Dann muss es Liebe sein
Roman. Deutsche Erstausgabe
Das kann nur Liebe sein. Sonst wäre die Tierärztin Maz mit ihrem neuen Leben auf dem Land und ihrem umwerfenden Alex nicht so glücklich. Doch dann steht ihr Leben plötzlich Kopf - und es wird sich zeigen, ob ihre Liebe diese Probe übersteht.
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Dann muss es Liebe sein “
Das kann nur Liebe sein. Sonst wäre die Tierärztin Maz mit ihrem neuen Leben auf dem Land und ihrem umwerfenden Alex nicht so glücklich. Doch dann steht ihr Leben plötzlich Kopf - und es wird sich zeigen, ob ihre Liebe diese Probe übersteht.
Klappentext zu „Dann muss es Liebe sein “
Achtung: Freilaufende MännerEs muss Liebe sein. Warum sonst sollte die Tierärztin Maz mit ihrem neuen Leben auf dem Dorf so zufrieden sein? Die Praxis, die sie sich mit ihrer schwangeren Freundin Emma teilt, floriert, und ebenso gut läuft es mit dem umwerfenden Alex. Doch dann verliert Emma ihr Baby, und Maz Leben steht Kopf. Sie arbeitet pausenlos, behält die lüsterne Vertretung im Auge und kümmert sich um Emma. Als sie zudem keine guten Neuigkeiten erhält, wird es sich zeigen, ob die Liebe von Maz und Alex der Probe gewachsen ist
Lese-Probe zu „Dann muss es Liebe sein “
Dann muss es Liebe sein von Cathy Woodman1
Aus dem Leben einer Tierärztin
... mehr
Als ich letztes Jahr den Sprung wagte und mich als Teilhaberin in die Tierarztpraxis meiner Freundin Emma einkaufte, hatte ich eine ziemlich genaue Vorstellung davon, was mich erwartete: eine gemütliche Landpraxis im beschaulichen Städtchen Talyton St. George. Zuvor hatte ich als viel beschäftigte Großstadttierärztin in London gearbeitet, und natürlich rechnete ich beim Umzug nach Devon mit einem gewissen Kulturschock, aber ich freute mich auch darauf, genügend Zeit zu haben, um meine hinreißenden neuen Kunden und ihre Haustiere kennenzulernen, und das Leben insgesamt etwas ruhiger anzugehen.
Jetzt schaue ich quer durch den Empfangsbereich zu Frances hinüber, die hinter ihrem mit Karten und Geschenken überhäuften Tresen steht, und lächle angesichts meiner Naivität. Frances wirkt gestresst. Ihre mandelblonde Perücke, die mich immer an Zuckerwatte erinnert, sitzt schief, und vereinzelte schüttere graue Strähnen schauen darunter hervor.
Mrs Dyer, die Frau des hiesigen Metzgers und eine unserer Stammkundinnen, bezahlt gerade einen Beutel Diätfutter und ein als weihnachtliches Knallbonbon verpacktes Spielzeug, das quietscht, als Frances es über den Scanner zieht. Beim zweiten Quietschen stürmt Mrs Dyers riesige Deutsche Dogge (die Harlekinvariante, die aussieht, als hätte jemand einen weißen Hund genommen und ihn mit schwarzer Farbe bekleckst), die bis dahin zitternd auf der Waage am anderen Ende des Empfangsbereichs saß, mit einem gewaltigen Satz auf den Tresen zu, während Izzy am anderen Ende der Leine hängt.
»Brutus! Aus!« Izzys Augen funkeln. Genau wie die Schneeflocken an ihrem Haarreif. Und etwas in ihrer Stimme lässt den Hund auf der Stelle erstarren. Brutus mag ein großer Hund sein - er ist so breit, dass man ihn ohne Weiteres als Couchtisch nutzen könnte -, aber unserer Tierarzthelferin ist er nicht gewachsen. Er weiß genau, wer von ihnen beiden das Sagen hat.
»Er hält es für ein Baby«, erklärt Mrs Dyer den übrigen Kunden im Wartebereich, deren Tiere auf ihrem Schoß oder unter den Stühlen Zuflucht gesucht haben. »Er liebt Babys. Am liebsten würde er gar nicht mehr aufhören, sie abzuschlecken.«
Lynsey Pitt, die ihren Hund Raffles, einen kleinen goldbraunen Mischling mit kurzen Beinen und ausgeprägter Persönlichkeit, für eine reichlich späte Auffrischungsimpfung vorbeigebracht hat, drückt ihre wenige Monate alte Tochter fester an ihre Brust. Brutus jedoch schüttelt den Kopf, sodass ein glänzender Geiferschauer über Izzys dunkelblaue Praxiskleidung geschleudert wird, und trottet anschließend brav wieder zurück zur Waage.
Izzy überzeugt ihn mit Hilfe eines gesunden, kalorienarmen Leckerlis davon, sich wieder daraufzustellen, während Diana, eine weiße Boxerhündin mit breit grinsendem Gesicht, hartnäckig versucht, sich zu ihm zu gesellen. Es würde nichts nützen, wenn Izzy mit ihr schimpfen würde, denn sie ist stocktaub und reagiert auf Handzeichen - und auch das nur, wenn sie Lust dazu hat.
Eine ältere Frau, an die ich mich noch vage von einem Vortrag mit dem Titel »Aus dem Leben einer Tierärztin« erinnere, den ich im November vor dem Frauenverein gehalten habe, kämpft sich mit einem Einkaufstrolley, auf dem sie eine Katzenbox balanciert, durch die zweiflügelige Glastür. Gleich dahinter folgt ein höchstens zwölf Jahre altes Mädchen mit einem kleinen durchlöcherten Karton. Frances begrüßt die Frau mit der Katze und beginnt ihre Daten in den Computer einzugeben, der Postbote kommt mit einigen Päckchen herein, deren Empfang jemand quittieren muss, und das Telefon klingelt. Ich gehe ran.
»Kleintierpraxis Otter House« - ich liebe diese Wort& -, »was kann ich für Sie tun?« Nachdem ich von der panischen Anruferin erfahren habe, dass es sich um einen Notfall handelt und sie ans Haus gefesselt ist, vereinbare ich mit ihr einen Hausbesuch. »Ich komme, so schnell ich kann.«
Als ich auflege, sieht Frances mich missbilligend an. Ich weiß, worauf sie hinauswill.
»Wenn Sie noch mehr Termine annehmen«, sagt sie mit einem Blick auf den voll besetzten Wartebereich, »sitzen wir alle noch Weihnachten hier.«
»Es ist Weihnachten, Frances, zumindest so gut wie.« Morgen ist Heiligabend. Ich reiße meinen Blick von den hypnotisierenden limettengrünen und gelben Wirbeln auf Frances' Oberteil los. Emma wäre es lieber, wenn sie die gleiche Praxiskleidung tragen würde wie wir alle, ihr zufolge steht dieser Neo-Hippie-Look sowieso niemandem, und erst recht nicht einer Frau Ende fünfzig, doch ich finde, Frances' Kleidung bringt ein bisschen Fröhlichkeit in die Praxis und bildet eine willkommene Abwechslung zu dem ganzen Blau ringsum: blaue Stühle, blassblaue Wände und der blaugraue rutschfeste, leicht zu reinigende Bodenbelag. Emma hat das ausgesucht - Blau ist ihre Lieblingsfarbe. »Ich muss los. Würden Sie Emma ausrichten, dass ich nach Talyford fahre?« Ich will sie nicht stören, wenn sie gerade einen Patienten behandelt.
»Wird erledigt«, antwortet Frances.
Ich nehme den Zettel, auf dem ich die Adresse notiert habe, hole meine Jacke und die Schlüssel aus dem Umkleideraum und renne hinaus. Frances' Stimme klingt hinter mir her.
»Halt, Maz, warten Sie. Haben Sie nicht etwas vergessen?« Als ich mich umdrehe, sehe ich, dass Frances meine Arzttasche in der ausgestreckten Hand hält. »Eines Tages vergessen Sie noch Ihren Kopf«, fügt sie mit gespielter Strenge hinzu.
Ich hole mein Auto, ein sportliches Coupé das ich in letzter Zeit kaum benutzt habe. Die Fahrt nach Talyford wird ihm guttun. Wenigstens ist das meine Ausrede - sie wird auch mir guttun. Ich sollte es gegen einen praktischeren Wagen eintauschen, aber - nicht, dass ich gefühlsduselig wäre oder so - es kommt mir vor wie die letzte Verbindung zu meinem früheren Leben als Tierärztin in London.
Während ich vom Parkplatz neben dem Otter House fahre, werfe ich einen Blick zurück auf die Praxis, ein solides, cremefarben verputztes, dreistöckiges georgianisches Haus. Auf einem Messingschild steht mein Name, zusammen mit dem von Emma - seit fast fünfzehn Jahren meine beste Freundin und mittlerweile auch Geschäftspartnerin. Es kommt mir vor wie ein Traum, und wenn ich nicht gerade hinterm Steuer säße, müsste ich mich kneifen. Ich kann mein Glück noch immer nicht fassen.
Schon damals, als wir uns an der Tiermedizinischen Fakultät bei der Obduktion eines Windhunds kennenlernten, hoffte ich, dass wir eines Tages zusammenarbeiten würden. Ich muss lächeln, da mir einer unserer Professoren einfällt, der sich für eine Art Filmfreak hielt. Mich nannte er wegen meiner blonden Haare immer Gwyneth Paltrow und Emma Catherine Zeta-Jones.
Ich folge dem verwirrenden Einbahnstraßensystem, das sich mit der Zeit entwickelt hat, weil die Straßen in Talyton St. George für zwei Fahrzeuge zu schmal sind, aus der Stadt hinaus. Mit voll aufgedrehter Heizung kurve ich am Metzgerladen vorbei, wo die Kunden mit Mänteln und Schirmen unter einer gestreiften Markise anstehen, um ihre vorbestellten Truthähne und Schinken abzuholen. Zwischen Laceys Weinhandel und Lupins Andenkenladen biege ich vom Marktplatz ab und folge dem Hinweisschild Richtung Talyford nach Norden.
Der örtliche Radiosender Megadrive Radio spielt einen Oldie von Wet Wet Wet. Es gießt in Strömen, und nach und nach verwandelt sich der Regen in Schneeregen.
Talyford. Der Name hätte mir zu denken geben sollen, denke ich bitter, als ich am Rand des trüben Bachs anhalte, der schäumend und strudelnd quer über die Straße fließt, ehe er weiter unten im Tal in den Fluss mündet. Vermutlich ist es sicher, die Furt zu durchqueren. Aber wissen kann ich es nicht, da jemand den Pfahl, an dem der Wasserstand abzulesen ist, abgebrochen und in die Hecke geworfen hat. Weil ich bezweifle, dass ich den Weg ans andere Ende des Dorfes finden würde, wenn ich einen Umweg nähme, fahre ich trotzdem los, achte darauf, das Wasser nicht aufzuwühlen, und erreiche wohlbehalten das andere Ufer.
Ein Stück weiter den Hügel hinab fließt der Bach vor ein paar hellrosa gestrichenen Cottages, einem Laden mit integriertem Postamt und einer kleinen Kirche vorbei. Den Rest der gewaltigen Metropole Talyford - das ist ironisch gemeint! - bilden ein paar zu Wohnhäusern umgebaute, um einen Hof gruppierte strohgedeckte Scheunen, vor denen »Zu verkaufen«-Schilder stehen. Ich parke vor einem der Cottages, der Old Forge, und gehe über ein schmiedeeisernes Brückchen über den Bach zur Vordertür.
Ich klopfe, doch niemand macht auf. Ich rufe mir in Erinnerung, dass ich in Devon bin und hier alles etwas gemächlicher vonstattengeht, also warte ich ein paar Minuten, bevor ich ein zweites Mal klopfe. In der Ferne winselt ein Hund, und endlich wird die Tür geöffnet. Eine Frau, die ein paar Jahre älter ist als ich, begrüßt mich aus einem Rollstuhl heraus. Sofort fallen mir ihr violetter Eyeliner und der mit Farbe bespritzte Kittel auf.
»Hallo. Ich bin Maz, die Tierärztin. Ms Diamond?«
»Penny, bitte. Danke, dass Sie so schnell gekommen sind ...« Schwungvoll dreht sie ihren Rollstuhl zum Flur herum, sodass ich nur noch ihren Hinterkopf sehe: das ausgefranste Batiktuch, das sie wie ein Bandana um den Kopf gebunden hat, und die Holzperlen in ihren bunt gefärbten Locken. »Sally ist da hinten.«
Sie winkt mich an ihr vorbei in eine Art Atelier mit einer Staffelei und zahllosen Leinwänden, manche davon jungfräulich weiß, andere mit unheimlichen Landschaften bemalt. Einige sind in das gleißende Licht einer sengenden Sonne getaucht, andere dunkel und von schräg einfallendem Regen gepeitscht. Ich weiß nicht genau, wie ich sie beschreiben soll: impressionistisch oder amateurhaft. Aber wer bin ich schon, ihre Bilder zu kritisieren? Ich bin künstlerisch vollkommen unbegabt und könnte selbst nicht einen Strich malen oder zeichnen.
»Entschuldigen Sie das Chaos. Als der Makler das Haus als kleines Schmuckstück bezeichnete, war mir nicht klar, wie winzig es tatsächlich ist.« Penny deutet auf die gegenüberliegende Zimmerecke. »Sally ist da hinten. Ich mache mir wirklich Sorgen - so habe ich sie noch nie erlebt.«
Ich bemühe mich, nicht auf eine der Farbtuben zu treten, die über den Boden verstreut sind, und gehe um die Staffelei herum zu einer hübschen Golden-Retriever-Hündin mit rosafarbener Nase und dunkelbraunen Augen. Sie steht in der Ecke und trägt ein Geschirr mit einer kurzen Leine daran. Sie keucht, Geifer tropft ihr aus dem Maul, und ihr Bauch ist so stark angeschwollen, dass sie als Comic-Hund durchgehen könnte.
»Sie hatte ein verfrühtes Weihnachtsessen.« Penny dreht den silbernen Ornamentring an ihrem Finger. »Sie hat meins von der Anrichte stibitzt: gefüllten Truthahn, Rosenkohl, das komplette Programm.«
»Wann war das?« Ich versuche, Ruhe zu bewahren, doch in meinem Kopf schrillen die Alarmglocken: Sally geht es sehr schlecht, und wir haben nicht mehr viel Zeit.
»Vor ungefähr zwei Stunden. Declan, mein Pfleger, der zweimal am Tag herkommt, ist danach ausgiebig mit ihr Gassi gegangen. >Damit sie die zusätzlichen Kalorien wieder abtrainiert<, hat er gesagt. Anscheinend hat sie auf dem Rückweg sehr viel Wasser aus dem Bach getrunken, und seitdem wird ihr Bauch immer dicker und dicker.« Penny verzieht das sommersprossige Gesicht. »Ich habe Angst, dass sie gleich platzt.«
Die Hündin stöhnt und würgt. Spuckefäden hängen von ihrem Maul herab und bilden eine klebrige Pfütze auf dem Boden.
»Können Sie ihr irgendwas geben? Eine Spritze? Tabletten?«
»Ich wünschte, es wäre so einfach. Ich muss sie auf dem schnellsten Weg mit in die Praxis nehmen. Vielleicht muss sie eine Weile bei uns bleiben.«
»Ich soll Weihnachten ohne sie verbringen?«
»Es tut mir schrecklich leid, aber ...« Da gibt es nichts zu diskutieren. Wenn Sally überhaupt noch eine Chance hat, dann im Otter House, nicht hier in der Wildnis von Talyford.
»Ich bin auf Sally angewiesen«, fällt mir Penny ins Wort. »Sie hebt für mich Dinge vom Boden auf, holt das Telefon ...«
»Ach so.« Jetzt verstehe ich, warum der Hund im Haus Geschirr und Leine trägt. Ich spüre den wachsenden Druck, während Penny immer weiterredet, als könne sie nicht mehr aufhören - vermutlich eine Nebenwirkung des Alleinlebens. Wenigstens nehme ich an, dass sie allein lebt. Gegenüber dem Fenster, das auf einen sauber gemähten Rasen und einige Sträucher hinausgeht, hängen Fotos an der Wand, darunter auch Hochzeitsbilder einer jüngeren, viel schlankeren Penny in einem elfenbeinweißen Kleid im Stil der Zwanzigerjahre, auf denen sie neben einem ziemlich ungewöhnlichen Bräutigam mit stachelig gegeltem Haar und roten Röhrenhosen steht.
»Es ist ernst, stimmt's?« Pennys Stimme zittert. »Das sehe ich Ihnen an. Sie wird doch nicht sterben, oder?«
Nicht, wenn ich es verhindern kann, denke ich, verkneife mir jedoch eine allzu optimistische Antwort. Ich will Penny keine falschen Hoffnungen machen.
»Gibt es jemanden, der sich um Sie kümmern kann? Jemanden, zu dem Sie vorübergehend ziehen könnten?«, frage ich besorgt, denn ich weiß nicht, wie sie allein zurechtkommen soll, sowohl praktisch als auch emotional.
»Ich will Declan nicht zur Last fallen. Er hat angeboten, morgen den ganzen Tag herzukommen, aber ich habe ihm gesagt, das wäre nicht nötig. Er hat seine eigenen Freunde. Und meine Schwester kann ich nicht fragen, weil sie mit ihren Kindern in New York ist. Sally ist jetzt meine Familie. Sally, Liebes«, ruft Penny. Beim Klang ihres erstickten Schluchzens schaut die Hündin kurz auf, ehe sie den Blick wieder sinken lässt und unverwandt einen Farbklecks auf dem Steinboden anstarrt, als hinge ihr Überleben davon ab. »Was soll ich nur ohne dich machen?«
»Wir wollen hoffen, dass es nicht so weit kommt.« Ich nehme Sallys Leine und locke sie hinaus in den Flur, während Penny vorausrollt und uns die Haustür öffnet. »Ich rufe Sie an, sobald ich mehr weiß. Na komm, Sally, beeil dich«, füge ich hinzu, doch kaum sind wir draußen, weigert sich Sally, in den Fußraum meines Autos zu klettern, sodass ich sie halb hineinheben, halb hineinzwingen muss, wobei mir der Schneeregen in den Nacken peitscht. Sallys Gelenke sind steif, und ihre Krallen kratzen über den Lack. In ihrem harten Bauch pfeift und blubbert es wie Gas, das durch den Gärverschluss eines Glasballons entweicht.
»Für einen Assistenzhund bist du nicht sehr kooperativ«, sage ich zu ihr. Mühevoll verfrachte ich sie in den Fußraum auf der Beifahrerseite und bete, dass sie sich nicht übergeben muss.
Als ich beim Wegfahren noch einmal zum Cottage zurückschaue, sehe ich Penny hinter einem der Fenster. Sie hält ein Taschentuch vors Gesicht. Das Leben ist einfach nicht fair. Ich kann mir nicht vorstellen, wie es sein muss, im Rollstuhl zu sitzen und ständig auf andere Leute angewiesen zu sein - und auf einen Hund. Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich bei Sally in guten Pfoten fühlen würde.
Ich rufe in der Praxis an und bitte Frances, Izzy auszurichten, sie solle den OP-Raum vorbereiten.
»Izzy ist heute Nachmittag nicht da«, antwortet Frances. »Sie ist zum Last-Minute-Geschenkekauf nach Exeter gefahren.«
»Oh?« Das hatte ich vergessen. »Dann sagen Sie es am besten Emma. Ich habe hier einen Verdacht auf MDV-Syndrom.«
»Bitte keine Fachtermini, Maz. Was heißt das?«, fragt Frances. Ehe ich ihr allerdings erklären kann, dass es sich um eine Magenerweiterung mit einhergehender Magendrehung handelt, fügt sie hinzu: »Nein, lassen Sie nur -ich hab's notiert.«
»Danke, Frances.« Langsam und gleichmäßig fahre ich im ersten Gang zurück durch die Furt, doch genau in der Mitte erschauert der Wagen. Der Motor geht aus, das Auto bleibt stehen, und Wasser läuft in den Fußraum und verwandelt meine Füße in Eisblöcke. Sally klettert auf den Beifahrersitz und keucht mir feuchtwarmen, nach gärendem Rosenkohl stinkenden Atem ins Gesicht. Ich fummele mit dem Schlüssel in der Zündung herum und drücke das Gaspedal bis zum Boden, aber nichts passiert. Plötzlich leuchten die Scheinwerfer eines anderen Autos durch die Rückscheibe, und der Fahrer hupt, damit ich den Weg frei mache.
Was soll ich denn tun?, denke ich, während das Wasser an mir vorbeiströmt und das Hupen anhält. Was ist los mit diesen Leuten? Es ist ja wohl offensichtlich, dass ich nicht vom Fleck komme. Ich umklammere das Lenkrad, wütend auf den Fahrer hinter mir, wer auch immer er sein mag, aber vor allem auf mich selbst, da mit jeder Minute Sallys Überlebenschancen schwinden.
Ich öffne die Tür. »Maz? Maz!«, ruft jemand über das Rauschen des Bachs hinweg.
Ich beuge mich aus dem Wagen und sehe Alex, meinen aktuellen Freund und das Beste, was mir je passiert ist, auf mich zuwaten.
»Was um alles in der Welt machst du hier?«, frage ich überrascht und erfreut, auch wenn es mir ziemlich peinlich ist, dass er hier mitten in der Pampa plötzlich auftaucht und mich in diesem selbst verschuldeten Schlamassel findet.
»Ich komme gerade von den Wilds«, antwortet Alex. »Dem Gnadenhof?«
»Genau. Ich musste eines ihrer Pferde nähen. Eine kleine Stute, die sie halb tot aufgenommen und gesund gepflegt haben, und jetzt hat sich das arme Ding im Stacheldraht verfangen. So was nennt man wohl Pech.« Alex hält sich an der Wagentür fest, das Wasser wirbelt ein paar Zentimeter unter dem Rand seiner Gummistiefel vorbei: mein Ritter in glänzendem Geländewagen. »Ich habe die Abkürzung genommen.«
»Zum Glück«, entgegne ich mit einem Blick in seine Augen. Sie sind tiefblau und stürmisch wie ein Herbsthimmel. Die Spitzen seines dunklen Haars wellen sich in der Feuchtigkeit. Ich sehe die vereinzelten silbernen Haare an seinen Schläfen - immerhin ist er zehn Jahre älter als ich -und die Matschspritzer - nein, es ist Blut! - an der stonewashed Jeans, die seine langen, muskulösen Beine umschließt. Auch sein alter Wollpullover, an dem hier und da einzelne Fäden herausgezogen sind, ist mit Blut bespritzt.
»Das kannst du laut sagen. Mit deinem Schlitten kommst du ja offensichtlich nicht mehr weit«, bemerkt er lachend. Ich starre ihn nur verwirrt an, und er fügt hinzu: »Das Geweih.«
Errötend zerre ich mir den ziemlich verbogenen und mitgenommen aussehenden Haarreif vom Kopf und lege ihn aufs Armaturenbrett. Das war eine von Emmas bescheuerten Ideen, um in der Praxis Weihnachtsstimmung zu verbreiten. Was muss Penny bloß gedacht haben? Ich werfe einen Blick auf Sally. Ich könnte schwören, dass ihr Bauch noch dicker geworden ist, seit ich sie in den Wagen gezwängt habe.
»Alex, du musst uns mitnehmen«, sage ich drängend, als Sally erneut würgt. »Mich und den Hund.«
»Gerne.« Alex lächelt, und die Lachfältchen in seinen Augenwinkeln vertiefen sich - und ja, es sind eindeutig Lachfältchen und keine Sorgenfalten, denn Alex ist nicht der Typ, der sich groß Sorgen macht.
Mit vor Kälte klappernden Zähnen winde ich mich vom Fahrersitz in seine Arme, und er trägt mich zu seinem Geländewagen. Ich klammere mich ein winziges bisschen länger als nötig an ihn und atme seinen Geruch nach Kuh, Penizillin und Moschus ein, ehe er mich absetzt. Seine Lippen streifen meine, unsere Körper schmiegen sich kurz aneinander, mein Herz schlägt schneller an seiner Brust, seine Hand drückt meinen Hintern, und mir wird mit einem Mal gleich viel wärmer.
Hastig watet Alex zum Auto zurück, holt Sally und setzt sie auf den Rücksitz, da der Kofferraum mit seiner Ausrüstung, Medikamentenpackungen, Kälberschürzen und Eimern vollgestopft ist. (Alex und seinem Vater gehört die Tierarztpraxis im Talyton Manor. Es ist eine traditionelle Mischpraxis, in der sowohl Nutzvieh und Pferde als auch ein paar Katzen und Hunde behandelt werden.)
»Ich lasse jemanden mit dem Traktor herkommen und deinen Wagen zurück zum Herrenhaus schleppen, damit er repariert werden kann.« Alex setzt sich hinters Steuer und dreht den Zündschlüssel. »Was ist mit deiner Patientin?«
»Sie hatte eine Überdosis Weihnachtsbraten. Ihre Augen waren größer als ihr Magen.«
»Jetzt nicht mehr«, entgegnet Alex, woraufhin Sally herzzerreißend stöhnt. »Ich gebe lieber Gas«, fügt er hinzu, und der Motor erwacht zum Leben. »Die Hündin ist in schlechter Verfassung, und du bist nass bis auf die Haut. Ich sollte dich dringend aus diesen Klamotten holen -als rein vorbeugende Maßnahme, natürlich«, fährt er fort. »Wir wollen doch nicht, dass du über die Feiertage mit einer Lungenentzündung im Bett liegst.«
»Alexl«, schimpfe ich, dabei wünsche ich mir nichts mehr, als dass er mich auszieht und mit mir schläft ... Ich sehe mich nach Sally um. Nur nicht gerade jetzt.
»Leider«, sagt Alex, während wir nach Talyton hineinrasen, »bin ich auf dem Weg zu einem weiteren Hausbesuch. Meine Mutter hat heute so viele Termine wie möglich vergeben, weil sie hofft, dass es dann morgen ruhiger bleibt. Ach übrigens, konntest du mit Emma die Schicht tauschen?«
»Tut mir leid, Alex. Bens Eltern sind über Weihnachten bei ihnen zu Besuch. Sie bleiben nur drei Tage, und sie sind den ganzen Weg von Edinburgh hierher gefahren, um sie zu sehen. Und wenn Sally durchkommt, muss ich ohnehin in der Nähe bleiben, um ein Auge auf sie zu haben. Nimm's nicht persönlich.«
»Aber ich will Weihnachten mit dir zusammen verbringen ...«
»Das will ich doch auch ...« Nur du und ich, hätte ich am liebsten hinzugefügt, doch das kann ich nicht, da ich seine Gefühle nicht verletzen will. Ich bin noch nicht bereit für ein beschwingtes Weihnachtsfest im Herrenhaus mit Alex' Kindern und seinen Eltern. Wir schweigen beide, und ich beobachte, wie sich seine Wangenmuskeln rhythmisch anspannen.
»Lucie wird enttäuscht sein«, sagt er schließlich. »Sie wollte einen Strumpf für dich aufhängen.«
Ich bemühe mich, kein schlechtes Gewissen zu haben, weil ich sie enttäusche - immerhin hat er ihr gesagt, ich würde mit ihnen feiern, obwohl er keine Ahnung hatte, ob ich überhaupt kommen könnte. Lucie ist Alex' Tochter. Er hat auch einen Sohn, Sebastian, und ich will keine zu enge Beziehung zu ihnen aufbauen, solange ich nicht sicher bin, dass das mit uns etwas Ernstes ist. Ich weiß noch, wie meine Mutter ständig neue Freunde nach Hause brachte, um sie mir und meinem Bruder vorzustellen, und kaum hatte ich mich an den einen gewöhnt, machte sie mit ihm Schluss und schleppte den nächsten an. Nicht, dass ich die Absicht hätte, mit Alex Schluss zu machen - keineswegs. Aber ich habe noch immer ein bisschen Angst, dass er eines Tages mit mir Schluss machen könnte.
»Ich hatte gehofft, ich würde dich beim Aufwachen in meinem Strumpf finden«, meint Alex.
»Ich wusste gar nicht, dass du so etwas anziehst«, necke ich ihn. »Strümpfe«, füge ich hinzu, als er vorgibt, nicht zu verstehen, was ich meine.
»Da ist wohl der Kontakt zu meiner weiblichen Seite etwas abgerissen.«
»Welcher weiblichen Seite?«, frage ich verschmitzt. Was mich angeht, ist Alex durch und durch Mann.
»Dann feiern wir eben nächstes Jahr zusammen Weihnachten«, entgegnet er seufzend.
»Nächstes Jahr«, wiederhole ich leise und fürchte, das Schicksal herauszufordern, wenn ich tatsächlich zu glauben wage, dass wir kommenden Dezember nach wie vor zusammen sind. Ich kann nicht anders, nachdem meine beiden Exfreunde mich genau in dem Moment abserviert haben, als sie mich davon überzeugt hatten, dass es mit uns ausgehen würde wie im Märchen: glücklich und zufrieden bis an unser Lebensende. Ich versuche, optimistisch in die Zukunft zu blicken, als Sally erneut aufstößt, diesmal leiser. Warum sollte es beim dritten Versuch nicht klappen?
Alex fährt quer über die Gegenfahrbahn auf den Bürgersteig vor dem Otter House, würgt den Motor ab und springt aus dem Wagen. Er nimmt Sally auf den Arm, geht mit großen Schritten voraus und drückt mit einer Schulter die zweiflügelige Tür auf, als sei es seine Praxis. Im Vorbereitungsraum legt er Sally vorsichtig auf den Behandlungstisch, wo sie, nach Atem ringend und mit unheilvoll blauer Zunge, liegen bleibt.
»Das sieht gar nicht gut aus«, erklärt Emma, die mit einer OP-Haube statt der Weihnachtsmannmütze auf ihren braunen Locken aus dem OP-Raum kommt. In der Hand hält sie eine Magensonde. »Hallo, Alex. Was machst du denn hier?«, fragt sie. Ich ziehe einen Kittel über meine durchnässten Kleider und stecke den Stecker des Schergeräts ein.
»Ich bin zwischen zwei Hausbesuchen zufällig über Maz gestolpert. Sie ist in der Furt gestrandet. Wie geht's dir?«
»Gut, danke.« Voller Mutterstolz legt Emma fürsorglich eine Hand auf ihren Bauch. Sie ist mittlerweile im fünften Monat schwanger. »Und was ist mit dir? Wie läuft das Geschäft?«
»Ich habe im Moment ziemlich viel um die Ohren.« Alex hält Sally für mich fest, während ich an ihrer Seite ein Stück Fell wegschere. »Ich hetze von einem Hausbesuch zum nächsten.«
»Wir wissen hier vor lauter Arbeit auch kaum noch, wo uns der Kopf steht«, entgegnet Emma und scheint ihn mit dieser Bemerkung übertrumpfen zu wollen.
»Und trotzdem verdient ihr noch immer nicht genug, dass deine Partnerin sich ein anständiges Auto kaufen könnte.« Alex grinst. Obwohl es bereits eine ganze Weile her ist, seit sein Vater und er versucht haben, Emma daran zu hindern, eine zweite Tierarztpraxis in der Stadt zu eröffnen, herrscht nach wie vor ein gewisser Konkurrenzkampf zwischen Talyton Manor und dem Otter House. Das macht das Leben interessanter.
Ich sprühe Sallys Haut mit Desinfektionsmittel ein und muss niesen - dieses Zeug desinfiziert nicht nur, es ist ein wahres Wundermittel, wenn es darum geht, die Nasennebenhöhlen zu befreien.
»Wir wollen noch jemanden einstellen«, sagt Emma, »aber das hat Maz dir sicher schon erzählt.«
»Ich wünschte, mein Vater würde auch jemanden einstellen. Wir könnten einen weiteren Tierarzt gut gebrauchen«, antwortet Alex bedauernd.
»Ganz meine Meinung«, bestätige ich und nehme drei Kanülen mit dem größten Durchmesser aus der Schublade neben dem Behandlungstisch. »Dann könntest du auch endlich mal freinehmen.« Nacheinander steche ich die Kanülen durch Sallys Haut. Als sie die Magenwand durchstoßen, ertönt ein Zischen wie von einem lang gezogenen, leisen Furz, und es riecht nach fauligem Gemüse. Sallys Bauch erschlafft, und ihre Zunge nimmt wieder eine beruhigendere rosa Färbung an.
»Irgendwann kaufe ich ihm eine Flasche Single Malt, vielleicht stimmt ihn das ja milder«, wirft Alex ein.
Ich weiß, dass der alte Fox-Gifford schwierig ist, dennoch verstehe ich nicht, warum sich Alex alles von ihm gefallen lässt. Ich verkneife mir die Frage, warum er nicht einfach selbst einen dritten Tierarzt einstellt und seinen Vater vor vollendete Tatsachen stellt. Das ist jetzt nicht der richtige Moment dafür.
»Ich muss wieder los«, sagt Alex und tritt einen Schritt zurück.
...
Übersetzung: Nathalie Lemmens
Deutsche Erstausgabe Februar 2012 bei Blanvalet, einem Unternehmen
der Verlagsgruppe Random House GmbH, München
Als ich letztes Jahr den Sprung wagte und mich als Teilhaberin in die Tierarztpraxis meiner Freundin Emma einkaufte, hatte ich eine ziemlich genaue Vorstellung davon, was mich erwartete: eine gemütliche Landpraxis im beschaulichen Städtchen Talyton St. George. Zuvor hatte ich als viel beschäftigte Großstadttierärztin in London gearbeitet, und natürlich rechnete ich beim Umzug nach Devon mit einem gewissen Kulturschock, aber ich freute mich auch darauf, genügend Zeit zu haben, um meine hinreißenden neuen Kunden und ihre Haustiere kennenzulernen, und das Leben insgesamt etwas ruhiger anzugehen.
Jetzt schaue ich quer durch den Empfangsbereich zu Frances hinüber, die hinter ihrem mit Karten und Geschenken überhäuften Tresen steht, und lächle angesichts meiner Naivität. Frances wirkt gestresst. Ihre mandelblonde Perücke, die mich immer an Zuckerwatte erinnert, sitzt schief, und vereinzelte schüttere graue Strähnen schauen darunter hervor.
Mrs Dyer, die Frau des hiesigen Metzgers und eine unserer Stammkundinnen, bezahlt gerade einen Beutel Diätfutter und ein als weihnachtliches Knallbonbon verpacktes Spielzeug, das quietscht, als Frances es über den Scanner zieht. Beim zweiten Quietschen stürmt Mrs Dyers riesige Deutsche Dogge (die Harlekinvariante, die aussieht, als hätte jemand einen weißen Hund genommen und ihn mit schwarzer Farbe bekleckst), die bis dahin zitternd auf der Waage am anderen Ende des Empfangsbereichs saß, mit einem gewaltigen Satz auf den Tresen zu, während Izzy am anderen Ende der Leine hängt.
»Brutus! Aus!« Izzys Augen funkeln. Genau wie die Schneeflocken an ihrem Haarreif. Und etwas in ihrer Stimme lässt den Hund auf der Stelle erstarren. Brutus mag ein großer Hund sein - er ist so breit, dass man ihn ohne Weiteres als Couchtisch nutzen könnte -, aber unserer Tierarzthelferin ist er nicht gewachsen. Er weiß genau, wer von ihnen beiden das Sagen hat.
»Er hält es für ein Baby«, erklärt Mrs Dyer den übrigen Kunden im Wartebereich, deren Tiere auf ihrem Schoß oder unter den Stühlen Zuflucht gesucht haben. »Er liebt Babys. Am liebsten würde er gar nicht mehr aufhören, sie abzuschlecken.«
Lynsey Pitt, die ihren Hund Raffles, einen kleinen goldbraunen Mischling mit kurzen Beinen und ausgeprägter Persönlichkeit, für eine reichlich späte Auffrischungsimpfung vorbeigebracht hat, drückt ihre wenige Monate alte Tochter fester an ihre Brust. Brutus jedoch schüttelt den Kopf, sodass ein glänzender Geiferschauer über Izzys dunkelblaue Praxiskleidung geschleudert wird, und trottet anschließend brav wieder zurück zur Waage.
Izzy überzeugt ihn mit Hilfe eines gesunden, kalorienarmen Leckerlis davon, sich wieder daraufzustellen, während Diana, eine weiße Boxerhündin mit breit grinsendem Gesicht, hartnäckig versucht, sich zu ihm zu gesellen. Es würde nichts nützen, wenn Izzy mit ihr schimpfen würde, denn sie ist stocktaub und reagiert auf Handzeichen - und auch das nur, wenn sie Lust dazu hat.
Eine ältere Frau, an die ich mich noch vage von einem Vortrag mit dem Titel »Aus dem Leben einer Tierärztin« erinnere, den ich im November vor dem Frauenverein gehalten habe, kämpft sich mit einem Einkaufstrolley, auf dem sie eine Katzenbox balanciert, durch die zweiflügelige Glastür. Gleich dahinter folgt ein höchstens zwölf Jahre altes Mädchen mit einem kleinen durchlöcherten Karton. Frances begrüßt die Frau mit der Katze und beginnt ihre Daten in den Computer einzugeben, der Postbote kommt mit einigen Päckchen herein, deren Empfang jemand quittieren muss, und das Telefon klingelt. Ich gehe ran.
»Kleintierpraxis Otter House« - ich liebe diese Wort& -, »was kann ich für Sie tun?« Nachdem ich von der panischen Anruferin erfahren habe, dass es sich um einen Notfall handelt und sie ans Haus gefesselt ist, vereinbare ich mit ihr einen Hausbesuch. »Ich komme, so schnell ich kann.«
Als ich auflege, sieht Frances mich missbilligend an. Ich weiß, worauf sie hinauswill.
»Wenn Sie noch mehr Termine annehmen«, sagt sie mit einem Blick auf den voll besetzten Wartebereich, »sitzen wir alle noch Weihnachten hier.«
»Es ist Weihnachten, Frances, zumindest so gut wie.« Morgen ist Heiligabend. Ich reiße meinen Blick von den hypnotisierenden limettengrünen und gelben Wirbeln auf Frances' Oberteil los. Emma wäre es lieber, wenn sie die gleiche Praxiskleidung tragen würde wie wir alle, ihr zufolge steht dieser Neo-Hippie-Look sowieso niemandem, und erst recht nicht einer Frau Ende fünfzig, doch ich finde, Frances' Kleidung bringt ein bisschen Fröhlichkeit in die Praxis und bildet eine willkommene Abwechslung zu dem ganzen Blau ringsum: blaue Stühle, blassblaue Wände und der blaugraue rutschfeste, leicht zu reinigende Bodenbelag. Emma hat das ausgesucht - Blau ist ihre Lieblingsfarbe. »Ich muss los. Würden Sie Emma ausrichten, dass ich nach Talyford fahre?« Ich will sie nicht stören, wenn sie gerade einen Patienten behandelt.
»Wird erledigt«, antwortet Frances.
Ich nehme den Zettel, auf dem ich die Adresse notiert habe, hole meine Jacke und die Schlüssel aus dem Umkleideraum und renne hinaus. Frances' Stimme klingt hinter mir her.
»Halt, Maz, warten Sie. Haben Sie nicht etwas vergessen?« Als ich mich umdrehe, sehe ich, dass Frances meine Arzttasche in der ausgestreckten Hand hält. »Eines Tages vergessen Sie noch Ihren Kopf«, fügt sie mit gespielter Strenge hinzu.
Ich hole mein Auto, ein sportliches Coupé das ich in letzter Zeit kaum benutzt habe. Die Fahrt nach Talyford wird ihm guttun. Wenigstens ist das meine Ausrede - sie wird auch mir guttun. Ich sollte es gegen einen praktischeren Wagen eintauschen, aber - nicht, dass ich gefühlsduselig wäre oder so - es kommt mir vor wie die letzte Verbindung zu meinem früheren Leben als Tierärztin in London.
Während ich vom Parkplatz neben dem Otter House fahre, werfe ich einen Blick zurück auf die Praxis, ein solides, cremefarben verputztes, dreistöckiges georgianisches Haus. Auf einem Messingschild steht mein Name, zusammen mit dem von Emma - seit fast fünfzehn Jahren meine beste Freundin und mittlerweile auch Geschäftspartnerin. Es kommt mir vor wie ein Traum, und wenn ich nicht gerade hinterm Steuer säße, müsste ich mich kneifen. Ich kann mein Glück noch immer nicht fassen.
Schon damals, als wir uns an der Tiermedizinischen Fakultät bei der Obduktion eines Windhunds kennenlernten, hoffte ich, dass wir eines Tages zusammenarbeiten würden. Ich muss lächeln, da mir einer unserer Professoren einfällt, der sich für eine Art Filmfreak hielt. Mich nannte er wegen meiner blonden Haare immer Gwyneth Paltrow und Emma Catherine Zeta-Jones.
Ich folge dem verwirrenden Einbahnstraßensystem, das sich mit der Zeit entwickelt hat, weil die Straßen in Talyton St. George für zwei Fahrzeuge zu schmal sind, aus der Stadt hinaus. Mit voll aufgedrehter Heizung kurve ich am Metzgerladen vorbei, wo die Kunden mit Mänteln und Schirmen unter einer gestreiften Markise anstehen, um ihre vorbestellten Truthähne und Schinken abzuholen. Zwischen Laceys Weinhandel und Lupins Andenkenladen biege ich vom Marktplatz ab und folge dem Hinweisschild Richtung Talyford nach Norden.
Der örtliche Radiosender Megadrive Radio spielt einen Oldie von Wet Wet Wet. Es gießt in Strömen, und nach und nach verwandelt sich der Regen in Schneeregen.
Talyford. Der Name hätte mir zu denken geben sollen, denke ich bitter, als ich am Rand des trüben Bachs anhalte, der schäumend und strudelnd quer über die Straße fließt, ehe er weiter unten im Tal in den Fluss mündet. Vermutlich ist es sicher, die Furt zu durchqueren. Aber wissen kann ich es nicht, da jemand den Pfahl, an dem der Wasserstand abzulesen ist, abgebrochen und in die Hecke geworfen hat. Weil ich bezweifle, dass ich den Weg ans andere Ende des Dorfes finden würde, wenn ich einen Umweg nähme, fahre ich trotzdem los, achte darauf, das Wasser nicht aufzuwühlen, und erreiche wohlbehalten das andere Ufer.
Ein Stück weiter den Hügel hinab fließt der Bach vor ein paar hellrosa gestrichenen Cottages, einem Laden mit integriertem Postamt und einer kleinen Kirche vorbei. Den Rest der gewaltigen Metropole Talyford - das ist ironisch gemeint! - bilden ein paar zu Wohnhäusern umgebaute, um einen Hof gruppierte strohgedeckte Scheunen, vor denen »Zu verkaufen«-Schilder stehen. Ich parke vor einem der Cottages, der Old Forge, und gehe über ein schmiedeeisernes Brückchen über den Bach zur Vordertür.
Ich klopfe, doch niemand macht auf. Ich rufe mir in Erinnerung, dass ich in Devon bin und hier alles etwas gemächlicher vonstattengeht, also warte ich ein paar Minuten, bevor ich ein zweites Mal klopfe. In der Ferne winselt ein Hund, und endlich wird die Tür geöffnet. Eine Frau, die ein paar Jahre älter ist als ich, begrüßt mich aus einem Rollstuhl heraus. Sofort fallen mir ihr violetter Eyeliner und der mit Farbe bespritzte Kittel auf.
»Hallo. Ich bin Maz, die Tierärztin. Ms Diamond?«
»Penny, bitte. Danke, dass Sie so schnell gekommen sind ...« Schwungvoll dreht sie ihren Rollstuhl zum Flur herum, sodass ich nur noch ihren Hinterkopf sehe: das ausgefranste Batiktuch, das sie wie ein Bandana um den Kopf gebunden hat, und die Holzperlen in ihren bunt gefärbten Locken. »Sally ist da hinten.«
Sie winkt mich an ihr vorbei in eine Art Atelier mit einer Staffelei und zahllosen Leinwänden, manche davon jungfräulich weiß, andere mit unheimlichen Landschaften bemalt. Einige sind in das gleißende Licht einer sengenden Sonne getaucht, andere dunkel und von schräg einfallendem Regen gepeitscht. Ich weiß nicht genau, wie ich sie beschreiben soll: impressionistisch oder amateurhaft. Aber wer bin ich schon, ihre Bilder zu kritisieren? Ich bin künstlerisch vollkommen unbegabt und könnte selbst nicht einen Strich malen oder zeichnen.
»Entschuldigen Sie das Chaos. Als der Makler das Haus als kleines Schmuckstück bezeichnete, war mir nicht klar, wie winzig es tatsächlich ist.« Penny deutet auf die gegenüberliegende Zimmerecke. »Sally ist da hinten. Ich mache mir wirklich Sorgen - so habe ich sie noch nie erlebt.«
Ich bemühe mich, nicht auf eine der Farbtuben zu treten, die über den Boden verstreut sind, und gehe um die Staffelei herum zu einer hübschen Golden-Retriever-Hündin mit rosafarbener Nase und dunkelbraunen Augen. Sie steht in der Ecke und trägt ein Geschirr mit einer kurzen Leine daran. Sie keucht, Geifer tropft ihr aus dem Maul, und ihr Bauch ist so stark angeschwollen, dass sie als Comic-Hund durchgehen könnte.
»Sie hatte ein verfrühtes Weihnachtsessen.« Penny dreht den silbernen Ornamentring an ihrem Finger. »Sie hat meins von der Anrichte stibitzt: gefüllten Truthahn, Rosenkohl, das komplette Programm.«
»Wann war das?« Ich versuche, Ruhe zu bewahren, doch in meinem Kopf schrillen die Alarmglocken: Sally geht es sehr schlecht, und wir haben nicht mehr viel Zeit.
»Vor ungefähr zwei Stunden. Declan, mein Pfleger, der zweimal am Tag herkommt, ist danach ausgiebig mit ihr Gassi gegangen. >Damit sie die zusätzlichen Kalorien wieder abtrainiert<, hat er gesagt. Anscheinend hat sie auf dem Rückweg sehr viel Wasser aus dem Bach getrunken, und seitdem wird ihr Bauch immer dicker und dicker.« Penny verzieht das sommersprossige Gesicht. »Ich habe Angst, dass sie gleich platzt.«
Die Hündin stöhnt und würgt. Spuckefäden hängen von ihrem Maul herab und bilden eine klebrige Pfütze auf dem Boden.
»Können Sie ihr irgendwas geben? Eine Spritze? Tabletten?«
»Ich wünschte, es wäre so einfach. Ich muss sie auf dem schnellsten Weg mit in die Praxis nehmen. Vielleicht muss sie eine Weile bei uns bleiben.«
»Ich soll Weihnachten ohne sie verbringen?«
»Es tut mir schrecklich leid, aber ...« Da gibt es nichts zu diskutieren. Wenn Sally überhaupt noch eine Chance hat, dann im Otter House, nicht hier in der Wildnis von Talyford.
»Ich bin auf Sally angewiesen«, fällt mir Penny ins Wort. »Sie hebt für mich Dinge vom Boden auf, holt das Telefon ...«
»Ach so.« Jetzt verstehe ich, warum der Hund im Haus Geschirr und Leine trägt. Ich spüre den wachsenden Druck, während Penny immer weiterredet, als könne sie nicht mehr aufhören - vermutlich eine Nebenwirkung des Alleinlebens. Wenigstens nehme ich an, dass sie allein lebt. Gegenüber dem Fenster, das auf einen sauber gemähten Rasen und einige Sträucher hinausgeht, hängen Fotos an der Wand, darunter auch Hochzeitsbilder einer jüngeren, viel schlankeren Penny in einem elfenbeinweißen Kleid im Stil der Zwanzigerjahre, auf denen sie neben einem ziemlich ungewöhnlichen Bräutigam mit stachelig gegeltem Haar und roten Röhrenhosen steht.
»Es ist ernst, stimmt's?« Pennys Stimme zittert. »Das sehe ich Ihnen an. Sie wird doch nicht sterben, oder?«
Nicht, wenn ich es verhindern kann, denke ich, verkneife mir jedoch eine allzu optimistische Antwort. Ich will Penny keine falschen Hoffnungen machen.
»Gibt es jemanden, der sich um Sie kümmern kann? Jemanden, zu dem Sie vorübergehend ziehen könnten?«, frage ich besorgt, denn ich weiß nicht, wie sie allein zurechtkommen soll, sowohl praktisch als auch emotional.
»Ich will Declan nicht zur Last fallen. Er hat angeboten, morgen den ganzen Tag herzukommen, aber ich habe ihm gesagt, das wäre nicht nötig. Er hat seine eigenen Freunde. Und meine Schwester kann ich nicht fragen, weil sie mit ihren Kindern in New York ist. Sally ist jetzt meine Familie. Sally, Liebes«, ruft Penny. Beim Klang ihres erstickten Schluchzens schaut die Hündin kurz auf, ehe sie den Blick wieder sinken lässt und unverwandt einen Farbklecks auf dem Steinboden anstarrt, als hinge ihr Überleben davon ab. »Was soll ich nur ohne dich machen?«
»Wir wollen hoffen, dass es nicht so weit kommt.« Ich nehme Sallys Leine und locke sie hinaus in den Flur, während Penny vorausrollt und uns die Haustür öffnet. »Ich rufe Sie an, sobald ich mehr weiß. Na komm, Sally, beeil dich«, füge ich hinzu, doch kaum sind wir draußen, weigert sich Sally, in den Fußraum meines Autos zu klettern, sodass ich sie halb hineinheben, halb hineinzwingen muss, wobei mir der Schneeregen in den Nacken peitscht. Sallys Gelenke sind steif, und ihre Krallen kratzen über den Lack. In ihrem harten Bauch pfeift und blubbert es wie Gas, das durch den Gärverschluss eines Glasballons entweicht.
»Für einen Assistenzhund bist du nicht sehr kooperativ«, sage ich zu ihr. Mühevoll verfrachte ich sie in den Fußraum auf der Beifahrerseite und bete, dass sie sich nicht übergeben muss.
Als ich beim Wegfahren noch einmal zum Cottage zurückschaue, sehe ich Penny hinter einem der Fenster. Sie hält ein Taschentuch vors Gesicht. Das Leben ist einfach nicht fair. Ich kann mir nicht vorstellen, wie es sein muss, im Rollstuhl zu sitzen und ständig auf andere Leute angewiesen zu sein - und auf einen Hund. Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich bei Sally in guten Pfoten fühlen würde.
Ich rufe in der Praxis an und bitte Frances, Izzy auszurichten, sie solle den OP-Raum vorbereiten.
»Izzy ist heute Nachmittag nicht da«, antwortet Frances. »Sie ist zum Last-Minute-Geschenkekauf nach Exeter gefahren.«
»Oh?« Das hatte ich vergessen. »Dann sagen Sie es am besten Emma. Ich habe hier einen Verdacht auf MDV-Syndrom.«
»Bitte keine Fachtermini, Maz. Was heißt das?«, fragt Frances. Ehe ich ihr allerdings erklären kann, dass es sich um eine Magenerweiterung mit einhergehender Magendrehung handelt, fügt sie hinzu: »Nein, lassen Sie nur -ich hab's notiert.«
»Danke, Frances.« Langsam und gleichmäßig fahre ich im ersten Gang zurück durch die Furt, doch genau in der Mitte erschauert der Wagen. Der Motor geht aus, das Auto bleibt stehen, und Wasser läuft in den Fußraum und verwandelt meine Füße in Eisblöcke. Sally klettert auf den Beifahrersitz und keucht mir feuchtwarmen, nach gärendem Rosenkohl stinkenden Atem ins Gesicht. Ich fummele mit dem Schlüssel in der Zündung herum und drücke das Gaspedal bis zum Boden, aber nichts passiert. Plötzlich leuchten die Scheinwerfer eines anderen Autos durch die Rückscheibe, und der Fahrer hupt, damit ich den Weg frei mache.
Was soll ich denn tun?, denke ich, während das Wasser an mir vorbeiströmt und das Hupen anhält. Was ist los mit diesen Leuten? Es ist ja wohl offensichtlich, dass ich nicht vom Fleck komme. Ich umklammere das Lenkrad, wütend auf den Fahrer hinter mir, wer auch immer er sein mag, aber vor allem auf mich selbst, da mit jeder Minute Sallys Überlebenschancen schwinden.
Ich öffne die Tür. »Maz? Maz!«, ruft jemand über das Rauschen des Bachs hinweg.
Ich beuge mich aus dem Wagen und sehe Alex, meinen aktuellen Freund und das Beste, was mir je passiert ist, auf mich zuwaten.
»Was um alles in der Welt machst du hier?«, frage ich überrascht und erfreut, auch wenn es mir ziemlich peinlich ist, dass er hier mitten in der Pampa plötzlich auftaucht und mich in diesem selbst verschuldeten Schlamassel findet.
»Ich komme gerade von den Wilds«, antwortet Alex. »Dem Gnadenhof?«
»Genau. Ich musste eines ihrer Pferde nähen. Eine kleine Stute, die sie halb tot aufgenommen und gesund gepflegt haben, und jetzt hat sich das arme Ding im Stacheldraht verfangen. So was nennt man wohl Pech.« Alex hält sich an der Wagentür fest, das Wasser wirbelt ein paar Zentimeter unter dem Rand seiner Gummistiefel vorbei: mein Ritter in glänzendem Geländewagen. »Ich habe die Abkürzung genommen.«
»Zum Glück«, entgegne ich mit einem Blick in seine Augen. Sie sind tiefblau und stürmisch wie ein Herbsthimmel. Die Spitzen seines dunklen Haars wellen sich in der Feuchtigkeit. Ich sehe die vereinzelten silbernen Haare an seinen Schläfen - immerhin ist er zehn Jahre älter als ich -und die Matschspritzer - nein, es ist Blut! - an der stonewashed Jeans, die seine langen, muskulösen Beine umschließt. Auch sein alter Wollpullover, an dem hier und da einzelne Fäden herausgezogen sind, ist mit Blut bespritzt.
»Das kannst du laut sagen. Mit deinem Schlitten kommst du ja offensichtlich nicht mehr weit«, bemerkt er lachend. Ich starre ihn nur verwirrt an, und er fügt hinzu: »Das Geweih.«
Errötend zerre ich mir den ziemlich verbogenen und mitgenommen aussehenden Haarreif vom Kopf und lege ihn aufs Armaturenbrett. Das war eine von Emmas bescheuerten Ideen, um in der Praxis Weihnachtsstimmung zu verbreiten. Was muss Penny bloß gedacht haben? Ich werfe einen Blick auf Sally. Ich könnte schwören, dass ihr Bauch noch dicker geworden ist, seit ich sie in den Wagen gezwängt habe.
»Alex, du musst uns mitnehmen«, sage ich drängend, als Sally erneut würgt. »Mich und den Hund.«
»Gerne.« Alex lächelt, und die Lachfältchen in seinen Augenwinkeln vertiefen sich - und ja, es sind eindeutig Lachfältchen und keine Sorgenfalten, denn Alex ist nicht der Typ, der sich groß Sorgen macht.
Mit vor Kälte klappernden Zähnen winde ich mich vom Fahrersitz in seine Arme, und er trägt mich zu seinem Geländewagen. Ich klammere mich ein winziges bisschen länger als nötig an ihn und atme seinen Geruch nach Kuh, Penizillin und Moschus ein, ehe er mich absetzt. Seine Lippen streifen meine, unsere Körper schmiegen sich kurz aneinander, mein Herz schlägt schneller an seiner Brust, seine Hand drückt meinen Hintern, und mir wird mit einem Mal gleich viel wärmer.
Hastig watet Alex zum Auto zurück, holt Sally und setzt sie auf den Rücksitz, da der Kofferraum mit seiner Ausrüstung, Medikamentenpackungen, Kälberschürzen und Eimern vollgestopft ist. (Alex und seinem Vater gehört die Tierarztpraxis im Talyton Manor. Es ist eine traditionelle Mischpraxis, in der sowohl Nutzvieh und Pferde als auch ein paar Katzen und Hunde behandelt werden.)
»Ich lasse jemanden mit dem Traktor herkommen und deinen Wagen zurück zum Herrenhaus schleppen, damit er repariert werden kann.« Alex setzt sich hinters Steuer und dreht den Zündschlüssel. »Was ist mit deiner Patientin?«
»Sie hatte eine Überdosis Weihnachtsbraten. Ihre Augen waren größer als ihr Magen.«
»Jetzt nicht mehr«, entgegnet Alex, woraufhin Sally herzzerreißend stöhnt. »Ich gebe lieber Gas«, fügt er hinzu, und der Motor erwacht zum Leben. »Die Hündin ist in schlechter Verfassung, und du bist nass bis auf die Haut. Ich sollte dich dringend aus diesen Klamotten holen -als rein vorbeugende Maßnahme, natürlich«, fährt er fort. »Wir wollen doch nicht, dass du über die Feiertage mit einer Lungenentzündung im Bett liegst.«
»Alexl«, schimpfe ich, dabei wünsche ich mir nichts mehr, als dass er mich auszieht und mit mir schläft ... Ich sehe mich nach Sally um. Nur nicht gerade jetzt.
»Leider«, sagt Alex, während wir nach Talyton hineinrasen, »bin ich auf dem Weg zu einem weiteren Hausbesuch. Meine Mutter hat heute so viele Termine wie möglich vergeben, weil sie hofft, dass es dann morgen ruhiger bleibt. Ach übrigens, konntest du mit Emma die Schicht tauschen?«
»Tut mir leid, Alex. Bens Eltern sind über Weihnachten bei ihnen zu Besuch. Sie bleiben nur drei Tage, und sie sind den ganzen Weg von Edinburgh hierher gefahren, um sie zu sehen. Und wenn Sally durchkommt, muss ich ohnehin in der Nähe bleiben, um ein Auge auf sie zu haben. Nimm's nicht persönlich.«
»Aber ich will Weihnachten mit dir zusammen verbringen ...«
»Das will ich doch auch ...« Nur du und ich, hätte ich am liebsten hinzugefügt, doch das kann ich nicht, da ich seine Gefühle nicht verletzen will. Ich bin noch nicht bereit für ein beschwingtes Weihnachtsfest im Herrenhaus mit Alex' Kindern und seinen Eltern. Wir schweigen beide, und ich beobachte, wie sich seine Wangenmuskeln rhythmisch anspannen.
»Lucie wird enttäuscht sein«, sagt er schließlich. »Sie wollte einen Strumpf für dich aufhängen.«
Ich bemühe mich, kein schlechtes Gewissen zu haben, weil ich sie enttäusche - immerhin hat er ihr gesagt, ich würde mit ihnen feiern, obwohl er keine Ahnung hatte, ob ich überhaupt kommen könnte. Lucie ist Alex' Tochter. Er hat auch einen Sohn, Sebastian, und ich will keine zu enge Beziehung zu ihnen aufbauen, solange ich nicht sicher bin, dass das mit uns etwas Ernstes ist. Ich weiß noch, wie meine Mutter ständig neue Freunde nach Hause brachte, um sie mir und meinem Bruder vorzustellen, und kaum hatte ich mich an den einen gewöhnt, machte sie mit ihm Schluss und schleppte den nächsten an. Nicht, dass ich die Absicht hätte, mit Alex Schluss zu machen - keineswegs. Aber ich habe noch immer ein bisschen Angst, dass er eines Tages mit mir Schluss machen könnte.
»Ich hatte gehofft, ich würde dich beim Aufwachen in meinem Strumpf finden«, meint Alex.
»Ich wusste gar nicht, dass du so etwas anziehst«, necke ich ihn. »Strümpfe«, füge ich hinzu, als er vorgibt, nicht zu verstehen, was ich meine.
»Da ist wohl der Kontakt zu meiner weiblichen Seite etwas abgerissen.«
»Welcher weiblichen Seite?«, frage ich verschmitzt. Was mich angeht, ist Alex durch und durch Mann.
»Dann feiern wir eben nächstes Jahr zusammen Weihnachten«, entgegnet er seufzend.
»Nächstes Jahr«, wiederhole ich leise und fürchte, das Schicksal herauszufordern, wenn ich tatsächlich zu glauben wage, dass wir kommenden Dezember nach wie vor zusammen sind. Ich kann nicht anders, nachdem meine beiden Exfreunde mich genau in dem Moment abserviert haben, als sie mich davon überzeugt hatten, dass es mit uns ausgehen würde wie im Märchen: glücklich und zufrieden bis an unser Lebensende. Ich versuche, optimistisch in die Zukunft zu blicken, als Sally erneut aufstößt, diesmal leiser. Warum sollte es beim dritten Versuch nicht klappen?
Alex fährt quer über die Gegenfahrbahn auf den Bürgersteig vor dem Otter House, würgt den Motor ab und springt aus dem Wagen. Er nimmt Sally auf den Arm, geht mit großen Schritten voraus und drückt mit einer Schulter die zweiflügelige Tür auf, als sei es seine Praxis. Im Vorbereitungsraum legt er Sally vorsichtig auf den Behandlungstisch, wo sie, nach Atem ringend und mit unheilvoll blauer Zunge, liegen bleibt.
»Das sieht gar nicht gut aus«, erklärt Emma, die mit einer OP-Haube statt der Weihnachtsmannmütze auf ihren braunen Locken aus dem OP-Raum kommt. In der Hand hält sie eine Magensonde. »Hallo, Alex. Was machst du denn hier?«, fragt sie. Ich ziehe einen Kittel über meine durchnässten Kleider und stecke den Stecker des Schergeräts ein.
»Ich bin zwischen zwei Hausbesuchen zufällig über Maz gestolpert. Sie ist in der Furt gestrandet. Wie geht's dir?«
»Gut, danke.« Voller Mutterstolz legt Emma fürsorglich eine Hand auf ihren Bauch. Sie ist mittlerweile im fünften Monat schwanger. »Und was ist mit dir? Wie läuft das Geschäft?«
»Ich habe im Moment ziemlich viel um die Ohren.« Alex hält Sally für mich fest, während ich an ihrer Seite ein Stück Fell wegschere. »Ich hetze von einem Hausbesuch zum nächsten.«
»Wir wissen hier vor lauter Arbeit auch kaum noch, wo uns der Kopf steht«, entgegnet Emma und scheint ihn mit dieser Bemerkung übertrumpfen zu wollen.
»Und trotzdem verdient ihr noch immer nicht genug, dass deine Partnerin sich ein anständiges Auto kaufen könnte.« Alex grinst. Obwohl es bereits eine ganze Weile her ist, seit sein Vater und er versucht haben, Emma daran zu hindern, eine zweite Tierarztpraxis in der Stadt zu eröffnen, herrscht nach wie vor ein gewisser Konkurrenzkampf zwischen Talyton Manor und dem Otter House. Das macht das Leben interessanter.
Ich sprühe Sallys Haut mit Desinfektionsmittel ein und muss niesen - dieses Zeug desinfiziert nicht nur, es ist ein wahres Wundermittel, wenn es darum geht, die Nasennebenhöhlen zu befreien.
»Wir wollen noch jemanden einstellen«, sagt Emma, »aber das hat Maz dir sicher schon erzählt.«
»Ich wünschte, mein Vater würde auch jemanden einstellen. Wir könnten einen weiteren Tierarzt gut gebrauchen«, antwortet Alex bedauernd.
»Ganz meine Meinung«, bestätige ich und nehme drei Kanülen mit dem größten Durchmesser aus der Schublade neben dem Behandlungstisch. »Dann könntest du auch endlich mal freinehmen.« Nacheinander steche ich die Kanülen durch Sallys Haut. Als sie die Magenwand durchstoßen, ertönt ein Zischen wie von einem lang gezogenen, leisen Furz, und es riecht nach fauligem Gemüse. Sallys Bauch erschlafft, und ihre Zunge nimmt wieder eine beruhigendere rosa Färbung an.
»Irgendwann kaufe ich ihm eine Flasche Single Malt, vielleicht stimmt ihn das ja milder«, wirft Alex ein.
Ich weiß, dass der alte Fox-Gifford schwierig ist, dennoch verstehe ich nicht, warum sich Alex alles von ihm gefallen lässt. Ich verkneife mir die Frage, warum er nicht einfach selbst einen dritten Tierarzt einstellt und seinen Vater vor vollendete Tatsachen stellt. Das ist jetzt nicht der richtige Moment dafür.
»Ich muss wieder los«, sagt Alex und tritt einen Schritt zurück.
...
Übersetzung: Nathalie Lemmens
Deutsche Erstausgabe Februar 2012 bei Blanvalet, einem Unternehmen
der Verlagsgruppe Random House GmbH, München
... weniger
Autoren-Porträt von Cathy Woodman
Cathy Woodman ist Autorin mehrerer Romane und selbst ausgebildete Tierärztin. Sie hat ein ganzes Haus voller Haustiere, auch wenn sie sich mittlerweile ausschließlich dem Schreiben widmet.
Bibliographische Angaben
- Autor: Cathy Woodman
- 2012, 562 Seiten, Maße: 11,8 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Lemmens, Nathalie
- Übersetzer: Nathalie Lemmens
- Verlag: Blanvalet
- ISBN-10: 3442375231
- ISBN-13: 9783442375233
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