Dancing Queen
Roman. Deutsche Erstausgabe
Maddie und singen? Geht nicht zusammen. Obwohl ihre Eltern DAS Popduo der 80er waren. Deren Karaoke-Bar soll Maddie für einige Zeit hüten. Sie beschließt, das heruntergekommene Ding zu renovieren - vor laufender Kamera! Und dabei kommt es zu mehr als einer peinlichen Situation.
Leider schon ausverkauft
versandkostenfrei
Buch
9.99 €
Produktdetails
Produktinformationen zu „Dancing Queen “
Maddie und singen? Geht nicht zusammen. Obwohl ihre Eltern DAS Popduo der 80er waren. Deren Karaoke-Bar soll Maddie für einige Zeit hüten. Sie beschließt, das heruntergekommene Ding zu renovieren - vor laufender Kamera! Und dabei kommt es zu mehr als einer peinlichen Situation.
Lese-Probe zu „Dancing Queen “
Dancing Queen von Ella Kingsley1 Total Eclipse of the Heart
Ich kann nicht singen.
Voilà, ich gebe es zu. Ich, Maddie Mulhern, von meinen Eltern in den exotischen Gefilden des 80er-Jahre-Synthi- Pop aufgezogen, wo farbenfrohe Kreaturen mit Kaftan und Eyeliner experimentierten, kann nicht einmal einen geraden Ton halten. Vielleicht liegt es daran, dass meine Eltern früher mal große Berühmtheiten waren, ihr einziger Top-Ten-Hit im ganzen Land heutzutage aber nur noch bei Hochzeiten gespielt wird. (Ja, man kennt ihn, den Song. Und würde garantiert sagen: »Du lieber Gott, die alte Kamelle?«) Möglicherweise stand ich dabei die ganze Zeit »im Schatten« und muss jetzt »meine eigene Bühne erst finden« (das zumindest meint meine Freundin Lou. Sie studiert Psychologie). Der Grund für meine unterirdischen Sangeskünste könnte natürlich auch in meinem persönlichen Kindheitstrauma liegen, das unauslöschlich mit meinem achten Geburtstag verbunden ist. Meine Eltern hatten nicht den bei Kinderfesten üblichen und oft so verstörenden Clown engagiert, sondern ihre eigene Horrorshow inszeniert: Sie gaben Jean-Michel Jarres »Oxygene « zum Besten. Abgesehen davon, dass all dies schon schrecklich genug war, dauerte das Stück auch noch ganze vierzig Minuten.
... mehr
Mein Vater und meine Mutter sind ... nun ja ... Originale. Jeder hält seine Eltern für merkwürdig, doch meine sind es tatsächlich. Ich liebe sie wirklich von ganzem Herzen, aber sie sind mir peinlich. Das hört sich schlimm an? Wie sonst sollte man Szenen wie diese beschreiben: Man sitzt gemütlich vor dem Fernseher und zappst herum. Irgendwann landet man bei Top of the Pops von 1987. Andrew und George (und die beiden Mädels, aber ich kann mich nie an ihre Namen erinnern - außerdem war George doch sowieso der Wichtigste) stehen auf der Bühne, mit ihren blütenweißen Jogginganzügen und den aufwendig gefönten Locken, die ein wenig an diese geeisten Butterflöckchen erinnern, die man in schicken Restaurants bekommt. WHAM! sind schon super. Und gerade als man sich fragt, was eigentlich damals falsch gelaufen ist - ist er wirklich schon wieder verhaftet worden?? -, endet der Song, und andere, sehr vertraute Akkorde erklingen. Pineapple Mist (ja, ganz richtig!) betreten die Bühne - die vierte Woche in Folge auf dem dritten Platz! Mum tanzt wie Rumpelstilzchen in Schulterpolstern und trägt eine wattierte weiße Leggings, in der sie aussieht wie das Michelin-Männchen. Und Dad hat Dreadlocks. Dreadlocks!
Andere Leute staunen, mich schaudert es nur. Ich meine - warum?
Eine Zeitlang haben sie versucht, mich auch für das Musikbusiness zu begeistern. Sie haben nie Druck ausgeübt wie diese typischen Eislaufeltern, aber sie dachten einfach, Musik liege mir im Blut. Auf eine gewisse Weise haben sie wahrscheinlich sogar recht; ich liebe Musik und wollte schon immer einen Job haben, der irgendetwas mit Medien zu tun hat. Aber definitiv hinter den Kulissen. Diese Arbeit ist doch genauso wichtig, oder etwa nicht? Wo wären Boyzone ohne Louis Walsh, wo die Spice Girls ohne Simon Fuller?
Ich kann gut organisieren, bin eine Planerin und, wie ich hoffe, auch eine gute Stütze für sensible Künstlerseelen. Aber nein, singen kann und werde ich mit Sicherheit nicht.
Und womöglich erklärt diese Tatsache auch ein Stück weit, warum ich nun im verregneten Londoner Grau vor der U-Bahn-Station Baker Street stehe und mir ungläubig anhöre, wie mein Freund mit mir Schluss macht.
»Wir sind einfach ... so unheimlich verschieden, Mads«, sagt Lawrence und lehnt sich gegen eine Werbetafel für Kreuzfahrten. Er hat einen pastellrosafarbenen Pulli locker um die Schulter geschlungen, wie ihn sonst nur Männer mit orangefarbener Haut und Zigarre auf einer Yacht bei Capri tragen. »Ich glaube einfach, ich brauche jemanden ... der ein bisschen ... extrovertierter ist ...«
»Extrovertierter??!«
»Du weißt schon ... mehr aus sich herausgeht.«
Ich verschränke die Arme. Übelkeit kriecht in mir hoch, und ich versuche zu verdrängen, dass ich gerade sechzig Mäuse in einer Brasserie hingeblättert habe, weil Lawrence sich unbedingt zum Mittagessen treffen wollte (als die Rechnung kam, meinte er plötzlich, seine Kreditkarte wäre schon vor vier Wochen abgelaufen). Ich weiß genau, was jetzt kommen wird.
»Machst du etwa gerade mit mir Schluss?«, frage ich. Ein Teil von mir will die Antwort gar nicht hören, lieber aufschieben, der andere Teil möchte diese ganze Farce nur schnell zu Ende bringen, wie ein Pflaster, das man hastig abreißt. In meiner Kehle spüre ich einen Kloß, der gefährlich nach Tränen schmeckt.
Lawrence verzieht traurig das Gesicht, als müsse er einem Kind etwas Einfaches, aber Unvermeidliches erklären, wie den Tod eines Hamsters.
»Ich bin eben Künstler, Mads«, sagt er und streicht sich eine dunkle Strähne aus der Stirn. »Ich muss auf die Bühne, mein eigenes Ding machen. So ist das mit Leuten wie mir.« Der Regen wird langsam immer heftiger, und Lawrence schlägt seinen Mantel über den Kopf, so dass er aussieht wie ein großer grauer Vogel. Mir bietet er keinen Schutz an, aber das wäre wohl auch zu viel verlangt. Ich könnte seine Geste ja falsch verstehen.
Ich warte darauf, dass er mir erklärt, was er meint, doch anscheinend hat er nichts mehr zu sagen. Ja, Lawrence ist Schauspieler - sogar ein sehr guter, meiner Ansicht nach -, und irgendwie scheint diese Tatsache eine ganze Reihe von Ticks und schlechten Angewohnheiten zu entschuldigen. Wenn ich mich allein an die letzten Monate erinnere, fallen mir da sein egoistisches Verhalten, der chronische Geldmangel und das ewig währende Melodrama unserer Beziehung ein. Plötzlich bin ich unfassbar wütend.
»Ich weiß«, erwidere ich patzig. »Und ich habe dich immer nur unterstützt. Das kannst du wirklich nicht leugnen!«
In diesem Moment wäre es passend und wunderbar, auszusehen wie Kate Winslet in Titanic - zart und leicht vom Wind zerzaust. Ich hingegen ähnele wohl mehr einem begossenen Pudel in billigen Flipflops. Ein Blick in das Fenster eines vorbeifahrenden Busses bestätigt meine Befürchtungen. Mein sommerliches Flatterkleid, das ich im Schlussverkauf bei Warehouse ergattert habe, hängt klamm und traurig an mir herunter wie ein Stück Segeltuch, und meine Haare kleben am Kopf wie bei einem Cockerspaniel. Innerlich verfluche ich mich dafür, meinen kleinen roten Anorak nicht angezogen zu haben, auch wenn ich darin aussehe wie einer von den sieben Zwergen.
Lawrence schnaubt genervt, und einen Moment lang glaube ich, dass er mein Begossener-Pudel-Outfit angewidert mustert. Dann sagt er ruhig, aber mit bitterem Unterton: »Denkst du etwa, mir macht das Spaß?«
Er meint einen Job, den ich ihm durch Simply Voices, die Synchronsprecher-Agentur, bei der ich arbeite, vermittelt habe. Zugegeben, es handelte sich nur um die Synchronisation eines französischen Werbespots für Hämorrhoidencreme, aber einem geschenkten Gaul schaut man bekanntermaßen nicht ins Maul. Immerhin hatte Lawrence seit Monaten kein Geld mehr verdient.
»Moment mal«, fauche ich. »Es ist ja nicht so, als hättest du für den Spot den neusten Scorsese-Film absagen müssen. Was hättest du denn ohne meine Hilfe gemacht?«
Er zieht seinen Mantel enger um sich. »Keine Ahnung, Maddie, vielleicht nicht so tun, als müsse ich mir in die Hose scheißen?«
Ich sollte wohl erklären, was ich fast ein Jahr lang an diesem Mann gefunden habe, zumal ich ihn hier nicht gerade in ein schmeichelhaftes Licht rücke. Ein gemeinsamer Freund hat uns bei einer Party im Juli einander vorgestellt - sein bester Kumpel war einer meiner Studienkollegen aus einem Medienseminar. Anfangs war Lawrence ein charmanter, unheimlich unterhaltsamer Begleiter gewesen. Außerdem war er ein ausgezeichneter Alleinunterhalter, was mir eine sehr angenehme Rolle im Hintergrund einbrachte. Außerdem sagte er mir, »in dem Kleid« würde ich aussehen wie Rachel MacAdams in »Wie ein einziger Tag« (diese Bemerkung hat mich nachhaltig beschäftigt. Nur in dem Kleid? Warum nicht auch ohne das Kleid? Und wie sehe ich ganz ohne Kleider aus?). Aber ich wusste damals nicht, wer das ist, also habe ich mir den Film ausgeliehen und mich anschließend gefragt, ob ich meinen neuen Vielleicht- Freund dazu würde überreden können, sich einen Bart wie Ryan Gosling in dem Film stehen zu lassen. (Auch wenn Lou meint, der Bart ließe Ryans Augen schrumpfen, so dass sie wirken wie Rosinen in einem Weihnachtskuchen.)
Die ersten sechs Monate mit Lawrence waren einfach himmlisch. Wir haben sogar überlegt zusammenzuarbeiten - ich wollte unbedingt in den Managementbereich, und Lawrence hätte mein erster Star werden können. Aber die folgenden Monate waren dann - nun ja, ganz einfach beschissen. Die Realität der Medienbranche holte uns ein, Jobs wurden weniger und weniger, ebenso wie das Geld, und sein Selbstbewusstsein folgte seinem Kontostand auf dem Weg in den Abgrund. In dem Moment fiel es mir wieder auf: Lawrence' cholerische Ausbrüche hatten nichts mit seiner Persönlichkeit zu tun, sondern mit seinem Frust. Es muss ja auch wirklich furchtbar sein, sein Potential nicht voll ausschöpfen zu können.
Mit einem Mal klingt meine Stimme wieder viel sanfter: »Wir können uns doch einfach auch mal zwei Wochen lang nicht sehen? Dann hätten wir ein bisschen Zeit, darüber nachzudenken, was wir beide wirklich wollen.«
Er schüttelt nur seinen Kopf. »Nein.« Er klingt so laut und nachdrücklich, dass eine Gruppe Schulkinder auf dem Weg zu Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett sich neugierig nach uns umdreht. »Ich muss mich weiterentwickeln«, sagt er, nun ein wenig ruhiger. »Es tut mir leid, Mads, aber es ist vorbei. Ruf mich nicht an, okay?«
Ich merke, wie sich ein Tränenschwall langsam, aber sicher seinen Weg bahnen will. Warum muss ich denn heulen? Ich wusste doch, dass die Geschichte mit Lawrence nirgendwohin führt. Trotzdem. Es ist einfach schrecklich, verlassen zu werden.
»In Ordnung«, murmle ich mit dem letzten bisschen Würde, das ich noch aufbringen kann. Meine Füße sind nass. Warum zur Hölle hab ich nur Flipflops angezogen? Und auch noch die mit der Korksohle. Genauso gut hätte ich mir Schwämme unter die Füße binden können.
Lawrence quält sich ein gönnerhaftes Lächeln ab. Der Regen plätschert laut auf den Mantel, den er immer noch über sich gespannt hält, und schlagartig fällt mir der Slogan auf dem Werbeplakat für Kreuzfahrten hinter ihm auf: Ein großer Dampfer mit der Überschrift »KLAR SCHIFF« in dicken Lettern. Das Plakat ist an den Enden ausgefranst, so dass nur noch »AR SCH« dort steht. Ich versuche, das Bild für den Rest des Tages einzusaugen.
»Leb wohl, Lawrence«, sage ich stolz und beschließe, sein Lächeln nicht zu erwidern. Ich werde mich erhobenen Hauptes abwenden und aus seinem Leben verschwinden, in der leisen Hoffnung, dass er sich irgendwann daran erinnert, einmal Rachel MacAdams in mir gesehen zu haben. Ich werde in den Menschenfluten von London untertauchen wie ein Schiff auf hoher See und Lawrence in meinem Heckwasser zurücklassen, wie er da steht und mir nachblickt, voller Wehmut und Bedauern.
Vor dem überfüllten Eingang der U-Bahn-Station drehe ich mich noch einmal um, nur um dieses Bild festzuhalten. Aber er hat sich schon längst aus dem Staub gemacht.
Erst auf der Rolltreppe zum Bahnsteig, den Kopf traurig hängen lassend, trifft es mich wie ein Blitz - Lawrence ist einer der wenigen Menschen auf der Welt, die meinen echten Namen kennen. Meinen vollen Namen. Den Namen, den meine Eltern mir gegeben haben. Dieselben Eltern, die ihre Band Pineapple Mist getauft haben.
O Gott. Lieber Gott, o nein, o nein! Ich kann nur hoffen, dass mein verdammter Exfreund in die Tiefen seiner Seele blickt, in seine reine Menschlichkeit, und sich für das einzig Richtige entscheidet - mein Geheimnis mit in sein Grab zu nehmen.
Sich von jemandem zu trennen gibt dem Anspruch auf Persönlichkeitsschutz eine vollkommen neue Bedeutung.
2
I should be so lucky
»So ein Vollidiot«, sagt Lou, während sie in ihrer Schreibtischschublade nach einem Paar Schuhe in Größe 38 wühlt. Es ist durchaus nützlich, eine Freundin wie Lou zu haben, die mindestens einmal am Tag die Schuhe wechselt und deshalb einen kompletten Schuhladen in ihrer Schublade aufbewahrt, der bei Gelegenheiten wie dieser unmittelbar griffbereit ist.
Erst wenige Minuten zuvor war ich völlig zerzaust und tränenüberströmt zurück in das Büro von Simply Voices an der Bond Street gestolpert, woraufhin sämtliche Kolleginnen entsetzt aufschreckten. Durch irgendeine seltsame Form weiblicher Intuition schienen sie alle genau zu wissen, was passiert war: Offenbar stehen 25-jährige Frauen nicht einfach an einem kalten, regnerischen Apriltag mitten auf der Straße herum, außer wenn jemand mit ihnen Schluss macht. Wie aufs Stichwort folgten eine Menge freundlich- besorgter Bemerkungen, Angebote, mir eine Tasse Tee zu kochen, und - wie von Zauberhand - eine Schachtel teurer Schokopralinen mit dickem Zuckerguss.
»Kann sein«, murmle ich und versuche, mein tropfnasses Haar mit einem kleinen Handtuch abzutrocknen, das uns ein Klient letzte Woche als Werbegeschenk geschickt hat.
© Ullstein TB (Verlag)
Mein Vater und meine Mutter sind ... nun ja ... Originale. Jeder hält seine Eltern für merkwürdig, doch meine sind es tatsächlich. Ich liebe sie wirklich von ganzem Herzen, aber sie sind mir peinlich. Das hört sich schlimm an? Wie sonst sollte man Szenen wie diese beschreiben: Man sitzt gemütlich vor dem Fernseher und zappst herum. Irgendwann landet man bei Top of the Pops von 1987. Andrew und George (und die beiden Mädels, aber ich kann mich nie an ihre Namen erinnern - außerdem war George doch sowieso der Wichtigste) stehen auf der Bühne, mit ihren blütenweißen Jogginganzügen und den aufwendig gefönten Locken, die ein wenig an diese geeisten Butterflöckchen erinnern, die man in schicken Restaurants bekommt. WHAM! sind schon super. Und gerade als man sich fragt, was eigentlich damals falsch gelaufen ist - ist er wirklich schon wieder verhaftet worden?? -, endet der Song, und andere, sehr vertraute Akkorde erklingen. Pineapple Mist (ja, ganz richtig!) betreten die Bühne - die vierte Woche in Folge auf dem dritten Platz! Mum tanzt wie Rumpelstilzchen in Schulterpolstern und trägt eine wattierte weiße Leggings, in der sie aussieht wie das Michelin-Männchen. Und Dad hat Dreadlocks. Dreadlocks!
Andere Leute staunen, mich schaudert es nur. Ich meine - warum?
Eine Zeitlang haben sie versucht, mich auch für das Musikbusiness zu begeistern. Sie haben nie Druck ausgeübt wie diese typischen Eislaufeltern, aber sie dachten einfach, Musik liege mir im Blut. Auf eine gewisse Weise haben sie wahrscheinlich sogar recht; ich liebe Musik und wollte schon immer einen Job haben, der irgendetwas mit Medien zu tun hat. Aber definitiv hinter den Kulissen. Diese Arbeit ist doch genauso wichtig, oder etwa nicht? Wo wären Boyzone ohne Louis Walsh, wo die Spice Girls ohne Simon Fuller?
Ich kann gut organisieren, bin eine Planerin und, wie ich hoffe, auch eine gute Stütze für sensible Künstlerseelen. Aber nein, singen kann und werde ich mit Sicherheit nicht.
Und womöglich erklärt diese Tatsache auch ein Stück weit, warum ich nun im verregneten Londoner Grau vor der U-Bahn-Station Baker Street stehe und mir ungläubig anhöre, wie mein Freund mit mir Schluss macht.
»Wir sind einfach ... so unheimlich verschieden, Mads«, sagt Lawrence und lehnt sich gegen eine Werbetafel für Kreuzfahrten. Er hat einen pastellrosafarbenen Pulli locker um die Schulter geschlungen, wie ihn sonst nur Männer mit orangefarbener Haut und Zigarre auf einer Yacht bei Capri tragen. »Ich glaube einfach, ich brauche jemanden ... der ein bisschen ... extrovertierter ist ...«
»Extrovertierter??!«
»Du weißt schon ... mehr aus sich herausgeht.«
Ich verschränke die Arme. Übelkeit kriecht in mir hoch, und ich versuche zu verdrängen, dass ich gerade sechzig Mäuse in einer Brasserie hingeblättert habe, weil Lawrence sich unbedingt zum Mittagessen treffen wollte (als die Rechnung kam, meinte er plötzlich, seine Kreditkarte wäre schon vor vier Wochen abgelaufen). Ich weiß genau, was jetzt kommen wird.
»Machst du etwa gerade mit mir Schluss?«, frage ich. Ein Teil von mir will die Antwort gar nicht hören, lieber aufschieben, der andere Teil möchte diese ganze Farce nur schnell zu Ende bringen, wie ein Pflaster, das man hastig abreißt. In meiner Kehle spüre ich einen Kloß, der gefährlich nach Tränen schmeckt.
Lawrence verzieht traurig das Gesicht, als müsse er einem Kind etwas Einfaches, aber Unvermeidliches erklären, wie den Tod eines Hamsters.
»Ich bin eben Künstler, Mads«, sagt er und streicht sich eine dunkle Strähne aus der Stirn. »Ich muss auf die Bühne, mein eigenes Ding machen. So ist das mit Leuten wie mir.« Der Regen wird langsam immer heftiger, und Lawrence schlägt seinen Mantel über den Kopf, so dass er aussieht wie ein großer grauer Vogel. Mir bietet er keinen Schutz an, aber das wäre wohl auch zu viel verlangt. Ich könnte seine Geste ja falsch verstehen.
Ich warte darauf, dass er mir erklärt, was er meint, doch anscheinend hat er nichts mehr zu sagen. Ja, Lawrence ist Schauspieler - sogar ein sehr guter, meiner Ansicht nach -, und irgendwie scheint diese Tatsache eine ganze Reihe von Ticks und schlechten Angewohnheiten zu entschuldigen. Wenn ich mich allein an die letzten Monate erinnere, fallen mir da sein egoistisches Verhalten, der chronische Geldmangel und das ewig währende Melodrama unserer Beziehung ein. Plötzlich bin ich unfassbar wütend.
»Ich weiß«, erwidere ich patzig. »Und ich habe dich immer nur unterstützt. Das kannst du wirklich nicht leugnen!«
In diesem Moment wäre es passend und wunderbar, auszusehen wie Kate Winslet in Titanic - zart und leicht vom Wind zerzaust. Ich hingegen ähnele wohl mehr einem begossenen Pudel in billigen Flipflops. Ein Blick in das Fenster eines vorbeifahrenden Busses bestätigt meine Befürchtungen. Mein sommerliches Flatterkleid, das ich im Schlussverkauf bei Warehouse ergattert habe, hängt klamm und traurig an mir herunter wie ein Stück Segeltuch, und meine Haare kleben am Kopf wie bei einem Cockerspaniel. Innerlich verfluche ich mich dafür, meinen kleinen roten Anorak nicht angezogen zu haben, auch wenn ich darin aussehe wie einer von den sieben Zwergen.
Lawrence schnaubt genervt, und einen Moment lang glaube ich, dass er mein Begossener-Pudel-Outfit angewidert mustert. Dann sagt er ruhig, aber mit bitterem Unterton: »Denkst du etwa, mir macht das Spaß?«
Er meint einen Job, den ich ihm durch Simply Voices, die Synchronsprecher-Agentur, bei der ich arbeite, vermittelt habe. Zugegeben, es handelte sich nur um die Synchronisation eines französischen Werbespots für Hämorrhoidencreme, aber einem geschenkten Gaul schaut man bekanntermaßen nicht ins Maul. Immerhin hatte Lawrence seit Monaten kein Geld mehr verdient.
»Moment mal«, fauche ich. »Es ist ja nicht so, als hättest du für den Spot den neusten Scorsese-Film absagen müssen. Was hättest du denn ohne meine Hilfe gemacht?«
Er zieht seinen Mantel enger um sich. »Keine Ahnung, Maddie, vielleicht nicht so tun, als müsse ich mir in die Hose scheißen?«
Ich sollte wohl erklären, was ich fast ein Jahr lang an diesem Mann gefunden habe, zumal ich ihn hier nicht gerade in ein schmeichelhaftes Licht rücke. Ein gemeinsamer Freund hat uns bei einer Party im Juli einander vorgestellt - sein bester Kumpel war einer meiner Studienkollegen aus einem Medienseminar. Anfangs war Lawrence ein charmanter, unheimlich unterhaltsamer Begleiter gewesen. Außerdem war er ein ausgezeichneter Alleinunterhalter, was mir eine sehr angenehme Rolle im Hintergrund einbrachte. Außerdem sagte er mir, »in dem Kleid« würde ich aussehen wie Rachel MacAdams in »Wie ein einziger Tag« (diese Bemerkung hat mich nachhaltig beschäftigt. Nur in dem Kleid? Warum nicht auch ohne das Kleid? Und wie sehe ich ganz ohne Kleider aus?). Aber ich wusste damals nicht, wer das ist, also habe ich mir den Film ausgeliehen und mich anschließend gefragt, ob ich meinen neuen Vielleicht- Freund dazu würde überreden können, sich einen Bart wie Ryan Gosling in dem Film stehen zu lassen. (Auch wenn Lou meint, der Bart ließe Ryans Augen schrumpfen, so dass sie wirken wie Rosinen in einem Weihnachtskuchen.)
Die ersten sechs Monate mit Lawrence waren einfach himmlisch. Wir haben sogar überlegt zusammenzuarbeiten - ich wollte unbedingt in den Managementbereich, und Lawrence hätte mein erster Star werden können. Aber die folgenden Monate waren dann - nun ja, ganz einfach beschissen. Die Realität der Medienbranche holte uns ein, Jobs wurden weniger und weniger, ebenso wie das Geld, und sein Selbstbewusstsein folgte seinem Kontostand auf dem Weg in den Abgrund. In dem Moment fiel es mir wieder auf: Lawrence' cholerische Ausbrüche hatten nichts mit seiner Persönlichkeit zu tun, sondern mit seinem Frust. Es muss ja auch wirklich furchtbar sein, sein Potential nicht voll ausschöpfen zu können.
Mit einem Mal klingt meine Stimme wieder viel sanfter: »Wir können uns doch einfach auch mal zwei Wochen lang nicht sehen? Dann hätten wir ein bisschen Zeit, darüber nachzudenken, was wir beide wirklich wollen.«
Er schüttelt nur seinen Kopf. »Nein.« Er klingt so laut und nachdrücklich, dass eine Gruppe Schulkinder auf dem Weg zu Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett sich neugierig nach uns umdreht. »Ich muss mich weiterentwickeln«, sagt er, nun ein wenig ruhiger. »Es tut mir leid, Mads, aber es ist vorbei. Ruf mich nicht an, okay?«
Ich merke, wie sich ein Tränenschwall langsam, aber sicher seinen Weg bahnen will. Warum muss ich denn heulen? Ich wusste doch, dass die Geschichte mit Lawrence nirgendwohin führt. Trotzdem. Es ist einfach schrecklich, verlassen zu werden.
»In Ordnung«, murmle ich mit dem letzten bisschen Würde, das ich noch aufbringen kann. Meine Füße sind nass. Warum zur Hölle hab ich nur Flipflops angezogen? Und auch noch die mit der Korksohle. Genauso gut hätte ich mir Schwämme unter die Füße binden können.
Lawrence quält sich ein gönnerhaftes Lächeln ab. Der Regen plätschert laut auf den Mantel, den er immer noch über sich gespannt hält, und schlagartig fällt mir der Slogan auf dem Werbeplakat für Kreuzfahrten hinter ihm auf: Ein großer Dampfer mit der Überschrift »KLAR SCHIFF« in dicken Lettern. Das Plakat ist an den Enden ausgefranst, so dass nur noch »AR SCH« dort steht. Ich versuche, das Bild für den Rest des Tages einzusaugen.
»Leb wohl, Lawrence«, sage ich stolz und beschließe, sein Lächeln nicht zu erwidern. Ich werde mich erhobenen Hauptes abwenden und aus seinem Leben verschwinden, in der leisen Hoffnung, dass er sich irgendwann daran erinnert, einmal Rachel MacAdams in mir gesehen zu haben. Ich werde in den Menschenfluten von London untertauchen wie ein Schiff auf hoher See und Lawrence in meinem Heckwasser zurücklassen, wie er da steht und mir nachblickt, voller Wehmut und Bedauern.
Vor dem überfüllten Eingang der U-Bahn-Station drehe ich mich noch einmal um, nur um dieses Bild festzuhalten. Aber er hat sich schon längst aus dem Staub gemacht.
Erst auf der Rolltreppe zum Bahnsteig, den Kopf traurig hängen lassend, trifft es mich wie ein Blitz - Lawrence ist einer der wenigen Menschen auf der Welt, die meinen echten Namen kennen. Meinen vollen Namen. Den Namen, den meine Eltern mir gegeben haben. Dieselben Eltern, die ihre Band Pineapple Mist getauft haben.
O Gott. Lieber Gott, o nein, o nein! Ich kann nur hoffen, dass mein verdammter Exfreund in die Tiefen seiner Seele blickt, in seine reine Menschlichkeit, und sich für das einzig Richtige entscheidet - mein Geheimnis mit in sein Grab zu nehmen.
Sich von jemandem zu trennen gibt dem Anspruch auf Persönlichkeitsschutz eine vollkommen neue Bedeutung.
2
I should be so lucky
»So ein Vollidiot«, sagt Lou, während sie in ihrer Schreibtischschublade nach einem Paar Schuhe in Größe 38 wühlt. Es ist durchaus nützlich, eine Freundin wie Lou zu haben, die mindestens einmal am Tag die Schuhe wechselt und deshalb einen kompletten Schuhladen in ihrer Schublade aufbewahrt, der bei Gelegenheiten wie dieser unmittelbar griffbereit ist.
Erst wenige Minuten zuvor war ich völlig zerzaust und tränenüberströmt zurück in das Büro von Simply Voices an der Bond Street gestolpert, woraufhin sämtliche Kolleginnen entsetzt aufschreckten. Durch irgendeine seltsame Form weiblicher Intuition schienen sie alle genau zu wissen, was passiert war: Offenbar stehen 25-jährige Frauen nicht einfach an einem kalten, regnerischen Apriltag mitten auf der Straße herum, außer wenn jemand mit ihnen Schluss macht. Wie aufs Stichwort folgten eine Menge freundlich- besorgter Bemerkungen, Angebote, mir eine Tasse Tee zu kochen, und - wie von Zauberhand - eine Schachtel teurer Schokopralinen mit dickem Zuckerguss.
»Kann sein«, murmle ich und versuche, mein tropfnasses Haar mit einem kleinen Handtuch abzutrocknen, das uns ein Klient letzte Woche als Werbegeschenk geschickt hat.
© Ullstein TB (Verlag)
... weniger
Autoren-Porträt von Ella Kingsley
Ella Kingsley ist das Pseudonym einer erfolgreichen englischen Autorin. Bevor sie mit dem Schreiben anfing, arbeitete sie in einem Verlag, woher ihre Besessenheit mit korrekter Rechtschreibung rührt. <br />Ella Kingsley ist Mitte zwanzig und lebt in London. Ihre Karaoke-Darbietung von "Ice Ice Baby" ist äußerst überzeugend.
Bibliographische Angaben
- Autor: Ella Kingsley
- 2012, 384 Seiten, Maße: 12 x 18,9 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Aus d. Egl. v. Khayat, Rasha
- Übersetzer: Rasha Khayat
- Verlag: Ullstein TB
- ISBN-10: 354828373X
- ISBN-13: 9783548283739
Kommentare zu "Dancing Queen"
0 Gebrauchte Artikel zu „Dancing Queen“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
3.5 von 5 Sternen
5 Sterne 1Schreiben Sie einen Kommentar zu "Dancing Queen".
Kommentar verfassen