Bleib immer neben mir
Ein deutsches Frauenleben
Angela Thompson erzählt die berührende Lebensgeschichte ihrer Mutter.
Elfriede Richter ist noch jung, als sie 1940 ihren Verlobten Kurt heiratet. In der Bombennacht 1945 muss sie schwanger mit zwei Töchtern aus dem brennenden Dresden...
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Produktinformationen zu „Bleib immer neben mir “
Angela Thompson erzählt die berührende Lebensgeschichte ihrer Mutter.
Elfriede Richter ist noch jung, als sie 1940 ihren Verlobten Kurt heiratet. In der Bombennacht 1945 muss sie schwanger mit zwei Töchtern aus dem brennenden Dresden fliehen. Die Zeit nach dem Krieg wird hart für die Familie und auch eine Flucht in den Westen bringt keine Besserung. Aber die selbstbewusste Elfriede gibt die Hoffnung auf ein besseres Leben nicht auf. Doch die Dominanz und die Bevormundung ihres Mann stürzen sie von einer Lebenskrise in die nächste.
"Einfühlsam und packend geschrieben"
Freundin
Lese-Probe zu „Bleib immer neben mir “
Bleib immer neben mir - ein deutsches Frauenleben von Angela Thompson 1
Irgendwo muss ich anfangen, sage ich mir drei Monate nach ihrem Tod, und lasse alles mit der Hochzeit meiner Eltern beginnen.
Von diesem Tag erzählte meine Mutter immer gern. In ihrer Stimme klang auch noch nach all den schrecklichen Erfahrungen eine freudige Erregung mit, so als würde im Augenblick des Erzählens alles noch einmal Gegenwart. Und zuweilen schien es mir, als hätte sie dieses Fest erst noch vor sich und könnte die Zukunft kraft ihrer Worte ganz anders und neu gestalten.
Mit einem Telegramm aus Frankreich, das der Bote an einem Montagmorgen brachte, fing es an, erzählte meine Mutter. Zuerst erschrak ich heftig, denn ein Telegramm war in jenen Zeiten meist kein gutes Zeichen. Ich riss den Umschlag «An Elfriede Richter» hastig auf und las die Worte, immer und immer wieder: «Ankomme Donnerstag, Hochzeit Sonnabend. Kurt.»
Das Blatt Papier zitterte in meinen Händen, die Worte tanzten mir vor den Augen, ich begriff erst nach und nach, was ich da gelesen hatte. Wie im Traum ging ich in die Küche, nahm den Kalender von der Wand. Es war der fünfzehnte, Kurt würde am Donnerstag in Dresden sein, und am Sonnabend, dem 20. April, würden wir heiraten. Mir wurde schwach zumute, ich sank auf einen Stuhl und legte das Telegramm vor mich auf den Küchentisch.
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Da habe ich ja nur fünf Tage Zeit, um mein Brautkleid zu nähen und die Hochzeit vorzubereiten, das schaffe ich doch nie und nimmer! Mein Herz klopfte stark, aber dann durchströmte mich große Freude, und ich wurde ganz ruhig. Es war Krieg, und das Telegramm klang romantisch. Kurt konnte ich sowieso nicht erreichen, um ihm zu sagen, dass Sonnabend zu früh sei. Also blieb mir nichts anderes übrig, als sofort mit den Vorbereitungen zu beginnen. Über die Hochzeit gesprochen hatten wir oft genug. Ich legte das Telegramm, das später mit allem, was wir hatten, verbrannte, beiseite und sah auf die Küchenuhr. Es war früher Vormittag, Zeit genug, um zum Schloss hinüberzulaufen und die Hofkutsche mit den beiden goldenen Löwen und der goldenen Krone auf dem Dach zu bestellen. Das war die schönste der drei sächsischen Hofkutschen, sie war sogar innen golden ausgeschlagen. Ich hatte sie mir immer für meine Hochzeit gewünscht. Der Verwalter hatte dem Papa noch vor Kriegsbeginn versprochen, dass ich die Kutsche bekommen würde. Leider konnte er mir aber nur die zweitbeste geben, die in Altrosa ausgeschlagen war, weil die andere schon vor Wochen bestellt worden war. Und ich bekam auch nur zwei Pferde anstatt vier. <,Es ist Krieg, Fräulein Richter», sagte er leise, als er meine Enttäuschung bemerkte, «die Kutsche mit zwei Pferden ist schon viel. Wie schade, dass Ihr Herr Vater nicht dabei sein kann!»
Ich hatte Geld mitgenommen und bezahlte sofort, damit mir niemand im letzten Moment zuvorkam. Dann lief ich zum Fotografen und machte einen Termin, anschließend ging es im Eilschritt zum Pfarrer. Die Trauung sollte um elf Uhr in der Sophienkirche stattfinden. Als ich auf dem Heimweg war, fiel mir ein, dass ich vergessen hatte, das Aufgebot zu bestellen. Also rannte ich nach Hause, um alle Unterlagen und Urkunden zu holen, dann hetzte ich zum Standesamt und kam dort gerade noch rechtzeitig vor Büroschluss an. Für Kriegstrauungen mussten die Brautleute nicht, wie sonst üblich, das Aufgebot eine ganze Woche im Voraus anmelden. Die Ahnenforschung hatte ich schon zusammengestellt, unter Hitler mussten wir ja den Ariernachweis erbringen. In Schlesien hatte ich unsere Familie bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts zurückverfolgen können, so lange war das Gut des Großvaters schon in unserem Besitz. Als ich wieder in die Fürstenstraße einbog, war ich glücklich, dass ich alle Formalitäten geregelt hatte. Ich hatte den ganzen Tag nichts gegessen und getrunken, mit nur einer Tasse Kaffee und einem Stück Rührkuchen zum Frühstück war ich losgerannt, und plötzlich war mir schlecht vor Hunger. Die Omi - eigentlich meine Mutter, aber ich nannte sie «Omi», wenn ich zu euch von ihr sprach - wartete schon auf mich. Sie war böse, weil ich nicht zu Hause war, als sie aus der Fabrik kam, und es nichts zu essen gab.
«Ich mach uns sofort Abendbrot, komm mit in die Küche», sagte ich und zeigte ihr das Telegramm. Sie war nicht begeistert, dass ich heiratete und dass alles so kurzfristig vorbereitet werden musste, dann half sie mir aber doch und nahm sich auch zwei Tage zum Kochen und Backen frei.
Das Schnittmuster für mein Hochzeitskleid und den dunkelblauen Spitzenumhang für abends hatte ich mir schon vor Monaten gekauft, als Kurt mir die Spitze dafür aus Frankreich geschickt hatte. Nach dem Abendbrot breitete ich den schweren Stoff auf dem Küchentisch aus und steckte das Schnittmuster auf. Am nächsten Morgen erwachte ich vor lauter Aufregung sehr früh und begann noch beim Schein der Lampe, mein Brautkleid zu nähen. Das Ausschneiden der Teile war eine verflixte Arbeit, der lange Rock verschlang viele Meter Spitze. Als ich damit fertig war, nähte ich das Brautkleid in einem durch, bis kurz vor Mitternacht. Am nächsten Tag nähte ich den Saum, fertigte die Stoffschlaufen für die Knöpfe an, die den Rücken bis zur Taille hinuntergingen, und brachte am Mittwoch genug Stoff zu Herrn Zeisig in die Werkstatt, damit er mir die Knöpfe damit überziehen konnte. Anschließend nähte ich mir noch den königsblauen Umhang mit langen Ärmeln, ebenfalls aus einer ganz edlen, hauchzarten Spitze, so dass ich das Kleid auch in der Oper würde anziehen können. Der Mantel war schneller fertig, er wurde in der Taille mit einem langen Band aus derselben Spitze zusammengehalten. Behutsam dämpfte und bügelte ich Kleid und Mantel und hängte beide Teile außen an den Kleiderschrank.
Den Umhang legte ich nach der Hochzeitstafel über, und ich trug beides noch einmal, als Kurt und ich bei seinem nächsten Heimaturlaub in die Oper gingen. Und dann zu deiner Taufe, Anne. Am 13. Februar 1945 sind das Hochzeitskleid und der blaue Mantel verbrannt.
Nachdem ich mit Nähen fertig war, konnte ich mich auf die Vorbereitungen für die Hochzeit konzentrieren. Am Donnerstag, kurz nach Mittag, kam Kurt. Er brachte zwei Kisten Wein mit und Käse. Seine Wäsche musste gewaschen werden, und er war überall im Weg. Zwischendurch setzte er sich mitten in die Küche auf einen Stuhl, um seine Stiefel zu putzen, da hat die Omi aber geschimpft und ihn auf den Balkon geschickt. Seine Uniform sollte er gleich noch am Nachmittag von Herrn Oppau, Papas Schneider, ausbürsten und aufdämpfen lassen.
Zum Polterabend kamen fast alle Gäste, die eingeladen worden waren. Omi hatte unermüdlich für die ganze große Gesellschaft gekocht. Nach der Feier machten sie und Lieselotte, die Verlobte meines Bruders Rolf, bis nach Mitternacht den Aufwasch und deckten den Frühstückstisch, ehe auch sie erschöpft ins Bett fielen. Wenige Stunden später ging es schon weiter. Alle kamen rechtzeitig, denn niemand wollte sich das Frühstück mit je zwei Spiegeleiern, Speck, Brot und Butter entgehen lassen. Es standen auch Bleche mit Kuchen und große Kannen Kaffee bereit.
Während die anderen frühstückten, steckte mir die Friseuse die Haare hoch und war mir beim Anziehen des Brautkleides behilflich. Danach ging alles sehr schnell. Rolf und Lieselotte meldeten uns vom Balkon aus die Ankunft der Kutsche, und als ich bei Kurt eingehakt den Bürgersteig betrat, fragte ich ihn, wer denn fotografieren würde. Ich wollte unbedingt Fotos von uns mit der Kutsche vor unserem Haus auf der Fürstenstraße haben. Wir hatten ursprünglich ausgemacht, dass Kurt die Hochzeitsfotos machen würde. Doch jetzt sagte er zu mir: «Das glaubst du ja wohl selber nicht, dass ich zu meiner eigenen Hochzeit fotografiere! Wie denkst du dir das eigentlich? »
Ich dachte, ich hörte nicht recht und gab zurück: «Aber es war doch dein Vorschlag gewesen. Du wolltest das Geld für den Fotografen sparen. Warum hast du denn gestern nichts gesagt, als ich dir die Filme gegeben habe, dann hätte Rolf fotografieren können!» Mir wurde richtig schlecht bei dem Gedanken, dass wir nun auch keine Fotografien von der kirchlichen Trauung haben würden.
«Es war selbstverständlich für mich, dass zu meiner Hochzeit jemand anders fotografiert», sagte er knapp. Seine Stimme klang fremd und kalt.
«Ja, und warum hast du das dann nicht geregelt? Und wo ist überhaupt deine Kamera?», wollte ich wissen, weil mir plötzlich auffiel, dass ich sie nirgends gesehen hatte.
«Die habe ich nicht mitgebracht», antwortete er trocken.
Da blieb ich ruhig, denn ich wollte vor der Trauung keinen Streit anfangen. Aber am liebsten wäre ich in die Wohnung zurückgerannt und hätte die Hochzeit abgesagt. Die Omi und ich hatten tagelang bis spät in die Nacht geschuftet, um das Fest so schön wie möglich zu machen, und nun sollte es keine Bilder geben, weder von der Kutsche und der Kirche, noch von der gedeckten Tafel mit meinem Meißner Porzellan mit Streublümchenmuster, bei dem jeder Teller und jede Tasse mit anderen Blumen bemalt war. Keine Fotos von der Feier, von den schönen Kuchen und Torten, dem Champagner, den Blumen und unseren Hochzeitsgästen!
Die beiden Knappen in Livree warteten schon auf uns, öffneten den Verschlag, und wir stiegen ein. Einer half den beiden kleinen Mädchen mit meinem Schleier. Die Leute blieben auf der Straße stehen und bestaunten uns. Die Fürstenstraße war am 20. April ein einziges Fahnenmeer, die ganze Stadt war geschmückt. Von allen öffentlichen Gebäuden, vom Schloss und allen Wohnhäusern wehten Fahnen und Girlanden.
Wenn meine Mutter erzählte, wie sie in der Kutsche durch die geschmückte Altstadt fuhren, lachte sie immer glücklich, wie ein junges Mädchen. Ihre Stimme klang warm und ausgelassen. Sie freute sich, wenn wir große Augen machten. Wieso überall Fahnen, wollte ich wissen, aber ich traute mich nie, danach zu fragen. Es dauerte noch Jahre, bis ich begriff, dass der 20. April Hitlers Geburtstag war.
Ich konnte mir als Kind kein richtiges Bild von der Hochzeit meiner Eltern machen, denn ich kannte nur die Nachkriegsnot, aber so, wie meine Mutter die Fahrt in der Hofkutsche und das Fest schilderte, muss es trotz des Fiaskos mit den Fotos eine Märchenhochzeit gewesen sein.
Nach der Trauung gingen wir dann zum Fotografen, der die einzigen Hochzeitsfotos von Kurt und mir machte, beendete meine Mutter ihre Geschichte. Sie sind bei den Bombenangriffen verbrannt. Alles ist verbrannt. Was wir heute haben, gaben uns Verwandte nach den Bombenangriffen zurück.
«Alles ist verbrannt.» Das klang immer wie eine Unglücksformel im Leben meiner Mutter. Nichts erlangte jemals wieder eine so hohe Wichtigkeit wie die Dinge, die in Dresden verbrannten, und das Leben, das für sie damit zerbrach.
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Copyright der Originalausgabe © 2005 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek in Hamburg
Ich hatte Geld mitgenommen und bezahlte sofort, damit mir niemand im letzten Moment zuvorkam. Dann lief ich zum Fotografen und machte einen Termin, anschließend ging es im Eilschritt zum Pfarrer. Die Trauung sollte um elf Uhr in der Sophienkirche stattfinden. Als ich auf dem Heimweg war, fiel mir ein, dass ich vergessen hatte, das Aufgebot zu bestellen. Also rannte ich nach Hause, um alle Unterlagen und Urkunden zu holen, dann hetzte ich zum Standesamt und kam dort gerade noch rechtzeitig vor Büroschluss an. Für Kriegstrauungen mussten die Brautleute nicht, wie sonst üblich, das Aufgebot eine ganze Woche im Voraus anmelden. Die Ahnenforschung hatte ich schon zusammengestellt, unter Hitler mussten wir ja den Ariernachweis erbringen. In Schlesien hatte ich unsere Familie bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts zurückverfolgen können, so lange war das Gut des Großvaters schon in unserem Besitz. Als ich wieder in die Fürstenstraße einbog, war ich glücklich, dass ich alle Formalitäten geregelt hatte. Ich hatte den ganzen Tag nichts gegessen und getrunken, mit nur einer Tasse Kaffee und einem Stück Rührkuchen zum Frühstück war ich losgerannt, und plötzlich war mir schlecht vor Hunger. Die Omi - eigentlich meine Mutter, aber ich nannte sie «Omi», wenn ich zu euch von ihr sprach - wartete schon auf mich. Sie war böse, weil ich nicht zu Hause war, als sie aus der Fabrik kam, und es nichts zu essen gab.
«Ich mach uns sofort Abendbrot, komm mit in die Küche», sagte ich und zeigte ihr das Telegramm. Sie war nicht begeistert, dass ich heiratete und dass alles so kurzfristig vorbereitet werden musste, dann half sie mir aber doch und nahm sich auch zwei Tage zum Kochen und Backen frei.
Das Schnittmuster für mein Hochzeitskleid und den dunkelblauen Spitzenumhang für abends hatte ich mir schon vor Monaten gekauft, als Kurt mir die Spitze dafür aus Frankreich geschickt hatte. Nach dem Abendbrot breitete ich den schweren Stoff auf dem Küchentisch aus und steckte das Schnittmuster auf. Am nächsten Morgen erwachte ich vor lauter Aufregung sehr früh und begann noch beim Schein der Lampe, mein Brautkleid zu nähen. Das Ausschneiden der Teile war eine verflixte Arbeit, der lange Rock verschlang viele Meter Spitze. Als ich damit fertig war, nähte ich das Brautkleid in einem durch, bis kurz vor Mitternacht. Am nächsten Tag nähte ich den Saum, fertigte die Stoffschlaufen für die Knöpfe an, die den Rücken bis zur Taille hinuntergingen, und brachte am Mittwoch genug Stoff zu Herrn Zeisig in die Werkstatt, damit er mir die Knöpfe damit überziehen konnte. Anschließend nähte ich mir noch den königsblauen Umhang mit langen Ärmeln, ebenfalls aus einer ganz edlen, hauchzarten Spitze, so dass ich das Kleid auch in der Oper würde anziehen können. Der Mantel war schneller fertig, er wurde in der Taille mit einem langen Band aus derselben Spitze zusammengehalten. Behutsam dämpfte und bügelte ich Kleid und Mantel und hängte beide Teile außen an den Kleiderschrank.
Den Umhang legte ich nach der Hochzeitstafel über, und ich trug beides noch einmal, als Kurt und ich bei seinem nächsten Heimaturlaub in die Oper gingen. Und dann zu deiner Taufe, Anne. Am 13. Februar 1945 sind das Hochzeitskleid und der blaue Mantel verbrannt.
Nachdem ich mit Nähen fertig war, konnte ich mich auf die Vorbereitungen für die Hochzeit konzentrieren. Am Donnerstag, kurz nach Mittag, kam Kurt. Er brachte zwei Kisten Wein mit und Käse. Seine Wäsche musste gewaschen werden, und er war überall im Weg. Zwischendurch setzte er sich mitten in die Küche auf einen Stuhl, um seine Stiefel zu putzen, da hat die Omi aber geschimpft und ihn auf den Balkon geschickt. Seine Uniform sollte er gleich noch am Nachmittag von Herrn Oppau, Papas Schneider, ausbürsten und aufdämpfen lassen.
Zum Polterabend kamen fast alle Gäste, die eingeladen worden waren. Omi hatte unermüdlich für die ganze große Gesellschaft gekocht. Nach der Feier machten sie und Lieselotte, die Verlobte meines Bruders Rolf, bis nach Mitternacht den Aufwasch und deckten den Frühstückstisch, ehe auch sie erschöpft ins Bett fielen. Wenige Stunden später ging es schon weiter. Alle kamen rechtzeitig, denn niemand wollte sich das Frühstück mit je zwei Spiegeleiern, Speck, Brot und Butter entgehen lassen. Es standen auch Bleche mit Kuchen und große Kannen Kaffee bereit.
Während die anderen frühstückten, steckte mir die Friseuse die Haare hoch und war mir beim Anziehen des Brautkleides behilflich. Danach ging alles sehr schnell. Rolf und Lieselotte meldeten uns vom Balkon aus die Ankunft der Kutsche, und als ich bei Kurt eingehakt den Bürgersteig betrat, fragte ich ihn, wer denn fotografieren würde. Ich wollte unbedingt Fotos von uns mit der Kutsche vor unserem Haus auf der Fürstenstraße haben. Wir hatten ursprünglich ausgemacht, dass Kurt die Hochzeitsfotos machen würde. Doch jetzt sagte er zu mir: «Das glaubst du ja wohl selber nicht, dass ich zu meiner eigenen Hochzeit fotografiere! Wie denkst du dir das eigentlich? »
Ich dachte, ich hörte nicht recht und gab zurück: «Aber es war doch dein Vorschlag gewesen. Du wolltest das Geld für den Fotografen sparen. Warum hast du denn gestern nichts gesagt, als ich dir die Filme gegeben habe, dann hätte Rolf fotografieren können!» Mir wurde richtig schlecht bei dem Gedanken, dass wir nun auch keine Fotografien von der kirchlichen Trauung haben würden.
«Es war selbstverständlich für mich, dass zu meiner Hochzeit jemand anders fotografiert», sagte er knapp. Seine Stimme klang fremd und kalt.
«Ja, und warum hast du das dann nicht geregelt? Und wo ist überhaupt deine Kamera?», wollte ich wissen, weil mir plötzlich auffiel, dass ich sie nirgends gesehen hatte.
«Die habe ich nicht mitgebracht», antwortete er trocken.
Da blieb ich ruhig, denn ich wollte vor der Trauung keinen Streit anfangen. Aber am liebsten wäre ich in die Wohnung zurückgerannt und hätte die Hochzeit abgesagt. Die Omi und ich hatten tagelang bis spät in die Nacht geschuftet, um das Fest so schön wie möglich zu machen, und nun sollte es keine Bilder geben, weder von der Kutsche und der Kirche, noch von der gedeckten Tafel mit meinem Meißner Porzellan mit Streublümchenmuster, bei dem jeder Teller und jede Tasse mit anderen Blumen bemalt war. Keine Fotos von der Feier, von den schönen Kuchen und Torten, dem Champagner, den Blumen und unseren Hochzeitsgästen!
Die beiden Knappen in Livree warteten schon auf uns, öffneten den Verschlag, und wir stiegen ein. Einer half den beiden kleinen Mädchen mit meinem Schleier. Die Leute blieben auf der Straße stehen und bestaunten uns. Die Fürstenstraße war am 20. April ein einziges Fahnenmeer, die ganze Stadt war geschmückt. Von allen öffentlichen Gebäuden, vom Schloss und allen Wohnhäusern wehten Fahnen und Girlanden.
Wenn meine Mutter erzählte, wie sie in der Kutsche durch die geschmückte Altstadt fuhren, lachte sie immer glücklich, wie ein junges Mädchen. Ihre Stimme klang warm und ausgelassen. Sie freute sich, wenn wir große Augen machten. Wieso überall Fahnen, wollte ich wissen, aber ich traute mich nie, danach zu fragen. Es dauerte noch Jahre, bis ich begriff, dass der 20. April Hitlers Geburtstag war.
Ich konnte mir als Kind kein richtiges Bild von der Hochzeit meiner Eltern machen, denn ich kannte nur die Nachkriegsnot, aber so, wie meine Mutter die Fahrt in der Hofkutsche und das Fest schilderte, muss es trotz des Fiaskos mit den Fotos eine Märchenhochzeit gewesen sein.
Nach der Trauung gingen wir dann zum Fotografen, der die einzigen Hochzeitsfotos von Kurt und mir machte, beendete meine Mutter ihre Geschichte. Sie sind bei den Bombenangriffen verbrannt. Alles ist verbrannt. Was wir heute haben, gaben uns Verwandte nach den Bombenangriffen zurück.
«Alles ist verbrannt.» Das klang immer wie eine Unglücksformel im Leben meiner Mutter. Nichts erlangte jemals wieder eine so hohe Wichtigkeit wie die Dinge, die in Dresden verbrannten, und das Leben, das für sie damit zerbrach.
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Copyright der Originalausgabe © 2005 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek in Hamburg
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Bibliographische Angaben
- Autor: Angela Thompson
- 475 Seiten, teilweise Schwarz-Weiß-Abbildungen, Maße: 13,4 x 19,2 cm, Geb. mit Su.
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3828996612
- ISBN-13: 9783828996618
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