Das Rätsel
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Das Rätsel von John Katzenbach
LESEPROBE
1
PROLOG
DIE KÖNIGIN DER RÄTSEL
Ihre Mutter schlief unruhig im Zimmer nebenan; sielag im Sterben. Es war fast Mitternacht, und der Luftzug, den derDeckenventilator träge durch den Raum schickte, schien die Hitze vom Tage nuranders zu verteilen.
Das altmodische Jalousienfenster stand einenSpaltbreit offen, um die lakritzschwarze Nacht hereinzulassen. Todeswütig warfsich eine Motte gegen die Scheibe. Sie sah dem Insekt eine Weile zu und fragtesich, ob es nun vom Licht gelockt wurde, wie die Dichter und Romantikerglaubten, oder ob es das Licht in Wahrheit hasste und sich in einerhoffnungslosen Attacke auf die Quelle seines Ärgers stürzte.
Sie spürte ein dünnes Rinnsal Schweiß zwischen denBrüsten und wischte es sich mit dem T-Shirt weg, ohne auch nur für einen Momentden Zettel aus den Augen zu lassen, der vor ihr auf dem Schreibtisch lag.
Es war billiges weißes Papier. Die Worte waren ineinfachen Druckbuchstaben geschrieben:
DIE ERSTE PERSON BESITZT DAS,
WAS DIE ZWEITE PERSON VERSTECKT HAT.
Sie lehnte sich zurück und klopfte wie einTrommler, der seinen Rhythmus sucht, mit dem Kugelschreiber auf den Tisch. Eswar nicht ungewöhnlich, dass sie Gedichte und Notizen mit der Post bekam, kurzeTexte unterschiedlichster Art, die verschlüsselte Botschaften enthielten. Meisthandelte es sich dabei um - unerhörte - Liebesschwüre oder auch den Versuch,eine Verabredung zu forcieren. Zuweilen waren die Schreiben obszön. Das eineoder andere war eine harte Nuss - absichtlich so kompliziert zu knacken, soobskur, dass sie nicht weiter wusste. Immerhin verdiente sie damit ihrenLebensunterhalt, und so war es nur fair, wenn einer ihrer Leser den Spießherumdrehte.
Diese spezielle Nachricht allerdings bereitete ihrKopfzerbrechen, weil sie nicht in ihrem Postfach bei der Zeitschrift eingegangenwar. Ebenso wenig über ihr berufliches E-Mail-Konto. Dieser Brief war an diesemTag in den verblichenen, rostigen Briefkasten am Ende ihrer Auffahrteingesteckt worden, damit sie ihn abends fand, wenn sie von der Arbeit kam. Undim Unterschied zu fast sämtlichen anderen Botschaften, die sie erhielt,fehlten Absender und Unterschrift. Das Kuvert war nicht gestempelt.
Der Gedanke, dass jemand wusste, wo sie wohnte,behagte ihr nicht.
Die meisten Menschen, die sich die Zeit mit den vonihr entworfenen kleinen Spielchen vertrieben, waren harmlos. Computerprogrammierer.Akademiker. Buchhalter. Hier und da ein Polizist, ein Anwalt oder Arzt. Vieledieser Berufsgruppen erkannte sie inzwischen daran, wie sie beim Lösen derRätsel vorgingen, das war oft so unverwechselbar wie ein Fingerabdruck. Inzwischenkonnte sie sogar einschätzen, welchen ihrer Stammkunden welche Spiele am bestenlagen; manche waren versiert im Knacken von Kryptogrammen und Anagrammen,andere unschlagbar, wenn es darum ging, literarische Rätsel zu lösen, obskureZitate zu erkennen oder auch wenig bekannte Autoren mit historischenEreignissen zu verknüpfen. Diese Klientel löste ihre sonntäglichenKreuzworträtsel mit Tinte.
Natürlich gab es auch andere.
Sie war stets auf der Hut vor Leuten, die ihreParanoia in jeder versteckten Botschaft bestätigt sahen. Oder die in jedemGedankenlabyrinth, das sie kreierte, Hass und Wut ausmachten.Niemand ist wirklich harmlos, sagte sie sich. Heute nicht mehr.
An den Wochenenden fuhr sie mit ihrerhalbautomatischen Pistole in einen Mangrovensumpf nicht weit von dem etwasheruntergekommenen, einstöckigen Drei-Zimmer-Haus aus Schlackenstein, das sieschon den größten Teil ihres Lebens mit ihrer Mutter teilte, und wurde zurgeübten Schützin.
Beim Anblick der persönlich eingeworfenen Nachrichtspürte sie, wie sich ihr Magen unangenehm zusammenzog. Sie öffnete dieSchreibtischschublade und zog die kurzläufige Magnum, Kaliber .357, aus derSchatulle, um sie neben ihrem Monitor auf den Tisch zu legen. Sie gehörte zudem halben Dutzend Waffen, das sie besaß, darunterauch ein geladenes, vollautomatisches Sturmgewehr, das an der Rückwand ihresKleiderschranks am Haken hing.
»Es gefällt mir nicht«, erklärte sie laut, »dass duweißt, wer ich bin und wo ich wohne. Das verstößt gegen die Regeln.«
Als sie einsehen musste, dass sie nicht vorsichtiggenug gewesen war, verzog sie das Gesicht und nahm sich vor, herauszufinden,wo die undichte Stelle war - welche Sekretärin oder Redaktionsassistentin ihreAnschrift verraten hatte - und alles zu tun, um sie zu stopfen. DieGeheimhaltung war ihr heilig; das verlangte nicht nur ihr Beruf, sondern auchihr Leben. Sie sah sich den Wortlaut der Nachricht an. Auch wenn sie miteiniger Sicherheit sagen konnte, dass sich kein Zahlencode dahinter verbarg,stellte sie rasch ein paar Rechnungen an, verknüpfte die Buchstaben mit ihremStellenwert im Alphabet, addierte und subtrahierte, ging Variationen durch, umzu sehen, ob die Notiz einen Sinn ergab. Das Ganze erwies sich als fruchtlos.Egal, was sie versuchte, es kam nur Kauderwelsch heraus.
Sie fuhr den Computer hoch und schob eine Diskettemit berühmten Zitaten ein, ohne jedoch etwas auch nur annähernd Ähnliches zufinden. Sie brauchte ein Glas Wasser und stand auf, um in die kleine Küche zugehen. Neben dem Spülstein trocknete ein sauberes Glas. Sie füllte es mit Eisund Leitungswasser, das einen salzigen Beigeschmack hatte. Sie rümpfte dieNase und sagte sich, dass dies zu den kleinen Unannehmlichkeiten gehörte, dieman in Kauf nehmen musste, um in den Upper Keys zuwohnen. Der größere Nachteil bestand darin, dass man isoliert und einsam lebte.Sie blieb im Türrahmen stehen, starrte auf das Blatt Papier am anderen Ende desZimmers und fragte sich, wieso sie diesem kleinen Zettel erlaubte, ihr denSchlaf zu rauben. Sie hörte, wie ihre Mutter stöhnte und sich im Bettherumwälzte, und wusste schon, bevor sie rief: »Susan? Bist du da?«, dass sie aufgewacht war.
»Ja, komme schon«, antwortete sie.
Sie eilte ins Schlafzimmer ihrer Mutter. Früher wares bunt gewesen; ihre Mutter hatte gern gemalt und über die Jahre hinweg vieleihrer Bilder an den Wänden aufgehängt. Gemälde und exotische, fließende Kleidersowie Tücher, die wahllos über der Staffelei und anderen Gegenständenausgebreitet waren - das hatte dem Zimmer Farbe gegeben. Jetzt war allesTabletts mit Medikamenten und einem Sauerstoffgerät gewichen - in Schränkeverbannt, um den Zeichen der Gebrechlichkeit zu weichen. Das Zimmer, fandSusan, roch nicht einmal mehr nach ihrer Mutter, sondern einfach nurantiseptisch. Hygienisch rein. Ein sauberer, weiß getünchter, desinfizierterOrt zum Sterben.
»Schmerzen? «, fragte die Tochter. Es war immerdieselbe Frage, und sie kannte die Antwort und wusste, dass sie nicht derWahrheit entsprach.
Ihre Mutter setzte sich mühsam auf. »Nur einbisschen. Nicht schlimm. «
»Willst du eine Tablette?«
»Nein, das wird schon. Ich habe gerade an deinenBruder gedacht. « »Soll ich ihn für dich anrufen?«
»Nein, dann macht er sich nur Sorgen. Er istbestimmt viel
zu eingespannt und braucht seine Ruhe.«
»Das glaube ich nicht. Ich denke, er würde gern mitdir reden. « »Na ja, morgen vielleicht. Ich habe von ihm geträumt. Von
dir auch, Schatz. Ich habe von meinen Kinderngeträumt. Las
sen wir ihn schlafen. Wieso bist du noch auf? « »Ich habenoch gearbeitet.«
»Hast du die nächsten Rätsel entworfen? Was ist esdiesmal? Zitate? Anagramme? Welche Stichworte willst du geben?«
»Nein, keins von meinen eigenen. Ich hab über etwasgebrütet, das mir jemand geschickt hat.«
»Du hast so viele Fans.«
»Die lieben nicht mich, Mutter. Es sind die Rätsel.«
»Das ist egal. Du solltest ruhig mehr Ruhmeinstreichen. Du solltest dich nicht verstecken müssen. «
»Es gibt jede Menge Gründe, ein Pseudonym zubenutzen, Mutter. Das weißt du doch am besten. «
Die ältere Frau lehnte sich zurück. Sie war nichtwirklich alt, sondern nur von der Krankheit gezeichnet. Ihre Haut warerschlafft und bildete Falten an ihrem Hals, ihr Haar breitete sich zersaustüber das Kissen aus. Es war immer noch kastanienbraun; ihre Tochter half ihrdabei, es einmal pro Woche zu tönen - ein Ritual, auf das sie sich beidefreuten. Viel Eitelkeit war der Älteren nicht geblieben; das meiste war demKrebs zum Opfer gefallen. Doch das Tönen ihrer Haare gab sie nicht auf, undihre Tochter war darüber froh.
Deutsch von Anke Kreutzer
© Droemer Verlag
- Autor: John Katzenbach
- 2008, 15. Aufl., 679 Seiten, Maße: 12,4 x 18,8 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Anke Kreutzer
- Verlag: DROEMER KNAUR
- ISBN-10: 3426637588
- ISBN-13: 9783426637586
- Erscheinungsdatum: 01.01.2008
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