Das Rachespiel
Psychothriller
Ein Unbekannter zwingt Frank Geissler zu einem perfiden "Spiel": "Erfüllst du deine Aufgabe, kommt er frei. Erfüllst du sie nicht, wird er sterben."
Als Frank Geissler die Website mit dem am Boden festgeketteten Mann...
Als Frank Geissler die Website mit dem am Boden festgeketteten Mann...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Das Rachespiel “
Ein Unbekannter zwingt Frank Geissler zu einem perfiden "Spiel": "Erfüllst du deine Aufgabe, kommt er frei. Erfüllst du sie nicht, wird er sterben."
Als Frank Geissler die Website mit dem am Boden festgeketteten Mann öffnet, glaubt er an einen üblen Scherz. Wenig später ist der Mann tot - und Frank plagen Fragen: Hätte er ihn retten können? Hätte er die Polizei einschalten müssen?
Was Frank nicht weiß: Er ist längst mittendrin im Spiel - als einer von vier Kandidaten.
Als Frank Geissler die Website mit dem am Boden festgeketteten Mann öffnet, glaubt er an einen üblen Scherz. Wenig später ist der Mann tot - und Frank plagen Fragen: Hätte er ihn retten können? Hätte er die Polizei einschalten müssen?
Was Frank nicht weiß: Er ist längst mittendrin im Spiel - als einer von vier Kandidaten.
Klappentext zu „Das Rachespiel “
»Erfüllst du deine Aufgabe, kommt er frei. Erfüllst du sie nicht, wird er sterben.«Frank Geissler glaubt an einen Scherz, als er die Website aufruft: Ein Mann, nackt, am Boden festgekettet, in Todesangst. Daneben ein Käfig voller Ratten, unruhig, ausgehungert.
Frank kann den Mann retten, heißt es. Aber nur wenn er Teil des »Spiels« wird und seine erste Aufgabe erfüllt. Angewidert schließt er die Website, doch kurz darauf ist der Mann tot. Und Frank beginnt zu zweifeln. Hätte er dem Unbekannten helfen können? Hätte er nicht sofort die Polizei informieren müssen? Aber es ist zu spät. Und nicht nur für den Toten. Auch Frank ist schon mittendrin. Mittendrin in einem Spiel, in dem er einer der Vier ist, einer der vier Kandidaten, für die es um alles geht. Um ihr eigenes Leben. Aber auch um das Leben aller, die ihnen etwas bedeuten ...
»Meisterhaft spielt Arno Strobel mit den Nerven seiner Leser. Hochspannung pur!« Nele Neuhaus zu »Der Sarg«
»Arno Strobel gehört zu den besten deutschen Thrillerautoren.« Für Sie
Lese-Probe zu „Das Rachespiel “
Das Rachespiel von Arno StrobelProlog
Er betrachtete sein Werk und war zufrieden.
Alles war so, wie es ihm aufgetragen worden war. Seit Tagen hatte er kaum geschlafen, zu viel war zu tun gewesen. Aber nun waren fast alle Vorbereitungen getroffen. Fast. Eine fehlte noch. Aber darum würde er sich jetzt kümmern. Nicht mehr lange, dann würde alles perfekt sein.
Er betrachtete das hektische Treiben im Käfig. Es wurde Zeit. Sie begannen schon, sich gegenseitig anzugreifen, weil der Hunger sie fast wahnsinnig machte.
Er grinste. Bald ...
Er wandte sich ab, zog den Wollschal enger am Hals zusammen. Verdammte Schweinekälte. Ein letztes Mal ließ er seinen Blick über die aufgebauten Geräte schweifen, folgte den Kabeln auf ihrem Weg über den grauen Betonboden bis hin zur Wand. Alles war so, wie es sein sollte.
Er verließ den Raum, nahm den schmalen Gang, der gleich hinter der Stahltür nach rechts führte. Die Wände waren vor kurzem erst neu getüncht worden. Nach wenigen Metern waren zu beiden Seiten weitere Stahltüren in die Wände eingelassen. Er überlegte, wie viele davon es in der Anlage wohl geben mochte, während er sich nach links wandte und die Tür entriegelte. Sorgfältig vergewisserte er sich, dass die erste Spielfigur noch an ihrem Platz lag und unversehrt war, dann schloss er die Tür wieder und ging. Mittlerweile kannte er sich in dem Labyrinth aus schmalen
Gängen aus, wusste, wann er wie abbiegen musste. Dann hatte er die Treppe erreicht. Ja, er war zufrieden.
Das Spiel konnte beginnen.
1
Frank Geissler erhielt den Umschlag am Samstagvormittag.
... mehr
Es war ein herrlicher Septembertag, und es schien, als hätte die Sonne sich nach dem verregneten und viel zu kalten Sommer doch noch auf ihre Aufgabe besonnen und versuche nun nachzuholen, was sie in den vergangenen Wochen versäumt hatte. Als Frank gegen elf Uhr den Rasenmäher abstellte, um eine kleine Pause zu machen und einen Schluck zu trinken, zeigte das Thermometer auf der schattigen Seite des Gartenhauses schon 25 Grad an. Frank würde noch ein, zwei Stunden brauchen, bis er die über 2000 Quadratmeter große Fläche fertiggemäht hatte, doch das machte ihm nichts aus. Natürlich hätte er die Arbeit von einem Gärtner erledigen lassen können, aber er genoss am Wochenende die Beschäftigung an der frischen Luft, da er von montags bis freitags meist den ganzen Tag über im Büro seiner Softwarefirma hockte.
Das gelbe Fahrzeug hielt gerade vor dem Haus, als Frank über die schon gemähte Rasenfläche im vorderen Bereich ging, um die Gartengeräte aufzusammeln, die dort noch herumlagen. Er schlenderte der Postbotin entgegen und nahm den Stapel Briefe an, den sie für ihn hatte. Obenauf lag ein brauner DIN-A5-Luftpolsterumschlag ohne Absender, den restlichen Umschlägen sah man von außen an, dass sie Rechnungen oder Werbung enthielten. Frank ging zum Haus zurück, legte die Briefe auf der Fensterbank ab und riss den braunen Umschlag an der Oberseite auf. Im ersten Moment sah es so aus, als sei er leer, doch als Frank die Öffnung weiter auseinanderzog, entdeckte er einen kleinen Gegenstand, der ganz unten zwischen den luftgepolsterten Seitenteilen steckte. Ein Memorystick. Frank nahm ihn heraus und vergewisserte sich noch einmal, dass der Umschlag sonst nichts enthielt, bevor er ihn zu den Briefen auf der Fensterbank legte. Den silbernen Stick behielt er in der Hand und betrachtete ihn von allen Seiten. Es gab weder einen Werbeaufdruck noch sonst einen Hinweis auf seine Herkunft. Frank überlegte, wer ihm einen Speicherstick ohne Absender und Begleitschreiben schicken könnte. Es fiel ihm niemand ein. Er würde sich den Inhalt ansehen müssen, wenn er mehr erfahren wollte. Frank nahm die anderen Briefe und den leeren Umschlag von der Fensterbank und ging ums Haus herum zur Terrassentür. Auf dem Weg überlegte er sich, dass der Stick Schadsoftware enthalten konnte, einen Trojaner zum Beispiel, dessen Zweck es war, sich auf dem PC festzusetzen, sobald der Stick in den USB-Anschluss gesteckt wurde. Diese Programme spähten den Rechner aus, auf dem sie sich installierten, und schickten dann alle möglichen Daten an einen im Quellcode hinterlegten Adressaten. Nicht zum ersten Mal wollte jemand so an Betriebsgeheimnisse seiner Firma herankommen.
Auf der Terrasse zog Frank die Schuhe aus und betrat das Wohnzimmer. Beate war mit Laura zum Shoppen in der Stadt unterwegs, weil die Fünfzehnjährige neue Schuhe brauchte. Frank wusste aus Erfahrung, dass er vor dem späten Nachmittag nicht mit den beiden rechnen konnte.
Er ging über den Flur in sein Büro, zog den Schreibtischstuhl heran und setzte sich an einen schmalen Tisch, der gegenüber von seinem Schreibtisch an der Wand stand. Auf dem Tisch befand sich ein Rechner älteren Baujahres, den er speziell zu dem Zweck aufgebaut hatte, sich den Inhalt fremder Datenträger anzuschauen. Dieser Computer war nicht mit dem Internet verbunden und enthielt keinerlei persönliche Daten. Franks neuer Arbeitsrechner war zwar mit den aktuellsten Updates verschiedener Virenschutzprogramme geschützt, und die wirklich sensiblen Daten lagen verschlüsselt in gesicherten Verzeichnissen, aber er ging lieber auf Nummer sicher. Die Bankensoftware, die in seiner Firma entwickelt wurde, war auf dem Markt sehr erfolgreich, und schon mehrfach hatten Hacker versucht, in sein Firmennetzwerk einzudringen.
Frank schaltete den Monitor ein und drückte die Leertaste auf der Tastatur. Der PC lief permanent, und so dauerte es nur einen Moment, bis die Windows-Oberfläche zu sehen war. Er zögerte kurz, dann steckte er den Stick in einen der USB-Anschlüsse an der Vorderseite des Rechners, öffnete den Explorer und klickte das Symbol für den externen Speicher an. Es befand sich nur eine einzige Datei auf dem Stick, eine Textdatei von einem Kilobyte Größe. Frank öffnete sie mit einem Doppelklick. Der Text bestand aus drei Zeilen:
Gehe morgen, Sonntag, um Punkt zwölf auf diese Seite.
Und kein Wort. Zu niemandem. Es geht um ein Leben.
http://www.das-spiel.to
Frank las die Worte ein zweites Mal, bevor er sich zurücklehnte. Was war das denn? Es geht um ein Leben ... Und dazu eine Internetadresse in Tonga, der bevorzugten Heimat illegaler Webseiten, weil die Besitzer dieser Domains nicht identifiziert werden konnten, wenn sie sich halbwegs clever anstellten.
Frank rollte mit dem Stuhl zu seinem eigentlichen Schreibtisch und öffnete den Browser seines Arbeits-PCs. Er gab die angegebene Adresse ein und gelangte auf eine schwarze Seite, in deren Mitte in großen roten Buchstaben stand:
Morgen ...
Sonst nichts. Frank bewegte den Mauszeiger auf der Suche nach einem versteckten Link kreuz und quer über den Monitor, aber es gab nichts auf der Seite außer diesem einen Wort.
Was sollte das? Wenn sich jemand einen Scherz erlaubte, dann war das mehr als geschmacklos, fand Frank. Für einen Moment dachte er darüber nach, die Polizei zu verständigen, verwarf den Gedanken aber gleich wieder. Er würde sich ja lächerlich machen, wenn er wegen eines solchen Blödsinns anrief. Das Spiel ... Wahrscheinlich ein paar jugendliche Computerfreaks, die sich wichtig machen wollten.
Mit einem entschlossenen Ruck stand Frank auf, ging wieder zu dem älteren Rechner und zog den Stick aus dem Anschluss. Er warf ihn auf den Schreibtisch und nahm sich vor, der Sache keine weitere Beachtung zu schenken.
Um kurz vor drei war er mit dem Mähen fertig, gegen fünf hatte er eine Seite der Kirschlorbeerhecke geschnitten, die einen Teil des Gartens säumte. Den Rest würde er am darauffolgenden Wochenende erledigen, für diesen Tag hatte er genug von der Gartenarbeit.
Frank räumte alle Gerätschaften zusammen und wunderte sich, dass seine Frau und seine Tochter noch nicht zurück waren. Er versuchte, Beate auf dem Handy zu erreichen, doch die Mailbox schaltete sich gleich nach dem ersten Klingeln ein. Er bat sie, ihn zurückzurufen, und ging unter die Dusche.
Als die beiden um sieben noch immer nicht aufgetaucht waren und sich auch nicht gemeldet hatten, dachte Frank zum ersten Mal wieder an den Memorystick.
Er wurde unruhig. Warum kamen sie nicht? Er verließ die Küche, wo er sich gerade einen kleinen Käsetoast gemacht hatte, und ging, noch am ersten Bissen kauend, wieder in sein Büro. Dort rief er erneut die Adresse der seltsamen Webseite auf. Auch dieses Mal leuchtete ihm nur dieses eine Wort in blutroten Buchstaben entgegen: Morgen.
Frank ließ sich gegen die hohe, gepolsterte Rückenlehne seines Schreibtischstuhls fallen, die Augen noch immer auf den Bildschirm gerichtet. Sein Blick wanderte in die untere, rechte Ecke. 19:17 Uhr. Wo um alles in der Welt blieben Beate und Laura? Gut, es dauerte immer ziemlich lange, wenn die beiden durch die Läden der Trierer Innenstadt bummelten, aber es war merkwürdig, dass sie sich noch nicht gemeldet hatten, weil es spät werden würde. Frank griff nach dem Telefon auf seinem Schreibtisch und wählte erneut Beates Handynummer aus dem Speicher. Ungeduldig wartete er, bis die Ansage der Mailbox beendet war, und sagte: »Ja, ich bin's.« Er bemerkte einen aggressiven Unterton in seiner Stimme, der ihm im gleichen Moment leidtat. Darauf bedacht, ruhig weiterzusprechen, fuhr er fort: »Sagt mal, ihr beiden, habt ihr die Trierer Läden bald leergekauft? Wir wollten doch zusammen was essen gehen. Es ist gleich halb acht, und wenn ihr nicht bald nach Hause kommt, brauchen wir uns nicht mehr auf den Weg zu machen. Melde dich doch bitte wenigstens mal bei mir, Beate.«
Frank legte auf und dachte wieder an den letzten Satz des Textes: Es geht um ein Leben ... So ein Blödsinn! Mit einem letzten Blick auf den Monitor schloss er den Browser, stand auf und verließ das Büro.
Er ging ins Wohnzimmer, ließ sich auf die schwarze Ledercouch fallen, schaltete den Fernseher ein und zappte durch die Programme. Nichts von dem, was er auf den Sendern in den zwei, drei Sekunden sah, bevor er zum nächsten Kanal weiterschaltete, interessierte ihn. Etwa eine Minute und unzählige Programmschnipsel später gab er es auf und schaltete das Gerät wieder ab. Die Fernbedienung warf er unwillig auf den Tisch, wo sie scheppernd liegen blieb. Verwundert blickte er auf das schwarze Kunststoffteil und fragte sich, was mit ihm los war. War es diese Nachricht, die ihn so nervös machte, oder lag es daran, dass seine Frau und seine Tochter noch nicht zu Hause waren? Oder ... Frank spürte, wie sein Herzschlag sich beschleunigte. Oder war es vielleicht beides zusammen? Gab es einen Zusammenhang zwischen dieser merkwürdigen Nachricht und der Tatsache, dass Beate und Laura bisher nicht aufgetaucht waren, nicht einmal zurückriefen?
Ihm wurde bewusst, dass es genau dieser Gedanke gewesen war, der ihn unterbewusst schon die ganze Zeit über unruhig gemacht hatte. Seine Frau und seine Tochter kamen nicht nach Hause. Er konnte Beate nicht erreichen.
Es geht um ein Leben ...
2
Frank sprang auf und nahm das Telefon aus der Ladestation auf dem Sideboard. Er hatte zwar schon einige Male Beates Handynummer gewählt, aber noch kein einziges Mal die seiner Tochter. Es dauerte zwei, drei lange Sekunden, bis er das erste Tuten im Telefonhörer und fast zeitgleich den gedämpften elektronischen Klingelton von Lauras Handy irgendwo in seiner Nähe hörte, wahrscheinlich aus der Küche. »Mist«, stieß er aus und stellte das Gerät zurück auf die Station. Seine Tochter hatte ihr Smartphone zu Hause liegen lassen. Seltsam, dachte Frank, das passierte ihr sonst nie. Schließlich war sie pausenlos damit beschäftigt, Nachrichten an ihre Freunde zu schicken.
Sollte er doch die Polizei anrufen? Frank war unschlüssig, verwarf den Gedanken dann aber ein weiteres Mal und wunderte sich, dass er überhaupt auf die Idee kam. Er würde - zu Recht - höchstens einen Kommentar zum Thema Frauen und Einkaufen zu hören bekommen, wenn er erzählte, dass er sich Sorgen machte, weil seine Frau und seine Tochter noch nicht von ihrem nachmittäglichen Stadtbummel zurück waren. Und auch die Tatsache, dass er ausgerechnet an diesem Tag neben der üblichen Anzahl an Rechnungen und Werbebriefen einen Memory- stick bekommen hatte, der ... Frank stockte kurz, bevor er sich wieder auf die Couch niederließ. Werbebriefe ... Marketing ...
»Virales Marketing«, sagte er laut und schlug sich mit der Hand auf den Oberschenkel. Dass ihm das nicht gleich eingefallen war. Es war erst wenige Wochen her, dass er einen Vortrag zu diesem Thema gehört hatte. Es ging dabei um möglichst rätselhafte Nachrichten, ausgefallene Spiele oder Videoclips, die gezielt über soziale Netze, Videoplattformen oder auch per Post verbreitet wurden und bei denen die Empfänger oft lange Zeit gar nicht erkannten, dass es sich um eine Werbemaßnahme handelte. Der Erfolg dieser Methode war meist groß und mit geringem finanziellen Einsatz zu erreichen, da die rätselhaften Informationen sich über das Netz ähnlich wie ein Virus innerhalb kürzester Zeit verbreiteten. Wahrscheinlich würde er morgen auf dieser Website ... Ein Geräusch unterbrach Franks Gedanken, und im nächsten Augenblick durchzog ihn ein wohliger Schauer der Erleichterung, als er das helle Lachen seiner Tochter erkannte. Er erhob sich und verließ das Wohnzimmer.
Beate und Laura standen in der geräumigen Diele inmitten einer bunten Insel aus Tragetaschen und kicherten albern, als er auf sie zukam. »Hallo Schatz«, begrüßte Beate ihn und deutete mit beiden Händen auf den Boden vor sich. »Tut mir leid, dass es so spät geworden ist, aber du siehst ja, wir hatten wirklich viel zu tun.«
Er blieb kurz vor ihr stehen und betrachtete ihre Einkäufe. »Ja, das sehe ich ... aber warum bist du nicht an dein Handy gegangen? Ich habe einige Male versucht, dich zu erreichen. Wir wollten doch heute Abend zusammen essen gehen.« Beate warf einen Blick auf ihre Armbanduhr und lächelte ihn wieder an. »Kein Problem, von mir aus können wir um acht los.« Sie sah zu ihrer Tochter hinüber. »Das sind noch zwanzig Minuten, schaffst du das, junge Dame?« Laura strich sich eine blonde Strähne aus dem Gesicht und winkte lässig ab. »Klar, kein Problem. Ich ziehe nur schnell meine neue Jeans an.«
Sie schnappte sich den größeren Teil der Tüten und verschwand in ihr Zimmer.
Als Laura die Tür hinter sich geschlossen hatte, dachte Frank kurz darüber nach, ob er Beate von der Nachricht auf dem Memorystick erzählen sollte, entschied sich aber dagegen. Er kannte seine Frau gut genug, um zu wissen, dass sie sich Sorgen machen und den ganzen Abend über nichts anderes mehr sprechen würde.
Auf der Fahrt zum Restaurant in Nittel erfuhr er alle Einzelheiten der langen Einkaufstour, wobei Laura und Beate vor Begeisterung zeitweise gleichzeitig redeten. An die Nachricht auf dem Stick dachte er an diesem Abend nicht mehr.
Den Sonntag starteten sie mit einem gemeinsamen Frühstück auf der Terrasse. Frank hatte den großen Sonnenschirm aufgespannt und genoss das gemütliche Zusammensein mit seiner kleinen Familie. Liebend gern hätte er das jedes Wochenende so gemacht, aber es war eher selten, dass sie gemeinsam frühstückten, weil entweder Laura zu lange schlief oder weil er selbst an den Wochenenden oft schon am frühen Morgen am Schreibtisch saß und arbeitete.
Um Viertel nach zehn dachte Frank zum ersten Mal wieder an den Memorystick, als Laura nach einem Blick auf die Uhr verkündete, dass sie ihre Freundin Saskia anrufen und sie fragen wolle, ob sie mit ins Freibad käme. Um Punkt zwölf hatte es in der Nachricht geheißen. Frank beschloss, zumindest kurz nachzusehen, wie dieses Spiel weitergehen sollte. Er war neugierig und konnte sich jetzt, da er wusste, dass es sich nur um einen Marketinggag handelte, ganz gelassen anschauen, was die Werbeleute sich hatten einfallen lassen, um die potentiellen Spieler bei Laune zu halten.
Beate erzählte er weiterhin nichts davon, weil er zumindest am Anfang mitspielen wollte.
Kein Wort, zu niemandem, hatte es geheißen. Eigentlich sonderbar, aber für den Moment beschloss Frank sich daran zu halten.
Beate stand unter der Dusche, als Laura um zwanzig vor zwölf von Saskias Mutter abgeholt wurde. Sie wollte die beiden Mädchen ins Trierer Freibad begleiten. »Hast du dein Handy dabei?«, fragte Frank, als seine Tochter ihm im Vorbeigehen einen schnellen Kuss auf die Wange drückte.
»Hab ich, und ich komme auch nicht zu spät nach Hause, und ich lasse mich nicht von fremden Männern ansprechen. Alkohol trinke ich auch nicht, und rauchen würde mir im Traum nicht einfallen. Tschü-hüüs.«
Während er Laura lächelnd dabei zusah, wie sie zum silberfarbenen Golf von Saskias Mutter ging, stellte Frank nicht zum ersten Mal fest, dass aus ihr rasend schnell eine junge Frau wurde. Das löste ein Gefühl von Stolz, aber auch von Sorge in ihm aus. Genau das könnten auch irgendwelche Typen bemerken.
Die neue Jeans stand ihr sehr gut und betonte ihre sportliche Figur. Die langen hellblonden Haare, die sie von ihrer Mutter hatte, trug sie zu einem Pferdeschwanz gebunden, der beim Gehen hin und her wippte. Laura warf ihre Tasche auf die Rückbank des Wagens und winkte ihm noch einmal zu, während sie einstieg. Im nächsten Moment unterhielt sie sich schon aufgeregt mit Saskia, die auf dem Beifahrersitz saß. Frank wartete, bis der Golf losgefahren war, dann ging er wieder ins Haus. Als er an der Treppe vorbeikam, öffnete Beate in der ersten Etage gerade die Badezimmertür. »Schatz, ich gehe mal für eine halbe Stunde an den Schreibtisch«, rief er nach oben.
Um acht Minuten vor zwölf saß Frank vor seinem Computer und rief die Website www.das-spiel.to auf. Noch immer dominierte der schwarze Hintergrund, aber das Wort Morgen in der Mitte war verschwunden. Stattdessen lief an gleicher Stelle jetzt ein Countdown in roten Zahlen. Gerade stand er bei 00h:07m:34s.
Wie gebannt sah Frank zu, wie die Sekunden heruntergezählt wurden. 33s ... 32s ... 31s ...
Als der Countdown bei drei Minuten angelangt war, drückte er die F5-Taste, wodurch die Webseite neu geladen und aufgebaut wurde, aber das Bild blieb das gleiche. Frank wunderte sich über seine Unruhe.
00h:01m:02s
Erneut drückte er die Taste, das Bild blieb gleich. Er überlegte, warum die Initiatoren dieser Aktion wohl ausgerechnet ihm einen ihrer Memorysticks geschickt hatten, und gab sich selbst die Antwort: weil ihm eine Softwarefirma gehörte und er als Informatiker vielleicht zur Zielgruppe gehörte.
00h:00m:01s ... jetzt!
Wieder führte Frank den sogenannten Refresh durch, und als sich der Bildschirminhalt nun neu aufbaute, hatte er sich verändert. Franks Puls beschleunigte sich, als er die Eingabemaske sah, die in der Mitte des Monitors eingeblendet wurde. Über einem Feld, in dem der Cursor blinkte, stand: Willkommen, Spieler. Gib deinen Namen ein, damit das Spiel beginnen kann.
Frank überlegte einen Augenblick, dann tippte er Peter ein und klickte anschließend auf OK, woraufhin die Eingabemaske verschwand und durch einen Satz in roter Schrift ersetzt wurde, der auf dem schwarzen Hintergrund wirkte, als sei er mit Blut geschrieben:
Peter ist nicht korrekt. Gib deinen richtigen Namen ein, oder du verlierst eine Spielfigur. Du hast nur noch einen Versuch.
Frank schürzte die Lippen und fragte sich, mit welchem Algorithmus sie herausgefunden hatten, dass er nicht seinen richtigen Name eingegeben hatte. Vielleicht kam diese Aktion ja von einer Seite, die er öfter besuchte und auf der er seinen korrekten Namen angegeben hatte, ein Internetshop. Wenn man dort seinen Namen und seine IP-Adresse in einer Datenbank gespeichert hatte und das nun mit seiner Eingabe abglich ... Wie auch immer, er wollte wissen, wie es weiterging und gab seinen richtigen Namen ein. Damit allein konnte kein Datensammler etwas anfangen. Frank betätigte die ENTER-Taste und starrte gebannt auf den Monitor. Erst tat sich eine Weile nichts, dann verschwand die Eingabemaske. Sekunden später schien der schwarze Hintergrund sich langsam aufzulösen, immer durchscheinender wurde er und gab dabei mehr und mehr den Blick auf eine verwirrende Szene frei. Lange Zeit konnte Frank nicht einordnen, was er sah. Schemenhaft, von dem langsam durchscheinender werdenden Schwarz noch verfremdet, wie mit einem engmaschigen Netz bedeckt, glaubte er eine menschliche Gestalt zu er kennen, ein Gesicht mit einem langen Bart, lange Haare ... die Perspektive, in der er diesen ... Mann? ... sah, war ihm noch unklar, aber es konnte nur noch Sekunden dauern, dann ... Der Mann war offenbar nackt, schien auf einem grauen Untergrund zu liegen. Die letzten Schlieren verschwanden, und Frank konnte alle Einzelheiten der bizarren Szene erkennen. Der Mann war hager, wirkte verwahrlost. Er lag mit panisch aufgerissenen Augen auf einem grauen Betonboden. Die Arme waren über dem Kopf an den Handgelenken aneinandergefesselt und mit einem Seil irgendwo außerhalb des Bildausschnittes festgebunden. Auch um die schmutzigen Fußgelenke konnte Frank einen groben Strick erkennen, dessen Ende auf der anderen Seite aus dem sichtbaren Bereich verschwand. Die Rippen stachen deutlich unter der dünn erscheinenden Haut hervor, der Körper war übersät mit dunklen Flecken, die wie Blutergüsse aussahen. Die langen Haare lagen strähnig um den Kopf des Mannes, vermengten sich teilweise mit seinem verfilzten Bart. Inmitten dieses Gestrüpps klaffte ein lippenloser Mund wie eine schwarze Spalte auseinander, zu einem irren Schrei geöffnet. Der Anblick war schrecklich, aber das Schlimmste war nicht die ausgemergelte, jämmerliche Gestalt, die gefesselt dalag. Was Franks Magen rebellieren und ihn ein »O mein Gott« ausstoßen ließ, war etwas anderes.
3
Das Spiel hatte begonnen, alle Spieler hatten sich erwartungsgemäß angemeldet.
Es war ihm egal, ob einer von ihnen seine erste Aufgabe erfüllen würde, wahrscheinlich würde es keiner versuchen. Aber das würde sich ändern, wenn sie ihre nächste Aufgabe bekamen. Er würde dafür sorgen, dass das Spiel so verlief, wie es geplant war. Zumindest jetzt noch.
Bald schon würde er keinen Einfluss mehr darauf haben. Dann, wenn sie gegeneinander spielen würden.
Er sah sich um, betrachtete die grauen Betonwände, die Einrichtung des Raumes, in dem er saß, die Gerätschaften, die hier überall herumstanden. Relikte einer vergangenen Ära. Dann stand er auf und öffnete die stählerne Tür. Er musste sich bald um die erste Spielfigur kümmern und überlegte, ob sie schreien würde, wenn ihr Leben erlosch. Er dachte in einer Weise darüber nach, wie er sich Gedanken über das Wetter am nächsten Tag machen würde.
Das kalte Neonlicht des schmalen Flurs ergoss sich über die kahlen Wände und ließ sie abweisend und unwirklich erscheinen, aber davon spürte er nichts.
So, wie er auch sonst nichts spürte.
Schon lange nicht mehr.
Copyright © S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main
Es war ein herrlicher Septembertag, und es schien, als hätte die Sonne sich nach dem verregneten und viel zu kalten Sommer doch noch auf ihre Aufgabe besonnen und versuche nun nachzuholen, was sie in den vergangenen Wochen versäumt hatte. Als Frank gegen elf Uhr den Rasenmäher abstellte, um eine kleine Pause zu machen und einen Schluck zu trinken, zeigte das Thermometer auf der schattigen Seite des Gartenhauses schon 25 Grad an. Frank würde noch ein, zwei Stunden brauchen, bis er die über 2000 Quadratmeter große Fläche fertiggemäht hatte, doch das machte ihm nichts aus. Natürlich hätte er die Arbeit von einem Gärtner erledigen lassen können, aber er genoss am Wochenende die Beschäftigung an der frischen Luft, da er von montags bis freitags meist den ganzen Tag über im Büro seiner Softwarefirma hockte.
Das gelbe Fahrzeug hielt gerade vor dem Haus, als Frank über die schon gemähte Rasenfläche im vorderen Bereich ging, um die Gartengeräte aufzusammeln, die dort noch herumlagen. Er schlenderte der Postbotin entgegen und nahm den Stapel Briefe an, den sie für ihn hatte. Obenauf lag ein brauner DIN-A5-Luftpolsterumschlag ohne Absender, den restlichen Umschlägen sah man von außen an, dass sie Rechnungen oder Werbung enthielten. Frank ging zum Haus zurück, legte die Briefe auf der Fensterbank ab und riss den braunen Umschlag an der Oberseite auf. Im ersten Moment sah es so aus, als sei er leer, doch als Frank die Öffnung weiter auseinanderzog, entdeckte er einen kleinen Gegenstand, der ganz unten zwischen den luftgepolsterten Seitenteilen steckte. Ein Memorystick. Frank nahm ihn heraus und vergewisserte sich noch einmal, dass der Umschlag sonst nichts enthielt, bevor er ihn zu den Briefen auf der Fensterbank legte. Den silbernen Stick behielt er in der Hand und betrachtete ihn von allen Seiten. Es gab weder einen Werbeaufdruck noch sonst einen Hinweis auf seine Herkunft. Frank überlegte, wer ihm einen Speicherstick ohne Absender und Begleitschreiben schicken könnte. Es fiel ihm niemand ein. Er würde sich den Inhalt ansehen müssen, wenn er mehr erfahren wollte. Frank nahm die anderen Briefe und den leeren Umschlag von der Fensterbank und ging ums Haus herum zur Terrassentür. Auf dem Weg überlegte er sich, dass der Stick Schadsoftware enthalten konnte, einen Trojaner zum Beispiel, dessen Zweck es war, sich auf dem PC festzusetzen, sobald der Stick in den USB-Anschluss gesteckt wurde. Diese Programme spähten den Rechner aus, auf dem sie sich installierten, und schickten dann alle möglichen Daten an einen im Quellcode hinterlegten Adressaten. Nicht zum ersten Mal wollte jemand so an Betriebsgeheimnisse seiner Firma herankommen.
Auf der Terrasse zog Frank die Schuhe aus und betrat das Wohnzimmer. Beate war mit Laura zum Shoppen in der Stadt unterwegs, weil die Fünfzehnjährige neue Schuhe brauchte. Frank wusste aus Erfahrung, dass er vor dem späten Nachmittag nicht mit den beiden rechnen konnte.
Er ging über den Flur in sein Büro, zog den Schreibtischstuhl heran und setzte sich an einen schmalen Tisch, der gegenüber von seinem Schreibtisch an der Wand stand. Auf dem Tisch befand sich ein Rechner älteren Baujahres, den er speziell zu dem Zweck aufgebaut hatte, sich den Inhalt fremder Datenträger anzuschauen. Dieser Computer war nicht mit dem Internet verbunden und enthielt keinerlei persönliche Daten. Franks neuer Arbeitsrechner war zwar mit den aktuellsten Updates verschiedener Virenschutzprogramme geschützt, und die wirklich sensiblen Daten lagen verschlüsselt in gesicherten Verzeichnissen, aber er ging lieber auf Nummer sicher. Die Bankensoftware, die in seiner Firma entwickelt wurde, war auf dem Markt sehr erfolgreich, und schon mehrfach hatten Hacker versucht, in sein Firmennetzwerk einzudringen.
Frank schaltete den Monitor ein und drückte die Leertaste auf der Tastatur. Der PC lief permanent, und so dauerte es nur einen Moment, bis die Windows-Oberfläche zu sehen war. Er zögerte kurz, dann steckte er den Stick in einen der USB-Anschlüsse an der Vorderseite des Rechners, öffnete den Explorer und klickte das Symbol für den externen Speicher an. Es befand sich nur eine einzige Datei auf dem Stick, eine Textdatei von einem Kilobyte Größe. Frank öffnete sie mit einem Doppelklick. Der Text bestand aus drei Zeilen:
Gehe morgen, Sonntag, um Punkt zwölf auf diese Seite.
Und kein Wort. Zu niemandem. Es geht um ein Leben.
http://www.das-spiel.to
Frank las die Worte ein zweites Mal, bevor er sich zurücklehnte. Was war das denn? Es geht um ein Leben ... Und dazu eine Internetadresse in Tonga, der bevorzugten Heimat illegaler Webseiten, weil die Besitzer dieser Domains nicht identifiziert werden konnten, wenn sie sich halbwegs clever anstellten.
Frank rollte mit dem Stuhl zu seinem eigentlichen Schreibtisch und öffnete den Browser seines Arbeits-PCs. Er gab die angegebene Adresse ein und gelangte auf eine schwarze Seite, in deren Mitte in großen roten Buchstaben stand:
Morgen ...
Sonst nichts. Frank bewegte den Mauszeiger auf der Suche nach einem versteckten Link kreuz und quer über den Monitor, aber es gab nichts auf der Seite außer diesem einen Wort.
Was sollte das? Wenn sich jemand einen Scherz erlaubte, dann war das mehr als geschmacklos, fand Frank. Für einen Moment dachte er darüber nach, die Polizei zu verständigen, verwarf den Gedanken aber gleich wieder. Er würde sich ja lächerlich machen, wenn er wegen eines solchen Blödsinns anrief. Das Spiel ... Wahrscheinlich ein paar jugendliche Computerfreaks, die sich wichtig machen wollten.
Mit einem entschlossenen Ruck stand Frank auf, ging wieder zu dem älteren Rechner und zog den Stick aus dem Anschluss. Er warf ihn auf den Schreibtisch und nahm sich vor, der Sache keine weitere Beachtung zu schenken.
Um kurz vor drei war er mit dem Mähen fertig, gegen fünf hatte er eine Seite der Kirschlorbeerhecke geschnitten, die einen Teil des Gartens säumte. Den Rest würde er am darauffolgenden Wochenende erledigen, für diesen Tag hatte er genug von der Gartenarbeit.
Frank räumte alle Gerätschaften zusammen und wunderte sich, dass seine Frau und seine Tochter noch nicht zurück waren. Er versuchte, Beate auf dem Handy zu erreichen, doch die Mailbox schaltete sich gleich nach dem ersten Klingeln ein. Er bat sie, ihn zurückzurufen, und ging unter die Dusche.
Als die beiden um sieben noch immer nicht aufgetaucht waren und sich auch nicht gemeldet hatten, dachte Frank zum ersten Mal wieder an den Memorystick.
Er wurde unruhig. Warum kamen sie nicht? Er verließ die Küche, wo er sich gerade einen kleinen Käsetoast gemacht hatte, und ging, noch am ersten Bissen kauend, wieder in sein Büro. Dort rief er erneut die Adresse der seltsamen Webseite auf. Auch dieses Mal leuchtete ihm nur dieses eine Wort in blutroten Buchstaben entgegen: Morgen.
Frank ließ sich gegen die hohe, gepolsterte Rückenlehne seines Schreibtischstuhls fallen, die Augen noch immer auf den Bildschirm gerichtet. Sein Blick wanderte in die untere, rechte Ecke. 19:17 Uhr. Wo um alles in der Welt blieben Beate und Laura? Gut, es dauerte immer ziemlich lange, wenn die beiden durch die Läden der Trierer Innenstadt bummelten, aber es war merkwürdig, dass sie sich noch nicht gemeldet hatten, weil es spät werden würde. Frank griff nach dem Telefon auf seinem Schreibtisch und wählte erneut Beates Handynummer aus dem Speicher. Ungeduldig wartete er, bis die Ansage der Mailbox beendet war, und sagte: »Ja, ich bin's.« Er bemerkte einen aggressiven Unterton in seiner Stimme, der ihm im gleichen Moment leidtat. Darauf bedacht, ruhig weiterzusprechen, fuhr er fort: »Sagt mal, ihr beiden, habt ihr die Trierer Läden bald leergekauft? Wir wollten doch zusammen was essen gehen. Es ist gleich halb acht, und wenn ihr nicht bald nach Hause kommt, brauchen wir uns nicht mehr auf den Weg zu machen. Melde dich doch bitte wenigstens mal bei mir, Beate.«
Frank legte auf und dachte wieder an den letzten Satz des Textes: Es geht um ein Leben ... So ein Blödsinn! Mit einem letzten Blick auf den Monitor schloss er den Browser, stand auf und verließ das Büro.
Er ging ins Wohnzimmer, ließ sich auf die schwarze Ledercouch fallen, schaltete den Fernseher ein und zappte durch die Programme. Nichts von dem, was er auf den Sendern in den zwei, drei Sekunden sah, bevor er zum nächsten Kanal weiterschaltete, interessierte ihn. Etwa eine Minute und unzählige Programmschnipsel später gab er es auf und schaltete das Gerät wieder ab. Die Fernbedienung warf er unwillig auf den Tisch, wo sie scheppernd liegen blieb. Verwundert blickte er auf das schwarze Kunststoffteil und fragte sich, was mit ihm los war. War es diese Nachricht, die ihn so nervös machte, oder lag es daran, dass seine Frau und seine Tochter noch nicht zu Hause waren? Oder ... Frank spürte, wie sein Herzschlag sich beschleunigte. Oder war es vielleicht beides zusammen? Gab es einen Zusammenhang zwischen dieser merkwürdigen Nachricht und der Tatsache, dass Beate und Laura bisher nicht aufgetaucht waren, nicht einmal zurückriefen?
Ihm wurde bewusst, dass es genau dieser Gedanke gewesen war, der ihn unterbewusst schon die ganze Zeit über unruhig gemacht hatte. Seine Frau und seine Tochter kamen nicht nach Hause. Er konnte Beate nicht erreichen.
Es geht um ein Leben ...
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Frank sprang auf und nahm das Telefon aus der Ladestation auf dem Sideboard. Er hatte zwar schon einige Male Beates Handynummer gewählt, aber noch kein einziges Mal die seiner Tochter. Es dauerte zwei, drei lange Sekunden, bis er das erste Tuten im Telefonhörer und fast zeitgleich den gedämpften elektronischen Klingelton von Lauras Handy irgendwo in seiner Nähe hörte, wahrscheinlich aus der Küche. »Mist«, stieß er aus und stellte das Gerät zurück auf die Station. Seine Tochter hatte ihr Smartphone zu Hause liegen lassen. Seltsam, dachte Frank, das passierte ihr sonst nie. Schließlich war sie pausenlos damit beschäftigt, Nachrichten an ihre Freunde zu schicken.
Sollte er doch die Polizei anrufen? Frank war unschlüssig, verwarf den Gedanken dann aber ein weiteres Mal und wunderte sich, dass er überhaupt auf die Idee kam. Er würde - zu Recht - höchstens einen Kommentar zum Thema Frauen und Einkaufen zu hören bekommen, wenn er erzählte, dass er sich Sorgen machte, weil seine Frau und seine Tochter noch nicht von ihrem nachmittäglichen Stadtbummel zurück waren. Und auch die Tatsache, dass er ausgerechnet an diesem Tag neben der üblichen Anzahl an Rechnungen und Werbebriefen einen Memory- stick bekommen hatte, der ... Frank stockte kurz, bevor er sich wieder auf die Couch niederließ. Werbebriefe ... Marketing ...
»Virales Marketing«, sagte er laut und schlug sich mit der Hand auf den Oberschenkel. Dass ihm das nicht gleich eingefallen war. Es war erst wenige Wochen her, dass er einen Vortrag zu diesem Thema gehört hatte. Es ging dabei um möglichst rätselhafte Nachrichten, ausgefallene Spiele oder Videoclips, die gezielt über soziale Netze, Videoplattformen oder auch per Post verbreitet wurden und bei denen die Empfänger oft lange Zeit gar nicht erkannten, dass es sich um eine Werbemaßnahme handelte. Der Erfolg dieser Methode war meist groß und mit geringem finanziellen Einsatz zu erreichen, da die rätselhaften Informationen sich über das Netz ähnlich wie ein Virus innerhalb kürzester Zeit verbreiteten. Wahrscheinlich würde er morgen auf dieser Website ... Ein Geräusch unterbrach Franks Gedanken, und im nächsten Augenblick durchzog ihn ein wohliger Schauer der Erleichterung, als er das helle Lachen seiner Tochter erkannte. Er erhob sich und verließ das Wohnzimmer.
Beate und Laura standen in der geräumigen Diele inmitten einer bunten Insel aus Tragetaschen und kicherten albern, als er auf sie zukam. »Hallo Schatz«, begrüßte Beate ihn und deutete mit beiden Händen auf den Boden vor sich. »Tut mir leid, dass es so spät geworden ist, aber du siehst ja, wir hatten wirklich viel zu tun.«
Er blieb kurz vor ihr stehen und betrachtete ihre Einkäufe. »Ja, das sehe ich ... aber warum bist du nicht an dein Handy gegangen? Ich habe einige Male versucht, dich zu erreichen. Wir wollten doch heute Abend zusammen essen gehen.« Beate warf einen Blick auf ihre Armbanduhr und lächelte ihn wieder an. »Kein Problem, von mir aus können wir um acht los.« Sie sah zu ihrer Tochter hinüber. »Das sind noch zwanzig Minuten, schaffst du das, junge Dame?« Laura strich sich eine blonde Strähne aus dem Gesicht und winkte lässig ab. »Klar, kein Problem. Ich ziehe nur schnell meine neue Jeans an.«
Sie schnappte sich den größeren Teil der Tüten und verschwand in ihr Zimmer.
Als Laura die Tür hinter sich geschlossen hatte, dachte Frank kurz darüber nach, ob er Beate von der Nachricht auf dem Memorystick erzählen sollte, entschied sich aber dagegen. Er kannte seine Frau gut genug, um zu wissen, dass sie sich Sorgen machen und den ganzen Abend über nichts anderes mehr sprechen würde.
Auf der Fahrt zum Restaurant in Nittel erfuhr er alle Einzelheiten der langen Einkaufstour, wobei Laura und Beate vor Begeisterung zeitweise gleichzeitig redeten. An die Nachricht auf dem Stick dachte er an diesem Abend nicht mehr.
Den Sonntag starteten sie mit einem gemeinsamen Frühstück auf der Terrasse. Frank hatte den großen Sonnenschirm aufgespannt und genoss das gemütliche Zusammensein mit seiner kleinen Familie. Liebend gern hätte er das jedes Wochenende so gemacht, aber es war eher selten, dass sie gemeinsam frühstückten, weil entweder Laura zu lange schlief oder weil er selbst an den Wochenenden oft schon am frühen Morgen am Schreibtisch saß und arbeitete.
Um Viertel nach zehn dachte Frank zum ersten Mal wieder an den Memorystick, als Laura nach einem Blick auf die Uhr verkündete, dass sie ihre Freundin Saskia anrufen und sie fragen wolle, ob sie mit ins Freibad käme. Um Punkt zwölf hatte es in der Nachricht geheißen. Frank beschloss, zumindest kurz nachzusehen, wie dieses Spiel weitergehen sollte. Er war neugierig und konnte sich jetzt, da er wusste, dass es sich nur um einen Marketinggag handelte, ganz gelassen anschauen, was die Werbeleute sich hatten einfallen lassen, um die potentiellen Spieler bei Laune zu halten.
Beate erzählte er weiterhin nichts davon, weil er zumindest am Anfang mitspielen wollte.
Kein Wort, zu niemandem, hatte es geheißen. Eigentlich sonderbar, aber für den Moment beschloss Frank sich daran zu halten.
Beate stand unter der Dusche, als Laura um zwanzig vor zwölf von Saskias Mutter abgeholt wurde. Sie wollte die beiden Mädchen ins Trierer Freibad begleiten. »Hast du dein Handy dabei?«, fragte Frank, als seine Tochter ihm im Vorbeigehen einen schnellen Kuss auf die Wange drückte.
»Hab ich, und ich komme auch nicht zu spät nach Hause, und ich lasse mich nicht von fremden Männern ansprechen. Alkohol trinke ich auch nicht, und rauchen würde mir im Traum nicht einfallen. Tschü-hüüs.«
Während er Laura lächelnd dabei zusah, wie sie zum silberfarbenen Golf von Saskias Mutter ging, stellte Frank nicht zum ersten Mal fest, dass aus ihr rasend schnell eine junge Frau wurde. Das löste ein Gefühl von Stolz, aber auch von Sorge in ihm aus. Genau das könnten auch irgendwelche Typen bemerken.
Die neue Jeans stand ihr sehr gut und betonte ihre sportliche Figur. Die langen hellblonden Haare, die sie von ihrer Mutter hatte, trug sie zu einem Pferdeschwanz gebunden, der beim Gehen hin und her wippte. Laura warf ihre Tasche auf die Rückbank des Wagens und winkte ihm noch einmal zu, während sie einstieg. Im nächsten Moment unterhielt sie sich schon aufgeregt mit Saskia, die auf dem Beifahrersitz saß. Frank wartete, bis der Golf losgefahren war, dann ging er wieder ins Haus. Als er an der Treppe vorbeikam, öffnete Beate in der ersten Etage gerade die Badezimmertür. »Schatz, ich gehe mal für eine halbe Stunde an den Schreibtisch«, rief er nach oben.
Um acht Minuten vor zwölf saß Frank vor seinem Computer und rief die Website www.das-spiel.to auf. Noch immer dominierte der schwarze Hintergrund, aber das Wort Morgen in der Mitte war verschwunden. Stattdessen lief an gleicher Stelle jetzt ein Countdown in roten Zahlen. Gerade stand er bei 00h:07m:34s.
Wie gebannt sah Frank zu, wie die Sekunden heruntergezählt wurden. 33s ... 32s ... 31s ...
Als der Countdown bei drei Minuten angelangt war, drückte er die F5-Taste, wodurch die Webseite neu geladen und aufgebaut wurde, aber das Bild blieb das gleiche. Frank wunderte sich über seine Unruhe.
00h:01m:02s
Erneut drückte er die Taste, das Bild blieb gleich. Er überlegte, warum die Initiatoren dieser Aktion wohl ausgerechnet ihm einen ihrer Memorysticks geschickt hatten, und gab sich selbst die Antwort: weil ihm eine Softwarefirma gehörte und er als Informatiker vielleicht zur Zielgruppe gehörte.
00h:00m:01s ... jetzt!
Wieder führte Frank den sogenannten Refresh durch, und als sich der Bildschirminhalt nun neu aufbaute, hatte er sich verändert. Franks Puls beschleunigte sich, als er die Eingabemaske sah, die in der Mitte des Monitors eingeblendet wurde. Über einem Feld, in dem der Cursor blinkte, stand: Willkommen, Spieler. Gib deinen Namen ein, damit das Spiel beginnen kann.
Frank überlegte einen Augenblick, dann tippte er Peter ein und klickte anschließend auf OK, woraufhin die Eingabemaske verschwand und durch einen Satz in roter Schrift ersetzt wurde, der auf dem schwarzen Hintergrund wirkte, als sei er mit Blut geschrieben:
Peter ist nicht korrekt. Gib deinen richtigen Namen ein, oder du verlierst eine Spielfigur. Du hast nur noch einen Versuch.
Frank schürzte die Lippen und fragte sich, mit welchem Algorithmus sie herausgefunden hatten, dass er nicht seinen richtigen Name eingegeben hatte. Vielleicht kam diese Aktion ja von einer Seite, die er öfter besuchte und auf der er seinen korrekten Namen angegeben hatte, ein Internetshop. Wenn man dort seinen Namen und seine IP-Adresse in einer Datenbank gespeichert hatte und das nun mit seiner Eingabe abglich ... Wie auch immer, er wollte wissen, wie es weiterging und gab seinen richtigen Namen ein. Damit allein konnte kein Datensammler etwas anfangen. Frank betätigte die ENTER-Taste und starrte gebannt auf den Monitor. Erst tat sich eine Weile nichts, dann verschwand die Eingabemaske. Sekunden später schien der schwarze Hintergrund sich langsam aufzulösen, immer durchscheinender wurde er und gab dabei mehr und mehr den Blick auf eine verwirrende Szene frei. Lange Zeit konnte Frank nicht einordnen, was er sah. Schemenhaft, von dem langsam durchscheinender werdenden Schwarz noch verfremdet, wie mit einem engmaschigen Netz bedeckt, glaubte er eine menschliche Gestalt zu er kennen, ein Gesicht mit einem langen Bart, lange Haare ... die Perspektive, in der er diesen ... Mann? ... sah, war ihm noch unklar, aber es konnte nur noch Sekunden dauern, dann ... Der Mann war offenbar nackt, schien auf einem grauen Untergrund zu liegen. Die letzten Schlieren verschwanden, und Frank konnte alle Einzelheiten der bizarren Szene erkennen. Der Mann war hager, wirkte verwahrlost. Er lag mit panisch aufgerissenen Augen auf einem grauen Betonboden. Die Arme waren über dem Kopf an den Handgelenken aneinandergefesselt und mit einem Seil irgendwo außerhalb des Bildausschnittes festgebunden. Auch um die schmutzigen Fußgelenke konnte Frank einen groben Strick erkennen, dessen Ende auf der anderen Seite aus dem sichtbaren Bereich verschwand. Die Rippen stachen deutlich unter der dünn erscheinenden Haut hervor, der Körper war übersät mit dunklen Flecken, die wie Blutergüsse aussahen. Die langen Haare lagen strähnig um den Kopf des Mannes, vermengten sich teilweise mit seinem verfilzten Bart. Inmitten dieses Gestrüpps klaffte ein lippenloser Mund wie eine schwarze Spalte auseinander, zu einem irren Schrei geöffnet. Der Anblick war schrecklich, aber das Schlimmste war nicht die ausgemergelte, jämmerliche Gestalt, die gefesselt dalag. Was Franks Magen rebellieren und ihn ein »O mein Gott« ausstoßen ließ, war etwas anderes.
3
Das Spiel hatte begonnen, alle Spieler hatten sich erwartungsgemäß angemeldet.
Es war ihm egal, ob einer von ihnen seine erste Aufgabe erfüllen würde, wahrscheinlich würde es keiner versuchen. Aber das würde sich ändern, wenn sie ihre nächste Aufgabe bekamen. Er würde dafür sorgen, dass das Spiel so verlief, wie es geplant war. Zumindest jetzt noch.
Bald schon würde er keinen Einfluss mehr darauf haben. Dann, wenn sie gegeneinander spielen würden.
Er sah sich um, betrachtete die grauen Betonwände, die Einrichtung des Raumes, in dem er saß, die Gerätschaften, die hier überall herumstanden. Relikte einer vergangenen Ära. Dann stand er auf und öffnete die stählerne Tür. Er musste sich bald um die erste Spielfigur kümmern und überlegte, ob sie schreien würde, wenn ihr Leben erlosch. Er dachte in einer Weise darüber nach, wie er sich Gedanken über das Wetter am nächsten Tag machen würde.
Das kalte Neonlicht des schmalen Flurs ergoss sich über die kahlen Wände und ließ sie abweisend und unwirklich erscheinen, aber davon spürte er nichts.
So, wie er auch sonst nichts spürte.
Schon lange nicht mehr.
Copyright © S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main
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Autoren-Porträt von Arno Strobel
Arno Strobel liebt Grenzerfahrungen und teilt sie gern mit seinen Leserinnen und Lesern. Deshalb sind seine Thriller wie spannende Entdeckungsreisen zu den dunklen Winkeln der menschlichen Seele und machen auch vor den größten Urängsten nicht Halt.Seine Themen spürt er dabei meist im Alltag auf und erst, wenn ihn eine Idee nicht mehr loslässt und er den Hintergründen sofort mit Hilfe seines Netzwerks aus Experten auf den Grund gehen will, weiß er, dass der Grundstein für seinen nächsten Roman gelegt ist. Alle seine bisherigen Thriller waren Bestseller.Arno Strobel lebt als freier Autor in der Nähe von Trier.
Bibliographische Angaben
- Autor: Arno Strobel
- 2018, 6. Aufl., 352 Seiten, Maße: 12,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: FISCHER Taschenbuch
- ISBN-10: 3596196949
- ISBN-13: 9783596196944
- Erscheinungsdatum: 21.01.2014
Pressezitat
Hier hat Arno Strobel wieder mächtig mit den Nerven seiner Leser gespielt. Die Geschichte ist richtig unheimlich und böse. Petra Böhnke Krimikiste 20140920
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