Black Monday
Flugzeuge stürzen vom Himmel, Kraftwerke explodieren, Kommunikation und Versorgung brechen zusammen. In kürzester Zeit fällt die zivilisierte Welt zurück ins finstere Mittelalter, Millionen Menschen sterben. Das Pentagon vermutet...
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Produktinformationen zu „Black Monday “
Flugzeuge stürzen vom Himmel, Kraftwerke explodieren, Kommunikation und Versorgung brechen zusammen. In kürzester Zeit fällt die zivilisierte Welt zurück ins finstere Mittelalter, Millionen Menschen sterben. Das Pentagon vermutet terroristische Anschläge. Doch der Virologe Greg Gerard befürchtet Schlimmeres: Ein aggressiver Virus macht das Erdöl unbrauchbar. Um den Ursprung der Seuche zu finden, muss er sich durch ein Amerika kämpfen, das in völliger Auflösung begriffen ist.
"Dieser Thriller macht einem Angst."
Bild am Sonntag
Lese-Probe zu „Black Monday “
Black Monday von R. Scott Reiss
LESEPROBE
1. KAPITEL
27. Oktober. Sechs Stunden vor dem Ausbruch.
Eine Seuche, die für Millionen Menschen den Tod bedeutet. Die ganze Länder vernichtet. Und die Welt in ein finsteres Zeitalter stürzt.
Eine Seuche, die niemanden krank macht.
Lewis Stokes zumindest lautet so der falsche Name in seinem in Nevada ausgestellten Führerschein wirft einen weiteren Dollar in den Glücksrad-Spielautomaten in der Lobby des Hotels New York-New York in Las Vegas und spürt, wie sein Herz plötzlich schneller schlägt, was allerdings nicht an dem Spiel liegt. Der ehemalige Bettlerjunge dessen Mutter öffentlich enthauptet wurde hat soeben den zwanzigjährigen Anglistikstudenten der University of Nevada entdeckt, den zu töten er zehntausend Kilometer weit geflogen ist.
Der junge Mann dunkelhaarig mit ungepflegtem Äußeren kommt auf seinem Weg zur Rezeption an Blackjacktischen vorbei auf ihn zu. Aus einem hohen Glas schlürft er eine leuchtend rote Flüssigkeit, wahrscheinlich einen Singapore Sling oder einen Mix aus Rum und Fruchtsäften. Er wirkt angetrunken, arglos, allein.
Der junge muss um o Uhr 14 getötet werden.
»Keine Minute später«, hatte Lewis' Mentor gesagt, während er ihm die ganze Palette perfekt gefälschter Papiere übergeben hatte.
Doch als Lewis sich anschickt, aufzustehen und dem jungen Mann zu folgen, fällt ihm auf, dass dieser zu hochaufgeschossen ist, um Robert Grady zu sein.
Er sieht Grady nur ähnlich.
Lewis flucht vor sich hin und schiebt noch einen Dollar in den Automatenschlitz.
Normalerweise ein gut aussehender Blondschopf, hat sich Lewis heute in einen dunkelhaarigen Typen mit beginnender Glatze verwandelt. Von Natur aus schlank, wirkt er jetzt schwerfällig und
... mehr
unbeholfen, ein Ballon unter dem Hemd täuscht einen Bauch vor, und er trägt eine Brille mit einem dicken, schwarzen Rahmen. Er hält sich krumm und zieht beim Gehen einen Fuß nach. Die wenigen Leute, die ihn bemerken, sehen nur einen armen Kerl in einer schlecht sitzenden Sportjacke, einem billigen Teil von der Stange.
Seine Position am Spielautomaten ermöglicht ihm den Blick auf die Rezeption, ohne selbst von den Pagen, den Angestellten an der Rezeption und den Sicherheitsleuten wahrgenommen zu werden. Einer unter Hunderten von Spielern. Aber dieser eine Spieler verbirgt eine Glock unter der Jacke, und hinten in seinem Gürtel steckt ein gezacktes Kampfmesser. Lewis hat sein erstes Opfer im Alter von zwölf Jahren getötet, in Notwehr, in einem Zelt.
»Glücks ... rad«, ertönt ein ganzer Chor mechanischer Stimmen aus dem Automaten, während das Rad sich dreht und bunte Lichter blinken und die potenziellen Gewinne $ 800, $ 100 und $ 20 - in Form von Tortenstücken auf dem Rad erscheinen.
Las Vegas geht ihm auf die Nerven, die Aufdringlichkeit, der Krach und das Durcheinander, all das erinnert ihn an das Flüchtlingslager, in dem er aufgewachsen ist. Das grauenhafte Erdgeschoss ist das Schlimmste. Als hätte Fellini es sich ausgedacht. Eine Kakophonie aus Rockmusik, herumrennenden Kindern, plärrenden Spielautomaten, lachenden Betrunkenen. Keine Fenster, die den Blick auf die Außenwelt freigeben. Ein riesiges Glücksspielareal, wo es zugeht wie im Irrenhaus, ein Labyrinth, durch das sich ein endloser menschlicher Jackpot wälzt. Menschen, die wie die Münzen aus den Fahrstühlen ausgespuckt werden, unterwegs zu den neuen Mausefallen in der Umgebung: in das Riviera und das Paris, das Monte Carlo, das Gold Coast sie alle haben nicht die geringste Ähnlichkeit mit den romantischen Orten, nach denen sie benannt sind.
Aber wo mag Robert Grady stecken?
»Lass es möglichst nach Raubmord aussehen«, hatte Lewis' Mentor gesagt. »Aber sollte der Bursche um o Uhr 14 gerade mitten in einer überfüllten Lobby stehen, dann gehst du einfach auf ihn zu und erschießt ihn. Kann ich mich darauf verlassen, dass du dich notfalls opferst, mein alter und besonderer Freund?«
»Und was passiert um o Uhr 15, falls er dann immer noch lebt?«
»Dann wird die Welt unglücklicherweise bleiben, wie sie ist.«
»Was kann daran so wichtig sein, einen College-Studenten zu töten?«
»Ich würde dir gern genau erklären, welche Rolle er spielt. Du hättest es verdient. Aber wenn die Amerikaner dich schnappen, wenn die rauskriegen, wer du bist, dann werden sie versuchen, dich mit allen Mitteln zum Reden zu bringen.«
Ihm bleiben noch fünf Stunden und dreizehn Minuten.
Lewis ist vor zwei Tagen in Las Vegas eingetroffen. Eigentlich viel Zeit für einen Auftrag. Bisher ist es ihm jedoch nicht gelungen, Robert Grady ausfindig zu machen. Er war weder zu Hause noch in der Uni. Sein Anrufbeantworter ist schon so voll, dass er keine neuen Nachrichten mehr speichert. Weiß er, dass Lewis hier ist? Wer zum Teufel ist er überhaupt? Ein Anruf bei der Freundin, der gegenüber Lewis als Verwaltungsangestellter der Uni ausgegeben hatte, war ebenfalls ergebnislos gewesen. Sie hatte behauptet, ihn schon seit einer Woche nicht mehr gesehen zu haben.
»Der Typ ist ein hirnloser Spieler, der kann mir gestohlen bleiben«, hatte sie gefaucht. »Der hat sich doch bloß an der verdammten Uni eingeschrieben, um sich in den Kasinos rumtreiben zu können. Wenn er verschwindet, kann das nur heißen, dass er Geld gewonnen hat. Und er wird so lange spielen, bis er es wieder los ist.«
Vor einer Stunde schließlich hat Lewis zum vierten Mal die Kasinos abgeklappert, die der junge Mann regelmäßig aufsucht, und erfahren, dass Grady für heute Nacht in diesem Hotel ein Zimmer gebucht hat. Daraufhin hat Lewis sich ebenfalls ein Zimmer genommen. Laut Akte quartiert sich Grady immer im elften Stock des Century Tower ein, weil er glaubt, dass ihm der Turm Glück bringt. Also hat Lewis ebenfalls ein Turmzimmer geordert, um an die Schlüsselkarte für die nach oben führenden Aufzüge zu gelangen.
Lewis sieht auf die Uhr, unterbricht das Spiel am Automaten und ruft vom Haustelefon aus die Hotelzentrale an.
»Mr Grady hat soeben telefonisch Bescheid gegeben, dass er heute später kommt«, erklärt ihm eine Frau.
»Wie viel später?«
»Das hat er nicht gesagt.«
»Haben Sie mit ihm gesprochen?«
»Ich kann Ihnen nur das sagen, was ich auf dem Bildschirm sehe«, erwidert die Frau gekränkt.
Lewis schluckt seinen Unmut herunter, lässt die Schultern wieder hängen, um keinen Verdacht zu erregen, und schlendert zurück zu seinem Spiel. Am Automaten neben ihm sitzt jetzt eine weißhaarige alte Dame in einem Rollstuhl. Sie balanciert einen Plastikbecher mit Vierteldollarstücken auf ihrem knochigen Schoß.
Sie lächelt ihn an. »Wie aufregend es hier ist!«
Er gibt ihr keine Antwort. So kann sie sich später weniger deutlich an ihn erinnern. Er muss an seinen letzten Besuch bei seinem Mentor denken, im August, und fühlt sich zuriickversetzt an jenen ruhigen, schönen Ort. Sie hatten Orangensaft in einem angenehm kühlen grünen Garten getrunken. Der riesige Rasen war umgeben von in Nebel gehüllten Eichen. Das Rauschen des nahe gelegenen Meeres vermischte sich mit den Schreien kreisender Seeschwalben, während der Mentor und sein Adlatus auf neunhundert Jahre alten Steinbänken saßen. Alles um sie herum, der private Wald, die grün bewachsenen Berge und das weitläufige Haus jenseits des Skulpturengartens, war solide, freundlich und alt.
»Robert Grady ist einer von mehreren Leuten, denen du hoffentlich in Amerika einen Besuch abstatten wirst«, hatte Lewis' Mentor gesagt und den Auftrag wie üblich als Bitte formuliert.
Lewis' Gedanken kehren zurück zu seinem letzten Mord, drei Wochen nach dem Gespräch. Er war nach Washington geflogen, hatte ein Auto gekauft und war über die Interstate 95 und den Taconic Parkway durch die Hügel von Berkshire nach Massachusetts in das Städtchen Becket gefahren. Dort hatte er das einzeln an einer unbefestigten Straße gelegene Haus eines neunundfünfzigjährigen Kajakbauers ausfindig gemacht und durch eine nicht verschlossene Tür betreten. Dort rechnete offenbar niemand mit Einbrechern. Als der Mann an einem Freitagabend von dem Jacob's Pillow Dance Festival nach Hause kam, wo er sich eine Steptanzshow von Savion Glover angesehen hatte, lauerte Lewis ihm auf und erstach ihn. Bei dem Auftrag trug er Latexhandschuhe und führte seine Tat mit der linken Hand aus, um die forensischen Experten in Bezug auf den Einstichwinkel in die Irre zu führen.
Lewis ist eigentlich Rechtshänder, außer wenn er einen Auftrag erledigt.
Nach dem Mord durchforstete er den Medizinschrank nach Tabletten, entwendete das Bargeld aus der Brieftasche des Mannes und ließ einen Teil des alten Silberbestecks mitgehen. Anschließend versenkte er seine Beute in einem tiefen, grünen Baggersee.
»MORDMOTIV RAUB«, titelte die örtliche Tageszeitung Berkshire Eagle.
Wie sein Mentor sagte: »Täuschung bedeutet Erfolg. Desinformation ist Täuschung. Du musst immer dafür sorgen, dass die Amerikaner jemand anderem die Schuld für deine Taten geben.«
»Spätestens um o Uhr 14 wird Robert Grady die Reise auf die andere Seite antreten«, versprach Lewis in Erinnerung an die Worte, die sein Ururgroßvater nach dem Ersten Weltkrieg geschrieben hatte. Worte, die er in einem zerfledderten Buch von 1927 stets im Reisegepäck hatte. »Blut war immer an unseren Händen, dazu waren wir ja ermächtigt.«
Und in diesem Moment erblickt er endlich Robert Grady.
Der junge Mann kommt auf dem Weg zur Rezeption ganz nahe an ihm vorbei. Auf den ersten Blick wirkt Grady wie ein typischer unbekümmerter Student. Weißes Hemd mit offenem Kragen, ein bisschen zerknittert. Ausgewaschene Jeans. Abgetragene Sportschuhe und ein Rucksack über der rechten Schulter. Ein junges Gesicht mit einem ungepflegten braunen Bart und babyblauen Augen.
Aber Lewis erspäht auch etwas Rohes unter der jungenhaften Oberfläche. Die Augen sind nicht wirklich klar und unschuldig, sondern scheinen auf etwas Unsichtbares gerichtet zu sein. Lewis, der in einer Umgebung voller Verzweiflung aufgewachsen ist, kennt ihre Erscheinungsformen: Bedürftigkeit, Schrecken, Besessenheit, Gier. Diesen Burschen quälen Vorahnungen, Zwanghaftigkeit und Abhängigkeit vom Zufall.
Lewis beobachtet, wie Bobby Grady sich von der Rezeption abwendet. Aber anstatt nach oben zu gehen, reicht er einem Pagen seinen Rucksack, zeigt auf den Aufzug und steckt ihm ein Trinkgeld zu.
Robert Grady hat offenbar noch vor zu spielen.
Lewis seufzt, steckt einen letzten Dollar in den Glücksradautomaten und wartet, bis Grady auf dem Weg ins Kasino an ihm vorbeikommt. Er drückt ein letztes Mal auf den Knopf, startet ein neues Spiel und steht dann ruhig auf, um seinem Opfer zu folgen.
Doch plötzlich spielt der Automat verrückt, veranstaltet einen Höllenlärm, und die Räder drehen sich wie wild. Alle im Umkreis von dreißig Metern werden auf Lewis aufmerksam. Pagen, Gäste, Kinder, eine Prostituierte. Die Sicherheitskameras an der Decke werden die Szenerie aufzeichnen. Hotelgäste und Neuankömmlinge, die gerade einchecken, recken die Hälse, um etwas sehen zu können. Der Glücksradautomat ist darauf programmiert, bei den äußerst seltenen Gelegenheiten, wo er eine Menge Geld ausspuckt, einen Radau zu machen wie die Luftalarm-Sirenen auf einem amerikanischen Militärstützpunkt. Der Krach übertönt beinahe die Rockmusik, von der die Lobby erfüllt ist.
Klingklingklingkling!!!
Die alte Dame im Rollstuhl schnappt nach Luft. »Mein Gott! Das nimmt ja kein Ende mehr! Fünftausend und ... o nein!«
Robert Grady, der sich nicht einmal umdreht, uni zu sehen, was los ist, verschwindet in Richtung der Halle für Sportwetten.
Ein Blitzlicht zuckt. Jemand hat ein Foto vom großen Gewinner geschossen.
( )
© Ullstein Buchverlage
Übersetzung: Charlotte Breuer und Norbert Möllemann
Seine Position am Spielautomaten ermöglicht ihm den Blick auf die Rezeption, ohne selbst von den Pagen, den Angestellten an der Rezeption und den Sicherheitsleuten wahrgenommen zu werden. Einer unter Hunderten von Spielern. Aber dieser eine Spieler verbirgt eine Glock unter der Jacke, und hinten in seinem Gürtel steckt ein gezacktes Kampfmesser. Lewis hat sein erstes Opfer im Alter von zwölf Jahren getötet, in Notwehr, in einem Zelt.
»Glücks ... rad«, ertönt ein ganzer Chor mechanischer Stimmen aus dem Automaten, während das Rad sich dreht und bunte Lichter blinken und die potenziellen Gewinne $ 800, $ 100 und $ 20 - in Form von Tortenstücken auf dem Rad erscheinen.
Las Vegas geht ihm auf die Nerven, die Aufdringlichkeit, der Krach und das Durcheinander, all das erinnert ihn an das Flüchtlingslager, in dem er aufgewachsen ist. Das grauenhafte Erdgeschoss ist das Schlimmste. Als hätte Fellini es sich ausgedacht. Eine Kakophonie aus Rockmusik, herumrennenden Kindern, plärrenden Spielautomaten, lachenden Betrunkenen. Keine Fenster, die den Blick auf die Außenwelt freigeben. Ein riesiges Glücksspielareal, wo es zugeht wie im Irrenhaus, ein Labyrinth, durch das sich ein endloser menschlicher Jackpot wälzt. Menschen, die wie die Münzen aus den Fahrstühlen ausgespuckt werden, unterwegs zu den neuen Mausefallen in der Umgebung: in das Riviera und das Paris, das Monte Carlo, das Gold Coast sie alle haben nicht die geringste Ähnlichkeit mit den romantischen Orten, nach denen sie benannt sind.
Aber wo mag Robert Grady stecken?
»Lass es möglichst nach Raubmord aussehen«, hatte Lewis' Mentor gesagt. »Aber sollte der Bursche um o Uhr 14 gerade mitten in einer überfüllten Lobby stehen, dann gehst du einfach auf ihn zu und erschießt ihn. Kann ich mich darauf verlassen, dass du dich notfalls opferst, mein alter und besonderer Freund?«
»Und was passiert um o Uhr 15, falls er dann immer noch lebt?«
»Dann wird die Welt unglücklicherweise bleiben, wie sie ist.«
»Was kann daran so wichtig sein, einen College-Studenten zu töten?«
»Ich würde dir gern genau erklären, welche Rolle er spielt. Du hättest es verdient. Aber wenn die Amerikaner dich schnappen, wenn die rauskriegen, wer du bist, dann werden sie versuchen, dich mit allen Mitteln zum Reden zu bringen.«
Ihm bleiben noch fünf Stunden und dreizehn Minuten.
Lewis ist vor zwei Tagen in Las Vegas eingetroffen. Eigentlich viel Zeit für einen Auftrag. Bisher ist es ihm jedoch nicht gelungen, Robert Grady ausfindig zu machen. Er war weder zu Hause noch in der Uni. Sein Anrufbeantworter ist schon so voll, dass er keine neuen Nachrichten mehr speichert. Weiß er, dass Lewis hier ist? Wer zum Teufel ist er überhaupt? Ein Anruf bei der Freundin, der gegenüber Lewis als Verwaltungsangestellter der Uni ausgegeben hatte, war ebenfalls ergebnislos gewesen. Sie hatte behauptet, ihn schon seit einer Woche nicht mehr gesehen zu haben.
»Der Typ ist ein hirnloser Spieler, der kann mir gestohlen bleiben«, hatte sie gefaucht. »Der hat sich doch bloß an der verdammten Uni eingeschrieben, um sich in den Kasinos rumtreiben zu können. Wenn er verschwindet, kann das nur heißen, dass er Geld gewonnen hat. Und er wird so lange spielen, bis er es wieder los ist.«
Vor einer Stunde schließlich hat Lewis zum vierten Mal die Kasinos abgeklappert, die der junge Mann regelmäßig aufsucht, und erfahren, dass Grady für heute Nacht in diesem Hotel ein Zimmer gebucht hat. Daraufhin hat Lewis sich ebenfalls ein Zimmer genommen. Laut Akte quartiert sich Grady immer im elften Stock des Century Tower ein, weil er glaubt, dass ihm der Turm Glück bringt. Also hat Lewis ebenfalls ein Turmzimmer geordert, um an die Schlüsselkarte für die nach oben führenden Aufzüge zu gelangen.
Lewis sieht auf die Uhr, unterbricht das Spiel am Automaten und ruft vom Haustelefon aus die Hotelzentrale an.
»Mr Grady hat soeben telefonisch Bescheid gegeben, dass er heute später kommt«, erklärt ihm eine Frau.
»Wie viel später?«
»Das hat er nicht gesagt.«
»Haben Sie mit ihm gesprochen?«
»Ich kann Ihnen nur das sagen, was ich auf dem Bildschirm sehe«, erwidert die Frau gekränkt.
Lewis schluckt seinen Unmut herunter, lässt die Schultern wieder hängen, um keinen Verdacht zu erregen, und schlendert zurück zu seinem Spiel. Am Automaten neben ihm sitzt jetzt eine weißhaarige alte Dame in einem Rollstuhl. Sie balanciert einen Plastikbecher mit Vierteldollarstücken auf ihrem knochigen Schoß.
Sie lächelt ihn an. »Wie aufregend es hier ist!«
Er gibt ihr keine Antwort. So kann sie sich später weniger deutlich an ihn erinnern. Er muss an seinen letzten Besuch bei seinem Mentor denken, im August, und fühlt sich zuriickversetzt an jenen ruhigen, schönen Ort. Sie hatten Orangensaft in einem angenehm kühlen grünen Garten getrunken. Der riesige Rasen war umgeben von in Nebel gehüllten Eichen. Das Rauschen des nahe gelegenen Meeres vermischte sich mit den Schreien kreisender Seeschwalben, während der Mentor und sein Adlatus auf neunhundert Jahre alten Steinbänken saßen. Alles um sie herum, der private Wald, die grün bewachsenen Berge und das weitläufige Haus jenseits des Skulpturengartens, war solide, freundlich und alt.
»Robert Grady ist einer von mehreren Leuten, denen du hoffentlich in Amerika einen Besuch abstatten wirst«, hatte Lewis' Mentor gesagt und den Auftrag wie üblich als Bitte formuliert.
Lewis' Gedanken kehren zurück zu seinem letzten Mord, drei Wochen nach dem Gespräch. Er war nach Washington geflogen, hatte ein Auto gekauft und war über die Interstate 95 und den Taconic Parkway durch die Hügel von Berkshire nach Massachusetts in das Städtchen Becket gefahren. Dort hatte er das einzeln an einer unbefestigten Straße gelegene Haus eines neunundfünfzigjährigen Kajakbauers ausfindig gemacht und durch eine nicht verschlossene Tür betreten. Dort rechnete offenbar niemand mit Einbrechern. Als der Mann an einem Freitagabend von dem Jacob's Pillow Dance Festival nach Hause kam, wo er sich eine Steptanzshow von Savion Glover angesehen hatte, lauerte Lewis ihm auf und erstach ihn. Bei dem Auftrag trug er Latexhandschuhe und führte seine Tat mit der linken Hand aus, um die forensischen Experten in Bezug auf den Einstichwinkel in die Irre zu führen.
Lewis ist eigentlich Rechtshänder, außer wenn er einen Auftrag erledigt.
Nach dem Mord durchforstete er den Medizinschrank nach Tabletten, entwendete das Bargeld aus der Brieftasche des Mannes und ließ einen Teil des alten Silberbestecks mitgehen. Anschließend versenkte er seine Beute in einem tiefen, grünen Baggersee.
»MORDMOTIV RAUB«, titelte die örtliche Tageszeitung Berkshire Eagle.
Wie sein Mentor sagte: »Täuschung bedeutet Erfolg. Desinformation ist Täuschung. Du musst immer dafür sorgen, dass die Amerikaner jemand anderem die Schuld für deine Taten geben.«
»Spätestens um o Uhr 14 wird Robert Grady die Reise auf die andere Seite antreten«, versprach Lewis in Erinnerung an die Worte, die sein Ururgroßvater nach dem Ersten Weltkrieg geschrieben hatte. Worte, die er in einem zerfledderten Buch von 1927 stets im Reisegepäck hatte. »Blut war immer an unseren Händen, dazu waren wir ja ermächtigt.«
Und in diesem Moment erblickt er endlich Robert Grady.
Der junge Mann kommt auf dem Weg zur Rezeption ganz nahe an ihm vorbei. Auf den ersten Blick wirkt Grady wie ein typischer unbekümmerter Student. Weißes Hemd mit offenem Kragen, ein bisschen zerknittert. Ausgewaschene Jeans. Abgetragene Sportschuhe und ein Rucksack über der rechten Schulter. Ein junges Gesicht mit einem ungepflegten braunen Bart und babyblauen Augen.
Aber Lewis erspäht auch etwas Rohes unter der jungenhaften Oberfläche. Die Augen sind nicht wirklich klar und unschuldig, sondern scheinen auf etwas Unsichtbares gerichtet zu sein. Lewis, der in einer Umgebung voller Verzweiflung aufgewachsen ist, kennt ihre Erscheinungsformen: Bedürftigkeit, Schrecken, Besessenheit, Gier. Diesen Burschen quälen Vorahnungen, Zwanghaftigkeit und Abhängigkeit vom Zufall.
Lewis beobachtet, wie Bobby Grady sich von der Rezeption abwendet. Aber anstatt nach oben zu gehen, reicht er einem Pagen seinen Rucksack, zeigt auf den Aufzug und steckt ihm ein Trinkgeld zu.
Robert Grady hat offenbar noch vor zu spielen.
Lewis seufzt, steckt einen letzten Dollar in den Glücksradautomaten und wartet, bis Grady auf dem Weg ins Kasino an ihm vorbeikommt. Er drückt ein letztes Mal auf den Knopf, startet ein neues Spiel und steht dann ruhig auf, um seinem Opfer zu folgen.
Doch plötzlich spielt der Automat verrückt, veranstaltet einen Höllenlärm, und die Räder drehen sich wie wild. Alle im Umkreis von dreißig Metern werden auf Lewis aufmerksam. Pagen, Gäste, Kinder, eine Prostituierte. Die Sicherheitskameras an der Decke werden die Szenerie aufzeichnen. Hotelgäste und Neuankömmlinge, die gerade einchecken, recken die Hälse, um etwas sehen zu können. Der Glücksradautomat ist darauf programmiert, bei den äußerst seltenen Gelegenheiten, wo er eine Menge Geld ausspuckt, einen Radau zu machen wie die Luftalarm-Sirenen auf einem amerikanischen Militärstützpunkt. Der Krach übertönt beinahe die Rockmusik, von der die Lobby erfüllt ist.
Klingklingklingkling!!!
Die alte Dame im Rollstuhl schnappt nach Luft. »Mein Gott! Das nimmt ja kein Ende mehr! Fünftausend und ... o nein!«
Robert Grady, der sich nicht einmal umdreht, uni zu sehen, was los ist, verschwindet in Richtung der Halle für Sportwetten.
Ein Blitzlicht zuckt. Jemand hat ein Foto vom großen Gewinner geschossen.
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© Ullstein Buchverlage
Übersetzung: Charlotte Breuer und Norbert Möllemann
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Bibliographische Angaben
- Autor: SCOTT R. REISS
- 2008, 1, 469 Seiten, Maße: 12,5 x 18,7 cm, Geb. mit Su.
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3828993133
- ISBN-13: 9783828993136
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