Cosa Nostra
Korruption, Erpressung, kaltblütiger Mord. Das ist das wahre Gesicht hinter dem Mythos Mafia. Sie ist die berüchtigste kriminelle Organisation der Welt, eine verschworene und gewalttätige Geheimgesellschaft. Lesen Sie hier alles über die Geschichte der...
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenlose Rücksendung
Korruption, Erpressung, kaltblütiger Mord. Das ist das wahre Gesicht hinter dem Mythos Mafia. Sie ist die berüchtigste kriminelle Organisation der Welt, eine verschworene und gewalttätige Geheimgesellschaft. Lesen Sie hier alles über die Geschichte der ''Cosa Nostra'' völlig jenseits des ''Paten''-Mythos.
Cosa Nostra von John Dickie
LESEPROBE
Ehrenmänner
UnzähligeFilme und Romane haben dazu beigetragen, der Mafia
einendüsteren Glanz zu verleihen. Derartige Mafiageschichten
wirkenüberzeugend, weil sie das Alltägliche dramatisieren: Sie beschwören
jeneHochspannung herauf, die aus der Kombination von
Gefahr undgewissenloser Durchtriebenheit erwächst. In der Welt
derKinomafia werden Konflikte, von denen jeder betroffen ist -
Konflikteum konkurrierende Bestrebungen, Verantwortung und
Familie -,zu einer Frage von Leben und Tod.
DieBehauptung, Literatur und Film zeichneten ein falsches Bild
der Mafia,wäre sowohl naiv als auch unrichtig - aber das Bild ist
stilisiert.Wie alle anderen Menschen, so sehen auch Mafiosi gern
fern, undsie gehen ins Kino; dann haben sie Spaß daran, im Film
eine stilisierteVersion ihres eigenen Alltags zu sehen. Tommaso
Buscettawar ein Fan von Der Pate, allerdings war die Szene am
Ende, inder die anderen Mafiosi die Hand von Michael Corleone
küssen, inseinen Augen unrealistisch. Die widersprüchlichen
Ziele, dieeine fiktive Gestalt wie Al Pacinos Michael Corleone motivieren
- Ehrgeiz,Verantwortungsgefühl, Familie -, nehmen tatsächlich
auch imLeben der wirklichen Mafiaangehörigen eine zentrale
Stellungein.
Einoffenkundiger Unterschied besteht allerdings darin, dass in
derentsetzlichen Wirklichkeit der Cosa Nostra vom Glanz des
Kinosnicht das Geringste übrig bleibt. Und es gibt auch einen weniger
naheliegenden, letztlich aber noch wichtigeren Unterschied:
Während esin der Geschichte von Michael Corleone um die moralischen
Gefahreneiner unkontrollierten Machtausübung geht, sind
diewirklichen Mitglieder der sizilianischen Mafia besessen von den
Ehrenregeln,die ihre Handlungsweise beschränken. Ein Ehrenmann
kann dieseRegeln umgehen, manipulieren oder neu schreiben,
aber erist sich immer bewusst, dass sie darüber bestimmen,
wie er vonseinesgleichen wahrgenommen wird. Damit soll nicht
gesagtwerden, dass die Vorstellungen der Mafia von Ehre sonderlich
viel»Ehrenhaftes« im herkömmlichen Sinn hätten. Der Begriff
»Ehre« hatinnerhalb der Cosa Nostra eine ganz besondere Bedeutung,
sodass erden Mitgliedern der Organisation als Motiv für
dieabscheulichsten Taten dienen kann. Ein gutes Beispiel ist
GiovanniBrusca, der Mann, der den Zünder der Bombe von Capaci
betätigte.
Brusca warin Cosa-Nostra-Kreisen als »lo scannacristiani« bekannt,
»der Mann,der Christen die Kehle durchschneidet«. Das
Wort»Christ« ist in Sizilien gleichbedeutend mit »Mensch«, in der
Mafiajedoch bedeutet es »Ehrenmann«. Brusca gehörte zu einem
Killerkommando,das unmittelbar Totò Riina unterstand, dem
»Boss derBosse« und Anführer der Corleonesi. Auch nach dem
Anschlagvon Capaci war Brusca nicht untätig. Er tötete den Boss
derFamilie Alcamo, der sich Riinas Autorität immer stärker
widersetzte.Wenige Tage später erdrosselten Angehörige von
BruscasTodesschwadron die schwangere Freundin des Mannes.
Anschließendermordete Brusca einen auffallend reichen Geschäftsmann
undEhrenmann, der es versäumt hatte, die Mafia
mit Hilfeseiner politischen Verbindungen vor dem Mammutprozess
zuschützen.
Und es kamnoch schlimmer. »lo scannacristiani« war mit Santino
Di Matteobefreundet, einem weiteren Ehrenmann, dessen kleiner
SohnGiuseppe im Garten der Familie mit Brusca spielte. Aber
irgendwannentschloss sich Santino Di Matteo, die Geheimnisse der
Cosa Nostraan die Behörden zu verraten. Als erster Mafiaangehöriger
erzählteer den Ermittlern, wie man den Mord an
Falconeausgeführt hatte. Daraufhin kidnappte Brusca den kleinen
GiuseppeDi Matteo aus einem Reitstadion und hielt ihn 26 Monate
lang ineinem Keller gefangen. Im Januar 1996 schließlich, als
Giuseppevierzehn war, befahl Brusca, ihn zu erdrosseln und die
Leiche inSäure aufzulösen.
Am 20. Mai1996 wurde »lo scannacristiani« auf dem Land nicht
weit vonAgrigent festgenommen. Vierhundert Polizeibeamte umstellten
dasschachtelförmige, zweistöckige Gebäude, in dem er sich
versteckthielt. Gegen 21 Uhr stürmte ein dreißigköpfiges Einsatzkommando
durchTüren und Fenster das Haus. Drinnen saßen
Brusca undseine Familie an einem Tisch und sahen sich im Fernsehen
eineSendung über Giovanni Falcone an - in zwei Tagen stand
der vierteJahrestag der Ermordung bevor. Im Schlafzimmer entdeckte
diePolizei einen ganzen Schrank voller Versace- und Armani-
Kleidung,und in einer großen roten Tasche befand sich amerikanisches
unditalienisches Geld im Wert von 15 000 Dollar, zwei
Handys undSchmuck, darunter Armbanduhren von Cartier. Auf
dem Tischim Esszimmer fand man eine kurzläufige Pistole aus
Kunststoff,die Bruscas kleinem Sohn Davide gehörte.
Heutearbeitet Brusca mit der Justiz zusammen. Seinem eigenen,
beunruhigenddetaillierten Geständnis zufolge hat er »viel mehr als
hundert,aber weniger als zweihundert« Menschen getötet. Über
den Mordan Giuseppe Di Matteo berichtete er:
»Hätte icheinen Augenblick länger Zeit zum Überlegen gehabt, ein wenig
mehr Ruhezum Nachdenken wie bei den anderen Verbrechen, dann gäbe
esvielleicht eine Hoffung von eins zu tausend oder eins zu einer Million,
dass dasKind heute noch am Leben ist. Aber heute wäre es nutzlos, wenn
ich es zurechtfertigen versuchte. Ich habe es damals nicht genügend
durchdacht.«
Besondersentsetzlich ist an der sizilianischen Mafia, dass Männer
wie »loscannacristiani« nicht verrückt werden. Ihre Taten sind
aus Sichtder Cosa Nostra durchaus nicht unvereinbar mit dem
Ehrenkodexund noch nicht einmal mit ihrer Rolle als Ehemänner
und Väter.Bis zu dem Tag, als er sich entschloss, sich auf die Seite
derBehörden zu schlagen und seine Geschichte zu erzählen, galt
keineseiner Taten - nicht einmal der Mord an einem Kind, das
nicht vielälter war als sein eigenes - bei anderen Mafiaangehörigen
alsunehrenhaft.
Nach demBombenanschlag von Capaci liefen noch mehr Mafiosi
zu denBehörden über, und manche dieser »Reuigen« rechtfertigten
ihreEntscheidung mit der Behauptung, Mörder wie »lo scannacristiani
« hättendie traditionellen Werte und den Ehrenkodex verraten.
Diegleiche Argumentation hatte auch Tommaso Buscetta
vertreten,ungefähr nach dem Motto »Nicht ich habe die Cosa
Nostraverlassen, sondern die Cosa Nostra hat mich verlassen«.
Aber aushistorischer Sicht steht eine solche Behauptung auf tönernen
Füßen, dennVerrat und Brutalität waren in der Mafia von
Anfang animmer mit der Ehre vereinbar. Giovanni Brusca war ein
vieltypischeres Mafiamitglied, als manche Abtrünnigen gern glauben
mögen.
Nach demAnschlag von Capaci eröffnete die neue Welle der
Überläuferfür die Ermittler die Möglichkeit, jene Erkenntnisse
über dieinnere Kultur der Mafia zu ergänzen, die Buscetta und andere
frühere pentitigeliefert hatten. Heute wissen wir, dass der
Ehrenkodexviel mehr ist als nur ein Verzeichnis von Regeln. Wer
zum Ehrenmannwird, nimmt eine völlig neue Identität an und betritt
einanderes ethisches Universum. Und das Kennzeichen dieser
neuenIdentität, dieser neuen moralischen Empfindlichkeit, ist die
Ehre desMafioso.
Schon 1984skizzierte Tommaso Buscetta gegenüber Falcone
erstmalsden Ehrenkodex der Cosa Nostra. Er beschrieb den
Initiationsritus,bei dem der Kandidat ein brennendes Bild - meist
derVerkündigung Mariens - in der Hand hält und Treue und
Verschwiegenheitbis in den Tod gelobt. Zuvor hatte man Gerüchte
überdieses seltsame Ritual als Volksmärchen abgetan, und noch
heutegehört Buscettas Bericht darüber zu den Teilen seiner
Aussage,die dem gesunden Menschenverstand zu widersprechen
scheinen.Aber durch die Aussagen von Buscetta, »lo scannacristiani
« und anderenist überdeutlich geworden, dass die Mafiosi solche
Dingetodernst nehmen und für eine Angelegenheit der Ehre
halten.
Wie man andem Initiationsritual erkennt, ist Ehre ein Zustand,
den mansich verdienen muss. Bevor ein angehender Mafioso zum
Ehrenmannaufsteigt, wird er genau beobachtet, überwacht und
auf dieProbe gestellt; fast immer ist ein Mord die Voraussetzung
für dieAufnahme in die Organisation. Während dieser Vorberei-
tungszeitwird der Kandidat ständig daran erinnert, dass er bis zum
Aufnahmeritualein Niemand ist, »ein Nichts gemischt mit null«.
Kommt esdann zur Initiation, ist sie häufig das wichtigste Ereignis
im Lebeneines Mafioso. Das Verbrennen des heiligen Bildes ist ein
Symbol fürseinen Tod als normaler Mensch und seine Wiedergeburt
alsEhrenmann.
Bei derInitiation muss der neue Mafioso Gehorsam geloben - sie
ist dieerste Säule des Ehrenkodex. Ein »gemachter« Mann ist seinem
Capo fastimmer gehorsam; nach dem Warum fragt er nie.Was
dieseVerpflichtung bedeutet, kann man verstehen, wenn man eine
entscheidendePrüfung für den gesamten Ehrenkodex betrachtet:
den Mordan Frauen und Kindern. Dies war für die sizilianische
Mafiaimmer ein heikles Thema, und häufig behaupteten Mafiosi,
sie würdenFrauen und Kindern nie etwas zuleide tun. Dazu ist zu
sagen,dass viele Ehrenmänner tatsächlich so lange wie möglich an
diesemPrinzip festhalten. Die Cosa Nostra bringt sicher nicht mir
nichts,dir nichts kleine Babys um, nicht zuletzt weil sie damit ihr
Imagebeschädigen und einige ihrer engsten Unterstützer abschrecken
würde.
Andererseitswar Giuseppe Di Matteo aber bei weitem nicht das
ersteKind, dem Ehrenmänner absichtlich das Leben genommen
hatten.Die Beseitigung von Frauen und Kindern gilt nämlich nur
dann alsunehrenhaft, wenn sie nicht notwendig wäre. Sie kann aber
zu einerNotwendigkeit werden, wenn das Leben des Mafioso
selbst aufdem Spiel steht; und ein Mafioso bringt sein Leben häufig
schonallein dadurch in Gefahr, dass er ein Mitglied der Cosa
Nostraist.
Wie nahezualle Mafiamorde, so fand auch die Tötung von
GiuseppeDi Matteo erst statt, nachdem man gemeinsam entschieden
hatte,dass sie notwendig sei. Der Tod des Jungen war Teil einer
Strategie,die von einigen Anführern der Cosa Nostra gegenüber
den Familienvon Abtrünnigen verfolgt wurde, weil diese die gesamte
Organisationgefährdeten. Wenn eine solche Entscheidung
getroffenwar, hätte es als unehrenhaft gegolten, sie nicht in die Tat
umzusetzen.
© S.Fischer Verlag
Übersetzung:Sebastian Vogel
- Autor: John Dickie
- 2007, Nachdruck, Neuauflage, 586 Seiten, mit zahlreichen Abbildungen, Maße: 12,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Sebastian Vogel
- Verlag: FISCHER Taschenbuch
- ISBN-10: 3596171067
- ISBN-13: 9783596171064
- Erscheinungsdatum: 01.10.2007
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
4 von 5 Sternen
5 Sterne 0Schreiben Sie einen Kommentar zu "Cosa Nostra".
Kommentar verfassen