm machen
Warum die Finanzmärkte die westlichen Demokratien bedrohen
Seit dem Ausbruch der Weltfinanzkrise mussten Regierungen mit insgesamt acht Billionen Euro kriselnde Banken und Volkswirtschaften vor dem Kollaps retten und stecken nun in einem...
Seit dem Ausbruch der Weltfinanzkrise mussten Regierungen mit insgesamt acht Billionen Euro kriselnde Banken und Volkswirtschaften vor dem Kollaps retten und stecken nun in einem...
Leider schon ausverkauft
Buch
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenlose Rücksendung
Produktdetails
Produktinformationen zu „Billionenpoker “
Warum die Finanzmärkte die westlichen Demokratien bedrohen
Seit dem Ausbruch der Weltfinanzkrise mussten Regierungen mit insgesamt acht Billionen Euro kriselnde Banken und Volkswirtschaften vor dem Kollaps retten und stecken nun in einem Teufelskreis von immer neuen Rettungsschirmen und Hilfsprogrammen. Die Verschuldung der Staaten, über Jahrzehnte stetig und schnell gewachsen, hat sich dadurch gefährlich potenziert, die Notenbanken haben ihre Unabhängigkeit verloren und sind zu prinzipienlosen Geldmaschinen geworden.
Ullrich Fichtner und Cordt Schnibben haben mit einem Team von Experten und Reportern die Kreditschwemme von ihren Anfängen in den USA über ihre weltweite Ausbreitung, über die Schuldenkrise in Griechenland bis hin zu den Billionenkrediten der Europäischen Zentralbank, jahrelang verfolgt. Entstanden ist die ebenso akribische wie hintergründige Gesamtschau eines Geldbebens, dessen Auswirkungen noch immer unterschätzt werden: Es macht die Bürger ärmer, die Märkte mächtiger und die Politik noch machtloser.
Den Autoren gelingt es, die Zusammenhänge der finanzgetriebenen Weltwirtschaft so anschaulich zu beschreiben, dass Auswege aus dem Teufelskreis der Geldschwemme deutlich werden.
Seit dem Ausbruch der Weltfinanzkrise mussten Regierungen mit insgesamt acht Billionen Euro kriselnde Banken und Volkswirtschaften vor dem Kollaps retten und stecken nun in einem Teufelskreis von immer neuen Rettungsschirmen und Hilfsprogrammen. Die Verschuldung der Staaten, über Jahrzehnte stetig und schnell gewachsen, hat sich dadurch gefährlich potenziert, die Notenbanken haben ihre Unabhängigkeit verloren und sind zu prinzipienlosen Geldmaschinen geworden.
Ullrich Fichtner und Cordt Schnibben haben mit einem Team von Experten und Reportern die Kreditschwemme von ihren Anfängen in den USA über ihre weltweite Ausbreitung, über die Schuldenkrise in Griechenland bis hin zu den Billionenkrediten der Europäischen Zentralbank, jahrelang verfolgt. Entstanden ist die ebenso akribische wie hintergründige Gesamtschau eines Geldbebens, dessen Auswirkungen noch immer unterschätzt werden: Es macht die Bürger ärmer, die Märkte mächtiger und die Politik noch machtloser.
Den Autoren gelingt es, die Zusammenhänge der finanzgetriebenen Weltwirtschaft so anschaulich zu beschreiben, dass Auswege aus dem Teufelskreis der Geldschwemme deutlich werden.
Klappentext zu „Billionenpoker “
Warum die Finanzmärkte die westlichen Demokratien bedrohenSeit dem Ausbruch der Weltfinanzkrise mussten Regierungen mit insgesamt acht Billionen Euro kriselnde Banken und Volkswirtschaften vor dem Kollaps retten und stecken nun in einem Teufelskreis von immer neuen Rettungsschirmen und Hilfsprogrammen. Die Verschuldung der Staaten, über Jahrzehnte stetig und schnell gewachsen, hat sich dadurch gefährlich potenziert, die Notenbanken haben ihre Unabhängigkeit verloren und sind zu prinzipienlosen Geldmaschinen geworden.
Ullrich Fichtner und Cordt Schnibben haben mit einem Team von Experten und Reportern die Kreditschwemme von ihren Anfängen in den USA über ihre weltweite Ausbreitung, über die Schuldenkrise in Griechenland bis hin zu den Billionenkrediten der Europäischen Zentralbank, jahrelang verfolgt. Entstanden ist die ebenso akribische wie hintergründige Gesamtschau eines Geldbebens, dessen Auswirkungen noch immer unterschätzt werden: Es macht die Bürger ärmer, die Märkte mächtiger und die Politik noch machtloser.
Den Autoren gelingt es, die Zusammenhänge der finanzgetriebenen Weltwirtschaft so anschaulich zu beschreiben, dass Auswege aus dem Teufelskreis der Geldschwemme deutlich werden.
Lese-Probe zu „Billionenpoker “
Billionenpoker von Ullrich Fichtner und Cordt Schnibben Kapitel 1
DAS GELDBEBEN
Wie die Finanzmärkte regieren
Der texanische Hedgefonds-Manager Kyle Bass ist ein Geisterfahrer der Märkte, der als Einziger die richtige Richtung kennt, während der große Gegenverkehr mit Tempo 200 immer neuen Abgründen entgegenrast. Bass bog zum ersten Mal vor fünf Jahren vorsätzlich falsch ab, als alle Welt noch glaubte, mit faulen Immobilienkrediten Gewinne machen zu können. Er dagegen setzte ein paar hundert Millionen Dollar darauf, dass die Subprime-Blase platzen würde. Dann, Mitte 2008 schon, als noch als wahnsinnig galt, wer den Bankrott eines europäischen Staats für denkbar hielt, schwamm er wieder gegen den Strom, wettete lange vor der Zeit gegen Europas überschuldete Nationen und fand neuerlich die Quelle für sagenhafte Gewinne. Ist Kyle Bass ein Spekulant? Ein Schurke der verfluchten Märkte? oder ein Genie?
Die Büroflucht seiner Firma Hayman Capital Partners liegt hoch in einem bläulich verglasten 14-Geschosser am Rand von Downtown Dallas, aus den Fenstern seines Eckbüros sieht Amerika aus, kitschig verziert, wie eine der neureichen Neustädte Chinas. Bass ist der formlose Typ, er trägt Cowboystiefel, bei der Begegnung knabbert er an einem Eis in der Waffel, auf Regalbrettern stehen Fotos, die ihn mit George W. Bush zeigen. Er fühlt sich nicht sonderlich wohl in seiner Haut. »Die besten Jahre sind vorbei«, sagt er, »das waren die Zeiten, als wir alle gute Geschäfte gemacht haben. Du willst nicht der Einzige sein, dem es gutgeht, wirklich nicht, es macht keinen Spaß.«
... mehr
Er betreibt seine Geschäfte mit Ernst und Eifer, im Grunde wie ein Forscher der Finanzmärkte. Bass' Tage vergehen im Wesentlichen damit, Statistiken zu ermitteln, zu lesen und zu verstehen, aus Zahlenkolonnen korrekte Schlüsse zu ziehen und dabei weitgehend zu ignorieren, wie die Kollegen, wie die Politik und die Medien die Lage auf den verschiedenen Märkten beurteilen. »Es macht mich verrückt, wie die Wahrheit verkannt und verschleiert wird«, sagt Bass. »Die Wahrheit dient den Mächtigen nicht, aber es muss jemand aufstehen und sie aussprechen: Wir haben da draußen den größten Schuldenberg, der in der gesamten Weltgeschichte zu Friedenszeiten je aufgehäuft worden ist. Es wird einen nie dagewesenen Erdrutsch geben. und der einzige Ausweg in Europa, in der Welt ist ein brutaler Schuldenschnitt.«
Bass blättert Mappen mit Schaubildern auf, vertrauliche Papiere, die sonst nur seine Investoren zu sehen bekommen. Ihre Botschaft ist erschütternd. Ein Diagramm setzt, nach Ländern gegliedert, die im jeweiligen Bankensektor vorhandenen Vermögenswerte und die Staatsverschuldung ins Verhältnis zu den staatlichen Einnahmen.
Es ist eine Art Gesamtrechnung der Verbindlichkeiten, die auf die Staaten zukämen, wenn sie alle ihre Banken retten müssten, ein Szenario für den äußersten krisenfall. Bass' Finger gleiten über die Grafik, eine Reihe blauer Säulen: In Irland übersteigt die Summe der Bankvermögen, für die der Staat womöglich eintreten müsste, und der Staatsschulden die Einnahmen um das 40fache. In Japan um mehr als das 35fache. Im schlimmsten Fall 17fach überschuldet wäre die Schweiz, die USA 16fach, Großbritannien 14fach, Spanien 11fach, Deutschland 9fach.
»Irland und Japan liegen so weit jenseits aller Schmerzgrenzen «, sagt Bass, »da ist nichts mehr zu reparieren. Da hilft nur noch beten.« und seine Firma Hayman Capital sucht derweil nach Wegen, aus den Schieflagen Kapital zu schlagen, asymmetrische Geschäfte zu finden, das heißt: mit möglichst wenig Einsatz möglichst viel Gewinn zu machen.
»Warum soll es unmoralisch sein«, sagt Bass, mit Schärfe in der Stimme, »gegen Länder zu wetten, deren Regierungen jahrelang in geradezu idiotischer Weise Schulden gemacht haben? und warum soll ich, ein kleiner Fondsmanager aus Dallas, Texas, daran schuld sein, dass Europa seine Billionenschulden nicht in den Griff kriegt? Das ist absurd! Es ist lächerlich! Die Regierungen haben in ganz großem Stil Mist gebaut, und nun zeigen sie mit dem Finger auf andere. Forget it. Die Politik versagt. Nicht die Märkte versagen.«
Die Märkte - keine Adresse wäre schwammiger als diese. und doch wird sie ständig genannt, wenn Schuldige oder wenigstens Verantwortliche für die dramatische Lage des Augenblicks dingfest gemacht werden sollen. In allen Zeitungen steht es derzeit, in allen Sprachen wird es wiederholt: Die Märkte, »the markets«, »les marchés« sind enttäuscht von Gipfeln, die Märkte hoffen, drohen, bestrafen. Es sind Schlagzeilen wie über eine große Schlacht, die über den Globus tobt, über einen Feldzug offenbar monströser Mächte gegen Menschen, Länder und deren Regierungen.
Ein Gespenst geht um in Europa, es ist das Gespenst der Märkte. Sie alle, jahrzehntelang gefeiert als eine sich selbst regulierende Wundermaschine, die Wohlstand produziert, als Ausdruck kollektiver Vernunft auch, stehen als unheimliche Bedrohung da. Die Völker starren auf sie voller Angst und Zweifel, voller Fragen, die ihnen ihre Regierungen - ratlos wie sie selbst - nicht mehr beantworten.
Wie kann es sein, dass die Staaten den Banken Milliarden leihen, nur um sich bei denselben Banken zu verschulden? Wie kann es sein, dass ein einziger Finanzmarkt zehnmal so groß ist wie die Wirtschaftsleistung der gesamten Welt?
Stimmt der Vorwurf der Politik, »die Märkte« trieben mutwillige Spekulationen mit Europa? Warum ist es den Regierungen nicht gelungen, die Macht der Finanzmärkte zu beschneiden?
Wer Antworten sucht, muss Akteure der Finanzmärkte durch deren Geschäftsalltag begleiten, was wir auf einem der Gipfel im Gebirge dieser Krise getan haben. Es geht zurück in den Winter 2011, in dramatische Wochen, in denen Regierungen stürzten und viel wütendes Volk auf der Straße war; Wochen, in denen die Märkte hysterische Bocksprünge vollführten, in denen die Zentralbanken der Welt nach Monaten des Zuwartens plötzlich den großen Hammer schwangen. Es waren Wochen, die zuliefen auf ein Datum: den 9. Dezember 2011.
Für jenen Tag war in Brüssel neuerlich ein Befreiungsschlag angekündigt, ein weiterer Gipfel der Geldrettung, eine Konferenz der Staats- und Regierungschefs, die Kompromisse suchten, um dem vereinten Europa Zukunft zu geben. Diesmal aber wollten sie, mussten sie ihre oft als müde empfundene Routine brechen, voran Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy, diesmal wollten sie Nägel mit Köpfen machen. Es sollte darum gehen, die Lücken der alten EU-Verträge zu beseitigen, ein neues Vertragswerk auf den Weg zu bringen, um den entscheidenden Geburtsfehler Euro-Europas zu beheben: eine Währungsunion ohne politische Union geschaffen zu haben, eine Art Amerika, aber ohne das zugehörige Washington, ein Bündel Länder, aber ohne Bundesgesetze, geschweige denn eine europäische Bundesregierung.
Die Lage damals, im Dezember 2011, erforderte eine schnelle, entschlossene Reaktion. Wie in den Monaten nach der Lehman- Pleite drei Jahre zuvor, herrschte Eiszeit auf dem Interbanken- Markt, die Banken trauten sich untereinander nicht mehr über den Weg, verweigerten sich gegenseitig die existenznotwendigen Kredite, und sie entzogen der Realwirtschaft die Mittel für Investitionen und Geschäfte. Wieder, wie während des Krachs an der Wall Street, musste um die Funktionstüchtigkeit der Weltwirtschaft in Gänze gefürchtet werden - und in diesen Wirbeln steckte auch Europa und sein historisches Projekt einer Union, in einem scheinbar unaufhaltsamen Zerfallsprozess. Das Treffen in Brüssel, das war die Hoffnung, müsste eine Wende bringen, wenigstens ein Signal zum Aufbruch, neue Ideen, politische Zuversicht.
Aber auch dieser Gipfel scheiterte. Statt einer Einigung auf neue Verträge musste eine Spaltung der Union der 27 festgestellt werden, Großbritannien verhinderte jede neue Vertragsdebatte, stellte sich undiplomatisch garstig quer, und so blieb nur die laue Absicht übrig, dass sich die Euro-Zone der 17 neue Regeln geben und mit einigen weiteren EU-Ländern »in Richtung« einer »Fiskalunion« gehen wolle.
Die Tünche des politischen Selbstlobs konnte damals nicht überdecken, dass Europas Führer neuerlich damit gescheitert waren, den Märkten Klarheit darüber zu verschaffen, wie die Schuldenkrise zu bewältigen wäre. Stattdessen gab es eine 180-Grad-Wende zu bestaunen: Was »Merkozy« beim berüchtigten Strandspaziergang von Deauville ein gutes Jahr zuvor verabredet hatten - etwa private Gläubiger im Fall von Staatsbankrotten einzubinden, keine automatischen Strafen für Schuldenmacher -, galt nun schon wieder nicht mehr. Den Banken wurde in jenem Dezember 2011 zugesichert, künftig nicht noch einmal einen Teilverlust ihrer Kredite an Staaten hinnehmen zu müssen. Banken waren und sind stets die Gewinner der politischen Prozesse, die sich um die große Finanzkrise ranken.
Aber das Bild ist uneinheitlich, und als wir in den beiden Wochen vor dem Dezember-Gipfel Akteure der Finanzmärkte begleiteten, war die Unruhe über den politischen Wirrwarr zu spüren, war das unschlüssige Auf und Ab der Märkte in aufgewühlten Zeiten hautnah zu erleben: Drei Wochen vor dem Gipfel ging es abwärts, zwei Wochen vor Brüssel dümpelten die Märkte, bis eine dramatische Intervention der Notenbanken - ähnlich einer Injektion ins Herz - die Kurse abrupt nach oben trieb und bald alles nur noch auf den Krisengipfel zulief.
Das Wechselspiel zwischen den Finanzmärkten und den politischen Märkten intensiviert sich vor und nach politischen Gipfeln: Als wollten die Finanzmärkte vor einem Euro-Gipfel oder dem Treffen der G-20-Staaten den Regierenden einflüstern, was sie beschließen sollten, so agieren die Akteure auf den Märkten und formulieren in den Kursen die Erwartungen. Ist ein Gipfel vorbei, dann lässt sich an den Börsen am Morgen danach sofort ablesen, ob die Erwartungen erfüllt wurden.
Wir begleiteten einen Investor, der für Versicherungsgesellschaften nach sicheren Anlagen sucht auf den Märkten für Staatsanleihen. Wir verfolgten die Tagesarbeit in einem großen Aktienfonds, dessen Chef mit Informationen jongliert. und wir beschreiben die Arbeit eines hochrangigen Derivate-Händlers, der an der New Yorker Wall Street jeden Tag Milliarden bewegt, und die Routine eines Bremer Devisen-Händlers, der Mittelständlern Dollar, Yen und Franken besorgt.
In der Bundesbank wurden wir Zeugen, wie die Ökonomen alles dafür tun, damit die deutschen Banken aus ihrer Angststarre erwachen. In der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht hatte der Chef besonders die Schattenbanken im Visier. Hedgefonds- Manager Kyle Bass schließlich hatte den bösen Part, er machte aus den Schulden der Staaten große Gewinne.
Wer mit diesen Insidern sprach, ihr Tun beobachtete, wurde Augenzeuge einer Wette, die Europa verändert: An den Märkten wurde damals auf den Untergang der Euro-Zone gewettet, und diese Wette läuft noch immer.
Dahinter steckt kein Plan, keine Verschwörung, noch nicht einmal Absicht. Die Richtung ergibt sich vielmehr aus der Analyse der Situation und den Notwendigkeiten täglicher, manchmal sekundenschneller Entscheidungen, die die Akteure auf den Finanzmärkten fällen, um im Geschäft zu bleiben. Von diesen Entscheidungen, von ihren Bedingungen und ihren teils hochkomplexen Gegenständen erzählt dieses Kapitel. Es geht darin auch exemplarisch um die Zukunft und vielleicht um das jähe Ende des historischen Projekts eines vereinten Europa, und es geht darum, was es eigentlich heißt, wenn zu lesen steht, dass Märkte Politik machen.
MONTAG, 21. NOVEMBER 2011,
NOCH 18 TAGE BIS ZUM EURO -GIPFEL
Peking, Bürogebäude in der Financial Street (Anleihemarkt)
Eigentlich sitzt Reiner Back, Vermögensverwalter bei der MEAG, im Münchener Bankenviertel, eigentlich ist der 51-Jährige für Dutzende Versicherungen auf dem Markt für Staatsanleihen unterwegs; an diesem besonderen Montag jedoch sitzt er in Peking und hält einen Vortrag.
25 chinesische Vermögensverwalter, Geschäftspartner der MEAG, wollen hören, was in Europa los ist, warum der Bond- Markt verrücktspielt.
Der Bond-Markt hat Silvio Berlusconi verjagt. Er hat die Regierungschefs Georgios Papandreou und José Luis Rodríguez Zapatero aus den Ämtern getrieben. Der Bond-Markt ist der Böse, wenn Politiker zusammenkommen, um ihre Finanzen zu retten. Der Bond-Markt, so steht es dauernd in der Zeitung, so sagen sie es im Fernsehen, »schöpft Verdacht«, er »wird misstrauisch«, er
lässt »sich nicht beruhigen«, er »weicht nach Asien aus«, er »flieht Europa«. Er ist der große unbekannte.
Back leitet die Rentenmarktabteilung der MEAG. Das ist die Vermögensverwalterin der Ergo und des Versicherungskonzerns Munich Re, des weltgrößten Rückversicherers. 170 Milliarden Euro hat Back im Portfolio, er ist der Spezialist für Bonds, zu Deutsch: Obligationen oder Rentenpapiere, in der deutschen Debatte heißen sie meistens Staatsanleihen.
Staaten finanzieren sich, indem sie großen Investoren Anleihen verkaufen, verzinste Schuldpapiere. An der Höhe der Verzinsung lässt sich ablesen, wie es um die Kreditwürdigkeit eines Landes steht. Je höher der Zins, desto schlechter die Lage. Reiner Back ist in Peking, auch weil die Lage sehr schlecht ist. Seit dem Schulden- schnitt für Griechenland ist auf dem Anleihemarkt nichts mehr sicher.
»Die gegenwärtige Krise ist eine Situation, die eine Eigendynamik entwickelt ...«, mit diesen Worten fängt er seinen Vortrag an. Er ist jetzt nicht mehr Deutscher, sondern Europäer. Es wäre gut, wenn chinesische Vermögensverwalter einen Teil ihres Kapitals in europäische Staatsanleihen stecken würden. Aber kann Back ihnen dazu raten?
Dieser Montag ist nicht irgendein Montag. Genau ein Jahr zuvor hatte Irland als erstes Euro-Land Hilfe aus dem Rettungsfonds beantragt. Es war der Beginn einer Abwehrschlacht der europäischen Regierungen gegen die Märkte, vor allem gegen den Bond-Markt. Irland konnte damals seine 8-jährigen Anleihen nur noch mit einem Zinssatz von sechs Prozent verkaufen, schlüpfte unter den Rettungsschirm, um den drohenden Bankrott zu verhindern.
Seither eilen die Euro-Regierungen von einem Krisengipfel zum anderen, und nach draußen versichern sie den Anlegern der Bond-Märkte, dass es sich lohnt, Staatsanleihen aus Europa zu kaufen. Der Verkauf gelingt vielen nur noch, indem sie immer höhere Zinsen bieten, die die Schuldenlast so stark erhöhen, dass die Länder in Zukunft unregierbar werden. Seit aber Banken und andere Gläubiger zum angeblich freiwilligen Schuldenschnitt in Griechenland gezwungen wurden, seit die Hälfte ihrer etwa 200 in griechischen Staatsanleihen angelegten Milliarden Euro in Rauch aufgegangen sind, sind sie in eine Art käuferstreik getreten.
Auch Backs Abteilung bei der MEAG hat die Order bekommen, sich bei Zukäufen vom Staatsanleihenmarkt Europas bis auf weiteres möglichst zurückzuhalten.
Die 25 Chinesen hören dem Gast aus Deutschland höflich zu. Es kommt nur eine einzige Nachfrage: »Mr. Back, wird die Europäische Zentralbank in größerem Maß die Papiere der Krisenstaaten aufkaufen?« Die Chinesen stellen die wichtigste Frage dieser Tage. Sie haben alles verstanden. Back weiß keine Antwort.
FRANKFURT, ZENTRALE DER VERMÖGENSVERWALTUNG DWS (Aktienmarkt)
Thomas Schüßler hat eigentlich Physik studiert und nur »nebenbei « Volks- und Betriebswirtschaft, trotzdem verwaltet er heute den Aktienfonds »DWS Top Dividende«, einen der größten Fonds Europas. Er ist an diesem Montag gegen halb neun in seinem Büro,
und alles deutet auf eine turbulente Woche hin, schon wieder. Die Rating-Agentur Moody's warnt vor Risiken im französischen Finanzsystem, die Weltbank vor einer globalen Krise.
Schüßler ist 45 und gleich für mehrere Fonds der DWS verantwortlich. Die Tochter der Deutschen Bank ist Deutschlands größte Fondsgesellschaft, und mit mehr als 250 Milliarden Euro an verwalteten Geldern zählt sie weltweit zu den zehn größten Anbietern am Markt.
Schüßler, ein schlanker, langer Mann, hat den leicht nach vorn gekrümmten Gang von Leuten, die Probleme mit dem Rücken haben, sein zehnköpfiges Team führt er von einem Schreibtisch aus, der rechts hinten in einer Ecke des Großraumbüros steht.
An diesem Montagmorgen holt er sich zuerst die Bloomberg- Nachrichten auf den Schirm. Er hat am Wochenende nicht auf die Nachrichten geschaut, »aus Prinzip«. »Die Strategie, die wir fahren, setzt auf Langsamkeit«, sagt er. Er zwingt sich, in großen Linien zu denken, er will sich nicht vom Tagesrauschen der Kurse und Meldungen verrückt machen lassen. »Schneller als der Markt sein zu wollen ist keine gute Strategie.«
Märkte, das sind zum einen die Handelsplätze, auf denen Güter, Dienstleistungen, Rohstoffe, Immobilien und Arbeitskräfte gehandelt werden; zum anderen sind es jene Märkte, auf denen Devisen, Aktien, Staatsanleihen und Derivate gehandelt werden, die vielschichtigen strukturierten Finanzprodukte.
Die längste Zeit hatten die Finanzmärkte die Aufgabe, den anderen Märkten zu dienen: Sie verkauften einem Unternehmer Devisen, der im Ausland eine Maschine kaufen wollte. unternehmen gaben Aktien und Anleihen aus, um sich bei Anlegern Kapital für Investitionen zu besorgen, die Staaten ebenso. Aber seit den achtziger Jahren entwickelten die Finanzmärkte ein immer größeres Eigenleben.
Zum einen suchten Investoren stets neue profitablere Anlagen jenseits der Warenproduktion, zum anderen ermöglichten die Regierenden in den ÚSA und Großbritannien, später auch in Deutschland und anderen Ländern, durch die Deregulierung der Finanzmärkte neue, riskantere Anlagestrategien. Zum dritten kamen die Banken über die Zentralbanken an billiges Geld, konnten großzügig Kredite vergeben und Profite weit jenseits der in der Warenproduktion üblichen Gewinne bieten.
Das globale Finanzvermögen hat sich von 1980 und 12 Billionen Dollar bis heute auf weit über 200 Billionen Dollar vervielfacht, das Finanzvermögen ist dreimal so hoch wie die reale Weltproduktion. Der Spekulant und Milliardär George Soros sieht eine »Superblase« im System lauern, eine bedrohliche Kreditexpansion, die durch die entfesselten Märkte und die stark gestiegene Verschuldung der Staaten in die Welt gesetzt wurde. Die Regierungen verschuldeten sich bei den Banken in einem bisher ungekannten Maß, lockerten die gesetzlichen Bestimmungen für die Akteure auf den Finanzmärkten, senkten die Besteuerung der Finanzvermögen und mischten mit bei der Jagd nach neuen Finanzanlagen.
So haben sich die Billionen, die auf den Finanzmärkten vagabundieren, verdreifacht, vervierfacht und werden durch Banken und Hedgefonds, durch Versicherungen und Pensionsfonds, durch Staatsfonds und staatliche Finanzagenturen von einem Markt zum anderen geschoben.
Das ist die heutige Lage, in einer Welt, die jährlich reale Güter und Dienstleistungen im Wert von über 70 Billionen Dollar produziert: Auf den weltweiten Aktienmärkten wird mit Aktien in jedem Jahr ein Umsatz von 63 Billionen Dollar erzielt, mit unternehmensanleihen und Staats-Bonds werden 24 Billionen Dollar umgeschlagen. Auf den Devisenmärkten werden 1007 Billionen Dollar bewegt, und auf den Derivatemärkten - den dynamischsten und gefährlichsten aller Märkte - wurden 708 Billionen Dollar umgesetzt.
Wenn Politiker von den »Märkten« sprechen, auf die man hören müsse, dann meinen sie in der Regel die Finanzmärkte. Sie meinen den mächtigen, verschlossenen Derivatemarkt, den mittlerweile hochpolitischen Markt für Staatsanleihen, und auch den zittrig volatilen Aktienmarkt.
© DVA Sachbuch
Er betreibt seine Geschäfte mit Ernst und Eifer, im Grunde wie ein Forscher der Finanzmärkte. Bass' Tage vergehen im Wesentlichen damit, Statistiken zu ermitteln, zu lesen und zu verstehen, aus Zahlenkolonnen korrekte Schlüsse zu ziehen und dabei weitgehend zu ignorieren, wie die Kollegen, wie die Politik und die Medien die Lage auf den verschiedenen Märkten beurteilen. »Es macht mich verrückt, wie die Wahrheit verkannt und verschleiert wird«, sagt Bass. »Die Wahrheit dient den Mächtigen nicht, aber es muss jemand aufstehen und sie aussprechen: Wir haben da draußen den größten Schuldenberg, der in der gesamten Weltgeschichte zu Friedenszeiten je aufgehäuft worden ist. Es wird einen nie dagewesenen Erdrutsch geben. und der einzige Ausweg in Europa, in der Welt ist ein brutaler Schuldenschnitt.«
Bass blättert Mappen mit Schaubildern auf, vertrauliche Papiere, die sonst nur seine Investoren zu sehen bekommen. Ihre Botschaft ist erschütternd. Ein Diagramm setzt, nach Ländern gegliedert, die im jeweiligen Bankensektor vorhandenen Vermögenswerte und die Staatsverschuldung ins Verhältnis zu den staatlichen Einnahmen.
Es ist eine Art Gesamtrechnung der Verbindlichkeiten, die auf die Staaten zukämen, wenn sie alle ihre Banken retten müssten, ein Szenario für den äußersten krisenfall. Bass' Finger gleiten über die Grafik, eine Reihe blauer Säulen: In Irland übersteigt die Summe der Bankvermögen, für die der Staat womöglich eintreten müsste, und der Staatsschulden die Einnahmen um das 40fache. In Japan um mehr als das 35fache. Im schlimmsten Fall 17fach überschuldet wäre die Schweiz, die USA 16fach, Großbritannien 14fach, Spanien 11fach, Deutschland 9fach.
»Irland und Japan liegen so weit jenseits aller Schmerzgrenzen «, sagt Bass, »da ist nichts mehr zu reparieren. Da hilft nur noch beten.« und seine Firma Hayman Capital sucht derweil nach Wegen, aus den Schieflagen Kapital zu schlagen, asymmetrische Geschäfte zu finden, das heißt: mit möglichst wenig Einsatz möglichst viel Gewinn zu machen.
»Warum soll es unmoralisch sein«, sagt Bass, mit Schärfe in der Stimme, »gegen Länder zu wetten, deren Regierungen jahrelang in geradezu idiotischer Weise Schulden gemacht haben? und warum soll ich, ein kleiner Fondsmanager aus Dallas, Texas, daran schuld sein, dass Europa seine Billionenschulden nicht in den Griff kriegt? Das ist absurd! Es ist lächerlich! Die Regierungen haben in ganz großem Stil Mist gebaut, und nun zeigen sie mit dem Finger auf andere. Forget it. Die Politik versagt. Nicht die Märkte versagen.«
Die Märkte - keine Adresse wäre schwammiger als diese. und doch wird sie ständig genannt, wenn Schuldige oder wenigstens Verantwortliche für die dramatische Lage des Augenblicks dingfest gemacht werden sollen. In allen Zeitungen steht es derzeit, in allen Sprachen wird es wiederholt: Die Märkte, »the markets«, »les marchés« sind enttäuscht von Gipfeln, die Märkte hoffen, drohen, bestrafen. Es sind Schlagzeilen wie über eine große Schlacht, die über den Globus tobt, über einen Feldzug offenbar monströser Mächte gegen Menschen, Länder und deren Regierungen.
Ein Gespenst geht um in Europa, es ist das Gespenst der Märkte. Sie alle, jahrzehntelang gefeiert als eine sich selbst regulierende Wundermaschine, die Wohlstand produziert, als Ausdruck kollektiver Vernunft auch, stehen als unheimliche Bedrohung da. Die Völker starren auf sie voller Angst und Zweifel, voller Fragen, die ihnen ihre Regierungen - ratlos wie sie selbst - nicht mehr beantworten.
Wie kann es sein, dass die Staaten den Banken Milliarden leihen, nur um sich bei denselben Banken zu verschulden? Wie kann es sein, dass ein einziger Finanzmarkt zehnmal so groß ist wie die Wirtschaftsleistung der gesamten Welt?
Stimmt der Vorwurf der Politik, »die Märkte« trieben mutwillige Spekulationen mit Europa? Warum ist es den Regierungen nicht gelungen, die Macht der Finanzmärkte zu beschneiden?
Wer Antworten sucht, muss Akteure der Finanzmärkte durch deren Geschäftsalltag begleiten, was wir auf einem der Gipfel im Gebirge dieser Krise getan haben. Es geht zurück in den Winter 2011, in dramatische Wochen, in denen Regierungen stürzten und viel wütendes Volk auf der Straße war; Wochen, in denen die Märkte hysterische Bocksprünge vollführten, in denen die Zentralbanken der Welt nach Monaten des Zuwartens plötzlich den großen Hammer schwangen. Es waren Wochen, die zuliefen auf ein Datum: den 9. Dezember 2011.
Für jenen Tag war in Brüssel neuerlich ein Befreiungsschlag angekündigt, ein weiterer Gipfel der Geldrettung, eine Konferenz der Staats- und Regierungschefs, die Kompromisse suchten, um dem vereinten Europa Zukunft zu geben. Diesmal aber wollten sie, mussten sie ihre oft als müde empfundene Routine brechen, voran Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy, diesmal wollten sie Nägel mit Köpfen machen. Es sollte darum gehen, die Lücken der alten EU-Verträge zu beseitigen, ein neues Vertragswerk auf den Weg zu bringen, um den entscheidenden Geburtsfehler Euro-Europas zu beheben: eine Währungsunion ohne politische Union geschaffen zu haben, eine Art Amerika, aber ohne das zugehörige Washington, ein Bündel Länder, aber ohne Bundesgesetze, geschweige denn eine europäische Bundesregierung.
Die Lage damals, im Dezember 2011, erforderte eine schnelle, entschlossene Reaktion. Wie in den Monaten nach der Lehman- Pleite drei Jahre zuvor, herrschte Eiszeit auf dem Interbanken- Markt, die Banken trauten sich untereinander nicht mehr über den Weg, verweigerten sich gegenseitig die existenznotwendigen Kredite, und sie entzogen der Realwirtschaft die Mittel für Investitionen und Geschäfte. Wieder, wie während des Krachs an der Wall Street, musste um die Funktionstüchtigkeit der Weltwirtschaft in Gänze gefürchtet werden - und in diesen Wirbeln steckte auch Europa und sein historisches Projekt einer Union, in einem scheinbar unaufhaltsamen Zerfallsprozess. Das Treffen in Brüssel, das war die Hoffnung, müsste eine Wende bringen, wenigstens ein Signal zum Aufbruch, neue Ideen, politische Zuversicht.
Aber auch dieser Gipfel scheiterte. Statt einer Einigung auf neue Verträge musste eine Spaltung der Union der 27 festgestellt werden, Großbritannien verhinderte jede neue Vertragsdebatte, stellte sich undiplomatisch garstig quer, und so blieb nur die laue Absicht übrig, dass sich die Euro-Zone der 17 neue Regeln geben und mit einigen weiteren EU-Ländern »in Richtung« einer »Fiskalunion« gehen wolle.
Die Tünche des politischen Selbstlobs konnte damals nicht überdecken, dass Europas Führer neuerlich damit gescheitert waren, den Märkten Klarheit darüber zu verschaffen, wie die Schuldenkrise zu bewältigen wäre. Stattdessen gab es eine 180-Grad-Wende zu bestaunen: Was »Merkozy« beim berüchtigten Strandspaziergang von Deauville ein gutes Jahr zuvor verabredet hatten - etwa private Gläubiger im Fall von Staatsbankrotten einzubinden, keine automatischen Strafen für Schuldenmacher -, galt nun schon wieder nicht mehr. Den Banken wurde in jenem Dezember 2011 zugesichert, künftig nicht noch einmal einen Teilverlust ihrer Kredite an Staaten hinnehmen zu müssen. Banken waren und sind stets die Gewinner der politischen Prozesse, die sich um die große Finanzkrise ranken.
Aber das Bild ist uneinheitlich, und als wir in den beiden Wochen vor dem Dezember-Gipfel Akteure der Finanzmärkte begleiteten, war die Unruhe über den politischen Wirrwarr zu spüren, war das unschlüssige Auf und Ab der Märkte in aufgewühlten Zeiten hautnah zu erleben: Drei Wochen vor dem Gipfel ging es abwärts, zwei Wochen vor Brüssel dümpelten die Märkte, bis eine dramatische Intervention der Notenbanken - ähnlich einer Injektion ins Herz - die Kurse abrupt nach oben trieb und bald alles nur noch auf den Krisengipfel zulief.
Das Wechselspiel zwischen den Finanzmärkten und den politischen Märkten intensiviert sich vor und nach politischen Gipfeln: Als wollten die Finanzmärkte vor einem Euro-Gipfel oder dem Treffen der G-20-Staaten den Regierenden einflüstern, was sie beschließen sollten, so agieren die Akteure auf den Märkten und formulieren in den Kursen die Erwartungen. Ist ein Gipfel vorbei, dann lässt sich an den Börsen am Morgen danach sofort ablesen, ob die Erwartungen erfüllt wurden.
Wir begleiteten einen Investor, der für Versicherungsgesellschaften nach sicheren Anlagen sucht auf den Märkten für Staatsanleihen. Wir verfolgten die Tagesarbeit in einem großen Aktienfonds, dessen Chef mit Informationen jongliert. und wir beschreiben die Arbeit eines hochrangigen Derivate-Händlers, der an der New Yorker Wall Street jeden Tag Milliarden bewegt, und die Routine eines Bremer Devisen-Händlers, der Mittelständlern Dollar, Yen und Franken besorgt.
In der Bundesbank wurden wir Zeugen, wie die Ökonomen alles dafür tun, damit die deutschen Banken aus ihrer Angststarre erwachen. In der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht hatte der Chef besonders die Schattenbanken im Visier. Hedgefonds- Manager Kyle Bass schließlich hatte den bösen Part, er machte aus den Schulden der Staaten große Gewinne.
Wer mit diesen Insidern sprach, ihr Tun beobachtete, wurde Augenzeuge einer Wette, die Europa verändert: An den Märkten wurde damals auf den Untergang der Euro-Zone gewettet, und diese Wette läuft noch immer.
Dahinter steckt kein Plan, keine Verschwörung, noch nicht einmal Absicht. Die Richtung ergibt sich vielmehr aus der Analyse der Situation und den Notwendigkeiten täglicher, manchmal sekundenschneller Entscheidungen, die die Akteure auf den Finanzmärkten fällen, um im Geschäft zu bleiben. Von diesen Entscheidungen, von ihren Bedingungen und ihren teils hochkomplexen Gegenständen erzählt dieses Kapitel. Es geht darin auch exemplarisch um die Zukunft und vielleicht um das jähe Ende des historischen Projekts eines vereinten Europa, und es geht darum, was es eigentlich heißt, wenn zu lesen steht, dass Märkte Politik machen.
MONTAG, 21. NOVEMBER 2011,
NOCH 18 TAGE BIS ZUM EURO -GIPFEL
Peking, Bürogebäude in der Financial Street (Anleihemarkt)
Eigentlich sitzt Reiner Back, Vermögensverwalter bei der MEAG, im Münchener Bankenviertel, eigentlich ist der 51-Jährige für Dutzende Versicherungen auf dem Markt für Staatsanleihen unterwegs; an diesem besonderen Montag jedoch sitzt er in Peking und hält einen Vortrag.
25 chinesische Vermögensverwalter, Geschäftspartner der MEAG, wollen hören, was in Europa los ist, warum der Bond- Markt verrücktspielt.
Der Bond-Markt hat Silvio Berlusconi verjagt. Er hat die Regierungschefs Georgios Papandreou und José Luis Rodríguez Zapatero aus den Ämtern getrieben. Der Bond-Markt ist der Böse, wenn Politiker zusammenkommen, um ihre Finanzen zu retten. Der Bond-Markt, so steht es dauernd in der Zeitung, so sagen sie es im Fernsehen, »schöpft Verdacht«, er »wird misstrauisch«, er
lässt »sich nicht beruhigen«, er »weicht nach Asien aus«, er »flieht Europa«. Er ist der große unbekannte.
Back leitet die Rentenmarktabteilung der MEAG. Das ist die Vermögensverwalterin der Ergo und des Versicherungskonzerns Munich Re, des weltgrößten Rückversicherers. 170 Milliarden Euro hat Back im Portfolio, er ist der Spezialist für Bonds, zu Deutsch: Obligationen oder Rentenpapiere, in der deutschen Debatte heißen sie meistens Staatsanleihen.
Staaten finanzieren sich, indem sie großen Investoren Anleihen verkaufen, verzinste Schuldpapiere. An der Höhe der Verzinsung lässt sich ablesen, wie es um die Kreditwürdigkeit eines Landes steht. Je höher der Zins, desto schlechter die Lage. Reiner Back ist in Peking, auch weil die Lage sehr schlecht ist. Seit dem Schulden- schnitt für Griechenland ist auf dem Anleihemarkt nichts mehr sicher.
»Die gegenwärtige Krise ist eine Situation, die eine Eigendynamik entwickelt ...«, mit diesen Worten fängt er seinen Vortrag an. Er ist jetzt nicht mehr Deutscher, sondern Europäer. Es wäre gut, wenn chinesische Vermögensverwalter einen Teil ihres Kapitals in europäische Staatsanleihen stecken würden. Aber kann Back ihnen dazu raten?
Dieser Montag ist nicht irgendein Montag. Genau ein Jahr zuvor hatte Irland als erstes Euro-Land Hilfe aus dem Rettungsfonds beantragt. Es war der Beginn einer Abwehrschlacht der europäischen Regierungen gegen die Märkte, vor allem gegen den Bond-Markt. Irland konnte damals seine 8-jährigen Anleihen nur noch mit einem Zinssatz von sechs Prozent verkaufen, schlüpfte unter den Rettungsschirm, um den drohenden Bankrott zu verhindern.
Seither eilen die Euro-Regierungen von einem Krisengipfel zum anderen, und nach draußen versichern sie den Anlegern der Bond-Märkte, dass es sich lohnt, Staatsanleihen aus Europa zu kaufen. Der Verkauf gelingt vielen nur noch, indem sie immer höhere Zinsen bieten, die die Schuldenlast so stark erhöhen, dass die Länder in Zukunft unregierbar werden. Seit aber Banken und andere Gläubiger zum angeblich freiwilligen Schuldenschnitt in Griechenland gezwungen wurden, seit die Hälfte ihrer etwa 200 in griechischen Staatsanleihen angelegten Milliarden Euro in Rauch aufgegangen sind, sind sie in eine Art käuferstreik getreten.
Auch Backs Abteilung bei der MEAG hat die Order bekommen, sich bei Zukäufen vom Staatsanleihenmarkt Europas bis auf weiteres möglichst zurückzuhalten.
Die 25 Chinesen hören dem Gast aus Deutschland höflich zu. Es kommt nur eine einzige Nachfrage: »Mr. Back, wird die Europäische Zentralbank in größerem Maß die Papiere der Krisenstaaten aufkaufen?« Die Chinesen stellen die wichtigste Frage dieser Tage. Sie haben alles verstanden. Back weiß keine Antwort.
FRANKFURT, ZENTRALE DER VERMÖGENSVERWALTUNG DWS (Aktienmarkt)
Thomas Schüßler hat eigentlich Physik studiert und nur »nebenbei « Volks- und Betriebswirtschaft, trotzdem verwaltet er heute den Aktienfonds »DWS Top Dividende«, einen der größten Fonds Europas. Er ist an diesem Montag gegen halb neun in seinem Büro,
und alles deutet auf eine turbulente Woche hin, schon wieder. Die Rating-Agentur Moody's warnt vor Risiken im französischen Finanzsystem, die Weltbank vor einer globalen Krise.
Schüßler ist 45 und gleich für mehrere Fonds der DWS verantwortlich. Die Tochter der Deutschen Bank ist Deutschlands größte Fondsgesellschaft, und mit mehr als 250 Milliarden Euro an verwalteten Geldern zählt sie weltweit zu den zehn größten Anbietern am Markt.
Schüßler, ein schlanker, langer Mann, hat den leicht nach vorn gekrümmten Gang von Leuten, die Probleme mit dem Rücken haben, sein zehnköpfiges Team führt er von einem Schreibtisch aus, der rechts hinten in einer Ecke des Großraumbüros steht.
An diesem Montagmorgen holt er sich zuerst die Bloomberg- Nachrichten auf den Schirm. Er hat am Wochenende nicht auf die Nachrichten geschaut, »aus Prinzip«. »Die Strategie, die wir fahren, setzt auf Langsamkeit«, sagt er. Er zwingt sich, in großen Linien zu denken, er will sich nicht vom Tagesrauschen der Kurse und Meldungen verrückt machen lassen. »Schneller als der Markt sein zu wollen ist keine gute Strategie.«
Märkte, das sind zum einen die Handelsplätze, auf denen Güter, Dienstleistungen, Rohstoffe, Immobilien und Arbeitskräfte gehandelt werden; zum anderen sind es jene Märkte, auf denen Devisen, Aktien, Staatsanleihen und Derivate gehandelt werden, die vielschichtigen strukturierten Finanzprodukte.
Die längste Zeit hatten die Finanzmärkte die Aufgabe, den anderen Märkten zu dienen: Sie verkauften einem Unternehmer Devisen, der im Ausland eine Maschine kaufen wollte. unternehmen gaben Aktien und Anleihen aus, um sich bei Anlegern Kapital für Investitionen zu besorgen, die Staaten ebenso. Aber seit den achtziger Jahren entwickelten die Finanzmärkte ein immer größeres Eigenleben.
Zum einen suchten Investoren stets neue profitablere Anlagen jenseits der Warenproduktion, zum anderen ermöglichten die Regierenden in den ÚSA und Großbritannien, später auch in Deutschland und anderen Ländern, durch die Deregulierung der Finanzmärkte neue, riskantere Anlagestrategien. Zum dritten kamen die Banken über die Zentralbanken an billiges Geld, konnten großzügig Kredite vergeben und Profite weit jenseits der in der Warenproduktion üblichen Gewinne bieten.
Das globale Finanzvermögen hat sich von 1980 und 12 Billionen Dollar bis heute auf weit über 200 Billionen Dollar vervielfacht, das Finanzvermögen ist dreimal so hoch wie die reale Weltproduktion. Der Spekulant und Milliardär George Soros sieht eine »Superblase« im System lauern, eine bedrohliche Kreditexpansion, die durch die entfesselten Märkte und die stark gestiegene Verschuldung der Staaten in die Welt gesetzt wurde. Die Regierungen verschuldeten sich bei den Banken in einem bisher ungekannten Maß, lockerten die gesetzlichen Bestimmungen für die Akteure auf den Finanzmärkten, senkten die Besteuerung der Finanzvermögen und mischten mit bei der Jagd nach neuen Finanzanlagen.
So haben sich die Billionen, die auf den Finanzmärkten vagabundieren, verdreifacht, vervierfacht und werden durch Banken und Hedgefonds, durch Versicherungen und Pensionsfonds, durch Staatsfonds und staatliche Finanzagenturen von einem Markt zum anderen geschoben.
Das ist die heutige Lage, in einer Welt, die jährlich reale Güter und Dienstleistungen im Wert von über 70 Billionen Dollar produziert: Auf den weltweiten Aktienmärkten wird mit Aktien in jedem Jahr ein Umsatz von 63 Billionen Dollar erzielt, mit unternehmensanleihen und Staats-Bonds werden 24 Billionen Dollar umgeschlagen. Auf den Devisenmärkten werden 1007 Billionen Dollar bewegt, und auf den Derivatemärkten - den dynamischsten und gefährlichsten aller Märkte - wurden 708 Billionen Dollar umgesetzt.
Wenn Politiker von den »Märkten« sprechen, auf die man hören müsse, dann meinen sie in der Regel die Finanzmärkte. Sie meinen den mächtigen, verschlossenen Derivatemarkt, den mittlerweile hochpolitischen Markt für Staatsanleihen, und auch den zittrig volatilen Aktienmarkt.
© DVA Sachbuch
... weniger
Autoren-Porträt von Ullrich Fichtner, Cordt Schnibben
Ullrich Fichtner, geboren 1965, ist Reporter beim Spiegel. Er erhielt zwei Mal den Egon-Erwin-Kisch-Preis, im Jahr 2000 zudem den Theodor-Wolff-Preis. Fichtner lebt mit seiner Familie in Paris.Cordt Schnibben, Jahrgang 1952, leitet das Ressort Gesellschaft des SPIEGEL. Er wurde ausgezeichnet mit zahlreichen Journalistenpreisen, u. a. dem Theodor-Wolff-Preis, dem Egon-Erwin-Kisch-Preis und dem Adolf-Grimme-Preis. Cordt Schnibben ist Autor und Herausgeber zahlreicher Sachbücher.
Bibliographische Angaben
- Autoren: Ullrich Fichtner , Cordt Schnibben
- 2012, 2. Auflage, 304 Seiten, Maße: 13,5 x 21,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Herausgegeben: Ullrich Fichtner, Cordt Schnibben
- Verlag: DVA
- ISBN-10: 3421045763
- ISBN-13: 9783421045768
- Erscheinungsdatum: 12.11.2012
Rezension zu „Billionenpoker “
»Ein überzeugendes, fundiertes und wichtiges Buch.«
Kommentar zu "Billionenpoker"
0 Gebrauchte Artikel zu „Billionenpoker“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
Schreiben Sie einen Kommentar zu "Billionenpoker".
Kommentar verfassen