Das Karl-May-Lesebuch
Eine tolle Auswahl der schönsten Geschichten von Karl May.
...
Leider schon ausverkauft
versandkostenfrei
Weltbild Ausgabe
9.99 €
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenlose Rücksendung
Produktdetails
Produktinformationen zu „Das Karl-May-Lesebuch “
Eine tolle Auswahl der schönsten Geschichten von Karl May.
- Wildwestromantik mit Winnetou & Old Shatterhand
- Orientabenteuer
- Reiseerzählungen
- historische Novellen
- Humoristisches
- u.v.m.
Vor 100 Jahren, am 30.März 1912, starb Karl May. Mit seinen Romanen brachte der sächsische Schriftsteller, der erst im Alter von 66 Jahren eine Reise in die USA unternahm, den "Wilden Westen" in deutsche Wohnstuben. Die Kino-Verfilmungen der Abenteuer von Winnetou und Old Shatterhand verhalfen dem Autor in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts zu besonderer Popularität. Karl Mays Romane und Jugenderzählungen wurden in 33 Sprachen übersetzt und erreichten eine Gesamtauflage von über 200 Millionen.
In Amerika war Karl May nie ein erfolgreicher Autor - vielleicht weil er zu Lebzeiten immer wieder das Recht der Indianer auf ihr Land verteidigte und den Genozif geißeöte.
Lese-Probe zu „Das Karl-May-Lesebuch “
Das Karl-May-Lesebuch - Eine Auswahl der schönsten GeschichtenVorwort
... mehr
Karl May (1842-1912) ist nicht nur der meistgelesene deutschsprachige Schriftsteller, sondern hat auch die Vorstellungen ganzer Generationen vom Leben und Schicksal der Indianer und von jenen Weltgegenden, die wir summarisch ,den Orient' nennen, entscheidend und bis heute anhaltend geprägt. Das ungewöhnlich große Interesse und die Sympathie, die die amerikanischen Ureinwohner gerade in Deutschland genießen - nicht zuletzt ein Verdienst Karl Mays. Aber Karl May ist noch viel mehr als der Vater von Old Shatterhand und Winnetou, Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar. Zu seinem Werk gehören weitere Abenteuer aus aller Herren Länder genauso wie historische Erzählungen, humoristische und kriminalistische Geschichten aus der sächsischen Heimat, Gedichte, die symbolischen Erzählungen des Spätwerks und aufschlussreiche autobiografische Schilderungen und Lebenserinnerungen.
Einen Überblick über diese Vielfalt will das vorliegende Lesebuch bieten und damit zum Entdecken der vielen Facetten Karl Mays einladen. Wie jede Auswahl muss es sich beschränken und kann nicht alle Seiten des Gesamtwerks beinhalten, doch denken wir, einen repräsentativen Querschnitt durch Mays schier unerschöpfliche Räume der Fantasie zu bieten.
In der allgemeinen Bekanntheit liegen die Geschichten um Winnetou sicher noch ein kleines Stück vor den Orienterzählungen. Dabei hat May den morgenländischen Schauplätzen im Gesamtwerk sogar mehr Platz eingeräumt als den Prärien und Felsengebirgen Nordamerikas. Unsere Rundreise durch den Mayschen Kosmos beginnt daher auch mit einem der ersten Abenteuer des kleinen Halef und seines ,Sihdi` Kara Ben Nemsi.
In Abrahim Mamurs Gewalt führt uns nach Ägypten, an die Ufer des Nils. Die Erstfassung dieser in sich abgeschlossenen Episode entstand 1881 für die Zeitschrift Deutscher Hausschatz, 1892 ging sie in Durch die Wüste, Band 1 der Gesammelten Reiseerzählungen ein, jener zu Mays Lebzeiten 33-bändigen Reihe, die den Grundstock der heutigen Gesammelten Werke bildet.
Die darauf folgende, in Missouri spielende Geschichte vom Prayer-man ist ein Auszug aus der 1897 verfassten Reiseerzählung Weihnacht (Band 24), für viele Freunde und Kenner eines der besten Wildwestabenteuer Mays überhaupt.
Mit Mein Rih geht es wieder in orientalische Gefilde, in die Berge Kurdistans. Dieses letzte Kapitel von Band 6, Der Schut, hat May 1892 eigens für die Buchausgabe geschrieben.
Die Söhne des Upsaroka ist eine eigenständige kleinere Indianer-Geschichte mit Winnetou und Old Shatterhand aus dem Jahre 1898, die heute im Band 48, Das Zauberwasser, zusammen mit anderen kürzeren Geschichten aus aller Welt enthalten ist. Sie spielt in und um die Black Hills in Montana.
Südamerika hat May nur dreimal in seinem Schaffen als Schauplatz gewählt: neben der Jugenderzählung Das Vermächtnis des Inka (Band 39) im zweiteiligen Abenteuer Am Rio de la Plata I In den Kordilleren (Bände 12 /13) und 1894 in der hier vorliegenden Geschichte Auferstehung aus Band 48.
Doch nicht immer schweifte der Autor in die Ferne. In der frühen Schaffenszeit entstanden etliche Dorfgeschichten, Humoresken und historische Novellen aus seinem engeren und weiteren heimatlichen Umfeld. Fürst Leopold I. von Anhalt-Dessau
(volkstümlich der ,Alte Dessauer` genannt) hat May mehrere, meist komödiantisch angelegte, Prosastückchen gewidmet, so auch Seelenverkäufer von 1876. Band 42, der u. a. diese Geschichte enthält, trägt daher auch den Titel Der alte Dessauer.
Eine der frühesten literarischen Arbeiten Mays im vorliegenden Lesebuch ist die erzgebirgische Dorfgeschichte Der Samiel aus dem Jahre 1877. Als Faksimile des Erstdrucks findet sich dieses kleinen Melodram um verschmähte und belohnte Liebe und um einen unheimlichen Wildschützen in Band 43, Aus dunklem Tann.
Weit zurück in der Geschichte, nämlich ins frühe 15. Jahrhundert, griff der Erzähler bereits 1876/77 in dem ursprünglich als Der beiden Quitzows letzte Fahrten erschienenen Historienroman um den Konflikt zwischen Markgraf Friedrich von Hohenzollern und den brandenburgischen Adelsgeschlechtern unter Führung der Ritter von Quitzow. Da nicht alle Teile dieses Romans von May stammen, enthält Band 69 unter dem Titel Ritter und Rebellen nur die von ihm verfassten Abschnitte, darunter die völlig in sich geschlossene Episode Der Falkenmeister.
Die Geschehnisse um Die Rache des Ehri hat May mehrfach überarbeitet und in teilweise deutlich voneinander abweichenden Versionen veröffentlicht. Wir haben diejenige Fassung des Südsee-Abenteuers ausgewählt, die sich seit 1894 im Band 11, Am Stillen Ozean, befindet.
Von subtropischen, sonnendurchflutenden Gestaden springen wir nun in den hohen Norden, ins tief vereiste und verschneite Lappland. Auch in dieser unwirtlichen Gegend finden Mays Helden im 1883 geschriebenen Der Talisman (heute in Band 23 Auf fremden Pfaden) Gelegenheit ihre Kenntnisse und Fähigkeiten unter Beweis zu stellen.
Mit einer kleinen Auswahl spaßiger Ereignisse aus den Bänden 35 Unter Geiern und 37 Der Ölprinz geht es in Der Bär, der Skunk und die Senfindianer noch einmal in den Wilden Westen.
Heiter bleibt es auch bei den Erlebnissen von Halef im Taubenschlag aus Band 4 In den Schluchten des Balkan (erstmals 1886 im Deutschen Hausschatz erschienen).
Unsere Blütenlese ist nun bei Mays Spätwerk angelangt. In Das versteinerte Gebet aus dem gleichnamigen Band 29 (erstmals erschienen 1903 als Im Reiche des silbernen Löwen IV) lässt der Autor sein literarisches Ich Kara Ben Nemsi einen seltsamen spukhaften Traum erleben und erweist sich hiermit auch im unheimlich-fantastischen Genre, dem er sich nur selten zugewandt hat, als Meister.
Mit einem - eher augenzwinkernden - autobiografischen Text, Freuden und Leiden eines Vielgelesenen von 1896 (aus Band 79, Old Shatterhand in der Heimat), schließt unser Lesebuch. Man merkt hier deutlich, wie viel Spaß es Karl May bereitet hat, seine Leser mit einigen Scherzen und Übertreibungen etwas an der Nase herumzuführen und sich - nicht zuletzt - auch ein wenig über sich selbst lustig zu machen.
Wenn Sie nach Lektüre dieses Bandes mehr von Karl May haben wollen, ist unser Ziel erreicht, denn dann hat der ,Mayster` Ihnen schöne Lesestunden bereitet.
In Abrahim Mamurs Gewalt
Es war um die Zeit, in der die ägyptische Sonne ihre Strahlen mit gesteigerter Glut auf die Erde sendet und ein jeder, den nicht die Not hinaus unter den freien Himmel treibt, sich unter den Schutz seines Daches zurückzieht und nach Ruhe und Kühlung strebt. Auch ich lag auf dem weichen Diwan meiner gemieteten Wohnung, schlürfte kräftigen Mokka und schwelgte im Duft des würzigen Dschebeli', der meiner Pfeife entströmte. Die starken, nach außen fensterlosen Mauern boten dem Sonnenbrand Einhalt und die aufgestellten porösen Tongefäße, durch deren Wände das Nilwasser verdunstete, machten die Atmosphäre so erträglich, dass ich von der während der Mittagszeit hier so gewöhnlichen Abspannung des Menschen wenig oder gar nichts bemerkte. Da erhob sich draußen die scheltende Stimme meines Dieners Halef Agha.
Halef Agha? Ja, mein guter, kleiner Halef war ein Agha, ein Herr geworden; und wer hatte ihn dazu gemacht? Spaßhafte Frage! Wer denn anders als er selbst!
Wir waren über Tripolis und Kufarah nach Ägypten gekommen, hatten Kairo besucht, das der Ägypter schlechtweg ,die Hauptstadt' oder noch lieber el Kahira, die Siegreiche, nennt, waren den Nil, so weit es mir meine beschränkten Mittel erlaubten, hinaufgefahren und hatten uns dann zum Ausruhen die Wohnung genommen, in der ich mich ganz wohl befunden hätte, wenn nicht mein sonst ganz prächtiger Diwan und alle Teppiche sehr dicht von jenen springfertigen, stechkundigen Geschöpfen heimgesucht worden wären, von denen der alte, gute Fischart dichtete:
„Mich bizt neizwaz, waz mag daz sein?"
und von denen man außer dem großäugigen Pulex xanis und dem rötlichen Pulex musculi noch den allbeliebten Pulex irritans und den wütenden Pulex penetrans kennengelernt hat. Leider muss ich sagen, dass Ägypten nicht das Jagdgefilde des ,irritans`, sondern des ,penetrans`, also nicht des ‚reizenden', sondern des ‚durchdringenden' Pulex ist, und so brauche ich wohl nicht hinzuzufügen, dass mein Kef nicht ganz ohne alle Belästigung geblieben war.
Also draußen erhob sich die scheltende Stimme meines Dieners Halef Agha, die mich aus meinen Träumen weckte:
„Was? Wie? Wen?"
„Den Effendi", antwortete es schüchtern.
„Den Effendi, den großen Herrn und Meister, willst du stören?"
„Ich muss ihn sprechen."
„Was? Du musst? Jetzt, in seinem Kef? Hat dir der Teufel - Allah beschütze mich vor ihm! - den Kopf mit Nilschlamm gefüllt, dass du nicht begreifen kannst, was ein Effendi, ein Hekim2, zu bedeuten hat, ein Mann, den der Prophet mit Weisheit speist, sodass er alles kann, sogar die Toten lebendig machen, wenn sie ihm nur sagen, woran sie gestorben sind!"
Ach ja, ich muss es eingestehen, dass mein Halef hier in Ägypten sehr, sehr anders geworden war! Er war jetzt außerordentlich stolz, unendlich grob und heillos aufschneiderisch geworden und das will im Orient viel sagen.
Im Morgenland wird jeder Deutsche für einen großen Gärtner und jeder Ausländer für einen guten Schützen oder für einen großen Arzt gehalten'. Nun war mir unglücklicherweise in Kairo eine alte, nur noch halb gefüllte homöopathische Apotheke von Willmar Schwabe in die Hand gekommen; ich hatte hier und da bei einem Fremden oder Bekannten fünf Körnchen in dreißigfacher Verdünnung versucht, dann während der Nilfahrt meinen Schiffern gegen alle möglichen eingebildeten Leiden eine Messerspitze Milchzucker gegeben und war mit ungeheurer Schnelligkeit in den Ruf eines Arztes gekommen, der mit dem Schejtan im Bunde stehe, weil er mit drei Körnchen Durrha-Hirse Tote lebendig machen könne.
Dieser Ruf hatte im Kopf meines Halef eine gelinde Art von Größenwahn erweckt, der ihn aber glücklicherweise nicht hinderte, mir der treueste und aufmerksamste Diener zu sein. Dass er am meisten beitrug, meinen Ruhm zu verbreiten, das versteht sich von selbst; er war ganz und gar in das schmachvolle Laster des weiland Barons von Münchhausen verfallen und versuchte nebenbei, durch eine Grobheit zu glänzen, die klassisch zu werden drohte.
So hatte er sich, unter anderem, von seinem geringen Lohn eine Peitsche aus Nilpferdhaut gekauft, ohne die er gar nicht zu sehen war. Er kannte Ägypten von früher her und behauptete, dass ohne Peitsche da gar nicht auszukommen sei, weil sie größere Wunder tue als Höflichkeit und Geld, von welch Letzterem mir allerdings kein großer Überfluss zur Verfügung stand.
„Gott erhalte deine Rede, Sihdi", hörte ich die bittende Stimme wieder, „aber ich muss deinen Effendi, den großen Arzt aus Franghistan, wirklich sehen und sprechen." „Jetzt nicht."
„Es ist sehr notwendig, sonst hätte mich mein Herr nicht gesandt."
„Wer ist dein Herr?"
„Es ist der reiche und mächtige Abrahim Mamur, dem Allah tausend Jahre schenken möge."
„Abrahim Mamur? Wer ist denn dieser Abrahim Mamur und wie hieß sein Vater? Wer war der Vater seines Vaters und der Vater seines Vatervaters? Wem wurde er geboren und wo leben die, denen er seinen Namen verdankt?"
„Das weiß ich nicht, Sihdi, aber er ist ein mächtiger Herr, wie ja schon sein Name sagt."
„Sein Name? Was meinst du?"
„Abrahim Mamur. Mamur heißt Beamter und ich sage dir, dass er Vorsteher eines Provinzbezirkes gewesen ist."
„Gewesen? Er ist es also nicht mehr?"
„Nein."
„Das dachte ich mir. Niemand kennt ihn, selbst ich, Halef Agha, der tapfere Freund und Beschützer meines Gebieters, habe noch nie von ihm gehört und noch nie die Spitze seines Tarbusch gesehen. Geh fort, mein Herr hat keine Zeit."
„So sage mir, Sihdi, was ich tun muss, um zu ihm zu kommen!"
„Kennst du nicht das Wort von dem silbernen Schlüssel, der die Stätten der Weisheit erschließt?"
„Ich habe diesen Schlüssel bei mir."
„So schließe auf."
Ich horchte gespannt und vernahm das leise Klimpern von Geldstücken.
„Ein Piaster?' Mann, ich sage dir, dass das Loch im Schloss größer ist als dein Schlüssel; er passt nicht, denn er ist zu klein."
„So muss ich ihn vergrößern."
Wieder klangen draußen kleine Silberstücke. Ich wusste nicht, sollte ich lachen oder mich ärgern? Dieser Halef Agha war ja ein ganz außerordentlich geriebener Pförtner geworden!
„Drei Piaster? Gut, so kann man wenigstens fragen, was du bei dem Effendi auszurichten hast."
„Er soll kommen und seine Zaubermedizin mitbringen."
„Mensch, was fällt dir ein! Für drei Piaster soll ich ihn verleiten, diese Medizin wegzugeben, die ihm in der ersten Nacht jedes Neumondes von einer weißen Fee gebracht wird?"
„Ist dies wahr?"
„Ich, Hadschi Halef Omar Agha Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah, sage es. Ich habe sie selbst gesehen, und wenn du es nicht glaubst, so wirst du hier diese Kurbatsch, meine Nilpferdpeitsche, zu kosten bekommen!"
„Ich glaube es, Sihdi..."
„Das ist dein Glück!"
„...und werde dir noch zwei Piaster geben."
„Gib sie her! Wer ist denn krank im Hause deines Herrn?"
„Das ist ein Geheimnis, das nur der Effendi erfahren darf."
„Nur der Effendi? Schurke, bin ich nicht auch ein Effendi, der die Fee gesehen hat! Geh nach Hause, Halef Agha lässt sich nicht beleidigen!"
„Verzeihe, Effendi, ich werde es dir sagen!"
„Ich mag es nun nicht wissen. Pack dich von dannen!"
„Aber ich bitte dich..."
„Pack dich!"
„Soll ich dir noch einen Piaster geben?"
„Ich nehme nicht einen mehr!"
„Effendi!"
„Sondern zwei!"
„0 Effendi, deine Stirn leuchtet vor Güte. Hier hast du die zwei Piaster." „Schön! Also wer ist krank?"
„Das Weib meines Herrn."
„Das Weib deines Herrn?", fragte Halef verwundert. „Welche Frau?"
„Er hat nur diese eine."
„Und soll Mamur gewesen sein?"
„Er ist so reich, dass er hundert Frauen haben könnte, aber er liebt nur diese." „Was fehlt ihr?"
„Niemand weiß es, aber ihr Leib ist krank und ihre Seele ist noch kränker."
„Allah kerim - Gott ist gnädig, aber ich nicht. Ich stehe da, mit der Kurbatsch in der Hand, und möchte sie dir auf den Rücken geben. Beim Bart des Propheten, dein Mund spricht eine solche Weisheit, als wäre dir der Verstand ins Wasser gefallen! Weißt du nicht, dass ein Weib gar keine Seele hat und deshalb auch nicht in den Himmel darf? Wie also kann die Seele eines Weibes krank sein und gar noch kränker als ihr Leib?"
„Ich weiß es nicht, aber so wurde mir gesagt. Lass mich hinein zu dem Effendi!" „Ich darf es nicht tun."
„Warum nicht?"
„Mein Herr verachtet die Frauen. Die schönste Perle der Weiber ist ihm wie der Skorpion im Sand und seine Hand hat noch nie das Gewand einer Frau berührt. Er darf kein irdisches Weib lieben, sonst würde die Fee nie wiederkommen."
Ich musste das Talent Halefs von Minute zu Minute mehr anerkennen, fühlte aber trotzdem große Lust, ihn seine eigene Nilpferdpeitsche schmecken zu lassen. Jetzt ertönte die Antwort:
„Du musst wissen, Sihdi, dass er ihr Gewand nicht berühren und ihre Gestalt nicht sehen wird. Er darf nur durch das Gitter mit ihr sprechen."
„Ich bewundere die Klugheit deiner Worte und die Weisheit deiner Rede, Mann. Merkst du denn nicht, dass er gerade durch das Gitter nicht mit ihr sprechen darf?" „Warum?"
„Weil die Gesundheit, die der Effendi spenden soll, gar nicht zu dem Weib käme, sondern am Gitter hängen bleiben würde. Geh fort!"
„Ich darf nicht gehen, denn ich werde hundert Schläge auf die Sohlen bekommen, wenn ich den weisen Effendi nicht bringe."
„Danke deinem gütigen Herrn, du Sklave eines Ägypters, dass er deine Füße mit Gnade erleuchtet. Ich will dich nicht um dein Glück betrügen. Es selam 'alejkum, Allah sei bei dir und lasse dir die Hundert gut bekommen!"
„So lass dir noch eins sagen, tapferer Agha. Der Herr unseres Hauses hat mehr Beutel in seiner Schatzkammer, als du jemals zählen kannst. Er hat mir befohlen, dass du auch mitkommen sollst, und du wirst ein Bakschisch erhalten, ein Geschenk, wie es selbst der Khedive von Ägypten nicht reicher geben würde."
Jetzt endlich wurde der Mann klug und fasste meinen Halef etwas kräftiger bei dem Punkt, an dem man jeden Orientalen zu packen hat, wenn man ihn günstig stimmen will. Der kleine Haushofmeister änderte auch sofort seinen Ton und antwortete mit hörbar freundlicherer Stimme:
„Allah segne deinen Mund, mein Freund! Aber ein Piaster in meiner Hand ist mir lieber als zehnt Beutel in einer anderen. Die deinige aber ist so mager wie der Schakal in der Schlinge oder wie die Wüste der Bischarin."
„Lass den Rat deines Herzens nicht zögern, mein Bruder!"
„Dein Bruder? Mensch, bedenke, dass du ein Sklave bist, während ich als freier Mann meinen Effendi begleite und beschütze! Der Rat meines Herzens bleibt zurück. Wie kann das Feld Früchte bringen, wenn so wenig Tropfen Tau vom Himmel fallen!"
„Hier hast du noch drei Tropfen!"
„Noch drei? So will ich sehen, ob ich den Effendi stören darf, wenn dein Herr wirklich ein solches Bakschisch gibt."
„Er gibt es."
„So warte!"
Jetzt endlich also glaubte er, mich ‚stören zu dürfen', der schlaue Fuchs! Übrigens handelte er nach der allgemeinen Unsitte, sodass er einigermaßen zu entschuldigen war, zumal das Wenige, was er für seine Dienste von mir forderte, kaum der Rede wert war.
Was mich aber bei der ganzen Angelegenheit mit Verwunderung erfüllte, war der Umstand, dass ich nicht zu einem männlichen, sondern zu einem weiblichen Patienten verlangt wurde. Da aber, abgesehen von den wandernden Nomadenstämmen, der Moslem die Bewohnerinnen seiner Frauengemächer niemals den Augen eines Fremden freigibt, so handelte es sich hier jedenfalls um ein nicht mehr junges Weib, das
sich vielleicht durch Eigenschaften des Charakters und Gemüts die Liebe Abrahim Mamurs erhalten hatte.
Halef trat ein.
„Schläfst du, Sihdi?"
Der Schlingel! Hier nannte er mich Sihdi und draußen ließ er sich selbst so nennen.
„Nein. Was willst du?"
„Draußen steht ein Mann, der mit dir sprechen will. Er hat ein Boot im Nil und sagt, ich müsse auch mitkommen."
Der schlaue Bursche machte diese Schlussbemerkung nur, um sich das versprochene Trinkgeld zu sichern. Ich wollte ihn nicht in Verlegenheit bringen und tat, als hätte ich nichts gehört.
„Was will er?"
„Jemand ist krank."
„Ist es notwendig?"
„Sehr, Effendi. Die Seele der Kranken steht schon im Begriff die Erde zu verlassen. Darum musst du eilen, wenn du sie festhalten willst."
Hm, er war kein übler Diplomat!
„Lass den Mann eintreten!"
Er ging hinaus und schob den Boten herein. Dieser verbeugte sich bis zur Erde nieder, zog die Schuhe aus und wartete dann demütig, bis ich ihn anreden würde.
„Tritt näher!"
„Es seläm 'alejkum! Heil sei mit dir, Herr", grüßte er. „Allah lasse dein Ohr offen sein für die demütige Bitte des geringsten deiner Knechte."
„Wer bist du?"
„Ich bin ein Diener des großen Abrahim Mamur, der aufwärts am Fluss wohnt." „Was sollst du mir sagen?"
„Es ist großes Herzeleid gekommen über das Haus meines Gebieters, denn Güsela, die Krone seines Herzens, schwindet hin in die Schatten des Todes. Kein Arzt, kein Fakir und kein Zauberer vermochten den Schritt ihrer Krankheit aufzuhalten. Da hörte mein Herr - den Allah erfreuen möge - von dir und deinem Ruhm und dass der Tod vor deiner Stimme flieht. Er sandte mich zu dir und lässt dir sagen: Komm und nimm den Tau des Verderbens von meiner Blume, so soll mein Dank süß sein und hell wie der Glanz des Goldes."
Diese Beschreibung einer bejahrten Frau schien mir ein wenig überschwänglich zu sein.
»Ich kenne den Ort nicht, an dem dein Herr wohnt. Ist er weit von hier?"
„Er wohnt am Strand und sendet dir ein Boot. In einer Stunde wirst du bei ihm sein."
„Wer wird mich zurückfahren?"
„Ich."
„Ich komme. Warte draußen!"
Er nahm seine Schuhe und zog sich zurück. Ich erhob mich, warf ein anderes Gewand über und griff nach meinem Kästchen mit Akonit, Sulphur, Pulsatilla und all den Mitteln, die in einer Apotheke von hundert Nummern zu haben sind. Bereits nach fünf Minuten saßen wir in dem von vier Ruderern bewegten Kahn, ich in Gedanken versunken, Halef aber stolz wie ein Pascha von drei Rossschweifen. Im Gürtel trug er die silberbeschlagenen Pistolen, die er in Kairo geschenkt erhalten hatte, und den scharfen, glänzenden Dolch, in der Hand aber die unvermeidliche Nilpferdpeitsche, das beste Mittel, sich unter der dortigen Bevölkerung Achtung, Ehrerbietung und Berücksichtigung zu verschaffen.
Zwar war die Hitze nicht angenehm, aber die stromaufwärts gehende Bewegung unseres Fahrzeugs brachte uns mit einem kühlenden Luftzug in Berührung.
Es ging eine Strecke weit an schmalen Pflanzungen vorüber, aus deren Hintergrund schlanke Palmen emporragten; dann folgten unbebaute Flächen, über die sich ein niederes Gestrüpp von Mimosen und Sykomoren hinstreckte. Einige unbedeutende Orte mit Ruinen aus der klassischen Zeit folgten. In den das Niltal begleitenden Felswänden zeigte sich Granit. Das Tal verengte sich und man konnte die Wellen einer Stromschnelle erkennen. Es war dies das Bab el Kalabscheh, ein mehrere Kilometer langer Engpass. Vor dessen Beginn erhob sich eine quadratische Mauer, durch die wir uns den Eingang suchen mussten.
Als wir anlangten, bemerkte ich, dass ein schmaler Kanal aus dem Fluss unter der Mauer fortführte, jedenfalls um die Bewohner mit dem nötigen Wasser zu versehen, ohne dass sie sich aus ihrer Wohnung zu bemühen brauchten. Unser Führer schritt uns voran, führte uns um zwei Ecken nach der dem Wasser abgekehrten Seite und gab an dem dort befindlichen Tor ein Zeichen, auf das hin uns bald geöffnet wurde.
Das Gesicht eines Schwarzen grinste uns entgegen, doch erwiderten wir nur flüchtig seinen respektvollen Gruß und schritten an ihm vorüber. Architektonische Schönheit durfte ich bei einem orientalischen Prachtgebäude nicht erwarten und so fühlte ich mich auch nicht überrascht von der kahlen, nackten, fensterlosen Front, die das Haus mir zukehrte. Aber das Klima des Landes hatte doch einen arg zerstörenden Einfluss auf das alte Gemäuer ausgeübt, sodass ich es zur Wohnung eines zarten, kranken Weibes nicht hätte empfehlen mögen.
Früher hatten Zierpflanzen den schmalen Raum zwischen der Mauer und dem Gebäude geschmückt und den Bewohnerinnen eine angenehme Erholung geboten; jetzt waren sie längst verwelkt und verdorrt. Wohin das Auge nur blickte, fand es nichts als starre kahle Ode, und nur Scharen von Schwalben, die in den zahlreichen Rissen und Sprüngen des Gebäudes nisteten, brachten einigermaßen Leben und Bewegung in das traurige, tote Bild.
Der voranschreitende Bote führte uns durch einen dunklen, niedrigen Torgang in einen kleinen Hof, dessen Mitte ein Wasserbecken einnahm. Also bis hierher führte der Kanal, den ich vorhin bemerkt hatte, und der Erbauer des einsamen Hauses war klugerweise vor allen Dingen darauf bedacht gewesen, sich und die Seinigen reichlich mit dem zu versorgen, was in dem heißen Klima jener Länderstriche das Notwendigste und Unentbehrlichste ist. Zugleich bemerkte ich nun auch, dass der ganze Bau darauf angelegt war, die jährlich wiederkehrenden Überschwemmungen des Nils schadlos aushalten zu können. In diesen Hof ragten mehrere hölzerne Gitterwerke, hinter denen jedenfalls die zum Aufenthalt dienenden Räume lagen. Ich konnte ihnen jetzt keine große, zeitraubende Betrachtung schenken, sondern gab meinem Diener einen Wink, mit der Apotheke, die er umhängen hatte, hier zu warten, und folgte dem Boten in das Sselamlyk des Hauses.
Es war ein geräumiges, halbdunkles und hohes Zimmer, durch dessen vergitterte Fensteröffnungen ein wohltuend gedämpftes Licht fiel. Durch die aufgeklebten Tapeten, Arabesken und Ornamente hatte es einen wohnlichen Anstrich erhalten und die in einer Nische stehenden Wasserkühlgefäße erzeugten eine recht angenehme Temperatur. Ein Geländer trennte den Raum in zwei Hälften, deren vordere für die Dienerschaft, die hintere aber für den Herrn und die besuchenden Gäste bestimmt war. Den erhöhten Hintergrund zierte ein breiter Diwan, der von einer Ecke bis in die andere reichte und auf der Abrahim Mamur, der Besitzer von „vielen Beuteln", saß.
Er erhob sich bei unserem Eintritt, blieb aber der Sitte gemäß vor seinem Sitz stehen. Da ich nicht die dort gewöhnliche Fußbekleidung trug, so konnte ich mich ihrer auch nicht entledigen, sondern schritt, unbekümmert um meine Lederstiefel, über die kostbaren Teppiche und ließ mich an seiner Seite nieder. Die Diener brachten den unvermeidlichen Kaffee und die noch notwendigeren Pfeifen und nun konnte das Weitere folgen.
Mein erster Blick war natürlich nach seiner Pfeife gerichtet, denn jeder Kenner des Orients weiß, dass man an ihr sehr genau die Verhältnisse ihres Besitzers zu erkennen vermag. Das lange, wohlriechende und mit stark vergoldetem Silberdraht umsponnene Rohr hatte gewiss tausend Piaster gekostet. Teurer aber noch war das Bernsteinmundstück, das aus zwei Teilen bestand, zwischen denen ein mit Edelsteinen besetzter Ring hervorschimmerte. Der Mann schien wirklich „viele Beutel" zu besitzen, nur war dies kein Grund, mich befangen zu machen, da mancher Inhaber einer Pfeife im Wert von zehntausend Piastern seinen Reichtum doch nur den geknechteten Untertanen entwendet oder geraubt hat. Lieber also einen prüfenden Blick ins Gesicht!
Wo hatte ich diese Züge doch schon gesehen, die schönen, feinen und in ihrer Disharmonie so diabolischen Züge? Forschend, scharf, stechend, nein förmlich durchbohrend senkte sich der Blick des kleinen, unbewimperten Auges in den meinen und kehrte dann kalt und wie beruhigt wieder zurück. Glühende und entnervende Leidenschaften hatten diesem Gesicht immer tiefere Spuren eingegraben; die Liebe, der Hass, die Rache, der Ehrgeiz waren einander behilflich gewesen, eine groß angelegte Natur in den Schmutz des Lasters hernieder zu reißen und dem Äußeren des Mannes jenes unbeschreibliche Etwas zu verleihen, das dem Guten und Reinen ein sicheres Warnzeichen ist.
Wo war ich diesem Mann begegnet? Gesehen hatte ich ihn; ich musste mich nur besinnen; aber, das fühlte ich, unter freundlichen Umständen war es nicht gewesen. „Neharak sa'id - dein Tag sei glücklich!", grüßte ich.
„Nehärak sa'id we mubarak - dein Tag sei glücklich und gesegnet!", ertönte es langsam zwischen dem vollen, prächtigen, aber schwarz gefärbten Bart hervor. Die Stimme war kalt, klanglos, ohne Leben und Gemüt; es konnte einen dabei ein Schauer ankommen. „Möge Allah Balsam wachsen lassen auf den Spuren deiner Füße und Honig träufeln von den Spitzen deiner Finger, damit mein Herz die Stimme seines Kummers nicht mehr höre!"
„Gott gebe dir Frieden und lasse mich das Gift finden, das am Leben deines Glückes nagt", erwiderte ich seinen Gruß, da nicht einmal der Arzt nach dem Weib des Moslems fragen darf, ohne den größten Verstoß gegen die Sitte zu begehen.
„Ich habe gehört, dass du ein weiser Hekim bist. Welche Medresse' hast du besucht?"
„Keine. Ich bin ein Nemsi."
„Ein Nemsi! Oh, ich weiß, die Nemsi sind kluge Leute; sie kennen den Stein der Weisen und das Abrakadabra2, das den Tod vertreibt."
„Es gibt weder einen Stein der Weisen noch ein Abrakadabra."
Er blickte mir kalt in die Augen.
„Vor mir brauchst du dich nicht zu verbergen. Ich weiß, dass die Zauberer von ihrer Kunst nicht sprechen dürfen, und will sie dir auch gar nicht entlocken; nur helfen sollst du mir. Wodurch vertreibst du die Krankheit eines Menschen, durch Worte oder durch einen Talisman?"
„Weder durch Worte noch durch einen Talisman, sondern durch die Medizin."
„Du sollst dich nicht vor mir verstecken. Ich glaube an dich, denn obwohl du kein Moslem bist, ist doch deine Hand mit Erfolg begabt, als hätte sie der Prophet gesegnet. Du wirst die Krankheit finden und besiegen."
„Nur Allah ist allmächtig; er kann retten und verderben, und ihm allein gebührt die Ehre. Doch wenn ich helfen soll, so sprich!"
Diese direkte Aufforderung, ein wenn auch noch so unbedeutendes Geheimnis seines Haushalts preiszugeben, schien ihn unangenehm zu berühren, obwohl er darauf vorbereitet sein musste; doch versuchte er sofort die Schwäche zu verbergen und befolgte meine Aufforderung:
„Du bist aus dem Land der Ungläubigen, wo es keine Schande ist, von der zu reden, die eine Tochter einer Mutter ist?"
Ich war innerlich belustigt von der Art und Weise, mit der er zu umgehen suchte, von ,seinem Weib' zu sprechen, doch blieb ich ernst und antwortete ziemlich kalt:
„Du willst, dass ich dir helfen soll und beschimpfst mich?"
„Inwiefern?"
„Du nennst meine Heimat das Land der Ungläubigen."
„Ihr seid doch ungläubig."
„Wir glauben an einen Gott, der derselbe Gott ist, den ihr Allah nennt. Du nennst mich von deinem Standpunkt aus einen Ungläubigen; mit demselben Recht könnte ich dich von meinem Standpunkt aus ebenso nennen; aber ich tue es nicht, weil wir Nemsi nie die Pflicht der Höflichkeit verletzen."
„Schweigen wir über den Glauben! Der Moslem darf nicht von seinem Weib sprechen; aber du erlaubst, dass ich von den Frauen in Franghistan rede?"
„Ich erlaube es."
„Wenn das Weib eines Franken krank ist..."
Er sah mich an, als ob er eine Bemerkung von mir erwarte; ich winkte ihm nur, in seiner Rede fortzufahren.
„Also wenn sie krank ist und keine Speise zu sich nimmt..."
„Keine?"
„Nicht die geringste!"
„Weiter!"
„Wenn sie den Glanz ihrer Augen und die Fülle ihrer Wangen verliert - wenn sie müde ist und doch den Genuss des Schlafes nicht mehr kennt..."
„Weiter!"
„Wenn sie nur lehnend steht und langsam, schleichend geht - vor Kälte schauert und vor Hitze brennt..."
„Ich höre. Fahre fort."
„Wenn sie bei jedem Geräusch erschrickt und zusammenzuckt - wenn sie nichts wünscht, nichts liebt, nichts hasst und unter dem Schlag ihres Herzens zittert..."
„Immer weiter!"
„Wenn ihr Atem zu sehen ist wie der des kleinen Vogels - wenn sie nicht lacht, nicht weint, nicht spricht - wenn sie kein Wort der Freude und kein Wort der Klage
hören lässt und ihre Seufzer selbst nicht mehr vernimmt - wenn sie das Licht der Sonne nicht mehr sehen will und in der Nacht wach in den Ecken kauert..."
Wieder blickte er mich an und in seinen flackernden Augen war eine Angst zu erkennen, die sich durch jede der aufgezählten Krankheitssymptome zu nähern und zu vergrößern schien. Er musste die Kranke mit der letzten, trüben und also schwersten Glut seines fast ausgebrannten Herzens lieben und hatte mir, ohne es zu wissen und zu wollen, mit seinen Worten sein ganzes Verhältnis zu ihr verraten.
„Du bist noch nicht zu Ende!"
„Wenn sie zuweilen plötzlich einen Schrei ausstößt, als ob ein Dolch ihr in die Brust gestoßen würde - wenn sie ohne Aufhören ein fremdes Wort flüstert..."
„Welches Wort?"
„Einen Namen."
„Weiter!"
„Wenn sie hustet und dann Blut über ihre bleichen Lippen fließt..."
Er blickte mich jetzt so starr und angstvoll an, dass ich merkte, meine Entscheidung würde ein Urteil für ihn sein, ein befreiendes oder ein vernichtendes. Ich zögerte nicht, ihm die Antwort zu geben:
„So wird sie sterben."
Er saß erst einige Augenblicke so bewegungslos, als habe ihn der Schlag getroffen, dann aber sprang er auf und stand hochaufgerichtet vor mir. Der rote Fes war ihm vom kahl geschorenen Haupt geglitten, die Pfeife seiner Hand entfallen; in seinem Gesicht zuckte es von den widerstreitendsten Gefühlen. Es war ein eigentümliches, ein furchtbares Gesicht; es glich ganz jenen Abbildungen des Teufels, wie sie der geniale Stift Dores zu zeichnen verstand, nicht mit Schweif, Pferdefuß und Hörnern, sondern mit höchster Harmonie des Gliederbaus, jeder einzelne Zug seines Gesichtes eine Schönheit, und doch in der Gesamtwirkung dieser Züge so abstoßend, so hässlich, so - diabolisch! Sein Auge ruhte mit dem Ausdruck des Entsetzens auf mir, der sich nach und nach in einen zornigen und dann zuletzt in einen drohenden verwandelte.
„Giaur!", donnerte er mich an.
„Wie sagtest du?", fragte ich kalt.
„Giaur! Wagst du, mir das zu bieten, Hund? Die Peitsche soll dich lehren, wer ich bin und dass du nur zu tun hast, was ich dir befehle. Stirbt sie, so stirbst auch du; doch machst du sie gesund, so darfst du gehen und kannst verlangen, was dein Herz begehrt!"
Langsam und in tiefer Seelenruhe erhob auch ich mich, stellte mich in meiner ganzen Länge vor ihn hin und fragte:
»Weißt du, was die größte Schande für einen Moslem ist?"
„Was?"
„Sieh nieder auf deinen Fes! Abrahim Mamur, was sagt der Prophet und was sagt der Koran dazu, dass du die Scham deines Scheitels vor einem Christen entblößt hast!"
Im nächsten Augenblick hatte er sein Haupt bedeckt und, vor Grimm dunkelrot im Gesicht, den Dolch aus der Schärpe gerissen und gegen mich gezückt.
„Du musst sterben, Giaur!"
„Ich werde sterben, wann es Gott gefällt, nicht aber wann es dir beliebt." „Du wirst sterben. Bete dein Gebet!"
„Abrahim Mamur", antwortete ich ruhig wie zuvor, „ich habe den Bären gejagt und bin dem Nilpferd nachgeschwommen; der Elefant hat meinen Schuss gehört und meine Kugel hat den Löwen, den ,Herdenwürgenden` getroffen. Danke Allah, dass du noch lebst, und bitte Gott, dass er dein Herz bezwinge. Du kannst es nicht, denn du bist zu schwach dazu und wirst doch sterben, wenn es nicht sofort geschieht!"
Das war eine neue Beleidigung, eine schwerere als die andere, und mit einem zuckenden Sprung wollte er mich fassen, fuhr aber sofort zurück, denn jetzt blitzte auch in meiner Hand die Waffe, die man in jenen Ländern niemals weglegen darf.
Wir standen einander allein gegenüber, denn er hatte sofort nach der Darreichung des Kaffees und der Pfeifen die Dienerschaft hinausgewinkt, damit sie nichts von unserer Unterhaltung vernahm.
Mit meinem wackeren Halef hatte ich nicht den mindesten Grund, mich vor den Bewohnern des alten Hauses zu fürchten; nötigenfalls hätten wir beide die wenigen hier wohnenden Männer zusammengeschossen; aber ich ahnte zu viel von dem Schicksal der Kranken, für die ich mich lebhaft zu interessieren begann; ich musste sie sehen und womöglich einige Worte mit ihr sprechen.
„Du willst schießen?", fragte er wütend, auf meinen Revolver deutend. ja.«
„Hier in meinem Haus?"
„Allerdings, wenn ich gezwungen werde, mich zu verteidigen."
„Hund, es ist wahr, was ich gleich vorhin dachte, als du eintratest!"
„Was ist wahr, Abrahim Mamur?"
„Dass ich dich bereits einmal gesehen habe."
„Wo?"
„Ich weiß es nicht."
„Wann?"
„Auch das weiß ich nicht; aber das ist sicher, dass es nicht im Guten war."
„Gerade wie heute, denn es sollte mich wundern, wenn diese Zusammenkunft gut enden würde. Du hast mich ‚Hund' genannt und ich sage dir, dass dir, sobald du dieses Wort noch einmal sagst, meine Kugel im Gehirn sitzen wird. Beachte das wohl, Abrahim Mamur!"
„Ich werde meine Diener rufen!"
„Rufe sie, wenn du ihre Leichen sehen willst, um dich dann tot neben sie zu legen." „Oho, du bist kein Gott!"
„Aber ein Nemsi. Hast du schon einmal die Hand eines Nemsi gefühlt?" Er lächelte verächtlich.
„Nimm dich in Acht, dass du sie nicht einmal zu fühlen bekommst! Sie ist nicht in Rosenöl gebadet wie die deinige. Aber ich will dir den Frieden deines Hauses lassen. Lebe wohl. Du willst es nicht, dass ich den Tod bezwinge; dein Wunsch mag sich erfüllen; rabbena chaliek - der Herr erhalte dich!"
Ich steckte den Revolver ein und schritt zur Tür.
„Bleib!", rief er.
Ich ging dennoch weiter.
„Bleib!", rief er gebieterischer.
Ich hatte beinahe die Tür erreicht und kehrte nicht um.
„So stirb, Giaur!"
Im Nu drehte ich mich um und hatte gerade noch Zeit, zur Seite auszuweichen. Sein Dolch flog an mir vorüber und tief in das Getäfel der Wand.
„Jetzt bist du mein, Bube!"
Mit diesen Worten sprang ich auf ihn zu, fasste ihn, riss ihn empor und schleuderte ihn gegen die Wand.
Er blieb einige Sekunden liegen und raffte sich dann wieder empor. Seine Augen waren weit geöffnet, die Adern seiner Stirn zum Bersten geschwollen und seine Lippen blau vor Wut, aber ich hielt ihm den Revolver entgegen und er blieb eingeschüchtert vor mir halten.
„Jetzt hast du die Hand eines Nemsi kennengelernt. Wage es nicht wieder, sie zu reizen!"
„Mensch!"
„Feigling! Wie nennt man das, wenn einer einen Arzt um Hilfe bittet, ihn mit Worten beschimpft und dann gar hinterrücks ermorden will? Der Glaube, der solche Bekenner hat, kann nicht viel taugen!"
„Zauberer!"
„Warum?"
„Wenn du keiner wärst, hätte dich ganz sicher mein Dolch getroffen und du hättest nicht die Kraft gehabt, mich empor zu werfen!"
„Nun wohl! Bin ich ein Zauberer, so hätte ich dir auch Güsela, dein Weib, erhalten können."
Ich sprach den Namen mit Vorbedacht aus. Es hatte Wirkung.
„Wer hat dir diesen Namen genannt?"
„Dein Bote."
„Ein Ungläubiger darf nicht den Namen einer Gläubigen aussprechen!"
„Ich spreche nur den Namen eines Weibes aus, das bereits morgen tot sein kann." Wieder blickte er mich mit seiner eisigen Starrheit an, dann aber schlug er die
Hände vors Gesicht.
„Ist es wahr, Hekim, dass sie bereits morgen tot sein kann?"
„Es ist wahr."
„Kann sie nicht gerettet werden?"
„Vielleicht."
„Sage nicht vielleicht, sondern sage gewiss! Bist du bereit, mir zu helfen? Wenn sie gesund wird, so fordere, was du willst."
„Ich bin bereit."
„So gib mir deinen Talisman oder deine Medizin."
„Ich habe keinen Talisman und Medizin kann ich dir jetzt nicht geben." „Warum nicht?"
„Der Arzt kann nur dann einen Kranken heilen, wenn er ihn sehen kann. Komm, lass uns zu ihr gehen oder lass sie zu uns kommen!"
Er fuhr zurück, wie von einem Stoß getroffen.
„Bist du toll? Der Geist der Wüste hat dein Hirn verbrannt, dass du nicht weißt, was du forderst. Das Weib muss ja sterben, auf dem das Auge eines fremden Mannes ruhte!"
„Sie wird noch sicherer sterben, wenn ich nicht zu ihr darf. Ich muss den Schlag ihres Pulses messen und Antwort von ihr hören über vieles, was ihre Krankheit betrifft. Nur Gott ist allwissend und braucht niemand zu fragen."
„Du heilst wirklich nicht durch Talisman?"
„Nein."
„Auch nicht durch Worte?"
„Nein."
„Oder durch das Gebet?"
„Ich bete auch für die Leidenden; aber Gott hat uns die Mittel, sie gesund zu machen, bereits in die Hand gelegt."
„Welche Mittel sind es?"
„Es sind Blumen, Metalle und Erden, deren Säfte und Kräfte wir ausziehen." „Es sind keine Gifte?"
„Ich vergifte keinen Kranken."
„Kannst du das beschwören?"
„Vor jedem Richter."
„Und du musst mit ihr sprechen?"
„Ja."
„Was?"
„Ich muss sie nach ihrer Krankheit fragen und nach allem, was damit zusammenhängt."
„Nach andern Dingen nicht?"
„Nein."
„Du wirst mir jede Frage vorher sagen, damit ich sie dir erlaube?"
„Ich bin es zufrieden."
„Und du musst auch ihre Hand betasten?"
„Ja."
„Ich erlaube es dir auf eine ganze Minute. Musst du ihr Angesicht sehen?"
„Nein, sie kann ganz verschleiert bleiben. Aber sie muss mehrmals im Zimmer auf und ab gehen."
„Warum?"
„Weil am Gang oder an der Haltung vieles zu erkennen ist, was die Krankheit betrifft."
„Ich erlaube es dir und werde die Kranke jetzt herbeiholen."
„Das darf nicht sein."
„Warum nicht?"
„Ich muss sie da sehen, wo sie wohnt; ich muss alle ihre Zimmer betrachten." „Aus welchem Grund?"
„Weil es viele Krankheiten gibt, die nur in unpassenden Wohnungen entstehen, und das kann nur das Auge des Arztes bemerken."
„So willst du wirklich meinen Harem' betreten?"
„Ja."
„Ein Ungläubiger?"
„Ein Christ."
„Ich erlaube es nicht."
„So mag sie sterben. Allah jekun ma'ak - Gott behüte dich!"
Ich wandte mich zum Gehen. Obgleich ich bereits aus der Aufzählung der Symptome gemerkt hatte, dass Güsela an einer hochgradigen Gemütskrankheit litt, tat ich doch, als glaubte ich an eine bloß körperliche Erkrankung; denn gerade wie ich vermutete, dass ihr Leiden die Folge eines Zwanges sei, der sie in die Gewalt dieses Mannes gebracht hatte, wollte ich mich so weit wie möglich über alles aufklären. Er ließ mich wieder bis zur Tür gehen, dann aber rief er:
„Halt, Hekim, bleib da. Du sollst die Gemächer betreten!"
Ich wandte mich um und schritt, ohne ihn meine Genugtuung merken zu lassen, wieder auf ihn zu. Ich hatte gesiegt und war außerordentlich zufrieden mit den Zugeständnissen, die er mir gemacht hatte. Die Liebe des Ägypters und seine Sorge mussten sehr ungewöhnlich sein, dass er sich zu solchen Zugeständnissen verstand. Freilich konnte ich die ingrimmige Erbitterung gegen mich aus jeder seiner Mienen lesen, denn ihm war ich ein unausweisbarer Eindringling in die Mysterien seiner inneren Häuslichkeit, und ich hegte die Überzeugung, dass ich ihn auch selbst im Fall einer glücklichen Heilung der kranken Frau als unversöhnlichen Feind zurücklassen würde, zumal er ganz wie ich die Überzeugung hatte, dass wir uns bereits einmal unter unfreundlichen Umständen begegnet waren.
Jetzt entfernte er sich, um alles Nötige in eigener Person anzuordnen, denn keiner seiner Diener durfte ahnen, dass er einem fremden Mann Zutritt in das Heiligtum seines Hauses gestattete.
Er kehrte erst nach einer langen Weile zurück. Es lag ein Ausdruck fester, trotziger Entschlossenheit um seinen zusammengekniffenen Mund, und mit einem Blick voll hervorbrechenden Hasses erklärte er:
„Du sollst zu ihr gehen..."
„Du versprachst es bereits."
„Und ihre Zimmer sehen..."
„Natürlich."
„Auch sie selbst..."
„Verschleiert und eingehüllt."
„Und mir ihr sprechen."
„Das ist notwendig."
„Ich erlaube dir viel, unendlich viel, Effendi. Aber bei der Seligkeit aller Himmel und bei den Qualen aller Höllen, sobald du ein Wort sprichst, das ich nicht wünsche, oder das Geringste tust, was dir nicht von mir erlaubt wurde, stoße ich sie nieder. Du bist stark und wohlbewaffnet, darum wird mein Dolch nicht gegen dich, sondern gegen sie gerichtet sein. Ich schwöre es dir bei allen Suwar' des Koran und bei allen Kalifen, deren Andenken Allah segnen möge!"
Er hatte mich also doch kennengelernt und dachte sich, dass ihm diese Versicherung mehr nützen würde, als prahlerische Drohungen, wenn sie gegen mich selbst gerichtet gewesen wären. Übrigens war es mir ja gar nicht in den Sinn gekommen, ihn in seinen Rechten zu kränken; nur konnte ich mich bei seinem Verhalten je länger, desto weniger einer Ahnung erwehren, dass in seinem Verhältnis zu der Kranken irgendein dunkler Punkt zu finden sei.
„Ist es Zeit?", fragte ich.
„Komm!"
Er schritt voran und ich folgte ihm.
Zunächst kamen wir durch einige fast in Trümmern liegende Räume, in denen allerlei nächtliches Getier sein Wesen treiben mochte; dann betraten wir ein Gemach, das als Vorzimmer zu dienen schien, und nun folgte der Raum, der allem Anschein nach als eigentliches Frauengemach benutzt wurde. Alle umherliegenden Kleinigkeiten waren solche, wie sie von Frauen gesucht und gern benutzt werden.
»Das sind die Zimmer, die du sehen wolltest. Sieh, ob du den Dämon der Krankheit in ihnen zu finden vermagst!", meinte Abraham Mamur mit einem halb spöttischen Lächeln.
„Und das Gemach nebenan?"
„Die Kranke befindet sich darin. Du sollst es auch sehen, aber ich muss mich vorher überzeugen, ob die Sonne ihr Angesicht verhüllt hat vor dem Auge des Fremden. Wage ja nicht, mir nachzufolgen, sondern warte ruhig, bis ich wiederkomme!"
Er trat hinaus und ich war allein.
Also da draußen befand sich Güsela. Dieser Name bedeutet wörtlich ,die Schöne'. Dieser Umstand und das ganze Verhalten des Ägypters brachte meine frühere Vermutung, dass es sich um eine ältere Person handle, ins Wanken.
Ich ließ mein Auge durch den Raum schweifen. Es war hier ganz dieselbe Einrichtung getroffen wie im Zimmer des Hausherrn:
Das Geländer, der Diwan, die Nische mit den Kühlgefäßen.
Nach kurzer Zeit erschien Abrahim wieder.
„Hast du die Räume geprüft?", fragte er mich.
„Ja."
„Nun?"
„Es lässt sich nichts sagen, bis ich bei der Kranken gewesen bin."
„So komm, Effendi. Aber lass dich noch einmal warnen!"
„Schon gut! Ich weiß ganz genau, was ich zu tun habe."
Wir traten in das andere Gemach. In weite Gewänder gehüllt, stand eine Frauengestalt tiefverschleiert an der hinteren Wand des Zimmers. Nichts war von ihr zu sehen, als die kleinen, in Samtpantoffeln steckenden Füße.
Ich begann meine Fragen, deren Enthaltsamkeit den Ägypter vollständig befriedigte, ließ sie eine kleine Bewegung machen und bat sie endlich, mir die Hand zu reichen. Fast wäre ich trotz der ernsten Situation in eine laute Heiterkeit ausgebrochen. Die Hand war nämlich so vollständig in ein dickes Tuch gebunden, dass es ganz und gar unmöglich war, auch nur die Lage oder Form eines Fingers zu erkennen. Sogar der Arm war in derselben Weise verhüllt.
Ich wandte mich zu Abrahim.
„Die Bandagen müssen entfernt werden."
„Warum?"
„Ich kann den Puls nicht fühlen."
„Entferne die Tücher!", gebot er ihr.
Sie zog den Arm hinter die Hüllen zurück und ließ dann ein zartes Händchen erscheinen, an dessen Goldfinger ich einen sehr schmalen Reifen erblickte, der eine Perle trug. Abrahim beobachtete meine Bewegungen mit gespannter Aufmerksamkeit. Während ich meine Finger an ihr Handgelenk legte, neigte ich mein Ohr tiefer, wie um den Puls nicht bloß zu fühlen, sondern auch zu hören, und - täuschte ich mich nicht - da wehte es leise, leise, fast unhörbar durch den Schleier:
„Senitzaji kurtar - rette Senitza!"
„Bist du fertig!", fragte jetzt Abrahim und trat rasch näher.
„Ja."
„Was fehlt ihr?"
„Sie hat ein großes, ein tiefes Leiden, das größte, das es gibt, aber - ich werde sie retten!"
Diese letzten vier Worte richtete ich mit langsamer Betonung mehr an sie als an ihn.
„Wie heißt das Übel?"
„Es hat einen fremden Namen, den nur die Ärzte verstehen."
„Wie lange dauert es, bis sie gesund wird?"
„Das kann bald, aber auch sehr spät geschehen, je nachdem ihr mir gehorsam seid." „Worin soll ich dir gehorchen?"
„Du musst ihr meine Medizin regelmäßig verabreichen."
„Das werde ich tun."
„Sie muss einsam bleiben und vor allem Ärger behütet werden."
„Das soll geschehen."
„Ich muss täglich mit ihr sprechen dürfen."
„Du? Weshalb?"
„Um meine Mittel nach dem Befinden der Kranken einrichten zu können." „Ich werde dir dann selbst sagen, wie sie sich befindet."
„Das kannst du nicht, weil du das Befinden eines Kranken nicht zu beurteilen vermagst."
„Was hast du denn mit ihr zu sprechen?"
„Nur das, was du mir erlaubst."
„Und wo soll es geschehen?"
„Hier in diesem Raum, gerade wie heute."
„Sag genau, wie lange du kommen musst!"
„Wenn ihr mir gehorcht, so ist sie von heute an in fünf Tagen von ihrer Krankheit frei."
„So gib ihr die Medizin."
„Ich habe sie nicht hier, sie befindet sich unten im Hof bei meinem Diener." „So komm!"
Ich wandte mich gegen sie, um mit dieser Bewegung einen stummen Abschied von ihr zu nehmen. Sie hob unter der Hülle die Hände wie bittend empor und wagte die drei Silben:
„Eww' Allah - mit Gott!"
Sofort fuhr er herum:
„Schweig! Du hast nur zu sprechen, wenn du gefragt wirst!"
„Abrahim Mamur", antwortete ich sehr ernst, „habe ich dir nicht gesagt, dass sie vor jedem Ärger, vor jedem Kummer bewahrt werden muss? So spricht man nicht zu einer Kranken, in deren Nähe der Tod schon steht!"
„So mag sie zunächst selbst dafür sorgen, dass sie sich nicht zu kränken braucht. Sie weiß, dass sie nicht sprechen soll. Komm!"
Wir kehrten in das Sselamlyk zurück, wo ich nach Halef schickte, der alsbald mit der Apotheke erschien. Ich gab Ignatia' nebst den nötigen Vorschriften und machte mich dann zum Gehen bereit.
„Wann wirst du morgen kommen?"
„Um dieselbe Stunde."
„Ich werde dir wieder einen Kahn senden. Wie viel verlangst du für heute?" „Nichts. Wenn die Kranke gesund ist, magst du mir geben, was dir beliebt." Er griff dennoch in die Tasche, zog eine reich gestickte Börse hervor, nahm einige
Stücke und reichte sie Halef hin.
„Hier, nimm du!"
Der wackere Halef Agha griff mit einer Miene zu, als handle es sich um eine große Gnadenbezeugung gegen den Ägypter, und meinte, das Bakschisch ungesehen in die Tasche senkend:
„Abrahim Mamur, deine Hand ist offen und die meine auch. Ich schließe sie gegen dich nicht zu, weil der Prophet sagt, dass eine offene Hand die erste Stufe zum Aufenthalt der Seligen sei. Allah sei mit dir und auch mit mir!"
Wir gingen, von dem Ägypter bis in den Garten begleitet, wo uns ein Diener die Tür in der Mauer öffnete. Als wir allein waren, griff Halef in die Tasche, um zu sehen, was er erhalten hatte.
„Drei Goldzechinen', Sihdi! Der Prophet segne Abrahim Mamur und lasse sein Weib so lange wie möglich krank bleiben!"
„Hadschi Halef Omar!"
„Sihdi! Willst du mir nicht einige Zechinen gönnen?"
„Doch; noch mehr aber ist einem Kranken die Gesundheit zu gönnen." „Wie oft gehst du noch, bis sie gesund wird?"
„Noch fünfmal vielleicht."
„Fünfmal drei macht fünfzehn Zechinen; wenn sie gesund wird, vielleicht noch fünfzehn Zechinen, macht dreißig Zechinen. Ich werde forschen, ob es hier am Nil noch mehr kranke Frauen gibt."
...
Genehmigte Sonderausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Originalausgabe © 2012 Karl-May-Verlag GmbH, Bamberg
Karl May (1842-1912) ist nicht nur der meistgelesene deutschsprachige Schriftsteller, sondern hat auch die Vorstellungen ganzer Generationen vom Leben und Schicksal der Indianer und von jenen Weltgegenden, die wir summarisch ,den Orient' nennen, entscheidend und bis heute anhaltend geprägt. Das ungewöhnlich große Interesse und die Sympathie, die die amerikanischen Ureinwohner gerade in Deutschland genießen - nicht zuletzt ein Verdienst Karl Mays. Aber Karl May ist noch viel mehr als der Vater von Old Shatterhand und Winnetou, Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar. Zu seinem Werk gehören weitere Abenteuer aus aller Herren Länder genauso wie historische Erzählungen, humoristische und kriminalistische Geschichten aus der sächsischen Heimat, Gedichte, die symbolischen Erzählungen des Spätwerks und aufschlussreiche autobiografische Schilderungen und Lebenserinnerungen.
Einen Überblick über diese Vielfalt will das vorliegende Lesebuch bieten und damit zum Entdecken der vielen Facetten Karl Mays einladen. Wie jede Auswahl muss es sich beschränken und kann nicht alle Seiten des Gesamtwerks beinhalten, doch denken wir, einen repräsentativen Querschnitt durch Mays schier unerschöpfliche Räume der Fantasie zu bieten.
In der allgemeinen Bekanntheit liegen die Geschichten um Winnetou sicher noch ein kleines Stück vor den Orienterzählungen. Dabei hat May den morgenländischen Schauplätzen im Gesamtwerk sogar mehr Platz eingeräumt als den Prärien und Felsengebirgen Nordamerikas. Unsere Rundreise durch den Mayschen Kosmos beginnt daher auch mit einem der ersten Abenteuer des kleinen Halef und seines ,Sihdi` Kara Ben Nemsi.
In Abrahim Mamurs Gewalt führt uns nach Ägypten, an die Ufer des Nils. Die Erstfassung dieser in sich abgeschlossenen Episode entstand 1881 für die Zeitschrift Deutscher Hausschatz, 1892 ging sie in Durch die Wüste, Band 1 der Gesammelten Reiseerzählungen ein, jener zu Mays Lebzeiten 33-bändigen Reihe, die den Grundstock der heutigen Gesammelten Werke bildet.
Die darauf folgende, in Missouri spielende Geschichte vom Prayer-man ist ein Auszug aus der 1897 verfassten Reiseerzählung Weihnacht (Band 24), für viele Freunde und Kenner eines der besten Wildwestabenteuer Mays überhaupt.
Mit Mein Rih geht es wieder in orientalische Gefilde, in die Berge Kurdistans. Dieses letzte Kapitel von Band 6, Der Schut, hat May 1892 eigens für die Buchausgabe geschrieben.
Die Söhne des Upsaroka ist eine eigenständige kleinere Indianer-Geschichte mit Winnetou und Old Shatterhand aus dem Jahre 1898, die heute im Band 48, Das Zauberwasser, zusammen mit anderen kürzeren Geschichten aus aller Welt enthalten ist. Sie spielt in und um die Black Hills in Montana.
Südamerika hat May nur dreimal in seinem Schaffen als Schauplatz gewählt: neben der Jugenderzählung Das Vermächtnis des Inka (Band 39) im zweiteiligen Abenteuer Am Rio de la Plata I In den Kordilleren (Bände 12 /13) und 1894 in der hier vorliegenden Geschichte Auferstehung aus Band 48.
Doch nicht immer schweifte der Autor in die Ferne. In der frühen Schaffenszeit entstanden etliche Dorfgeschichten, Humoresken und historische Novellen aus seinem engeren und weiteren heimatlichen Umfeld. Fürst Leopold I. von Anhalt-Dessau
(volkstümlich der ,Alte Dessauer` genannt) hat May mehrere, meist komödiantisch angelegte, Prosastückchen gewidmet, so auch Seelenverkäufer von 1876. Band 42, der u. a. diese Geschichte enthält, trägt daher auch den Titel Der alte Dessauer.
Eine der frühesten literarischen Arbeiten Mays im vorliegenden Lesebuch ist die erzgebirgische Dorfgeschichte Der Samiel aus dem Jahre 1877. Als Faksimile des Erstdrucks findet sich dieses kleinen Melodram um verschmähte und belohnte Liebe und um einen unheimlichen Wildschützen in Band 43, Aus dunklem Tann.
Weit zurück in der Geschichte, nämlich ins frühe 15. Jahrhundert, griff der Erzähler bereits 1876/77 in dem ursprünglich als Der beiden Quitzows letzte Fahrten erschienenen Historienroman um den Konflikt zwischen Markgraf Friedrich von Hohenzollern und den brandenburgischen Adelsgeschlechtern unter Führung der Ritter von Quitzow. Da nicht alle Teile dieses Romans von May stammen, enthält Band 69 unter dem Titel Ritter und Rebellen nur die von ihm verfassten Abschnitte, darunter die völlig in sich geschlossene Episode Der Falkenmeister.
Die Geschehnisse um Die Rache des Ehri hat May mehrfach überarbeitet und in teilweise deutlich voneinander abweichenden Versionen veröffentlicht. Wir haben diejenige Fassung des Südsee-Abenteuers ausgewählt, die sich seit 1894 im Band 11, Am Stillen Ozean, befindet.
Von subtropischen, sonnendurchflutenden Gestaden springen wir nun in den hohen Norden, ins tief vereiste und verschneite Lappland. Auch in dieser unwirtlichen Gegend finden Mays Helden im 1883 geschriebenen Der Talisman (heute in Band 23 Auf fremden Pfaden) Gelegenheit ihre Kenntnisse und Fähigkeiten unter Beweis zu stellen.
Mit einer kleinen Auswahl spaßiger Ereignisse aus den Bänden 35 Unter Geiern und 37 Der Ölprinz geht es in Der Bär, der Skunk und die Senfindianer noch einmal in den Wilden Westen.
Heiter bleibt es auch bei den Erlebnissen von Halef im Taubenschlag aus Band 4 In den Schluchten des Balkan (erstmals 1886 im Deutschen Hausschatz erschienen).
Unsere Blütenlese ist nun bei Mays Spätwerk angelangt. In Das versteinerte Gebet aus dem gleichnamigen Band 29 (erstmals erschienen 1903 als Im Reiche des silbernen Löwen IV) lässt der Autor sein literarisches Ich Kara Ben Nemsi einen seltsamen spukhaften Traum erleben und erweist sich hiermit auch im unheimlich-fantastischen Genre, dem er sich nur selten zugewandt hat, als Meister.
Mit einem - eher augenzwinkernden - autobiografischen Text, Freuden und Leiden eines Vielgelesenen von 1896 (aus Band 79, Old Shatterhand in der Heimat), schließt unser Lesebuch. Man merkt hier deutlich, wie viel Spaß es Karl May bereitet hat, seine Leser mit einigen Scherzen und Übertreibungen etwas an der Nase herumzuführen und sich - nicht zuletzt - auch ein wenig über sich selbst lustig zu machen.
Wenn Sie nach Lektüre dieses Bandes mehr von Karl May haben wollen, ist unser Ziel erreicht, denn dann hat der ,Mayster` Ihnen schöne Lesestunden bereitet.
In Abrahim Mamurs Gewalt
Es war um die Zeit, in der die ägyptische Sonne ihre Strahlen mit gesteigerter Glut auf die Erde sendet und ein jeder, den nicht die Not hinaus unter den freien Himmel treibt, sich unter den Schutz seines Daches zurückzieht und nach Ruhe und Kühlung strebt. Auch ich lag auf dem weichen Diwan meiner gemieteten Wohnung, schlürfte kräftigen Mokka und schwelgte im Duft des würzigen Dschebeli', der meiner Pfeife entströmte. Die starken, nach außen fensterlosen Mauern boten dem Sonnenbrand Einhalt und die aufgestellten porösen Tongefäße, durch deren Wände das Nilwasser verdunstete, machten die Atmosphäre so erträglich, dass ich von der während der Mittagszeit hier so gewöhnlichen Abspannung des Menschen wenig oder gar nichts bemerkte. Da erhob sich draußen die scheltende Stimme meines Dieners Halef Agha.
Halef Agha? Ja, mein guter, kleiner Halef war ein Agha, ein Herr geworden; und wer hatte ihn dazu gemacht? Spaßhafte Frage! Wer denn anders als er selbst!
Wir waren über Tripolis und Kufarah nach Ägypten gekommen, hatten Kairo besucht, das der Ägypter schlechtweg ,die Hauptstadt' oder noch lieber el Kahira, die Siegreiche, nennt, waren den Nil, so weit es mir meine beschränkten Mittel erlaubten, hinaufgefahren und hatten uns dann zum Ausruhen die Wohnung genommen, in der ich mich ganz wohl befunden hätte, wenn nicht mein sonst ganz prächtiger Diwan und alle Teppiche sehr dicht von jenen springfertigen, stechkundigen Geschöpfen heimgesucht worden wären, von denen der alte, gute Fischart dichtete:
„Mich bizt neizwaz, waz mag daz sein?"
und von denen man außer dem großäugigen Pulex xanis und dem rötlichen Pulex musculi noch den allbeliebten Pulex irritans und den wütenden Pulex penetrans kennengelernt hat. Leider muss ich sagen, dass Ägypten nicht das Jagdgefilde des ,irritans`, sondern des ,penetrans`, also nicht des ‚reizenden', sondern des ‚durchdringenden' Pulex ist, und so brauche ich wohl nicht hinzuzufügen, dass mein Kef nicht ganz ohne alle Belästigung geblieben war.
Also draußen erhob sich die scheltende Stimme meines Dieners Halef Agha, die mich aus meinen Träumen weckte:
„Was? Wie? Wen?"
„Den Effendi", antwortete es schüchtern.
„Den Effendi, den großen Herrn und Meister, willst du stören?"
„Ich muss ihn sprechen."
„Was? Du musst? Jetzt, in seinem Kef? Hat dir der Teufel - Allah beschütze mich vor ihm! - den Kopf mit Nilschlamm gefüllt, dass du nicht begreifen kannst, was ein Effendi, ein Hekim2, zu bedeuten hat, ein Mann, den der Prophet mit Weisheit speist, sodass er alles kann, sogar die Toten lebendig machen, wenn sie ihm nur sagen, woran sie gestorben sind!"
Ach ja, ich muss es eingestehen, dass mein Halef hier in Ägypten sehr, sehr anders geworden war! Er war jetzt außerordentlich stolz, unendlich grob und heillos aufschneiderisch geworden und das will im Orient viel sagen.
Im Morgenland wird jeder Deutsche für einen großen Gärtner und jeder Ausländer für einen guten Schützen oder für einen großen Arzt gehalten'. Nun war mir unglücklicherweise in Kairo eine alte, nur noch halb gefüllte homöopathische Apotheke von Willmar Schwabe in die Hand gekommen; ich hatte hier und da bei einem Fremden oder Bekannten fünf Körnchen in dreißigfacher Verdünnung versucht, dann während der Nilfahrt meinen Schiffern gegen alle möglichen eingebildeten Leiden eine Messerspitze Milchzucker gegeben und war mit ungeheurer Schnelligkeit in den Ruf eines Arztes gekommen, der mit dem Schejtan im Bunde stehe, weil er mit drei Körnchen Durrha-Hirse Tote lebendig machen könne.
Dieser Ruf hatte im Kopf meines Halef eine gelinde Art von Größenwahn erweckt, der ihn aber glücklicherweise nicht hinderte, mir der treueste und aufmerksamste Diener zu sein. Dass er am meisten beitrug, meinen Ruhm zu verbreiten, das versteht sich von selbst; er war ganz und gar in das schmachvolle Laster des weiland Barons von Münchhausen verfallen und versuchte nebenbei, durch eine Grobheit zu glänzen, die klassisch zu werden drohte.
So hatte er sich, unter anderem, von seinem geringen Lohn eine Peitsche aus Nilpferdhaut gekauft, ohne die er gar nicht zu sehen war. Er kannte Ägypten von früher her und behauptete, dass ohne Peitsche da gar nicht auszukommen sei, weil sie größere Wunder tue als Höflichkeit und Geld, von welch Letzterem mir allerdings kein großer Überfluss zur Verfügung stand.
„Gott erhalte deine Rede, Sihdi", hörte ich die bittende Stimme wieder, „aber ich muss deinen Effendi, den großen Arzt aus Franghistan, wirklich sehen und sprechen." „Jetzt nicht."
„Es ist sehr notwendig, sonst hätte mich mein Herr nicht gesandt."
„Wer ist dein Herr?"
„Es ist der reiche und mächtige Abrahim Mamur, dem Allah tausend Jahre schenken möge."
„Abrahim Mamur? Wer ist denn dieser Abrahim Mamur und wie hieß sein Vater? Wer war der Vater seines Vaters und der Vater seines Vatervaters? Wem wurde er geboren und wo leben die, denen er seinen Namen verdankt?"
„Das weiß ich nicht, Sihdi, aber er ist ein mächtiger Herr, wie ja schon sein Name sagt."
„Sein Name? Was meinst du?"
„Abrahim Mamur. Mamur heißt Beamter und ich sage dir, dass er Vorsteher eines Provinzbezirkes gewesen ist."
„Gewesen? Er ist es also nicht mehr?"
„Nein."
„Das dachte ich mir. Niemand kennt ihn, selbst ich, Halef Agha, der tapfere Freund und Beschützer meines Gebieters, habe noch nie von ihm gehört und noch nie die Spitze seines Tarbusch gesehen. Geh fort, mein Herr hat keine Zeit."
„So sage mir, Sihdi, was ich tun muss, um zu ihm zu kommen!"
„Kennst du nicht das Wort von dem silbernen Schlüssel, der die Stätten der Weisheit erschließt?"
„Ich habe diesen Schlüssel bei mir."
„So schließe auf."
Ich horchte gespannt und vernahm das leise Klimpern von Geldstücken.
„Ein Piaster?' Mann, ich sage dir, dass das Loch im Schloss größer ist als dein Schlüssel; er passt nicht, denn er ist zu klein."
„So muss ich ihn vergrößern."
Wieder klangen draußen kleine Silberstücke. Ich wusste nicht, sollte ich lachen oder mich ärgern? Dieser Halef Agha war ja ein ganz außerordentlich geriebener Pförtner geworden!
„Drei Piaster? Gut, so kann man wenigstens fragen, was du bei dem Effendi auszurichten hast."
„Er soll kommen und seine Zaubermedizin mitbringen."
„Mensch, was fällt dir ein! Für drei Piaster soll ich ihn verleiten, diese Medizin wegzugeben, die ihm in der ersten Nacht jedes Neumondes von einer weißen Fee gebracht wird?"
„Ist dies wahr?"
„Ich, Hadschi Halef Omar Agha Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah, sage es. Ich habe sie selbst gesehen, und wenn du es nicht glaubst, so wirst du hier diese Kurbatsch, meine Nilpferdpeitsche, zu kosten bekommen!"
„Ich glaube es, Sihdi..."
„Das ist dein Glück!"
„...und werde dir noch zwei Piaster geben."
„Gib sie her! Wer ist denn krank im Hause deines Herrn?"
„Das ist ein Geheimnis, das nur der Effendi erfahren darf."
„Nur der Effendi? Schurke, bin ich nicht auch ein Effendi, der die Fee gesehen hat! Geh nach Hause, Halef Agha lässt sich nicht beleidigen!"
„Verzeihe, Effendi, ich werde es dir sagen!"
„Ich mag es nun nicht wissen. Pack dich von dannen!"
„Aber ich bitte dich..."
„Pack dich!"
„Soll ich dir noch einen Piaster geben?"
„Ich nehme nicht einen mehr!"
„Effendi!"
„Sondern zwei!"
„0 Effendi, deine Stirn leuchtet vor Güte. Hier hast du die zwei Piaster." „Schön! Also wer ist krank?"
„Das Weib meines Herrn."
„Das Weib deines Herrn?", fragte Halef verwundert. „Welche Frau?"
„Er hat nur diese eine."
„Und soll Mamur gewesen sein?"
„Er ist so reich, dass er hundert Frauen haben könnte, aber er liebt nur diese." „Was fehlt ihr?"
„Niemand weiß es, aber ihr Leib ist krank und ihre Seele ist noch kränker."
„Allah kerim - Gott ist gnädig, aber ich nicht. Ich stehe da, mit der Kurbatsch in der Hand, und möchte sie dir auf den Rücken geben. Beim Bart des Propheten, dein Mund spricht eine solche Weisheit, als wäre dir der Verstand ins Wasser gefallen! Weißt du nicht, dass ein Weib gar keine Seele hat und deshalb auch nicht in den Himmel darf? Wie also kann die Seele eines Weibes krank sein und gar noch kränker als ihr Leib?"
„Ich weiß es nicht, aber so wurde mir gesagt. Lass mich hinein zu dem Effendi!" „Ich darf es nicht tun."
„Warum nicht?"
„Mein Herr verachtet die Frauen. Die schönste Perle der Weiber ist ihm wie der Skorpion im Sand und seine Hand hat noch nie das Gewand einer Frau berührt. Er darf kein irdisches Weib lieben, sonst würde die Fee nie wiederkommen."
Ich musste das Talent Halefs von Minute zu Minute mehr anerkennen, fühlte aber trotzdem große Lust, ihn seine eigene Nilpferdpeitsche schmecken zu lassen. Jetzt ertönte die Antwort:
„Du musst wissen, Sihdi, dass er ihr Gewand nicht berühren und ihre Gestalt nicht sehen wird. Er darf nur durch das Gitter mit ihr sprechen."
„Ich bewundere die Klugheit deiner Worte und die Weisheit deiner Rede, Mann. Merkst du denn nicht, dass er gerade durch das Gitter nicht mit ihr sprechen darf?" „Warum?"
„Weil die Gesundheit, die der Effendi spenden soll, gar nicht zu dem Weib käme, sondern am Gitter hängen bleiben würde. Geh fort!"
„Ich darf nicht gehen, denn ich werde hundert Schläge auf die Sohlen bekommen, wenn ich den weisen Effendi nicht bringe."
„Danke deinem gütigen Herrn, du Sklave eines Ägypters, dass er deine Füße mit Gnade erleuchtet. Ich will dich nicht um dein Glück betrügen. Es selam 'alejkum, Allah sei bei dir und lasse dir die Hundert gut bekommen!"
„So lass dir noch eins sagen, tapferer Agha. Der Herr unseres Hauses hat mehr Beutel in seiner Schatzkammer, als du jemals zählen kannst. Er hat mir befohlen, dass du auch mitkommen sollst, und du wirst ein Bakschisch erhalten, ein Geschenk, wie es selbst der Khedive von Ägypten nicht reicher geben würde."
Jetzt endlich wurde der Mann klug und fasste meinen Halef etwas kräftiger bei dem Punkt, an dem man jeden Orientalen zu packen hat, wenn man ihn günstig stimmen will. Der kleine Haushofmeister änderte auch sofort seinen Ton und antwortete mit hörbar freundlicherer Stimme:
„Allah segne deinen Mund, mein Freund! Aber ein Piaster in meiner Hand ist mir lieber als zehnt Beutel in einer anderen. Die deinige aber ist so mager wie der Schakal in der Schlinge oder wie die Wüste der Bischarin."
„Lass den Rat deines Herzens nicht zögern, mein Bruder!"
„Dein Bruder? Mensch, bedenke, dass du ein Sklave bist, während ich als freier Mann meinen Effendi begleite und beschütze! Der Rat meines Herzens bleibt zurück. Wie kann das Feld Früchte bringen, wenn so wenig Tropfen Tau vom Himmel fallen!"
„Hier hast du noch drei Tropfen!"
„Noch drei? So will ich sehen, ob ich den Effendi stören darf, wenn dein Herr wirklich ein solches Bakschisch gibt."
„Er gibt es."
„So warte!"
Jetzt endlich also glaubte er, mich ‚stören zu dürfen', der schlaue Fuchs! Übrigens handelte er nach der allgemeinen Unsitte, sodass er einigermaßen zu entschuldigen war, zumal das Wenige, was er für seine Dienste von mir forderte, kaum der Rede wert war.
Was mich aber bei der ganzen Angelegenheit mit Verwunderung erfüllte, war der Umstand, dass ich nicht zu einem männlichen, sondern zu einem weiblichen Patienten verlangt wurde. Da aber, abgesehen von den wandernden Nomadenstämmen, der Moslem die Bewohnerinnen seiner Frauengemächer niemals den Augen eines Fremden freigibt, so handelte es sich hier jedenfalls um ein nicht mehr junges Weib, das
sich vielleicht durch Eigenschaften des Charakters und Gemüts die Liebe Abrahim Mamurs erhalten hatte.
Halef trat ein.
„Schläfst du, Sihdi?"
Der Schlingel! Hier nannte er mich Sihdi und draußen ließ er sich selbst so nennen.
„Nein. Was willst du?"
„Draußen steht ein Mann, der mit dir sprechen will. Er hat ein Boot im Nil und sagt, ich müsse auch mitkommen."
Der schlaue Bursche machte diese Schlussbemerkung nur, um sich das versprochene Trinkgeld zu sichern. Ich wollte ihn nicht in Verlegenheit bringen und tat, als hätte ich nichts gehört.
„Was will er?"
„Jemand ist krank."
„Ist es notwendig?"
„Sehr, Effendi. Die Seele der Kranken steht schon im Begriff die Erde zu verlassen. Darum musst du eilen, wenn du sie festhalten willst."
Hm, er war kein übler Diplomat!
„Lass den Mann eintreten!"
Er ging hinaus und schob den Boten herein. Dieser verbeugte sich bis zur Erde nieder, zog die Schuhe aus und wartete dann demütig, bis ich ihn anreden würde.
„Tritt näher!"
„Es seläm 'alejkum! Heil sei mit dir, Herr", grüßte er. „Allah lasse dein Ohr offen sein für die demütige Bitte des geringsten deiner Knechte."
„Wer bist du?"
„Ich bin ein Diener des großen Abrahim Mamur, der aufwärts am Fluss wohnt." „Was sollst du mir sagen?"
„Es ist großes Herzeleid gekommen über das Haus meines Gebieters, denn Güsela, die Krone seines Herzens, schwindet hin in die Schatten des Todes. Kein Arzt, kein Fakir und kein Zauberer vermochten den Schritt ihrer Krankheit aufzuhalten. Da hörte mein Herr - den Allah erfreuen möge - von dir und deinem Ruhm und dass der Tod vor deiner Stimme flieht. Er sandte mich zu dir und lässt dir sagen: Komm und nimm den Tau des Verderbens von meiner Blume, so soll mein Dank süß sein und hell wie der Glanz des Goldes."
Diese Beschreibung einer bejahrten Frau schien mir ein wenig überschwänglich zu sein.
»Ich kenne den Ort nicht, an dem dein Herr wohnt. Ist er weit von hier?"
„Er wohnt am Strand und sendet dir ein Boot. In einer Stunde wirst du bei ihm sein."
„Wer wird mich zurückfahren?"
„Ich."
„Ich komme. Warte draußen!"
Er nahm seine Schuhe und zog sich zurück. Ich erhob mich, warf ein anderes Gewand über und griff nach meinem Kästchen mit Akonit, Sulphur, Pulsatilla und all den Mitteln, die in einer Apotheke von hundert Nummern zu haben sind. Bereits nach fünf Minuten saßen wir in dem von vier Ruderern bewegten Kahn, ich in Gedanken versunken, Halef aber stolz wie ein Pascha von drei Rossschweifen. Im Gürtel trug er die silberbeschlagenen Pistolen, die er in Kairo geschenkt erhalten hatte, und den scharfen, glänzenden Dolch, in der Hand aber die unvermeidliche Nilpferdpeitsche, das beste Mittel, sich unter der dortigen Bevölkerung Achtung, Ehrerbietung und Berücksichtigung zu verschaffen.
Zwar war die Hitze nicht angenehm, aber die stromaufwärts gehende Bewegung unseres Fahrzeugs brachte uns mit einem kühlenden Luftzug in Berührung.
Es ging eine Strecke weit an schmalen Pflanzungen vorüber, aus deren Hintergrund schlanke Palmen emporragten; dann folgten unbebaute Flächen, über die sich ein niederes Gestrüpp von Mimosen und Sykomoren hinstreckte. Einige unbedeutende Orte mit Ruinen aus der klassischen Zeit folgten. In den das Niltal begleitenden Felswänden zeigte sich Granit. Das Tal verengte sich und man konnte die Wellen einer Stromschnelle erkennen. Es war dies das Bab el Kalabscheh, ein mehrere Kilometer langer Engpass. Vor dessen Beginn erhob sich eine quadratische Mauer, durch die wir uns den Eingang suchen mussten.
Als wir anlangten, bemerkte ich, dass ein schmaler Kanal aus dem Fluss unter der Mauer fortführte, jedenfalls um die Bewohner mit dem nötigen Wasser zu versehen, ohne dass sie sich aus ihrer Wohnung zu bemühen brauchten. Unser Führer schritt uns voran, führte uns um zwei Ecken nach der dem Wasser abgekehrten Seite und gab an dem dort befindlichen Tor ein Zeichen, auf das hin uns bald geöffnet wurde.
Das Gesicht eines Schwarzen grinste uns entgegen, doch erwiderten wir nur flüchtig seinen respektvollen Gruß und schritten an ihm vorüber. Architektonische Schönheit durfte ich bei einem orientalischen Prachtgebäude nicht erwarten und so fühlte ich mich auch nicht überrascht von der kahlen, nackten, fensterlosen Front, die das Haus mir zukehrte. Aber das Klima des Landes hatte doch einen arg zerstörenden Einfluss auf das alte Gemäuer ausgeübt, sodass ich es zur Wohnung eines zarten, kranken Weibes nicht hätte empfehlen mögen.
Früher hatten Zierpflanzen den schmalen Raum zwischen der Mauer und dem Gebäude geschmückt und den Bewohnerinnen eine angenehme Erholung geboten; jetzt waren sie längst verwelkt und verdorrt. Wohin das Auge nur blickte, fand es nichts als starre kahle Ode, und nur Scharen von Schwalben, die in den zahlreichen Rissen und Sprüngen des Gebäudes nisteten, brachten einigermaßen Leben und Bewegung in das traurige, tote Bild.
Der voranschreitende Bote führte uns durch einen dunklen, niedrigen Torgang in einen kleinen Hof, dessen Mitte ein Wasserbecken einnahm. Also bis hierher führte der Kanal, den ich vorhin bemerkt hatte, und der Erbauer des einsamen Hauses war klugerweise vor allen Dingen darauf bedacht gewesen, sich und die Seinigen reichlich mit dem zu versorgen, was in dem heißen Klima jener Länderstriche das Notwendigste und Unentbehrlichste ist. Zugleich bemerkte ich nun auch, dass der ganze Bau darauf angelegt war, die jährlich wiederkehrenden Überschwemmungen des Nils schadlos aushalten zu können. In diesen Hof ragten mehrere hölzerne Gitterwerke, hinter denen jedenfalls die zum Aufenthalt dienenden Räume lagen. Ich konnte ihnen jetzt keine große, zeitraubende Betrachtung schenken, sondern gab meinem Diener einen Wink, mit der Apotheke, die er umhängen hatte, hier zu warten, und folgte dem Boten in das Sselamlyk des Hauses.
Es war ein geräumiges, halbdunkles und hohes Zimmer, durch dessen vergitterte Fensteröffnungen ein wohltuend gedämpftes Licht fiel. Durch die aufgeklebten Tapeten, Arabesken und Ornamente hatte es einen wohnlichen Anstrich erhalten und die in einer Nische stehenden Wasserkühlgefäße erzeugten eine recht angenehme Temperatur. Ein Geländer trennte den Raum in zwei Hälften, deren vordere für die Dienerschaft, die hintere aber für den Herrn und die besuchenden Gäste bestimmt war. Den erhöhten Hintergrund zierte ein breiter Diwan, der von einer Ecke bis in die andere reichte und auf der Abrahim Mamur, der Besitzer von „vielen Beuteln", saß.
Er erhob sich bei unserem Eintritt, blieb aber der Sitte gemäß vor seinem Sitz stehen. Da ich nicht die dort gewöhnliche Fußbekleidung trug, so konnte ich mich ihrer auch nicht entledigen, sondern schritt, unbekümmert um meine Lederstiefel, über die kostbaren Teppiche und ließ mich an seiner Seite nieder. Die Diener brachten den unvermeidlichen Kaffee und die noch notwendigeren Pfeifen und nun konnte das Weitere folgen.
Mein erster Blick war natürlich nach seiner Pfeife gerichtet, denn jeder Kenner des Orients weiß, dass man an ihr sehr genau die Verhältnisse ihres Besitzers zu erkennen vermag. Das lange, wohlriechende und mit stark vergoldetem Silberdraht umsponnene Rohr hatte gewiss tausend Piaster gekostet. Teurer aber noch war das Bernsteinmundstück, das aus zwei Teilen bestand, zwischen denen ein mit Edelsteinen besetzter Ring hervorschimmerte. Der Mann schien wirklich „viele Beutel" zu besitzen, nur war dies kein Grund, mich befangen zu machen, da mancher Inhaber einer Pfeife im Wert von zehntausend Piastern seinen Reichtum doch nur den geknechteten Untertanen entwendet oder geraubt hat. Lieber also einen prüfenden Blick ins Gesicht!
Wo hatte ich diese Züge doch schon gesehen, die schönen, feinen und in ihrer Disharmonie so diabolischen Züge? Forschend, scharf, stechend, nein förmlich durchbohrend senkte sich der Blick des kleinen, unbewimperten Auges in den meinen und kehrte dann kalt und wie beruhigt wieder zurück. Glühende und entnervende Leidenschaften hatten diesem Gesicht immer tiefere Spuren eingegraben; die Liebe, der Hass, die Rache, der Ehrgeiz waren einander behilflich gewesen, eine groß angelegte Natur in den Schmutz des Lasters hernieder zu reißen und dem Äußeren des Mannes jenes unbeschreibliche Etwas zu verleihen, das dem Guten und Reinen ein sicheres Warnzeichen ist.
Wo war ich diesem Mann begegnet? Gesehen hatte ich ihn; ich musste mich nur besinnen; aber, das fühlte ich, unter freundlichen Umständen war es nicht gewesen. „Neharak sa'id - dein Tag sei glücklich!", grüßte ich.
„Nehärak sa'id we mubarak - dein Tag sei glücklich und gesegnet!", ertönte es langsam zwischen dem vollen, prächtigen, aber schwarz gefärbten Bart hervor. Die Stimme war kalt, klanglos, ohne Leben und Gemüt; es konnte einen dabei ein Schauer ankommen. „Möge Allah Balsam wachsen lassen auf den Spuren deiner Füße und Honig träufeln von den Spitzen deiner Finger, damit mein Herz die Stimme seines Kummers nicht mehr höre!"
„Gott gebe dir Frieden und lasse mich das Gift finden, das am Leben deines Glückes nagt", erwiderte ich seinen Gruß, da nicht einmal der Arzt nach dem Weib des Moslems fragen darf, ohne den größten Verstoß gegen die Sitte zu begehen.
„Ich habe gehört, dass du ein weiser Hekim bist. Welche Medresse' hast du besucht?"
„Keine. Ich bin ein Nemsi."
„Ein Nemsi! Oh, ich weiß, die Nemsi sind kluge Leute; sie kennen den Stein der Weisen und das Abrakadabra2, das den Tod vertreibt."
„Es gibt weder einen Stein der Weisen noch ein Abrakadabra."
Er blickte mir kalt in die Augen.
„Vor mir brauchst du dich nicht zu verbergen. Ich weiß, dass die Zauberer von ihrer Kunst nicht sprechen dürfen, und will sie dir auch gar nicht entlocken; nur helfen sollst du mir. Wodurch vertreibst du die Krankheit eines Menschen, durch Worte oder durch einen Talisman?"
„Weder durch Worte noch durch einen Talisman, sondern durch die Medizin."
„Du sollst dich nicht vor mir verstecken. Ich glaube an dich, denn obwohl du kein Moslem bist, ist doch deine Hand mit Erfolg begabt, als hätte sie der Prophet gesegnet. Du wirst die Krankheit finden und besiegen."
„Nur Allah ist allmächtig; er kann retten und verderben, und ihm allein gebührt die Ehre. Doch wenn ich helfen soll, so sprich!"
Diese direkte Aufforderung, ein wenn auch noch so unbedeutendes Geheimnis seines Haushalts preiszugeben, schien ihn unangenehm zu berühren, obwohl er darauf vorbereitet sein musste; doch versuchte er sofort die Schwäche zu verbergen und befolgte meine Aufforderung:
„Du bist aus dem Land der Ungläubigen, wo es keine Schande ist, von der zu reden, die eine Tochter einer Mutter ist?"
Ich war innerlich belustigt von der Art und Weise, mit der er zu umgehen suchte, von ,seinem Weib' zu sprechen, doch blieb ich ernst und antwortete ziemlich kalt:
„Du willst, dass ich dir helfen soll und beschimpfst mich?"
„Inwiefern?"
„Du nennst meine Heimat das Land der Ungläubigen."
„Ihr seid doch ungläubig."
„Wir glauben an einen Gott, der derselbe Gott ist, den ihr Allah nennt. Du nennst mich von deinem Standpunkt aus einen Ungläubigen; mit demselben Recht könnte ich dich von meinem Standpunkt aus ebenso nennen; aber ich tue es nicht, weil wir Nemsi nie die Pflicht der Höflichkeit verletzen."
„Schweigen wir über den Glauben! Der Moslem darf nicht von seinem Weib sprechen; aber du erlaubst, dass ich von den Frauen in Franghistan rede?"
„Ich erlaube es."
„Wenn das Weib eines Franken krank ist..."
Er sah mich an, als ob er eine Bemerkung von mir erwarte; ich winkte ihm nur, in seiner Rede fortzufahren.
„Also wenn sie krank ist und keine Speise zu sich nimmt..."
„Keine?"
„Nicht die geringste!"
„Weiter!"
„Wenn sie den Glanz ihrer Augen und die Fülle ihrer Wangen verliert - wenn sie müde ist und doch den Genuss des Schlafes nicht mehr kennt..."
„Weiter!"
„Wenn sie nur lehnend steht und langsam, schleichend geht - vor Kälte schauert und vor Hitze brennt..."
„Ich höre. Fahre fort."
„Wenn sie bei jedem Geräusch erschrickt und zusammenzuckt - wenn sie nichts wünscht, nichts liebt, nichts hasst und unter dem Schlag ihres Herzens zittert..."
„Immer weiter!"
„Wenn ihr Atem zu sehen ist wie der des kleinen Vogels - wenn sie nicht lacht, nicht weint, nicht spricht - wenn sie kein Wort der Freude und kein Wort der Klage
hören lässt und ihre Seufzer selbst nicht mehr vernimmt - wenn sie das Licht der Sonne nicht mehr sehen will und in der Nacht wach in den Ecken kauert..."
Wieder blickte er mich an und in seinen flackernden Augen war eine Angst zu erkennen, die sich durch jede der aufgezählten Krankheitssymptome zu nähern und zu vergrößern schien. Er musste die Kranke mit der letzten, trüben und also schwersten Glut seines fast ausgebrannten Herzens lieben und hatte mir, ohne es zu wissen und zu wollen, mit seinen Worten sein ganzes Verhältnis zu ihr verraten.
„Du bist noch nicht zu Ende!"
„Wenn sie zuweilen plötzlich einen Schrei ausstößt, als ob ein Dolch ihr in die Brust gestoßen würde - wenn sie ohne Aufhören ein fremdes Wort flüstert..."
„Welches Wort?"
„Einen Namen."
„Weiter!"
„Wenn sie hustet und dann Blut über ihre bleichen Lippen fließt..."
Er blickte mich jetzt so starr und angstvoll an, dass ich merkte, meine Entscheidung würde ein Urteil für ihn sein, ein befreiendes oder ein vernichtendes. Ich zögerte nicht, ihm die Antwort zu geben:
„So wird sie sterben."
Er saß erst einige Augenblicke so bewegungslos, als habe ihn der Schlag getroffen, dann aber sprang er auf und stand hochaufgerichtet vor mir. Der rote Fes war ihm vom kahl geschorenen Haupt geglitten, die Pfeife seiner Hand entfallen; in seinem Gesicht zuckte es von den widerstreitendsten Gefühlen. Es war ein eigentümliches, ein furchtbares Gesicht; es glich ganz jenen Abbildungen des Teufels, wie sie der geniale Stift Dores zu zeichnen verstand, nicht mit Schweif, Pferdefuß und Hörnern, sondern mit höchster Harmonie des Gliederbaus, jeder einzelne Zug seines Gesichtes eine Schönheit, und doch in der Gesamtwirkung dieser Züge so abstoßend, so hässlich, so - diabolisch! Sein Auge ruhte mit dem Ausdruck des Entsetzens auf mir, der sich nach und nach in einen zornigen und dann zuletzt in einen drohenden verwandelte.
„Giaur!", donnerte er mich an.
„Wie sagtest du?", fragte ich kalt.
„Giaur! Wagst du, mir das zu bieten, Hund? Die Peitsche soll dich lehren, wer ich bin und dass du nur zu tun hast, was ich dir befehle. Stirbt sie, so stirbst auch du; doch machst du sie gesund, so darfst du gehen und kannst verlangen, was dein Herz begehrt!"
Langsam und in tiefer Seelenruhe erhob auch ich mich, stellte mich in meiner ganzen Länge vor ihn hin und fragte:
»Weißt du, was die größte Schande für einen Moslem ist?"
„Was?"
„Sieh nieder auf deinen Fes! Abrahim Mamur, was sagt der Prophet und was sagt der Koran dazu, dass du die Scham deines Scheitels vor einem Christen entblößt hast!"
Im nächsten Augenblick hatte er sein Haupt bedeckt und, vor Grimm dunkelrot im Gesicht, den Dolch aus der Schärpe gerissen und gegen mich gezückt.
„Du musst sterben, Giaur!"
„Ich werde sterben, wann es Gott gefällt, nicht aber wann es dir beliebt." „Du wirst sterben. Bete dein Gebet!"
„Abrahim Mamur", antwortete ich ruhig wie zuvor, „ich habe den Bären gejagt und bin dem Nilpferd nachgeschwommen; der Elefant hat meinen Schuss gehört und meine Kugel hat den Löwen, den ,Herdenwürgenden` getroffen. Danke Allah, dass du noch lebst, und bitte Gott, dass er dein Herz bezwinge. Du kannst es nicht, denn du bist zu schwach dazu und wirst doch sterben, wenn es nicht sofort geschieht!"
Das war eine neue Beleidigung, eine schwerere als die andere, und mit einem zuckenden Sprung wollte er mich fassen, fuhr aber sofort zurück, denn jetzt blitzte auch in meiner Hand die Waffe, die man in jenen Ländern niemals weglegen darf.
Wir standen einander allein gegenüber, denn er hatte sofort nach der Darreichung des Kaffees und der Pfeifen die Dienerschaft hinausgewinkt, damit sie nichts von unserer Unterhaltung vernahm.
Mit meinem wackeren Halef hatte ich nicht den mindesten Grund, mich vor den Bewohnern des alten Hauses zu fürchten; nötigenfalls hätten wir beide die wenigen hier wohnenden Männer zusammengeschossen; aber ich ahnte zu viel von dem Schicksal der Kranken, für die ich mich lebhaft zu interessieren begann; ich musste sie sehen und womöglich einige Worte mit ihr sprechen.
„Du willst schießen?", fragte er wütend, auf meinen Revolver deutend. ja.«
„Hier in meinem Haus?"
„Allerdings, wenn ich gezwungen werde, mich zu verteidigen."
„Hund, es ist wahr, was ich gleich vorhin dachte, als du eintratest!"
„Was ist wahr, Abrahim Mamur?"
„Dass ich dich bereits einmal gesehen habe."
„Wo?"
„Ich weiß es nicht."
„Wann?"
„Auch das weiß ich nicht; aber das ist sicher, dass es nicht im Guten war."
„Gerade wie heute, denn es sollte mich wundern, wenn diese Zusammenkunft gut enden würde. Du hast mich ‚Hund' genannt und ich sage dir, dass dir, sobald du dieses Wort noch einmal sagst, meine Kugel im Gehirn sitzen wird. Beachte das wohl, Abrahim Mamur!"
„Ich werde meine Diener rufen!"
„Rufe sie, wenn du ihre Leichen sehen willst, um dich dann tot neben sie zu legen." „Oho, du bist kein Gott!"
„Aber ein Nemsi. Hast du schon einmal die Hand eines Nemsi gefühlt?" Er lächelte verächtlich.
„Nimm dich in Acht, dass du sie nicht einmal zu fühlen bekommst! Sie ist nicht in Rosenöl gebadet wie die deinige. Aber ich will dir den Frieden deines Hauses lassen. Lebe wohl. Du willst es nicht, dass ich den Tod bezwinge; dein Wunsch mag sich erfüllen; rabbena chaliek - der Herr erhalte dich!"
Ich steckte den Revolver ein und schritt zur Tür.
„Bleib!", rief er.
Ich ging dennoch weiter.
„Bleib!", rief er gebieterischer.
Ich hatte beinahe die Tür erreicht und kehrte nicht um.
„So stirb, Giaur!"
Im Nu drehte ich mich um und hatte gerade noch Zeit, zur Seite auszuweichen. Sein Dolch flog an mir vorüber und tief in das Getäfel der Wand.
„Jetzt bist du mein, Bube!"
Mit diesen Worten sprang ich auf ihn zu, fasste ihn, riss ihn empor und schleuderte ihn gegen die Wand.
Er blieb einige Sekunden liegen und raffte sich dann wieder empor. Seine Augen waren weit geöffnet, die Adern seiner Stirn zum Bersten geschwollen und seine Lippen blau vor Wut, aber ich hielt ihm den Revolver entgegen und er blieb eingeschüchtert vor mir halten.
„Jetzt hast du die Hand eines Nemsi kennengelernt. Wage es nicht wieder, sie zu reizen!"
„Mensch!"
„Feigling! Wie nennt man das, wenn einer einen Arzt um Hilfe bittet, ihn mit Worten beschimpft und dann gar hinterrücks ermorden will? Der Glaube, der solche Bekenner hat, kann nicht viel taugen!"
„Zauberer!"
„Warum?"
„Wenn du keiner wärst, hätte dich ganz sicher mein Dolch getroffen und du hättest nicht die Kraft gehabt, mich empor zu werfen!"
„Nun wohl! Bin ich ein Zauberer, so hätte ich dir auch Güsela, dein Weib, erhalten können."
Ich sprach den Namen mit Vorbedacht aus. Es hatte Wirkung.
„Wer hat dir diesen Namen genannt?"
„Dein Bote."
„Ein Ungläubiger darf nicht den Namen einer Gläubigen aussprechen!"
„Ich spreche nur den Namen eines Weibes aus, das bereits morgen tot sein kann." Wieder blickte er mich mit seiner eisigen Starrheit an, dann aber schlug er die
Hände vors Gesicht.
„Ist es wahr, Hekim, dass sie bereits morgen tot sein kann?"
„Es ist wahr."
„Kann sie nicht gerettet werden?"
„Vielleicht."
„Sage nicht vielleicht, sondern sage gewiss! Bist du bereit, mir zu helfen? Wenn sie gesund wird, so fordere, was du willst."
„Ich bin bereit."
„So gib mir deinen Talisman oder deine Medizin."
„Ich habe keinen Talisman und Medizin kann ich dir jetzt nicht geben." „Warum nicht?"
„Der Arzt kann nur dann einen Kranken heilen, wenn er ihn sehen kann. Komm, lass uns zu ihr gehen oder lass sie zu uns kommen!"
Er fuhr zurück, wie von einem Stoß getroffen.
„Bist du toll? Der Geist der Wüste hat dein Hirn verbrannt, dass du nicht weißt, was du forderst. Das Weib muss ja sterben, auf dem das Auge eines fremden Mannes ruhte!"
„Sie wird noch sicherer sterben, wenn ich nicht zu ihr darf. Ich muss den Schlag ihres Pulses messen und Antwort von ihr hören über vieles, was ihre Krankheit betrifft. Nur Gott ist allwissend und braucht niemand zu fragen."
„Du heilst wirklich nicht durch Talisman?"
„Nein."
„Auch nicht durch Worte?"
„Nein."
„Oder durch das Gebet?"
„Ich bete auch für die Leidenden; aber Gott hat uns die Mittel, sie gesund zu machen, bereits in die Hand gelegt."
„Welche Mittel sind es?"
„Es sind Blumen, Metalle und Erden, deren Säfte und Kräfte wir ausziehen." „Es sind keine Gifte?"
„Ich vergifte keinen Kranken."
„Kannst du das beschwören?"
„Vor jedem Richter."
„Und du musst mit ihr sprechen?"
„Ja."
„Was?"
„Ich muss sie nach ihrer Krankheit fragen und nach allem, was damit zusammenhängt."
„Nach andern Dingen nicht?"
„Nein."
„Du wirst mir jede Frage vorher sagen, damit ich sie dir erlaube?"
„Ich bin es zufrieden."
„Und du musst auch ihre Hand betasten?"
„Ja."
„Ich erlaube es dir auf eine ganze Minute. Musst du ihr Angesicht sehen?"
„Nein, sie kann ganz verschleiert bleiben. Aber sie muss mehrmals im Zimmer auf und ab gehen."
„Warum?"
„Weil am Gang oder an der Haltung vieles zu erkennen ist, was die Krankheit betrifft."
„Ich erlaube es dir und werde die Kranke jetzt herbeiholen."
„Das darf nicht sein."
„Warum nicht?"
„Ich muss sie da sehen, wo sie wohnt; ich muss alle ihre Zimmer betrachten." „Aus welchem Grund?"
„Weil es viele Krankheiten gibt, die nur in unpassenden Wohnungen entstehen, und das kann nur das Auge des Arztes bemerken."
„So willst du wirklich meinen Harem' betreten?"
„Ja."
„Ein Ungläubiger?"
„Ein Christ."
„Ich erlaube es nicht."
„So mag sie sterben. Allah jekun ma'ak - Gott behüte dich!"
Ich wandte mich zum Gehen. Obgleich ich bereits aus der Aufzählung der Symptome gemerkt hatte, dass Güsela an einer hochgradigen Gemütskrankheit litt, tat ich doch, als glaubte ich an eine bloß körperliche Erkrankung; denn gerade wie ich vermutete, dass ihr Leiden die Folge eines Zwanges sei, der sie in die Gewalt dieses Mannes gebracht hatte, wollte ich mich so weit wie möglich über alles aufklären. Er ließ mich wieder bis zur Tür gehen, dann aber rief er:
„Halt, Hekim, bleib da. Du sollst die Gemächer betreten!"
Ich wandte mich um und schritt, ohne ihn meine Genugtuung merken zu lassen, wieder auf ihn zu. Ich hatte gesiegt und war außerordentlich zufrieden mit den Zugeständnissen, die er mir gemacht hatte. Die Liebe des Ägypters und seine Sorge mussten sehr ungewöhnlich sein, dass er sich zu solchen Zugeständnissen verstand. Freilich konnte ich die ingrimmige Erbitterung gegen mich aus jeder seiner Mienen lesen, denn ihm war ich ein unausweisbarer Eindringling in die Mysterien seiner inneren Häuslichkeit, und ich hegte die Überzeugung, dass ich ihn auch selbst im Fall einer glücklichen Heilung der kranken Frau als unversöhnlichen Feind zurücklassen würde, zumal er ganz wie ich die Überzeugung hatte, dass wir uns bereits einmal unter unfreundlichen Umständen begegnet waren.
Jetzt entfernte er sich, um alles Nötige in eigener Person anzuordnen, denn keiner seiner Diener durfte ahnen, dass er einem fremden Mann Zutritt in das Heiligtum seines Hauses gestattete.
Er kehrte erst nach einer langen Weile zurück. Es lag ein Ausdruck fester, trotziger Entschlossenheit um seinen zusammengekniffenen Mund, und mit einem Blick voll hervorbrechenden Hasses erklärte er:
„Du sollst zu ihr gehen..."
„Du versprachst es bereits."
„Und ihre Zimmer sehen..."
„Natürlich."
„Auch sie selbst..."
„Verschleiert und eingehüllt."
„Und mir ihr sprechen."
„Das ist notwendig."
„Ich erlaube dir viel, unendlich viel, Effendi. Aber bei der Seligkeit aller Himmel und bei den Qualen aller Höllen, sobald du ein Wort sprichst, das ich nicht wünsche, oder das Geringste tust, was dir nicht von mir erlaubt wurde, stoße ich sie nieder. Du bist stark und wohlbewaffnet, darum wird mein Dolch nicht gegen dich, sondern gegen sie gerichtet sein. Ich schwöre es dir bei allen Suwar' des Koran und bei allen Kalifen, deren Andenken Allah segnen möge!"
Er hatte mich also doch kennengelernt und dachte sich, dass ihm diese Versicherung mehr nützen würde, als prahlerische Drohungen, wenn sie gegen mich selbst gerichtet gewesen wären. Übrigens war es mir ja gar nicht in den Sinn gekommen, ihn in seinen Rechten zu kränken; nur konnte ich mich bei seinem Verhalten je länger, desto weniger einer Ahnung erwehren, dass in seinem Verhältnis zu der Kranken irgendein dunkler Punkt zu finden sei.
„Ist es Zeit?", fragte ich.
„Komm!"
Er schritt voran und ich folgte ihm.
Zunächst kamen wir durch einige fast in Trümmern liegende Räume, in denen allerlei nächtliches Getier sein Wesen treiben mochte; dann betraten wir ein Gemach, das als Vorzimmer zu dienen schien, und nun folgte der Raum, der allem Anschein nach als eigentliches Frauengemach benutzt wurde. Alle umherliegenden Kleinigkeiten waren solche, wie sie von Frauen gesucht und gern benutzt werden.
»Das sind die Zimmer, die du sehen wolltest. Sieh, ob du den Dämon der Krankheit in ihnen zu finden vermagst!", meinte Abraham Mamur mit einem halb spöttischen Lächeln.
„Und das Gemach nebenan?"
„Die Kranke befindet sich darin. Du sollst es auch sehen, aber ich muss mich vorher überzeugen, ob die Sonne ihr Angesicht verhüllt hat vor dem Auge des Fremden. Wage ja nicht, mir nachzufolgen, sondern warte ruhig, bis ich wiederkomme!"
Er trat hinaus und ich war allein.
Also da draußen befand sich Güsela. Dieser Name bedeutet wörtlich ,die Schöne'. Dieser Umstand und das ganze Verhalten des Ägypters brachte meine frühere Vermutung, dass es sich um eine ältere Person handle, ins Wanken.
Ich ließ mein Auge durch den Raum schweifen. Es war hier ganz dieselbe Einrichtung getroffen wie im Zimmer des Hausherrn:
Das Geländer, der Diwan, die Nische mit den Kühlgefäßen.
Nach kurzer Zeit erschien Abrahim wieder.
„Hast du die Räume geprüft?", fragte er mich.
„Ja."
„Nun?"
„Es lässt sich nichts sagen, bis ich bei der Kranken gewesen bin."
„So komm, Effendi. Aber lass dich noch einmal warnen!"
„Schon gut! Ich weiß ganz genau, was ich zu tun habe."
Wir traten in das andere Gemach. In weite Gewänder gehüllt, stand eine Frauengestalt tiefverschleiert an der hinteren Wand des Zimmers. Nichts war von ihr zu sehen, als die kleinen, in Samtpantoffeln steckenden Füße.
Ich begann meine Fragen, deren Enthaltsamkeit den Ägypter vollständig befriedigte, ließ sie eine kleine Bewegung machen und bat sie endlich, mir die Hand zu reichen. Fast wäre ich trotz der ernsten Situation in eine laute Heiterkeit ausgebrochen. Die Hand war nämlich so vollständig in ein dickes Tuch gebunden, dass es ganz und gar unmöglich war, auch nur die Lage oder Form eines Fingers zu erkennen. Sogar der Arm war in derselben Weise verhüllt.
Ich wandte mich zu Abrahim.
„Die Bandagen müssen entfernt werden."
„Warum?"
„Ich kann den Puls nicht fühlen."
„Entferne die Tücher!", gebot er ihr.
Sie zog den Arm hinter die Hüllen zurück und ließ dann ein zartes Händchen erscheinen, an dessen Goldfinger ich einen sehr schmalen Reifen erblickte, der eine Perle trug. Abrahim beobachtete meine Bewegungen mit gespannter Aufmerksamkeit. Während ich meine Finger an ihr Handgelenk legte, neigte ich mein Ohr tiefer, wie um den Puls nicht bloß zu fühlen, sondern auch zu hören, und - täuschte ich mich nicht - da wehte es leise, leise, fast unhörbar durch den Schleier:
„Senitzaji kurtar - rette Senitza!"
„Bist du fertig!", fragte jetzt Abrahim und trat rasch näher.
„Ja."
„Was fehlt ihr?"
„Sie hat ein großes, ein tiefes Leiden, das größte, das es gibt, aber - ich werde sie retten!"
Diese letzten vier Worte richtete ich mit langsamer Betonung mehr an sie als an ihn.
„Wie heißt das Übel?"
„Es hat einen fremden Namen, den nur die Ärzte verstehen."
„Wie lange dauert es, bis sie gesund wird?"
„Das kann bald, aber auch sehr spät geschehen, je nachdem ihr mir gehorsam seid." „Worin soll ich dir gehorchen?"
„Du musst ihr meine Medizin regelmäßig verabreichen."
„Das werde ich tun."
„Sie muss einsam bleiben und vor allem Ärger behütet werden."
„Das soll geschehen."
„Ich muss täglich mit ihr sprechen dürfen."
„Du? Weshalb?"
„Um meine Mittel nach dem Befinden der Kranken einrichten zu können." „Ich werde dir dann selbst sagen, wie sie sich befindet."
„Das kannst du nicht, weil du das Befinden eines Kranken nicht zu beurteilen vermagst."
„Was hast du denn mit ihr zu sprechen?"
„Nur das, was du mir erlaubst."
„Und wo soll es geschehen?"
„Hier in diesem Raum, gerade wie heute."
„Sag genau, wie lange du kommen musst!"
„Wenn ihr mir gehorcht, so ist sie von heute an in fünf Tagen von ihrer Krankheit frei."
„So gib ihr die Medizin."
„Ich habe sie nicht hier, sie befindet sich unten im Hof bei meinem Diener." „So komm!"
Ich wandte mich gegen sie, um mit dieser Bewegung einen stummen Abschied von ihr zu nehmen. Sie hob unter der Hülle die Hände wie bittend empor und wagte die drei Silben:
„Eww' Allah - mit Gott!"
Sofort fuhr er herum:
„Schweig! Du hast nur zu sprechen, wenn du gefragt wirst!"
„Abrahim Mamur", antwortete ich sehr ernst, „habe ich dir nicht gesagt, dass sie vor jedem Ärger, vor jedem Kummer bewahrt werden muss? So spricht man nicht zu einer Kranken, in deren Nähe der Tod schon steht!"
„So mag sie zunächst selbst dafür sorgen, dass sie sich nicht zu kränken braucht. Sie weiß, dass sie nicht sprechen soll. Komm!"
Wir kehrten in das Sselamlyk zurück, wo ich nach Halef schickte, der alsbald mit der Apotheke erschien. Ich gab Ignatia' nebst den nötigen Vorschriften und machte mich dann zum Gehen bereit.
„Wann wirst du morgen kommen?"
„Um dieselbe Stunde."
„Ich werde dir wieder einen Kahn senden. Wie viel verlangst du für heute?" „Nichts. Wenn die Kranke gesund ist, magst du mir geben, was dir beliebt." Er griff dennoch in die Tasche, zog eine reich gestickte Börse hervor, nahm einige
Stücke und reichte sie Halef hin.
„Hier, nimm du!"
Der wackere Halef Agha griff mit einer Miene zu, als handle es sich um eine große Gnadenbezeugung gegen den Ägypter, und meinte, das Bakschisch ungesehen in die Tasche senkend:
„Abrahim Mamur, deine Hand ist offen und die meine auch. Ich schließe sie gegen dich nicht zu, weil der Prophet sagt, dass eine offene Hand die erste Stufe zum Aufenthalt der Seligen sei. Allah sei mit dir und auch mit mir!"
Wir gingen, von dem Ägypter bis in den Garten begleitet, wo uns ein Diener die Tür in der Mauer öffnete. Als wir allein waren, griff Halef in die Tasche, um zu sehen, was er erhalten hatte.
„Drei Goldzechinen', Sihdi! Der Prophet segne Abrahim Mamur und lasse sein Weib so lange wie möglich krank bleiben!"
„Hadschi Halef Omar!"
„Sihdi! Willst du mir nicht einige Zechinen gönnen?"
„Doch; noch mehr aber ist einem Kranken die Gesundheit zu gönnen." „Wie oft gehst du noch, bis sie gesund wird?"
„Noch fünfmal vielleicht."
„Fünfmal drei macht fünfzehn Zechinen; wenn sie gesund wird, vielleicht noch fünfzehn Zechinen, macht dreißig Zechinen. Ich werde forschen, ob es hier am Nil noch mehr kranke Frauen gibt."
...
Genehmigte Sonderausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Originalausgabe © 2012 Karl-May-Verlag GmbH, Bamberg
... weniger
Bibliographische Angaben
- 416 Seiten, Maße: 15,5 x 22,3 cm, Gebunden
- Verlag: KARL-MAY-VERLAG GMBH
- ISBN-10: 3828945295
- ISBN-13: 9783828945296
Kommentare zu "Das Karl-May-Lesebuch"
0 Gebrauchte Artikel zu „Das Karl-May-Lesebuch“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
3.5 von 5 Sternen
5 Sterne 1Schreiben Sie einen Kommentar zu "Das Karl-May-Lesebuch".
Kommentar verfassen