Das Herz der Savanne
Afrika-Roman. Originalausgabe
Namibia, 1960: Auf Ruths Farm Salden's Hill wird ein Mischlingsbaby ausgesetzt. Ruth hat sich zusammen mit ihrem Verwalter, dem schwarzen Horatio, vorgenommen, das Kind aufzuziehen. Ein Schock für Ruths Schwester und ihre Mutter Rose. Denn sie wollen Horatio loswerden.
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Produktinformationen zu „Das Herz der Savanne “
Namibia, 1960: Auf Ruths Farm Salden's Hill wird ein Mischlingsbaby ausgesetzt. Ruth hat sich zusammen mit ihrem Verwalter, dem schwarzen Horatio, vorgenommen, das Kind aufzuziehen. Ein Schock für Ruths Schwester und ihre Mutter Rose. Denn sie wollen Horatio loswerden.
Klappentext zu „Das Herz der Savanne “
Namibia, 1960. Ruth ist glücklich. Zum ersten Mal in ihrem Leben ist sie verliebt, die Farm läuft gut, und auch ihr Traum von einer eigenen Käserei scheint Wirklichkeit zu werden. Ihre Mutter Rose und ihre Schwester Corinne aber sorgen sich um ihren guten Ruf. Denn Ruth lebt mit dem schwarzen Historiker Horatio zusammen, hat ihn sogar zum Verwalter der Farm ernannt. Ruth ist bereit, für ihre Liebe zu kämpfen. Als auf Salden's Hill die Leiche eines schwarzen Mädchens gefunden wird und die Polizei Horatio festnimmt, bricht für sie jedoch eine Welt zusammen. Hat sie sich in Horatio so getäuscht?
Lese-Probe zu „Das Herz der Savanne “
Das Herz der Savanne von Karen Winter5
Erstes Kapitel
... mehr
Ruth saß auf der Veranda. Sie hatte die Füße nicht wie
sonst gegen eine Säule gestützt, sondern saß zurückgelehnt
im Korbstuhl. Statt einer offenen Bierflasche stand
ein Glas Wein vor ihr auf dem Tisch. Seit Horatio bei ihr
lebte, hatte sie sich verändert. Allerdings kam es ihr so vor,
als hätte das niemand bemerkt. Ruth fuhr mit der rechten
Hand in ihr dichtes rotes Haar, das wie ein lodernder
Dornbusch wild um ihren Kopf hing, und lockerte es.
Warum schenkte jeder auf der Farm den anderen nur so
wenig Beachtung? Jeder war mit sich selbst befasst. Seit
sie reich waren, kam es Ruth so vor, als glaubten insbesondere
Corinne und Rose, plötzlich andere Menschen
zu sein. Es war, als hätten sie stets ein Idealbild vor Augen
gehabt, und jetzt, da sie sich Kleider kaufen konnten
wie Audrey Hepburn, setzten sie alles daran, Audrey
Hepburns zu werden. Oder Marilyn Monroes oder Grace
Kellys.
Ruth schüttelte den Kopf. Wie viel Geld sie auch ausgaben,
sie würden zeitlebens Corinne und Rose bleiben, und
es war schwer zu verstehen, warum die beiden das nicht
kapierten.
»Hast du über meinen Vorschlag nachgedacht?«
»Was?« Ruth schrak auf.
Horatio lächelte sie mit blitzenden Zähnen an. Seine
schlanken Finger umklammerten den Stiel des Weinglases.
»Der Kompost.«
Ruth lachte auf.
»Warum lachst du?«
»Ich habe mir gerade Corinne und Rose in einem Marilyn-
Monroe-Kleid vorgestellt. Du weißt schon: das weiße
Ding, dessen Rock bei Wind von unten bis zu den Ohren
fliegt. Und dann kamst du mit deinem Kompost.«
Horatios Gesicht verzog sich, doch dann wurde er sachlich.
»Du nimmst deine Schwester und deine Mutter nicht
ernst.«
»Wie sollte ich sie ernst nehmen? Bei den Sorgen, die
sie haben? Sie sollten mal ordentlich arbeiten, dann würden
sie schon merken, dass Wedgwood-Geschirr das Leben
nicht so sehr verändert, wie sie es sich erhofft haben.«
»Mir tun die beiden eher leid«, bemerkte Horatio.
»Pfft! Leidtun. Nein, das müssen sie dir wirklich nicht.
Sie haben doch alles, was sie brauchen.«
»Eben nicht. Ihnen fehlt eine Aufgabe, eine Leidenschaft,
die sie ausfüllt.«
Ruth schnitt eine Grimasse und trank einen Schluck von
ihrem Rotwein. »Was ist nun mit dem Kompost? Darüber
wolltest du doch mit mir reden.«
Horatio nickte. »Nicht nur über den Kompost, sondern
auch darüber, wie wir das Weideland verbessern können.«
»Seit wann interessierst du dich für so etwas? Themen
wie dieses besprechen normalerweise eher Farmer, und
das bei einem Bier im Pub von Gobabis.«
»Ich war heute bei den Hütten deiner Arbeiter und
hatte ein sehr interessantes Gespräch mit deinem Vorarbeiter.
Seine Familie lebte früher von der Rinderzucht,
wusstest du das? Er sagt, man müsse den Boden mit den
Ahnen versöhnen, dann würde er gedeihen.«
Ruth lachte. »Ist er nicht Christ? Will er unsere Rinder
nach den Aposteln benennen und hoffen, dass sie Wein
statt Milch geben?« Ihre Stimme klang ein wenig barsch.
Sie freute sich so, dass Horatio sich um die Farm, um ihre
Farm, um ihr Leben kümmerte, darüber nachdachte, es
verbesserte. Und dennoch fiel es ihr schwer, ihre Gefühle
zu zeigen. Sie war noch nie so glücklich gewesen und hatte
nicht die geringste Ahnung, welches Verhalten sich für
eine glückliche und verliebte Frau ziemte. Also tat sie, was
sie am besten konnte: Sie spottete.
Horatio ignorierte es. »Es ist eine Lehre, die die Nama
seit Jahrhunderten erforscht und erprobt haben. Niemand
kennt das Land besser als sie. Es geht nicht um Apostel
und Weihwasser, sondern um den Einklang mit der Natur.
Die Natur nutzen, um Defizite der Natur auszugleichen.«
»Die Defizite der Natur ausgleichen? Soll ich Wasser in
den Himmel tragen, damit es auf die Erde regnet?«
»So ähnlich«, erwiderte Horatio ruhig. »Santo hat mir
erzählt, wie sein Großvater in den alten Zeiten die Weiden
zum Blühen gebracht hat. Nie hat er während der Trockenzeit
Rinder verloren. Nie musste seine Familie, sein
Clan hungern.«
Ruth sah, dass Horatio es ernst meinte, und nahm sich
zusammen. »Was genau hat er gemacht?«
»Er hat die abgestoßenen Hörner seiner Rinder eingesammelt.
Dann hat er sie mit Kuhmist gefüllt und im Boden
vergraben. Im Jahr darauf erzielte er den doppelten
Ertrag. Und er hat einen Heilkräutersud über die Felder
gespritzt, damit sich der Boden erholen kann.«
Ruth zog die Stirn in Falten. »Unsere Flächen sind riesig.
Wir bräuchten für den Dünger ein Flugzeug.«
»Das stimmt, trotzdem können wir es zumindest einmal
versuchen. Santos Großvater hatte auch kein Flug-
zeug. Und trotzdem ging es. Er hat zwei Ochsen vor einen
Wagen gespannt und auf diesen ein Fass mit einem
Loch und einem hohlen Köcherbaum-Ast gestellt. Wenn
man will, geht alles. Und es wäre wichtig, denn Mama Elo
und Mama Isa probieren Tag und Nacht an ihren Käsen
herum. Aber jeder weiß, dass ein Käse nur so gut sein kann
wie die Milch, aus der er gemacht ist. Und die Qualität der
Milch hängt wiederum von der Nahrung des Viehs ab.«
»Einen Heilsud für den Boden, ja?« Ruth war immer
noch skeptisch. »Wie soll der aussehen?«
»Santo sagte, sein Großvater nahm dafür verschiedene
Kräuter, Gewächse und Baumrinden, die hier in der Gegend
wachsen.«
»Was für Baumrinden? Die Bäume, die hier wachsen,
kannst du an einer Hand abzählen ...«
»Das stimmt nicht ganz«, widersprach Horatio. »Wir
haben Kameldornbäume und andere Akazien, dazu jede
Menge Dornbüsche; außerdem wachsen hier ein Wolfsmilchgewächs
und natürlich die Kaktusfeigen. Also nehmen
wir die. Und als Heilkraut die Teufelskralle. Die
Schwarzen bereiten aus den Knollen einen Tee zum Entgiften.
Was uns guttut, tut sicherlich auch dem Boden
gut!« Er sah Ruth an, lächelte sein breites, weißzahniges
Lächeln, und Ruths Herz schlug ein paar Takte schneller.
Bevor sie jedoch etwas sagen konnte, sprach Horatio
schnell weiter. »Außerdem sammeln wir den Mist der Kudus
und Oryxe, der Gnus und der Zebras von den Wasserstellen.
Die Rinden und Feigenblätter verdünnen wir,
so stark es geht, und bringen sie vor der nächsten Regenzeit
auf die Weiden. Dann sickert der Dünger von selbst in
den Boden. Wir füllen die abgestoßenen Kuhhörner mit
Mist und graben sie auf den Weiden ein, damit die Nährstoffe
auch von unten in das spärliche Gewächs dringen
und die Rinder und Schafe alles bekommen, was sie brauchen.
Nicht alles auf einmal, verstehst du? Alles ganz langsam
und allmählich. Deshalb die gefüllten Kuhhörner.«
Ruth stülpte die Lippen vor und sah ihn prüfend an.
Dann breitete sie die Arme aus. »Warum nicht? Schaden
kann es ja nicht. Solange ich den Schafen keine Choräle singen
muss, kann es mir egal sein. Wir müssten uns aber beeilen.
Jetzt ist März. Die Regenzeit ist fast vorüber. Oder hast
du noch mehr Rezepte aus der schwarzen Ahnenküche?«
Horatio lachte und warf Ruth eine Kusshand zu. »Pass
auf! Morgen früh schicken wir die Arbeiter los. Sie sollen
abgestoßene Kuhhörner und Mist einsammeln. So viel sie
nur können. Du und ich, wir mischen den Mist, stopfen
die Hörner, und morgen Nachmittag graben die Arbeiter
die Hörner in die erste Weide. Mama Elo und Mama Isa
sollen Feigenblätter häckseln, Teufelskrallenknollen und
Zweige von Kameldornbäumen. Dann sollen sie daraus einen
Sud kochen, mit dem wir erst einmal die Lämmerweiden
tränken. Für den Sommer reicht das. Und bevor
der nächste Winter kommt, besorgen wir Muscheln vom
Strand, mit denen wir die Böden kalken. Außerdem benötigen
wir Guano für den Gemüsegarten von Mama Elo und
Mama Isa. Vielleicht lohnt es sich auch, aus Guano einen
Düngersud zu brauen, aber das müssen wir abwarten. Immerhin
wird der Vogelmist schon als Dünger in die halbe
Welt verkauft.«
Ruth starrte Horatio mit großen Augen an und schüttelte
leicht den Kopf. »Aha, und weil die halbe Welt unseren
Vogelmist kauft, wirkt er auch? Wieso interessiert dich
das alles auf einmal? Du hast mit Farmwirtschaft nie etwas
zu tun gehabt. Du bist ein Stadtmensch, bist Wissenschaftler.
Ich dachte bisher, du könntest gerade mal ein Schaf
von einem Rind unterscheiden. Was ist los mit dir?«
Lächelnd griff Horatio nach Ruths Hand. »Ich lebe hier
mit dir. Deine Interessen sind auch meine. Ich habe in den
letzten Wochen viel gelernt, habe Bücher über die Farmerei
gelesen. Man kann beides, Ruth: eine Farm betreiben
und ein Buch über die Geschichte der Nama schreiben.
Außerdem ist die Viehzucht ein Teil der Namageschichte.«
»Aber ...« Ruth konnte es noch immer nicht fassen.
»Aber du hast dich nie dafür interessiert. Tiere machen
dir Angst, hast du gesagt.«
»Ich liebe dich«, erklärte Horatio. »Und weil das so ist,
ist mir all das wichtig, was dir wichtig ist.« Er stand auf,
beugte sich zu Ruth und küsste sie. »Ich gehe ins Haus. Ich
muss noch ausrechnen, wie viele Kuhhörner und wie viel
Mist wir in etwa brauchen. Außerdem muss ich mit Santo
sprechen. Dein Vorarbeiter kennt vielleicht noch andere
Tricks, wie wir die Böden fruchtbarer machen können. Auf
jeden Fall werde ich gleich morgen Mama Elo und Mama
Isa Bescheid geben. Sie dürfen ab sofort keine Küchenabfälle
mehr wegwerfen. Wir brauchen jedes bisschen Kaffeesatz,
jede faule Süßkartoffel, jedes abgefallene oder übrig
gebliebene Blatt für den Kompost.«
Als er sich abwandte, schaute Ruth ihm mit offenem
Mund nach. Offensichtlich hatte sich auch Horatio verändert.
Sie goss sich noch ein Glas Wein ein und lehnte sich
gerade in ihrem Korbstuhl zurück, als ihre ältere Schwester
Corinne auf die Veranda trat. Sie trug ein zerknittertes
Kleid, dessen Kragen ein wenig ausgefranst war, und hatte
sich eine Decke um die Schultern gelegt.
»Ganz schön kühl im Freien«, stellte sie fest und schenkte
sich Wein in das mitgebrachte Glas. Dann machte sie es sich
in einem weiteren Korbstuhl bequem, ließ ihren Blick über
das mondhelle Land streifen und seufzte. »Ich hätte nie geglaubt,
dass ich die Stille einmal so genießen würde.«
Ruth verzog den Mund und dachte an ihren schlecht
erzogenen Neffen und ihre aufmüpfige Nichte. »Doch«,
sagte sie. »Ich glaube dir.« Sie sah Corinne von der Seite
an. Obwohl das Gesicht der Schwester einen friedlichen
Ausdruck zeigte, wirkte Corinne selbst alles andere als
friedlich. Ihr Körper war gestrafft, als erwarte sie einen Angriff;
sie hatte die Schultern hochgezogen, das Kinn war
gereckt und kantig. War Corinne deshalb hier auf Salden's
Hill geblieben, während ihr Mann in Swakopmund und
ihre Kinder im Internat waren? Wegen der Stille? Ruth
konnte sich das nicht vorstellen. »Warum bist du nicht in
Swakopmund bei deinem Mann?«
Corinne sah sie erschrocken an. »Willst du damit andeuten,
dass ich störe? Salden's Hill ist genauso mein Elternhaus
wie deines. Habe ich kein Recht mehr, hier zu sein,
seit Farm und Herrenhaus dir gehören?«
»Doch, aber ja, natürlich«, beschwichtigte Ruth die
Schwester. »Natürlich hast du das Recht, und niemand will
es dir streitig machen. Es ist nur so, dass du Salden's Hill
früher gehasst hast. Und jetzt scheinst du gar nicht genug
von der frischen Landluft zu bekommen.«
»Ein Mensch kann sich ändern. Und ich, Ruth, habe
mich verändert.«
Ruth schwieg. Sicher, sie selbst hatte sich verändert,
ohne dass dies jemand zur Kenntnis genommen hätte.
Aber Corinne? Sie sah ihre Schwester noch einmal von der
Seite an, überlegte, was diese in den letzten Tagen und Wochen
gesagt und getan hatte, aber ihr fiel nicht der kleinste
Unterschied ein.
»Wie hast du das gemacht?«, fragte Ruth also vorsichtig.
»Ich meine, wie hast du dich verändert?«
Corinne sah misstrauisch zu Ruth und zog die Stirn in
Falten. »Warum willst du das wissen?«
Ruth breitete die Arme aus. »Wir sind Schwestern. Wir
sollten Vertrauen zueinander haben. Ich interessiere mich
für dich; ich möchte wissen, wie es dir geht, was du dir
wünschst ... Ist das so schlimm?«
»Wirklich?« Corinne drehte sich halb aus dem Sessel.
Nein, eigentlich nicht, dachte Ruth. Eigentlich möchte
ich nicht hören, welches Schmuckstück dich glücklich machen
würde. Aber ich fürchte, du heckst etwas aus, und
ich muss wissen, was das ist. »Natürlich«, erwiderte sie eilig
und nickte lebhaft. »Immerhin bist du meine Schwester,
und wir leben unter einem Dach.«
Als Ruth den glücklichen Ausdruck im Gesicht Co rinnes
sah, schämte sie sich einen Moment lang für ihre Gedanken.
Corinne seufzte. »Ich bin alt geworden, Ruth. Und das
verändert einen mehr, als man meint.«
»Alt?« Ruth schüttelte den Kopf. »Du bist nur drei Jahre
älter als ich.«
»Ja, das stimmt«, gab Corinne zu und seufzte erneut,
»aber ich habe zwei Kinder geboren. Und das lässt eine
Frau um Jahrzehnte altern.«
»Wieso? Sie sind doch ohnehin die meiste Zeit im Internat.«
Corinnes Augen funkelten plötzlich feucht. »Ja, aber bevor
ich sie dorthin geben konnte, hatte ich sie jeweils ein
Dreivierteljahr in mir. Mein Bauch sieht seitdem aus wie
der Fish-River-Canyon, meine Brüste können meine Hüftknochen
mit Küsschen begrüßen, und wenn die Kinder zu
Hause sind, dauert es exakt drei Tage, dann sind die Ringe
unter meinen Augen größer als meine Ohrringe.«
»Oh!« Ruth sah auf die riesigen Kreolen in Corinnes
Ohren, dann schwieg sie und beobachtete, wie sich Corinne
eine Träne aus dem Augenwinkel tupfte. Nach einer
Weile erst fragte sie vorsichtig. »Aber hast du dir das nicht
immer gewünscht? Einen weißen Mann und weiße Kinder
und ein weißes Haus in der weißen Stadt Swakopmund?«
»Dohoch!«, schluchzte Corinne. »Aber es ist nicht so,
wie ich es mir vorgestellt habe. Willem ist immer unterwegs,
die Kinder im Internat. Ich habe zu viel Zeit zum
Nachdenken, fürchte ich. Und was ich denke, gefällt mir
nicht.«
Ruth sah erstaunt, wie sich Corinnes Augen erneut mit
Tränen füllten. »Ich dachte, es wäre immer dein Wunsch
gewesen, den lieben langen Tag nichts anderes zu tun, als
die Blumen für den Esszimmertisch zu arrangieren«, sagte
sie behutsam.
»Ja«, hauchte Corinne. »Das war es auch. Aber es macht
einfach keinen Spaß, wenn niemand da ist, der diese Arrangements
bewundert.«
»Hast du keine Freundinnen? Frauen, deren Männer geschäftlich
ebenfalls dauernd unterwegs sind, Frauen, die
Cocktailpartys ausrichten und untereinander Klatsch und
Zeitschriften tauschen?«
Jetzt rollten Tränen über Corinnes Wangen. Sie hatte
die Hände ineinandergeschlungen und knetete ihre Finger.
Ruth sah, wie sich Corinnes Busen in aufgewühlten
Stößen hob und senkte. Schon brach es aus ihrer Schwester
heraus: »Sieh mich doch an! Meine Schuhe, meine
Haare, meine Kleider! Sie knittern schon, wenn ich sie nur
ansehe. Ich habe kein Geld, um mit meinen Freundinnen
zum Lunch zu gehen oder Cocktailpartys auszurichten.
Und keins, das ich in Kapstadt beim Shoppen ausgeben
kann.« Corinne lachte bitter. »Ich habe ja noch nicht einmal
Geld für die Blumen auf dem Esszimmertisch.«
»Oh«, stammelte Ruth. »Oh, ich wusste nicht, dass es so
schlecht um euch steht. Ich dachte, ihr schwelgt im Luxus.
Deine Briefe, weißt du, sie klangen immer so überschwänglich.«
Corinne nickte traurig. »Ja, ich weiß, ich habe euch belogen.
Ein bisschen jedenfalls. Willems Geschäfte kommen
irgendwie nicht richtig in Gang. Woran das liegt, weiß ich
nicht, er redet nicht mit mir darüber. Und im Grunde interessiert
es mich auch nicht.« Sie schluckte, wischte sich
die Tränen ab und richtete sich auf. »Jetzt weißt du es also.
Deine große, erfolgreiche Schwester ist in Wirklichkeit
eine Niete, die in Swakopmund irgendwann an ihrer Einsamkeit
zugrunde geht.«
Ruth nickte. Sie hätte gerne gefragt, warum Corinne sich
keine Arbeit suchte oder wenigstens weniger anspruchsvolle
Freundinnen. Aber sie war einfühlsam genug, um
zu erkennen, dass solche Fragen im Augenblick nicht besonders
hilfreich waren. Zudem ahnte sie, dass es hier um
Dinge ging, die sie im Gegensatz zu ihrer Mutter wirklich
nicht verstand. »Und was willst du nun tun?«, fragte sie daher
stattdessen.
Corinne zuckte mit den Schultern. »Ich habe keine
Ahnung. Ich dachte, wenn ich noch eine Weile auf der
Farm bleiben würde, wüsste ich, was ich mit meinem Leben
anfangen soll. Und womöglich erholen sich Willems
Geschäfte ja auch wieder. Er machte neulich so eine Andeutung.
Alles, was ihm fehlt, ist wohl jemand, der ihn am
Anfang ein bisschen unterstützt.« Unvermittelt lachte sie
auf und breitete die Arme aus. »Wir sind doch jetzt reich!
Sag, Ruth, was hast du mit dem ganzen Geld vor? Was wirst
du dir kaufen?«
»Nichts, ich habe alles«, erwiderte Ruth, ein wenig erleichtert,
dass Corinne zurück zu ihrem alten Ich gefunden
hatte.
»Was ist mit Kleidern, Schuhen, Schmuck?«
»Ich leite eine Farm. Die Kühe geben nicht mehr Milch,
wenn ich sie im Kleid melke.«
»Was ist mit Parfüm?«
Ruth hob den Arm, roch an ihrer Achsel. »Nein. Brauche
ich nicht.«
»Was willst du dann mit all dem Geld?«
»Zuerst einmal werde ich Mama Elo und Mama Isa fragen,
was sie sich wünschen. Außerdem tuckert der Motor
des alten Traktors schon eine ganze Weile, und die Käserei
braucht auch noch dies und jenes. Aber du, Corinne, du
hast doch jetzt eigentlich das Geld für Cocktailpartys und
neue Kleider, für Schmuck und all die anderen Dinge, die
dir Spaß machen.«
Corinne sah erstaunt auf. »Ja, aber das ist doch mein
Geld.«
»Ja und?« Ruth verstand nicht.
»Meinst du denn, ich gebe mein eigenes Geld für Dinge
wie Schmuck und Partys aus?«
»Wieso nicht? Wessen Geld denn sonst?«
Corinne verdrehte die Augen. »Schätzchen«, sagte sie
mit leiser Herablassung. »Müsste ich mein eigenes Geld
ausgeben, hätte ich wohl kaum heiraten brauchen.«
Ruth klappte den Unterkiefer herab. »Du ... du ...«, stotterte
sie, »du hast Willem nur geheiratet, damit er für dich
sorgt?«
»Für mich und die Kinder.«
»Warum sollte ein Mann das tun? Was tust du dafür?«
Jetzt tätschelte Corinne Ruth sogar die Hand. »In der
Stadt arbeitet keine Frau, die auf sich hält. Das tun nur die
schwarzen Frauen. Überall auf der Welt übrigens. Man heiratet,
um versorgt zu sein. Das ist so. Dafür schenkt man
seinem Mann Kinder, sorgt für ein schönes Heim und geht
mit ihm ins Bett. Das ist der Deal. Und Willem hat seinen
Teil der Abmachung nicht eingehalten. Deshalb bin ich
die Angeschmierte. Nicht er.«
Ruth schüttelte sich unwillig, als hätte sie jemand mit
schmutzigem Wasser bespritzt. Sie öffnete den Mund zu
einer Erwiderung, doch Corinne unterbrach sie, bevor sie
etwas sagen konnte. »Ich weiß, du willst einwenden, dass
es hier draußen viele Frauen gibt - weiße Frauen -, die auf
den Farmen mitarbeiten. Diese Frauen aber, meine Liebe,
bedauere ich von ganzem Herzen. Sie tun es nicht freiwillig,
glaub mir. Sie arbeiten, weil sie es müssen, weil sie
Männer haben, die wie Willem ihren Teil des Deals nicht
einhalten.«
»Und was ist mit Rose?«
»Ach, unsere Mutter!« Corinne machte eine wegwerfende
Handbewegung. »Ich sage es nicht gern, Ruth,
aber unsere Mutter ist nicht unbedingt die Hellste. Allerdings
kann man ihr daraus keinen Vorwurf machen; sie
ist schließlich von zwei schwarzen Frauen erzogen wurden.
Genau wie du, übrigens. Sie hatte unzählige Möglichkeiten,
als sie noch jung und hübsch war. Die Farmer hätten
sich um sie gerissen. Doch was tut sie? Lässt sich von einem
schwängern, der zwar reich ist, dafür aber am nächsten
Tag auf Nimmerwiedersehen verschwindet! Und damit
nicht genug. Eine Zeit später lässt sie sich auch noch von
einem Schafscherer beschlafen. Wer soll so eine noch wollen?
Mit zwei unehelichen Kindern? Noch dazu mit so einer
Herkunft! Nein, Ruth, unsere Mutter hat ihre Chancen
samt und sonders vertan. Und zumindest ich habe
daraus etwas gelernt: es anders zu machen als sie.«
Ruth saß noch immer mit offenem Mund da, unfähig,
ihrer Schwester zu antworten. Die aber sprach schon weiter.
»Sie ist wirklich nicht die Hellste. Bei Gott nicht! Selbst
jetzt, wo sie Geld hat und sich noch einen Mann suchen
könnte, bleibt sie hier auf dieser dreckigen Farm hocken
und bestellt sich Haute-Couture-Kleider, deren Labels niemand
kennt. Das nenne ich Verschwendung! Und glaube
mir, jedes einzelne Pfund, das sie ausgibt, tut mir weh.«
Zweites Kapitel
Seit Rose Salden reich geworden war, hatte sie sich eine
Eigenheit angewöhnt: Sie stöhnte, wenn die Dienstboten
nicht exakt das taten, was sie sollten. Sie stöhnte, wenn
die neuen Vorhänge sich in die falsche Richtung blähten.
Sie stöhnte, wenn Ruth beim Essen den Ellbogen auf den
Tisch legte. Am meisten aber stöhnte sie, wenn sie an Horatio
dachte oder ihm gar über den Weg lief.
Ein Schwarzer in ihrem Haus, der nicht tat, was sie ihm
befahl. Ein Schwarzer, der Tag für Tag mit ihr gemeinsam
bei Tische saß. Ein Schwarzer, der sich am Abend ungeniert
einen Sundowner aus der Hausbar einschenkte. Das
war mehr, als Rose Salden verkraften konnte.
»Ich tue immer, was ich tun muss, um zu bekommen,
was ich will«, erklärte sie Corinne und betrachtete sie mit
einigem Missfallen.
Zu einer Zeit, zu der Rose bereits die gesamte Buchhaltung
der Farm erledigt, Einkaufslisten geschrieben und
die Vorräte überprüft hatte, saß ihre Tochter im Speisezimmer
und frühstückte in aller Ruhe.
»Ich weiß«, erwiderte Corinne, zog ihren ausgeblichenen
Bademantel enger um sich und gähnte herzhaft und
mit offenem Mund. Rose sah auch dies mit Missfallen.
»Und was willst du dieses Mal, Mutter?«, fragte Corinne.
Rose Salden stöhnte und schloss kurz die Augen. »Liegt
das nicht auf der Hand? Es geht um deine Schwester. Und
um den Schwarzen, den sie zu lieben glaubt. Horatio. Er
muss weg.«
Corinne zog die Augenbrauen hoch, doch ehe sie etwas
sagen konnte, sprach Rose Salden weiter: »Ja, ja, ich weiß,
wir sind ihm zum Dank verpflichtet. Er hat Margaret das
Leben gerettet.« Sie nahm eine ältere Ausgabe der Allgemeinen
Zeitung zur Hand und hielt ihrer Tochter das Titelblatt
vor die Nase. »Da, lies, was dort geschrieben steht.«
Corinne seufzte. »Mutter, ich kenne den Artikel. Ich
kann ihn beinahe singen.«
»Lies ihn trotzdem. Offensichtlich hast du alles schon
wieder vergessen.«
»Feuer der Wüste« gefunden
Junge Farmerin kämpft um ihre Familie und deckt alte
Verbrechen auf
4. Januar 1960
Ruth Salden, die junge Farmerin auf Salden's Hill in der
Nähe von Gobabis, hat ein Abenteuer der besonderen Art
bestanden und dabei den größten Schatz der Nama, das legendäre
»Feuer der Wüste«, aufgespürt.
Während der Zeit der Herero- und Namaaufstände übergab
ein sterbender junger Namakämpfer Margaret Salden,
der Gründerin der Farm, den wertvollen Diamanten, den
die Nama als Seele ihres Stammes ansehen.
Kurz darauf wurde Wolf Salden, Margarets Ehemann,
von deutschen Soldaten getötet, und Margaret Salden floh
von der Farm, den edlen Stein in den Kleidern versteckt.
Ihre kleine Tochter Rose musste sie in der Obhut zweier
schwarzer Frauen zurücklassen.
Seither, seit vierzig Jahren, galten das »Feuer der Wüste«
und Margaret Salden als verschollen, und es gab niemanden
auf Salden's Hill, der nicht geglaubt hätte, sie wäre tot.
Rose Salden, die Erbin, betrieb die Farm lange Zeit allein,
übergab sie jedoch vor wenigen Jahren an ihre jüngere
Tochter Ruth.
Diese hielt sich während der blutigen Demonstration
im Dezember des vergangenen Jahres in Windhoek auf.
Obgleich sie nur die Farmersbank aufsuchen wollte, um
einen Kredit zu verlängern, geriet sie in den Aufstand
der Schwarzen, bei dem es elf Tote gab. Eine der schwarzen
Frauen erzählte Ruth von Margaret Salden und gab
ihr einen Hinweis darauf, dass die Frau noch am Leben
war.
Sofort machte sich die junge Farmerin auf die Suche
nach ihrer verschollenen Großmutter. Dabei wurde sie von
einem jungen Nama begleitet, der als Historiker die Geschichte
seines Stammes dokumentiert und seinerseits großes
Interesse am Heiligtum der Nama hegt.
Der Hinweis führte Ruth Salden und Horatio Mwasube
nach Lüderitz zum Diamant Trust, der sich von Beginn an
unter deutscher Leitung befand. Dort stießen sie auf geheime
Akten, die nicht nur belegten, dass der Konzern
bereits zur Zeit der Nama- und Hereroaufstände großes
In teresse an dem legendären Diamanten hatte, sondern
auch, dass ein Teil des Diamant Trust Wolf Salden gehörte
und nun auf seine Erben überging.
Von Lüderitz führte die Spur des Diamanten und seiner
Hüterin in die Skelettwüste zu einem Namastamm, der
weitab der Zivilisation lebt und vor Jahrzehnten Margaret
Salden aufgenommen hatte.
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2014 2013 2012 2011
Die letzte Jahreszahl gibt die aktuelle Lizenzausgabe an.
Ruth saß auf der Veranda. Sie hatte die Füße nicht wie
sonst gegen eine Säule gestützt, sondern saß zurückgelehnt
im Korbstuhl. Statt einer offenen Bierflasche stand
ein Glas Wein vor ihr auf dem Tisch. Seit Horatio bei ihr
lebte, hatte sie sich verändert. Allerdings kam es ihr so vor,
als hätte das niemand bemerkt. Ruth fuhr mit der rechten
Hand in ihr dichtes rotes Haar, das wie ein lodernder
Dornbusch wild um ihren Kopf hing, und lockerte es.
Warum schenkte jeder auf der Farm den anderen nur so
wenig Beachtung? Jeder war mit sich selbst befasst. Seit
sie reich waren, kam es Ruth so vor, als glaubten insbesondere
Corinne und Rose, plötzlich andere Menschen
zu sein. Es war, als hätten sie stets ein Idealbild vor Augen
gehabt, und jetzt, da sie sich Kleider kaufen konnten
wie Audrey Hepburn, setzten sie alles daran, Audrey
Hepburns zu werden. Oder Marilyn Monroes oder Grace
Kellys.
Ruth schüttelte den Kopf. Wie viel Geld sie auch ausgaben,
sie würden zeitlebens Corinne und Rose bleiben, und
es war schwer zu verstehen, warum die beiden das nicht
kapierten.
»Hast du über meinen Vorschlag nachgedacht?«
»Was?« Ruth schrak auf.
Horatio lächelte sie mit blitzenden Zähnen an. Seine
schlanken Finger umklammerten den Stiel des Weinglases.
»Der Kompost.«
Ruth lachte auf.
»Warum lachst du?«
»Ich habe mir gerade Corinne und Rose in einem Marilyn-
Monroe-Kleid vorgestellt. Du weißt schon: das weiße
Ding, dessen Rock bei Wind von unten bis zu den Ohren
fliegt. Und dann kamst du mit deinem Kompost.«
Horatios Gesicht verzog sich, doch dann wurde er sachlich.
»Du nimmst deine Schwester und deine Mutter nicht
ernst.«
»Wie sollte ich sie ernst nehmen? Bei den Sorgen, die
sie haben? Sie sollten mal ordentlich arbeiten, dann würden
sie schon merken, dass Wedgwood-Geschirr das Leben
nicht so sehr verändert, wie sie es sich erhofft haben.«
»Mir tun die beiden eher leid«, bemerkte Horatio.
»Pfft! Leidtun. Nein, das müssen sie dir wirklich nicht.
Sie haben doch alles, was sie brauchen.«
»Eben nicht. Ihnen fehlt eine Aufgabe, eine Leidenschaft,
die sie ausfüllt.«
Ruth schnitt eine Grimasse und trank einen Schluck von
ihrem Rotwein. »Was ist nun mit dem Kompost? Darüber
wolltest du doch mit mir reden.«
Horatio nickte. »Nicht nur über den Kompost, sondern
auch darüber, wie wir das Weideland verbessern können.«
»Seit wann interessierst du dich für so etwas? Themen
wie dieses besprechen normalerweise eher Farmer, und
das bei einem Bier im Pub von Gobabis.«
»Ich war heute bei den Hütten deiner Arbeiter und
hatte ein sehr interessantes Gespräch mit deinem Vorarbeiter.
Seine Familie lebte früher von der Rinderzucht,
wusstest du das? Er sagt, man müsse den Boden mit den
Ahnen versöhnen, dann würde er gedeihen.«
Ruth lachte. »Ist er nicht Christ? Will er unsere Rinder
nach den Aposteln benennen und hoffen, dass sie Wein
statt Milch geben?« Ihre Stimme klang ein wenig barsch.
Sie freute sich so, dass Horatio sich um die Farm, um ihre
Farm, um ihr Leben kümmerte, darüber nachdachte, es
verbesserte. Und dennoch fiel es ihr schwer, ihre Gefühle
zu zeigen. Sie war noch nie so glücklich gewesen und hatte
nicht die geringste Ahnung, welches Verhalten sich für
eine glückliche und verliebte Frau ziemte. Also tat sie, was
sie am besten konnte: Sie spottete.
Horatio ignorierte es. »Es ist eine Lehre, die die Nama
seit Jahrhunderten erforscht und erprobt haben. Niemand
kennt das Land besser als sie. Es geht nicht um Apostel
und Weihwasser, sondern um den Einklang mit der Natur.
Die Natur nutzen, um Defizite der Natur auszugleichen.«
»Die Defizite der Natur ausgleichen? Soll ich Wasser in
den Himmel tragen, damit es auf die Erde regnet?«
»So ähnlich«, erwiderte Horatio ruhig. »Santo hat mir
erzählt, wie sein Großvater in den alten Zeiten die Weiden
zum Blühen gebracht hat. Nie hat er während der Trockenzeit
Rinder verloren. Nie musste seine Familie, sein
Clan hungern.«
Ruth sah, dass Horatio es ernst meinte, und nahm sich
zusammen. »Was genau hat er gemacht?«
»Er hat die abgestoßenen Hörner seiner Rinder eingesammelt.
Dann hat er sie mit Kuhmist gefüllt und im Boden
vergraben. Im Jahr darauf erzielte er den doppelten
Ertrag. Und er hat einen Heilkräutersud über die Felder
gespritzt, damit sich der Boden erholen kann.«
Ruth zog die Stirn in Falten. »Unsere Flächen sind riesig.
Wir bräuchten für den Dünger ein Flugzeug.«
»Das stimmt, trotzdem können wir es zumindest einmal
versuchen. Santos Großvater hatte auch kein Flug-
zeug. Und trotzdem ging es. Er hat zwei Ochsen vor einen
Wagen gespannt und auf diesen ein Fass mit einem
Loch und einem hohlen Köcherbaum-Ast gestellt. Wenn
man will, geht alles. Und es wäre wichtig, denn Mama Elo
und Mama Isa probieren Tag und Nacht an ihren Käsen
herum. Aber jeder weiß, dass ein Käse nur so gut sein kann
wie die Milch, aus der er gemacht ist. Und die Qualität der
Milch hängt wiederum von der Nahrung des Viehs ab.«
»Einen Heilsud für den Boden, ja?« Ruth war immer
noch skeptisch. »Wie soll der aussehen?«
»Santo sagte, sein Großvater nahm dafür verschiedene
Kräuter, Gewächse und Baumrinden, die hier in der Gegend
wachsen.«
»Was für Baumrinden? Die Bäume, die hier wachsen,
kannst du an einer Hand abzählen ...«
»Das stimmt nicht ganz«, widersprach Horatio. »Wir
haben Kameldornbäume und andere Akazien, dazu jede
Menge Dornbüsche; außerdem wachsen hier ein Wolfsmilchgewächs
und natürlich die Kaktusfeigen. Also nehmen
wir die. Und als Heilkraut die Teufelskralle. Die
Schwarzen bereiten aus den Knollen einen Tee zum Entgiften.
Was uns guttut, tut sicherlich auch dem Boden
gut!« Er sah Ruth an, lächelte sein breites, weißzahniges
Lächeln, und Ruths Herz schlug ein paar Takte schneller.
Bevor sie jedoch etwas sagen konnte, sprach Horatio
schnell weiter. »Außerdem sammeln wir den Mist der Kudus
und Oryxe, der Gnus und der Zebras von den Wasserstellen.
Die Rinden und Feigenblätter verdünnen wir,
so stark es geht, und bringen sie vor der nächsten Regenzeit
auf die Weiden. Dann sickert der Dünger von selbst in
den Boden. Wir füllen die abgestoßenen Kuhhörner mit
Mist und graben sie auf den Weiden ein, damit die Nährstoffe
auch von unten in das spärliche Gewächs dringen
und die Rinder und Schafe alles bekommen, was sie brauchen.
Nicht alles auf einmal, verstehst du? Alles ganz langsam
und allmählich. Deshalb die gefüllten Kuhhörner.«
Ruth stülpte die Lippen vor und sah ihn prüfend an.
Dann breitete sie die Arme aus. »Warum nicht? Schaden
kann es ja nicht. Solange ich den Schafen keine Choräle singen
muss, kann es mir egal sein. Wir müssten uns aber beeilen.
Jetzt ist März. Die Regenzeit ist fast vorüber. Oder hast
du noch mehr Rezepte aus der schwarzen Ahnenküche?«
Horatio lachte und warf Ruth eine Kusshand zu. »Pass
auf! Morgen früh schicken wir die Arbeiter los. Sie sollen
abgestoßene Kuhhörner und Mist einsammeln. So viel sie
nur können. Du und ich, wir mischen den Mist, stopfen
die Hörner, und morgen Nachmittag graben die Arbeiter
die Hörner in die erste Weide. Mama Elo und Mama Isa
sollen Feigenblätter häckseln, Teufelskrallenknollen und
Zweige von Kameldornbäumen. Dann sollen sie daraus einen
Sud kochen, mit dem wir erst einmal die Lämmerweiden
tränken. Für den Sommer reicht das. Und bevor
der nächste Winter kommt, besorgen wir Muscheln vom
Strand, mit denen wir die Böden kalken. Außerdem benötigen
wir Guano für den Gemüsegarten von Mama Elo und
Mama Isa. Vielleicht lohnt es sich auch, aus Guano einen
Düngersud zu brauen, aber das müssen wir abwarten. Immerhin
wird der Vogelmist schon als Dünger in die halbe
Welt verkauft.«
Ruth starrte Horatio mit großen Augen an und schüttelte
leicht den Kopf. »Aha, und weil die halbe Welt unseren
Vogelmist kauft, wirkt er auch? Wieso interessiert dich
das alles auf einmal? Du hast mit Farmwirtschaft nie etwas
zu tun gehabt. Du bist ein Stadtmensch, bist Wissenschaftler.
Ich dachte bisher, du könntest gerade mal ein Schaf
von einem Rind unterscheiden. Was ist los mit dir?«
Lächelnd griff Horatio nach Ruths Hand. »Ich lebe hier
mit dir. Deine Interessen sind auch meine. Ich habe in den
letzten Wochen viel gelernt, habe Bücher über die Farmerei
gelesen. Man kann beides, Ruth: eine Farm betreiben
und ein Buch über die Geschichte der Nama schreiben.
Außerdem ist die Viehzucht ein Teil der Namageschichte.«
»Aber ...« Ruth konnte es noch immer nicht fassen.
»Aber du hast dich nie dafür interessiert. Tiere machen
dir Angst, hast du gesagt.«
»Ich liebe dich«, erklärte Horatio. »Und weil das so ist,
ist mir all das wichtig, was dir wichtig ist.« Er stand auf,
beugte sich zu Ruth und küsste sie. »Ich gehe ins Haus. Ich
muss noch ausrechnen, wie viele Kuhhörner und wie viel
Mist wir in etwa brauchen. Außerdem muss ich mit Santo
sprechen. Dein Vorarbeiter kennt vielleicht noch andere
Tricks, wie wir die Böden fruchtbarer machen können. Auf
jeden Fall werde ich gleich morgen Mama Elo und Mama
Isa Bescheid geben. Sie dürfen ab sofort keine Küchenabfälle
mehr wegwerfen. Wir brauchen jedes bisschen Kaffeesatz,
jede faule Süßkartoffel, jedes abgefallene oder übrig
gebliebene Blatt für den Kompost.«
Als er sich abwandte, schaute Ruth ihm mit offenem
Mund nach. Offensichtlich hatte sich auch Horatio verändert.
Sie goss sich noch ein Glas Wein ein und lehnte sich
gerade in ihrem Korbstuhl zurück, als ihre ältere Schwester
Corinne auf die Veranda trat. Sie trug ein zerknittertes
Kleid, dessen Kragen ein wenig ausgefranst war, und hatte
sich eine Decke um die Schultern gelegt.
»Ganz schön kühl im Freien«, stellte sie fest und schenkte
sich Wein in das mitgebrachte Glas. Dann machte sie es sich
in einem weiteren Korbstuhl bequem, ließ ihren Blick über
das mondhelle Land streifen und seufzte. »Ich hätte nie geglaubt,
dass ich die Stille einmal so genießen würde.«
Ruth verzog den Mund und dachte an ihren schlecht
erzogenen Neffen und ihre aufmüpfige Nichte. »Doch«,
sagte sie. »Ich glaube dir.« Sie sah Corinne von der Seite
an. Obwohl das Gesicht der Schwester einen friedlichen
Ausdruck zeigte, wirkte Corinne selbst alles andere als
friedlich. Ihr Körper war gestrafft, als erwarte sie einen Angriff;
sie hatte die Schultern hochgezogen, das Kinn war
gereckt und kantig. War Corinne deshalb hier auf Salden's
Hill geblieben, während ihr Mann in Swakopmund und
ihre Kinder im Internat waren? Wegen der Stille? Ruth
konnte sich das nicht vorstellen. »Warum bist du nicht in
Swakopmund bei deinem Mann?«
Corinne sah sie erschrocken an. »Willst du damit andeuten,
dass ich störe? Salden's Hill ist genauso mein Elternhaus
wie deines. Habe ich kein Recht mehr, hier zu sein,
seit Farm und Herrenhaus dir gehören?«
»Doch, aber ja, natürlich«, beschwichtigte Ruth die
Schwester. »Natürlich hast du das Recht, und niemand will
es dir streitig machen. Es ist nur so, dass du Salden's Hill
früher gehasst hast. Und jetzt scheinst du gar nicht genug
von der frischen Landluft zu bekommen.«
»Ein Mensch kann sich ändern. Und ich, Ruth, habe
mich verändert.«
Ruth schwieg. Sicher, sie selbst hatte sich verändert,
ohne dass dies jemand zur Kenntnis genommen hätte.
Aber Corinne? Sie sah ihre Schwester noch einmal von der
Seite an, überlegte, was diese in den letzten Tagen und Wochen
gesagt und getan hatte, aber ihr fiel nicht der kleinste
Unterschied ein.
»Wie hast du das gemacht?«, fragte Ruth also vorsichtig.
»Ich meine, wie hast du dich verändert?«
Corinne sah misstrauisch zu Ruth und zog die Stirn in
Falten. »Warum willst du das wissen?«
Ruth breitete die Arme aus. »Wir sind Schwestern. Wir
sollten Vertrauen zueinander haben. Ich interessiere mich
für dich; ich möchte wissen, wie es dir geht, was du dir
wünschst ... Ist das so schlimm?«
»Wirklich?« Corinne drehte sich halb aus dem Sessel.
Nein, eigentlich nicht, dachte Ruth. Eigentlich möchte
ich nicht hören, welches Schmuckstück dich glücklich machen
würde. Aber ich fürchte, du heckst etwas aus, und
ich muss wissen, was das ist. »Natürlich«, erwiderte sie eilig
und nickte lebhaft. »Immerhin bist du meine Schwester,
und wir leben unter einem Dach.«
Als Ruth den glücklichen Ausdruck im Gesicht Co rinnes
sah, schämte sie sich einen Moment lang für ihre Gedanken.
Corinne seufzte. »Ich bin alt geworden, Ruth. Und das
verändert einen mehr, als man meint.«
»Alt?« Ruth schüttelte den Kopf. »Du bist nur drei Jahre
älter als ich.«
»Ja, das stimmt«, gab Corinne zu und seufzte erneut,
»aber ich habe zwei Kinder geboren. Und das lässt eine
Frau um Jahrzehnte altern.«
»Wieso? Sie sind doch ohnehin die meiste Zeit im Internat.«
Corinnes Augen funkelten plötzlich feucht. »Ja, aber bevor
ich sie dorthin geben konnte, hatte ich sie jeweils ein
Dreivierteljahr in mir. Mein Bauch sieht seitdem aus wie
der Fish-River-Canyon, meine Brüste können meine Hüftknochen
mit Küsschen begrüßen, und wenn die Kinder zu
Hause sind, dauert es exakt drei Tage, dann sind die Ringe
unter meinen Augen größer als meine Ohrringe.«
»Oh!« Ruth sah auf die riesigen Kreolen in Corinnes
Ohren, dann schwieg sie und beobachtete, wie sich Corinne
eine Träne aus dem Augenwinkel tupfte. Nach einer
Weile erst fragte sie vorsichtig. »Aber hast du dir das nicht
immer gewünscht? Einen weißen Mann und weiße Kinder
und ein weißes Haus in der weißen Stadt Swakopmund?«
»Dohoch!«, schluchzte Corinne. »Aber es ist nicht so,
wie ich es mir vorgestellt habe. Willem ist immer unterwegs,
die Kinder im Internat. Ich habe zu viel Zeit zum
Nachdenken, fürchte ich. Und was ich denke, gefällt mir
nicht.«
Ruth sah erstaunt, wie sich Corinnes Augen erneut mit
Tränen füllten. »Ich dachte, es wäre immer dein Wunsch
gewesen, den lieben langen Tag nichts anderes zu tun, als
die Blumen für den Esszimmertisch zu arrangieren«, sagte
sie behutsam.
»Ja«, hauchte Corinne. »Das war es auch. Aber es macht
einfach keinen Spaß, wenn niemand da ist, der diese Arrangements
bewundert.«
»Hast du keine Freundinnen? Frauen, deren Männer geschäftlich
ebenfalls dauernd unterwegs sind, Frauen, die
Cocktailpartys ausrichten und untereinander Klatsch und
Zeitschriften tauschen?«
Jetzt rollten Tränen über Corinnes Wangen. Sie hatte
die Hände ineinandergeschlungen und knetete ihre Finger.
Ruth sah, wie sich Corinnes Busen in aufgewühlten
Stößen hob und senkte. Schon brach es aus ihrer Schwester
heraus: »Sieh mich doch an! Meine Schuhe, meine
Haare, meine Kleider! Sie knittern schon, wenn ich sie nur
ansehe. Ich habe kein Geld, um mit meinen Freundinnen
zum Lunch zu gehen oder Cocktailpartys auszurichten.
Und keins, das ich in Kapstadt beim Shoppen ausgeben
kann.« Corinne lachte bitter. »Ich habe ja noch nicht einmal
Geld für die Blumen auf dem Esszimmertisch.«
»Oh«, stammelte Ruth. »Oh, ich wusste nicht, dass es so
schlecht um euch steht. Ich dachte, ihr schwelgt im Luxus.
Deine Briefe, weißt du, sie klangen immer so überschwänglich.«
Corinne nickte traurig. »Ja, ich weiß, ich habe euch belogen.
Ein bisschen jedenfalls. Willems Geschäfte kommen
irgendwie nicht richtig in Gang. Woran das liegt, weiß ich
nicht, er redet nicht mit mir darüber. Und im Grunde interessiert
es mich auch nicht.« Sie schluckte, wischte sich
die Tränen ab und richtete sich auf. »Jetzt weißt du es also.
Deine große, erfolgreiche Schwester ist in Wirklichkeit
eine Niete, die in Swakopmund irgendwann an ihrer Einsamkeit
zugrunde geht.«
Ruth nickte. Sie hätte gerne gefragt, warum Corinne sich
keine Arbeit suchte oder wenigstens weniger anspruchsvolle
Freundinnen. Aber sie war einfühlsam genug, um
zu erkennen, dass solche Fragen im Augenblick nicht besonders
hilfreich waren. Zudem ahnte sie, dass es hier um
Dinge ging, die sie im Gegensatz zu ihrer Mutter wirklich
nicht verstand. »Und was willst du nun tun?«, fragte sie daher
stattdessen.
Corinne zuckte mit den Schultern. »Ich habe keine
Ahnung. Ich dachte, wenn ich noch eine Weile auf der
Farm bleiben würde, wüsste ich, was ich mit meinem Leben
anfangen soll. Und womöglich erholen sich Willems
Geschäfte ja auch wieder. Er machte neulich so eine Andeutung.
Alles, was ihm fehlt, ist wohl jemand, der ihn am
Anfang ein bisschen unterstützt.« Unvermittelt lachte sie
auf und breitete die Arme aus. »Wir sind doch jetzt reich!
Sag, Ruth, was hast du mit dem ganzen Geld vor? Was wirst
du dir kaufen?«
»Nichts, ich habe alles«, erwiderte Ruth, ein wenig erleichtert,
dass Corinne zurück zu ihrem alten Ich gefunden
hatte.
»Was ist mit Kleidern, Schuhen, Schmuck?«
»Ich leite eine Farm. Die Kühe geben nicht mehr Milch,
wenn ich sie im Kleid melke.«
»Was ist mit Parfüm?«
Ruth hob den Arm, roch an ihrer Achsel. »Nein. Brauche
ich nicht.«
»Was willst du dann mit all dem Geld?«
»Zuerst einmal werde ich Mama Elo und Mama Isa fragen,
was sie sich wünschen. Außerdem tuckert der Motor
des alten Traktors schon eine ganze Weile, und die Käserei
braucht auch noch dies und jenes. Aber du, Corinne, du
hast doch jetzt eigentlich das Geld für Cocktailpartys und
neue Kleider, für Schmuck und all die anderen Dinge, die
dir Spaß machen.«
Corinne sah erstaunt auf. »Ja, aber das ist doch mein
Geld.«
»Ja und?« Ruth verstand nicht.
»Meinst du denn, ich gebe mein eigenes Geld für Dinge
wie Schmuck und Partys aus?«
»Wieso nicht? Wessen Geld denn sonst?«
Corinne verdrehte die Augen. »Schätzchen«, sagte sie
mit leiser Herablassung. »Müsste ich mein eigenes Geld
ausgeben, hätte ich wohl kaum heiraten brauchen.«
Ruth klappte den Unterkiefer herab. »Du ... du ...«, stotterte
sie, »du hast Willem nur geheiratet, damit er für dich
sorgt?«
»Für mich und die Kinder.«
»Warum sollte ein Mann das tun? Was tust du dafür?«
Jetzt tätschelte Corinne Ruth sogar die Hand. »In der
Stadt arbeitet keine Frau, die auf sich hält. Das tun nur die
schwarzen Frauen. Überall auf der Welt übrigens. Man heiratet,
um versorgt zu sein. Das ist so. Dafür schenkt man
seinem Mann Kinder, sorgt für ein schönes Heim und geht
mit ihm ins Bett. Das ist der Deal. Und Willem hat seinen
Teil der Abmachung nicht eingehalten. Deshalb bin ich
die Angeschmierte. Nicht er.«
Ruth schüttelte sich unwillig, als hätte sie jemand mit
schmutzigem Wasser bespritzt. Sie öffnete den Mund zu
einer Erwiderung, doch Corinne unterbrach sie, bevor sie
etwas sagen konnte. »Ich weiß, du willst einwenden, dass
es hier draußen viele Frauen gibt - weiße Frauen -, die auf
den Farmen mitarbeiten. Diese Frauen aber, meine Liebe,
bedauere ich von ganzem Herzen. Sie tun es nicht freiwillig,
glaub mir. Sie arbeiten, weil sie es müssen, weil sie
Männer haben, die wie Willem ihren Teil des Deals nicht
einhalten.«
»Und was ist mit Rose?«
»Ach, unsere Mutter!« Corinne machte eine wegwerfende
Handbewegung. »Ich sage es nicht gern, Ruth,
aber unsere Mutter ist nicht unbedingt die Hellste. Allerdings
kann man ihr daraus keinen Vorwurf machen; sie
ist schließlich von zwei schwarzen Frauen erzogen wurden.
Genau wie du, übrigens. Sie hatte unzählige Möglichkeiten,
als sie noch jung und hübsch war. Die Farmer hätten
sich um sie gerissen. Doch was tut sie? Lässt sich von einem
schwängern, der zwar reich ist, dafür aber am nächsten
Tag auf Nimmerwiedersehen verschwindet! Und damit
nicht genug. Eine Zeit später lässt sie sich auch noch von
einem Schafscherer beschlafen. Wer soll so eine noch wollen?
Mit zwei unehelichen Kindern? Noch dazu mit so einer
Herkunft! Nein, Ruth, unsere Mutter hat ihre Chancen
samt und sonders vertan. Und zumindest ich habe
daraus etwas gelernt: es anders zu machen als sie.«
Ruth saß noch immer mit offenem Mund da, unfähig,
ihrer Schwester zu antworten. Die aber sprach schon weiter.
»Sie ist wirklich nicht die Hellste. Bei Gott nicht! Selbst
jetzt, wo sie Geld hat und sich noch einen Mann suchen
könnte, bleibt sie hier auf dieser dreckigen Farm hocken
und bestellt sich Haute-Couture-Kleider, deren Labels niemand
kennt. Das nenne ich Verschwendung! Und glaube
mir, jedes einzelne Pfund, das sie ausgibt, tut mir weh.«
Zweites Kapitel
Seit Rose Salden reich geworden war, hatte sie sich eine
Eigenheit angewöhnt: Sie stöhnte, wenn die Dienstboten
nicht exakt das taten, was sie sollten. Sie stöhnte, wenn
die neuen Vorhänge sich in die falsche Richtung blähten.
Sie stöhnte, wenn Ruth beim Essen den Ellbogen auf den
Tisch legte. Am meisten aber stöhnte sie, wenn sie an Horatio
dachte oder ihm gar über den Weg lief.
Ein Schwarzer in ihrem Haus, der nicht tat, was sie ihm
befahl. Ein Schwarzer, der Tag für Tag mit ihr gemeinsam
bei Tische saß. Ein Schwarzer, der sich am Abend ungeniert
einen Sundowner aus der Hausbar einschenkte. Das
war mehr, als Rose Salden verkraften konnte.
»Ich tue immer, was ich tun muss, um zu bekommen,
was ich will«, erklärte sie Corinne und betrachtete sie mit
einigem Missfallen.
Zu einer Zeit, zu der Rose bereits die gesamte Buchhaltung
der Farm erledigt, Einkaufslisten geschrieben und
die Vorräte überprüft hatte, saß ihre Tochter im Speisezimmer
und frühstückte in aller Ruhe.
»Ich weiß«, erwiderte Corinne, zog ihren ausgeblichenen
Bademantel enger um sich und gähnte herzhaft und
mit offenem Mund. Rose sah auch dies mit Missfallen.
»Und was willst du dieses Mal, Mutter?«, fragte Corinne.
Rose Salden stöhnte und schloss kurz die Augen. »Liegt
das nicht auf der Hand? Es geht um deine Schwester. Und
um den Schwarzen, den sie zu lieben glaubt. Horatio. Er
muss weg.«
Corinne zog die Augenbrauen hoch, doch ehe sie etwas
sagen konnte, sprach Rose Salden weiter: »Ja, ja, ich weiß,
wir sind ihm zum Dank verpflichtet. Er hat Margaret das
Leben gerettet.« Sie nahm eine ältere Ausgabe der Allgemeinen
Zeitung zur Hand und hielt ihrer Tochter das Titelblatt
vor die Nase. »Da, lies, was dort geschrieben steht.«
Corinne seufzte. »Mutter, ich kenne den Artikel. Ich
kann ihn beinahe singen.«
»Lies ihn trotzdem. Offensichtlich hast du alles schon
wieder vergessen.«
»Feuer der Wüste« gefunden
Junge Farmerin kämpft um ihre Familie und deckt alte
Verbrechen auf
4. Januar 1960
Ruth Salden, die junge Farmerin auf Salden's Hill in der
Nähe von Gobabis, hat ein Abenteuer der besonderen Art
bestanden und dabei den größten Schatz der Nama, das legendäre
»Feuer der Wüste«, aufgespürt.
Während der Zeit der Herero- und Namaaufstände übergab
ein sterbender junger Namakämpfer Margaret Salden,
der Gründerin der Farm, den wertvollen Diamanten, den
die Nama als Seele ihres Stammes ansehen.
Kurz darauf wurde Wolf Salden, Margarets Ehemann,
von deutschen Soldaten getötet, und Margaret Salden floh
von der Farm, den edlen Stein in den Kleidern versteckt.
Ihre kleine Tochter Rose musste sie in der Obhut zweier
schwarzer Frauen zurücklassen.
Seither, seit vierzig Jahren, galten das »Feuer der Wüste«
und Margaret Salden als verschollen, und es gab niemanden
auf Salden's Hill, der nicht geglaubt hätte, sie wäre tot.
Rose Salden, die Erbin, betrieb die Farm lange Zeit allein,
übergab sie jedoch vor wenigen Jahren an ihre jüngere
Tochter Ruth.
Diese hielt sich während der blutigen Demonstration
im Dezember des vergangenen Jahres in Windhoek auf.
Obgleich sie nur die Farmersbank aufsuchen wollte, um
einen Kredit zu verlängern, geriet sie in den Aufstand
der Schwarzen, bei dem es elf Tote gab. Eine der schwarzen
Frauen erzählte Ruth von Margaret Salden und gab
ihr einen Hinweis darauf, dass die Frau noch am Leben
war.
Sofort machte sich die junge Farmerin auf die Suche
nach ihrer verschollenen Großmutter. Dabei wurde sie von
einem jungen Nama begleitet, der als Historiker die Geschichte
seines Stammes dokumentiert und seinerseits großes
Interesse am Heiligtum der Nama hegt.
Der Hinweis führte Ruth Salden und Horatio Mwasube
nach Lüderitz zum Diamant Trust, der sich von Beginn an
unter deutscher Leitung befand. Dort stießen sie auf geheime
Akten, die nicht nur belegten, dass der Konzern
bereits zur Zeit der Nama- und Hereroaufstände großes
In teresse an dem legendären Diamanten hatte, sondern
auch, dass ein Teil des Diamant Trust Wolf Salden gehörte
und nun auf seine Erben überging.
Von Lüderitz führte die Spur des Diamanten und seiner
Hüterin in die Skelettwüste zu einem Namastamm, der
weitab der Zivilisation lebt und vor Jahrzehnten Margaret
Salden aufgenommen hatte.
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Autoren-Porträt von Karen Winter
Karen Winter studierte Ethnologie und Sprachen. Ihre Liebe zu fremden Ländern und Kulturen lässt sie immer wieder auf Reisen gehen. Heute arbeitet sie als freie Autorin und lebt in der Nähe von Berlin.
Bibliographische Angaben
- Autor: Karen Winter
- 2012, 368 Seiten, Maße: 12,5 x 18,6 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: Bastei Lübbe
- ISBN-10: 3404166310
- ISBN-13: 9783404166312
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