Das Erbe der Braumeisterin
Eine widerspenstige Bierbrauerin
Ein kampferprobter Kreuzritter
Kölsch und Kabale im Mittelalter
Köln, 1260. Die eigensinnige junge Madlen betreibt mit großer Begeisterung die vom Vater geerbte Brauerei. Seit früher Jugend hat...
Ein kampferprobter Kreuzritter
Kölsch und Kabale im Mittelalter
Köln, 1260. Die eigensinnige junge Madlen betreibt mit großer Begeisterung die vom Vater geerbte Brauerei. Seit früher Jugend hat...
Leider schon ausverkauft
versandkostenfrei
Buch
5.99 €
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenlose Rücksendung
Produktdetails
Produktinformationen zu „Das Erbe der Braumeisterin “
Eine widerspenstige Bierbrauerin
Ein kampferprobter Kreuzritter
Kölsch und Kabale im Mittelalter
Köln, 1260. Die eigensinnige junge Madlen betreibt mit großer Begeisterung die vom Vater geerbte Brauerei. Seit früher Jugend hat sie alles gelernt, was es über das Bierbrauen zu wissen gibt. Nach dem unerwarteten Tod ihres Mannes steht jedoch ihre Zukunft auf dem Spiel: Als Witwe darf Madlen nach den Regeln der Zukunft die Brauerei nur für ein Jahr allein weiterführen, danach droht ihr der Verlust des Braurechts und damit ihres ganzen Lebensinhalts – es sei denn, sie verheiratet sich wieder. Der ehemalige Kreuzritter Johann scheint kein allzu passender Kandidat zu sein, denn er hat eine dunkle Vergangenheit und hasst Bier. Aber Madlen kann nicht wählerisch sein.
Ein süffiger Roman – im wahrsten Sinne des Wortes – von der zweifach mit dem HISTORIKUS ausgezeichneten Autorin. Ein Lesegenuss.
Ein kampferprobter Kreuzritter
Kölsch und Kabale im Mittelalter
Köln, 1260. Die eigensinnige junge Madlen betreibt mit großer Begeisterung die vom Vater geerbte Brauerei. Seit früher Jugend hat sie alles gelernt, was es über das Bierbrauen zu wissen gibt. Nach dem unerwarteten Tod ihres Mannes steht jedoch ihre Zukunft auf dem Spiel: Als Witwe darf Madlen nach den Regeln der Zukunft die Brauerei nur für ein Jahr allein weiterführen, danach droht ihr der Verlust des Braurechts und damit ihres ganzen Lebensinhalts – es sei denn, sie verheiratet sich wieder. Der ehemalige Kreuzritter Johann scheint kein allzu passender Kandidat zu sein, denn er hat eine dunkle Vergangenheit und hasst Bier. Aber Madlen kann nicht wählerisch sein.
Ein süffiger Roman – im wahrsten Sinne des Wortes – von der zweifach mit dem HISTORIKUS ausgezeichneten Autorin. Ein Lesegenuss.
Klappentext zu „Das Erbe der Braumeisterin “
Madlen ging im Geiste alle infrage kommenden Brauer durch. Ihr fiel keiner ein, der ledig war. Misstrauisch musterte sie Jacop. "Keine Ahnung, wen du meinst. Du willst mich zum Narren halten."
"Nein! Wo denkst du denn hin! Ich sage die reine Wahrheit!" Seine Miene drückte empörte Rechtschaffenheit aus, aber es war unschwer zu erkennen, dass er mit den wirklich entscheidenden Tatsachen noch nicht herausgerückt war. Sein Lächeln war eine Spur zu breit, um unbefangen zu wirken.
"Er wäre genau der richtige Mann für dich, das schwöre ich!"
"Aber?"
"Aber was?"
"Ich sehe dir doch an, dass es ein Aber gibt!"
"Na ja. Einen Nachteil gibt es wohl, aber nur einen kleinen. Morgen früh soll ihm draußen auf dem Judenbüchel der Kopf abgeschlagen werden."
Lese-Probe zu „Das Erbe der Braumeisterin “
Das Erbe der Braumeisterin von Charlotte Thomas Teil I
Prolog Köln, März 1259
»Fort mit euch! Ihr kriegt nichts mehr!« Lachend schob Madlen die Becher zurück, die ihr von zwei beharrlichen
Gästen entgegengereckt wurden. »Für heute ist Schluss!«
Maulend zogen die beiden von dannen. Die Schankstube Zum Goldenen Fass leerte sich nur langsam. Nach den ausschweifenden Vergnügungen und den durchzechten Nächten des Karnevals mochten die üblichen Besucher der Schänke sich noch nicht recht mit den Beschränkungen der Fastenzeit abfinden, die in der Vorwoche begonnen hatte.
Konrad, Madlens Mann, machte sich an die undankbare Aufgabe, den letzten noch verbliebenen Gast aufzuwecken, der den Kopf auf die verschränkten Arme gebettet hatte und laut vor sich hin schnarchte. Er war schon betrunken im Goldenen Fass aufgekreuzt und befand sich nach etlichen Bechern starken Würzbieres im Vollrausch. Ohne die tatkräftige Hilfe von Caspar, dem Knecht, wäre es Konrad nicht gelungen, den Mann nach draußen zu bugsieren.
Es war längst dunkel, vor einer Weile hatte es bereits zur Komplet geläutet, doch rechter Hand in Richtung Neumarkt war noch Fackellicht zu sehen. Konrad gab dem Betrunkenen einen Schubs in die passende Richtung. »Da drüben auf dem Platz sind noch Leuchtenmänner. Eine gute Nacht wünsche ich dir.«
»Mo-morgen komm ich wieder«, lallte der Mann. »W-weil euer B-Bier so gut ist!« Summend torkelte er davon.
»Müde?« Konrad trat zu Madlen, legte die Arme um sie und küsste sie auf die Wange.
Seufzend schmiegte sie sich an ihn. »Ja, und wie. Aber es war ein guter Tag. Wir haben viel verkauft.«
... mehr
»Nie schmeckt das Bier besser als zur Fastenzeit«, bemerkte Caspar im Hintergrund.
Madlen lachte, und die Männer stimmten ein. Einträchtig und mit eingespielten Handgriffen machten sie sich ans Aufräumen. Während Konrad die leeren Trinkgefäße und fettigen Speisebretter einsammelte und in den Spülbottich legte, fegte Caspar den Steinboden und hob herabgefallene Becher auf. Wasser platschte, als Madlen mit Bürste und nassem Putzlumpen den fleckigen Bänken und Tischen zu Leibe rückte. Die Türen zur Straße und zum Hof hin standen weit offen, um die frische Abendluft hereinzulassen und den schweren Bierdunst und den Geruch verschwitzter Leiber und verqualmter Fackeln zu vertreiben.
Madlen legte die Schürze ab, verschloss die Tür zur Gasse und ging hinüber in das auf dem Hof gelegene Sudhaus, um dort nach dem Rechten zu sehen, so wie sie es immer vor dem Schlafengehen tat.
Berni und Willi, die zwei Lehrbuben, schliefen auf ihren Strohsäcken in der Braustube. Madlen ging auf Zehenspitzen an ihnen vorbei und schirmte die kleine Talgleuchte mit der Hand ab, um die beiden nicht zu stören. Der Knecht Caspar war ihr ins Brauhaus gefolgt, um sich ebenfalls zur Ruhe zu begeben. Als er die Stiege zum Boden erklomm, wo sich seine Schlafstatt befand, wünschte Madlen ihm flüsternd eine gute Nacht.
Es war still, nur das Stroh raschelte, als Berni sich auf seinem Lager herumwälzte. Der Lehrjunge stöhnte mit offenem Mund und murmelte dann eine unverständliche Verwünschung, gleichzeitig streckte er die Hand aus, als müsse er im Schlaf einen Gegner abwehren. Plötzlich fuhr er hoch und starrte mit halb offenen Augen geradeaus. »Nein!«, stöhnte er. »Tu das nicht! Lass mich los!«
Beunruhigt trat Madlen näher, doch Berni war gar nicht richtig wach. Im nächsten Moment war er auf sein Lager zurückgesunken und schlief weiter. Offensichtlich hatte er nur schlecht geträumt. Madlen verharrte und lauschte seinen ruhigen Atemzügen, dann ging sie an den großen Bottichen vorbei hinaus auf den Hof und von dort durch die Hintertür ins Wohnhaus. In der Stube roch es nach Kaminrauch und nach dem Kohlgemüse, das es heute zum Essen gegeben hatte. Aus der Kammer hinter der Feuerstelle war das Schnarchen von Madlens Großvater zu hören, er hatte sich schon am frühen Abend zur Ruhe begeben.
Unter der Stiege, die nach oben führte, hatte Irmla ihr Lager, auch sie schlief bereits seit Stunden. Gerade als Madlen die Stufen hinaufging, ließ die Magd direkt unter ihr im Schlaf knatternde Winde entweichen, deren Gestank sich mit den üblen Kohldünsten der Kochstelle vereinte. Madlen seufzte unhörbar, weil sie sich an einen lange gehegten Wunsch erinnerte.
»Ich möchte hinten im Hof ein separates Küchenhäuschen haben«, teilte sie Konrad mit, der sich schon ins Bett gelegt hatte. »Eigentlich geht mir das schon lange im Kopf herum. Wir hätten dann mehr Platz hier im Haus. In einer separaten Küche könnte Irmla ganz ungestört schalten und walten. Und auch dort schlafen.«
»Und furzen«, ergänzte Konrad belustigt.
Madlen erwiderte sein Grinsen, und als er unversehens aus dem Bett stieg und sie schwungvoll an sich zog, kicherte sie unterdrückt. »Was tust du da?«
»Meiner schönen Frau beim Ausziehen helfen.« Er war bereits nackt und schien es eilig zu haben, sie ebenfalls in diesen Zustand zu versetzen. Madlen war es nur recht; ihr Herz klopfte schneller, als sie seine zupackenden Hände auf ihrem Körper spürte. Sie kannte ihn seit ihrer Kindheit, doch seine Frau war sie erst seit knapp zwei Jahren, und die körperlichen Freuden der Ehe trugen viel zu ihrer Zufriedenheit bei. Während der Fastenzeit war es Sünde, allzu häufig beieinanderzuliegen, doch Madlen und Konrad nahmen es damit nicht sonderlich genau.
Irgendetwas, so hatte Konrad in seiner sorglosen Art gemeint, müssten sie ja schließlich auch zu beichten haben.
Hastig half Madlen ihm beim Hochziehen ihres Gewandes und zerrte es sich anschließend kurzerhand zusammen mit dem Unterkleid über den Kopf, wobei sich ihr Gebende löste und dem sittsam geflochtenen Zopf etliche Strähnen entwichen. Nackt stand sie vor Konrad, der beide Arme ausstreckte und sie fest an sich zog. Mit einer Hand zupfte er ihr das Band aus den Haaren, das ihren Zopf zusammenhielt, und strähnte es mit den Fingern bis zu den lockigen Spitzen, bis es sich wild um ihr Gesicht ringelte und frei bis zu ihren Hüften hinabfiel.
»Bei Gott, du bist schöner als eine Königin!«
Madlen lachte atemlos. »Du hast noch nie eine Königin gesehen! «
»Das muss ich auch nicht, denn ich habe ja dich«, erklärte er schlicht, während er den Kopf neigte, um sie zu küssen. Er war nicht viel größer als sie, kaum eine Handbreit, und ihre Körper schmiegten sich in vollkommener Harmonie aneinander, wenn er sie in den Armen hielt. Madlen hatte das Talglicht auf ihre Betttruhe gestellt, die seitlich versetzt vor dem Alkoven stand und zusammen mit einer weiteren Truhe, einem Hocker, einem kleinen Betschemel und einem zierlichen geschnitzten Eckaltar das gesamte Mobiliar der Kammer bildete.
Madlen rieb sich in wachsender Leidenschaft an Konrads Körper, während er sie begierig streichelte und küsste. Er war sehnig und stark, voll männlicher Kraft mit seinen einundzwanzig Jahren, und mit seinem hübschen Gesicht hätte er bestimmt so mancher Jungfer den Kopf verdreht, wenn Madlen nicht frühzeitig darauf geachtet hätte, dass sein Herz immer dort blieb, wo es hingehörte: bei ihr. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätten sie schon viel früher heiraten können, doch ihr Vater hatte darauf bestanden, dass er zuerst seine Lehrzeit und eine Gesellenreise hinter sich brachte. Madlen hatte ihn heimlich zum Abschied geküsst und ihn beschworen, zu ihr zurückzukehren.
Er packte ihre Hüften und ging leicht in die Knie, um stehend in sie eindringen zu können. Madlen keuchte und warf den Kopf zurück. »Konrad«, stöhnte sie. »Das ist wundervoll!«
»Es wird noch besser, mein Liebes.« Sein Glied schob sich hinein und hinaus, sacht zuerst, dann mit wachsendem Nachdruck, und schließlich hielt es sie beide nicht mehr auf den Beinen, keuchend sanken sie auf der Bettstatt nieder. Er war über ihr, drängte ihre Schenkel auseinander und stieß schnell und heftig in sie. Unter den abgehackten, rhythmischen Bewegungen begann das Holzgestell erbärmlich zu knarren und zu quietschen, sodass Madlen überzeugt war, es müsse nicht nur im ganzen Haus, sondern auch drüben in der Braustube zu hören sein. Doch es war ihr völlig gleichgültig, sie war wie trunken vor Lust und erlebte wenig später einen erfüllenden Höhepunkt, der sie kraftlos und benommen zurückließ. Unmittelbar darauf bäumte auch Konrad sich ein letztes Mal über ihr auf, bevor er sich schwer atmend neben ihr auf das Lager fallen ließ und sie fest umschlang.
Für sie waren dies die kostbarsten Augenblicke des Tages: so in seinen Armen zu liegen, die Wange gegen seine Brust geschmiegt, seinen hämmernden Herzschlag in ihrem Ohr, seinen steten Atem in ihrem Nacken und ihrem Haar, seine Hände, die liebkosend über ihren Rücken strichen und sie daran erinnerten, wie sehr sie das brauchte. Wie sehr sie ihn brauchte.
»Du sollst dein Küchenhäuschen kriegen«, versprach er schläfrig. »Gleich nach Ostern mache ich mich mit Caspar an die Arbeit. Irmla wird wahre Luftsprünge machen vor Freude. Und wir können es jede Nacht treiben, ohne fürchten zu müssen, dass sie davon aufwacht und neidisch wird.«
Madlen lächelte an seiner Brust. Das Herz wollte ihr vor Liebe überfließen, und bevor sie einschlief, sandte sie ein stummes Dankesgebet zur heiligen Ursula. Und dann - man konnte nie wissen - noch eines zum heiligen Petrus von Mailand, den die Bruderschaft der Brauer unlängst zu ihrem Schutzpatron erkoren hatte. Gewiss konnte es nicht schaden, wenn sie ihre Gebete nun häufiger auch an diesen neuen Heiligen richtete. Wie es schien, war er Gottes Gnade in besonderem Maße teilhaftig geworden, weil sich in ihrem und Konrads Leben alles so wunderbar zum Guten gefügt hatte. Ein tiefes Gefühl von Glück und Dankbarkeit begleitete Madlen in den Schlaf.
Konrad wachte von einem ungewohnten Geräusch auf, doch als er sich auf einen Ellbogen aufstützte und in die Dunkelheit lauschte, hörte er nichts außer den sanften Atemzügen seiner Frau. Mondlicht fiel durch die offene Fensterluke in die Kammer und zeichnete die Umrisse ihres Oberkörpers nach. Sie lag auf dem Rücken, einen Arm angewinkelt hinter dem Kopf, den anderen unter dem Laken. Ihre Hand berührte seinen Schenkel. Sie schlief immer so - mit einer Hand auf seinem Körper, als müsse sie sich auch im Schlaf noch vergewissern, dass er bei ihr war. Ihre festen, runden Brüste schimmerten verlockend im matten Licht des Mondes, und Konrad spürte das Blut in seine Lenden strömen. Madlen so nah bei sich zu haben und sie besitzen zu wollen - das war für ihn eins, in jeder Nacht, die sie in seinen Armen verbrachte. Ob das wohl jemals endete? Er hoffte und betete inständig, dass es ein Leben lang so bleiben möge. Soweit es ihn betraf, wusste er genau, dass er sie bis zu seinem Tod begehren und lieben würde. Er hatte sie schon geliebt, als sie beide noch Kinder gewesen waren und er im Alter von zwölf Jahren bei ihrem Vater in die Lehre gegeben worden war. Natürlich war es anfangs eine keusche und zaghafte Liebe gewesen, lüsterne Gedanken waren ihm erst gekommen, als seine Knabenjahre sich dem Ende zuneigten und er die ersten feuchten Träume erlebt hatte. Sie hatten einander scheue und sehnsuchtsvolle Blicke zugeworfen, sich im Vorbeigehen wie unabsichtlich berührt. Alle im Haus hatten sich darüber lustig gemacht, auf eine wohlwollende und nachsichtige Weise, die der freundlichen Zukunft, die auf die beiden jungen Leute wartete, Rechnung trug. Der Lehrbub und die Tochter des Braumeisters - eine Verbindung, die nicht nur vernünftig, sondern erwünscht war. Madlen und er waren gleichsam von Beginn an füreinander bestimmt gewesen.
Er beugte sich über sie und küsste sacht eine der verführerisch prallen Halbkugeln, als er erneut das Geräusch hörte. Diesmal gab es kein Vertun - es kam von draußen, vom Hof. Konrad hob den Kopf und versuchte, es einzuordnen. Es war das Rasseln und Schaben der Hundekette. Das war das höchste Anzeichen von Aufregung, das von dem alten Spitz noch zu erwarten war. Bellen konnte der Hund schon lange nicht mehr. Konrad schlug die Decke zurück und stand auf. Madlen bewegte sich und tastete vergeblich nach ihm. »Konrad?«, murmelte sie schlaftrunken.
»Schlaf weiter, Liebes«, flüsterte er. »Ich bin gleich zurück.«
Im Dunkeln ging er nach unten. In der Stube herrschte völlige Finsternis. Die beiden Läden zur Straße hin waren zugezogen, und das Nachtlicht, mit dem der alte Cuntz sich den Weg zur Latrine ausleuchtete, befand sich in dessen Kammer. Die Tür zu dem kleinen Schlafgemach hinter dem Kamin war geschlossen, offenbar hatte Cuntz die nötigen Gänge für diese Nacht hinter sich gebracht.
Konrad tastete sich vorwärts, an der Wand entlang bis zur Hintertür. Er stieß sie auf und trat ins Freie. Silbernes Mondlicht lag über Hof und Garten. Schwarz ragten die schemenhaften Umrisse von Brauhaus und Schuppen zu beiden Seiten des Hofs auf. Die im Hintergrund sichtbaren Silhouetten der Bäume und Büsche verschwammen mit der Nacht.
»Ist da jemand?«, rief Konrad halblaut. Vor einem kleinen Verschlag am Rand des Hofs lief der betagte Spitz hin und her und zerrte an der Kette. Etwas hatte ihn aufgescheucht, doch der Grund dafür war nirgends zu sehen. Als Hofhund taugte er nichts mehr, seine guten Jahre lagen längst hinter ihm. Konrad tätschelte ihn zwischen den Ohren. »Na, alter Bursche?«, murmelte er. »Was machst du für einen Radau? Hast du schlecht geträumt? Was sollen wir bloß mit dir anfangen, wenn wir schon nachts selber auf uns aufpassen müssen! Aber schlaf nur weiter, ich sehe nach dem Rechten.« Er umrundete den Ziehbrunnen und ging an den Latrinen vorbei zu den hölzernen Anbauten des Haupthauses. Im größten Schuppen, der auch als Wagenhaus und Pferdestall diente, stand der Gaul dösend hinter dem Gatter. Er nahm Konrads Anwesenheit kaum wahr. Dafür jedoch ein nächtlicher Eindringling: Eine Maus flitzte vor Konrads Füßen vorbei und verschwand in einer Bretterritze, dicht gefolgt von einem langen schwarzen Schatten. Gleich darauf ertönte das Kratzen von Krallen auf Holz und ein enttäuschtes Fauchen.
Konrad grinste unwillkürlich; wie der Hund hatte auch der Kater seine Dienste schon besser versehen. Madlen fütterte ihn zu gut.
Er verließ den Schuppen und ging weiter zum Hühnerstall, doch auch hier war nichts Verdächtiges zu entdecken. Im vergangenen Monat hatte ein Fuchs unter den Hennen gewütet, Folge einer versehentlich offen gelassenen Stalltür und eines losen Bretts im Zaun. Der alte Hofhund hatte den Überfall verschlafen, folglich hatte niemand den dreisten Räuber daran gehindert, vier Hühnern den Hals durchzubeißen und mit einem fünften zu verschwinden.
Konrad wandte horchend den Kopf. Hinten im Garten, zwischen den Obstbäumen und dem Zaun, der das Grundstück an der Rückseite begrenzte, raschelte es vernehmlich. Doch gleich darauf verstummte das Geräusch wieder, sicher waren es nur Wühlmäuse, die im Dunkeln nach Futter suchten. Vom Kater war weit und breit nichts zu sehen, nach der misslungenen Jagd im Stall versuchte er wohl sein Glück in der Nachbarschaft.
Konrad ging zum Haus zurück und dann in die von einem gemauerten Bogen überdachte Einfahrt. Zwischen Schank- und Wohnhaus befand sich die Falltür zum Keller, doch sie war verschlossen. Der Hund war wieder aufgestanden und lief umher, das metallische Rasseln der Kette hallte durch die Einfahrt. Konrad ging zum Tor, das die Einfahrt zur Straße hin verschloss, aber auch dieses war fest verriegelt.
Das Kettenrasseln hatte aufgehört. Vielleicht hatte sich ein fremder Kater im Garten herumgetrieben. Konrad ging zurück auf den Hof. Beim Brunnen blieb er stehen und lauschte abermals, doch alles blieb still. Die Luft war für die frühe Jahreszeit ungewöhnlich mild, fast schon frühlingshaft. Die Nacht war sternenklar, das Firmament übersät von schimmernden Lichtpunkten. Er legte die Hände auf die Einfassung des Brunnens und seufzte. Schultern und Arme taten ihm weh von dem stundenlangen Ausschank, und an der rechten Hand hatte er eine schmerzende Brandblase, weil er beim Umfüllen des heißen Suds heute unvorsichtig gewesen war. Doch er fühlte sich restlos zufrieden. Das Geschäft ging glänzend, jeden Tag war die Schankstube zum Bersten voll. Es war an der Zeit, neue Wege einzuschlagen und ein zweites Brau- und Schankhaus zu eröffnen. Madlen und er hatten bereits Verhandlungen mit einem Weinhändler aufgenommen, der eine Haushälfte in der Mühlengasse zu verpachten hatte, in unmittelbarer Nachbarschaft zum Alter Markt. Ein Gebäude, das sich großartig zum Brauen eignete, mit einem großen, kühlen Gewölbekeller als Lager ...
Ein Winseln ließ Konrad zusammenfahren. »Spitz?« Rasch umrundete er den Brunnen und ging zur Hundehütte. »Was ist mit dir?« Ein seltsam ziehendes Atemgeräusch antwortete ihm, doch der Hund rührte sich kaum, auch nicht, als Konrad neben ihm in die Hocke ging und ihm über das Fell strich. Dann spürte er die Nässe unter seinen Fingern und roch den kupfrigen, süßlichen Geruch von Blut.
Im selben Moment hörte er die Schritte hinter sich und verlor wertvolle Zeit, um sich aufzurichten statt sich einfach zur Seite zu werfen, was ihm vielleicht geholfen hätte, dem Angriff zu entgehen. So aber blieb ihm nichts weiter, als das sausende Geräusch hinter seinem Rücken dem Gegenstand zuzuordnen, der nur einen Lidschlag darauf wuchtig seinen Kopf traf, dann abrutschte und oberhalb seiner Schulter in sein Blickfeld geriet - ein schwerer Knüppel. Taumelnd drehte er sich um, aber er konnte nichts mehr erkennen, weil ihm schwarz vor Augen wurde. Weitere Hiebe fuhren auf ihn nieder. Er hörte das Knacken, mit dem sein Schädel brach, doch gnädigerweise spürte er keinen Schmerz. Seinen Mörder konnte er nicht mehr sehen.
Madlen erwachte wie üblich mit dem ersten Hahnenschrei.
Normalerweise hätte sie sich einfach umgedreht und weitergeschlafen, denn die Sonne war noch nicht aufgegangen; außerdem war Sonntag, bis zum Kirchgang blieb noch reichlich Zeit. Dennoch war sie auf einen Schlag hellwach, weil Konrad nicht bei ihr lag. Das war noch nie vorgekommen. Sie konnte sich an keinen einzigen Tag ihrer Ehe erinnern, an dem er vor ihr aufgestanden wäre. Er war ein ausgesprochener Langschläfer, es fiel ihm seit jeher schwer, aus den Federn zu finden. Schon als Lehrjunge hatte er sich damit so manche Schimpftirade und auch die eine oder andere Ohrfeige von Madlens Vater eingehandelt. Konrad ließ sich keinen Augenblick entgehen, den er länger liegen bleiben durfte, vor allem an den arbeitsfreien Sonn- und Festtagen.
Madlen setzte sich im Bett auf und hangelte nach ihrem Unterkleid. Während sie es überstreifte, entsann sie sich dunkel an die vergangene Nacht. Sie war kurz wach geworden, weil Konrad aufgestanden war. Ich bin gleich zurück, hatte er gesagt. Sie war sofort wieder eingeschlafen, aber sie hatte keine Erinnerung daran, dass er tatsächlich zurückgekehrt war. Rasch zog sie die Cotte über das Leinenhemd, schlüpfte in die Schuhe und eilte nach unten. Irmla schlief noch, ebenso ihr Großvater. Das Schnarchen der Magd sowie das des Alten mischten sich zu einem friedlichen morgendlichen Schlummerkonzert.
Die Hintertür stand offen; Zugluft wehte vom Hof herein und trieb Asche aus dem Kamin. Madlen erschauderte. Ein seltsames Gefühl hatte sich ihrer bemächtigt. Ihre Füße fühlten sich mit einem Mal schwer an, fast so, als klebten sie am Boden fest. Es kostete sie Mühe, einen Schritt vor den anderen zu setzen und nach draußen zu gehen. Plötzliche Bangigkeit schnürte ihr die Brust zu. In der dämmerigen Morgenkühle bildete sich vor ihrem Mund dampfendes Gewölk, während sie angestrengt ein- und ausatmete. Sie zuckte zusammen, als abermals ein Hahnenschrei ertönte, diesmal in der Nachbarschaft.
»Konrad?« Sie blickte sich um, doch er war nirgends zu sehen. »Konrad!«, rief sie, nun deutlich lauter und mit wachsender Angst. Er hätte längst geantwortet, wenn er auf dem Abtritt gewesen wäre.
Dann sah sie den Fuß, der auf Bodenhöhe hinter der Brunnenwand hervorragte. Dort lag jemand vor der Hundehütte. Madlen presste beide Hände gegen ihr Herz, das mit einem Mal schmerzhaft hart pochte. Ihre Füße wollten ihr nicht gehorchen, doch sie zwang sie, dort hinzugehen, um den Brunnen herum, bis sie alles sehen konnte. Die hingestreckte, nackte Gestalt, rücklings über der des Hundes liegend. Den eingeschlagenen Schädel. Die blicklos zum Himmel starrenden Augen. Das viele Blut.
Nein, dachte sie immer wieder. Nein, nein, nein. Das ist nicht er. Das ist nicht Konrad. Er ist nicht tot. Nicht Konrad. Er ist doch mein Leben!
Mit jedem Herzschlag spürte sie dieses Leben aus sich hinausrinnen, während die Wirklichkeit sich in ihr Inneres fraß wie tödliches Gift, um ihr ganzes Wesen zu vernichten.
Madlen öffnete den Mund zu einem gellenden Schrei.
Elf Monate später, 3. Februar 1260
Johann von Bergerhausen überlegte angesichts des anhal
tend schlechten Wetters trübselig, dass er sich auch einen besseren Tag für sein Vorhaben hätte aussuchen können. Doch das hätte bedeutet, dass er sich hätte gedulden müssen, und danach stand ihm nach Lage der Dinge wahrhaftig nicht der Sinn.
Veit hatte ihn überreden müssen, wenigstens zu Fuß aufzubrechen, sonst hätte Johann es noch fertiggebracht, sich auf sein Ross zu schwingen und in voller Montur in Köln einzureiten, was nur unliebsame Aufmerksamkeit auf ihn gelenkt hätte. Folglich hatte Johann das Pferd zurückgelassen, im Unterstand vor der elenden Höhle, die er mit Veit teilte. Er hatte sich ohne Schwert und Harnisch und in bester Landstreichermanier zu Fuß zur nächsten Ansiedlung begeben, nach Sürth, einem verschlafenen Nest am Rhein, wo es nicht viel mehr gab als ein paar Fischerhütten und ein Kloster von Zisterziensermönchen, die sich mit der Erzeugung ziemlich sauren Weins befassten.
Immerhin schafften sie es, genügend davon nach Köln zu verkaufen, sodass sie regelmäßig Fässer auf Kähne luden, die flussabwärts fuhren. Im Winter fanden solche Fahrten naturgemäß seltener statt, doch auch dann kam der Verkehr - vorausgesetzt, es trieben nicht gerade Eisschollen auf dem Rhein - nicht gänzlich zum Erliegen: Anstelle von Wein wurde Fisch nach Köln befördert. Stockfisch, Salzfisch, frischer Fisch. Fisch gab es im Rhein immer mehr als genug, auch in kalten Monaten.
Der Tag nach Mariä Lichtmess war indessen einer der weniger kalten in diesem ohnehin recht milden Winter, doch der fortwährende Nieselregen, den der Wind über das flache Deck des Schiffes in jeden Winkel trieb, machte die Reise zu einem höchst ungemütlichen Erlebnis. Als Gegenleistung für diese Mitfahrgelegenheit hatte Johann mehrere Dutzend stinkende, undichte Fässer an Bord geschleppt, sodass er nun roch wie ein Fischmenger. Auch die freundliche Einladung des Händlers, sich zu ihm unter die morsche Überdachung zu setzen, taugte nicht dazu, Johann aufzumuntern, denn dadurch sah er sich gezwungen, das stundenlange Klagen des Mannes über dessen diverse Krankheiten zu ertragen, angefangen bei Gliederreißen über Harndrang und Zahnweh bis hin zu unstillbarem Juckreiz in Gefilden, wohin niemals die Sonne schien. »Und Halsweh«, fügte der Fischhändler mit leidvoller Miene hinzu. »Das liegt an der Kälte. Dagegen hilft rein gar nichts, nicht mal Gebete zum heiligen Blasius.« Er deutete auf seinen Hals. »Heute ist es besonders schlimm, und dabei habe ich gleich nach dem Aufstehen lange gebetet. Weil doch heute der Namenstag ist.«
»Meinen Glückwunsch«, sagte Johann geistesabwesend.
»Oh, nein, nicht meiner. Der vom heiligen Blasius. Dem Schutzpatron aller Halskranken.« Der Mann hielt inne, weil er merkte, dass sein Fahrgast in Gedanken versunken war. »Was, sagtet Ihr gleich, habt Ihr in Köln für Geschäfte?«
Johann, der bislang kein Wort über seine Geschäfte hatte verlauten lassen, gab eine unverfängliche Antwort. »Ich will alte Freunde besuchen.«
Damit war die Neugier des Fischhändlers vorerst gestillt; er ging dazu über, in allen Einzelheiten seine zunehmende Sehschwäche zu beschreiben. Johann ließ den Redestrom an sich vorüberziehen, ebenso wie die Uferlandschaft des Rheins. Die Hügel des Siebengebirges im Rücken, sah er schließlich linker Hand vor sich das weite Halbrund der Stadt auftauchen. Ausgehend vom südlich gelegenen Bayenturm, zog sich die gewaltige Mauer am Ufer entlang, bis hin zum Kunibertsturm im Norden. Eine überwältigende Anzahl von Kirchtürmen erhob sich hinter diesem Bollwerk, unter ihnen besonders augenfällig die neueren Chortürme der Severinskirche und weiter landeinwärts die gewaltigen Türme von Sankt Pantaleon. Es folgten am Ufer Sankt Maria Lyskirchen, weiter hinten Sankt Georg am Waidmarkt, dann Sankt Maria im Kapitol, und danach Groß Sankt Martin, wo sie gleich anlegen würden. Und schließlich ein Stück voraus Sankt Maria ad gradus und gleich dahinter die Baustelle des neuen, noch turmlosen Doms mit dem erst jüngst fertiggestellten Kapellenkranz, über dem ein Lastkran in den Himmel ragte. Was die Errichtung neuer Kirchen anging, schien die Baulust der Kölner ungebrochen.
»Es ist immer wieder beeindruckend, oder? Hunderte von Kirchen, in einer einzigen Stadt.« Der Fischhändler folgte Johanns Blicken. Seine Stimme klang stolz. »Unser heiliges Köln!«
Johann lag eine sarkastische Erwiderung auf der Zunge, doch er zog es vor, nicht zu antworten. Der Händler schien es auch nicht zu erwarten, außerdem war er abgelenkt: Das Boot hatte die kleine Rheinvorinsel passiert, und der Bootsführer lenkte es auf Höhe von Groß Sankt Martin ans Ufer. Dort befand sich ein Holzgerüst, das die Anlegestellen in zwei Bereiche unterteilte. Die von Süden kommenden Oberländerschiffe hatten weniger Tiefgang und waren mit ihrer flachen, breiten Bauweise für den Niederrhein nur eingeschränkt geeignet, folglich mussten sie hier an dieser vom Rat der Stadt Köln vorgeschriebenen Stelle ihre Ladungen löschen. Rheinabwärts dagegen lagen die großen Schiffe mit kräftigem Rumpf und Takelage, viele davon seetüchtig. Für sie galt das Gleiche. Sollten die Waren, gleichviel aus welcher Richtung sie kamen, über Köln hinaus weiterbefördert werden, mussten die Händler sie jeweils auf andere Schiffe verfrachten - doch das durften sie erst, nachdem dem Kölner Stapelrecht Genüge getan war.
Nicht ohne widerwillige Bewunderung hatte Johann von dieser Neuerung erfahren, die während seiner langjährigen Abwesenheit vom Erzbischof eingeführt worden war: Alles, was zu Lande oder zu Wasser über den Rhein an Köln vorbei transportiert werden sollte, musste in der Stadt abgeladen und den Kölner Bürgern und Händlern zum Kauf angeboten werden. Zu Bedingungen, die der Rat festgelegt hatte - natürlich zum Nutzen Kölns.
Johann bedankte sich höflich bei dem Fischhändler und sprang an Land, bevor sich die herbeigerufenen Träger daranmachten, die Ladung von Bord zu holen. Hier war seine Hilfe nicht mehr gefragt, wie ihm der Händler erklärt hatte: Für jeden Handgriff beim Löschen und Abtransport der Waren standen städtische Arbeiter und Aufseher bereit. Ob Wein oder Kohle, Ziegel oder Holz, Fisch oder Tuch, Pelze oder Eisen - für alle Güter gab es eigene Zuständigkeiten mit streng getrennten Aufgaben. Kranmeister und Windenknechte, Röder und Schröder, Müdder und Zähler, Schütter und Aufhalter, Schürger und Abmesser, Akzisemeister und Fuhrwerker - an ihnen führte kein Weg vorbei, der Hafen unterstand an allen Ecken und Enden wachsamer Kontrolle.
Nur für die stinkende Abfallhalde zwischen den beiden vor Johann liegenden Stadtpforten schien sich niemand verantwortlich zu fühlen. Allerlei Unrat türmte sich dort, angefangen von verwesendem Fisch über verrottetes Tauwerk und faulendem Kohl bis hin zu verschimmelten, sich zersetzenden Säcken, über deren Inhalt man nur noch rätseln konnte. Im Schatten der großen Pracht dieser Stadt musste man offensichtlich nach ihrem Unflat nicht lange suchen. Der Anblick erschien Johann symbolhaft, erinnerte er ihn doch mit einer solchen Intensität daran, was ihm im vergangenen Jahr bei seinem letzten Besuch in der Stadt widerfahren war, dass er am liebsten etwas mit der Faust zertrümmert hätte. Wäre er jetzt im Wald bei Veit gewesen, hätte er mit seiner Armbrust ein Zielschießen auf ein paar Pilze veranstaltet und sich dabei vorgestellt, den Erzbischof und seine Helfershelfer zu treffen, möglichst an ihren empfindlichsten Stellen.
Immerhin hatte mittlerweile das lästige Nieseln aufgehört, sodass Johann seinen restlichen Weg trockenen Fußes hinter sich bringen konnte. Er wich einem rollenden Fuhrwerk aus und betrat die Stadt durch die Salzgassenpforte. Aus der nach links abzweigenden Gasse schallte das lärmende Gehämmer der Schmiedewerkstätten, und vom rechter Hand liegenden Fischmarkt drang der durchdringende Geruch von den Salmenbänken herüber, an denen die Fischmenger ihre Ware feilhielten. Johann ging an einem Gaddem vorbei, in dem Tontöpfe und Krüge und anderer Haushaltskram angeboten wurden, und dann weiter in Richtung Alter Markt. Auch dort herrschte rege Betriebsamkeit zwischen den zahlreichen Händlerbuden. An einem Stand feilschte eine Marktfrau mit einer Matrone um ein Huhn, an einem anderen wurden Eier im Dutzend verkauft, an einem weiteren wechselte gerade eine krakeelende Gans den Besitzer. Der Betreiber einer Garküche bot frisch gebratene Hühnerbeine an, und Johann, der seit dem frühen Morgen nichts gegessen hatte, lief das Wasser im Mund zusammen. Kurz entschlossen kaufte er sich einen der knusprigen Schlegel und verzehrte ihn im Weitergehen. Ohne seine Schritte zu verlangsamen, bog er bei der Marspforte ab und passierte das Judenviertel in Richtung Unter Wappensticker, wo er sich nach links hielt, bis er die Schildergasse erreicht hatte.
Nun, da er fast am Ziel war, spürte er den bohrenden, quälenden Zweifel. Was, wenn alles nur ein Irrtum war und er sich umsonst Hoffnungen machte? Wenn der Bauer sich getäuscht hatte? Der Mann hatte Blithildis ohnehin nur vom Sehen her gekannt, und das war so viele Jahre her, dass die Erinnerung ihm leicht einen Streich gespielt haben könnte. Oder es handelte sich um eine Verwechslung.
Johann rief sich die Unterhaltung vom Vortag ins Gedächtnis, die er mit einem früheren Pachtbauern seines Vaters geführt hatte.
»Doch, ich bin mir sicher. Gut, sie hatte dieses Nonnenkleid an, so eines, wie die Beginen sie tragen. Grau und mit einer Haube, bei der nur das Gesicht herausschaut. Aber ich könnte schwören, dass sie es war.«
»Und wo genau willst du sie gesehen haben?«
»Na, im Goldenen Fass auf der Schildergasse, nur einen halben Steinwurf vom Neumarkt. Da gibt es das beste Bier von ganz Köln. Immer wenn ich in der Stadt bin, gehe ich dorthin und trinke einen Becher. Oder auch zwei. Früher, als der Alte noch den Ausschank betrieb, musste man im Stehen vor dem Tor trinken und seinen Becher mitbringen, aber seit ein paar Jahren haben sie da ein eigenes Schankhaus, in dem man sogar sitzen kann. Mit Kamin, deswegen gehen die Leute auch im Winter gerne hin. Als ich das letzte Mal dort war, habe ich sie gesehen.«
»Willst du damit etwa sagen, dass sie dort gezecht hat?«
»Nein, nicht doch. Sie hat da nur die Madlen besucht. Ich glaube, die zwei sind befreundet. Sie haben miteinander gelacht und geschwätzt, so wie es Weiber eben tun, die sich gut leiden können.«
»Arbeitet diese Madlen dort?«
»Gewiss. Sie ist die Schankwirtin. Und sie braut dort auch das Bier. Ganz allein, seit letztes Jahr ihr Mann erschlagen wurde. Es ist ein Jammer. Dass ihr Mann gestorben ist, meine ich. Sie waren so ein schönes junges Paar. Und erst das Bier!« Der Mann hatte schwärmerisch die Augen verdreht, bevor er hastig hinzufügte: »Das Bier ist immer noch gut. Ihr könnt es unbesorgt trinken, auch wenn es von einer Brauerin stammt, die kaum älter aussieht als ein Kind.«
»Warum bist du nicht zu ihr gegangen und hast sie angesprochen? «
»Das kann sie nicht leiden. Sie schimpft wie ein Rohrspatz und wirft mit Bierkrügen nach den Männern, die es bei ihr versuchen. Außerdem bin ich verheiratet, wie Ihr wisst.«
»Ich meinte Blithildis.«
»Die Begine? Wo denkt Ihr hin! Sie ist doch eine heilige Frau!«
Mit diesem Wissensstand hatte Johann sich auf den Weg in die Stadt gemacht, beseelt von der brennenden Hoffnung, Blithildis wiederzufinden. Vor wenigen Tagen erst war er an den Bauern geraten, der glaubte, sie in jener Schänke gesehen zu haben. Bis dahin hatte er überall herumgefragt, doch niemand wusste, was aus ihr geworden war - sie war verschwunden und galt als tot. So tot wie Johanns Mutter. Nur, dass man diese in der Nähe der Burg gefunden hatte, Blithildis jedoch nicht.
Die Schildergasse, die in Richtung Sankt Aposteln führte und im Neumarkt mündete, war eine belebte Straße mit dichter Bebauung. Windschiefe Holzhütten drängten sich neben neuere Fachwerkhäuser, vereinzelt sah man auch Steinbauten. In etlichen Häusern waren Werkstätten untergebracht, darunter einige von Schildermachern, die der Straße ihren Namen gegeben hatten, aber auch andere, etwa die eines Schusters, eines Küfers oder eines Bäckers. Auch eine Kräuter- und Gewürzhandlung gab es, der Wohlgerüche nach getrockneten Spezereien entströmten, ein auffallender Gegensatz zu dem beißen den Gestank nach Schweinemist und überfüllten Aborten, der hier und da aus den Soden zwischen den Häusern hervordrang.
Mensch und Tier bevölkerten die Gasse gleichermaßen. Eine Schar grunzender Säue wurde von einem Knaben durch das Tor eines kleines Gehöfts getrieben; ein Ferkel erschrak vor einem kläffenden Hund und stob quiekend davon, was dem jugendlichen Schweinehirten eine Reihe derber Flüche entlockte.
Vom vorangegangenen Regen war der lehmige Untergrund der Straße aufgeweicht. Lediglich an einzelnen Stellen waren Holzbohlen ausgelegt, um Senken auszugleichen. Überall hatten sich tiefe Schlammpfützen gebildet, und in einer davon war ein hoch mit Fässern beladenes Fuhrwerk stecken geblieben, dessen Besitzerin nicht nur mit den Zügeln kämpfte, sondern auch mit ihrer Wut. Johann blieb stehen und sah zu, wie sie vom Kutschbock sprang und das Pferd ausschimpfte.
»Du vermaledeiter, lahmer Gaul! Du bist nutzloser als der Hund und der Kater zusammen!« Sie packte das Halfter, zog den mächtigen Kopf des Pferdes herum und zeigte mit der freien Hand in Richtung des nahegelegenen Neumarkts. »Siehst du diesen Marktplatz da, du abgehalfterte Schindmähre? Da werde ich dich verkaufen, und zwar gleich beim nächsten Rossmarkt. Aber nicht etwa als Brauereipferd, o nein! Sondern an die Kotzmenger. Die können dann Wurst aus dir machen! Falls die überhaupt jemand will!«
Das Pferd wandte unbeeindruckt den Kopf wieder in die ursprüngliche Richtung und fing an zu kauen. Zwischen den großen, hässlichen Zähnen hing ein weißer Zipfel, der, wie sich sofort herausstellte, zur Haube der wütenden Frau gehörte, ein eher nachlässig angelegtes Gebende, von dem gleich darauf beträchtliche Teile im Maul des Pferdes verschwanden.
»Oh, du ... Ausgeburt der Hölle!«, stieß die Frau empört hervor. Mit beiden Händen griff sie zu und versuchte, ihre Kopfbedeckung zu retten, doch vergeblich. Der Gaul ließ sich die Beute nicht entreißen, und aufgebracht stampfte die junge Frau mit dem Fuß auf, was nur dazu führte, dass sie bis zum Knöchel im Matsch versank. Ihr nun unbedecktes Haar, das sie im Nacken zu einem Zopf geflochten hatte, war weizenblond. Hell waren auch ihre Haut und ihre Augen, und ihr Gesicht mit den rosig gefärbten Wangen und dem sanft gerundeten Kinn war von mädchenhafter Süße, sie sah aus, als könne sie höchstens sechzehn sein. Doch wahrscheinlich war sie eher um die zwanzig und bereits Witwe, denn aus ihren Worten und aus der Tatsache, dass die offene Toreinfahrt hinter ihr ganz offensichtlich zu der von dem Bauern beschriebenen Brauerei gehörte, hatte Johann bereits geschlossen, dass es sich um besagte Madlen handeln musste.
Er räusperte sich und trat vor, doch bevor er ein Wort äußern konnte, blickte sie auf. »Du da«, sagte sie mit befehlsgewohnter Stimme. »Hast du ein paar Augenblicke Zeit?«
Er nickte überrumpelt.
»Du kannst dir ein großes frisches Bier verdienen. Bleib nur kurz hier bei dem Wagen stehen und pass gut auf, dass niemand von den Gassenjungen sich über die Fässer hermacht. Ich bin gleich zurück, ich muss nur eben meinen nichtsnutzigen Knecht holen, der schon längst hier sein sollte.« Sie warf ihm die Zügel des Gauls zu und stapfte in die Einfahrt zum Hof, direkt unter dem vom Torbogen baumelnden, mit goldgelber Farbe bemalten Fässchen hindurch.
Johann blieb mitten auf der Gasse stehen, mit nichts als der Aussicht auf ein Bier und den Zügeln des widerspenstigen Brauereipferdes in der Hand, und kam sich ausgesprochen dämlich vor.
Madlen marschierte spornstreichs ins Sudhaus, wo Berni
und Willi bei der Arbeit waren. Der dreizehnjährige Berni rührte ausdauernd in der dampfenden Maische, und der ein Jahr ältere Willi stand an der offenen Feuerstelle und beaufsichtigte das Sieden der Gruit. Ein wunderbar würziger Duft erfüllte die Braustube, doch Madlen hatte momentan keinen Sinn dafür.
»Wo ist Caspar?«, wollte sie wissen.
»Auf dem Lokus«, sagte Berni. »Er hat die Scheißerei.«
Madlen stöhnte. Auch das noch! Ausgerechnet heute!
»Rühr schneller!«, fuhr sie Bernie an, dann eilte sie zurück auf den Hof und pochte an die Tür des Abtritts. »Was meinst du, dauert es noch lange?«
Ein angestrengtes Ächzen antwortete ihr.
»Caspar?«, fragte sie, halb besorgt, halb frustriert.
»Es ist schlimm!«, kam es gequält von drinnen. »Wirklich sehr schlimm!« Und dann, noch gequälter: »Es tut mir so leid, Madlen!«
Madlen hätte am liebsten ihren Kopf gegen die Tür geschlagen. Natürlich konnte Caspar nichts dafür, es war nicht seine Schuld. Ständig kam es vor, dass der eine oder andere aus ihrem Haushalt an Durchfall litt, abgesehen von Irmla, die hatte Gedärme aus Eisen. Aber Irmla konnte ihr nicht beim Abladen der Fässer helfen, die sie pünktlich zur sechsten Stunde am Heumarkt abliefern sollte. Der Händler würde nicht auf sie warten, denn das Frachtschiff, mit dem er anschließend weiterfahren wollte, hatte eine feste Abfahrtszeit. Und sie konnte nicht von hier weg, weil das Fuhrwerk im Schlamm festsaß! Und Caspar auf dem Lokus! Flüchtig erwog sie, an seiner Stelle Willi mitzunehmen, er war schon fast so kräftig wie Caspar. Doch dann hätte sich Berni allein um den Sud kümmern müssen, und das konnte nur schlimm enden, denn leider Gottes hatte er zwei linke Hände.
Gerade als sie glaubte, es könne kaum noch schlimmer werden, kam Irmla mit wehender Schürze aus dem Wohnhaus auf den Hof geeilt. »Es ist Besuch da!«
»Was für Besuch?«
»Der Braumeister Eberhard möchte dir seine Aufwartung machen. Er sagte, du wissest, dass er heute käme.«
»Heiliger Strohsack!« Madlen presste beide Hände gegen ihre erhitzten Wangen. Wie hatte ihr das nur entfallen können! Er hatte schon vor zwei Wochen angekündigt, dass er am Tag nach Mariä Lichtmess vorbeischauen wolle, um mit ihr zu reden. Seither hatte sie mehrmals voller Unbehagen daran gedacht, es aber immer wieder sofort nach Kräften verdrängt. Wahrscheinlich hatte sie es deswegen auch vergessen.
Es war zu spät, sich eine Ausrede zu überlegen. Eberhard, seines Zeichens Braumeister und Schöffe, kam durch den Durchgang, der die Schankstube vom Wohnhaus trennte, nach hinten auf den Hof. Seine beleibte Gestalt war in einen Umhang aus feinem, nachtblauem Tuch gehüllt, sichtbares Zeichen für seinen Wohlstand. Mit seiner ganzen Erscheinung versuchte er, dem ehrenvollen Amt gerecht zu werden, mit dem der Erzbischof ihn im vergangenen Jahr betraut hatte. Die Schöffen- würde wurde normalerweise nur an Angehörige der Richerzeche vergeben; erstmalig war ein Mitglied der Brauerzunft in diesen hohen Rang aufgerückt.
Madlen hatte ihren Posten vor dem Lokus geräumt und eilte ihm entgegen. Sie zwang sich zu einem strahlenden Lächeln und einem Knicks. »Onkel Eberhard, wie schön, dass du kommst!«
In Ermangelung eines echten Onkels hatte sie ihn schon als Kind so nennen dürfen, denn er war nicht nur ein guter Kamerad und geschätzter Zunftbruder ihres Vaters gewesen, sondern auch nach dessen Tod für sie und Konrad ein väterlicher Freund und Ratgeber, der sich stets wohlwollend um ihrer beider Belange gekümmert hatte. Nachdem nun auch Konrad nicht mehr lebte, war er zwar immer noch wohlwollend, aber mit seiner Geduld auch bald am Ende, was der heutige Besuch zweifelsfrei zeigte. Madlen hatte die ganze Zeit die Augen davor verschlossen, doch sie wusste sehr gut, dass die ihr gesetzte Frist bald ablief.
Eberhard begrüßte sie freundlich, indem er ihr die Wange tätschelte, so wie er es schon getan hatte, als sie noch ein kleines Mädchen gewesen war. »Wie hübsch du wieder bist, Kind. Und erst dein schönes lockiges Haar, das reinste Gold! War es schon immer so lang?« Er stutzte. »Trägst du nicht sonst eine Haube?«
Sie fuhr sich ins Haar. Der Zopf hatte bereits begonnen, sich aufzulösen. Es war wie verhext, alles schien sich gegen sie verschworen zu haben.
Thomas © 2012 by Bastei Lübbe GmbH & Co. KG, Köln
»Nie schmeckt das Bier besser als zur Fastenzeit«, bemerkte Caspar im Hintergrund.
Madlen lachte, und die Männer stimmten ein. Einträchtig und mit eingespielten Handgriffen machten sie sich ans Aufräumen. Während Konrad die leeren Trinkgefäße und fettigen Speisebretter einsammelte und in den Spülbottich legte, fegte Caspar den Steinboden und hob herabgefallene Becher auf. Wasser platschte, als Madlen mit Bürste und nassem Putzlumpen den fleckigen Bänken und Tischen zu Leibe rückte. Die Türen zur Straße und zum Hof hin standen weit offen, um die frische Abendluft hereinzulassen und den schweren Bierdunst und den Geruch verschwitzter Leiber und verqualmter Fackeln zu vertreiben.
Madlen legte die Schürze ab, verschloss die Tür zur Gasse und ging hinüber in das auf dem Hof gelegene Sudhaus, um dort nach dem Rechten zu sehen, so wie sie es immer vor dem Schlafengehen tat.
Berni und Willi, die zwei Lehrbuben, schliefen auf ihren Strohsäcken in der Braustube. Madlen ging auf Zehenspitzen an ihnen vorbei und schirmte die kleine Talgleuchte mit der Hand ab, um die beiden nicht zu stören. Der Knecht Caspar war ihr ins Brauhaus gefolgt, um sich ebenfalls zur Ruhe zu begeben. Als er die Stiege zum Boden erklomm, wo sich seine Schlafstatt befand, wünschte Madlen ihm flüsternd eine gute Nacht.
Es war still, nur das Stroh raschelte, als Berni sich auf seinem Lager herumwälzte. Der Lehrjunge stöhnte mit offenem Mund und murmelte dann eine unverständliche Verwünschung, gleichzeitig streckte er die Hand aus, als müsse er im Schlaf einen Gegner abwehren. Plötzlich fuhr er hoch und starrte mit halb offenen Augen geradeaus. »Nein!«, stöhnte er. »Tu das nicht! Lass mich los!«
Beunruhigt trat Madlen näher, doch Berni war gar nicht richtig wach. Im nächsten Moment war er auf sein Lager zurückgesunken und schlief weiter. Offensichtlich hatte er nur schlecht geträumt. Madlen verharrte und lauschte seinen ruhigen Atemzügen, dann ging sie an den großen Bottichen vorbei hinaus auf den Hof und von dort durch die Hintertür ins Wohnhaus. In der Stube roch es nach Kaminrauch und nach dem Kohlgemüse, das es heute zum Essen gegeben hatte. Aus der Kammer hinter der Feuerstelle war das Schnarchen von Madlens Großvater zu hören, er hatte sich schon am frühen Abend zur Ruhe begeben.
Unter der Stiege, die nach oben führte, hatte Irmla ihr Lager, auch sie schlief bereits seit Stunden. Gerade als Madlen die Stufen hinaufging, ließ die Magd direkt unter ihr im Schlaf knatternde Winde entweichen, deren Gestank sich mit den üblen Kohldünsten der Kochstelle vereinte. Madlen seufzte unhörbar, weil sie sich an einen lange gehegten Wunsch erinnerte.
»Ich möchte hinten im Hof ein separates Küchenhäuschen haben«, teilte sie Konrad mit, der sich schon ins Bett gelegt hatte. »Eigentlich geht mir das schon lange im Kopf herum. Wir hätten dann mehr Platz hier im Haus. In einer separaten Küche könnte Irmla ganz ungestört schalten und walten. Und auch dort schlafen.«
»Und furzen«, ergänzte Konrad belustigt.
Madlen erwiderte sein Grinsen, und als er unversehens aus dem Bett stieg und sie schwungvoll an sich zog, kicherte sie unterdrückt. »Was tust du da?«
»Meiner schönen Frau beim Ausziehen helfen.« Er war bereits nackt und schien es eilig zu haben, sie ebenfalls in diesen Zustand zu versetzen. Madlen war es nur recht; ihr Herz klopfte schneller, als sie seine zupackenden Hände auf ihrem Körper spürte. Sie kannte ihn seit ihrer Kindheit, doch seine Frau war sie erst seit knapp zwei Jahren, und die körperlichen Freuden der Ehe trugen viel zu ihrer Zufriedenheit bei. Während der Fastenzeit war es Sünde, allzu häufig beieinanderzuliegen, doch Madlen und Konrad nahmen es damit nicht sonderlich genau.
Irgendetwas, so hatte Konrad in seiner sorglosen Art gemeint, müssten sie ja schließlich auch zu beichten haben.
Hastig half Madlen ihm beim Hochziehen ihres Gewandes und zerrte es sich anschließend kurzerhand zusammen mit dem Unterkleid über den Kopf, wobei sich ihr Gebende löste und dem sittsam geflochtenen Zopf etliche Strähnen entwichen. Nackt stand sie vor Konrad, der beide Arme ausstreckte und sie fest an sich zog. Mit einer Hand zupfte er ihr das Band aus den Haaren, das ihren Zopf zusammenhielt, und strähnte es mit den Fingern bis zu den lockigen Spitzen, bis es sich wild um ihr Gesicht ringelte und frei bis zu ihren Hüften hinabfiel.
»Bei Gott, du bist schöner als eine Königin!«
Madlen lachte atemlos. »Du hast noch nie eine Königin gesehen! «
»Das muss ich auch nicht, denn ich habe ja dich«, erklärte er schlicht, während er den Kopf neigte, um sie zu küssen. Er war nicht viel größer als sie, kaum eine Handbreit, und ihre Körper schmiegten sich in vollkommener Harmonie aneinander, wenn er sie in den Armen hielt. Madlen hatte das Talglicht auf ihre Betttruhe gestellt, die seitlich versetzt vor dem Alkoven stand und zusammen mit einer weiteren Truhe, einem Hocker, einem kleinen Betschemel und einem zierlichen geschnitzten Eckaltar das gesamte Mobiliar der Kammer bildete.
Madlen rieb sich in wachsender Leidenschaft an Konrads Körper, während er sie begierig streichelte und küsste. Er war sehnig und stark, voll männlicher Kraft mit seinen einundzwanzig Jahren, und mit seinem hübschen Gesicht hätte er bestimmt so mancher Jungfer den Kopf verdreht, wenn Madlen nicht frühzeitig darauf geachtet hätte, dass sein Herz immer dort blieb, wo es hingehörte: bei ihr. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätten sie schon viel früher heiraten können, doch ihr Vater hatte darauf bestanden, dass er zuerst seine Lehrzeit und eine Gesellenreise hinter sich brachte. Madlen hatte ihn heimlich zum Abschied geküsst und ihn beschworen, zu ihr zurückzukehren.
Er packte ihre Hüften und ging leicht in die Knie, um stehend in sie eindringen zu können. Madlen keuchte und warf den Kopf zurück. »Konrad«, stöhnte sie. »Das ist wundervoll!«
»Es wird noch besser, mein Liebes.« Sein Glied schob sich hinein und hinaus, sacht zuerst, dann mit wachsendem Nachdruck, und schließlich hielt es sie beide nicht mehr auf den Beinen, keuchend sanken sie auf der Bettstatt nieder. Er war über ihr, drängte ihre Schenkel auseinander und stieß schnell und heftig in sie. Unter den abgehackten, rhythmischen Bewegungen begann das Holzgestell erbärmlich zu knarren und zu quietschen, sodass Madlen überzeugt war, es müsse nicht nur im ganzen Haus, sondern auch drüben in der Braustube zu hören sein. Doch es war ihr völlig gleichgültig, sie war wie trunken vor Lust und erlebte wenig später einen erfüllenden Höhepunkt, der sie kraftlos und benommen zurückließ. Unmittelbar darauf bäumte auch Konrad sich ein letztes Mal über ihr auf, bevor er sich schwer atmend neben ihr auf das Lager fallen ließ und sie fest umschlang.
Für sie waren dies die kostbarsten Augenblicke des Tages: so in seinen Armen zu liegen, die Wange gegen seine Brust geschmiegt, seinen hämmernden Herzschlag in ihrem Ohr, seinen steten Atem in ihrem Nacken und ihrem Haar, seine Hände, die liebkosend über ihren Rücken strichen und sie daran erinnerten, wie sehr sie das brauchte. Wie sehr sie ihn brauchte.
»Du sollst dein Küchenhäuschen kriegen«, versprach er schläfrig. »Gleich nach Ostern mache ich mich mit Caspar an die Arbeit. Irmla wird wahre Luftsprünge machen vor Freude. Und wir können es jede Nacht treiben, ohne fürchten zu müssen, dass sie davon aufwacht und neidisch wird.«
Madlen lächelte an seiner Brust. Das Herz wollte ihr vor Liebe überfließen, und bevor sie einschlief, sandte sie ein stummes Dankesgebet zur heiligen Ursula. Und dann - man konnte nie wissen - noch eines zum heiligen Petrus von Mailand, den die Bruderschaft der Brauer unlängst zu ihrem Schutzpatron erkoren hatte. Gewiss konnte es nicht schaden, wenn sie ihre Gebete nun häufiger auch an diesen neuen Heiligen richtete. Wie es schien, war er Gottes Gnade in besonderem Maße teilhaftig geworden, weil sich in ihrem und Konrads Leben alles so wunderbar zum Guten gefügt hatte. Ein tiefes Gefühl von Glück und Dankbarkeit begleitete Madlen in den Schlaf.
Konrad wachte von einem ungewohnten Geräusch auf, doch als er sich auf einen Ellbogen aufstützte und in die Dunkelheit lauschte, hörte er nichts außer den sanften Atemzügen seiner Frau. Mondlicht fiel durch die offene Fensterluke in die Kammer und zeichnete die Umrisse ihres Oberkörpers nach. Sie lag auf dem Rücken, einen Arm angewinkelt hinter dem Kopf, den anderen unter dem Laken. Ihre Hand berührte seinen Schenkel. Sie schlief immer so - mit einer Hand auf seinem Körper, als müsse sie sich auch im Schlaf noch vergewissern, dass er bei ihr war. Ihre festen, runden Brüste schimmerten verlockend im matten Licht des Mondes, und Konrad spürte das Blut in seine Lenden strömen. Madlen so nah bei sich zu haben und sie besitzen zu wollen - das war für ihn eins, in jeder Nacht, die sie in seinen Armen verbrachte. Ob das wohl jemals endete? Er hoffte und betete inständig, dass es ein Leben lang so bleiben möge. Soweit es ihn betraf, wusste er genau, dass er sie bis zu seinem Tod begehren und lieben würde. Er hatte sie schon geliebt, als sie beide noch Kinder gewesen waren und er im Alter von zwölf Jahren bei ihrem Vater in die Lehre gegeben worden war. Natürlich war es anfangs eine keusche und zaghafte Liebe gewesen, lüsterne Gedanken waren ihm erst gekommen, als seine Knabenjahre sich dem Ende zuneigten und er die ersten feuchten Träume erlebt hatte. Sie hatten einander scheue und sehnsuchtsvolle Blicke zugeworfen, sich im Vorbeigehen wie unabsichtlich berührt. Alle im Haus hatten sich darüber lustig gemacht, auf eine wohlwollende und nachsichtige Weise, die der freundlichen Zukunft, die auf die beiden jungen Leute wartete, Rechnung trug. Der Lehrbub und die Tochter des Braumeisters - eine Verbindung, die nicht nur vernünftig, sondern erwünscht war. Madlen und er waren gleichsam von Beginn an füreinander bestimmt gewesen.
Er beugte sich über sie und küsste sacht eine der verführerisch prallen Halbkugeln, als er erneut das Geräusch hörte. Diesmal gab es kein Vertun - es kam von draußen, vom Hof. Konrad hob den Kopf und versuchte, es einzuordnen. Es war das Rasseln und Schaben der Hundekette. Das war das höchste Anzeichen von Aufregung, das von dem alten Spitz noch zu erwarten war. Bellen konnte der Hund schon lange nicht mehr. Konrad schlug die Decke zurück und stand auf. Madlen bewegte sich und tastete vergeblich nach ihm. »Konrad?«, murmelte sie schlaftrunken.
»Schlaf weiter, Liebes«, flüsterte er. »Ich bin gleich zurück.«
Im Dunkeln ging er nach unten. In der Stube herrschte völlige Finsternis. Die beiden Läden zur Straße hin waren zugezogen, und das Nachtlicht, mit dem der alte Cuntz sich den Weg zur Latrine ausleuchtete, befand sich in dessen Kammer. Die Tür zu dem kleinen Schlafgemach hinter dem Kamin war geschlossen, offenbar hatte Cuntz die nötigen Gänge für diese Nacht hinter sich gebracht.
Konrad tastete sich vorwärts, an der Wand entlang bis zur Hintertür. Er stieß sie auf und trat ins Freie. Silbernes Mondlicht lag über Hof und Garten. Schwarz ragten die schemenhaften Umrisse von Brauhaus und Schuppen zu beiden Seiten des Hofs auf. Die im Hintergrund sichtbaren Silhouetten der Bäume und Büsche verschwammen mit der Nacht.
»Ist da jemand?«, rief Konrad halblaut. Vor einem kleinen Verschlag am Rand des Hofs lief der betagte Spitz hin und her und zerrte an der Kette. Etwas hatte ihn aufgescheucht, doch der Grund dafür war nirgends zu sehen. Als Hofhund taugte er nichts mehr, seine guten Jahre lagen längst hinter ihm. Konrad tätschelte ihn zwischen den Ohren. »Na, alter Bursche?«, murmelte er. »Was machst du für einen Radau? Hast du schlecht geträumt? Was sollen wir bloß mit dir anfangen, wenn wir schon nachts selber auf uns aufpassen müssen! Aber schlaf nur weiter, ich sehe nach dem Rechten.« Er umrundete den Ziehbrunnen und ging an den Latrinen vorbei zu den hölzernen Anbauten des Haupthauses. Im größten Schuppen, der auch als Wagenhaus und Pferdestall diente, stand der Gaul dösend hinter dem Gatter. Er nahm Konrads Anwesenheit kaum wahr. Dafür jedoch ein nächtlicher Eindringling: Eine Maus flitzte vor Konrads Füßen vorbei und verschwand in einer Bretterritze, dicht gefolgt von einem langen schwarzen Schatten. Gleich darauf ertönte das Kratzen von Krallen auf Holz und ein enttäuschtes Fauchen.
Konrad grinste unwillkürlich; wie der Hund hatte auch der Kater seine Dienste schon besser versehen. Madlen fütterte ihn zu gut.
Er verließ den Schuppen und ging weiter zum Hühnerstall, doch auch hier war nichts Verdächtiges zu entdecken. Im vergangenen Monat hatte ein Fuchs unter den Hennen gewütet, Folge einer versehentlich offen gelassenen Stalltür und eines losen Bretts im Zaun. Der alte Hofhund hatte den Überfall verschlafen, folglich hatte niemand den dreisten Räuber daran gehindert, vier Hühnern den Hals durchzubeißen und mit einem fünften zu verschwinden.
Konrad wandte horchend den Kopf. Hinten im Garten, zwischen den Obstbäumen und dem Zaun, der das Grundstück an der Rückseite begrenzte, raschelte es vernehmlich. Doch gleich darauf verstummte das Geräusch wieder, sicher waren es nur Wühlmäuse, die im Dunkeln nach Futter suchten. Vom Kater war weit und breit nichts zu sehen, nach der misslungenen Jagd im Stall versuchte er wohl sein Glück in der Nachbarschaft.
Konrad ging zum Haus zurück und dann in die von einem gemauerten Bogen überdachte Einfahrt. Zwischen Schank- und Wohnhaus befand sich die Falltür zum Keller, doch sie war verschlossen. Der Hund war wieder aufgestanden und lief umher, das metallische Rasseln der Kette hallte durch die Einfahrt. Konrad ging zum Tor, das die Einfahrt zur Straße hin verschloss, aber auch dieses war fest verriegelt.
Das Kettenrasseln hatte aufgehört. Vielleicht hatte sich ein fremder Kater im Garten herumgetrieben. Konrad ging zurück auf den Hof. Beim Brunnen blieb er stehen und lauschte abermals, doch alles blieb still. Die Luft war für die frühe Jahreszeit ungewöhnlich mild, fast schon frühlingshaft. Die Nacht war sternenklar, das Firmament übersät von schimmernden Lichtpunkten. Er legte die Hände auf die Einfassung des Brunnens und seufzte. Schultern und Arme taten ihm weh von dem stundenlangen Ausschank, und an der rechten Hand hatte er eine schmerzende Brandblase, weil er beim Umfüllen des heißen Suds heute unvorsichtig gewesen war. Doch er fühlte sich restlos zufrieden. Das Geschäft ging glänzend, jeden Tag war die Schankstube zum Bersten voll. Es war an der Zeit, neue Wege einzuschlagen und ein zweites Brau- und Schankhaus zu eröffnen. Madlen und er hatten bereits Verhandlungen mit einem Weinhändler aufgenommen, der eine Haushälfte in der Mühlengasse zu verpachten hatte, in unmittelbarer Nachbarschaft zum Alter Markt. Ein Gebäude, das sich großartig zum Brauen eignete, mit einem großen, kühlen Gewölbekeller als Lager ...
Ein Winseln ließ Konrad zusammenfahren. »Spitz?« Rasch umrundete er den Brunnen und ging zur Hundehütte. »Was ist mit dir?« Ein seltsam ziehendes Atemgeräusch antwortete ihm, doch der Hund rührte sich kaum, auch nicht, als Konrad neben ihm in die Hocke ging und ihm über das Fell strich. Dann spürte er die Nässe unter seinen Fingern und roch den kupfrigen, süßlichen Geruch von Blut.
Im selben Moment hörte er die Schritte hinter sich und verlor wertvolle Zeit, um sich aufzurichten statt sich einfach zur Seite zu werfen, was ihm vielleicht geholfen hätte, dem Angriff zu entgehen. So aber blieb ihm nichts weiter, als das sausende Geräusch hinter seinem Rücken dem Gegenstand zuzuordnen, der nur einen Lidschlag darauf wuchtig seinen Kopf traf, dann abrutschte und oberhalb seiner Schulter in sein Blickfeld geriet - ein schwerer Knüppel. Taumelnd drehte er sich um, aber er konnte nichts mehr erkennen, weil ihm schwarz vor Augen wurde. Weitere Hiebe fuhren auf ihn nieder. Er hörte das Knacken, mit dem sein Schädel brach, doch gnädigerweise spürte er keinen Schmerz. Seinen Mörder konnte er nicht mehr sehen.
Madlen erwachte wie üblich mit dem ersten Hahnenschrei.
Normalerweise hätte sie sich einfach umgedreht und weitergeschlafen, denn die Sonne war noch nicht aufgegangen; außerdem war Sonntag, bis zum Kirchgang blieb noch reichlich Zeit. Dennoch war sie auf einen Schlag hellwach, weil Konrad nicht bei ihr lag. Das war noch nie vorgekommen. Sie konnte sich an keinen einzigen Tag ihrer Ehe erinnern, an dem er vor ihr aufgestanden wäre. Er war ein ausgesprochener Langschläfer, es fiel ihm seit jeher schwer, aus den Federn zu finden. Schon als Lehrjunge hatte er sich damit so manche Schimpftirade und auch die eine oder andere Ohrfeige von Madlens Vater eingehandelt. Konrad ließ sich keinen Augenblick entgehen, den er länger liegen bleiben durfte, vor allem an den arbeitsfreien Sonn- und Festtagen.
Madlen setzte sich im Bett auf und hangelte nach ihrem Unterkleid. Während sie es überstreifte, entsann sie sich dunkel an die vergangene Nacht. Sie war kurz wach geworden, weil Konrad aufgestanden war. Ich bin gleich zurück, hatte er gesagt. Sie war sofort wieder eingeschlafen, aber sie hatte keine Erinnerung daran, dass er tatsächlich zurückgekehrt war. Rasch zog sie die Cotte über das Leinenhemd, schlüpfte in die Schuhe und eilte nach unten. Irmla schlief noch, ebenso ihr Großvater. Das Schnarchen der Magd sowie das des Alten mischten sich zu einem friedlichen morgendlichen Schlummerkonzert.
Die Hintertür stand offen; Zugluft wehte vom Hof herein und trieb Asche aus dem Kamin. Madlen erschauderte. Ein seltsames Gefühl hatte sich ihrer bemächtigt. Ihre Füße fühlten sich mit einem Mal schwer an, fast so, als klebten sie am Boden fest. Es kostete sie Mühe, einen Schritt vor den anderen zu setzen und nach draußen zu gehen. Plötzliche Bangigkeit schnürte ihr die Brust zu. In der dämmerigen Morgenkühle bildete sich vor ihrem Mund dampfendes Gewölk, während sie angestrengt ein- und ausatmete. Sie zuckte zusammen, als abermals ein Hahnenschrei ertönte, diesmal in der Nachbarschaft.
»Konrad?« Sie blickte sich um, doch er war nirgends zu sehen. »Konrad!«, rief sie, nun deutlich lauter und mit wachsender Angst. Er hätte längst geantwortet, wenn er auf dem Abtritt gewesen wäre.
Dann sah sie den Fuß, der auf Bodenhöhe hinter der Brunnenwand hervorragte. Dort lag jemand vor der Hundehütte. Madlen presste beide Hände gegen ihr Herz, das mit einem Mal schmerzhaft hart pochte. Ihre Füße wollten ihr nicht gehorchen, doch sie zwang sie, dort hinzugehen, um den Brunnen herum, bis sie alles sehen konnte. Die hingestreckte, nackte Gestalt, rücklings über der des Hundes liegend. Den eingeschlagenen Schädel. Die blicklos zum Himmel starrenden Augen. Das viele Blut.
Nein, dachte sie immer wieder. Nein, nein, nein. Das ist nicht er. Das ist nicht Konrad. Er ist nicht tot. Nicht Konrad. Er ist doch mein Leben!
Mit jedem Herzschlag spürte sie dieses Leben aus sich hinausrinnen, während die Wirklichkeit sich in ihr Inneres fraß wie tödliches Gift, um ihr ganzes Wesen zu vernichten.
Madlen öffnete den Mund zu einem gellenden Schrei.
Elf Monate später, 3. Februar 1260
Johann von Bergerhausen überlegte angesichts des anhal
tend schlechten Wetters trübselig, dass er sich auch einen besseren Tag für sein Vorhaben hätte aussuchen können. Doch das hätte bedeutet, dass er sich hätte gedulden müssen, und danach stand ihm nach Lage der Dinge wahrhaftig nicht der Sinn.
Veit hatte ihn überreden müssen, wenigstens zu Fuß aufzubrechen, sonst hätte Johann es noch fertiggebracht, sich auf sein Ross zu schwingen und in voller Montur in Köln einzureiten, was nur unliebsame Aufmerksamkeit auf ihn gelenkt hätte. Folglich hatte Johann das Pferd zurückgelassen, im Unterstand vor der elenden Höhle, die er mit Veit teilte. Er hatte sich ohne Schwert und Harnisch und in bester Landstreichermanier zu Fuß zur nächsten Ansiedlung begeben, nach Sürth, einem verschlafenen Nest am Rhein, wo es nicht viel mehr gab als ein paar Fischerhütten und ein Kloster von Zisterziensermönchen, die sich mit der Erzeugung ziemlich sauren Weins befassten.
Immerhin schafften sie es, genügend davon nach Köln zu verkaufen, sodass sie regelmäßig Fässer auf Kähne luden, die flussabwärts fuhren. Im Winter fanden solche Fahrten naturgemäß seltener statt, doch auch dann kam der Verkehr - vorausgesetzt, es trieben nicht gerade Eisschollen auf dem Rhein - nicht gänzlich zum Erliegen: Anstelle von Wein wurde Fisch nach Köln befördert. Stockfisch, Salzfisch, frischer Fisch. Fisch gab es im Rhein immer mehr als genug, auch in kalten Monaten.
Der Tag nach Mariä Lichtmess war indessen einer der weniger kalten in diesem ohnehin recht milden Winter, doch der fortwährende Nieselregen, den der Wind über das flache Deck des Schiffes in jeden Winkel trieb, machte die Reise zu einem höchst ungemütlichen Erlebnis. Als Gegenleistung für diese Mitfahrgelegenheit hatte Johann mehrere Dutzend stinkende, undichte Fässer an Bord geschleppt, sodass er nun roch wie ein Fischmenger. Auch die freundliche Einladung des Händlers, sich zu ihm unter die morsche Überdachung zu setzen, taugte nicht dazu, Johann aufzumuntern, denn dadurch sah er sich gezwungen, das stundenlange Klagen des Mannes über dessen diverse Krankheiten zu ertragen, angefangen bei Gliederreißen über Harndrang und Zahnweh bis hin zu unstillbarem Juckreiz in Gefilden, wohin niemals die Sonne schien. »Und Halsweh«, fügte der Fischhändler mit leidvoller Miene hinzu. »Das liegt an der Kälte. Dagegen hilft rein gar nichts, nicht mal Gebete zum heiligen Blasius.« Er deutete auf seinen Hals. »Heute ist es besonders schlimm, und dabei habe ich gleich nach dem Aufstehen lange gebetet. Weil doch heute der Namenstag ist.«
»Meinen Glückwunsch«, sagte Johann geistesabwesend.
»Oh, nein, nicht meiner. Der vom heiligen Blasius. Dem Schutzpatron aller Halskranken.« Der Mann hielt inne, weil er merkte, dass sein Fahrgast in Gedanken versunken war. »Was, sagtet Ihr gleich, habt Ihr in Köln für Geschäfte?«
Johann, der bislang kein Wort über seine Geschäfte hatte verlauten lassen, gab eine unverfängliche Antwort. »Ich will alte Freunde besuchen.«
Damit war die Neugier des Fischhändlers vorerst gestillt; er ging dazu über, in allen Einzelheiten seine zunehmende Sehschwäche zu beschreiben. Johann ließ den Redestrom an sich vorüberziehen, ebenso wie die Uferlandschaft des Rheins. Die Hügel des Siebengebirges im Rücken, sah er schließlich linker Hand vor sich das weite Halbrund der Stadt auftauchen. Ausgehend vom südlich gelegenen Bayenturm, zog sich die gewaltige Mauer am Ufer entlang, bis hin zum Kunibertsturm im Norden. Eine überwältigende Anzahl von Kirchtürmen erhob sich hinter diesem Bollwerk, unter ihnen besonders augenfällig die neueren Chortürme der Severinskirche und weiter landeinwärts die gewaltigen Türme von Sankt Pantaleon. Es folgten am Ufer Sankt Maria Lyskirchen, weiter hinten Sankt Georg am Waidmarkt, dann Sankt Maria im Kapitol, und danach Groß Sankt Martin, wo sie gleich anlegen würden. Und schließlich ein Stück voraus Sankt Maria ad gradus und gleich dahinter die Baustelle des neuen, noch turmlosen Doms mit dem erst jüngst fertiggestellten Kapellenkranz, über dem ein Lastkran in den Himmel ragte. Was die Errichtung neuer Kirchen anging, schien die Baulust der Kölner ungebrochen.
»Es ist immer wieder beeindruckend, oder? Hunderte von Kirchen, in einer einzigen Stadt.« Der Fischhändler folgte Johanns Blicken. Seine Stimme klang stolz. »Unser heiliges Köln!«
Johann lag eine sarkastische Erwiderung auf der Zunge, doch er zog es vor, nicht zu antworten. Der Händler schien es auch nicht zu erwarten, außerdem war er abgelenkt: Das Boot hatte die kleine Rheinvorinsel passiert, und der Bootsführer lenkte es auf Höhe von Groß Sankt Martin ans Ufer. Dort befand sich ein Holzgerüst, das die Anlegestellen in zwei Bereiche unterteilte. Die von Süden kommenden Oberländerschiffe hatten weniger Tiefgang und waren mit ihrer flachen, breiten Bauweise für den Niederrhein nur eingeschränkt geeignet, folglich mussten sie hier an dieser vom Rat der Stadt Köln vorgeschriebenen Stelle ihre Ladungen löschen. Rheinabwärts dagegen lagen die großen Schiffe mit kräftigem Rumpf und Takelage, viele davon seetüchtig. Für sie galt das Gleiche. Sollten die Waren, gleichviel aus welcher Richtung sie kamen, über Köln hinaus weiterbefördert werden, mussten die Händler sie jeweils auf andere Schiffe verfrachten - doch das durften sie erst, nachdem dem Kölner Stapelrecht Genüge getan war.
Nicht ohne widerwillige Bewunderung hatte Johann von dieser Neuerung erfahren, die während seiner langjährigen Abwesenheit vom Erzbischof eingeführt worden war: Alles, was zu Lande oder zu Wasser über den Rhein an Köln vorbei transportiert werden sollte, musste in der Stadt abgeladen und den Kölner Bürgern und Händlern zum Kauf angeboten werden. Zu Bedingungen, die der Rat festgelegt hatte - natürlich zum Nutzen Kölns.
Johann bedankte sich höflich bei dem Fischhändler und sprang an Land, bevor sich die herbeigerufenen Träger daranmachten, die Ladung von Bord zu holen. Hier war seine Hilfe nicht mehr gefragt, wie ihm der Händler erklärt hatte: Für jeden Handgriff beim Löschen und Abtransport der Waren standen städtische Arbeiter und Aufseher bereit. Ob Wein oder Kohle, Ziegel oder Holz, Fisch oder Tuch, Pelze oder Eisen - für alle Güter gab es eigene Zuständigkeiten mit streng getrennten Aufgaben. Kranmeister und Windenknechte, Röder und Schröder, Müdder und Zähler, Schütter und Aufhalter, Schürger und Abmesser, Akzisemeister und Fuhrwerker - an ihnen führte kein Weg vorbei, der Hafen unterstand an allen Ecken und Enden wachsamer Kontrolle.
Nur für die stinkende Abfallhalde zwischen den beiden vor Johann liegenden Stadtpforten schien sich niemand verantwortlich zu fühlen. Allerlei Unrat türmte sich dort, angefangen von verwesendem Fisch über verrottetes Tauwerk und faulendem Kohl bis hin zu verschimmelten, sich zersetzenden Säcken, über deren Inhalt man nur noch rätseln konnte. Im Schatten der großen Pracht dieser Stadt musste man offensichtlich nach ihrem Unflat nicht lange suchen. Der Anblick erschien Johann symbolhaft, erinnerte er ihn doch mit einer solchen Intensität daran, was ihm im vergangenen Jahr bei seinem letzten Besuch in der Stadt widerfahren war, dass er am liebsten etwas mit der Faust zertrümmert hätte. Wäre er jetzt im Wald bei Veit gewesen, hätte er mit seiner Armbrust ein Zielschießen auf ein paar Pilze veranstaltet und sich dabei vorgestellt, den Erzbischof und seine Helfershelfer zu treffen, möglichst an ihren empfindlichsten Stellen.
Immerhin hatte mittlerweile das lästige Nieseln aufgehört, sodass Johann seinen restlichen Weg trockenen Fußes hinter sich bringen konnte. Er wich einem rollenden Fuhrwerk aus und betrat die Stadt durch die Salzgassenpforte. Aus der nach links abzweigenden Gasse schallte das lärmende Gehämmer der Schmiedewerkstätten, und vom rechter Hand liegenden Fischmarkt drang der durchdringende Geruch von den Salmenbänken herüber, an denen die Fischmenger ihre Ware feilhielten. Johann ging an einem Gaddem vorbei, in dem Tontöpfe und Krüge und anderer Haushaltskram angeboten wurden, und dann weiter in Richtung Alter Markt. Auch dort herrschte rege Betriebsamkeit zwischen den zahlreichen Händlerbuden. An einem Stand feilschte eine Marktfrau mit einer Matrone um ein Huhn, an einem anderen wurden Eier im Dutzend verkauft, an einem weiteren wechselte gerade eine krakeelende Gans den Besitzer. Der Betreiber einer Garküche bot frisch gebratene Hühnerbeine an, und Johann, der seit dem frühen Morgen nichts gegessen hatte, lief das Wasser im Mund zusammen. Kurz entschlossen kaufte er sich einen der knusprigen Schlegel und verzehrte ihn im Weitergehen. Ohne seine Schritte zu verlangsamen, bog er bei der Marspforte ab und passierte das Judenviertel in Richtung Unter Wappensticker, wo er sich nach links hielt, bis er die Schildergasse erreicht hatte.
Nun, da er fast am Ziel war, spürte er den bohrenden, quälenden Zweifel. Was, wenn alles nur ein Irrtum war und er sich umsonst Hoffnungen machte? Wenn der Bauer sich getäuscht hatte? Der Mann hatte Blithildis ohnehin nur vom Sehen her gekannt, und das war so viele Jahre her, dass die Erinnerung ihm leicht einen Streich gespielt haben könnte. Oder es handelte sich um eine Verwechslung.
Johann rief sich die Unterhaltung vom Vortag ins Gedächtnis, die er mit einem früheren Pachtbauern seines Vaters geführt hatte.
»Doch, ich bin mir sicher. Gut, sie hatte dieses Nonnenkleid an, so eines, wie die Beginen sie tragen. Grau und mit einer Haube, bei der nur das Gesicht herausschaut. Aber ich könnte schwören, dass sie es war.«
»Und wo genau willst du sie gesehen haben?«
»Na, im Goldenen Fass auf der Schildergasse, nur einen halben Steinwurf vom Neumarkt. Da gibt es das beste Bier von ganz Köln. Immer wenn ich in der Stadt bin, gehe ich dorthin und trinke einen Becher. Oder auch zwei. Früher, als der Alte noch den Ausschank betrieb, musste man im Stehen vor dem Tor trinken und seinen Becher mitbringen, aber seit ein paar Jahren haben sie da ein eigenes Schankhaus, in dem man sogar sitzen kann. Mit Kamin, deswegen gehen die Leute auch im Winter gerne hin. Als ich das letzte Mal dort war, habe ich sie gesehen.«
»Willst du damit etwa sagen, dass sie dort gezecht hat?«
»Nein, nicht doch. Sie hat da nur die Madlen besucht. Ich glaube, die zwei sind befreundet. Sie haben miteinander gelacht und geschwätzt, so wie es Weiber eben tun, die sich gut leiden können.«
»Arbeitet diese Madlen dort?«
»Gewiss. Sie ist die Schankwirtin. Und sie braut dort auch das Bier. Ganz allein, seit letztes Jahr ihr Mann erschlagen wurde. Es ist ein Jammer. Dass ihr Mann gestorben ist, meine ich. Sie waren so ein schönes junges Paar. Und erst das Bier!« Der Mann hatte schwärmerisch die Augen verdreht, bevor er hastig hinzufügte: »Das Bier ist immer noch gut. Ihr könnt es unbesorgt trinken, auch wenn es von einer Brauerin stammt, die kaum älter aussieht als ein Kind.«
»Warum bist du nicht zu ihr gegangen und hast sie angesprochen? «
»Das kann sie nicht leiden. Sie schimpft wie ein Rohrspatz und wirft mit Bierkrügen nach den Männern, die es bei ihr versuchen. Außerdem bin ich verheiratet, wie Ihr wisst.«
»Ich meinte Blithildis.«
»Die Begine? Wo denkt Ihr hin! Sie ist doch eine heilige Frau!«
Mit diesem Wissensstand hatte Johann sich auf den Weg in die Stadt gemacht, beseelt von der brennenden Hoffnung, Blithildis wiederzufinden. Vor wenigen Tagen erst war er an den Bauern geraten, der glaubte, sie in jener Schänke gesehen zu haben. Bis dahin hatte er überall herumgefragt, doch niemand wusste, was aus ihr geworden war - sie war verschwunden und galt als tot. So tot wie Johanns Mutter. Nur, dass man diese in der Nähe der Burg gefunden hatte, Blithildis jedoch nicht.
Die Schildergasse, die in Richtung Sankt Aposteln führte und im Neumarkt mündete, war eine belebte Straße mit dichter Bebauung. Windschiefe Holzhütten drängten sich neben neuere Fachwerkhäuser, vereinzelt sah man auch Steinbauten. In etlichen Häusern waren Werkstätten untergebracht, darunter einige von Schildermachern, die der Straße ihren Namen gegeben hatten, aber auch andere, etwa die eines Schusters, eines Küfers oder eines Bäckers. Auch eine Kräuter- und Gewürzhandlung gab es, der Wohlgerüche nach getrockneten Spezereien entströmten, ein auffallender Gegensatz zu dem beißen den Gestank nach Schweinemist und überfüllten Aborten, der hier und da aus den Soden zwischen den Häusern hervordrang.
Mensch und Tier bevölkerten die Gasse gleichermaßen. Eine Schar grunzender Säue wurde von einem Knaben durch das Tor eines kleines Gehöfts getrieben; ein Ferkel erschrak vor einem kläffenden Hund und stob quiekend davon, was dem jugendlichen Schweinehirten eine Reihe derber Flüche entlockte.
Vom vorangegangenen Regen war der lehmige Untergrund der Straße aufgeweicht. Lediglich an einzelnen Stellen waren Holzbohlen ausgelegt, um Senken auszugleichen. Überall hatten sich tiefe Schlammpfützen gebildet, und in einer davon war ein hoch mit Fässern beladenes Fuhrwerk stecken geblieben, dessen Besitzerin nicht nur mit den Zügeln kämpfte, sondern auch mit ihrer Wut. Johann blieb stehen und sah zu, wie sie vom Kutschbock sprang und das Pferd ausschimpfte.
»Du vermaledeiter, lahmer Gaul! Du bist nutzloser als der Hund und der Kater zusammen!« Sie packte das Halfter, zog den mächtigen Kopf des Pferdes herum und zeigte mit der freien Hand in Richtung des nahegelegenen Neumarkts. »Siehst du diesen Marktplatz da, du abgehalfterte Schindmähre? Da werde ich dich verkaufen, und zwar gleich beim nächsten Rossmarkt. Aber nicht etwa als Brauereipferd, o nein! Sondern an die Kotzmenger. Die können dann Wurst aus dir machen! Falls die überhaupt jemand will!«
Das Pferd wandte unbeeindruckt den Kopf wieder in die ursprüngliche Richtung und fing an zu kauen. Zwischen den großen, hässlichen Zähnen hing ein weißer Zipfel, der, wie sich sofort herausstellte, zur Haube der wütenden Frau gehörte, ein eher nachlässig angelegtes Gebende, von dem gleich darauf beträchtliche Teile im Maul des Pferdes verschwanden.
»Oh, du ... Ausgeburt der Hölle!«, stieß die Frau empört hervor. Mit beiden Händen griff sie zu und versuchte, ihre Kopfbedeckung zu retten, doch vergeblich. Der Gaul ließ sich die Beute nicht entreißen, und aufgebracht stampfte die junge Frau mit dem Fuß auf, was nur dazu führte, dass sie bis zum Knöchel im Matsch versank. Ihr nun unbedecktes Haar, das sie im Nacken zu einem Zopf geflochten hatte, war weizenblond. Hell waren auch ihre Haut und ihre Augen, und ihr Gesicht mit den rosig gefärbten Wangen und dem sanft gerundeten Kinn war von mädchenhafter Süße, sie sah aus, als könne sie höchstens sechzehn sein. Doch wahrscheinlich war sie eher um die zwanzig und bereits Witwe, denn aus ihren Worten und aus der Tatsache, dass die offene Toreinfahrt hinter ihr ganz offensichtlich zu der von dem Bauern beschriebenen Brauerei gehörte, hatte Johann bereits geschlossen, dass es sich um besagte Madlen handeln musste.
Er räusperte sich und trat vor, doch bevor er ein Wort äußern konnte, blickte sie auf. »Du da«, sagte sie mit befehlsgewohnter Stimme. »Hast du ein paar Augenblicke Zeit?«
Er nickte überrumpelt.
»Du kannst dir ein großes frisches Bier verdienen. Bleib nur kurz hier bei dem Wagen stehen und pass gut auf, dass niemand von den Gassenjungen sich über die Fässer hermacht. Ich bin gleich zurück, ich muss nur eben meinen nichtsnutzigen Knecht holen, der schon längst hier sein sollte.« Sie warf ihm die Zügel des Gauls zu und stapfte in die Einfahrt zum Hof, direkt unter dem vom Torbogen baumelnden, mit goldgelber Farbe bemalten Fässchen hindurch.
Johann blieb mitten auf der Gasse stehen, mit nichts als der Aussicht auf ein Bier und den Zügeln des widerspenstigen Brauereipferdes in der Hand, und kam sich ausgesprochen dämlich vor.
Madlen marschierte spornstreichs ins Sudhaus, wo Berni
und Willi bei der Arbeit waren. Der dreizehnjährige Berni rührte ausdauernd in der dampfenden Maische, und der ein Jahr ältere Willi stand an der offenen Feuerstelle und beaufsichtigte das Sieden der Gruit. Ein wunderbar würziger Duft erfüllte die Braustube, doch Madlen hatte momentan keinen Sinn dafür.
»Wo ist Caspar?«, wollte sie wissen.
»Auf dem Lokus«, sagte Berni. »Er hat die Scheißerei.«
Madlen stöhnte. Auch das noch! Ausgerechnet heute!
»Rühr schneller!«, fuhr sie Bernie an, dann eilte sie zurück auf den Hof und pochte an die Tür des Abtritts. »Was meinst du, dauert es noch lange?«
Ein angestrengtes Ächzen antwortete ihr.
»Caspar?«, fragte sie, halb besorgt, halb frustriert.
»Es ist schlimm!«, kam es gequält von drinnen. »Wirklich sehr schlimm!« Und dann, noch gequälter: »Es tut mir so leid, Madlen!«
Madlen hätte am liebsten ihren Kopf gegen die Tür geschlagen. Natürlich konnte Caspar nichts dafür, es war nicht seine Schuld. Ständig kam es vor, dass der eine oder andere aus ihrem Haushalt an Durchfall litt, abgesehen von Irmla, die hatte Gedärme aus Eisen. Aber Irmla konnte ihr nicht beim Abladen der Fässer helfen, die sie pünktlich zur sechsten Stunde am Heumarkt abliefern sollte. Der Händler würde nicht auf sie warten, denn das Frachtschiff, mit dem er anschließend weiterfahren wollte, hatte eine feste Abfahrtszeit. Und sie konnte nicht von hier weg, weil das Fuhrwerk im Schlamm festsaß! Und Caspar auf dem Lokus! Flüchtig erwog sie, an seiner Stelle Willi mitzunehmen, er war schon fast so kräftig wie Caspar. Doch dann hätte sich Berni allein um den Sud kümmern müssen, und das konnte nur schlimm enden, denn leider Gottes hatte er zwei linke Hände.
Gerade als sie glaubte, es könne kaum noch schlimmer werden, kam Irmla mit wehender Schürze aus dem Wohnhaus auf den Hof geeilt. »Es ist Besuch da!«
»Was für Besuch?«
»Der Braumeister Eberhard möchte dir seine Aufwartung machen. Er sagte, du wissest, dass er heute käme.«
»Heiliger Strohsack!« Madlen presste beide Hände gegen ihre erhitzten Wangen. Wie hatte ihr das nur entfallen können! Er hatte schon vor zwei Wochen angekündigt, dass er am Tag nach Mariä Lichtmess vorbeischauen wolle, um mit ihr zu reden. Seither hatte sie mehrmals voller Unbehagen daran gedacht, es aber immer wieder sofort nach Kräften verdrängt. Wahrscheinlich hatte sie es deswegen auch vergessen.
Es war zu spät, sich eine Ausrede zu überlegen. Eberhard, seines Zeichens Braumeister und Schöffe, kam durch den Durchgang, der die Schankstube vom Wohnhaus trennte, nach hinten auf den Hof. Seine beleibte Gestalt war in einen Umhang aus feinem, nachtblauem Tuch gehüllt, sichtbares Zeichen für seinen Wohlstand. Mit seiner ganzen Erscheinung versuchte er, dem ehrenvollen Amt gerecht zu werden, mit dem der Erzbischof ihn im vergangenen Jahr betraut hatte. Die Schöffen- würde wurde normalerweise nur an Angehörige der Richerzeche vergeben; erstmalig war ein Mitglied der Brauerzunft in diesen hohen Rang aufgerückt.
Madlen hatte ihren Posten vor dem Lokus geräumt und eilte ihm entgegen. Sie zwang sich zu einem strahlenden Lächeln und einem Knicks. »Onkel Eberhard, wie schön, dass du kommst!«
In Ermangelung eines echten Onkels hatte sie ihn schon als Kind so nennen dürfen, denn er war nicht nur ein guter Kamerad und geschätzter Zunftbruder ihres Vaters gewesen, sondern auch nach dessen Tod für sie und Konrad ein väterlicher Freund und Ratgeber, der sich stets wohlwollend um ihrer beider Belange gekümmert hatte. Nachdem nun auch Konrad nicht mehr lebte, war er zwar immer noch wohlwollend, aber mit seiner Geduld auch bald am Ende, was der heutige Besuch zweifelsfrei zeigte. Madlen hatte die ganze Zeit die Augen davor verschlossen, doch sie wusste sehr gut, dass die ihr gesetzte Frist bald ablief.
Eberhard begrüßte sie freundlich, indem er ihr die Wange tätschelte, so wie er es schon getan hatte, als sie noch ein kleines Mädchen gewesen war. »Wie hübsch du wieder bist, Kind. Und erst dein schönes lockiges Haar, das reinste Gold! War es schon immer so lang?« Er stutzte. »Trägst du nicht sonst eine Haube?«
Sie fuhr sich ins Haar. Der Zopf hatte bereits begonnen, sich aufzulösen. Es war wie verhext, alles schien sich gegen sie verschworen zu haben.
Thomas © 2012 by Bastei Lübbe GmbH & Co. KG, Köln
... weniger
Autoren-Porträt von Charlotte Thomas
Charlotte Thomas war Richterin und Rechtsanwältin, bevor sie sich ganz ihrer Leidenschaft, dem Schreiben, widmete. "Das Erbe der Braumeisterin" ist der sechste große historische Roman der Bestsellerautorin, die mit "Die Madonna von Murano" und vier weiteren Venedig-Romanen die Leser begeisterte. In ihrem neuen Roman begibt sie sich in das mittelalterliche Köln. Charlotte Thomas lebt mit ihren Kindern am Rande der Rhön in Hessen.
Bibliographische Angaben
- Autor: Charlotte Thomas
- 512 Seiten, Maße: 13,6 x 21,5 cm, Hochw. Broschur mit Klappeinb.
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3863654994
- ISBN-13: 9783863654993
Kommentare zu "Das Erbe der Braumeisterin"
0 Gebrauchte Artikel zu „Das Erbe der Braumeisterin“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
4.5 von 5 Sternen
5 Sterne 4Schreiben Sie einen Kommentar zu "Das Erbe der Braumeisterin".
Kommentar verfassen