Circus Italia
Aus dem Inneren der Unterhaltungsdemokratie
Bella, Bella Berlusconien!
Italien hat sich gewandelt. Wo früher Dolce Vita war, herrscht heute eine Unterhaltungsdemokratie, in der alles erlaubt scheint, was gefällt. Die Grenzen zwischen Fernsehen, Fußball und Politik sind verwischt, und auch die...
Italien hat sich gewandelt. Wo früher Dolce Vita war, herrscht heute eine Unterhaltungsdemokratie, in der alles erlaubt scheint, was gefällt. Die Grenzen zwischen Fernsehen, Fußball und Politik sind verwischt, und auch die...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Circus Italia “
Bella, Bella Berlusconien!
Italien hat sich gewandelt. Wo früher Dolce Vita war, herrscht heute eine Unterhaltungsdemokratie, in der alles erlaubt scheint, was gefällt. Die Grenzen zwischen Fernsehen, Fußball und Politik sind verwischt, und auch die Katastrophen werden zum Teil der großen Show. Birgit Schönau unternimmt eine Reise in das Innere des Circus Italia, stellt sein Personal vor, das Publikum - und wirft einen Blick auf die Schattenseiten des Landes.
Italien hat sich gewandelt. Wo früher Dolce Vita war, herrscht heute eine Unterhaltungsdemokratie, in der alles erlaubt scheint, was gefällt. Die Grenzen zwischen Fernsehen, Fußball und Politik sind verwischt, und auch die Katastrophen werden zum Teil der großen Show. Birgit Schönau unternimmt eine Reise in das Innere des Circus Italia, stellt sein Personal vor, das Publikum - und wirft einen Blick auf die Schattenseiten des Landes.
Klappentext zu „Circus Italia “
Vom Sehnsuchtsort zum Stinkstiefel, so erscheint uns Italien. Arkadien war früher, heute rümpfen wir die Nase. Aber können wir das Land eigentlich noch verstehen? Und ist Italien wirklich Berlusconien? In dieser Italienreise kommen die Protagonisten aus Politik und Fernsehen zu Wort, aber auch die Bürger einer ebenso schillernden wie beunruhigenden Postdemokratie. Ob im separatistischen Norden oder im Mafiabeherrschten Süden, Italien scheint völlig außer Rand und Band. Halb Zirkus, halb Dschungelcamp, und überall gilt das Recht des Stärkeren. Birgit Schönau trifft Bürgermeister, die sich für Sheriffs halten, Minister, die öffentlich Gesetze verbrennen, und Fußballer, die gegen die eigene Regierung spielen. Sie besucht die neuen Herren und die neuen Sklaven am Rande Europas. Sie beschreibt ein Land zwischen Größenwahn und Katastrophe, dessen Bewohner wie Zuschauer im Zirkus erscheinen, die aber sehr genau wissen, was sie tun. Und am Ende steht die Frage: Ist Italien bald überall?
Vom Sehnsuchtsort zum Stinkstiefel, so erscheint uns Italien. Arkadien war früher, heute rümpfen wir die Nase. Aber können wir das Land eigentlich noch verstehen? Und ist Italien wirklich Berlusconien? In dieser Italienreise kommen die Protagonisten aus Politik und Fernsehen zu Wort, aber auch die Bürger einer ebenso schillernden wie beunruhigenden Postdemokratie. Ob im separatistischen Norden oder im Mafiabeherrschten Süden, Italien scheint völlig außer Rand und Band. Halb Zirkus, halb Dschungelcamp, und überall gilt das Recht des Stärkeren. Birgit Schönau trifft Bürgermeister, die sich für Sheriffs halten, Minister, die öffentlich Gesetze verbrennen, und Fußballer, die gegen die eigene Regierung spielen. Sie besucht die neuen Herren und die neuen Sklaven am Rande Europas. Sie beschreibt ein Land zwischen Größenwahn und Katastrophe, dessen Bewohner wie Zuschauer im Zirkus erscheinen, die aber sehr genau wissen, was sie tun. Und am Ende steht die Frage: Ist Italien bald überall?
Lese-Probe zu „Circus Italia “
Circus Italia von Birgit Schönau Vorwort
Wenn aus arkadien Berlusconien wird
Früher einmal war italien der sehnsuchtsort der deutschen.
ein land voller schönheit und sonne, mit endlosen
sandstränden, malerischen Hügeln und uralten
städten. rom, neapel, Venedig, Florenz - jede von ihnen
eine von kunstschätzen strotzende Verheißung. ein
land, bewohnt von herzlichen, stets gut gelaunten Menschen,
für die ihre Familie und die exzellente küche im
Mittelpunkt eines heiteren lebens standen, durch das sie
recht stilvoll auf der Vespa oder im alfa romeo brausten.
Wir, die deutschen, liebten italiens universalkünstler
Michelangelo und leonardo, wir genossen die opern
Verdis und natürlich Filme von regisseuren wie luchino
Visconti und Federico Fellini, mit schauspielern wie
Marcello Mastroianni und sophia loren. denn italien
bedeutete den kult der schönheit und den esprit der eleganz.
Heute aber ist aus italien Berlusconien geworden und
aus unserem arkadien ein schreckgespenst, das uns entsetzt
und enttäuscht. aber wir haben es natürlich immer
auch ein bisschen geahnt. Vielleicht, weil wir so wenig
verstanden haben?
neben der überwältigenden kulisse gab es für uns das
italien der kellner und der Bademeister, der Marktfrauen,
köchinnen und eismacher. ein sympathisches
urlaubsland, das uns keine angst machte, weil es nie
ernsthaft mit uns konkurrieren konnte, mal abgesehen
vom Fußball. Beruhigend harmlos war dieses italien:
ein bisschen chaotisch, ein wenig rückständig, vor allem
ökonomisch nicht ganz auf der Höhe - immerhin kehrten
ihm 600000 italiener den rücken, um als Gastarbeiter in
deutschland zu arbeiten.
... mehr
sicher, es erreichten uns aus unserem sehnsuchtsland
durchaus verstörende nachrichten, darin ging es um
Mafia, terrorismus und neofaschismus. aber so richtig
ernst haben wir das nie genommen. die tragödie passte
in unseren augen nicht zu diesem lebenslustigen, uns
trotz seines alters fast kindlich erscheinenden Volk, das
seine Politik wie eine commedia dell'arte zelebrierte,
mit Wutgerangel im Parlament und dem ringelreihen
der regierungskrisen.
Mit leicht süffisantem unterton gaben unsere seriösen
nachrichtensprecher die nummern immer neuer regierungen
bekannt, und wir verspürten ein wohliges
schwindelgefühl: 50., 59., 61. - unglaublich, diese italiener,
jedes Jahr ein neues kabinett! »italienische Verhältnisse
« wurde zu einem schlagwort unserer leitartikler,
wenn sie vor den deutschen Politikern mahnend den
Zeigefinger schwingen wollten. italienische Verhältnisse,
das bedeutete, im ausland nicht für voll genommen zu
werden. Wobei man großzügig übersah, dass die vielen
regierungen stets aus dem gleichen Personal bestanden
- eigentlich war das italienische system also äußerst
stabil.
sogar beunruhigend stabil, weil es auf festgezurrten
klientelbeziehungen fußte anstatt auf Bürgerrechten und
Bürgerpartizipation. in der feudalistisch geprägten doutdesdemokratie
italien hatte das Volk von seinen Politikern
nicht mehr als Gefälligkeiten zu erwarten und zu
verlangen. die »Geschenke der Politik« sicherten den Politikern
den Machterhalt. nur so ist zu erklären, warum
anfang der 1990er Jahre die etablierten Parteien in den
strudel von korruptionsskandalen gerieten, die schließlich
zur auflösung der christdemokratischen democrazia
cristiana und der sozialistischen Partei führten. Zu diesem
Zeitpunkt hatte sich die Politik des »manus manum
lavat« (eine Hand wäscht die andere) selbst übersteigert
und das system von Bestechung und korruption derart
übertrieben, dass beide seiten nicht mehr von ihm profitieren
konnten.
auf die im ausland viel beachtete »revolution der richter
«, die plötzlich eine gesamte politische klasse abzuurteilen
schienen, folgte aber nicht die demokratische
»normalisierung« italiens, sondern eine restauration,
die das land direkt in die Postdemokratie führte. die
symbolgestalt dieser entwicklung ist silvio Berlusconi.
seit 1994 beherrscht er die politische Bühne seines landes,
obwohl er in dieser Zeit auch Jahre in der opposition
verbrachte. Mit diesem Mann identifizieren wir
heute italien, weil er selbst unsere italienklischees
in
sich zu vereinigen scheint - vor allem jene stereotypen,
die der italienische literaturkritiker Filippo la Porta so
umreißt: »auf der einen seite extrovertiertheit, Warmherzigkeit,
gute küche, sinnenfreude, menschliche anteilnahme,
Geschmack am dolce Far niente, also am
Müßiggang, Phantasie und Familiensinn. andererseits
aber ein Hang zum lärmen, aufdringlichkeit, ein Mangel
an disziplin, Bauernschläue, Feigheit, eine tendenz
zur täuschung bis zum Betrug, ein amoralischer utilitarismus
im dienste der Familie.«
durch Berlusconi ist der tenor der italienBerichterstattung
umgekippt. die leutseligkeit hat offener entrüstung
Platz gemacht, die Bewunderung einer empörten
abgrenzung. so sind wir nicht und so wollen wir
nicht sein! »denn je heuchlerischer, unzuverlässiger, betrügerischer
die italiener sind«, schreibt la Porta, »desto
mehr können die anderen sich im Gegenteil ehrlich,
zuverlässig und loyal fühlen. es ist eine Form der selbsterhöhung
und der selbstabsolution, die immer auch mit
rassismus verbunden ist.«
es stimmt ja. die deutschen können sich besser fühlen,
seitdem aus italien Berlusconien wurde. Wie das eben
geht, wenn man selbst seine Hausaufgaben gemacht hat
und der Banknachbar immer noch nicht. Von Vergangenheitsbewältigung
bis Bürgerkunde, von umweltschutz
über Gesundheitsrefom bis zum abbau der staatsverschuldung
- überall sind die italiener ins Hintertreffen
geraten, bis schließlich deutschland auch noch mehr
Michelinsterne
für seine restaurants ergatterte und ein
deutscher koch der beste küchenchef roms wurde.
so sehr ist silvio Berlusconi Medienstar, so perfekt füllt
er seine rolle aus, irgendwo zwischen Paterfamilias und
Politclown, schurke und circusdirektor, dass die substanz
der Politik und die konturen des landes hinter
seiner überdimensionalen Figur verschwimmen. silvio
Berlusconi ist der erste Politiker, über den in deutschland
abschlussarbeiten im Fach theaterwissenschaften
verfasst werden - ganz offensichtlich, weil er als erster
im demokratischen europa die Grenzen zwischen Politik
und echtem theater vollkommen verwischt hat. Ja,
Berlusconi hat aus italien einen circus italia gemacht,
einmal aufregendes, viel öfter groteskes, ja obszönes Varieté,
in dem das politische Personal raubtierbändiger
und clown ist, illusionskünstler oder trapezakrobat, und
die Bürger sind das zahlende Publikum.
Berlusconi, der selbst seine karriere als animateur auf
kreuzfahrtschiffen begann, bietet seinem Volk heute eine
riesige, weit gefächerte kulturindustrie. dazu gehören
das Fernsehen, das kino, das theater, aber auch Weltliteratur
und regenbogenpresse, Fußball und schulbücher.
und natürlich die Politik. alles gehört mittlerweile Berlusconi,
oder zumindest gehört es zu Berlusconi, der so
aus italien die erste westliche unterhaltungsdemokratie
gemacht hat. richter, staatsanwälte und oppositionelle
haben darin die rolle des schwarzen Peters. Vergebens
versuchen sie, den Helden auszubremsen, und werden
dabei zu lächerlichen, ja verachtenswerten Figuren, zu
spaßverderbern.
die Fokussierung auf die Person Berlusconi wird durch
den Personenkult seiner populistischen Bewegung selbst
auf die spitze getrieben. andererseits lenkt sie aber auch
davon ab, dass nach fast zwei Jahrzehnten der entdemokratisierung
nicht mehr nur Berlusconi selbst das
Problem ist. Man muss nicht gleich so weit gehen und
den Berlusconismus als italienische krankheit bezeichnen
wie dionigi tettamanzi. der kardinal von Mailand
glaubt, dass »italien heute krank ist wie zur Zeit der
großen Pest«, weil sich »die amoralität in allen schichten
unserer Gesellschaft verbreitet«. und man kommt
natürlich schon ins Grübeln, wenn die eltern jener blutjungen
Frauen, die auf den ausschweifenden Privatfesten
des regierungschefs geladen waren, öffentlich äußern:
schade, dass meine tochter nicht Berlusconis Verlobte
ist - bei einem altersunterschied von fast fünfzig Jahren.
da erscheint es, als sei Berlusconi wirklich eine italienische
obsession geworden, eine conditio sine qua non
auf dem Weg zu Wohlstand und Glück. Ganz so, als
hätten die italiener vergessen und verdrängt, dass es zu
dem vulgären circus, der ihr land mit einer tiefen Melancholie
überzieht, durchaus noch eine alternative gäbe.
aber ist italien wirklich ein krankes land? und wenn ja,
wie sähe dann ein gesundes italien aus? Gibt es das überhaupt
(noch): eine gesunde, stabile demokratie? oder
ist italien nur das erste Beispiel für eine allgemeine ermüdung
europäischer spätgesellschaften, in denen schillernde
Formen des Populismus das reformwesen früherer
Zeiten unaufhaltsam ablösen?
»anything goes, aber nur wenig vorwärts, so scheint das
Überlebensmotto eines neuen Politikerschlags zu lauten,
der in Berlusconi seinen extravaganten Prototypen hat,
aber nicht nur in italien anzutreffen ist«, schreibt der
Historiker Hans Woller in der von ihm herausgegebenen
aufsatzsammlung »Berlusconi an der Macht«. allem anschein
nach, so Woller, gebe es »in der irritierenden unübersichtlichkeit
der globalisierten Welt eine beträchtliche
gesellschaftliche nachfrage nach dieser art von
simulierter stärke, die mit ihren eingängigen Parolen
und billigen inszenierungen kaum mehr als Politikerersatz
sind«.
in italien wird der Berlusconismus inzwischen als postdemokratische
ideologie eingeordnet, die ihren erfinder
Berlusconi noch überdauern könnte. der schriftsteller
umberto eco spricht von einem »defactoregime« und
einer »Mediendiktatur«, der Politologe Gian enrico rusconi
warnt vor einem »demokratischen Populismus«, bei
dem »nur noch die Wahlen demokratisch (sind), deren
ergebnisse alles zu legitimieren scheinen, auch eine entgrenzte
selbstbedienungsmentalität, die es dem Gewinner
erlaubt, sich das zu nehmen, was er will«. dieser
Gewinner hat es dennoch nie geschafft, das land vollkommen
unter seine kontrolle zu bringen. es gibt Pressefreiheit,
es herrscht Meinungsfreiheit. und doch hat
eine kulturrevolution stattgefunden, in der eine Mehrheit
die aushöhlung der eigenen demokratie widerstandslos
oder sogar zustimmend hinnimmt.
Wie aber sieht es aus, das italien von heute? Welche
Menschen bevölkern es und welche rolle spielen sie im
großen circus Berlusconi? sind es Zyniker, ahnungslose,
Masochisten?
um auf diese Fragen eine antwort zu finden, muss
man italien bereisen, und deshalb ist dieses Buch vor allem
dies: eine italienreise.
die erkundung eines faszinierenden
landes, in dem archaisches und Postmodernes,
unternehmertum und organisiertes Verbrechen,
showbusiness und sklaverei nebeneinander existieren.
ein gespaltenes land, in dem die eine Hälfte den Berlusconismus
ermöglicht, um von ihm zu profitieren, während
die andere Hälfte zutiefst an ihrem land leidet.
denn viele italiener fühlen sich fremd in ihrer eigenen
Heimat, ausgeschlossen von einem spektakel, in dem die
Bürger zu Zuschauern herabgewürdigt werden und die
Wähler zu Fangruppen. Viele engagieren sich dennoch
für ihre demokratie, etwa in der ehrenamtlichen sozialarbeit
oder in der äußerst lebendigen antimafiabewegung.
die italienische Zivilgesellschaft ist nicht verschwunden,
sie wird jedoch ausgeblendet von einer Politik, die sich
wie eine oligarchische »kaste« auf die Verteidigung der
eigenen Privilegien konzentriert und die anteilnahme
der Bürger deshalb als ebenso überflüssig wie lästig empfindet.
auch dieses szenarium ist womöglich nicht auf
italien beschränkt. eine italienische spezialität bleibt
jedoch, das Wort »Bürger« systematisch durch »italiener
« zu ersetzen. so hat der Berlusconismus seine eigene
sprache gefunden, in der die schlüsselbegriffe der
demokratie beschlagnahmt, verhöhnt und ad absurdum
geführt wurden. nicht von ungefähr wandelte sich Berlusconis
Partei von »Forza italia« (Vorwärts italien) zum
»Freiheitsvolk«, wurde der gewählte Parteivorsitzende
zum autoritären »leader« (das englische Wort für
»Führer« klingt immerhin neutraler als das italienische
»capo« oder gar »duce«) und hießen regierungsämter
»Ministerium für Vereinfachung«.
Während dieses Buch erscheint, sieht es so aus, als wäre
der Politiker Berlusconi wieder einmal am ende. der
stern des großen kommunikators ist verblasst, bald wird
er erlöschen, das liegt in der natur eines Populismus,
der immer nur auf die Gegenwart des eigenen Machterhalts
ausgerichtet war und nie auf die Zukunft des
landes. in der agonie des Berlusconismus erscheint
jedoch ganz italien als seltsam gelähmtes, konfuses land
ohne selbstvertrauen und Zuversicht für die chance ei-
ner wirklichen Wende und eines gründlichen Wiederaufbaus.
die italiener scheinen verinnerlicht zu haben, was
ihnen in sechzehn Jahren Berlusconismus eingehämmert
wurde: Zu Berlusconi gibt es anscheinend keine alternative.
dieses Buch ist deshalb auch eine tour durch ein
verstörtes, verunsichertes land, das nicht mehr wagt, an
sich selbst zu glauben.
Meine spurensuche führt mich von norden nach süden,
aus dem Venetien der separatisten von der lega nord
über Mailand und die alte renaissancemetropole Florenz,
die Hauptstadt rom und neapel über apulien und
kalabrien bis nach sizilien.
in norditalien habe ich unternehmer getroffen, in der
Mitte Fußballer, Parlamentarier und Journalisten, im süden
Mafiosi und Heilige, Meeresbiologen und Gefängnisdirektoren
- und jene immigranten, die italien schon
seit Jahrzehnten ein neues, multikulturelles Gesicht geben.
es ist eine reise in das innere eines landes, das sich
immer wieder als ein riesiges, vielfältiges laboratorium
entpuppt, voller liberalität und exzessivem individualismus,
patriarchalischer autorität und unabhängigkeit,
Gewalt, aber auch großer und einnehmender Menschlichkeit.
dieses land darf man weder belächeln noch
verachten, man sollte es bestaunen, erfahren, immer neu
entdecken. und natürlich lieben.
kapitel i
Verona: der Sheriff und seine stadt
Wie die Lega Nord Venetien beherrscht
ein heller Frühlingstag in Verona, die alpen im rücken,
mag man schon draußen in der sonne sitzen. es ist elf
uhr morgens, Zeit für den letzten cappuccino oder das
erste Glas Weißwein. auf der Piazza delle erbe drängen
sich die Gemüsestände mit radicchio, artischocken und
saubohnen, die Bänke mit Haushaltswaren und kleidern.
durch das Gewühl von Händlern und kunden,
zwischen Brunnen und renaissancesäulen schieben sich
schulklassen und touristen auf dem Weg zum Haus, wo
shakespeares Heldin Julia ihren romeo erhört haben
soll. die liebe, die Familienfehde, die Montagues und
capulets, der tod, die Versöhnung: säulen für Weltliteratur.
Julias Haus mit dem Balkon ist so real, dass
Verona bis heute ganz gut von der berühmtesten liebesgeschichte
des theaters lebt.
und natürlich vom alten amphitheater, der römischen
arena, den großen, dort ein wenig zu bunt inszenierten
opern. Verona müsste eigentlich eine der Welthauptstädte
der Musen sein, eine kapitale leichter dichtung
und lichter dramen. aber dann schlägt man auf der
Piazze delle erbe mit ihren prachtvollen Fassaden und
Blumenbalkonen die tageszeitung auf, sie heißt sinniger
weise L'Arena und ist genauso trostlos prosaisch wie ein
polizeiliches Bulletin. Hier ein drogenhändler aus tunesien
festgenommen, dort ein transsexueller aus Brasilien
geschnappt, dazu ein albaner wegen tierquälerei verurteilt,
zu schweigen von dem betrunkenen Polen, der
eine einheimische totgefahren hat. das alles in Verona,
italiens erster adresse gleich hinter dem Gardasee. ausgerechnet
in Verona, dieser opernbühne unter freiem
Himmel, mit ihren peinlich aufgeräumten straßen, den
einladend freundlichen kirchen, den luxusläden, an deren
eingangstüren steht: Weitere Filialen in Paris, rom
und capri. so satt wirkt Verona, so offen und heiter,
so schwebend im vollen Märzenlicht. ist das denn nur
schöner schein?
»nicht alles ist hier Gold, was glänzt«, brummt auf der
terrasse des caffè Filippini ein straffer, braun gebrannter
sechzigjähriger in sein Weinglas. »aber immerhin tut die
Polizei jetzt endlich etwas. denn der tosi räumt auf.« eigentlich
sagt er im weichen dialekt Venetiens: »der tosi
hämmert gut.« es klingt zufrieden. und erwartungsfroh.
»die Bettler«, knarzt der signore, »überall lungerten sie
herum. Jetzt sind alle weg. Haben sie hier einen Bettler
gesehen? Ja, und dann die ausländer. Man traute sich
ja kaum noch aus dem Haus. aber tosi, der schafft jetzt
ordnung.« ein Hammer, dieser tosi. Fegt mit eisernem
Besen durch seine 200000einwohnerstadt,
hat sich
den ehrentitel erhämmert: »sheriff von Verona.« klingt
gnadenlos und ist wohl auch so gemeint.
Geldbußen für die Freier am straßenstrich, immer
mehr Festnahmen der fliegenden Händler an der arena
und der Fensterputzer an den ampeln, razzias in den
dönerbuden, räumung von romalagern.
© Weltbild
sicher, es erreichten uns aus unserem sehnsuchtsland
durchaus verstörende nachrichten, darin ging es um
Mafia, terrorismus und neofaschismus. aber so richtig
ernst haben wir das nie genommen. die tragödie passte
in unseren augen nicht zu diesem lebenslustigen, uns
trotz seines alters fast kindlich erscheinenden Volk, das
seine Politik wie eine commedia dell'arte zelebrierte,
mit Wutgerangel im Parlament und dem ringelreihen
der regierungskrisen.
Mit leicht süffisantem unterton gaben unsere seriösen
nachrichtensprecher die nummern immer neuer regierungen
bekannt, und wir verspürten ein wohliges
schwindelgefühl: 50., 59., 61. - unglaublich, diese italiener,
jedes Jahr ein neues kabinett! »italienische Verhältnisse
« wurde zu einem schlagwort unserer leitartikler,
wenn sie vor den deutschen Politikern mahnend den
Zeigefinger schwingen wollten. italienische Verhältnisse,
das bedeutete, im ausland nicht für voll genommen zu
werden. Wobei man großzügig übersah, dass die vielen
regierungen stets aus dem gleichen Personal bestanden
- eigentlich war das italienische system also äußerst
stabil.
sogar beunruhigend stabil, weil es auf festgezurrten
klientelbeziehungen fußte anstatt auf Bürgerrechten und
Bürgerpartizipation. in der feudalistisch geprägten doutdesdemokratie
italien hatte das Volk von seinen Politikern
nicht mehr als Gefälligkeiten zu erwarten und zu
verlangen. die »Geschenke der Politik« sicherten den Politikern
den Machterhalt. nur so ist zu erklären, warum
anfang der 1990er Jahre die etablierten Parteien in den
strudel von korruptionsskandalen gerieten, die schließlich
zur auflösung der christdemokratischen democrazia
cristiana und der sozialistischen Partei führten. Zu diesem
Zeitpunkt hatte sich die Politik des »manus manum
lavat« (eine Hand wäscht die andere) selbst übersteigert
und das system von Bestechung und korruption derart
übertrieben, dass beide seiten nicht mehr von ihm profitieren
konnten.
auf die im ausland viel beachtete »revolution der richter
«, die plötzlich eine gesamte politische klasse abzuurteilen
schienen, folgte aber nicht die demokratische
»normalisierung« italiens, sondern eine restauration,
die das land direkt in die Postdemokratie führte. die
symbolgestalt dieser entwicklung ist silvio Berlusconi.
seit 1994 beherrscht er die politische Bühne seines landes,
obwohl er in dieser Zeit auch Jahre in der opposition
verbrachte. Mit diesem Mann identifizieren wir
heute italien, weil er selbst unsere italienklischees
in
sich zu vereinigen scheint - vor allem jene stereotypen,
die der italienische literaturkritiker Filippo la Porta so
umreißt: »auf der einen seite extrovertiertheit, Warmherzigkeit,
gute küche, sinnenfreude, menschliche anteilnahme,
Geschmack am dolce Far niente, also am
Müßiggang, Phantasie und Familiensinn. andererseits
aber ein Hang zum lärmen, aufdringlichkeit, ein Mangel
an disziplin, Bauernschläue, Feigheit, eine tendenz
zur täuschung bis zum Betrug, ein amoralischer utilitarismus
im dienste der Familie.«
durch Berlusconi ist der tenor der italienBerichterstattung
umgekippt. die leutseligkeit hat offener entrüstung
Platz gemacht, die Bewunderung einer empörten
abgrenzung. so sind wir nicht und so wollen wir
nicht sein! »denn je heuchlerischer, unzuverlässiger, betrügerischer
die italiener sind«, schreibt la Porta, »desto
mehr können die anderen sich im Gegenteil ehrlich,
zuverlässig und loyal fühlen. es ist eine Form der selbsterhöhung
und der selbstabsolution, die immer auch mit
rassismus verbunden ist.«
es stimmt ja. die deutschen können sich besser fühlen,
seitdem aus italien Berlusconien wurde. Wie das eben
geht, wenn man selbst seine Hausaufgaben gemacht hat
und der Banknachbar immer noch nicht. Von Vergangenheitsbewältigung
bis Bürgerkunde, von umweltschutz
über Gesundheitsrefom bis zum abbau der staatsverschuldung
- überall sind die italiener ins Hintertreffen
geraten, bis schließlich deutschland auch noch mehr
Michelinsterne
für seine restaurants ergatterte und ein
deutscher koch der beste küchenchef roms wurde.
so sehr ist silvio Berlusconi Medienstar, so perfekt füllt
er seine rolle aus, irgendwo zwischen Paterfamilias und
Politclown, schurke und circusdirektor, dass die substanz
der Politik und die konturen des landes hinter
seiner überdimensionalen Figur verschwimmen. silvio
Berlusconi ist der erste Politiker, über den in deutschland
abschlussarbeiten im Fach theaterwissenschaften
verfasst werden - ganz offensichtlich, weil er als erster
im demokratischen europa die Grenzen zwischen Politik
und echtem theater vollkommen verwischt hat. Ja,
Berlusconi hat aus italien einen circus italia gemacht,
einmal aufregendes, viel öfter groteskes, ja obszönes Varieté,
in dem das politische Personal raubtierbändiger
und clown ist, illusionskünstler oder trapezakrobat, und
die Bürger sind das zahlende Publikum.
Berlusconi, der selbst seine karriere als animateur auf
kreuzfahrtschiffen begann, bietet seinem Volk heute eine
riesige, weit gefächerte kulturindustrie. dazu gehören
das Fernsehen, das kino, das theater, aber auch Weltliteratur
und regenbogenpresse, Fußball und schulbücher.
und natürlich die Politik. alles gehört mittlerweile Berlusconi,
oder zumindest gehört es zu Berlusconi, der so
aus italien die erste westliche unterhaltungsdemokratie
gemacht hat. richter, staatsanwälte und oppositionelle
haben darin die rolle des schwarzen Peters. Vergebens
versuchen sie, den Helden auszubremsen, und werden
dabei zu lächerlichen, ja verachtenswerten Figuren, zu
spaßverderbern.
die Fokussierung auf die Person Berlusconi wird durch
den Personenkult seiner populistischen Bewegung selbst
auf die spitze getrieben. andererseits lenkt sie aber auch
davon ab, dass nach fast zwei Jahrzehnten der entdemokratisierung
nicht mehr nur Berlusconi selbst das
Problem ist. Man muss nicht gleich so weit gehen und
den Berlusconismus als italienische krankheit bezeichnen
wie dionigi tettamanzi. der kardinal von Mailand
glaubt, dass »italien heute krank ist wie zur Zeit der
großen Pest«, weil sich »die amoralität in allen schichten
unserer Gesellschaft verbreitet«. und man kommt
natürlich schon ins Grübeln, wenn die eltern jener blutjungen
Frauen, die auf den ausschweifenden Privatfesten
des regierungschefs geladen waren, öffentlich äußern:
schade, dass meine tochter nicht Berlusconis Verlobte
ist - bei einem altersunterschied von fast fünfzig Jahren.
da erscheint es, als sei Berlusconi wirklich eine italienische
obsession geworden, eine conditio sine qua non
auf dem Weg zu Wohlstand und Glück. Ganz so, als
hätten die italiener vergessen und verdrängt, dass es zu
dem vulgären circus, der ihr land mit einer tiefen Melancholie
überzieht, durchaus noch eine alternative gäbe.
aber ist italien wirklich ein krankes land? und wenn ja,
wie sähe dann ein gesundes italien aus? Gibt es das überhaupt
(noch): eine gesunde, stabile demokratie? oder
ist italien nur das erste Beispiel für eine allgemeine ermüdung
europäischer spätgesellschaften, in denen schillernde
Formen des Populismus das reformwesen früherer
Zeiten unaufhaltsam ablösen?
»anything goes, aber nur wenig vorwärts, so scheint das
Überlebensmotto eines neuen Politikerschlags zu lauten,
der in Berlusconi seinen extravaganten Prototypen hat,
aber nicht nur in italien anzutreffen ist«, schreibt der
Historiker Hans Woller in der von ihm herausgegebenen
aufsatzsammlung »Berlusconi an der Macht«. allem anschein
nach, so Woller, gebe es »in der irritierenden unübersichtlichkeit
der globalisierten Welt eine beträchtliche
gesellschaftliche nachfrage nach dieser art von
simulierter stärke, die mit ihren eingängigen Parolen
und billigen inszenierungen kaum mehr als Politikerersatz
sind«.
in italien wird der Berlusconismus inzwischen als postdemokratische
ideologie eingeordnet, die ihren erfinder
Berlusconi noch überdauern könnte. der schriftsteller
umberto eco spricht von einem »defactoregime« und
einer »Mediendiktatur«, der Politologe Gian enrico rusconi
warnt vor einem »demokratischen Populismus«, bei
dem »nur noch die Wahlen demokratisch (sind), deren
ergebnisse alles zu legitimieren scheinen, auch eine entgrenzte
selbstbedienungsmentalität, die es dem Gewinner
erlaubt, sich das zu nehmen, was er will«. dieser
Gewinner hat es dennoch nie geschafft, das land vollkommen
unter seine kontrolle zu bringen. es gibt Pressefreiheit,
es herrscht Meinungsfreiheit. und doch hat
eine kulturrevolution stattgefunden, in der eine Mehrheit
die aushöhlung der eigenen demokratie widerstandslos
oder sogar zustimmend hinnimmt.
Wie aber sieht es aus, das italien von heute? Welche
Menschen bevölkern es und welche rolle spielen sie im
großen circus Berlusconi? sind es Zyniker, ahnungslose,
Masochisten?
um auf diese Fragen eine antwort zu finden, muss
man italien bereisen, und deshalb ist dieses Buch vor allem
dies: eine italienreise.
die erkundung eines faszinierenden
landes, in dem archaisches und Postmodernes,
unternehmertum und organisiertes Verbrechen,
showbusiness und sklaverei nebeneinander existieren.
ein gespaltenes land, in dem die eine Hälfte den Berlusconismus
ermöglicht, um von ihm zu profitieren, während
die andere Hälfte zutiefst an ihrem land leidet.
denn viele italiener fühlen sich fremd in ihrer eigenen
Heimat, ausgeschlossen von einem spektakel, in dem die
Bürger zu Zuschauern herabgewürdigt werden und die
Wähler zu Fangruppen. Viele engagieren sich dennoch
für ihre demokratie, etwa in der ehrenamtlichen sozialarbeit
oder in der äußerst lebendigen antimafiabewegung.
die italienische Zivilgesellschaft ist nicht verschwunden,
sie wird jedoch ausgeblendet von einer Politik, die sich
wie eine oligarchische »kaste« auf die Verteidigung der
eigenen Privilegien konzentriert und die anteilnahme
der Bürger deshalb als ebenso überflüssig wie lästig empfindet.
auch dieses szenarium ist womöglich nicht auf
italien beschränkt. eine italienische spezialität bleibt
jedoch, das Wort »Bürger« systematisch durch »italiener
« zu ersetzen. so hat der Berlusconismus seine eigene
sprache gefunden, in der die schlüsselbegriffe der
demokratie beschlagnahmt, verhöhnt und ad absurdum
geführt wurden. nicht von ungefähr wandelte sich Berlusconis
Partei von »Forza italia« (Vorwärts italien) zum
»Freiheitsvolk«, wurde der gewählte Parteivorsitzende
zum autoritären »leader« (das englische Wort für
»Führer« klingt immerhin neutraler als das italienische
»capo« oder gar »duce«) und hießen regierungsämter
»Ministerium für Vereinfachung«.
Während dieses Buch erscheint, sieht es so aus, als wäre
der Politiker Berlusconi wieder einmal am ende. der
stern des großen kommunikators ist verblasst, bald wird
er erlöschen, das liegt in der natur eines Populismus,
der immer nur auf die Gegenwart des eigenen Machterhalts
ausgerichtet war und nie auf die Zukunft des
landes. in der agonie des Berlusconismus erscheint
jedoch ganz italien als seltsam gelähmtes, konfuses land
ohne selbstvertrauen und Zuversicht für die chance ei-
ner wirklichen Wende und eines gründlichen Wiederaufbaus.
die italiener scheinen verinnerlicht zu haben, was
ihnen in sechzehn Jahren Berlusconismus eingehämmert
wurde: Zu Berlusconi gibt es anscheinend keine alternative.
dieses Buch ist deshalb auch eine tour durch ein
verstörtes, verunsichertes land, das nicht mehr wagt, an
sich selbst zu glauben.
Meine spurensuche führt mich von norden nach süden,
aus dem Venetien der separatisten von der lega nord
über Mailand und die alte renaissancemetropole Florenz,
die Hauptstadt rom und neapel über apulien und
kalabrien bis nach sizilien.
in norditalien habe ich unternehmer getroffen, in der
Mitte Fußballer, Parlamentarier und Journalisten, im süden
Mafiosi und Heilige, Meeresbiologen und Gefängnisdirektoren
- und jene immigranten, die italien schon
seit Jahrzehnten ein neues, multikulturelles Gesicht geben.
es ist eine reise in das innere eines landes, das sich
immer wieder als ein riesiges, vielfältiges laboratorium
entpuppt, voller liberalität und exzessivem individualismus,
patriarchalischer autorität und unabhängigkeit,
Gewalt, aber auch großer und einnehmender Menschlichkeit.
dieses land darf man weder belächeln noch
verachten, man sollte es bestaunen, erfahren, immer neu
entdecken. und natürlich lieben.
kapitel i
Verona: der Sheriff und seine stadt
Wie die Lega Nord Venetien beherrscht
ein heller Frühlingstag in Verona, die alpen im rücken,
mag man schon draußen in der sonne sitzen. es ist elf
uhr morgens, Zeit für den letzten cappuccino oder das
erste Glas Weißwein. auf der Piazza delle erbe drängen
sich die Gemüsestände mit radicchio, artischocken und
saubohnen, die Bänke mit Haushaltswaren und kleidern.
durch das Gewühl von Händlern und kunden,
zwischen Brunnen und renaissancesäulen schieben sich
schulklassen und touristen auf dem Weg zum Haus, wo
shakespeares Heldin Julia ihren romeo erhört haben
soll. die liebe, die Familienfehde, die Montagues und
capulets, der tod, die Versöhnung: säulen für Weltliteratur.
Julias Haus mit dem Balkon ist so real, dass
Verona bis heute ganz gut von der berühmtesten liebesgeschichte
des theaters lebt.
und natürlich vom alten amphitheater, der römischen
arena, den großen, dort ein wenig zu bunt inszenierten
opern. Verona müsste eigentlich eine der Welthauptstädte
der Musen sein, eine kapitale leichter dichtung
und lichter dramen. aber dann schlägt man auf der
Piazze delle erbe mit ihren prachtvollen Fassaden und
Blumenbalkonen die tageszeitung auf, sie heißt sinniger
weise L'Arena und ist genauso trostlos prosaisch wie ein
polizeiliches Bulletin. Hier ein drogenhändler aus tunesien
festgenommen, dort ein transsexueller aus Brasilien
geschnappt, dazu ein albaner wegen tierquälerei verurteilt,
zu schweigen von dem betrunkenen Polen, der
eine einheimische totgefahren hat. das alles in Verona,
italiens erster adresse gleich hinter dem Gardasee. ausgerechnet
in Verona, dieser opernbühne unter freiem
Himmel, mit ihren peinlich aufgeräumten straßen, den
einladend freundlichen kirchen, den luxusläden, an deren
eingangstüren steht: Weitere Filialen in Paris, rom
und capri. so satt wirkt Verona, so offen und heiter,
so schwebend im vollen Märzenlicht. ist das denn nur
schöner schein?
»nicht alles ist hier Gold, was glänzt«, brummt auf der
terrasse des caffè Filippini ein straffer, braun gebrannter
sechzigjähriger in sein Weinglas. »aber immerhin tut die
Polizei jetzt endlich etwas. denn der tosi räumt auf.« eigentlich
sagt er im weichen dialekt Venetiens: »der tosi
hämmert gut.« es klingt zufrieden. und erwartungsfroh.
»die Bettler«, knarzt der signore, »überall lungerten sie
herum. Jetzt sind alle weg. Haben sie hier einen Bettler
gesehen? Ja, und dann die ausländer. Man traute sich
ja kaum noch aus dem Haus. aber tosi, der schafft jetzt
ordnung.« ein Hammer, dieser tosi. Fegt mit eisernem
Besen durch seine 200000einwohnerstadt,
hat sich
den ehrentitel erhämmert: »sheriff von Verona.« klingt
gnadenlos und ist wohl auch so gemeint.
Geldbußen für die Freier am straßenstrich, immer
mehr Festnahmen der fliegenden Händler an der arena
und der Fensterputzer an den ampeln, razzias in den
dönerbuden, räumung von romalagern.
© Weltbild
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Autoren-Porträt von Birgit Schönau
Birgit Schönau, geb. 1966 in Westfalen, lebt nach dem Studium der Geschichte und Journalistik seit 1992 in Rom und beobachtete jeden Schritt der politischen Karriere Silvio Berlusconis. Sie berichtet für die Süddeutsche Zeitung und die Wochenzeitung DIE ZEIT.
Bibliographische Angaben
- Autor: Birgit Schönau
- 2011, 219 Seiten, Maße: 13,1 x 21,4 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: BERLIN VERLAG
- ISBN-10: 3827009855
- ISBN-13: 9783827009852
- Erscheinungsdatum: 12.03.2011
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