Das Schneekind, Das Album
Eine Familie unterwegs in den Schneewüsten des hohen Nordens. Bildtexte v. Diane Vanier
Eine Familie unterwegs in den Schneewüsten des hohen Nordens. Der Abenteurer Nicolas Vanier zieht mit seiner Frau Diane und der kleinen Tochter Montaine für ein Jahr in die Wildnis des hohen Nordens. Sie reiten Hunderte Kilometer durch die Rocky Mountains...
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Produktinformationen zu „Das Schneekind, Das Album “
Eine Familie unterwegs in den Schneewüsten des hohen Nordens. Der Abenteurer Nicolas Vanier zieht mit seiner Frau Diane und der kleinen Tochter Montaine für ein Jahr in die Wildnis des hohen Nordens. Sie reiten Hunderte Kilometer durch die Rocky Mountains und bereiten sich dann in einer selbst gebauten Blockhütte auf den dramatischsten Teil der Reise vor: 2.000 Kilometer mit dem Hundeschlitten bis an Alaskas Grenze. Und Montaine? Sie erlebt eine außergewöhnliche Kindheit in unberührter Natur! Ein wunderbarer Reisebericht mit umwerfenden Bildern.
Klappentext zu „Das Schneekind, Das Album “
Immer schon war Nicolas Vanier fasziniert von den Schnee- und Eiswelten des Nordens. Er durchquerte Lappland, Sibirien und immer wieder Alaska und Kanada. Weltberühmt wurde er mit der ersten Durchquerung des amerikanischen Kontinents mit seinem Schlittenhundegespann. Aber sein größtes Abenteuer war ein anders: Mit seiner Frau und seiner anderthalbjährigen Tochter Montaine zog er für ein Jahr in die Wildnis im hohen Norden Kanadas. Im kurzen arktischen Sommer baut sich die Familie ein Blockhaus. Ganz auf sich allein gestellt müssen sie den grimmigen Winter bestehen. Wie die Menschen in alten Zeiten ernähren sie sich vom Jagen, Fischen und Sammeln; alles, was sie brauchen, müssen sie aus der Natur gewinnen. Überleben heißt hier Einswerden mit der Natur - es ist ein Leben von wunderbarer Einfachheit, Klarheit und Poesie.
Lese-Probe zu „Das Schneekind, Das Album “
Nicolas Vanier Das Schneekind - Das Album
Eine Familie unterwegs in den Schneewüsten des hohen Nordens
Wir sind noch keine halbe Stunde unterwegs, und schon weint Montaine. Sie fühlt sich auf dem Zweiersattel nicht wohl, obwohl wir sie zu Hause in der Sologne daran gewöhnt haben. Tatsächlich sind wir nicht so guter Dinge, wie wir es eigentlich sein sollten, heute, am ersten Tag eines Abenteuers, von dem wir schon vor der Geburt Montaines vor anderthalb Jahren geträumt haben.
Statt dessen steht uns die Angst ins Gesicht geschrieben. Auch unsere vier Pferde haben Angst. Angst vor dem schwammigen Boden, dem Gepäck, das wir ihnen aufgebunden haben.
Und so kommt es, wie es kommen muß. Fünf Minuten später, als wir auf einem steinigen, von jungen Fichten überragten Hang am Fluß entlangreiten, geht das hintere, mit 60 Kilo Ausrüstung und Proviant bepackte Pferd plötzlich durch. Mehrmals ausschlagend jagt es in kopfloser Flucht an mir vorbei und reißt mein Pferd mit und das, auf dem Diane und das Kind sitzen. Montaine erschrickt und fängt an zu schreien. Diane, eine gute Reiterin, fällt ihrem Pferd in die Zügel, doch die beiden Packtiere preschen in vollem Galopp davon und verstreuen hinter sich Töpfe, Proviantsäcke, Seile, das Gewehr und Patronen. Das fängt ja gut an!
Wir steigen ab. Montaine trocknet sich die Tränen, die sich in ihrem kleinen, braungebrannten Gesicht mit den Regentropfen vermischen.
Diane starrt den Weg entlang, auf dem die beiden verschwundenen Pferde große Hufabdrücke im Morast hinterlassen haben. Der Regen wird stärker. Wütend prasselnd zieht er glitzernde Furchen in den Boden.
Damit Montaine nicht klatschnaß wird, setze ich sie in den eigens für sie angefertigten Rucksack aus Segeltuch und Leder, den Diane auf dem Rücken trägt.
Natürlich haben wir mit gewissen Schwierigkeiten gerechnet, aber nicht damit. Der Auftakt ist ernüchternd und holt uns aus den schönen Träumen der letzten Jahre in die Wirklichkeit zurück. Zwei Pferde
... mehr
vor Schreck durchgegangen, Tränen, Regen und trister Alltag. So sieht die Wirklichkeit aus! Wir haben uns vorgestellt, wie wir bei strahlendem Sonnenschein gemütlich durch sattgrüne Täler reiten, wie Montaine lachend mit ihren kleinen Händen auf Schmetterlinge und Eichhörnchen zeigt, die vor dem vergnügt vorausgaloppierenden Otchum flüchten. Denkste! Diane sucht Hoffnung in meinem Blick. Ich würde gern Zuversicht ausstrahlen, doch auch ich werde von Zweifeln geplagt. Erstens, Montaine wärmen.
Zweitens, die Pferde einfangen.
Wir binden die beiden Pferde an zwei Kiefern am Wegrand, dann ziehe ich einen Armvoll trockenes Reisig unter einer Fichte hervor und entzünde ein Feuer.
Diane blickt mit der erschöpften Montaine in die Flammen und wiegt sie in den Schlaf, und ich mache mich auf die Suche nach den Pferden.
Das erste finde ich ziemlich schnell. Es grast auf einer Lichtung. Das zweite ist ein Stück weiter stehengeblieben. Die Seile des Packsattels haben sich in den Erlen verheddert und es in seiner Flucht gestoppt. Ich sammle die Seile ein, dann die Planen, mit denen wir das Gepäck abdecken, alle zwei auf zwei Meter groß und wasserundurchlässig. Der Abend dämmert bereits, als ich zum Feuer zurückkehre.
Der Anblick Montaines, die im Schein des heruntergebrannten Feuers in den Armen ihrer triefnassen Mutter schläft, versetzt mir einen Stich. Diane lächelt mich durch den Regen an.
Ich habe eine unruhige Nacht. Der Regen trommelt mit deprimierender Gleichmäßigkeit auf unser Zelt. Montaine wälzt sich im Schlaf und rutscht irgendwann aus dem Schlafsack. Damit sie sich nicht erkältet, wache ich über sie. Ernüchtert, wie ich bin, male ich das Bild unseres ersten Reisetags in den schwärzesten Farben.
Endlich dämmert es. Fahles Licht dringt durch das Grau. Ich schlüpfe in meine feuchte Hose und krieche ins Freie. Nebel verhüllt die Berge, so daß man sich im Flachland wähnen könnte. Überall Wasser. Am Himmel, am Boden, alles trieft.
Otchum liegt unter einer Fichte im Trockenen. Seine Schnauze hebt sich kurz zum Morgengruß und sinkt dann wieder in die warme Kuhle seines angewinkelten Beins, so daß gerade noch ein Auge hervorschaut, dem nicht die kleinste meiner Bewegungen entgeht. "So ein Sauwetter, was, Otchum?"
Ein Blinzeln und ein leichtes Zucken der Ohren als Antwort.
Ich sammle Reisig, reiße Rinde von einer Birke und lege alles unter einen alten, borkigen Baumstamm, der die ersten Flammen schützt, ehe er selbst zu glimmen beginnt. Ich sammle mehr oder weniger trockenes Holz und mache ein großes Feuer. Der Morgen erscheint mir nun nicht mehr ganz so düster.
Die Pferde. Wir haben sie in der Umgebung von Prince George zwei Tage lang probegeritten, ehe wir sie gekauft haben. Wir haben uns insgesamt ein Dutzend angesehen. Ein Rancher aus der Gegend hatte sie nach den Kriterien, die wir ihm aus Frankreich übermittelt hatten, ausgesucht: "Ruhige, sehr ruhige Pferde. Sie dürfen gern etwas älter sein, sollten aber Erfahrung als Lasttiere haben, vor allem Erfahrung", hatte ich verlangt. Die gesamte Expedition ist bis ins Kleinste so geplant, daß das Risiko für das Kind praktisch gleich null ist.
Der Regen lässt nicht nach, im Gegenteil, er wird noch stärker.
"Am liebsten würde ich heute hierbleiben. Bei dem Regen macht es keinen Spaß, noch dazu mit der Kleinen. Sie wird sich noch eine Erkältung holen ..." Ich lasse den Satz unvollendet.
Wir verbringen den Tag abwechselnd im Zelt, vier auf vier Meter, oder am Feuer. Wir gehen angeln, doch der Fluß ist schlammig, führt Bäume mit sich und schwillt immer mehr an. Die Forellen beißen nicht.
Am nächsten Morgen hat der Regen kein bißchen nachgelassen, und das Feuer qualmt wie ein Schlot. Montaines Geplapper dringt aus dem Zelt und vermischt sich mit dem Gezwitscher der wenigen Vögel, die der Nässe trotzen.
Wir drängen uns ums Feuer und stampfen den Boden rundherum platt, damit die Kleine nicht stolpert und womöglich in die Flammen fällt. Die arme Montaine ist einen so holprigen und schwammigen, mit Wurzeln und Sträuchern überwucherten Boden nicht gewohnt. Sie legt kaum einmal zehn Meter zurück, ohne daß sie der Länge nach hinfällt und heulend nach ihrer Mutter ruft, bis man ihr aufhilft. Das schwierigste ist, nie die Geduld zu verlieren. Wird "Geduld" das Schlüsselwort bei dieser x-ten und doch so besonderen Reise in den hohen Norden? Diane deutet auf die Pferde und erklärt Montaine:
"Du darfst nicht hinter ihnen vorbeilaufen, Montaine. Das ist gefährlich."
Montaine macht große Augen und sieht sie verständnislos an. In der Sologne wuselt sie zwischen den Beinen der Pferde umher, ohne daß sie gescholten wird. Aber unsere eigenen Tiere kennen wir gut, und bei denen hier wissen wir nicht, wie sie reagieren. Diane liebt Pferde und vertraut ihnen grundsätzlich. Ich weniger, denn schreckhaft, wie sie sind, haben sie mir auf Reisen schon so manch bösen Streich gespielt.
Wir ziehen ein wenig traurig unseres Wegs und spähen in einen undurchdringlichen Nebel, der mit zunehmender Höhe immer dichter wird. An sonnigen Tagen muß die Landschaft mit ihren blühenden Wiesen einen herrlichen Anblick bieten. Wir sehen einen bunten Teppich aus Glockenblumen, Goldruten und Geranien, dazwischen immer wieder Moosblumen und Schuppenheiden, hübsche kleine Gebirgssträucher, denen Heidelbeeren den Platz streitig machen. Kleine Trupps von Ammern beäugen uns, wenn auch nur mit mäßigem Interesse, denn sie sind zu sehr damit beschäftigt, sich warm zu halten. Genau wie wir. Mit hochgeschlagenem Kragen und eingemummt bis zu den Ohren, erklimmen wir schweigsam die Bergwiese und stellen uns dabei die Gipfel vor, die der Nebel verhüllt.
Otchum ist hinter einer felsigen Anhöhe verschwunden, und Montaine hält überall nach ihm Ausschau. "Tschu-Tschu!"
Diane ist beunruhigt und begeistert zugleich: "Da hinten sind frische Spuren von einem riesigen Grizzly." Natürlich hat Otchum seine Spur aufgenommen. Das hat uns gerade noch gefehlt! Ich mache mich zu Pferd auf die Suche. Ich stoße auf die Spuren. Sie sind wirklich ziemlich groß und sehr frisch. Ein Männchen, mindestens vier Zentner schwer und nicht unbedingt freundlich ... Otchum ist ihm gefolgt. Die Abdrücke der Hundepfoten wirken lächerlich klein neben der Spur des gefährlichen Sohlengängers.
Ich bin besorgt, weniger um mich, denn ich bin bewaffnet und gewarnt, als vielmehr um Otchum, der von Natur aus Jäger ist, mit Bären aber keine Erfahrung hat.
Ich rufe besorgt nach meinem Otchum. Bald verlieren sich die Spuren zwischen den Felstrümmern.
Ich gebe die Suche auf und kehre um. Nebelschwaden verhüllen den Paß. Diane macht ein bekümmertes Gesicht, denn sie liebt diesen Ausnahmehund ebenso wie ich. Montaine spürt, daß etwas nicht stimmt, und sieht uns groß an.
"Gut, suchen wir uns einen Lagerplatz im Schutz des Passes. Falls er zurückkommt, findet er mühelos unsere Spur." Ein Seufzer als Antwort.
Wir marschieren eine halbe Stunde, dann rasten wir am Saum eines Waldes. Ich schlage rasch das Zelt auf, damit Montaine sich unterstellen kann, und entzünde ein riesiges Feuer.
Eine Stunde vergeht. Wir schlagen die Zeit mit Teetrinken tot, eine Gewohnheit, die ich bei sibirischen Rentierzüchtern angenommen habe, mit denen ich ein halbes Jahr umhergezogen bin. Und noch immer kein Lebenszeichen von Otchum. Mein Magen krampft sich zusammen. Ich befürchte das Schlimmste. Was soll aus meinem schönen Projekt, aus meiner Begeisterung werden ohne meinen wichtigsten Hund, den Rudelchef, das Leittier, meinen Freund? Bald senkt sich die Nacht über unser Lager. Die Pferde, die in der Nähe auf einer saftigen Gebirgswiese geweidet haben, schlafen jetzt friedlich, obwohl der Regen in dünnen Fäden über ihr Fell rinnt. Keine Sterne, kein Mond. Kein Eulenschrei in der dunklen Nacht. Kein Otchum. Halb sechs Uhr morgens. Obwohl der Regen aufs Zelt trommelt, höre ich am Eingang ein Kratzen. Ich fahre in die Höhe und stecke den Kopf hinaus.
"Otchum!"
Der Teufelskerl sieht mich mit lachenden Augen an. Sie leuchten im fahlen Dämmerlicht.
"Wieso machst du dir Sorgen?" scheint er mir sagen zu wollen. "Ich bin dem dicken Teddy nur ein bißchen nachgerannt, um zu sehen, was er drauf hat."
"Du Racker! Du Strolch!" Und ich streichele ihm überglücklich die Schnauze. Diane hat mich gehört, und auch Montaine ist wach geworden. Sie ruft nach ihm. Otchum schiebt den Kopf ins Zelt und begrüßt alle mit seinem schönsten Lachen.
Ja, Otchum lacht. Ich bilde mir das nicht nur ein, auch wenn ich einen Narren an diesem Hund gefressen habe.
Die Dämmerung erscheint uns schöner, das Gebirge weniger bedrohlich und der Regen fast erträglich. Mit aufgestelltem Schwanz übernimmt Otchum die Spitze unserer kleinen Karawane und trabt zügig in Richtung Tal. In der Ferne glitzert das silberne Band des Flusses. Laut Karte folgt ein alter Pfad, zweifellos ein alter Trapper-Trail, auf den nächsten 50 Kilometern seinem Lauf. Wir erreichen problemlos die Baumgrenze. Auf der Suche nach einer Passage dringen wir in den Wald vor und nehmen mit einem Pfad vorlieb, den Wapitihirsche und Elche ausgetreten haben. Unter lautem Gegacker fliegen ein Kragenhuhn und seine Küken vor uns auf. Sie entkommen Otchum nur knapp.
Wir steigen ab, damit wir zwischen den vielen Bäumen besser manövrieren können. Diane trägt die zwölf Kilo schwere Montaine auf dem Rücken, während ich mit drei Pferden vorausmarschiere. Montaine deutet mit dem Finger auf die Vögel und ruft: "Piep! Piep!"
Otchum setzt einem Eichhörnchen nach. Schimpfend entwischt es ihm, und Montaine quietscht vor Vergnügen.
Der Pfad verschwindet, doch talwärts lichtet sich der Wald, und wir schwingen uns wieder in den Sattel. Gegen 13 Uhr erreichen wir den Fluß. Zeit für ein Nickerchen.
Der Regen, der vorübergehend nachgelassen hat, ohne aber ganz aufzuhören - wir geben uns keinen Illusionen hin -, wird wieder stärker. Und als Montaine wenig später friedlich unter einer Plane schläft, die wir zwischen den Bäumen gespannt haben, gießt es wie aus Kübeln. Die Eltern warten geduldig, die Pferde ver-schnaufen, von ihrer Last befreit, und Otchum träumt im Schutz einer Tanne von den Hühnern, die er jetzt fressen könnte.
Zwei Tage lang ziehen wir ohne nennenswerten Zwischenfall durch das grüne Tal, mal im Wald, mal am Fluß entlang oder, wenn am Ufer ein Fortkommen unmöglich ist, sogar in seinem flachen Bett. Montaine gewöhnt sich allmählich an den neuen Rhythmus.
Wir tun so, als schenkten wir dem Himmel keine Beachtung, der unablässig seine Wassermassen über uns auskippt. Längst haben die Flüsse ihre schöne blaugrüne oder kristallklare Farbe verloren. Schlammig braun wälzen sich die aufgewühlten Fluten nun zu Tal. Das stimmt mich ein wenig bedenklich. Diesen Fluß hier könnten wir, obwohl er angeschwollen ist, noch ohne größere Probleme durchqueren. Doch in spätestens zwei Tagen müssen wir über den Pelly setzen, und der, so fürchte ich, wird es uns nicht so leicht machen. Eines Nachmittags, als wir einem Wildwechsel durchs Erlengestrüpp folgen, stoßen wir auf eine Schwarzbärin mit zwei Jungen, niedlichen Teddys, die man am liebsten auf den Arm nehmen möchte. Uns trennen höchstens 20 Meter, doch offenbar sind sie so damit beschäftigt, sich mit Himbeeren vollzustopfen, daß sie uns weder gehört noch gesehen haben. Wir beobachten die possierliche Szene eine Zeitlang, dann stoße ich einen Pfiff aus, damit die kleine Familie den Weg freimacht, ehe unsere Pferde wieder einen Schreck kriegen und durchgehen.
Während der Amerikanische Schwarzbär die Flucht dem Angriff vorzieht, muss man sich vor dem Grizzly wirklich in acht nehmen. Aus diesem Grund habe ich auch Otchum mitgenommen, statt ihn bei der Meute im Jura zu lassen - von der Freude, die uns seine Gesellschaft bereitet, einmal ganz abgesehen.
Im übrigen erfüllt Otchum seine Aufgabe als Wachhund bestens. Er bezieht stets in der Nähe des Zeltes Posten und paßt auf, wenn sich etwas nähert. In dieser Hinsicht können wir beruhigt sein. Das Zelt ist eine Festung, in der sich eine Königin, wie meine Montaine, bedienen und verhätscheln läßt.
Zweitens, die Pferde einfangen.
Wir binden die beiden Pferde an zwei Kiefern am Wegrand, dann ziehe ich einen Armvoll trockenes Reisig unter einer Fichte hervor und entzünde ein Feuer.
Diane blickt mit der erschöpften Montaine in die Flammen und wiegt sie in den Schlaf, und ich mache mich auf die Suche nach den Pferden.
Das erste finde ich ziemlich schnell. Es grast auf einer Lichtung. Das zweite ist ein Stück weiter stehengeblieben. Die Seile des Packsattels haben sich in den Erlen verheddert und es in seiner Flucht gestoppt. Ich sammle die Seile ein, dann die Planen, mit denen wir das Gepäck abdecken, alle zwei auf zwei Meter groß und wasserundurchlässig. Der Abend dämmert bereits, als ich zum Feuer zurückkehre.
Der Anblick Montaines, die im Schein des heruntergebrannten Feuers in den Armen ihrer triefnassen Mutter schläft, versetzt mir einen Stich. Diane lächelt mich durch den Regen an.
Ich habe eine unruhige Nacht. Der Regen trommelt mit deprimierender Gleichmäßigkeit auf unser Zelt. Montaine wälzt sich im Schlaf und rutscht irgendwann aus dem Schlafsack. Damit sie sich nicht erkältet, wache ich über sie. Ernüchtert, wie ich bin, male ich das Bild unseres ersten Reisetags in den schwärzesten Farben.
Endlich dämmert es. Fahles Licht dringt durch das Grau. Ich schlüpfe in meine feuchte Hose und krieche ins Freie. Nebel verhüllt die Berge, so daß man sich im Flachland wähnen könnte. Überall Wasser. Am Himmel, am Boden, alles trieft.
Otchum liegt unter einer Fichte im Trockenen. Seine Schnauze hebt sich kurz zum Morgengruß und sinkt dann wieder in die warme Kuhle seines angewinkelten Beins, so daß gerade noch ein Auge hervorschaut, dem nicht die kleinste meiner Bewegungen entgeht. "So ein Sauwetter, was, Otchum?"
Ein Blinzeln und ein leichtes Zucken der Ohren als Antwort.
Ich sammle Reisig, reiße Rinde von einer Birke und lege alles unter einen alten, borkigen Baumstamm, der die ersten Flammen schützt, ehe er selbst zu glimmen beginnt. Ich sammle mehr oder weniger trockenes Holz und mache ein großes Feuer. Der Morgen erscheint mir nun nicht mehr ganz so düster.
Die Pferde. Wir haben sie in der Umgebung von Prince George zwei Tage lang probegeritten, ehe wir sie gekauft haben. Wir haben uns insgesamt ein Dutzend angesehen. Ein Rancher aus der Gegend hatte sie nach den Kriterien, die wir ihm aus Frankreich übermittelt hatten, ausgesucht: "Ruhige, sehr ruhige Pferde. Sie dürfen gern etwas älter sein, sollten aber Erfahrung als Lasttiere haben, vor allem Erfahrung", hatte ich verlangt. Die gesamte Expedition ist bis ins Kleinste so geplant, daß das Risiko für das Kind praktisch gleich null ist.
Der Regen lässt nicht nach, im Gegenteil, er wird noch stärker.
"Am liebsten würde ich heute hierbleiben. Bei dem Regen macht es keinen Spaß, noch dazu mit der Kleinen. Sie wird sich noch eine Erkältung holen ..." Ich lasse den Satz unvollendet.
Wir verbringen den Tag abwechselnd im Zelt, vier auf vier Meter, oder am Feuer. Wir gehen angeln, doch der Fluß ist schlammig, führt Bäume mit sich und schwillt immer mehr an. Die Forellen beißen nicht.
Am nächsten Morgen hat der Regen kein bißchen nachgelassen, und das Feuer qualmt wie ein Schlot. Montaines Geplapper dringt aus dem Zelt und vermischt sich mit dem Gezwitscher der wenigen Vögel, die der Nässe trotzen.
Wir drängen uns ums Feuer und stampfen den Boden rundherum platt, damit die Kleine nicht stolpert und womöglich in die Flammen fällt. Die arme Montaine ist einen so holprigen und schwammigen, mit Wurzeln und Sträuchern überwucherten Boden nicht gewohnt. Sie legt kaum einmal zehn Meter zurück, ohne daß sie der Länge nach hinfällt und heulend nach ihrer Mutter ruft, bis man ihr aufhilft. Das schwierigste ist, nie die Geduld zu verlieren. Wird "Geduld" das Schlüsselwort bei dieser x-ten und doch so besonderen Reise in den hohen Norden? Diane deutet auf die Pferde und erklärt Montaine:
"Du darfst nicht hinter ihnen vorbeilaufen, Montaine. Das ist gefährlich."
Montaine macht große Augen und sieht sie verständnislos an. In der Sologne wuselt sie zwischen den Beinen der Pferde umher, ohne daß sie gescholten wird. Aber unsere eigenen Tiere kennen wir gut, und bei denen hier wissen wir nicht, wie sie reagieren. Diane liebt Pferde und vertraut ihnen grundsätzlich. Ich weniger, denn schreckhaft, wie sie sind, haben sie mir auf Reisen schon so manch bösen Streich gespielt.
Wir ziehen ein wenig traurig unseres Wegs und spähen in einen undurchdringlichen Nebel, der mit zunehmender Höhe immer dichter wird. An sonnigen Tagen muß die Landschaft mit ihren blühenden Wiesen einen herrlichen Anblick bieten. Wir sehen einen bunten Teppich aus Glockenblumen, Goldruten und Geranien, dazwischen immer wieder Moosblumen und Schuppenheiden, hübsche kleine Gebirgssträucher, denen Heidelbeeren den Platz streitig machen. Kleine Trupps von Ammern beäugen uns, wenn auch nur mit mäßigem Interesse, denn sie sind zu sehr damit beschäftigt, sich warm zu halten. Genau wie wir. Mit hochgeschlagenem Kragen und eingemummt bis zu den Ohren, erklimmen wir schweigsam die Bergwiese und stellen uns dabei die Gipfel vor, die der Nebel verhüllt.
Otchum ist hinter einer felsigen Anhöhe verschwunden, und Montaine hält überall nach ihm Ausschau. "Tschu-Tschu!"
Diane ist beunruhigt und begeistert zugleich: "Da hinten sind frische Spuren von einem riesigen Grizzly." Natürlich hat Otchum seine Spur aufgenommen. Das hat uns gerade noch gefehlt! Ich mache mich zu Pferd auf die Suche. Ich stoße auf die Spuren. Sie sind wirklich ziemlich groß und sehr frisch. Ein Männchen, mindestens vier Zentner schwer und nicht unbedingt freundlich ... Otchum ist ihm gefolgt. Die Abdrücke der Hundepfoten wirken lächerlich klein neben der Spur des gefährlichen Sohlengängers.
Ich bin besorgt, weniger um mich, denn ich bin bewaffnet und gewarnt, als vielmehr um Otchum, der von Natur aus Jäger ist, mit Bären aber keine Erfahrung hat.
Ich rufe besorgt nach meinem Otchum. Bald verlieren sich die Spuren zwischen den Felstrümmern.
Ich gebe die Suche auf und kehre um. Nebelschwaden verhüllen den Paß. Diane macht ein bekümmertes Gesicht, denn sie liebt diesen Ausnahmehund ebenso wie ich. Montaine spürt, daß etwas nicht stimmt, und sieht uns groß an.
"Gut, suchen wir uns einen Lagerplatz im Schutz des Passes. Falls er zurückkommt, findet er mühelos unsere Spur." Ein Seufzer als Antwort.
Wir marschieren eine halbe Stunde, dann rasten wir am Saum eines Waldes. Ich schlage rasch das Zelt auf, damit Montaine sich unterstellen kann, und entzünde ein riesiges Feuer.
Eine Stunde vergeht. Wir schlagen die Zeit mit Teetrinken tot, eine Gewohnheit, die ich bei sibirischen Rentierzüchtern angenommen habe, mit denen ich ein halbes Jahr umhergezogen bin. Und noch immer kein Lebenszeichen von Otchum. Mein Magen krampft sich zusammen. Ich befürchte das Schlimmste. Was soll aus meinem schönen Projekt, aus meiner Begeisterung werden ohne meinen wichtigsten Hund, den Rudelchef, das Leittier, meinen Freund? Bald senkt sich die Nacht über unser Lager. Die Pferde, die in der Nähe auf einer saftigen Gebirgswiese geweidet haben, schlafen jetzt friedlich, obwohl der Regen in dünnen Fäden über ihr Fell rinnt. Keine Sterne, kein Mond. Kein Eulenschrei in der dunklen Nacht. Kein Otchum. Halb sechs Uhr morgens. Obwohl der Regen aufs Zelt trommelt, höre ich am Eingang ein Kratzen. Ich fahre in die Höhe und stecke den Kopf hinaus.
"Otchum!"
Der Teufelskerl sieht mich mit lachenden Augen an. Sie leuchten im fahlen Dämmerlicht.
"Wieso machst du dir Sorgen?" scheint er mir sagen zu wollen. "Ich bin dem dicken Teddy nur ein bißchen nachgerannt, um zu sehen, was er drauf hat."
"Du Racker! Du Strolch!" Und ich streichele ihm überglücklich die Schnauze. Diane hat mich gehört, und auch Montaine ist wach geworden. Sie ruft nach ihm. Otchum schiebt den Kopf ins Zelt und begrüßt alle mit seinem schönsten Lachen.
Ja, Otchum lacht. Ich bilde mir das nicht nur ein, auch wenn ich einen Narren an diesem Hund gefressen habe.
Die Dämmerung erscheint uns schöner, das Gebirge weniger bedrohlich und der Regen fast erträglich. Mit aufgestelltem Schwanz übernimmt Otchum die Spitze unserer kleinen Karawane und trabt zügig in Richtung Tal. In der Ferne glitzert das silberne Band des Flusses. Laut Karte folgt ein alter Pfad, zweifellos ein alter Trapper-Trail, auf den nächsten 50 Kilometern seinem Lauf. Wir erreichen problemlos die Baumgrenze. Auf der Suche nach einer Passage dringen wir in den Wald vor und nehmen mit einem Pfad vorlieb, den Wapitihirsche und Elche ausgetreten haben. Unter lautem Gegacker fliegen ein Kragenhuhn und seine Küken vor uns auf. Sie entkommen Otchum nur knapp.
Wir steigen ab, damit wir zwischen den vielen Bäumen besser manövrieren können. Diane trägt die zwölf Kilo schwere Montaine auf dem Rücken, während ich mit drei Pferden vorausmarschiere. Montaine deutet mit dem Finger auf die Vögel und ruft: "Piep! Piep!"
Otchum setzt einem Eichhörnchen nach. Schimpfend entwischt es ihm, und Montaine quietscht vor Vergnügen.
Der Pfad verschwindet, doch talwärts lichtet sich der Wald, und wir schwingen uns wieder in den Sattel. Gegen 13 Uhr erreichen wir den Fluß. Zeit für ein Nickerchen.
Der Regen, der vorübergehend nachgelassen hat, ohne aber ganz aufzuhören - wir geben uns keinen Illusionen hin -, wird wieder stärker. Und als Montaine wenig später friedlich unter einer Plane schläft, die wir zwischen den Bäumen gespannt haben, gießt es wie aus Kübeln. Die Eltern warten geduldig, die Pferde ver-schnaufen, von ihrer Last befreit, und Otchum träumt im Schutz einer Tanne von den Hühnern, die er jetzt fressen könnte.
Zwei Tage lang ziehen wir ohne nennenswerten Zwischenfall durch das grüne Tal, mal im Wald, mal am Fluß entlang oder, wenn am Ufer ein Fortkommen unmöglich ist, sogar in seinem flachen Bett. Montaine gewöhnt sich allmählich an den neuen Rhythmus.
Wir tun so, als schenkten wir dem Himmel keine Beachtung, der unablässig seine Wassermassen über uns auskippt. Längst haben die Flüsse ihre schöne blaugrüne oder kristallklare Farbe verloren. Schlammig braun wälzen sich die aufgewühlten Fluten nun zu Tal. Das stimmt mich ein wenig bedenklich. Diesen Fluß hier könnten wir, obwohl er angeschwollen ist, noch ohne größere Probleme durchqueren. Doch in spätestens zwei Tagen müssen wir über den Pelly setzen, und der, so fürchte ich, wird es uns nicht so leicht machen. Eines Nachmittags, als wir einem Wildwechsel durchs Erlengestrüpp folgen, stoßen wir auf eine Schwarzbärin mit zwei Jungen, niedlichen Teddys, die man am liebsten auf den Arm nehmen möchte. Uns trennen höchstens 20 Meter, doch offenbar sind sie so damit beschäftigt, sich mit Himbeeren vollzustopfen, daß sie uns weder gehört noch gesehen haben. Wir beobachten die possierliche Szene eine Zeitlang, dann stoße ich einen Pfiff aus, damit die kleine Familie den Weg freimacht, ehe unsere Pferde wieder einen Schreck kriegen und durchgehen.
Während der Amerikanische Schwarzbär die Flucht dem Angriff vorzieht, muss man sich vor dem Grizzly wirklich in acht nehmen. Aus diesem Grund habe ich auch Otchum mitgenommen, statt ihn bei der Meute im Jura zu lassen - von der Freude, die uns seine Gesellschaft bereitet, einmal ganz abgesehen.
Im übrigen erfüllt Otchum seine Aufgabe als Wachhund bestens. Er bezieht stets in der Nähe des Zeltes Posten und paßt auf, wenn sich etwas nähert. In dieser Hinsicht können wir beruhigt sein. Das Zelt ist eine Festung, in der sich eine Königin, wie meine Montaine, bedienen und verhätscheln läßt.
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Autoren-Porträt von Nicolas Vanier
Nicolas Vanier, 1962 im Senegal geboren, ist wie sein Vorbild Jack London Abenteurer und Schriftsteller zugleich. Als Erster überwand er nur mit dem Hundeschlitten eine 8 600 Kilometer lange Strecke durch Alaska und Kanada. Ein Jahr zog er mit seiner Frau und seiner kleinen Tochter in die Wildnis der Rocky Mountains. Zwischen seinen Expeditionen lebt Nicolas Vanier als Züchter von Schlittenhunden mit seiner Familie in der Sologne.
Bibliographische Angaben
- Autor: Nicolas Vanier
- 2004, 2. Aufl., 170 Seiten, mit zahlreichen farbigen Abbildungen, Maße: 27 x 21,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzer: Reiner Pfleiderer
- Verlag: Malik
- ISBN-10: 3890292658
- ISBN-13: 9783890292656
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