Bis zur letzten Stunde
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Bis zur letzten Stunde von Traudl Junge
LESEPROBE
MEINE ZEIT BEI ADOLF HITLER -
AUFGEZEICHNET 1947
Von Traudl Junge
Normalerweise fragt man Sekretärinnen nicht viel über ihre früheren Chefs. Nachdem ich aber drei Jahre lang die Sekretärin Hitlers war, werde ich auf Schritt und Tritt gefragt: »Sagen Sie mal, wie war er denn eigentlich?« Und dann kommt fast jedes Mal die zweite Frage: »Wie sind Sie bloß in die Nähe dieses Menschen geraten?« Meistens sind die Leute dann von beiden Antworten enttäuscht oder mindestens überrascht, denn ich kann ihnen weder von Hitlers weltbekannten Wutausbrüchen noch von seiner Teppichbeißerei aus eigener Erfahrung berichten und bin auch nicht aufgrund meiner hervorragenden Verdienste um den Nationalsozialismus oder meiner niedrigen Parteimitgliedsnummer seine Sekretärin geworden. Es geschah mehr oder weniger durch einen Zufall.
Ich wäre wohl nie Hitlers Sekretärin geworden, wenn ich nicht den Wunsch gehabt hätte, Tänzerin zu werden. Ich fürchte, ich muss ein bisschen ausführlicher berichten, damit diese Behauptung verständlich wird. Meine jüngere Schwester und ich haben beide von frühester Jugend an Gymnastik- und Tanzschulen besucht, und ich habe gar keinen Zweifel daran, dass ich einmal meinen Beruf auf einem dieser beiden Gebiete ausüben würde. Aber leider lebten wir in schwierigen finanziellen Verhältnissen, und als ich aus der Schule kam, musste ich als die Ältere erst einmal daran denken, so schnell wie möglich Geld zu verdienen. Ich habe mir das auch sehr schön und leicht gedacht und glaubte, ich könnte als Büroangestellte so viel verdienen, dass ich mir nebenher auch noch die Tanzausbildung leisten könnte. Aber es stellte sich heraus, dass es gar nicht so einfach war, eine Firma zu finden, bei der man erstens genügend verdiente und zweitens noch genügend Zeit für die privaten Wünsche hatte. Aber ich fand schließlich eine Stellung, die mir zwar gar nicht gefiel, aber die diese beiden Voraussetzungen erfüllte. Ich dachte ohnehin, dass es nicht lange dauern würde, bis ich der Welt der Schreibmaschine endgültig den Rücken kehren könnte. Ich musste nur erst die Tanzprüfung abgelegt haben. Inzwischen hatte jedoch der Krieg begonnen und allmählich begann jeder Einzelne, persönliche Einschränkungen und Verpflichtungen zu fühlen. So musste auch ich erfahren, dass ich die Rechnung ohne den Wirt, d. h. den Staat gemacht hatte. Denn als ich im Jahr 1941 endlich die Tanzprüfung bestanden hatte und triumphierend meiner Firma die Kündigung aussprach, da war inzwischen die Berufslenkung und Arbeitsplatzbeschränkung' wirksam geworden. Man konnte nicht mehr einfach werden, was man wollte, sondern musste tun, was für den Staat am wichtigsten war. Nun brauchte man aber bedeutend notwendiger Sekretärinnen und Stenotypistinnen als Tänzerinnen. Tänzerinnen waren überhaupt vollkommen überflüssig geworden. Ich aber war schon 21 Jahre alt, und der Krieg schien doch kein Blitzkrieg, sondern ein recht langwieriges Unternehmen zu werden. In ein paar Jahren würde meine mühsam erarbeitete Gelenkigkeit verrostet sein, und dann war der Traum vom Tanzen endgültig zu begraben. Wahrscheinlich war ich in meiner Enttäuschung auch nicht mehr ganz objektiv, denn mein ganzer verzweifelter Haas richtete sich gegen meine Firma und meinen Chef, den ich mit dem entsetzlichen Vorwurf belastete, aus Egoismus mein Leben verpatzt zu haben, weil er meine Kündigung nicht angenommen habe. Dem nur durch Zustimmung des Arbeitgebers hätte ich meine Stellung aufgeben können. Ich wollte ihn keinesfalls mehr länger sehen und diese Firma aus Trotz um jeden Preis verlassen. Und so kam die Lawine langsam ins Rollen, die mich dann 1945 in Berlin fast begraben hätte.
Meine Schwester Inge lebte damals in Berlin als Tänzerin an der Deutschen Tanzbühne. Eine ihrer Kolleginnen war verwandt mit Allbett Bormann und durch ihn bekam ich eines schönen Tages ein Angeben in die Kanzlei des Führers nach Berlin. Wenn mich auch nicht gerade dieses Milieu und diese Position lockten, so war der Gedanke, einmal von zu Hause fortzukommen, die Hauptstadt kennen zu lernen und überhaupt einmal etwas zu erleben, doch recht reizvoll. Außerdem schienen die Arbeitsbedingungen angenehm zu sein, ich nahm jedenfalls kurz entschlossen an und fuhr nach Berlin. Schon die erste Fahrt meines Lebens in einem Schlafwagen war sehr aufregend, aber als ich dann das gewaltige Labyrinth der »Neuen Reichskanzlei« betrat, um mich vorzustellen, da kam mir mein Entschluss schon ein bisschen gewagt vor. Aber zurück konnte ich nun nicht mehr gut, das wäre zu blamabel gewesen. Ich wurde von Gruppenführer Albert Bormann, einem Bruder des Reichsleiters Martin Bormann, empfangen. Er war eine angenehme und sympathische Erscheinung. Ich wurde angestellt in einer Abteilung der »Kanzlei des Führers«, wo die an den »Führer« gerichtete Post in Empfang genommen, sortiert, weitergeleitet und zum Teil auch bearbeitet wurde. Meine Tätigkeit war außerordentlich harmlos, ich hatte auch nicht sehr viel zu tun. Albert Bormann, der Leiter der Kanzlei des Führers, war gleichzeitig Hitlers Adjutant und nur selten in Berlin anwesend. Ich fragte mich manchmal, warum man eigens eine Sekretärin aus München geholt und sogar dienstverpflichtet hatte. Ich saß in dem riesigen, prunkvollen Gebäude, in dem ich mich dauernd verirrte, schlitterte durch die blank gebohnerte Marmorhalle und wartete im Übrigen die weitere Entwicklung meiner Tätigkeit ab. Bald kam auch der erste Wirbel in mein beschauliches Dasein, denn auf einmal verbreitete sich das Gerücht, Hitler brauche neue Sekretärinnen und die Auswahl solle aus dem Personal der Reichskanzlei getroffen werden.
Sämtliche Sekretärinnen, Stenotypistinnen, Lehrmädchen und Bürohilfen gerieten in helle Aufregung. Es wurde ein Wettbewerbskurs für Stenographie und Maschinenschreiben eingerichtet, und ich musste ebenfalls daran teilnehmen. Inzwischen war ich in die »Persönliche Adjutantur des Führers« versetzt worden. Diese Abteilung befand sich im gleichen Gebäude, nur in einem anderen Teil nach dem Park zu. Mit sehr wenig Ehrgeiz nahm ich an dem Wettschreiben teil, denn erstens glaubte ich nicht recht an den gemutmaßten Zweck und zweitens hielt ich mich nicht für geeignet, Hitlers Sekretärin zu werden. Als ich sah, wie die Finger der anderen Mädchen über die Tasten rasten, verlor ich den letzten Rest meines Selbstbewusstseins. Aber gerade deshalb war ich wahrscheinlich bei der Schlussrunde am wenigsten nervös, hatte die wenigsten Fehler und geriet unter die Besten. Und eines schönen Tages erhielt ich eine Fahrkarte in die Hand gedrückt und die Anweisung, mich am nächsten Tag mit dem Kurierzug in das Führerhauptquartier zu begeben, wo ich mich mit neun anderen Mädchen dem Führer vorstellen sollte. (...)
© Ullstein Buchverlage
Autoren-Porträt von Traudl Junge
TraudlJunge wurde 1920 als Tochter eines Bierbrauermeisters und einerOffizierstochter in München geboren. Von Ende 1942 bis April 1945 war sie diePrivatsekretärin Adolf Hitlers. Nach dem Krieg geriet TraudlJunge in russische Gefangenschaft, wurde aber nach kurzer Zeit wiederfreigelassen. In der Folgezeit arbeitete sie unter anderem alsChefredaktionssekretärin für Quick und als freie Journalistin.
TraudlJunge verstarb nach schwerer Krankheit in der Nacht des 11. Februar 2002,wenige Stunden nach der Uraufführung des Dokumentarfilms Im toten Winkel, der sie im Gesprächmit André Heller zeigt.
- Autoren: Traudl Junge , Melissa Müller
- 2003, 12. Aufl., 288 Seiten, mit zahlreichen Abbildungen, Maße: 12,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: List TB.
- ISBN-10: 3548603548
- ISBN-13: 9783548603544
- Erscheinungsdatum: 12.09.2003
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