Dackelblick
Der kleine Dackel Herkules spielt Amor und das ist erstmal ganz schön turbulent.
"Originell, hochkomisch und ergreifend, kurz: Beste Unterhaltung!"
FÜR SIE
Herkules, seines Zeichens Rauhaardackel, ist...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Dackelblick “
Der kleine Dackel Herkules spielt Amor und das ist erstmal ganz schön turbulent.
"Originell, hochkomisch und ergreifend, kurz: Beste Unterhaltung!"
FÜR SIE
Herkules, seines Zeichens Rauhaardackel, ist bei seinem Frauchen Carolin hundsglücklich. Einziger Störfaktor in der Idylle: Carolins Freund Thomas. Nichts wäre Herkules lieber, als den loszuwerden. Und tatsächlich schmeißt Carolin Thomas eines Tages raus. Doch sie ist von nun an wie ausgewechselt und weint unentwegt.
Herkules weiß: Ein neues Herrchen fürs Frauchen muss her. Also schnappt er sich seinen Freund, den Kater Herr Beck, und geht auf Männersuche. Nur wie soll er es anstellen, den Richtigen zu finden?
Lese-Probe zu „Dackelblick “
Dackelblick von Frauke ScheunemannEINS
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Was für eine Absteige! Gut, ich hatte gewusst, dass es nicht das Grand Elysee sein würde. Aber diese Unterkunft ist wirklich das Letzte. Eine Zumutung. Muffig und dunkel. Und dreckig. Ich gebe mir Mühe, mich nicht genauer umzuschauen, aber der Schmutz meiner Vorgänger ist unübersehbar. Es ist offensichtlich, dass hier schon ziemlich lange nicht mehr saubergemacht wurde. Mir ist zum Heulen zumute - wie konnte ich nur in eine solche Lage geraten? Heute Morgen noch im Salon von Schloss Eschersbach, und jetzt das. Nun fange ich wirklich an zu heulen.
»Schnauze, du nervst!«, kommt es keine zwei Sekunden später von links.
Richtig: Das Schlimmste hatte ich noch nicht erwähnt: meine Zimmernachbarn. Fünf an der Zahl, die meisten von ihnen unglaublich verwahrlost. Und das nicht nur optisch. Ungebildeter Pöbel, der in einem Adligen wie mir natürlich gleich ein willkommenes Opfer ausgemacht hat. Mein Stammbaum reicht bis 1723, diese Ignoranten neben mir kennen vermutlich nicht einmal den Unterschied zwischen Markgraf und Markklößchen.
Vor meinem inneren Auge taucht mein Großvater auf. »Wo ein von Eschersbach ist, ist oben. Vergiss das nie!«, pflegte er zu sagen. Ach Opili, wenn du mich jetzt sehen könntest - ich bin definitiv ganz unten angelangt. Bei diesem Gedanken heule ich noch lauter. Irgendjemand muss mich hier einfach rausholen!
»Komm, Süßer, beruhige dich.« Eine Hand greift durch das Gitter und krault mich hinter den Ohren. »Gleich gibt es ein leckeres Fresschen, und dann sieht die Welt ganz anders aus. Der erste Tag ist für alle schlimm.«
Hm, eine nette Stimme. Interessiert gucke ich zur Seite, um festzustellen, zu wem sie gehört: Neben dem Zwinger steht eine junge Frau in einer Latzhose und lächelt mich aufmunternd an. Ihre Hand riecht nach gewöhnlichem Dosenfutter, trotzdem hat die Berührung etwas Tröstliches. Ich schlecke ihre Finger ab, sie beginnt zu kichern.
»Ja, ja, das schmeckt dir, nicht wahr?«, flüstert sie mir zu.
O je, wenn die wüsste - an meinen verwöhnten Dackelgaumen habe ich bisher eigentlich nur frisches Herz und Pansen gelassen. Fertigfutter war die absolute Ausnahme, das gab es wirklich nur, wenn Emilia, unsere Köchin, krank war oder Urlaub hatte. Bei dem Gedanken an Emilia krampft sich mein kleines Herz zusammen, und ich muss ein bisschen winseln. Als ich mich heute Morgen von ihr verabschiedet habe, hat sie geweint. Weiß der Teufel, wie Menschen das immer hinbekommen. Aber zum ersten Mal in meinem Leben hätte ich viel dafür gegeben, auch ein paar Tränen vergießen zu können.
»Du Armer, noch so schlimm?«, erkundigt sich die Pflegerin mitfühlend. »Mach dir keine Sorgen, du bist so süß, wir finden bestimmt bald ein neues Frauchen oder Herrchen für dich. Versprochen!« Dann streicht sie mir noch einmal über den Kopf und zieht ihre Hand wieder durch das Gitter.
Ich drehe mich um und trotte in die andere Ecke des Zwingers. Dort wirft ein Sonnenstrahl noch ein einladend helles Fleckchen auf den Boden, und ich beschließe, es mir ein bisschen gemütlich zu machen.
Offenbar bin ich nicht der Einzige, der auf diese Idee gekommen ist: Bevor ich mich hinlegen kann, tritt mir ein riesiges schwarzes Irgendwas direkt auf die Pfoten.
»Kleiner, ich glaube, du verziehst dich besser auf die andere Seite. Hier ist mein Platz.« Um seinem Wunsch Nachdruck zu verleihen, kommen die letzten Worte nur als heiseres Knurren.
Was für eine lächerliche Töle! Meint die ernsthaft, sie könne mich in die Flucht schlagen? Mich, dessen Ahnen noch mit dem letzten Kaiser zur Jagd gegangen sind? Ich schüttle den Kopf.
»Ich glaube nicht«, entgegne ich so würdevoll, wie es mir unter diesen widrigen Umständen möglich ist, »dass in diesem Etablissement mit Reservierungen gearbeitet wird. Ich war vor Ihnen da, also werde ich mich auch auf diesen Platz legen. Sie gestatten?« Mit diesen Worten schiebe ich Mr. Irgendwas zur Seite und lege mich schnell hin. Er starrt mich völlig fassungslos an. So viel zivilen Widerstand hat er wohl noch nie erlebt. Zufrieden räkle ich mich. Opili hatte doch Recht - ein von Eschersbach ist eben auch oben, wenn er unten ist.
Während ich noch darüber sinniere, wann hier wohl mit der zweifelsohne eher bescheidenen Mahlzeit zu rechnen ist, verfinstert sich mein sonniges Fleckchen. Nanu, eine Wolke? Ich blicke nach oben, um festzustellen, was in aller Welt hier auf einmal diesen unerfreulichen Schatten wirft - und schaue direkt in das Gesicht eines ziemlich ungemütlich aussehenden Boxers. Er schiebt seine Nase ganz dicht an meine und verströmt dabei einen Geruch, dass es mir regelrecht den Atem verschlägt.
»Pass auf, du aufgeblasener Zwerg: Wenn du nicht neu wärst, wärst du jetzt ein toter Hund. Hier gelten unsere Regeln, besser du hältst dich daran. Also wenn mein Freund Bozo sagt, dass du dich verpissen sollst, dann ...«, er kommt noch ein bisschen näher und schnappt blitzschnell nach mir.
Aua! Ein stechender Schmerz fährt durch mein rechtes Ohr. Hilfe! Der ist ja gemeingefährlich! Ich belle aufgeregt - offensichtlich bin ich unter militante und gewaltbereite Straßenköter geraten. Aber sosehr ich auch belle - niemand kommt. Nicht einmal die junge Frau in der Latzhose. Boxer und Bozo grinsen selbstzufrieden.
»Spar dir die Mühe. Die hört dich momentan nicht - ist zu den Katzen rübergegangen. Wir könnten dich jetzt richtig plattmachen, und niemand würde dir helfen. Ein toter Hund mehr in der Statistik dieser Bude. Wen interessiert das schon?«
Ich merke, wie sich meine Nackenhaare sträuben und es mir eiskalt den Rücken herunterläuft. Bozo, die schwarze Töle, baut sich wieder vor mir auf.
»Also, was ist jetzt? Wenn ich sage verpiss dich?«
»Dann verpisse ich mich?«, ergänze ich seinen Satz. »Richtig. Hundert Punkte. Braves Hundchen.«
Bozo verpasst meiner empfindlichen Nase noch einen kräftigen Stüber mit seiner ungepflegten Pfote. Erschreckt springe ich zur Seite und laufe auf zittrigen Beinen in die andere Ecke des Zwingers. Dort sitzen noch zwei andere Hunde, die das Geschehen gelangweilt beobachtet haben. Mord und Totschlag scheinen hier an der Tagesordnung zu sein, jedenfalls interessiert sich niemand dafür, dass ich gerade Opfer eines Verbrechens geworden bin. Ein älterer Münsterländer rückt ein Stück zur Seite, als ich mich neben ihn setze. Immerhin nicht gleich der Nächste, der mich bedroht. Eine Weile hocken wir schweigend nebeneinander. Dann rückt er wieder ein Stück näher an mich heran und flüstert in mein Ohr: »Leg dich besser nicht mit den beiden an. Die sind echt gefährlich. Aber wenn du ihnen aus dem Weg gehst, lassen sie dich meistens in Ruhe.«
Aus dem Weg gehen? Das ist doch wohl ein Scherz. Dieser Zwinger ist ziemlich klein, und wir sind immerhin sechs Hunde. Offenbar ist dem Münsterländer auch gerade aufgefallen, dass das ein Ding der Unmöglichkeit ist. Jedenfalls grinst er mich jetzt verschmitzt an und murmelt: »So gut es eben geht, haha. Ich heiße übrigens Fritz.«
Ich sage erst einmal nichts. Unter den gegebenen Umständen habe ich wirklich keine Lust, mich zu unterhalten. Stattdessen lege ich den Kopf auf meine Pfoten und sehe Bozo und dem Boxer zu, wie sie sich auf meinem Sonnen¬fleckchen fläzen. Wahrscheinlich machen sie sich gerade über mich lustig. Eigentlich bin ich sehr gerne ein Dackel, aber in diesem Moment wäre ich viel lieber ein Kampfhund. Staffordshire, Pitbull oder irgendetwas anderes in Richtung Lizenz zum Töten.
»He«, Fritz knufft mich in die Seite, »sei nicht traurig. Die Pflegerin hat´s doch gerade gesagt: Du bist so ein richtiger Menschentyp, dich holt bald einer hier raus. Und dann zeigst du den beiden Idioten da drüben den Stinkefinger, denn die will garantiert keiner haben.«
Ich schaue Fritz nachdenklich an. Hoffentlich hat er Recht.
Am nächsten Morgen fühle ich mich wie gerädert. Ich habe kaum geschlafen - und wenn mir doch mal für fünf Minuten die Augen zugefallen sind, hatte ich furchtbare Alpträume. Von Boxern und Pitbulls, die mich durch den Zwinger jagen, und riesigen Mengen Dosenfutter, das ganz abscheulich schmeckt. Müde trotte ich zu Fritz, der schwanzwedelnd an der Käfigtür steht.
»Morgen. Was bist du denn schon so wach und gut gelaunt?«, will ich von ihm wissen.
»Na, heute ist Besuchstag. Und falls tatsächlich ein Mensch auf der Suche nach einem Hund vorbeikommt, will ich gleich einen guten Eindruck machen. Bin ja nicht mehr der Jüngste, da ist es umso wichtiger, dynamisch und gut gelaunt zu wirken. Wirst schon sehen, Menschen mögen so was.«
Ob er damit richtigliegt? Eigentlich habe ich gar keine Lust, den dressierten Dackel zu geben. Aber der Gedanke, mich auf einen längeren Aufenthalt hier einzurichten, ist zugegebenermaßen furchtbar. Ich stelle mich also neben Fritz und wedele auch ein bisschen unmotiviert mit dem Schwanz hin und her. Und auf so eine billige Masche fallen Menschen herein? Unglaublich.
»Sag mal, wie heißt du eigentlich?«, will Fritz wissen. »Carl-Leopold«, antworte ich knapp.
»Carl-Leopold? Komischer Name für einen Hund.«
»Finde ich nicht. Kommt eben ganz darauf an, aus welchem Stall man kommt.« Banause! Was weiß der schon von schönen Namen? »Ich bin ein von Eschersbach«, füge ich stolz hinzu.
»Von Eschersbach? Sagt mir nichts«, brummt Fritz nur und wedelt weiter.
Ich seufze. Wirklich ein Banause. Ein netter zwar, aber eben doch ein Banause. Gerade will ich anfangen, Fritz in die Grundzüge meiner Familiengeschichte einzuweihen, da klappt im Haus neben unserem Zwinger eine Tür. Augenblicklich bin ich wie elektrisiert. Nicht wegen des Geräuschs - schließlich herrscht in dieser Einrichtung ein Lärmpegel, dass einem Dackel eigentlich die zarten Öhrchen abfallen müssten. Nein, es ist vielmehr ein ganz unbeschreiblicher Geruch, der geradewegs auf meine Nase zuströmt. Auch Fritz scheint Witterung aufgenommen zu haben, denn er stellt sein blödsinniges Gewedel ein und presst stattdessen seine Schnauze durch die Gitterstäbe.
»Riechst du das auch?«, will ich von ihm wissen.
Er nickt.
»Toll, oder?«
»Ja, Wahnsinn!«, gibt er mir Recht.
»Das ist der schönste Geruch, den ich an einem Menschen je wahrgenommen habe«, stelle ich fest.
Dass dieser Geruch zu einem Menschen gehört, ist klar. Das riecht jeder Hund sofort. Aber was für ein Mensch ist das wohl, der so gut riecht? Nicht etwa profan gut wie Fleischwurst oder Schokokeks. Nein, eher wie ... ich grüble nach ... genau - wie ein schöner Sommertag. Ein glücklicher Sommertag. Ganz viel nach Blumen, ein bisschen nach Erdbeeren und ein Hauch Pfefferminz. Fantastisch.
»Wahrscheinlich sind wir gleich enttäuscht, wenn wir den Menschen sehen. Die blödesten Menschen riechen immer am besten«, meint Fritz fachmännisch.
»Echt?«, will ich wissen. »Da habe ich ehrlicherweise noch keinen Zusammenhang festgestellt. Das kann ich nicht beurteilen.«
»Doch, doch. Jede Wette.«
Gespannt blicken wir Richtung Tür. Und da kommt sie auch schon zu den Zwingern, gefolgt von der Latzhose. Fritz lag völlig daneben. Denn für einen Menschen ist sie wunderschön, wie ein Engel. Sie unterhält sich mit der anderen Frau und lacht dabei. Ihre Augen lachen mit - was besonders schön aussieht und bei den Menschen ziemlich selten ist. Meistens verziehen die beim Lachen nur den Mund. Was schade ist. Also, wenn ich lachen könnte, ich würde die Augen mitmachen lassen. Sieht eindeutig besser aus.
»Hm, also ein etwas kleinerer Hund soll es sein? Und gerne ein jüngerer?« Der Engel nickt.
Fritz lässt sofort die Ohren hängen. Er weiß, was das bedeutet: wieder kein Frauchen für ihn. Denn Münsterländer sind alles andere als klein - und ein junger Hund ist Fritz schon lange nicht mehr. Er senkt den Kopf. »Viel Glück!«, flüstert er mir noch zu, dann trottet er an mir vorbei. Natürlich tut er mir leid - aber vielleicht ist das wirklich meine Chance? Ich versuche es noch mal mit der Fritz'schen Taktik, wedele also aufgeregt mit dem Schwanz und versuche, möglichst freundlich zu bellen. Tatsächlich steuern die beiden Frauen jetzt direkt auf mich zu.
»Das hier ist zum Beispiel unser Junior. Haben wir gerade erst bekommen. Ungefähr ein halbes Jahr alt.«
Sie streckt ihre Hand durch das Gitter, ich schlecke sie gleich ab. Na, wenn das jetzt keinen guten Eindruck macht, weiß ich auch nicht. Der Engel beugt sich zu mir herunter.
»Na, was bist du denn für ein Süßer? So ein niedlicher Kerl!« Begeistert springe ich auf und ab.
»Ja, echt ein Hübscher. Ein Dackelmix.«
Autsch. Mix. Verdammt. Das tat weh. Ich höre augenblicklich auf, den begeisterten Hund zu mimen. Nicht, dass es nicht stimmen würde. Im Gegenteil. Fräulein Latzhose hat Recht. Und damit bringt sie meine Schmach auf den Punkt: Ich bin ein Mischling. Das Ergebnis von Mamas Affäre mit einem sehr schneidigen Terrierrüden. Genau deswegen bin ich hier. Denn ich bin zwar Carl-Leopold von Eschersbach. Aber ein reinrassiger Dackel mit den besten Papieren - das bin ich nicht. Für die Jagd gänzlich ungeeignet. Und für die Zucht sowieso. So hat es der alte Schlossherr Eschersbach gesagt, bevor er mich in einen Karton setzte und mich hierherfuhr. Emilia hat geweint, aber sie hatte ja schon meine Schwester genommen, und zwei Hunde waren ihr natürlich zu viel.
Offenbar habe ich angefangen zu winseln, denn jetzt streckt auch der Engel seine Hand durch den Käfig und streichelt mich.
»Och, du Armer, was hast du denn? Bist du traurig?«
Wie peinlich. Ein Eschersbach weint doch nicht. Und dann noch vor einer so schönen Frau. Himmel, wo soll das noch enden? Aber offensichtlich war das genau das Richtige - denn jetzt richtet sich der Engel auf, zeigt auf mich und sagt: »Den will ich haben. Auf alle Fälle. Kann ich ihn gleich mitnehmen?«
Die Latzhose nickt. »Kommen Sie mit rein, dann erledigen wir die Formalitäten. Alle Impfungen hat er schon, er kommt von einem sehr gewissenhaften Züchter. Kleiner Betriebsunfall gewissermaßen.«
Bei den letzten Worten kichert sie. Und dafür würde ich sie sehr gerne in die Hand zwicken. Lasse es aber. Sonst muss ich nachher doch hierbleiben.
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Was für eine Absteige! Gut, ich hatte gewusst, dass es nicht das Grand Elysee sein würde. Aber diese Unterkunft ist wirklich das Letzte. Eine Zumutung. Muffig und dunkel. Und dreckig. Ich gebe mir Mühe, mich nicht genauer umzuschauen, aber der Schmutz meiner Vorgänger ist unübersehbar. Es ist offensichtlich, dass hier schon ziemlich lange nicht mehr saubergemacht wurde. Mir ist zum Heulen zumute - wie konnte ich nur in eine solche Lage geraten? Heute Morgen noch im Salon von Schloss Eschersbach, und jetzt das. Nun fange ich wirklich an zu heulen.
»Schnauze, du nervst!«, kommt es keine zwei Sekunden später von links.
Richtig: Das Schlimmste hatte ich noch nicht erwähnt: meine Zimmernachbarn. Fünf an der Zahl, die meisten von ihnen unglaublich verwahrlost. Und das nicht nur optisch. Ungebildeter Pöbel, der in einem Adligen wie mir natürlich gleich ein willkommenes Opfer ausgemacht hat. Mein Stammbaum reicht bis 1723, diese Ignoranten neben mir kennen vermutlich nicht einmal den Unterschied zwischen Markgraf und Markklößchen.
Vor meinem inneren Auge taucht mein Großvater auf. »Wo ein von Eschersbach ist, ist oben. Vergiss das nie!«, pflegte er zu sagen. Ach Opili, wenn du mich jetzt sehen könntest - ich bin definitiv ganz unten angelangt. Bei diesem Gedanken heule ich noch lauter. Irgendjemand muss mich hier einfach rausholen!
»Komm, Süßer, beruhige dich.« Eine Hand greift durch das Gitter und krault mich hinter den Ohren. »Gleich gibt es ein leckeres Fresschen, und dann sieht die Welt ganz anders aus. Der erste Tag ist für alle schlimm.«
Hm, eine nette Stimme. Interessiert gucke ich zur Seite, um festzustellen, zu wem sie gehört: Neben dem Zwinger steht eine junge Frau in einer Latzhose und lächelt mich aufmunternd an. Ihre Hand riecht nach gewöhnlichem Dosenfutter, trotzdem hat die Berührung etwas Tröstliches. Ich schlecke ihre Finger ab, sie beginnt zu kichern.
»Ja, ja, das schmeckt dir, nicht wahr?«, flüstert sie mir zu.
O je, wenn die wüsste - an meinen verwöhnten Dackelgaumen habe ich bisher eigentlich nur frisches Herz und Pansen gelassen. Fertigfutter war die absolute Ausnahme, das gab es wirklich nur, wenn Emilia, unsere Köchin, krank war oder Urlaub hatte. Bei dem Gedanken an Emilia krampft sich mein kleines Herz zusammen, und ich muss ein bisschen winseln. Als ich mich heute Morgen von ihr verabschiedet habe, hat sie geweint. Weiß der Teufel, wie Menschen das immer hinbekommen. Aber zum ersten Mal in meinem Leben hätte ich viel dafür gegeben, auch ein paar Tränen vergießen zu können.
»Du Armer, noch so schlimm?«, erkundigt sich die Pflegerin mitfühlend. »Mach dir keine Sorgen, du bist so süß, wir finden bestimmt bald ein neues Frauchen oder Herrchen für dich. Versprochen!« Dann streicht sie mir noch einmal über den Kopf und zieht ihre Hand wieder durch das Gitter.
Ich drehe mich um und trotte in die andere Ecke des Zwingers. Dort wirft ein Sonnenstrahl noch ein einladend helles Fleckchen auf den Boden, und ich beschließe, es mir ein bisschen gemütlich zu machen.
Offenbar bin ich nicht der Einzige, der auf diese Idee gekommen ist: Bevor ich mich hinlegen kann, tritt mir ein riesiges schwarzes Irgendwas direkt auf die Pfoten.
»Kleiner, ich glaube, du verziehst dich besser auf die andere Seite. Hier ist mein Platz.« Um seinem Wunsch Nachdruck zu verleihen, kommen die letzten Worte nur als heiseres Knurren.
Was für eine lächerliche Töle! Meint die ernsthaft, sie könne mich in die Flucht schlagen? Mich, dessen Ahnen noch mit dem letzten Kaiser zur Jagd gegangen sind? Ich schüttle den Kopf.
»Ich glaube nicht«, entgegne ich so würdevoll, wie es mir unter diesen widrigen Umständen möglich ist, »dass in diesem Etablissement mit Reservierungen gearbeitet wird. Ich war vor Ihnen da, also werde ich mich auch auf diesen Platz legen. Sie gestatten?« Mit diesen Worten schiebe ich Mr. Irgendwas zur Seite und lege mich schnell hin. Er starrt mich völlig fassungslos an. So viel zivilen Widerstand hat er wohl noch nie erlebt. Zufrieden räkle ich mich. Opili hatte doch Recht - ein von Eschersbach ist eben auch oben, wenn er unten ist.
Während ich noch darüber sinniere, wann hier wohl mit der zweifelsohne eher bescheidenen Mahlzeit zu rechnen ist, verfinstert sich mein sonniges Fleckchen. Nanu, eine Wolke? Ich blicke nach oben, um festzustellen, was in aller Welt hier auf einmal diesen unerfreulichen Schatten wirft - und schaue direkt in das Gesicht eines ziemlich ungemütlich aussehenden Boxers. Er schiebt seine Nase ganz dicht an meine und verströmt dabei einen Geruch, dass es mir regelrecht den Atem verschlägt.
»Pass auf, du aufgeblasener Zwerg: Wenn du nicht neu wärst, wärst du jetzt ein toter Hund. Hier gelten unsere Regeln, besser du hältst dich daran. Also wenn mein Freund Bozo sagt, dass du dich verpissen sollst, dann ...«, er kommt noch ein bisschen näher und schnappt blitzschnell nach mir.
Aua! Ein stechender Schmerz fährt durch mein rechtes Ohr. Hilfe! Der ist ja gemeingefährlich! Ich belle aufgeregt - offensichtlich bin ich unter militante und gewaltbereite Straßenköter geraten. Aber sosehr ich auch belle - niemand kommt. Nicht einmal die junge Frau in der Latzhose. Boxer und Bozo grinsen selbstzufrieden.
»Spar dir die Mühe. Die hört dich momentan nicht - ist zu den Katzen rübergegangen. Wir könnten dich jetzt richtig plattmachen, und niemand würde dir helfen. Ein toter Hund mehr in der Statistik dieser Bude. Wen interessiert das schon?«
Ich merke, wie sich meine Nackenhaare sträuben und es mir eiskalt den Rücken herunterläuft. Bozo, die schwarze Töle, baut sich wieder vor mir auf.
»Also, was ist jetzt? Wenn ich sage verpiss dich?«
»Dann verpisse ich mich?«, ergänze ich seinen Satz. »Richtig. Hundert Punkte. Braves Hundchen.«
Bozo verpasst meiner empfindlichen Nase noch einen kräftigen Stüber mit seiner ungepflegten Pfote. Erschreckt springe ich zur Seite und laufe auf zittrigen Beinen in die andere Ecke des Zwingers. Dort sitzen noch zwei andere Hunde, die das Geschehen gelangweilt beobachtet haben. Mord und Totschlag scheinen hier an der Tagesordnung zu sein, jedenfalls interessiert sich niemand dafür, dass ich gerade Opfer eines Verbrechens geworden bin. Ein älterer Münsterländer rückt ein Stück zur Seite, als ich mich neben ihn setze. Immerhin nicht gleich der Nächste, der mich bedroht. Eine Weile hocken wir schweigend nebeneinander. Dann rückt er wieder ein Stück näher an mich heran und flüstert in mein Ohr: »Leg dich besser nicht mit den beiden an. Die sind echt gefährlich. Aber wenn du ihnen aus dem Weg gehst, lassen sie dich meistens in Ruhe.«
Aus dem Weg gehen? Das ist doch wohl ein Scherz. Dieser Zwinger ist ziemlich klein, und wir sind immerhin sechs Hunde. Offenbar ist dem Münsterländer auch gerade aufgefallen, dass das ein Ding der Unmöglichkeit ist. Jedenfalls grinst er mich jetzt verschmitzt an und murmelt: »So gut es eben geht, haha. Ich heiße übrigens Fritz.«
Ich sage erst einmal nichts. Unter den gegebenen Umständen habe ich wirklich keine Lust, mich zu unterhalten. Stattdessen lege ich den Kopf auf meine Pfoten und sehe Bozo und dem Boxer zu, wie sie sich auf meinem Sonnen¬fleckchen fläzen. Wahrscheinlich machen sie sich gerade über mich lustig. Eigentlich bin ich sehr gerne ein Dackel, aber in diesem Moment wäre ich viel lieber ein Kampfhund. Staffordshire, Pitbull oder irgendetwas anderes in Richtung Lizenz zum Töten.
»He«, Fritz knufft mich in die Seite, »sei nicht traurig. Die Pflegerin hat´s doch gerade gesagt: Du bist so ein richtiger Menschentyp, dich holt bald einer hier raus. Und dann zeigst du den beiden Idioten da drüben den Stinkefinger, denn die will garantiert keiner haben.«
Ich schaue Fritz nachdenklich an. Hoffentlich hat er Recht.
Am nächsten Morgen fühle ich mich wie gerädert. Ich habe kaum geschlafen - und wenn mir doch mal für fünf Minuten die Augen zugefallen sind, hatte ich furchtbare Alpträume. Von Boxern und Pitbulls, die mich durch den Zwinger jagen, und riesigen Mengen Dosenfutter, das ganz abscheulich schmeckt. Müde trotte ich zu Fritz, der schwanzwedelnd an der Käfigtür steht.
»Morgen. Was bist du denn schon so wach und gut gelaunt?«, will ich von ihm wissen.
»Na, heute ist Besuchstag. Und falls tatsächlich ein Mensch auf der Suche nach einem Hund vorbeikommt, will ich gleich einen guten Eindruck machen. Bin ja nicht mehr der Jüngste, da ist es umso wichtiger, dynamisch und gut gelaunt zu wirken. Wirst schon sehen, Menschen mögen so was.«
Ob er damit richtigliegt? Eigentlich habe ich gar keine Lust, den dressierten Dackel zu geben. Aber der Gedanke, mich auf einen längeren Aufenthalt hier einzurichten, ist zugegebenermaßen furchtbar. Ich stelle mich also neben Fritz und wedele auch ein bisschen unmotiviert mit dem Schwanz hin und her. Und auf so eine billige Masche fallen Menschen herein? Unglaublich.
»Sag mal, wie heißt du eigentlich?«, will Fritz wissen. »Carl-Leopold«, antworte ich knapp.
»Carl-Leopold? Komischer Name für einen Hund.«
»Finde ich nicht. Kommt eben ganz darauf an, aus welchem Stall man kommt.« Banause! Was weiß der schon von schönen Namen? »Ich bin ein von Eschersbach«, füge ich stolz hinzu.
»Von Eschersbach? Sagt mir nichts«, brummt Fritz nur und wedelt weiter.
Ich seufze. Wirklich ein Banause. Ein netter zwar, aber eben doch ein Banause. Gerade will ich anfangen, Fritz in die Grundzüge meiner Familiengeschichte einzuweihen, da klappt im Haus neben unserem Zwinger eine Tür. Augenblicklich bin ich wie elektrisiert. Nicht wegen des Geräuschs - schließlich herrscht in dieser Einrichtung ein Lärmpegel, dass einem Dackel eigentlich die zarten Öhrchen abfallen müssten. Nein, es ist vielmehr ein ganz unbeschreiblicher Geruch, der geradewegs auf meine Nase zuströmt. Auch Fritz scheint Witterung aufgenommen zu haben, denn er stellt sein blödsinniges Gewedel ein und presst stattdessen seine Schnauze durch die Gitterstäbe.
»Riechst du das auch?«, will ich von ihm wissen.
Er nickt.
»Toll, oder?«
»Ja, Wahnsinn!«, gibt er mir Recht.
»Das ist der schönste Geruch, den ich an einem Menschen je wahrgenommen habe«, stelle ich fest.
Dass dieser Geruch zu einem Menschen gehört, ist klar. Das riecht jeder Hund sofort. Aber was für ein Mensch ist das wohl, der so gut riecht? Nicht etwa profan gut wie Fleischwurst oder Schokokeks. Nein, eher wie ... ich grüble nach ... genau - wie ein schöner Sommertag. Ein glücklicher Sommertag. Ganz viel nach Blumen, ein bisschen nach Erdbeeren und ein Hauch Pfefferminz. Fantastisch.
»Wahrscheinlich sind wir gleich enttäuscht, wenn wir den Menschen sehen. Die blödesten Menschen riechen immer am besten«, meint Fritz fachmännisch.
»Echt?«, will ich wissen. »Da habe ich ehrlicherweise noch keinen Zusammenhang festgestellt. Das kann ich nicht beurteilen.«
»Doch, doch. Jede Wette.«
Gespannt blicken wir Richtung Tür. Und da kommt sie auch schon zu den Zwingern, gefolgt von der Latzhose. Fritz lag völlig daneben. Denn für einen Menschen ist sie wunderschön, wie ein Engel. Sie unterhält sich mit der anderen Frau und lacht dabei. Ihre Augen lachen mit - was besonders schön aussieht und bei den Menschen ziemlich selten ist. Meistens verziehen die beim Lachen nur den Mund. Was schade ist. Also, wenn ich lachen könnte, ich würde die Augen mitmachen lassen. Sieht eindeutig besser aus.
»Hm, also ein etwas kleinerer Hund soll es sein? Und gerne ein jüngerer?« Der Engel nickt.
Fritz lässt sofort die Ohren hängen. Er weiß, was das bedeutet: wieder kein Frauchen für ihn. Denn Münsterländer sind alles andere als klein - und ein junger Hund ist Fritz schon lange nicht mehr. Er senkt den Kopf. »Viel Glück!«, flüstert er mir noch zu, dann trottet er an mir vorbei. Natürlich tut er mir leid - aber vielleicht ist das wirklich meine Chance? Ich versuche es noch mal mit der Fritz'schen Taktik, wedele also aufgeregt mit dem Schwanz und versuche, möglichst freundlich zu bellen. Tatsächlich steuern die beiden Frauen jetzt direkt auf mich zu.
»Das hier ist zum Beispiel unser Junior. Haben wir gerade erst bekommen. Ungefähr ein halbes Jahr alt.«
Sie streckt ihre Hand durch das Gitter, ich schlecke sie gleich ab. Na, wenn das jetzt keinen guten Eindruck macht, weiß ich auch nicht. Der Engel beugt sich zu mir herunter.
»Na, was bist du denn für ein Süßer? So ein niedlicher Kerl!« Begeistert springe ich auf und ab.
»Ja, echt ein Hübscher. Ein Dackelmix.«
Autsch. Mix. Verdammt. Das tat weh. Ich höre augenblicklich auf, den begeisterten Hund zu mimen. Nicht, dass es nicht stimmen würde. Im Gegenteil. Fräulein Latzhose hat Recht. Und damit bringt sie meine Schmach auf den Punkt: Ich bin ein Mischling. Das Ergebnis von Mamas Affäre mit einem sehr schneidigen Terrierrüden. Genau deswegen bin ich hier. Denn ich bin zwar Carl-Leopold von Eschersbach. Aber ein reinrassiger Dackel mit den besten Papieren - das bin ich nicht. Für die Jagd gänzlich ungeeignet. Und für die Zucht sowieso. So hat es der alte Schlossherr Eschersbach gesagt, bevor er mich in einen Karton setzte und mich hierherfuhr. Emilia hat geweint, aber sie hatte ja schon meine Schwester genommen, und zwei Hunde waren ihr natürlich zu viel.
Offenbar habe ich angefangen zu winseln, denn jetzt streckt auch der Engel seine Hand durch den Käfig und streichelt mich.
»Och, du Armer, was hast du denn? Bist du traurig?«
Wie peinlich. Ein Eschersbach weint doch nicht. Und dann noch vor einer so schönen Frau. Himmel, wo soll das noch enden? Aber offensichtlich war das genau das Richtige - denn jetzt richtet sich der Engel auf, zeigt auf mich und sagt: »Den will ich haben. Auf alle Fälle. Kann ich ihn gleich mitnehmen?«
Die Latzhose nickt. »Kommen Sie mit rein, dann erledigen wir die Formalitäten. Alle Impfungen hat er schon, er kommt von einem sehr gewissenhaften Züchter. Kleiner Betriebsunfall gewissermaßen.«
Bei den letzten Worten kichert sie. Und dafür würde ich sie sehr gerne in die Hand zwicken. Lasse es aber. Sonst muss ich nachher doch hierbleiben.
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
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Autoren-Porträt von Frauke Scheunemann
Frauke Scheunemann, geb. 1969 in Düsseldorf, ist promovierte Juristin. Sie absolvierte ein Volontariat beim NDR und arbeitete anschließend als Journalistin und Pressesprecherin. Seit 2002 ist sie freie Autorin und schreibt zusammen mit ihrer Schwester Wiebke Lorenz unter dem Pseudonym "Anne Hertz" sehr erfolgreich Romane.Frauke Scheunemann ist verheiratet und lebt mit ihrem Mann und ihren vier Kindern in einem alten Pfarrhaus in Hamburg.
Bibliographische Angaben
- Autor: Frauke Scheunemann
- 287 Seiten, Maße: 12,5 x 18,7 cm, Flex. Einband
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3868004599
- ISBN-13: 9783868004595
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