Das ägyptische Amulett
Paris, 1798: Alles beginnt mit einem Kartenspiel, bei dem der amerikanische Abenteurer Ethan Gage ein altes ägyptisches Amulett gewinnt. Doch dieses bringt dem neuen Besitzer nicht viel Segen. Unschuldig des Mordes bezichtigt, bleibt Ethan nur die...
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Paris, 1798: Alles beginnt mit einem Kartenspiel, bei dem der amerikanische Abenteurer Ethan Gage ein altes ägyptisches Amulett gewinnt. Doch dieses bringt dem neuen Besitzer nicht viel Segen. Unschuldig des Mordes bezichtigt, bleibt Ethan nur die Flucht. Er schließt sich Napoleons Ägyptenfeldzug an. Doch im Land der Pharaonen erwarten ihn große Gefahren.
Lese-Probe zu „Das ägyptische Amulett “
Das ägyptische Amulett von William Dietrich 1
Mit Glück im Kartenspiel fing der ganze Schlamassel an, und die Teilnahme an einer wahnwitzigen Invasion schien der Ausweg zu sein. Ich gewann ein Schmuckstück und verlor beinahe mein Leben, also seien Sie gewarnt: Spielen ist ein Laster. Außerdem ist es verführerisch, gesellig und, wenn man mich fragt, so natürlich wie das Atmen. Ist nicht die Geburt an sich schon ein Kartenspiel, bei dem die Vorsehung das eine Kind als Bauern, das andere als König aufdeckt?
Während der Französischen Revolution wurden die Einsätze einfach erhöht, da ehrgeizige Juristen vorübergehend als Diktatoren herrschten und der arme König Ludwig den Kopf verlor. Unter der Schreckensherrschaft hatte das Gespenst der Guillotine das Dasein selbst zur reinen Glückssache gemacht. Dann setzte mit dem Tod von Robespierre eine überschäumende Erleichterung ein, ausgelassene Paare übten auf den Gräbern des Friedhofs St. Sulpice den neuen deutschen Tanzschritt, Walzer genannt.
Jetzt, vier Jahre später, hatte sich die Nation mit Krieg, Korruption und Vergnügungssucht abgefunden. Freudlosigkeit war prächtigen Uniformen gewichen, Sittsamkeit der décolletage, und geplünderte Villen wurden mit Salons für Schöngeister und chambres séparées neu besetzt. Der Adel war zwar nach wie vor verpönt, doch durch revolutionären Wohlstand entstand eine neue Aristokratie. Eine Clique selbst ernannter »wunderbarer Frauen«, die durch Paris stolzierte, prahlte mit ihrem »unverschämten Luxus inmitten öffentlichen Elends«.
Bälle wurden veranstaltet, auf denen die Frauen zur Verspottung der Guillotine rote Bänder um den Hals trugen. Die Stadt zählte viertausend Spielsalons, manche so schlicht ausgestattet, dass Kunden ihre eigenen
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Klappstühle mitbrachten, andere wiederum derart opulent, dass hors d'oeuvres auf sakralen Tellern serviert wurden und die Abtritte innen lagen.
Meine amerikanischen Briefpartner fanden beides gleichermaßen skandalös. Würfel und Karten flogen: Creps, Trente-et-un, Pharao, Biribi. Unterdessen marschierten Armeen an Frankreichs Grenzen auf, die Inflation war mörderisch, und in den verlassenen Höfen von Versailles schoss Unkraut aus dem Boden. Geld zu riskieren, um beim Chemin de Fer neun Punkte zu erreichen, schien so natürlich und töricht wie das Leben selbst. Woher sollte ich wissen, dass eine Wette mich zu Bonaparte führen würde? Würde ich zum Aberglauben neigen, wäre mir vielleicht aufgefallen, dass der 13. April 1798 ein Freitag war.
Aber es war Frühling im revolutionären Paris, das heißt, nach dem neuen Kalender des Direktoriums war es der vierundzwanzigste Tag des Monats Germinal im Jahre sechs, und der nächste Ruhetag lag noch sechs Tage entfernt, nicht zwei. Hat es je eine Reform gegeben, die nutzloser war?
Die Regierung war so anmaßend, sich des Christentums zu entledigen, was bedeutete, dass eine Woche mit sieben Tagen auf zehn Tage verlängert wurde. Dahinter steckte die Absicht, die gregorianische Zeitrechnung durch eine Einheitsregelung von zwölf Monaten mit jeweils dreißig Tagen zu ersetzen, basierend auf dem System des alten Ägyptens.
In den finsteren Tagen des Jahres 1793 wurden Bibeln zerrissen, um Pappkartuschen herzustellen, und jetzt wurde die biblische Woche guillotiniert, jeder Monat stattdessen in drei Dekaden von zehn Tagen geteilt, das Jahr beginnend mit der Herbsttagundnachtgleiche, dazu fünf bis sechs zusätzliche Ruhetage, um Ideologie mit der Umlaufbahn der Sonne in Einklang zu bringen.
Die Regierung gab sich mit der Reglementierung des Kalenders nicht zufrieden, sondern führte ein neues metrisches System für Gewichte und Maße ein. Sogar eine neue Uhr mit genau einhunderttausend Sekunden pro Tag wurde vorgeschlagen. Es geht doch nichts über Vernunft! Die Folge war, dass uns allen die Sonntage fehlten, selbst mir wissenschaftlicher Laie, Forscher auf dem Gebiet der Elektrizität, entrepreneur, Scharfschütze und demokratischer Idealist.
Der neue Kalender war die Art logischer, uns von klugen Menschen aufoktroyierter Idee, die Gewohnheiten, Gefühle und die menschliche Natur vollkommen außer Acht ließ und damit den Untergang der Revolution einläutete. Klingt das prophetisch?
Um ehrlich zu sein, war ich bislang nicht gewohnt, so berechnend über die öffentliche Meinung nachzudenken. Das sollte mich Napoleon lehren. Nein, ich war in Gedanken dabei, die Stiche mitzuzählen. Wäre ich ein Naturmensch gewesen, hätte ich die Salons verlassen, um die ersten rosigen Knospen und grünen Blätter des Jahres zu genießen, vielleicht die Mädchen in den Gärten der Tuilerien in Augenschein zu nehmen, oder zumindest die Huren im Bois de Boulogne.
Ich aber hatte mich für die Spielsalons von Paris entschieden, dieser prächtigen und schmutzigen Stadt aus Parfüm und Dreck, monumental und morastig.
Mein Frühling bestand aus Kerzenlicht, meine Blumen waren Kurtisanen mit derart freizügigen Dekolletés, dass ihre Doppelwerbung beinahe überschwappte, und meine Gefährten waren das neue Volk: Politiker und Soldaten, entwurzelte Adlige und neureiche Ladenbesitzer. Sie alle waren Bürger. Ich, Ethan Gage, war hier der amerikanische Repräsentant für Grenzdemokratie.
Ich genoss einen gewissen Status dank meiner früheren Anstellung bei dem verstorbenen großen Benjamin Franklin. Er hatte mir gerade so viel über Elektrizität beigebracht, dass ich ganze Versammlungen damit unterhalten konnte, einen Zylinder anzukurbeln, um die Hände des schönen Geschlechts zum Kribbeln zu bringen und dann die Männer herauszufordern, es mit einem buchstäblich elektrisierenden Kuss zu versuchen.
Einen gewissen Ruhm erlangte ich mit Schießvorführungen, um die Zielsicherheit der amerikanischen Langbüchse zu demonstrieren: Ich hatte auf zweihundert Schritt Entfernung sechs Kugeln durch einen Zinnteller gejagt und mit Glück auf fünfzig Schritt Entfernung die Feder vom Hut eines skeptischen Generals geschossen.
Der Versuch, Verträge zwischen einem vom Krieg gebeutelten Frankreich und meiner neutralen, noch in den Kinderschuhen steckenden Nation zu schmieden, verschaffte mir ein kleines Einkommen eine Aufgabe, die von der revolutionären Gewohnheit, amerikanische Schiffe zu kapern, heftig erschwert wurde. Was mir fehlte, war irgendein Ziel, das über das Vergnügen am täglichen Dasein hinausging: Ich war einer jener sich müßig treiben lassenden, alleinstehenden Männer, die darauf warten, dass die Zukunft beginnt. Meine Einnahmen reichten aber nicht, um mich im inflationären Paris einigermaßen über Wasser zu halten. Daher versuchte ich sie mit Glück aufzubessern.
Unsere Gastgeberin war die sich absichtlich geheimnisvoll gebende Madame de Liberté, eine jener unternehmungslustigen Frauen mit Schönheit und Ehrgeiz, die aus der revolutionären Anarchie hervorgegangen waren, um mit Verstand und Willenskraft zu blenden. Wer hätte gedacht, dass Frauen derart ambitioniert, klug und verführerisch sein können?
Sie erteilte Befehle wie ein Hauptfeldwebel, frönte jedoch dem neuesten Faible für klassische Gewänder und brachte ihren weiblichen Charme mit so durchscheinendem Stoff zur Geltung, dass der Scharfsichtige das dunkle Dreieck ihres Venushügels erspähen konnte. Die Brustwarzen lugten über ihren Ausschnitt wie Soldaten aus einem Schützengraben, beide mit Rouge hervorgehoben für den Fall, dass wir ihre Keckheit übersahen.
Eine andere Mademoiselle trug ihre Brüste vollständig entblößt wie hängende Früchte. Wen wunderte es da, dass ich das Risiko eingegangen war, nach Paris zurückzukehren? Wie kann man eine Hauptstadt nicht lieben, die dreimal so viele Weinhändler wie Bäcker hat? Um von den Frauen nicht ausgestochen zu werden, trugen einige männliche Pfauen stolz bis an die Unterlippe reichende Krawatten zur Schau, Gehröcke mit knielangen Schwänzen, Schuhe so zierlich wie Katzenpfoten und goldene Ringe, die an ihren Ohren glitzerten.
»Ihre Schönheit wird nur durch Ihre Klugheit in den Schatten gestellt«, sagte ein betrunkener Gast, ein Kunsthändler namens Pierre Cannard, zu Madame, nachdem sie ihm den Weinbrand entzogen hatte. Damit bestrafte sie ihn, weil er etwas davon auf ihren kürzlich erworbenen Orientteppich verschüttet hatte. Sie hatte ihn bankrotten Royalisten für einen überhöhten Preis abgekauft, denn er hatte dieses unnachahmlich abgetragene Aussehen, das auf die knauserigen Ahnen reicher Leute deutet.
»Mit Komplimenten wird mein Teppich nicht sauber, Monsieur.«
Cannard griff sich ans Herz. »Und Ihre Klugheit wird noch durch Ihre Stärke in den Schatten gestellt, Ihre Stärke durch Ihre Sturheit und Ihre Sturheit durch Ihre Grausamkeit. Keinen Weinbrand mehr? Bei so viel weiblicher Härte sollte ich meine Spirituosen lieber bei einem Mann kaufen!«
Sie schnaubte verächtlich.
»Sie klingen wie unser neuester militärischer Held.«
»Meinen Sie den jungen General Bonaparte?«
»Ein korsisches Schwein. Als die brillante Germaine de Staël den Emporkömmling fragte, welche Frau er am meisten bewundere, antwortete Bonaparte: >Diejenige, die den Haushalt am besten führt.<« Die Gesellschaft lachte.
»In der Tat!«, rief Cannard. »Er ist Italiener und weiß, wo der Platz der Frau ist!«
»Deshalb versuchte sie es noch einmal und fragte, welche Frau die herausragendste ihres Geschlechts sei. Und der Schweinehund erwiderte: >Diejenige, die die meisten Kinder austrägt.<«
Wir brachen in schallendes Gelächter aus, das allerdings nur unsere Unsicherheit offenbarte. Wo war denn nun eigentlich der Platz einer Frau in der revolutionären Gesellschaft? Den Frauen hatte man Rechte zugestanden, sogar das der Scheidung, doch der seit Kurzem berühmte Napoleon gehörte zweifellos zu den Millionen Reaktionären, die das gern rückgängig gemacht hätten.
Und im Übrigen, wo war der Platz des Mannes? Was hatte Vernunft mit Sexualität und Romantik zu tun, den großen französischen Leidenschaften? Was hatte Wissenschaft mit Liebe zu tun, oder Gleichheit mit Verlangen, Freiheit mit Eroberung? Im Jahre sechs tappten wir alle noch im Dunkeln. Madame de Liberté hatte eine Wohnung in der ersten Etage über einem Hutsalon bezogen, sie auf Kredit möbliert und so eilig die Pforten geöffnet, dass ich neben Eau de Cologne und Tabakrauch auch Tapetenkleister roch. Auf kleinen Sofas konnten Paare intimer werden. Samtvorhänge luden zum Betasten ein. Ein neues Klavier, viel moderner als das aristokratische Cembalo, sorgte für eine Mischung aus symphonischen und patriotischen Melodien.
Falschspieler, Freudenmädchen, Offiziere auf Heimaturlaub, Kaufleute, die versuchten, von sich reden zu machen, Schriftsteller, frischgebackene, aufgeblasene Bürokraten, Spitzel, Frauen, die auf eine strategisch kluge Heirat hofften, ruinierte Erben: Sie alle waren hier anzutreffen.
Zu denen, die sich um den Spieltisch drängten, gehörten ein Politiker, der noch acht Monate zuvor im Gefängnis gesessen hatte, ein Oberst, der bei der revolutionären Eroberung Belgiens einen Arm verloren hatte, ein Weinhändler, der sein Geld damit machte, Restaurants von Köchen zu beliefern, die ihre aristokratischen Arbeitgeber verloren hatten, und ein Hauptmann aus Bonapartes Italienarmee. Er gab seine Beute so schnell aus, wie er sie an sich gerissen hatte.
Und ich. Ich hatte Franklin in seinen letzten drei Pariser Jahren als Sekretär gedient, kurz vor der Französischen Revolution, war dann für ein paar Abenteuer im Pelzhandel nach Amerika zurückgekehrt, hatte mich auf dem Höhepunkt der Schreckensherrschaft als Schiffsagent in London und New York verdingt und war jetzt wieder nach Paris gekommen in der Hoffnung, mein fließendes Französisch könnte mir helfen, den Handel mit Holz, Hanf und Tabak unter dem Direktorium zu festigen.
Im Krieg gibt es immer eine Chance, reich zu werden. Außerdem hoffte ich, als Pionier der »Elektrizität« ein neues, exotisches Wort Ansehen zu erlangen, ebenso wie in meinem Bestreben, Franklins Neugier auf die Mysterien der Freimaurer weiter zu verfolgen.
Er hatte angedeutet, man könnte diese Geheimnisse vielleicht praktisch anwenden. Tatsächlich behaupteten manche, die Vereinigten Staaten selbst seien von Freimaurern zu irgendeinem geheimen, noch nicht aufgedeckten Zweck gegründet worden, und unsere Nation habe eine Mission im Sinn. Leider war es eine langwierige Prozedur, bei den Freimaurern in der Rangfolge aufzusteigen. Die britische Blockade erschwerte meine Handelspläne. Und zudem hatte die Revolution eines nicht verändert: Umfang und Geschwindigkeit der unerbittlichen französischen Bürokratie.
So leicht es auch war, eine Audienz zu bekommen, eine Antwort erhielt man nicht. Demzufolge hatte ich zwischen den Unterredungen viel Zeit für andere Zwecke, wie zum Beispiel das Glücksspiel. Die Abende so zu verbringen war recht angenehm. Der Wein mundete, der Käse war köstlich, und im Kerzenschein schien jedes männliche Gesicht wie aus Stein gemeißelt, jede Frau eine Schönheit.
Mein Problem an jenem Freitag, dem Dreizehnten, war nicht, dass ich verlor, sondern dass ich gewann. Die revolutionären assignats und mandats territoriaux waren inzwischen wertloser Papiermüll, und Münzen waren selten. Mein Stapel bestand daher nicht nur aus Gold- und Silberfranc, sondern auch aus einem Rubin, einer Besitzurkunde für ein aufgelassenes Anwesen in Bordeaux, das ich mir nicht anzusehen gedachte, bevor ich es einem anderen aufbürdete, und Holzscheibchen, die jeweils eine Mahlzeit, eine Flasche oder eine Frau in Aussicht stellten. Sogar der eine oder andere unzulässige Goldlouisdor hatte seinen Weg auf meine Seite des grünen Filztuchs gefunden.
Ich hatte so viel Glück, dass der Oberst mich beschuldigte, seinen zweiten Arm haben zu wollen, der Weinhändler lamentierte, er könne mich nicht zur Volltrunkenheit verleiten, und der Politiker wissen wollte, wen ich bestochen habe.
»Ich zähle Karten einfach nur auf Englisch«, versuchte ich zu scherzen, aber es war ein schlechter Witz, denn England war angeblich das Land, dessen Invasion Bonaparte, von seinen Triumphen in Norditalien zurück, plante.
Er hatte sein Lager irgendwo in der Bretagne aufgeschlagen, sah dem Regen zu und wünschte, die britische Marine würde verschwinden. Der Hauptmann war am Zug, überlegte und lief dabei rot an, was Bände über seine Gedanken sprach. Das erinnerte mich an die Geschichte über den abgeschlagenen Kopf von Charlotte Corday, der in »eindeutiger Entrüstung« rot wurde, als der Henker ihm vor der Zuschauermenge einen Klaps versetzte.
Seither hatte es eine wissenschaftliche Debatte über den genauen Zeitpunkt des Todes gegeben, und
Dr. Xavier Bichat hatte Leichen von der Guillotine geholt und versucht, ihre Muskeln mit Elektrizität zu beleben, so wie es der Italiener Galvani mit Fröschen gemacht hatte.
Der Hauptmann wollte seinen Einsatz verdoppeln, wurde jedoch von seiner leeren Geldbörse enttäuscht.
»Der Amerikaner hat mein ganzes Geld genommen!« Ich war gerade Geber, und er sah mich an. »Kredit, Monsieur, für einen heldenhaften Soldaten.«
Ich war nicht in der Stimmung, einen Wettkrieg mit einem Spieler zu finanzieren, der ganz aufgeregt über seine Karten war.
»Ein vorsichtiger Bankhalter braucht zusätzliche Sicherheit.«
»Was, mein Pferd?«
»Das kann ich in Paris nicht brauchen.«
»Meine Pistolen, mein Schwert?«
»Bitte, ich möchte nicht an Ihrem Ehrverlust beteiligt sein.«
Er brütete vor sich hin und warf noch einmal einen heimlichen Blick auf die Karten in seiner Hand. Dann hatte er die Art von Eingebung, die für alle in Reichweite Scherereien bedeutet.
»Mein Amulett!«
»Was?«
Er zog ein großes, schweres Schmuckstück hervor, das er unsichtbar unter seinem Hemd getragen hatte. Eine goldene Scheibe, durchbohrt und mit einem eigenartigen Muster aus Linien und Löchern versehen. Darunter hingen zwei lange Arme wie Zweige. Es machte einen primitiv gehämmerten Eindruck, als wäre es auf Thors Amboss geschmiedet worden.
»Ich habe es in Italien gefunden. Schauen Sie sich nur das Gewicht und das Alter an! Der Kerkermeister, dem ich es abnahm, behauptete, es stamme von Kleopatra persönlich!«
»Hat er die Dame gekannt?«, fragte ich sarkastisch. »Graf Cagliostro hat es ihm gesagt!«
Das weckte meine Neugier.
»Cagliostro?« Der berühmte Heiler, Alchemist und Gotteslästerer, einst der Liebling an Europas Höfen, hatte in der päpstlichen Festung von San Leo eine Haft verbüßt und war dort 1795 im Wahn gestorben. Revolutionstruppen hatten dann im vergangenen Jahr die Festung gestürmt.
Die Beteiligung des Alchemisten an der Halsbandaffäre vor gut zehn Jahren hatte dazu beigetragen, die Revolution voranzutreiben, denn die Monarchie stand danach habgierig und töricht da.
Marie Antoinette hatte den Mann verachtet und ihn einen Zauberer und Schwindler genannt.
»Der Graf hat versucht, es als Bestechung für seine Flucht zu verwenden«, fuhr der Hauptmann fort. »Der Kerkermeister hat es einfach konfisziert, und als wir die Festung stürmten, habe ich es ihm abgenommen. Es hat vielleicht Macht und ist sehr alt, seit Jahrhunderten weitergereicht. Ich werde es Ihnen verkaufen für ...« er beäugte meinen Stapel »tausend Silberfranc.«
»Hauptmann, Sie scherzen. Es ist ein interessantes Spielzeug, aber ...«
»Es stammt aus Ägypten, der Kerkermeister hat es mir gesagt! Es hat heiligen Wert!«
»Ägyptisch, sagen Sie?«, meldete sich jemand zu Wort, schnurrend wie eine große Katze, weltgewandt und spöttelnd.
Ich blickte auf und erkannte Graf Alessandro Silano, einen Aristokraten französisch-italienischer Herkunft, der ein Vermögen an die Revolution verloren hatte und Gerüchten zufolge versuchte, sich ein neues aufzubauen, indem er sich zum Demokraten wandelte und hinterhältige Rollen in diplomatischen Intrigen spielte.
Angeblich war Silano ein Werkzeug des kürzlich wiedereingesetzten Talleyrand, Frankreichs Außenminister. Er selbst gab sich als Erforscher antiker Geheimnisse aus, nach dem Vorbild Cagliostros, Kolmers oder Saint-Germains. Man flüsterte, seine Rehabilitation in Regierungskreisen habe er schwarzer Magie zu verdanken.
Er genoss dieses rätselhafte Ansehen, bluffte beim Kartenspiel und behauptete, sein Glück vermehre sich durch Zauberei. Dennoch verlor er ebenso oft, wie er gewann, und niemand wusste, ob man ihn ernst nehmen sollte.
»Ja, Graf«, sagte der Hauptmann, »gerade Sie sollten seinen Wert erkennen.«
»So?«
Er nahm an unserem Tisch Platz. Mit seiner gewohnt lässigen Anmut, seinen finsteren Gesichtszügen, den sinnlichen Lippen, dunklen Augen und dichten Brauen verkörperte er die Schönheit eines Pan. Wie der berühmte Hypnotiseur Mesmer wusste er die Frauen zu bezaubern.
»Ich meine damit Ihre Position im Ägyptischen Ritus.«
Silano nickte. »Und die Zeit, die ich mit Studien in Ägypten zugebracht habe. Hauptmann Bellaird, wenn ich mich nicht irre?«
»Sie kennen mich, Monsieur?«
»Der Ruf eines heldenhaften Soldaten geht Ihnen voraus. Ich habe die Bulletins aus Italien aufmerksam verfolgt. Wenn Sie mir die Ehre Ihrer Bekanntschaft erweisen, würde ich mich Ihrem Spiel anschließen.«
Der Hauptmann fühlte sich geschmeichelt.
»Aber natürlich, Graf.«
Silano lehnte sich zurück, und schon sammelten sich Frauen um ihn, angezogen von seinem Ruf als erfahrener Liebhaber, Duellant, Spieler und Spion. Es hieß, er gehöre Cagliostros verrufenem Ägyptischem Ritus der Freimaurer an, oder auch Bruderschaftslogen, die weibliche wie männliche Anhänger zuließen.
Diese sektiererischen Logen gingen verschiedenen okkulten Praktiken nach, und es gab schlüpfrige Geschichten über düstere Zeremonien, ausufernde Orgien und grausige Opferungen. Ein Zehntel davon entsprach vielleicht der Wahrheit. Dennoch stand Ägypten in dem Ruf, die Quelle uralter Weisheit zu sein, und mehr als ein Mystiker hatte behauptet, auf rätselhaften Pilgerfahrten machtvolle Geheimnisse entdeckt zu haben.
Demzufolge waren Antiquitäten aus einem Land in Mode, das den meisten Europäern seit der arabischen Eroberung vor elf Jahrhunderten verschlossen war. Silano hatte angeblich in Kairo Studien betrieben, bevor die herrschenden Mamelucken Händler und Gelehrte zu schikanieren begannen. Jetzt nickte der Hauptmann eifrig, um Silanos Interesse zu bekräftigen.
»Der Kerkermeister sagte mir, die Arme am Rand könnten den Weg zu großer Macht weisen! Ein gelehrter Mann wie Sie, Graf, kann damit vielleicht etwas anfangen.«
»Oder Geld für ein wertloses Stück ausgeben. Ich will einen Blick darauf werfen.«
Der Hauptmann zog die Kette über den Kopf.
»Sehen Sie nur, wie eigenartig es ist.«
Übersetzung: Susanne Aeckerle und Marion Balkenhol
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2008 by Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Meine amerikanischen Briefpartner fanden beides gleichermaßen skandalös. Würfel und Karten flogen: Creps, Trente-et-un, Pharao, Biribi. Unterdessen marschierten Armeen an Frankreichs Grenzen auf, die Inflation war mörderisch, und in den verlassenen Höfen von Versailles schoss Unkraut aus dem Boden. Geld zu riskieren, um beim Chemin de Fer neun Punkte zu erreichen, schien so natürlich und töricht wie das Leben selbst. Woher sollte ich wissen, dass eine Wette mich zu Bonaparte führen würde? Würde ich zum Aberglauben neigen, wäre mir vielleicht aufgefallen, dass der 13. April 1798 ein Freitag war.
Aber es war Frühling im revolutionären Paris, das heißt, nach dem neuen Kalender des Direktoriums war es der vierundzwanzigste Tag des Monats Germinal im Jahre sechs, und der nächste Ruhetag lag noch sechs Tage entfernt, nicht zwei. Hat es je eine Reform gegeben, die nutzloser war?
Die Regierung war so anmaßend, sich des Christentums zu entledigen, was bedeutete, dass eine Woche mit sieben Tagen auf zehn Tage verlängert wurde. Dahinter steckte die Absicht, die gregorianische Zeitrechnung durch eine Einheitsregelung von zwölf Monaten mit jeweils dreißig Tagen zu ersetzen, basierend auf dem System des alten Ägyptens.
In den finsteren Tagen des Jahres 1793 wurden Bibeln zerrissen, um Pappkartuschen herzustellen, und jetzt wurde die biblische Woche guillotiniert, jeder Monat stattdessen in drei Dekaden von zehn Tagen geteilt, das Jahr beginnend mit der Herbsttagundnachtgleiche, dazu fünf bis sechs zusätzliche Ruhetage, um Ideologie mit der Umlaufbahn der Sonne in Einklang zu bringen.
Die Regierung gab sich mit der Reglementierung des Kalenders nicht zufrieden, sondern führte ein neues metrisches System für Gewichte und Maße ein. Sogar eine neue Uhr mit genau einhunderttausend Sekunden pro Tag wurde vorgeschlagen. Es geht doch nichts über Vernunft! Die Folge war, dass uns allen die Sonntage fehlten, selbst mir wissenschaftlicher Laie, Forscher auf dem Gebiet der Elektrizität, entrepreneur, Scharfschütze und demokratischer Idealist.
Der neue Kalender war die Art logischer, uns von klugen Menschen aufoktroyierter Idee, die Gewohnheiten, Gefühle und die menschliche Natur vollkommen außer Acht ließ und damit den Untergang der Revolution einläutete. Klingt das prophetisch?
Um ehrlich zu sein, war ich bislang nicht gewohnt, so berechnend über die öffentliche Meinung nachzudenken. Das sollte mich Napoleon lehren. Nein, ich war in Gedanken dabei, die Stiche mitzuzählen. Wäre ich ein Naturmensch gewesen, hätte ich die Salons verlassen, um die ersten rosigen Knospen und grünen Blätter des Jahres zu genießen, vielleicht die Mädchen in den Gärten der Tuilerien in Augenschein zu nehmen, oder zumindest die Huren im Bois de Boulogne.
Ich aber hatte mich für die Spielsalons von Paris entschieden, dieser prächtigen und schmutzigen Stadt aus Parfüm und Dreck, monumental und morastig.
Mein Frühling bestand aus Kerzenlicht, meine Blumen waren Kurtisanen mit derart freizügigen Dekolletés, dass ihre Doppelwerbung beinahe überschwappte, und meine Gefährten waren das neue Volk: Politiker und Soldaten, entwurzelte Adlige und neureiche Ladenbesitzer. Sie alle waren Bürger. Ich, Ethan Gage, war hier der amerikanische Repräsentant für Grenzdemokratie.
Ich genoss einen gewissen Status dank meiner früheren Anstellung bei dem verstorbenen großen Benjamin Franklin. Er hatte mir gerade so viel über Elektrizität beigebracht, dass ich ganze Versammlungen damit unterhalten konnte, einen Zylinder anzukurbeln, um die Hände des schönen Geschlechts zum Kribbeln zu bringen und dann die Männer herauszufordern, es mit einem buchstäblich elektrisierenden Kuss zu versuchen.
Einen gewissen Ruhm erlangte ich mit Schießvorführungen, um die Zielsicherheit der amerikanischen Langbüchse zu demonstrieren: Ich hatte auf zweihundert Schritt Entfernung sechs Kugeln durch einen Zinnteller gejagt und mit Glück auf fünfzig Schritt Entfernung die Feder vom Hut eines skeptischen Generals geschossen.
Der Versuch, Verträge zwischen einem vom Krieg gebeutelten Frankreich und meiner neutralen, noch in den Kinderschuhen steckenden Nation zu schmieden, verschaffte mir ein kleines Einkommen eine Aufgabe, die von der revolutionären Gewohnheit, amerikanische Schiffe zu kapern, heftig erschwert wurde. Was mir fehlte, war irgendein Ziel, das über das Vergnügen am täglichen Dasein hinausging: Ich war einer jener sich müßig treiben lassenden, alleinstehenden Männer, die darauf warten, dass die Zukunft beginnt. Meine Einnahmen reichten aber nicht, um mich im inflationären Paris einigermaßen über Wasser zu halten. Daher versuchte ich sie mit Glück aufzubessern.
Unsere Gastgeberin war die sich absichtlich geheimnisvoll gebende Madame de Liberté, eine jener unternehmungslustigen Frauen mit Schönheit und Ehrgeiz, die aus der revolutionären Anarchie hervorgegangen waren, um mit Verstand und Willenskraft zu blenden. Wer hätte gedacht, dass Frauen derart ambitioniert, klug und verführerisch sein können?
Sie erteilte Befehle wie ein Hauptfeldwebel, frönte jedoch dem neuesten Faible für klassische Gewänder und brachte ihren weiblichen Charme mit so durchscheinendem Stoff zur Geltung, dass der Scharfsichtige das dunkle Dreieck ihres Venushügels erspähen konnte. Die Brustwarzen lugten über ihren Ausschnitt wie Soldaten aus einem Schützengraben, beide mit Rouge hervorgehoben für den Fall, dass wir ihre Keckheit übersahen.
Eine andere Mademoiselle trug ihre Brüste vollständig entblößt wie hängende Früchte. Wen wunderte es da, dass ich das Risiko eingegangen war, nach Paris zurückzukehren? Wie kann man eine Hauptstadt nicht lieben, die dreimal so viele Weinhändler wie Bäcker hat? Um von den Frauen nicht ausgestochen zu werden, trugen einige männliche Pfauen stolz bis an die Unterlippe reichende Krawatten zur Schau, Gehröcke mit knielangen Schwänzen, Schuhe so zierlich wie Katzenpfoten und goldene Ringe, die an ihren Ohren glitzerten.
»Ihre Schönheit wird nur durch Ihre Klugheit in den Schatten gestellt«, sagte ein betrunkener Gast, ein Kunsthändler namens Pierre Cannard, zu Madame, nachdem sie ihm den Weinbrand entzogen hatte. Damit bestrafte sie ihn, weil er etwas davon auf ihren kürzlich erworbenen Orientteppich verschüttet hatte. Sie hatte ihn bankrotten Royalisten für einen überhöhten Preis abgekauft, denn er hatte dieses unnachahmlich abgetragene Aussehen, das auf die knauserigen Ahnen reicher Leute deutet.
»Mit Komplimenten wird mein Teppich nicht sauber, Monsieur.«
Cannard griff sich ans Herz. »Und Ihre Klugheit wird noch durch Ihre Stärke in den Schatten gestellt, Ihre Stärke durch Ihre Sturheit und Ihre Sturheit durch Ihre Grausamkeit. Keinen Weinbrand mehr? Bei so viel weiblicher Härte sollte ich meine Spirituosen lieber bei einem Mann kaufen!«
Sie schnaubte verächtlich.
»Sie klingen wie unser neuester militärischer Held.«
»Meinen Sie den jungen General Bonaparte?«
»Ein korsisches Schwein. Als die brillante Germaine de Staël den Emporkömmling fragte, welche Frau er am meisten bewundere, antwortete Bonaparte: >Diejenige, die den Haushalt am besten führt.<« Die Gesellschaft lachte.
»In der Tat!«, rief Cannard. »Er ist Italiener und weiß, wo der Platz der Frau ist!«
»Deshalb versuchte sie es noch einmal und fragte, welche Frau die herausragendste ihres Geschlechts sei. Und der Schweinehund erwiderte: >Diejenige, die die meisten Kinder austrägt.<«
Wir brachen in schallendes Gelächter aus, das allerdings nur unsere Unsicherheit offenbarte. Wo war denn nun eigentlich der Platz einer Frau in der revolutionären Gesellschaft? Den Frauen hatte man Rechte zugestanden, sogar das der Scheidung, doch der seit Kurzem berühmte Napoleon gehörte zweifellos zu den Millionen Reaktionären, die das gern rückgängig gemacht hätten.
Und im Übrigen, wo war der Platz des Mannes? Was hatte Vernunft mit Sexualität und Romantik zu tun, den großen französischen Leidenschaften? Was hatte Wissenschaft mit Liebe zu tun, oder Gleichheit mit Verlangen, Freiheit mit Eroberung? Im Jahre sechs tappten wir alle noch im Dunkeln. Madame de Liberté hatte eine Wohnung in der ersten Etage über einem Hutsalon bezogen, sie auf Kredit möbliert und so eilig die Pforten geöffnet, dass ich neben Eau de Cologne und Tabakrauch auch Tapetenkleister roch. Auf kleinen Sofas konnten Paare intimer werden. Samtvorhänge luden zum Betasten ein. Ein neues Klavier, viel moderner als das aristokratische Cembalo, sorgte für eine Mischung aus symphonischen und patriotischen Melodien.
Falschspieler, Freudenmädchen, Offiziere auf Heimaturlaub, Kaufleute, die versuchten, von sich reden zu machen, Schriftsteller, frischgebackene, aufgeblasene Bürokraten, Spitzel, Frauen, die auf eine strategisch kluge Heirat hofften, ruinierte Erben: Sie alle waren hier anzutreffen.
Zu denen, die sich um den Spieltisch drängten, gehörten ein Politiker, der noch acht Monate zuvor im Gefängnis gesessen hatte, ein Oberst, der bei der revolutionären Eroberung Belgiens einen Arm verloren hatte, ein Weinhändler, der sein Geld damit machte, Restaurants von Köchen zu beliefern, die ihre aristokratischen Arbeitgeber verloren hatten, und ein Hauptmann aus Bonapartes Italienarmee. Er gab seine Beute so schnell aus, wie er sie an sich gerissen hatte.
Und ich. Ich hatte Franklin in seinen letzten drei Pariser Jahren als Sekretär gedient, kurz vor der Französischen Revolution, war dann für ein paar Abenteuer im Pelzhandel nach Amerika zurückgekehrt, hatte mich auf dem Höhepunkt der Schreckensherrschaft als Schiffsagent in London und New York verdingt und war jetzt wieder nach Paris gekommen in der Hoffnung, mein fließendes Französisch könnte mir helfen, den Handel mit Holz, Hanf und Tabak unter dem Direktorium zu festigen.
Im Krieg gibt es immer eine Chance, reich zu werden. Außerdem hoffte ich, als Pionier der »Elektrizität« ein neues, exotisches Wort Ansehen zu erlangen, ebenso wie in meinem Bestreben, Franklins Neugier auf die Mysterien der Freimaurer weiter zu verfolgen.
Er hatte angedeutet, man könnte diese Geheimnisse vielleicht praktisch anwenden. Tatsächlich behaupteten manche, die Vereinigten Staaten selbst seien von Freimaurern zu irgendeinem geheimen, noch nicht aufgedeckten Zweck gegründet worden, und unsere Nation habe eine Mission im Sinn. Leider war es eine langwierige Prozedur, bei den Freimaurern in der Rangfolge aufzusteigen. Die britische Blockade erschwerte meine Handelspläne. Und zudem hatte die Revolution eines nicht verändert: Umfang und Geschwindigkeit der unerbittlichen französischen Bürokratie.
So leicht es auch war, eine Audienz zu bekommen, eine Antwort erhielt man nicht. Demzufolge hatte ich zwischen den Unterredungen viel Zeit für andere Zwecke, wie zum Beispiel das Glücksspiel. Die Abende so zu verbringen war recht angenehm. Der Wein mundete, der Käse war köstlich, und im Kerzenschein schien jedes männliche Gesicht wie aus Stein gemeißelt, jede Frau eine Schönheit.
Mein Problem an jenem Freitag, dem Dreizehnten, war nicht, dass ich verlor, sondern dass ich gewann. Die revolutionären assignats und mandats territoriaux waren inzwischen wertloser Papiermüll, und Münzen waren selten. Mein Stapel bestand daher nicht nur aus Gold- und Silberfranc, sondern auch aus einem Rubin, einer Besitzurkunde für ein aufgelassenes Anwesen in Bordeaux, das ich mir nicht anzusehen gedachte, bevor ich es einem anderen aufbürdete, und Holzscheibchen, die jeweils eine Mahlzeit, eine Flasche oder eine Frau in Aussicht stellten. Sogar der eine oder andere unzulässige Goldlouisdor hatte seinen Weg auf meine Seite des grünen Filztuchs gefunden.
Ich hatte so viel Glück, dass der Oberst mich beschuldigte, seinen zweiten Arm haben zu wollen, der Weinhändler lamentierte, er könne mich nicht zur Volltrunkenheit verleiten, und der Politiker wissen wollte, wen ich bestochen habe.
»Ich zähle Karten einfach nur auf Englisch«, versuchte ich zu scherzen, aber es war ein schlechter Witz, denn England war angeblich das Land, dessen Invasion Bonaparte, von seinen Triumphen in Norditalien zurück, plante.
Er hatte sein Lager irgendwo in der Bretagne aufgeschlagen, sah dem Regen zu und wünschte, die britische Marine würde verschwinden. Der Hauptmann war am Zug, überlegte und lief dabei rot an, was Bände über seine Gedanken sprach. Das erinnerte mich an die Geschichte über den abgeschlagenen Kopf von Charlotte Corday, der in »eindeutiger Entrüstung« rot wurde, als der Henker ihm vor der Zuschauermenge einen Klaps versetzte.
Seither hatte es eine wissenschaftliche Debatte über den genauen Zeitpunkt des Todes gegeben, und
Dr. Xavier Bichat hatte Leichen von der Guillotine geholt und versucht, ihre Muskeln mit Elektrizität zu beleben, so wie es der Italiener Galvani mit Fröschen gemacht hatte.
Der Hauptmann wollte seinen Einsatz verdoppeln, wurde jedoch von seiner leeren Geldbörse enttäuscht.
»Der Amerikaner hat mein ganzes Geld genommen!« Ich war gerade Geber, und er sah mich an. »Kredit, Monsieur, für einen heldenhaften Soldaten.«
Ich war nicht in der Stimmung, einen Wettkrieg mit einem Spieler zu finanzieren, der ganz aufgeregt über seine Karten war.
»Ein vorsichtiger Bankhalter braucht zusätzliche Sicherheit.«
»Was, mein Pferd?«
»Das kann ich in Paris nicht brauchen.«
»Meine Pistolen, mein Schwert?«
»Bitte, ich möchte nicht an Ihrem Ehrverlust beteiligt sein.«
Er brütete vor sich hin und warf noch einmal einen heimlichen Blick auf die Karten in seiner Hand. Dann hatte er die Art von Eingebung, die für alle in Reichweite Scherereien bedeutet.
»Mein Amulett!«
»Was?«
Er zog ein großes, schweres Schmuckstück hervor, das er unsichtbar unter seinem Hemd getragen hatte. Eine goldene Scheibe, durchbohrt und mit einem eigenartigen Muster aus Linien und Löchern versehen. Darunter hingen zwei lange Arme wie Zweige. Es machte einen primitiv gehämmerten Eindruck, als wäre es auf Thors Amboss geschmiedet worden.
»Ich habe es in Italien gefunden. Schauen Sie sich nur das Gewicht und das Alter an! Der Kerkermeister, dem ich es abnahm, behauptete, es stamme von Kleopatra persönlich!«
»Hat er die Dame gekannt?«, fragte ich sarkastisch. »Graf Cagliostro hat es ihm gesagt!«
Das weckte meine Neugier.
»Cagliostro?« Der berühmte Heiler, Alchemist und Gotteslästerer, einst der Liebling an Europas Höfen, hatte in der päpstlichen Festung von San Leo eine Haft verbüßt und war dort 1795 im Wahn gestorben. Revolutionstruppen hatten dann im vergangenen Jahr die Festung gestürmt.
Die Beteiligung des Alchemisten an der Halsbandaffäre vor gut zehn Jahren hatte dazu beigetragen, die Revolution voranzutreiben, denn die Monarchie stand danach habgierig und töricht da.
Marie Antoinette hatte den Mann verachtet und ihn einen Zauberer und Schwindler genannt.
»Der Graf hat versucht, es als Bestechung für seine Flucht zu verwenden«, fuhr der Hauptmann fort. »Der Kerkermeister hat es einfach konfisziert, und als wir die Festung stürmten, habe ich es ihm abgenommen. Es hat vielleicht Macht und ist sehr alt, seit Jahrhunderten weitergereicht. Ich werde es Ihnen verkaufen für ...« er beäugte meinen Stapel »tausend Silberfranc.«
»Hauptmann, Sie scherzen. Es ist ein interessantes Spielzeug, aber ...«
»Es stammt aus Ägypten, der Kerkermeister hat es mir gesagt! Es hat heiligen Wert!«
»Ägyptisch, sagen Sie?«, meldete sich jemand zu Wort, schnurrend wie eine große Katze, weltgewandt und spöttelnd.
Ich blickte auf und erkannte Graf Alessandro Silano, einen Aristokraten französisch-italienischer Herkunft, der ein Vermögen an die Revolution verloren hatte und Gerüchten zufolge versuchte, sich ein neues aufzubauen, indem er sich zum Demokraten wandelte und hinterhältige Rollen in diplomatischen Intrigen spielte.
Angeblich war Silano ein Werkzeug des kürzlich wiedereingesetzten Talleyrand, Frankreichs Außenminister. Er selbst gab sich als Erforscher antiker Geheimnisse aus, nach dem Vorbild Cagliostros, Kolmers oder Saint-Germains. Man flüsterte, seine Rehabilitation in Regierungskreisen habe er schwarzer Magie zu verdanken.
Er genoss dieses rätselhafte Ansehen, bluffte beim Kartenspiel und behauptete, sein Glück vermehre sich durch Zauberei. Dennoch verlor er ebenso oft, wie er gewann, und niemand wusste, ob man ihn ernst nehmen sollte.
»Ja, Graf«, sagte der Hauptmann, »gerade Sie sollten seinen Wert erkennen.«
»So?«
Er nahm an unserem Tisch Platz. Mit seiner gewohnt lässigen Anmut, seinen finsteren Gesichtszügen, den sinnlichen Lippen, dunklen Augen und dichten Brauen verkörperte er die Schönheit eines Pan. Wie der berühmte Hypnotiseur Mesmer wusste er die Frauen zu bezaubern.
»Ich meine damit Ihre Position im Ägyptischen Ritus.«
Silano nickte. »Und die Zeit, die ich mit Studien in Ägypten zugebracht habe. Hauptmann Bellaird, wenn ich mich nicht irre?«
»Sie kennen mich, Monsieur?«
»Der Ruf eines heldenhaften Soldaten geht Ihnen voraus. Ich habe die Bulletins aus Italien aufmerksam verfolgt. Wenn Sie mir die Ehre Ihrer Bekanntschaft erweisen, würde ich mich Ihrem Spiel anschließen.«
Der Hauptmann fühlte sich geschmeichelt.
»Aber natürlich, Graf.«
Silano lehnte sich zurück, und schon sammelten sich Frauen um ihn, angezogen von seinem Ruf als erfahrener Liebhaber, Duellant, Spieler und Spion. Es hieß, er gehöre Cagliostros verrufenem Ägyptischem Ritus der Freimaurer an, oder auch Bruderschaftslogen, die weibliche wie männliche Anhänger zuließen.
Diese sektiererischen Logen gingen verschiedenen okkulten Praktiken nach, und es gab schlüpfrige Geschichten über düstere Zeremonien, ausufernde Orgien und grausige Opferungen. Ein Zehntel davon entsprach vielleicht der Wahrheit. Dennoch stand Ägypten in dem Ruf, die Quelle uralter Weisheit zu sein, und mehr als ein Mystiker hatte behauptet, auf rätselhaften Pilgerfahrten machtvolle Geheimnisse entdeckt zu haben.
Demzufolge waren Antiquitäten aus einem Land in Mode, das den meisten Europäern seit der arabischen Eroberung vor elf Jahrhunderten verschlossen war. Silano hatte angeblich in Kairo Studien betrieben, bevor die herrschenden Mamelucken Händler und Gelehrte zu schikanieren begannen. Jetzt nickte der Hauptmann eifrig, um Silanos Interesse zu bekräftigen.
»Der Kerkermeister sagte mir, die Arme am Rand könnten den Weg zu großer Macht weisen! Ein gelehrter Mann wie Sie, Graf, kann damit vielleicht etwas anfangen.«
»Oder Geld für ein wertloses Stück ausgeben. Ich will einen Blick darauf werfen.«
Der Hauptmann zog die Kette über den Kopf.
»Sehen Sie nur, wie eigenartig es ist.«
Übersetzung: Susanne Aeckerle und Marion Balkenhol
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2008 by Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg
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Bibliographische Angaben
- Autor: William Dietrich
- 2010, 1, 591 Seiten, Maße: 12,5 x 18,7 cm, Taschenbuch
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 386800470X
- ISBN-13: 9783868004700
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