Das muss Liebe sein
Roman
Wenn zwei sich streiten, fliegen die Funken!
Der Polizist Joe Shanahan soll einen Gemäldediebstahl aufklären. Seit Tagen beschattet er eine Verdächtige - die äußerst attraktive Antiquitätenhändlerin Gabrielle. Als...
Der Polizist Joe Shanahan soll einen Gemäldediebstahl aufklären. Seit Tagen beschattet er eine Verdächtige - die äußerst attraktive Antiquitätenhändlerin Gabrielle. Als...
Leider schon ausverkauft
Buch
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenlose Rücksendung
Produktdetails
Produktinformationen zu „Das muss Liebe sein “
Wenn zwei sich streiten, fliegen die Funken!
Der Polizist Joe Shanahan soll einen Gemäldediebstahl aufklären. Seit Tagen beschattet er eine Verdächtige - die äußerst attraktive Antiquitätenhändlerin Gabrielle. Als diese ihren vermeintlichen Stalker mit einer Dose Haarspray niederstreckt, nimmt Joe Gabrielle kurzerhand fest. Um einer Anzeige zu entgehen, muss sie sich bereit erklären, Joe undercover bei sich ermitteln zu lassen. Widerwillig geht Gabrielle darauf ein, denn ein gut aussehender, muskulöser Macho, der in ihrem Laden herumschnüffelt und die Frechheit besitzt, sie vor ihren Kunden zu küssen, hat ihr gerade noch gefehlt ...
Der Polizist Joe Shanahan soll einen Gemäldediebstahl aufklären. Seit Tagen beschattet er eine Verdächtige - die äußerst attraktive Antiquitätenhändlerin Gabrielle. Als diese ihren vermeintlichen Stalker mit einer Dose Haarspray niederstreckt, nimmt Joe Gabrielle kurzerhand fest. Um einer Anzeige zu entgehen, muss sie sich bereit erklären, Joe undercover bei sich ermitteln zu lassen. Widerwillig geht Gabrielle darauf ein, denn ein gut aussehender, muskulöser Macho, der in ihrem Laden herumschnüffelt und die Frechheit besitzt, sie vor ihren Kunden zu küssen, hat ihr gerade noch gefehlt ...
Klappentext zu „Das muss Liebe sein “
Wenn zwei sich streiten, fliegen die Funken!Der Polizist Joe Shanahan soll einen Gemäldediebstahl aufklären. Seit Tagen beschattet er eine Verdächtige - die äußerst attraktive Antiquitätenhändlerin Gabrielle. Als diese ihren vermeintlichen Stalker mit einer Dose Haarspray niederstreckt, nimmt Joe Gabrielle kurzerhand fest. Um einer Anzeige zu entgehen, muss sie sich bereit erklären, Joe undercover bei sich ermitteln zu lassen. Widerwillig geht Gabrielle darauf ein, denn ein gut aussehender, muskulöser Macho, der in ihrem Laden herumschnüffelt und die Frechheit besitzt, sie vor ihren Kunden zu küssen, hat ihr gerade noch gefehlt ...
Lese-Probe zu „Das muss Liebe sein “
Das muss liebe sein von Rachel GibsonÜbersetzung von Elisabeth Hartmann
1. Kapitel
Detective Joseph Shanahan hasste Regen. Er hasste Regen fast genauso sehr wie niederträchtige Kriminelle, aalglatte Verteidiger und dumme Gänse. Die Ersten waren Abschaum, die Zweiten Schlammwühler und die Dritten eine Schande für die Familie der Vogel im Allgemeinen.
Er setzte den Fuß auf die vordere Stoßstange eines beigefarbenen Chevy, neigte sich nach vorn und dehnte die Muskeln. Er brauchte nicht zu den silbergrauen Wolken aufzublicken, die über dem Ann Morrison Park aufzogen, um zu wissen, dass ihm ein gehöriger Regenguss bevorstand. Der dumpfe Schmerz in seinem rechten Oberschenkel verriet ihm auch so, dass dieser Tag ihm nichts Gutes bringen würde.
Als er das vertraute Ziehen in seinen Muskeln spürte, wiederholte er die Dehnübung mit dem anderen Bein. Meist erinnerte ihn nur die zehn Zentimeter lange Narbe an seinem Oberschenkel daran, dass eine Neunmillimeterkugel sein Fleisch aufgerissen und sein Leben verändert hatte. Neun Monate und zahllose Stunden intensiver Physiotherapie später war er in der Lage, Schiene und Knochennagelung zu vergessen. Außer wenn es regnete und der veränderte Barometerdruck die Narbe zum Pochen brachte.
... mehr
Joe streckte sich, rollte wie ein Preisboxer den Kopf von einer Seite zur anderen, griff dann in die Tasche seiner Baumwollhose, die er zu Shorts gekürzt hatte, und zog eine Packung Zigaretten heraus. Er zündete sich mit einem Zippo eine Zigarette an. Nach einem kurzen Blick auf die Flamme kniff er die Augen zusammen und beäugte die propere weiße Gans, die ihn aus nicht ganz zwei Meter Entfernung anstarrte. Der Vogel näherte sich watschelnd, reckte den langen Hals und zischte mit wütend aufgerissenem orangefarbenem Schnabel und herausgestreckter rosa Zunge.
Mit lässiger Handbewegung klappte Joe das Feuerzeug zu und schob Zigarettenpackung und Feuerzeug in die Tasche zurück. Genussvoll stieß er den Rauch aus, während die Gans den Kopf senkte und mit ihren Knopfaugen Joes Fußknochel fixierte.
»Wenn du das tust, spiel ich mit dir Fußball.«
Mehrere Sekunden lang starrten sie sich kampflustig an, dann zog die Gans den Kopf ein, drehte sich auf ihren Schwimmfüßen um, watschelte davon und warf noch einen letzten Blick in Joes Richtung, bevor sie auf den Bordstein hüpfte und den übrigen Gänsen zustrebte.
»Schwächling«, murmelte er und loste den Blick von der zurückweichenden Bedrohung. Noch mehr als Regen, Luftdruckveränderungen und aalglatte Anwalte verabscheute Joe Polizeispitzel. Er kannte höchstens einen oder zwei von dieser Sorte, die nicht ihre Frau, ihre Mutter oder ihren besten Freund verraten hatten, um den eigenen Hintern zu retten. Das Loch im Bein verdankte er seinem letzten Zuträger, Robby Martin. Robbys Betrügereien hatten Joe einen Klumpen Fleisch und Knochen und den Job, den er liebte, gekostet. Der junge Drogendealer hatte mit einem höheren Preis bezahlt - mit seinem Leben.
Joe lehnte sich gegen die Seite des Chevy und nahm einen tiefen Zug aus seiner Zigarette. Rauch brannte in seiner Kehle und füllte seine Lungen mit Teer und Nikotin. Das Nikotin stillte seine Sucht wie die beschwichtigende Zärtlichkeit einer liebenden Frau. Was ihn betraf, gab es nur eines, was besser war als eine Lunge voller Toxine.
Dieses eine hatte er leider nicht mehr gehabt, seit er mit Wendy, seiner letzten Freundin, Schluss gemacht hatte. Wendy konnte recht passabel kochen, und in figurbetonten Stretchhosen sah sie geradezu verblüffend gut aus. Aber er konnte einer Zukunft mit einer Frau, die ausflippte, weil er das zweimonatige Jubiläum ihres Kennenlernens vergessen hatte, nicht ins Auge sehen. Sie hatte ihm vorgeworfen, unromantisch zu sein. Zum Teufel, er war genauso romantisch wie jeder andere auch. Er stellte sich deswegen nur nicht schmalzig und bescheuert an.
Joe inhalierte noch einmal tief den Rauch seiner Zigarette. Selbst wenn diese Jubiläumsscheiße nicht gewesen wäre, hatte seine Beziehung zu Wendy zu nichts geführt. Sie konnte nicht verstehen, dass er so viel Zeit für Sam aufwenden musste. Sie war eifersüchtig gewesen, aber wenn Joe Sam nicht genügend Beachtung geschenkt hatte, dann hatte Sam sämtliche Möbel angeknabbert.
Joe atmete langsam aus und betrachtete die Rauchfahne, die vor seinem Gesicht stehen blieb. Das letzte Mal hatte er das Rauchen drei Monate lang aufgegeben und er würde wieder aufhören. Aber nicht heute. Morgen wohl auch nicht. Captain Luchetti hatte gerade gehörig auf die Sahne gehauen, und wenn man ihm schon das Messer an die Kehle setzte, wollte er verdammt noch mal hinterher wenigstens eine rauchen.
Durch den Rauch hindurch erspähte er aus schmalen Augen eine Frau mit einer rotbraunen Lockenmahne, die ihr über den halben Rücken hing. Ein Windstoß hob ihr Haar und wehte es um ihre Schultern. Joe brauchte das Gesicht nicht zu sehen, um zu wissen, wer da mitten im Ann Morrison Park stand und die Arme in die Halle streckte wie eine Göttin, die den grauen Himmel anbetete.
Ihr Name war Gabrielle Breedlove und ihr gehörte zusam¬men mit ihrem Geschäftspartner Kevin Carter ein Kuriositätenladen im historischen Hyde-Park-Bezirk. Beide standen im Verdacht, den Laden als Tarnung für ihre anderen, bedeutend lukrativeren Geschäfte zu benutzen - den Handel mit gestohlenen Antiquitäten.
Keiner der beiden Ladenbesitzer hatte ein Strafregister und wäre der Polizei wohl nie aufgefallen, wenn sie sich weiterhin auf Kleinkram beschränkt hätten, aber sie strebten nach Höherem. Einem der vermögendsten Männer im Staat, Norris Hillard, besser bekannt als der Kartoffelkönig, war in der vorangegangenen Woche ein berühmtes impressionistisches Gemälde gestohlen worden. In Bezug auf Macht und Einfluss im Staate Idaho kam er gleich nach Gott. Nur jemand mit einem hohen Maß an Tollkühnheit würde den Monet des Kartoffelkönigs stehlen. Bislang waren Gabrielle Breedlove und Kevin Carter die Hauptverdächtigen in diesem Fall. Ein Gefängnisspitzel hatte der Polizei ihre Namen gesteckt, und als die Hillards ihren Zeitplaner konsultierten, stellten sie fest, dass Carter sechs Monate zuvor in ihrem Haus gewesen war, um eine Sammlung von Tiffanylampen zu schätzen.
Joe zog an seiner Zigarette und stieß den Rauch langsam aus. Dieses kleine Antiquitätengeschäft im Hyde Park war eine perfekte Tarnung für Hehlerei, und er wettete sein lin¬kes Ei darauf, dass Mr. Carter und Ms. Breedlove den Monet der Hillards versteckt hielten, bis sich die Wogen geglättet hatten und sie ihn für ein Bündel Schein an einen Hehler weitergeben konnten. Die beste Chance für die Lösung des Falls bestand darin, das Gemälde aufzuspüren, bevor es in die Hände des Hehlers überwechselte und im Untergrund verschwand.
Der Kartoffelkönig machte Chief Walker die Hölle heiß, der wiederum heizte Captain Luchetti und den Beamten vom Raubdezernat ein. Stress führte bei einigen Polizisten dazu, dass sie zur Flasche griffen. Nicht so Joe. Er war kein großer Trinker, und er nahm einen weiteren beruhigenden Zug aus seiner Zigarette, während er die Verdächtige musterte. Im Kopf ging er die hastig zusammengestellte Akte über Ms. Breedlove durch.
Er wusste, dass sie in einer Kleinstadt im Norden Idahos geboren und aufgewachsen war. Ihr Vater war gestorben, als sie noch klein war, und sie hatte mit ihrer Mutter, einer Tante väterlicherseits und einem Großvater zusammen ge¬wohnt.
Sie war achtundzwanzig, einssiebzig groß und wog ungefähr einhundertundzwanzig Pfund. Ihre Beine waren lang. Ihre Shorts nicht. Er sah zu, wie sie sich vornüberbeugte und mit den Fingern den Boden zu ihren Füßen berührte, und er genoss den Anblick genauso wie seine Zigarette. Seit er den Auftrag hatte, sie zu beschatten, hatte er die süßen Formen ihrer Kehrseite schätzen gelernt.
Gabrielle Breedlove. Ihr Name klang wie der eines Porno-stars. Joe hatte noch nie mit ihr gesprochen, aber er hatte sie nah genug vor Augen gehabt, um zu wissen, dass sie an genau den richtigen Stellen entzückende Kurven aufwies.
Und auch ihre Familie war im Staate Idaho nicht unbekannt. Die Breedlove Mining Company hatte etwa neunzig Jahre lang oben im Norden gearbeitet, bevor sie Mitte der Siebziger verkauft wurde. Die Familie war einmal unermesslich reich gewesen, aber Fehlinvestitionen und Missmanagement hatten das Vermögen um ein Beträchtliches schrumpfen lassen.
Joe sah zu, wie sie auf einem Bein irgendwelche Jogadehnübungen ausführte, bevor sie langsam davonjoggte. Er schnippte seine Zigarette ins taufeuchte Gras und stieß sich von dem Chevy ab. Er folgte ihr quer durch den Park bis zu dem schwarzen Asphaltweg, der den Namen Grüngürtel trägt.
Der Grüngürtel folgt dem Fluss Boise und windet sich durch die Hauptstadt, wobei er auf seinem Weg acht größere Parks miteinander verbindet. Der würzige Geruch von Wasser und Pappeln erfüllte die Morgenluft, kleine Fetzen Pappelwolle trieben im Wind und blieben an Joes T-Shirt kleben.
Er kontrollierte seine Atmung, atmete locker und langsam, während er das gleiche Tempo hielt wie die etwa fünfzehn Meter vor ihm laufende Frau. Seit einer Woche, seit dem Diebstahl, beschattete er sie, machte sich mit ihren Ge¬wohnheiten vertraut - suchte die Art von Informationen zusammen, die er weder von privaten noch von öffentlichen Aufzeichnungen bekommen konnte.
Soweit er wusste, joggte sie immer die gleiche Zweimeilenschleife und trug immer dieselbe schwarze Gürteltasche. Ständig schaute sie sich in ihrer Umgebung um. Zuerst hatte er vermutet, sie suche irgendetwas oder irgendjemanden, aber sie traf sich mit keiner Menschenseele. Außerdem fürchtete er, dass sie etwas von seiner Überwachung ahnte, doch er achtete streng darauf, täglich etwas anderes anzuziehen, den Parkplatz zu wechseln und ihre Verfolgung von verschiedenen Ausgangspunkten her aufzunehmen. An manchen Tagen stülpte er sich eine Baseballkappe übers dunkle Haar und zog ein flottes Jogging-Outfit an. An diesem Morgen trug er ein rotes Schweißband um die Stirn und ein graues Sweatshirt.
Zwei Männer in leuchtend blauen Trainingsanzügen joggten den Grüngürtel entlang auf ihn zu. In der Sekunde, als sie an Ms. Breedlove vorbeiliefen, verrenkten sie sich die Hälse und erfreuten sich an dem Schwingen ihrer weißen Shorts. Als sie sich wieder umwandten, trugen beide den gleichen Ausdruck lächelnder Wohlgefälligkeit auf dem Gesicht. Joe konnte es ihnen nicht verübeln, dass sie sich noch ein letztes Mal nach ihr umdrehten. Sie hatte tolle Beine und einen tollen Hintern. Pech, dass das Schicksal Gefängniskleidung für sie vorgesehen hatte.
Joe folgte ihr über die Fußgängerbrücke hinaus aus dem Ann Morrison Park und achtete sorgfältig darauf, Distanz zu halten, als sie weiter dem Verlauf des Boise River folgten.
Ihr Persönlichkeitsprofil entsprach nicht dem des typi¬schen Diebs. Im Gegensatz zu ihrem Geschäftspartner war sie nicht bis über beide Ohren verschuldet. Sie spielte nicht und musste auch keine Drogensucht finanzieren. Für die Beteiligung an einem Verbrechen blieben dieser Frau also nur zwei mögliche Motive übrig.
Das eine Motiv ist der Nervenkitzel, und Joe verstand sehr gut, wie reizvoll ein Leben auf Messers Schneide ist. Adrenalin ist eine mächtige Droge. Er selbst liebte sie, weiß Gott. Er liebte die Art und Weise, wie sie über die Haut kroch, sie prickeln ließ und ihm die Nackenhaare sträubte.
Das andere Motiv ist schon gewöhnlicher - Liebe. Die Liebe neigt dazu, Frauen in Schwierigkeiten zu bringen. Joe hatte mehr als genug Frauen kennen gelernt, die alles tun würden für irgendeinen nichtsnutzigen Typen, der sie selbst ohne zu zögern ans Messer liefern würde, um die eigene Haut zu retten. Joe wunderte sich längst nicht mehr über das, was manche Frauen aus Liebe taten. Es wunderte ihn längst nicht mehr, im Knast Frauen anzutreffen, die für ihre Männer Strafen absaßen und tränenüberströmt Quatsch absonderten wie: Dich kann nichts Schlechtes über Soundso sagen, ich liebe ihn.«
Die Baumkronen über Joes Kopf wurden dichter, als er der Frau in einen anderen Park folgte. Der Julia Davis Park war üppiger, grüner und bot zudem noch Attraktionen wie die Museen für Kunst und Geschichte, den Boise Zoo und natürlich die Tootin'-Tater-Bimmelbahn.
Einen Sekundenbruchteil bevor er einen leisen Aufprall auf dem Pflaster horte, spürte er, wie sich etwas aus seiner Hosentasche löste. Er griff sich an die leere Tasche, wandte den Kopf und sah sein Zigarettenpäckchen auf dem Weg liegen. Erst zögerte er einige Sekunden, dann ging er zurück. Ein paar Zigaretten rollten über den Asphalt, und eilig bückte er sich, um sie einzusammeln, bevor sie in einer Pfütze landeten. Sein Blick wanderte zu der Verdächtigen hinüber, die in ihrem üblichen gemäßigten Tempo weiterjoggte, und kehrte dann zurück zu seinen Zigaretten.
Joe schob die Zigaretten in die Packung, sorgfältig darauf bedacht, sie nicht zu beschädigen. Er hatte keine Angst, die Verdächtige aus den Augen zu verlieren. Sie lief ungefähr so schnell wie ein arthritischer alter Hund, ein Umstand, den er am heutigen Tag begrüßte.
Als er wieder den Weg entlang blickte, hielt seine Hand in der Bewegung inne, dann schob er die Zigarettenschachtel langsam zurück in die Tasche. Alles, was sich seinen gut geschulten Augen darbot, war der schwarze, sich zwischen dichten, hohen Baumen und Gras hindurch schlängelnde Weg. Ein Windstoß rüttelte an den dicken Asten über ihm und drückte ihm das T-Shirt platt an den Oberkörper.
Sein Blick schoss nach links, und da entdeckte er sie, wie sie über den Rasen in Richtung Zoo und Kinderspielplatz lief. Er nahm die Verfolgung auf. So weit er es überblicken konnte, war der Park menschenleer. Wer auch nur über ein bisschen Verstand verfügte, hatte langst schleunigst den Heimweg angetreten, bevor das drohende Unwetter los¬brach. Allerdings musste die Tatsache, dass der Park an¬scheinend verlassen war, nicht bedeuten, dass sie sich nicht mit jemandem traf.
Wenn ein Verdächtiger von einem festen Verhaltensmuster abwich, hieß das gewöhnlich, dass etwas im Busch war. Der Geschmack von Adrenalin betäubte seine Kehle und trieb ein Lächeln auf seine Lippen. Verdammt, so lebendig hatte er sich nicht mehr gefühlt, seit er letztens einen Drogendealer in einer Gasse im North End verfolgt hatte.
Er verlor sie erneut aus den Augen, als sie an den Toilettenhäuschen vorbeilief und dahinter verschwand. Jahrelange Erfahrung verlangsamte seine Schritte; er wartete darauf, dass sie wieder auftauchte. Ms das nicht der Fall war, griff er unter sein Sweatshirt und loste den Verschluss an seinem Pistolenhalter. Er drängte sich flach an den Backsteinbau und lauschte.
Eine liegen gelassene Plastiktüte flog über den Rasen, doch Joe horte nichts außer dem Wind und dem Rascheln der Blatter über ihm. Von seinem Standpunkt aus hatte er keinen Überblick, und ihm wurde klar, dass er ein Stück hatte zurückbleiben sollen. Er bog um die Ecke des Baus und fand sich in Augenhohe mit der Düse einer Haarspraydose wieder. Ein Sprühstoß traf ihn voll ins Gesicht, und sofort verschwamm ihm alles vor den Augen. Eine Faust packte ihn am Sweatshirt, ein Knie bohrte sich zwischen seine Schenkel und verfehlte seine Eier nur um Haaresbreite. Der Muskel in seinem rechten Schenkel verkrampfte sich, und Joe wäre zusammengeklappt, wenn ein gehöriger Schulterstoß gegen seine Brust das nicht verhindert hatte. Der Atem entfloh hörbar aus seiner Lunge, als er wie ein gefällter Baum rücklings auf den harten Boden stürzte. Ein Paar Handschellen aus Chrom, das er in den Bund seiner Shorts gesteckt hatte, grub sich ihm in den Rücken.
Mit von Miss Clairol benebeltem Blick sah er zu Gabrielle Breedlove auf, die zwischen seinen gespreizten Beinen stand. Er ließ den Schmerz, der sein rechtes Bein verkrampfte, ungehindert zu und zwang sich, gleichmäßig zu atmen. Sie hatte ihn reingelegt und versucht, ihm die Eier bis in die Kehle hinaufzurammen.
»Himmel«, stöhnte er. »Was für ein verrücktes Weib.«
»Ganz recht, gib mir nur einen Grund, dir die Kniescheiben zu zerschießen.«
Joe blinzelte ein paar Mal, und sein Blick klarte sich. Lang¬sam loste er sich von ihrem Gesicht, wanderte ihre Arme entlang bis zu ihren Händen. Scheiße. In einer Hand hielt sie das Haarspray, den Finger auf der Düse, in der anderen aber hielt sie etwas, was aussah wie eine Derringer. Diese zielte nicht auf seine Knie, sondern direkt auf seine Nase.
Joe erstarrte. Er hasste es wie die Pest, wenn man Handfeuerwaffen auf ihn richtete. »Nehmen Sie die Knarre weg«, befahl er. Er wusste nicht, ob die Derringer geladen oder auch nur funktionstüchtig war, aber er wollte es auch nicht herausfinden. Einzig seine Augen bewegten sich, als er wieder in ihr Gesicht aufsah. Sie atmete hastig und flach, ihre grünen Augen blickten wild. Sie wirkte verteufelt unberechenbar.
»Ruft die Polizei!«, begann sie verzweifelt zu schreien.
Joe sah sie finster an. Nicht genug damit, dass sie es geschafft hatte, ihn flach zu legen, jetzt schrie sie auch noch aus Leibeskräften. Wenn sie so weitermachte, musste er sich womöglich zu erkennen geben, und das wollte er nun wirklich nicht. Die Vorstellung, mit der Hauptverdächtigen im Fall Hillard auf dem Polizeirevier aufzukreuzen, mit der Verdächtigen, die nichts davon wissen sollte, dass sie verdächtigt wurde, und dann noch erklären zu müssen, dass diese Frau ihn mit einer Haarspraydose zu Fall gebracht hatte, erfüllte ihn mit einer Brechreiz erregenden Angst, die ihm den Nacken versteifte. »Nehmen Sie die Waffe weg!«, wiederholte er.
»O nein! Bei der geringsten Bewegung pumpe ich Sie mit Blei voll, Sie Mistkerl.«
Er vermutete, dass sich im Umkreis von fünfzig Metern keine Menschenseele außer ihnen aufhielt, war sich jedoch nicht sicher, und das Letzte, was er brauchte, war ein heldenhafter Zivilist, der ihr zu Hilfe eilte.
»Hilfe - bitte, hilf mir doch jemand«, brüllte sie so laut, dass es bestimmt weit und breit zu hören war.
Joe biss die Zähne zusammen. Darüber würde er nie hinwegkommen, und er mochte nicht einmal daran denken, Walker und Luchetti unter die Augen treten zu müssen. Joe hatte wegen des Streits nach der Schießerei mit Robby Martin beim Chef immer noch schlechte Karten. Es fiel ihm nicht schwer, sich vorzustellen, was der Chef sagen würde. »Sie haben das Ding vermasselt, Shanahan!«, würde er brüllen, bevor er Joe zum Streifendienst degradierte. Und dieses Mal hatte der Chef sogar Recht.
»Jemand muss die Polizei rufen!«
»Hören Sie auf zu schreien«, befahl Joe in seinem besten Gesetzeshüter-Tonfall.
»Die Polizei muss kommen!«
»Verdammt, Lady«, knirschte er zwischen den Zahnen hervor, »ich bin Polizist.«
Ihre Augen wurden schmal, als sie auf ihn herabblickte. »Genau, und ich bin der Gouverneur.«
Joe wollte in seine Tasche greifen, doch Ms. Breedlove vollführte eine drohende Bewegung mit ihrer kleinen Waffe, und er unterließ es lieber. »Meine Dienstmarke steckt in der linken Tasche.«
»Keine Bewegung«, warnte sie ihn noch einmal.
Die rotbraunen Locken flatterten ihr um den Kopf, wild und unbändig. Das Haarspray hatte ihrer Frisur wohl eher gut getan als seinem Gesicht. Mit zitternder Hand schob sie sich das Haar auf einer Seite hinters Ohr. Joe hätte sie in Sekundenschnelle zu Boden bringen können, aber dazu musste er sie erst einmal ablenken, wenn er nicht riskieren wollte, dass sie auf ihn schoss. Und dieses Mal wurde der Schuss ihn so treffen, dass er sich nicht wieder davon erholte. »Sie können mir selbst in die Tasche greifen. Ich rühre keinen Finger.« Er hasste es, Frauen anzugreifen. Er hasste es, sie niederzustrecken. Doch in diesem Fall würde es ihm wohl nicht so viel ausmachen.
»Ich bin doch nicht blöd. Auf den Trick bin ich schon seit meiner Schulzeit nicht mehr reingefallen.«
»Herrgott noch mall« Mühsam kämpfte er um seine Beherrschung. »Haben Sie die Genehmigung zum Tragen einer Schusswaffe?«
»Hören Sie doch auf«, antwortete sie. »Sie sind kein Bulle, Sie sind ein Spanner! Aber ich wollte, es wäre tatsächlich ein Bulle in der Nähe, denn dann konnte ich Sie verhaften lassen, weil Sie mich schon die ganze Woche verfolgen. In diesem Staat gibt es ein Gesetz gegen so etwas, kapiert?« Sie sog scharf den Atem ein und stieß ihn langsam wieder aus. »Möchte wetten, Sie haben längst ein Strafregister wegen irgendeiner Art von Perversität. Wahrscheinlich sind Sie einer von diesen Psychopathen, die obszöne Anrufe machen und dabei schwer atmen und stöhnen. Möchte wetten, Sie sitzen wegen sexueller Belästigung und sind nur auf Kaution draußen.« Sie atmete noch ein paar Mal tief durch und schüttelte die Haarspraydose. »Vielleicht sollten Sie mir doch Ihre Brieftasche geben.«
In den ganzen fünfzehn Jahren seiner Karriere war er nicht ein einziges Mal so unvorsichtig gewesen, dass ihn ein Verdächtiger - geschweige denn eine weibliche Verdächtige -hatte übertölpeln können.
Seine Schlafen pochten, sein Oberschenkel schmerzte. Seine Augen brannten, und seine Wimpern waren verklebt. »Lady, Sie sind verrückt«, sagte er in relativ ruhigem Tonfall und griff in seine Tasche.
»Ach ja? Von meinem Standpunkt aus betrachtet sind eher Sie der Verrückte.« Ihr Blick ließ ihn nicht eine Sekunde los, während er nach seiner Brieftasche griff. »Ich benötige Ihren Namen und Ihre Anschrift für die Anzeige, aber ich mochte wetten, Sie sind der Polizei längst kein Unbekannter mehr.«
Sie wusste ja nicht, wie Recht sie hatte, aber Joe vergeudete keine Zeit mehr mit Reden. In dem Moment, als sie die Brieftasche aufklappte und die Dienstmarke erblickte, nahm er mit den Beinen ihre Waden in die Schere. Sie schlug zu Boden, er warf sich über sie und drückte sie mit seinem Gewicht nieder. Sie wand sich nach allen Seiten, stemmte sich gegen seine Schultern und brachte die Derringer gefährlich nahe an sein linkes Ohr. Er packte ihre Handgelenke und zwang sie hinter ihren Kopf, während er sie mit seiner gesamten Körperlänge zu Boden druckte.
Er lag ausgestreckt auf ihr, ihre Brüste pressten sich an seinen Oberkörper, ihre Hüften drängten sich gegen seine. Er hielt ihre Hände über ihrem Kopf fest, und ihre Gegenwehr erlahmte, doch sie weigerte sich, sich vollends zu ergeben. Sein Gesicht schwebte kaum einen Zentimeter aber ihrem, und zweimal stießen sie mit den Nasen zusammen. Mit geöffneten Lippen sog sie Luft in ihre Lungen, und ihre grünen Augen, riesengroß und panikerfüllt, starrten ihn an, während sie darum kämpfte, ihre Handgelenke freizubekommen. Ihre langen, wohlgeformten Beine verschränkten sich mit seinen und der Saum seines T-Shirts war ihm bis unter die Achselhohlen gerutscht. An seinem Bauch sparte er die weiche, warme Haut ihres Unterleibs und den Nylonstoff ihrer flachen Gürteltasche.
»Sie sind tatsachlich Bulle!« Ihre Brüste hoben und senk¬ten sich unter ihren Bemühungen, zu Atem zu kommen
Er wollte aufstehen, sobald er ihre Derringer sichergestellt hatte. »Ganz recht, und Sie sind verhaftet wegen unerlaubten Tragens einer Schusswaffe und tätlicher Bedrohung.«
»Oh, Gott sei Dank!« Sie holte tief Luft, und er sparte, wie sie sich entspannte, wie sie unter ihm weich und biegsam wurde. »Ich bin ja so froh. Ich hatte gedacht, Sie waren ein perverser Psychopath.«
Mit einem strahlenden Lächeln blickte sie zu ihm auf. Er hatte sie gerade verhaftet, und sie schien tatsachlich glücklich darüber zu sein. Aber es war nicht die Art von verzückter Glückseligkeit, die er gewöhnlich auf das Gesicht einer Frau rief, wenn er sich in eben dieser Stellung befand, sondern eher eine irregeführte Erleichterung. Sie war nicht nur eine Diebin, sie war eindeutig verrückt. »Sie haben das Recht zu schweigen«, sagte er, während er die Derringer aus ihren Fingern loste. »Sie haben das Recht ...«
»Das ist doch nicht Ihr Ernst, oder? Sie wollen mich doch nicht wirklich verhaften?«
»... auf einen Anwalt«, fuhr er fort und hielt mit einer Hand immer noch ihre Handgelenke über ihrem Kopf fest, während er die Waffe ein Stück von sich warf.
»Aber es ist eigentlich gar keine Pistole. Na ja, ursprüng¬lich schon, aber im Grunde doch nicht. Es ist eine Derringer aus dem neunzehnten Jahrhundert. Eine Antiquität, und deshalb glaube ich nicht, dass sie als echte Waffe gelten kann. Außerdem ist sie nicht geladen, und selbst wenn sie geladen wäre, würde sie kein sonderlich großes Loch schlagen. Ich hatte sie nur bei mir, weil ich solche Angst hatte und weil Sie mich ständig verfolgt haben.« Sie unterbrach sich und zog die Brauen zusammen. »Warum haben Sie mich eigentlich verfolgt?«
Statt einer Antwort machte er sie weiterhin auf ihre Rechte aufmerksam und walzte sich dann zur Seite. Er hob die kleine Pistole auf und kam dann vorsichtig auf die Füße. Joe dachte nicht daran, ihre Fragen zu beantworten. Nicht, so lange er nicht wusste, was er mit ihr anfangen sollte. Nicht, nachdem sie ihn als perversen Psychopathen bezeichnet und versucht hatte, ihn zum Eunuchen zu machen. Er schenkte sich selbst nicht allzu viel Vertrauen, falls er mehr als das unbedingt Notwendige mit ihr redete. »Haben Sie noch mehr Waffen bei sich?«
»Nein.«
»Reichen Sie mir ganz langsam Ihre Gürteltasche und kehren Sie dann das Innere Ihrer Taschen nach außen.«
»Ich habe nur meine Autoschlüssel dabei«, sagte sie leise. Sie hob die Schlüssel hoch und ließ sie in seine Handflache fallen. Er schloss die Hand und schob die Schlüssel in seine Brusttasche. Dann nahm er die kleine Gürteltasche entgegen und stülpte das Innere nach außen. Sie war leer.
»Hände an die Wand.«
»Wollen Sie mich etwa durchsuchen?«
»Genau«, antwortete er und deutete auf die Backsteinmauer.
»So?«, fragte sie über die Schulter hinweg.
Sein Blick wanderte über ihren hübschen wohlgeformten Po und an ihren langen Beinen hinunter, während er die Pistole in den Bund seiner Shorts stopfte. »Genau«, antwortete er wieder und legte die Hände auf ihre Schultern. Als er sie jetzt aus der Nähe betrachtete, stellte er fest, dass sie großer als einssiebzig war. Joe war einsachtzig, und ihre Augen befanden sich fast auf gleicher Höhe. Er strich mit den Händen an ihren Seiten hinab, über ihre Taille und ihren Unterleib. Er schob die Hand unter den Saum ihres Hemds und betastete den Bund ihrer Shorts. Er spürte ihre weiche Haut und das kühle Metall ihres Bauchnabelrings. Dann ließ er eine Hand hinauf zwischen ihre Brüste gleiten.
»Hey, lassen Sie das!«
»Lassen Sie sich dadurch nicht erregen«, empfahl er. »Ich tu's auch nicht.«
Als Nächstes klopfte er ihr Hinterteil ab, dann kniete er sich hin und überprüfte ihre Sockenbündchen. Die Mühe, zwischen ihren Schenkeln zu suchen, ersparte er sich. Nicht etwa, weil er ihr vertraute, sondern vielmehr, weil er nicht annahm, dass sie mit einer Waffe im Slip hatte joggen können.
»Wenn wir auf der Wache sind, kann ich dann meine Geldstrafe zahlen und nach Hause gehen?«
»Wenn der Richter die Kaution festgesetzt hat, dürfen Sie gehen.«
Sie wollte sich zu ihm umdrehen, doch seine Hände an ihren Hüften hinderten sie daran.
»Ich bin noch nie verhaftet worden.«
Das wusste er bereits.
»Ich werde doch nicht richtig verhaftet, mit Fingerabdrü¬cken und Fotos für die Verbrecherkartei, oder?«
Joe tastete ein letztes Mal ihren Hosenbund ab. »Doch, Madam, mit Fingerabdrücken und Fotos.«
Sie drehte sich um, kniff die Augen zusammen und funkelte ihn böse an. »Bis eben habe ich nicht geglaubt, dass es Ihr Ernst wäre. Ich dachte, Sie wollten es mir heimzahlen, dass ich das Knie hochgezogen und Sie in ... im Genitalbereich getroffen habe.«
»Sie haben nicht getroffen«, informierte er sie trocken.
»Sind Sie sicher?«
Joe stellte sich gerade hin, griff nach hinten in seine Shorts und zog die Handschellen heraus. »In dem Punkt kann man sich nicht irren.«
»Oh.« Es klang aufrichtig enttäuscht. »Aber ich kann immer noch nicht glauben, dass Sie mir das wirklich antun. Wenn Sie nur einen Funken Anstand im Leib hätten, würden Sie zugeben, dass alles allein Ihre Schuld ist.« Sie hielt inne und holte tief Luft. »Sie schaffen sich ein ausgesprochen schlechtes Karma, und ich bin sicher, dass es Ihnen noch gründlich Leid tun wird.«
Joe sah ihr in die Augen und ließ die Handschellen an ihren Gelenken zuschnappen. Ihm tat jetzt schon einiges Leid. Es tat ihm Leid, dass er sich von einer eines Verbrechens verdächtigten Frau hatte aufs Kreuz legen lassen, und es tat ihm aufrichtig Leid, dass seine Tarnung aufgeflogen war. Und er wusste, dass seine wahren Probleme jetzt erst anfingen.
Die ersten dicken Regentropfen trafen seine Wange, und er hob den Blick zu der Gewitterwolke über seinem Kopf. Drei weitere Tropfen schlugen auf seine Stirn und auf sein Kinn. Er lachte freudlos. »Fantastisch, verdammt noch mal.«
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2002 by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH.
Joe streckte sich, rollte wie ein Preisboxer den Kopf von einer Seite zur anderen, griff dann in die Tasche seiner Baumwollhose, die er zu Shorts gekürzt hatte, und zog eine Packung Zigaretten heraus. Er zündete sich mit einem Zippo eine Zigarette an. Nach einem kurzen Blick auf die Flamme kniff er die Augen zusammen und beäugte die propere weiße Gans, die ihn aus nicht ganz zwei Meter Entfernung anstarrte. Der Vogel näherte sich watschelnd, reckte den langen Hals und zischte mit wütend aufgerissenem orangefarbenem Schnabel und herausgestreckter rosa Zunge.
Mit lässiger Handbewegung klappte Joe das Feuerzeug zu und schob Zigarettenpackung und Feuerzeug in die Tasche zurück. Genussvoll stieß er den Rauch aus, während die Gans den Kopf senkte und mit ihren Knopfaugen Joes Fußknochel fixierte.
»Wenn du das tust, spiel ich mit dir Fußball.«
Mehrere Sekunden lang starrten sie sich kampflustig an, dann zog die Gans den Kopf ein, drehte sich auf ihren Schwimmfüßen um, watschelte davon und warf noch einen letzten Blick in Joes Richtung, bevor sie auf den Bordstein hüpfte und den übrigen Gänsen zustrebte.
»Schwächling«, murmelte er und loste den Blick von der zurückweichenden Bedrohung. Noch mehr als Regen, Luftdruckveränderungen und aalglatte Anwalte verabscheute Joe Polizeispitzel. Er kannte höchstens einen oder zwei von dieser Sorte, die nicht ihre Frau, ihre Mutter oder ihren besten Freund verraten hatten, um den eigenen Hintern zu retten. Das Loch im Bein verdankte er seinem letzten Zuträger, Robby Martin. Robbys Betrügereien hatten Joe einen Klumpen Fleisch und Knochen und den Job, den er liebte, gekostet. Der junge Drogendealer hatte mit einem höheren Preis bezahlt - mit seinem Leben.
Joe lehnte sich gegen die Seite des Chevy und nahm einen tiefen Zug aus seiner Zigarette. Rauch brannte in seiner Kehle und füllte seine Lungen mit Teer und Nikotin. Das Nikotin stillte seine Sucht wie die beschwichtigende Zärtlichkeit einer liebenden Frau. Was ihn betraf, gab es nur eines, was besser war als eine Lunge voller Toxine.
Dieses eine hatte er leider nicht mehr gehabt, seit er mit Wendy, seiner letzten Freundin, Schluss gemacht hatte. Wendy konnte recht passabel kochen, und in figurbetonten Stretchhosen sah sie geradezu verblüffend gut aus. Aber er konnte einer Zukunft mit einer Frau, die ausflippte, weil er das zweimonatige Jubiläum ihres Kennenlernens vergessen hatte, nicht ins Auge sehen. Sie hatte ihm vorgeworfen, unromantisch zu sein. Zum Teufel, er war genauso romantisch wie jeder andere auch. Er stellte sich deswegen nur nicht schmalzig und bescheuert an.
Joe inhalierte noch einmal tief den Rauch seiner Zigarette. Selbst wenn diese Jubiläumsscheiße nicht gewesen wäre, hatte seine Beziehung zu Wendy zu nichts geführt. Sie konnte nicht verstehen, dass er so viel Zeit für Sam aufwenden musste. Sie war eifersüchtig gewesen, aber wenn Joe Sam nicht genügend Beachtung geschenkt hatte, dann hatte Sam sämtliche Möbel angeknabbert.
Joe atmete langsam aus und betrachtete die Rauchfahne, die vor seinem Gesicht stehen blieb. Das letzte Mal hatte er das Rauchen drei Monate lang aufgegeben und er würde wieder aufhören. Aber nicht heute. Morgen wohl auch nicht. Captain Luchetti hatte gerade gehörig auf die Sahne gehauen, und wenn man ihm schon das Messer an die Kehle setzte, wollte er verdammt noch mal hinterher wenigstens eine rauchen.
Durch den Rauch hindurch erspähte er aus schmalen Augen eine Frau mit einer rotbraunen Lockenmahne, die ihr über den halben Rücken hing. Ein Windstoß hob ihr Haar und wehte es um ihre Schultern. Joe brauchte das Gesicht nicht zu sehen, um zu wissen, wer da mitten im Ann Morrison Park stand und die Arme in die Halle streckte wie eine Göttin, die den grauen Himmel anbetete.
Ihr Name war Gabrielle Breedlove und ihr gehörte zusam¬men mit ihrem Geschäftspartner Kevin Carter ein Kuriositätenladen im historischen Hyde-Park-Bezirk. Beide standen im Verdacht, den Laden als Tarnung für ihre anderen, bedeutend lukrativeren Geschäfte zu benutzen - den Handel mit gestohlenen Antiquitäten.
Keiner der beiden Ladenbesitzer hatte ein Strafregister und wäre der Polizei wohl nie aufgefallen, wenn sie sich weiterhin auf Kleinkram beschränkt hätten, aber sie strebten nach Höherem. Einem der vermögendsten Männer im Staat, Norris Hillard, besser bekannt als der Kartoffelkönig, war in der vorangegangenen Woche ein berühmtes impressionistisches Gemälde gestohlen worden. In Bezug auf Macht und Einfluss im Staate Idaho kam er gleich nach Gott. Nur jemand mit einem hohen Maß an Tollkühnheit würde den Monet des Kartoffelkönigs stehlen. Bislang waren Gabrielle Breedlove und Kevin Carter die Hauptverdächtigen in diesem Fall. Ein Gefängnisspitzel hatte der Polizei ihre Namen gesteckt, und als die Hillards ihren Zeitplaner konsultierten, stellten sie fest, dass Carter sechs Monate zuvor in ihrem Haus gewesen war, um eine Sammlung von Tiffanylampen zu schätzen.
Joe zog an seiner Zigarette und stieß den Rauch langsam aus. Dieses kleine Antiquitätengeschäft im Hyde Park war eine perfekte Tarnung für Hehlerei, und er wettete sein lin¬kes Ei darauf, dass Mr. Carter und Ms. Breedlove den Monet der Hillards versteckt hielten, bis sich die Wogen geglättet hatten und sie ihn für ein Bündel Schein an einen Hehler weitergeben konnten. Die beste Chance für die Lösung des Falls bestand darin, das Gemälde aufzuspüren, bevor es in die Hände des Hehlers überwechselte und im Untergrund verschwand.
Der Kartoffelkönig machte Chief Walker die Hölle heiß, der wiederum heizte Captain Luchetti und den Beamten vom Raubdezernat ein. Stress führte bei einigen Polizisten dazu, dass sie zur Flasche griffen. Nicht so Joe. Er war kein großer Trinker, und er nahm einen weiteren beruhigenden Zug aus seiner Zigarette, während er die Verdächtige musterte. Im Kopf ging er die hastig zusammengestellte Akte über Ms. Breedlove durch.
Er wusste, dass sie in einer Kleinstadt im Norden Idahos geboren und aufgewachsen war. Ihr Vater war gestorben, als sie noch klein war, und sie hatte mit ihrer Mutter, einer Tante väterlicherseits und einem Großvater zusammen ge¬wohnt.
Sie war achtundzwanzig, einssiebzig groß und wog ungefähr einhundertundzwanzig Pfund. Ihre Beine waren lang. Ihre Shorts nicht. Er sah zu, wie sie sich vornüberbeugte und mit den Fingern den Boden zu ihren Füßen berührte, und er genoss den Anblick genauso wie seine Zigarette. Seit er den Auftrag hatte, sie zu beschatten, hatte er die süßen Formen ihrer Kehrseite schätzen gelernt.
Gabrielle Breedlove. Ihr Name klang wie der eines Porno-stars. Joe hatte noch nie mit ihr gesprochen, aber er hatte sie nah genug vor Augen gehabt, um zu wissen, dass sie an genau den richtigen Stellen entzückende Kurven aufwies.
Und auch ihre Familie war im Staate Idaho nicht unbekannt. Die Breedlove Mining Company hatte etwa neunzig Jahre lang oben im Norden gearbeitet, bevor sie Mitte der Siebziger verkauft wurde. Die Familie war einmal unermesslich reich gewesen, aber Fehlinvestitionen und Missmanagement hatten das Vermögen um ein Beträchtliches schrumpfen lassen.
Joe sah zu, wie sie auf einem Bein irgendwelche Jogadehnübungen ausführte, bevor sie langsam davonjoggte. Er schnippte seine Zigarette ins taufeuchte Gras und stieß sich von dem Chevy ab. Er folgte ihr quer durch den Park bis zu dem schwarzen Asphaltweg, der den Namen Grüngürtel trägt.
Der Grüngürtel folgt dem Fluss Boise und windet sich durch die Hauptstadt, wobei er auf seinem Weg acht größere Parks miteinander verbindet. Der würzige Geruch von Wasser und Pappeln erfüllte die Morgenluft, kleine Fetzen Pappelwolle trieben im Wind und blieben an Joes T-Shirt kleben.
Er kontrollierte seine Atmung, atmete locker und langsam, während er das gleiche Tempo hielt wie die etwa fünfzehn Meter vor ihm laufende Frau. Seit einer Woche, seit dem Diebstahl, beschattete er sie, machte sich mit ihren Ge¬wohnheiten vertraut - suchte die Art von Informationen zusammen, die er weder von privaten noch von öffentlichen Aufzeichnungen bekommen konnte.
Soweit er wusste, joggte sie immer die gleiche Zweimeilenschleife und trug immer dieselbe schwarze Gürteltasche. Ständig schaute sie sich in ihrer Umgebung um. Zuerst hatte er vermutet, sie suche irgendetwas oder irgendjemanden, aber sie traf sich mit keiner Menschenseele. Außerdem fürchtete er, dass sie etwas von seiner Überwachung ahnte, doch er achtete streng darauf, täglich etwas anderes anzuziehen, den Parkplatz zu wechseln und ihre Verfolgung von verschiedenen Ausgangspunkten her aufzunehmen. An manchen Tagen stülpte er sich eine Baseballkappe übers dunkle Haar und zog ein flottes Jogging-Outfit an. An diesem Morgen trug er ein rotes Schweißband um die Stirn und ein graues Sweatshirt.
Zwei Männer in leuchtend blauen Trainingsanzügen joggten den Grüngürtel entlang auf ihn zu. In der Sekunde, als sie an Ms. Breedlove vorbeiliefen, verrenkten sie sich die Hälse und erfreuten sich an dem Schwingen ihrer weißen Shorts. Als sie sich wieder umwandten, trugen beide den gleichen Ausdruck lächelnder Wohlgefälligkeit auf dem Gesicht. Joe konnte es ihnen nicht verübeln, dass sie sich noch ein letztes Mal nach ihr umdrehten. Sie hatte tolle Beine und einen tollen Hintern. Pech, dass das Schicksal Gefängniskleidung für sie vorgesehen hatte.
Joe folgte ihr über die Fußgängerbrücke hinaus aus dem Ann Morrison Park und achtete sorgfältig darauf, Distanz zu halten, als sie weiter dem Verlauf des Boise River folgten.
Ihr Persönlichkeitsprofil entsprach nicht dem des typi¬schen Diebs. Im Gegensatz zu ihrem Geschäftspartner war sie nicht bis über beide Ohren verschuldet. Sie spielte nicht und musste auch keine Drogensucht finanzieren. Für die Beteiligung an einem Verbrechen blieben dieser Frau also nur zwei mögliche Motive übrig.
Das eine Motiv ist der Nervenkitzel, und Joe verstand sehr gut, wie reizvoll ein Leben auf Messers Schneide ist. Adrenalin ist eine mächtige Droge. Er selbst liebte sie, weiß Gott. Er liebte die Art und Weise, wie sie über die Haut kroch, sie prickeln ließ und ihm die Nackenhaare sträubte.
Das andere Motiv ist schon gewöhnlicher - Liebe. Die Liebe neigt dazu, Frauen in Schwierigkeiten zu bringen. Joe hatte mehr als genug Frauen kennen gelernt, die alles tun würden für irgendeinen nichtsnutzigen Typen, der sie selbst ohne zu zögern ans Messer liefern würde, um die eigene Haut zu retten. Joe wunderte sich längst nicht mehr über das, was manche Frauen aus Liebe taten. Es wunderte ihn längst nicht mehr, im Knast Frauen anzutreffen, die für ihre Männer Strafen absaßen und tränenüberströmt Quatsch absonderten wie: Dich kann nichts Schlechtes über Soundso sagen, ich liebe ihn.«
Die Baumkronen über Joes Kopf wurden dichter, als er der Frau in einen anderen Park folgte. Der Julia Davis Park war üppiger, grüner und bot zudem noch Attraktionen wie die Museen für Kunst und Geschichte, den Boise Zoo und natürlich die Tootin'-Tater-Bimmelbahn.
Einen Sekundenbruchteil bevor er einen leisen Aufprall auf dem Pflaster horte, spürte er, wie sich etwas aus seiner Hosentasche löste. Er griff sich an die leere Tasche, wandte den Kopf und sah sein Zigarettenpäckchen auf dem Weg liegen. Erst zögerte er einige Sekunden, dann ging er zurück. Ein paar Zigaretten rollten über den Asphalt, und eilig bückte er sich, um sie einzusammeln, bevor sie in einer Pfütze landeten. Sein Blick wanderte zu der Verdächtigen hinüber, die in ihrem üblichen gemäßigten Tempo weiterjoggte, und kehrte dann zurück zu seinen Zigaretten.
Joe schob die Zigaretten in die Packung, sorgfältig darauf bedacht, sie nicht zu beschädigen. Er hatte keine Angst, die Verdächtige aus den Augen zu verlieren. Sie lief ungefähr so schnell wie ein arthritischer alter Hund, ein Umstand, den er am heutigen Tag begrüßte.
Als er wieder den Weg entlang blickte, hielt seine Hand in der Bewegung inne, dann schob er die Zigarettenschachtel langsam zurück in die Tasche. Alles, was sich seinen gut geschulten Augen darbot, war der schwarze, sich zwischen dichten, hohen Baumen und Gras hindurch schlängelnde Weg. Ein Windstoß rüttelte an den dicken Asten über ihm und drückte ihm das T-Shirt platt an den Oberkörper.
Sein Blick schoss nach links, und da entdeckte er sie, wie sie über den Rasen in Richtung Zoo und Kinderspielplatz lief. Er nahm die Verfolgung auf. So weit er es überblicken konnte, war der Park menschenleer. Wer auch nur über ein bisschen Verstand verfügte, hatte langst schleunigst den Heimweg angetreten, bevor das drohende Unwetter los¬brach. Allerdings musste die Tatsache, dass der Park an¬scheinend verlassen war, nicht bedeuten, dass sie sich nicht mit jemandem traf.
Wenn ein Verdächtiger von einem festen Verhaltensmuster abwich, hieß das gewöhnlich, dass etwas im Busch war. Der Geschmack von Adrenalin betäubte seine Kehle und trieb ein Lächeln auf seine Lippen. Verdammt, so lebendig hatte er sich nicht mehr gefühlt, seit er letztens einen Drogendealer in einer Gasse im North End verfolgt hatte.
Er verlor sie erneut aus den Augen, als sie an den Toilettenhäuschen vorbeilief und dahinter verschwand. Jahrelange Erfahrung verlangsamte seine Schritte; er wartete darauf, dass sie wieder auftauchte. Ms das nicht der Fall war, griff er unter sein Sweatshirt und loste den Verschluss an seinem Pistolenhalter. Er drängte sich flach an den Backsteinbau und lauschte.
Eine liegen gelassene Plastiktüte flog über den Rasen, doch Joe horte nichts außer dem Wind und dem Rascheln der Blatter über ihm. Von seinem Standpunkt aus hatte er keinen Überblick, und ihm wurde klar, dass er ein Stück hatte zurückbleiben sollen. Er bog um die Ecke des Baus und fand sich in Augenhohe mit der Düse einer Haarspraydose wieder. Ein Sprühstoß traf ihn voll ins Gesicht, und sofort verschwamm ihm alles vor den Augen. Eine Faust packte ihn am Sweatshirt, ein Knie bohrte sich zwischen seine Schenkel und verfehlte seine Eier nur um Haaresbreite. Der Muskel in seinem rechten Schenkel verkrampfte sich, und Joe wäre zusammengeklappt, wenn ein gehöriger Schulterstoß gegen seine Brust das nicht verhindert hatte. Der Atem entfloh hörbar aus seiner Lunge, als er wie ein gefällter Baum rücklings auf den harten Boden stürzte. Ein Paar Handschellen aus Chrom, das er in den Bund seiner Shorts gesteckt hatte, grub sich ihm in den Rücken.
Mit von Miss Clairol benebeltem Blick sah er zu Gabrielle Breedlove auf, die zwischen seinen gespreizten Beinen stand. Er ließ den Schmerz, der sein rechtes Bein verkrampfte, ungehindert zu und zwang sich, gleichmäßig zu atmen. Sie hatte ihn reingelegt und versucht, ihm die Eier bis in die Kehle hinaufzurammen.
»Himmel«, stöhnte er. »Was für ein verrücktes Weib.«
»Ganz recht, gib mir nur einen Grund, dir die Kniescheiben zu zerschießen.«
Joe blinzelte ein paar Mal, und sein Blick klarte sich. Lang¬sam loste er sich von ihrem Gesicht, wanderte ihre Arme entlang bis zu ihren Händen. Scheiße. In einer Hand hielt sie das Haarspray, den Finger auf der Düse, in der anderen aber hielt sie etwas, was aussah wie eine Derringer. Diese zielte nicht auf seine Knie, sondern direkt auf seine Nase.
Joe erstarrte. Er hasste es wie die Pest, wenn man Handfeuerwaffen auf ihn richtete. »Nehmen Sie die Knarre weg«, befahl er. Er wusste nicht, ob die Derringer geladen oder auch nur funktionstüchtig war, aber er wollte es auch nicht herausfinden. Einzig seine Augen bewegten sich, als er wieder in ihr Gesicht aufsah. Sie atmete hastig und flach, ihre grünen Augen blickten wild. Sie wirkte verteufelt unberechenbar.
»Ruft die Polizei!«, begann sie verzweifelt zu schreien.
Joe sah sie finster an. Nicht genug damit, dass sie es geschafft hatte, ihn flach zu legen, jetzt schrie sie auch noch aus Leibeskräften. Wenn sie so weitermachte, musste er sich womöglich zu erkennen geben, und das wollte er nun wirklich nicht. Die Vorstellung, mit der Hauptverdächtigen im Fall Hillard auf dem Polizeirevier aufzukreuzen, mit der Verdächtigen, die nichts davon wissen sollte, dass sie verdächtigt wurde, und dann noch erklären zu müssen, dass diese Frau ihn mit einer Haarspraydose zu Fall gebracht hatte, erfüllte ihn mit einer Brechreiz erregenden Angst, die ihm den Nacken versteifte. »Nehmen Sie die Waffe weg!«, wiederholte er.
»O nein! Bei der geringsten Bewegung pumpe ich Sie mit Blei voll, Sie Mistkerl.«
Er vermutete, dass sich im Umkreis von fünfzig Metern keine Menschenseele außer ihnen aufhielt, war sich jedoch nicht sicher, und das Letzte, was er brauchte, war ein heldenhafter Zivilist, der ihr zu Hilfe eilte.
»Hilfe - bitte, hilf mir doch jemand«, brüllte sie so laut, dass es bestimmt weit und breit zu hören war.
Joe biss die Zähne zusammen. Darüber würde er nie hinwegkommen, und er mochte nicht einmal daran denken, Walker und Luchetti unter die Augen treten zu müssen. Joe hatte wegen des Streits nach der Schießerei mit Robby Martin beim Chef immer noch schlechte Karten. Es fiel ihm nicht schwer, sich vorzustellen, was der Chef sagen würde. »Sie haben das Ding vermasselt, Shanahan!«, würde er brüllen, bevor er Joe zum Streifendienst degradierte. Und dieses Mal hatte der Chef sogar Recht.
»Jemand muss die Polizei rufen!«
»Hören Sie auf zu schreien«, befahl Joe in seinem besten Gesetzeshüter-Tonfall.
»Die Polizei muss kommen!«
»Verdammt, Lady«, knirschte er zwischen den Zahnen hervor, »ich bin Polizist.«
Ihre Augen wurden schmal, als sie auf ihn herabblickte. »Genau, und ich bin der Gouverneur.«
Joe wollte in seine Tasche greifen, doch Ms. Breedlove vollführte eine drohende Bewegung mit ihrer kleinen Waffe, und er unterließ es lieber. »Meine Dienstmarke steckt in der linken Tasche.«
»Keine Bewegung«, warnte sie ihn noch einmal.
Die rotbraunen Locken flatterten ihr um den Kopf, wild und unbändig. Das Haarspray hatte ihrer Frisur wohl eher gut getan als seinem Gesicht. Mit zitternder Hand schob sie sich das Haar auf einer Seite hinters Ohr. Joe hätte sie in Sekundenschnelle zu Boden bringen können, aber dazu musste er sie erst einmal ablenken, wenn er nicht riskieren wollte, dass sie auf ihn schoss. Und dieses Mal wurde der Schuss ihn so treffen, dass er sich nicht wieder davon erholte. »Sie können mir selbst in die Tasche greifen. Ich rühre keinen Finger.« Er hasste es, Frauen anzugreifen. Er hasste es, sie niederzustrecken. Doch in diesem Fall würde es ihm wohl nicht so viel ausmachen.
»Ich bin doch nicht blöd. Auf den Trick bin ich schon seit meiner Schulzeit nicht mehr reingefallen.«
»Herrgott noch mall« Mühsam kämpfte er um seine Beherrschung. »Haben Sie die Genehmigung zum Tragen einer Schusswaffe?«
»Hören Sie doch auf«, antwortete sie. »Sie sind kein Bulle, Sie sind ein Spanner! Aber ich wollte, es wäre tatsächlich ein Bulle in der Nähe, denn dann konnte ich Sie verhaften lassen, weil Sie mich schon die ganze Woche verfolgen. In diesem Staat gibt es ein Gesetz gegen so etwas, kapiert?« Sie sog scharf den Atem ein und stieß ihn langsam wieder aus. »Möchte wetten, Sie haben längst ein Strafregister wegen irgendeiner Art von Perversität. Wahrscheinlich sind Sie einer von diesen Psychopathen, die obszöne Anrufe machen und dabei schwer atmen und stöhnen. Möchte wetten, Sie sitzen wegen sexueller Belästigung und sind nur auf Kaution draußen.« Sie atmete noch ein paar Mal tief durch und schüttelte die Haarspraydose. »Vielleicht sollten Sie mir doch Ihre Brieftasche geben.«
In den ganzen fünfzehn Jahren seiner Karriere war er nicht ein einziges Mal so unvorsichtig gewesen, dass ihn ein Verdächtiger - geschweige denn eine weibliche Verdächtige -hatte übertölpeln können.
Seine Schlafen pochten, sein Oberschenkel schmerzte. Seine Augen brannten, und seine Wimpern waren verklebt. »Lady, Sie sind verrückt«, sagte er in relativ ruhigem Tonfall und griff in seine Tasche.
»Ach ja? Von meinem Standpunkt aus betrachtet sind eher Sie der Verrückte.« Ihr Blick ließ ihn nicht eine Sekunde los, während er nach seiner Brieftasche griff. »Ich benötige Ihren Namen und Ihre Anschrift für die Anzeige, aber ich mochte wetten, Sie sind der Polizei längst kein Unbekannter mehr.«
Sie wusste ja nicht, wie Recht sie hatte, aber Joe vergeudete keine Zeit mehr mit Reden. In dem Moment, als sie die Brieftasche aufklappte und die Dienstmarke erblickte, nahm er mit den Beinen ihre Waden in die Schere. Sie schlug zu Boden, er warf sich über sie und drückte sie mit seinem Gewicht nieder. Sie wand sich nach allen Seiten, stemmte sich gegen seine Schultern und brachte die Derringer gefährlich nahe an sein linkes Ohr. Er packte ihre Handgelenke und zwang sie hinter ihren Kopf, während er sie mit seiner gesamten Körperlänge zu Boden druckte.
Er lag ausgestreckt auf ihr, ihre Brüste pressten sich an seinen Oberkörper, ihre Hüften drängten sich gegen seine. Er hielt ihre Hände über ihrem Kopf fest, und ihre Gegenwehr erlahmte, doch sie weigerte sich, sich vollends zu ergeben. Sein Gesicht schwebte kaum einen Zentimeter aber ihrem, und zweimal stießen sie mit den Nasen zusammen. Mit geöffneten Lippen sog sie Luft in ihre Lungen, und ihre grünen Augen, riesengroß und panikerfüllt, starrten ihn an, während sie darum kämpfte, ihre Handgelenke freizubekommen. Ihre langen, wohlgeformten Beine verschränkten sich mit seinen und der Saum seines T-Shirts war ihm bis unter die Achselhohlen gerutscht. An seinem Bauch sparte er die weiche, warme Haut ihres Unterleibs und den Nylonstoff ihrer flachen Gürteltasche.
»Sie sind tatsachlich Bulle!« Ihre Brüste hoben und senk¬ten sich unter ihren Bemühungen, zu Atem zu kommen
Er wollte aufstehen, sobald er ihre Derringer sichergestellt hatte. »Ganz recht, und Sie sind verhaftet wegen unerlaubten Tragens einer Schusswaffe und tätlicher Bedrohung.«
»Oh, Gott sei Dank!« Sie holte tief Luft, und er sparte, wie sie sich entspannte, wie sie unter ihm weich und biegsam wurde. »Ich bin ja so froh. Ich hatte gedacht, Sie waren ein perverser Psychopath.«
Mit einem strahlenden Lächeln blickte sie zu ihm auf. Er hatte sie gerade verhaftet, und sie schien tatsachlich glücklich darüber zu sein. Aber es war nicht die Art von verzückter Glückseligkeit, die er gewöhnlich auf das Gesicht einer Frau rief, wenn er sich in eben dieser Stellung befand, sondern eher eine irregeführte Erleichterung. Sie war nicht nur eine Diebin, sie war eindeutig verrückt. »Sie haben das Recht zu schweigen«, sagte er, während er die Derringer aus ihren Fingern loste. »Sie haben das Recht ...«
»Das ist doch nicht Ihr Ernst, oder? Sie wollen mich doch nicht wirklich verhaften?«
»... auf einen Anwalt«, fuhr er fort und hielt mit einer Hand immer noch ihre Handgelenke über ihrem Kopf fest, während er die Waffe ein Stück von sich warf.
»Aber es ist eigentlich gar keine Pistole. Na ja, ursprüng¬lich schon, aber im Grunde doch nicht. Es ist eine Derringer aus dem neunzehnten Jahrhundert. Eine Antiquität, und deshalb glaube ich nicht, dass sie als echte Waffe gelten kann. Außerdem ist sie nicht geladen, und selbst wenn sie geladen wäre, würde sie kein sonderlich großes Loch schlagen. Ich hatte sie nur bei mir, weil ich solche Angst hatte und weil Sie mich ständig verfolgt haben.« Sie unterbrach sich und zog die Brauen zusammen. »Warum haben Sie mich eigentlich verfolgt?«
Statt einer Antwort machte er sie weiterhin auf ihre Rechte aufmerksam und walzte sich dann zur Seite. Er hob die kleine Pistole auf und kam dann vorsichtig auf die Füße. Joe dachte nicht daran, ihre Fragen zu beantworten. Nicht, so lange er nicht wusste, was er mit ihr anfangen sollte. Nicht, nachdem sie ihn als perversen Psychopathen bezeichnet und versucht hatte, ihn zum Eunuchen zu machen. Er schenkte sich selbst nicht allzu viel Vertrauen, falls er mehr als das unbedingt Notwendige mit ihr redete. »Haben Sie noch mehr Waffen bei sich?«
»Nein.«
»Reichen Sie mir ganz langsam Ihre Gürteltasche und kehren Sie dann das Innere Ihrer Taschen nach außen.«
»Ich habe nur meine Autoschlüssel dabei«, sagte sie leise. Sie hob die Schlüssel hoch und ließ sie in seine Handflache fallen. Er schloss die Hand und schob die Schlüssel in seine Brusttasche. Dann nahm er die kleine Gürteltasche entgegen und stülpte das Innere nach außen. Sie war leer.
»Hände an die Wand.«
»Wollen Sie mich etwa durchsuchen?«
»Genau«, antwortete er und deutete auf die Backsteinmauer.
»So?«, fragte sie über die Schulter hinweg.
Sein Blick wanderte über ihren hübschen wohlgeformten Po und an ihren langen Beinen hinunter, während er die Pistole in den Bund seiner Shorts stopfte. »Genau«, antwortete er wieder und legte die Hände auf ihre Schultern. Als er sie jetzt aus der Nähe betrachtete, stellte er fest, dass sie großer als einssiebzig war. Joe war einsachtzig, und ihre Augen befanden sich fast auf gleicher Höhe. Er strich mit den Händen an ihren Seiten hinab, über ihre Taille und ihren Unterleib. Er schob die Hand unter den Saum ihres Hemds und betastete den Bund ihrer Shorts. Er spürte ihre weiche Haut und das kühle Metall ihres Bauchnabelrings. Dann ließ er eine Hand hinauf zwischen ihre Brüste gleiten.
»Hey, lassen Sie das!«
»Lassen Sie sich dadurch nicht erregen«, empfahl er. »Ich tu's auch nicht.«
Als Nächstes klopfte er ihr Hinterteil ab, dann kniete er sich hin und überprüfte ihre Sockenbündchen. Die Mühe, zwischen ihren Schenkeln zu suchen, ersparte er sich. Nicht etwa, weil er ihr vertraute, sondern vielmehr, weil er nicht annahm, dass sie mit einer Waffe im Slip hatte joggen können.
»Wenn wir auf der Wache sind, kann ich dann meine Geldstrafe zahlen und nach Hause gehen?«
»Wenn der Richter die Kaution festgesetzt hat, dürfen Sie gehen.«
Sie wollte sich zu ihm umdrehen, doch seine Hände an ihren Hüften hinderten sie daran.
»Ich bin noch nie verhaftet worden.«
Das wusste er bereits.
»Ich werde doch nicht richtig verhaftet, mit Fingerabdrü¬cken und Fotos für die Verbrecherkartei, oder?«
Joe tastete ein letztes Mal ihren Hosenbund ab. »Doch, Madam, mit Fingerabdrücken und Fotos.«
Sie drehte sich um, kniff die Augen zusammen und funkelte ihn böse an. »Bis eben habe ich nicht geglaubt, dass es Ihr Ernst wäre. Ich dachte, Sie wollten es mir heimzahlen, dass ich das Knie hochgezogen und Sie in ... im Genitalbereich getroffen habe.«
»Sie haben nicht getroffen«, informierte er sie trocken.
»Sind Sie sicher?«
Joe stellte sich gerade hin, griff nach hinten in seine Shorts und zog die Handschellen heraus. »In dem Punkt kann man sich nicht irren.«
»Oh.« Es klang aufrichtig enttäuscht. »Aber ich kann immer noch nicht glauben, dass Sie mir das wirklich antun. Wenn Sie nur einen Funken Anstand im Leib hätten, würden Sie zugeben, dass alles allein Ihre Schuld ist.« Sie hielt inne und holte tief Luft. »Sie schaffen sich ein ausgesprochen schlechtes Karma, und ich bin sicher, dass es Ihnen noch gründlich Leid tun wird.«
Joe sah ihr in die Augen und ließ die Handschellen an ihren Gelenken zuschnappen. Ihm tat jetzt schon einiges Leid. Es tat ihm Leid, dass er sich von einer eines Verbrechens verdächtigten Frau hatte aufs Kreuz legen lassen, und es tat ihm aufrichtig Leid, dass seine Tarnung aufgeflogen war. Und er wusste, dass seine wahren Probleme jetzt erst anfingen.
Die ersten dicken Regentropfen trafen seine Wange, und er hob den Blick zu der Gewitterwolke über seinem Kopf. Drei weitere Tropfen schlugen auf seine Stirn und auf sein Kinn. Er lachte freudlos. »Fantastisch, verdammt noch mal.«
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2002 by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH.
... weniger
Autoren-Porträt von Rachel Gibson
Seit sie sechzehn ist, erfindet Rachel Gibson mit Begeisterung Geschichten. Damals allerdings brauchte sie ihre Ideen vor allem dazu, um sich für ihre Eltern alle möglichen Ausreden einfallen zu lassen. Ihre Karriere als Autorin begann viel später und hat sie inzwischen ganz nach oben auf die amerikanischen Bestsellerplätze und ganz tief in die Herzen ihrer begeisterten Leserinnen geführt. Rachel Gibson lebt mit einem Ehemann, drei Kindern, zwei Katzen und einem Hund in Boise, Idaho.
Bibliographische Angaben
- Autor: Rachel Gibson
- 2013, 352 Seiten, Maße: 11,8 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Hartmann, Elisabeth
- Übersetzer: Elisabeth Hartmann
- Verlag: Goldmann
- ISBN-10: 3442479347
- ISBN-13: 9783442479344
- Erscheinungsdatum: 16.12.2013
Kommentar zu "Das muss Liebe sein"
0 Gebrauchte Artikel zu „Das muss Liebe sein“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
5 von 5 Sternen
5 Sterne 1Schreiben Sie einen Kommentar zu "Das muss Liebe sein".
Kommentar verfassen