Das Perlenmedaillon
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Mit Annas Hilfe wagt Helena das Unerhörte: sie begehrt gegen ihren Mann auf, ruft den Nürnberger Rat an. Und Niklas, der in Venedig das Geheimnis des Diamantschleifens entdeckt hat, macht sich auf den Weg zu ihr. Kann sie ihr Schicksal besiegen?
Ein großer historischer Roman zwischen venezianischen Edelsteinschmugglern, Badstuben, Frauenwirten und prachtvollen Ratsfesten des späten Mittelalters.
Das Perlenmedaillon von Sabine Weigand
LESEPROBE
Schwabach, August 2004
Die segnende Hand Christi ragte aus denzüngelnden Flammen. Zwei Finger wiesen anklagend nach oben auf die musizierendenEngelchen, die pausbackig an der Decke über dem Speise
altar schwebten. Es rauchte, knackteund zischte.
»Ey, holt noch mehr Gebetbücher!«
Der schlaksige Halbwüchsige mit dem Pickelgesicht und derknallrot gefärbten Igelfrisur kippte sichden Rest seiner Bierdose in den Mund,während er mit schwankenden Schritten das Feuerchen umrundete, das imMittelgang zwischen den Bankreihen flackerte. Einer seiner Kumpane rüttelte am übrig gebliebenen Arm des hölzernen Heilands auf dem Palmesel, der trotz der Tatsache,dass das Kunstwerk aus der Zeit um 1500 stammte, nicht nachgab.
»Fuck! «
Ein wütender Tritt sorgte dafür, dassGrautier und Reiter krachend umfielen, wobei der Esel seine morschen Ohren undder Heiland fast alle Finger seiner rechten Hand verlor.
Der dritte Eindringling, ein dicklicherBaseballkappenträger mit Augenbrauenpiercingund einem Ninja-Tattoo auf der Schulter, schleppte einen Arm voller Gesangbücher und Kirchenprospekte durchsLangschiff, sichtlich behindert durch dasbis in die Kniekehlen herunterschlabberndeGesäß seiner Jeans. Unter beifälligem Gejohle der beiden anderen schmiss er alles in die Flammen, dass die Funkenbis zur Decke stoben.
In einer Nische des Sakramentshäuschensstöberten die Jugendlichen zwei silberne Messpokale auf.Während zwei der Kids grölend durch dieStadtkirche turnten und mit den Pokalen Fangen spielten, holte ihr Anführer aus dem mitgebrachten Rucksackeine Spraydose. Auf der vorderstenrechten Säule entstand ein grinsendes neongrünes Strichmännchen, auf derlinken Säule ein umlaufendes Band mit dem beliebtenSponti-Spruch »Alle Bullen sind Schweine«. Danach fläzten sich die dreiauf die Stufen vor dem spätgotischen Hochaltar - einem grandiosen Gemeinschaftswerk der weltberühmten Meister Wolgemutund Stoß -, rauchten selbst gedrehte Zigaretten und soffen billigen Wodka aus den inzwischen völligverbeulten Silberkelchen. Schließlich,als die Glocken vom Kirchturm längst Mitternacht geläutet hatten, rafften sich die sturzbetrunkenenHalbstarken auf, kickten noch einpaar Blumenständer um und verließen die Kirche unbehelligt im Schutz der Nacht durch dasFornikantenpförtchen. Das aufgebrochene Schloss schepperte blechern,als die Holztür hinter ihnen zufiel.
Als der Messner am Morgen seinen Dienstantrat, traf ihn beinahe der Schlag.
Einen Tag später. Paul Möbius, Leiterdes Schwabacher Stadtmuseums, lehntesich in seinem Bürosessel zurück, blies mit dem Rauch seiner Zigarette Kringel in die Luft und beobachtete, wiediese gemächlich an seinen überfüllten Aktenregalenvorbeiwaberten. Möbius war Kunsthistorikerund begeisterter Sixties-Freak; tief in seinem Innern litt er unter der unabänderlichen Tatsache, dass er diewilden sechziger Jahre aufgrund zu später Geburtnicht hatte persönlich erleben dürfen. Er trug die Haare etwas zu lang und dieHosen etwas zu kurz; seine Hemden wiesenstets entweder das obligatorische Paisleymuster oder irgendwelche Op-Art-Dekors auf.
Den ganzen Vormittag hatte Möbius damit verbracht, einKonzept für die nächste Sonderausstellung zu entwerfen. Jetzt hatte er sich einen Kaffee und die erste Zigarette des Tagesverdient, bevor er sich daran machenwollte, die neuesten Auktionskataloge nach Schnäppchen durchzugehen.Möbius tat noch einen tiefen Zug. Gott sei Dank Freitag. Spätestens um halb zwei Uhr würde er im Museum alles erledigthaben und nach Hause fahren können. Dann hatte er noch Zeit für ein Schläfchen, sein obligatorischesfreitägliches Entspannungsbad undein schönes Glas Whisky, bevor er seine Freundin abholen und mit ihr inden Star Club gehen würde, das Mekka der fränkischen Sixties-Anhänger. Für heute Abend war eine englische Live-Band na
mens »The Psychedelic Bell-Bottoms« direkt aus Londonangekündigt, für Insider der Szene einechter Leckerbissen.
Ein Klopfen riss Möbius aus seinen Gedanken. Monika Herbst,seine Halbtagssekretärin, steckte den Kopf zur Tür herein.
»'Tschuldigung, Chef, aber der HerrDekan Müller hätte Sie gern gesprochen.«
Schon öffnete sich die Tür ganz, undder oberste Schwabacher Kirchenmann tratins Zimmer, in der Hand eine unförmige neongelbe Sporttasche. Möbius nahmhastig die Füße vom Schreibtisch und drückteden Glimmstängel aus. Mit beiden Händen wedelte er den Rauch über dem Schreibtisch weg, während er den Dekanentschuldigend anlächelte und dabei verzweifelt überlegte, ob erdiesen Termin heute wohl verschlafen hatte.
»Störe ich etwa Ihre Zigarettenpause,mein Lieber?«
Dekan Müller, dank einiger Jugendjahreals Amateurboxer ein außergewöhnlichathletischer Sechzigjähriger mit ergrautem Haarkranz, Brille und Kinnbart,stellte vorsichtig die Sporttasche ab und schüttelteMöbius über den Schreibtisch hinweg die Hand.
»Tut mir Leid, dass ich Sie soüberfalle, aber es handelt sich um eine rechtdringliche Sache.« Er nahm umständlich auf dem Besuchersessel Platz, rückte seinen Kragen zurecht und setzte einedüstere Miene auf. »Haben Sie heuteschon Zeitung gelesen?«
Möbius schüttelte den Kopf. »Ist waspassiert?«
»Das kann man wohl sagen.« Der Dekanraufte sich die spärlichen Löckchen auf seinem Hinterkopf.»Gestern Nacht waren Vandalen in der Stadtkirche! Haben mit Gesangbüchern einFeuer gelegt, Wände beschmiert, Messgerät beschädigt, all so was. In derKirche sieht's aus wie auf einem Schlachtfeld. Stellen Sie sich vor, sogar demJesus auf dem Palmesel haben sie einen Armabgerissen! Blasphemie ist das, reineBlasphemie!« Müller schnaubte grimmig durch die Nase, sein Doppelkinn bebte vor Empörung.
Möbius, der nicht besonders religiöswar, nickte mitfühlend. »Ist ja unerhört, so was. Weiß man denn schon, wer'swar?«
© Krüger Verlag
- Autor: Sabine Weigand
- 2005, 589 Seiten, Maße: 15,2 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: FISCHER Krüger
- ISBN-10: 3810526606
- ISBN-13: 9783810526601
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