Das Siegel der Borgia
Sarah Bower erzählt in diesem lebendigen Historienschmöker eine großartige Liebesgeschichte, die den Leser ins Italien zur Zeit der Renaissance entführt.
Italien um 1500. Die 15-jährige Esther wird Kammerfrau...
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Produktinformationen zu „Das Siegel der Borgia “
Sarah Bower erzählt in diesem lebendigen Historienschmöker eine großartige Liebesgeschichte, die den Leser ins Italien zur Zeit der Renaissance entführt.
Italien um 1500. Die 15-jährige Esther wird Kammerfrau von Lucrezia Borgia, der Herzogin von Ferrara. Als kurz darauf deren Bruder Cesare nach Ferrara kommt, verliebt sich Esther Hals über Kopf in ihn. Nach dessen Abreise bemerkt sie, dass sie von ihm schwanger ist. Als im Frühjahr 1503 Papst Alexander VI., Lucrezias und Cesares Vater, plötzlich stirbt, hängt für die Geschwister alles davon ab, wer der nächste Papst wird. Voller Sorge um ihren Bruder schickt Lucrezia Esther nach Rom. Doch dort angekommen will ihr geliebter Cesare nichts mehr von ihr wissen.
Lese-Probe zu „Das Siegel der Borgia “
Das Siegel der Borgia von Sarah Bower 1TOLEDO, IM OMER DES JAHRES 5252, DAS FÜR DIE
CHRISTENMENSCHEN DAS JAHR 1492 IST
Bisweilen ist mir, als hätte ich alle Hoffnung aufgegeben, dich jemals wiederzusehen, jemals frei zu sein oder mein Schicksal selbst in der Hand zu haben. Dann aber merke ich, dass ich im tiefsten Inneren doch daran festhalte. Wenn wir sagen, wir hätten alle Hoffnung fahren gelassen, so fordern wir die Schicksalsgöttin nur dazu heraus, uns zu widerlegen.
Als ich ein kleines Mädchen und meine Mutter noch am Leben war, nahm sie mich mit in die Synagoge meiner Geburtsstadt, wo wir mit den anderen Frauen und Mädchen hinter der Trennwand saßen und zuhörten, wie die Männer an Schabbat die Gebete sprachen. Manchmal benahmen sich die Frauen nicht so, wie ihre Ehemänner, Brüder und Väter es sich gern vorstellten. Da wurde gekichert und geflüstert, man rückte Stühle und tauschte Klatsch aus, Lippen formten unhörbar Worte, und Augenbrauen hoben sich. Von sirrenden Fächern stieg duftender Staub auf und tanzte in den Sonnenstrahlen, die sich in dem filigranen Steingitter zwischen uns und den Männern brachen. Um mich her eine Schar Frauen, die mir über Haar und Gesicht strichen und
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auf eine Weise wisperten und seufzten, wie ich es seitdem nur bei Menschen erlebt habe, die große Kunstwerke oder Naturwunder bestaunen.
Diese Aufmerksamkeit ängstigte mich, doch meine Mutter beantwortete meine Hilfe suchenden Blicke stets mit einem Lächeln. Wenn ich mich an sie kuschelte, meine Wange in ihre Taillenrundung schmiegte, strich auch sie mir übers Haar und nahm die Komplimente der anderen Frauen entgegen. So ein hübsches Mädchen, so blond, so zart, so blauäugig. Wäre ich bei ihrer Geburt nicht selbst zugegen gewesen, fügte meine Großtante Sophia hinzu, würde ich meinen, sie wäre ein Wechselbalg, besessen von einem Dibbuk. Und andere Kinder meines Alters, die Mädchen und kleinen Jungen, die ihre Bar Mitzwa noch nicht gefeiert hatten, sahen mich mit ernsten, dunklen Augen an, als sei ich, was immer Tante Sophia auch sagte, tatsächlich ein Dibbuk, ein böser Geist, ein Außenseiter. Ein schwarzes Schaf. Rachel Abravanel zog mich oft an den Haaren, zwirbelte sie fest um ihre Finger und zog so hartnäckig, dass ich meinen Kopf ganz nach hinten biegen musste, um nicht aufzuschreien und die Betenden zu stören.
Ein Jahr später, nachdem Rachel auf der Überfahrt von Sardinien nach Neapel ums Leben gekommen war, erzählte Senora Abravanel meiner Mutter wie gern ihre Tochter mich gehabt habe. Noch einmal viele Jahre später gelang es mir endlich, das Rätsel zu lösen, welch seltsamer Drang uns dazu treibt, diejenigen zu verletzen, die wir lieben.
Jedenfalls wusste ich schon ehe ich denken konnte, dass ich anders war, und im Monat Omer des Jahres 5252, den die Christen Mai 1492 nennen, gelangte ich zu der Überzeugung, am Leid der Juden schuld zu sein. Es war eine heiße
Nacht, und ich fand keinen Schlaf. Mein Zimmer ging auf den Innenhof unseres Hauses in Toledo hinaus, und unterlegt mit dem Plätschern des Springbrunnens drangen die Stimmen meiner Eltern zu mir hinauf.
»Nein!«, rief meine Mutter plötzlich, und der Laut jagte mir einen kalten Schauer der Furcht durch den Körper, so wie damals beim Purimfest, als mir der kleine Haim ein Stück Eis von hinten in den Kragen gesteckt hatte. Ich glaube, ich hatte meine Mutter noch nie zuvor laut werden hören; selbst wenn wir ungezogen waren, gab sie sich stets gelassen und behielt die Fassung, als hätte sie unser schlechtes Betragen bereits vorhergesehen und sich schon die passende Strafe zurechtgelegt. Zudem war es nicht Ärger, der ihre Stimme so schrill klingen ließ, sondern blanke Furcht.
»Leah, sei doch vernünftig. Mit Esther zusammen schaffst du es. Bleib hier, bis ich einen sicheren Ort gefunden habe und euch nachkommen lasse.«
»Vergib mir, Haim, aber das kommt nicht infrage. Wenn wir fort müssen, gehen wir gemeinsam, die ganze Familie. Wir stellen uns der Gefahr gemeinsam.«
»Der König und die Königin haben uns drei Monate gegeben, bis Schawuot. So lange stehen wir noch unter königlichem Schutz.«
Meine Mutter ließ ein verächtliches Lachen hören, das gar nicht ihre Art war. »Da können wir ja vorher noch Pessach feiern. Welch ein Hohn.«
»Das ist ihr Osterfest, es ist ihnen sehr heilig. Vielleicht haben Ihre Majestäten ja doch noch einen Rest Gewissen.« Ich hörte das Schulterzucken in der Stimme meines Vaters.
»König Ferdinands Gewissen reicht nicht weiter als bis zu den Anbetern des falschen Messias, das haben die Mauren schon zu spüren bekommen. Jahrhundertelang pflastern sie Straßen, bauen Wasserleitungen, beleuchten die Städte — und er lässt sie wegen einer Laune seiner Frau umbringen.«Und du willst wegen einer deiner Launen uns umbringen lassen? Bis das Edikt in Kraft tritt, bleiben uns noch drei Monate. Ich werde jetzt gehen und die Jungen mitnehmen, und du und Esther werdet nachkommen, ehe der dritte Monat verstrichen ist. So seid ihr ganz und gar sicher. Außerdem brauche ich dich hier, du musst den Verkauf unserer Besitztümer überwachen. Wem sonst könnte ich trauen?«
»Jetzt reicht es.« Ich hörte Holz über Stein kratzen, als meine Mutter von ihrem Stuhl aufsprang. Aus dem Fenster zu sehen, wagte ich nicht, aus Angst, ihre Wut könnte sich auch gegen mich richten. »Hier ist dein Teller. Ich fülle ihn jetzt und bringe ihn den Bettlern auf der Straße. Wenn du gehst, wirst du sterben.«
»Leah, Leah«, knurrte mein Vater versöhnlich. Porzellan zerbarst.
»Beweg dich nicht. Wenn du das Marzipan auf den Fliesen festtrittst, bekomme ich sie nie wieder sauber.« Dann brach meine Mutter in Tränen aus, und das Rinnsal meiner Angst wurde zu einem Strom kalten Schweißes. Als meine Amme nachsehen kam, warum ich weinte, glaubte sie, ich bekäme Fieber, und zwang mich, einen ihrer abscheulich schmeckenden Kräutertees zu trinken.
»Es tut mir leid, Haim«, hörte ich meine Mutter noch sagen, ehe der Tee seine Wirkung tat und ich einschlief. Mein Vater gab keine Antwort, und ich hörte nur noch Kleider aneinander rascheln und das leise, feuchte Geräusch von Küssen. Dann zog ich mir das Kissen über die Ohren.
Eine Woche später verließen mein Vater und meine drei Brüder Eli, Simeon und der kleine Haim gemeinsam mit etlichen weiteren Männern aus unserer Gemeinde Toledo in Richtung Italien. Viele der Regenten und Despoten in diesem aus zahlreichen Stadtstaaten und Herrschaftsgebieten bestehenden Land duldeten Juden bei sich und verfolgten argwöhnisch die Staatsführung von König Ferdinand und Königin Isabella, die ihnen verblendet erschien. Selbst das Königreich Neapel, das von Verwandten des spanischen Königs regiert wurde, nahm angeblich bereitwillig jüdische Flüchtlinge auf. Mein Vater jedoch beabsichtigte, sich in Rom niederzulassen. Der Papst wird bald sterben, erklärte er, und es gibt einen spanischen Kardinal, der bereit ist, viel Geld zu investieren, um sich dieses Amt zu erkaufen, sobald es frei wird. Dieser Kardinal Borja wird einen zuverlässigen Bankier brauchen. Wir wussten nicht recht, was ein Papst war oder ein Kardinal, und Borja klang für uns eher katalanisch als spanisch — und Katalanen sind so vertrauenswürdig wie Zigeuner —, aber im Lächeln meines Vaters lag eine solche Zuversicht, seine Zähne leuchteten so weiß aus dem Dickicht seines schwarzen Bartes, dass uns keine andere Wahl blieb, als zustimmend zu nicken, unsere Tränen herunterzuschlucken und ihm zu sagen: Bis bald in Rom.
Die Tage des Omer vergingen, ohne dass uns eine Nachricht erreichte. Es hieß, einige Juden seien bei dem Versuch, Spanien zu verlassen, von übereifrigen Untertanen des Königs ausgeraubt und totgeschlagen worden — insbesondere von solchen, die ihnen Geld schuldeten; manch einer sei in den Bergen ums Leben gekommen, weil Dorfbewohner ihm Ob-
dach und Nahrung verweigert hatten. Wir hörten von Synagogen, aus denen Lagerhallen gemacht worden waren, und von Bauern, die auf unseren Friedhöfen ihre Schweine weiden ließen.
Doch gab es, wie meine Mutter immer wieder betonte, dafür keinerlei Beweise. Der König und die Königin hätten bis zum Ende des Omer den Juden Schutz zugesichert, und so lange seien sie in Spanien sicher wie eh und je.
Unser Haus erschien mir leer und still, besonders nachts, wenn ich im Bett lag und außer den Grillen nur die leisen Schritte meiner Mutter vernahm, die in den Fluren umherwanderte und auf Nachricht von meinem Vater wartete. Eines späten Nachmittags schließlich, als ich benommen aus der Siesta erwachte, hieß mich meine Mutter aufzustehen und trotz der Hitze so viele Kleider übereinanderzuziehen wie möglich. Dann gingen wir zu den Ställen hinter dem Haus, und ich sah erstaunt, wie meine Mutter ein Pferd sattelte. Ich hatte nicht gewusst, dass sie so etwas konnte. Dann warf sie dem Tier zwei Satteltaschen über den Rücken, hob mich hinauf und führte das Pferd zum Haupteingang, wo sie innehielt, um die Mesusa vom Torpfosten zu entfernen. Diese wickelte sie zusammen mit unserem Hausschlüssel in ihre Ketuba und verstaute das Päckchen in einer der Satteltaschen.
Inzwischen dämmerte es bereits, und da die Fackelträger schon lange nicht mehr in unser Viertel kamen, um die Straßenlaternen zu entzünden, wirkten die Menschen, die sich uns auf dem Weg zu den Stadttoren anschlossen, wie dem Halbdunkel entstiegene Schemen. Zu Fuß und zu Pferde zogen sie schweigend neben uns her, sodass in jener seltsamen, unheilvollen Stunde, zu der alles sich in etwas anderes ver wandelt, nur gedämpfte Schritte und leises Hufklappern zu hören waren. Die Gebäude glichen Traumgebilden, gelegentlich schimmerten Mosaikfliesen und Messingbeschläge an Türen wie Treibgut in einem Meer von Dunkelheit.
Sobald wir das Judenviertel hinter uns gelassen hatten, schloss sich unsere Gruppe eng zusammen, und die Männer bildeten einen Schutzwall um die Frauen und Kinder. Wir hatten Gerüchte gehört, dass man Juden auf der Straße gesteinigt, in Misthaufen gestoßen und Nachttöpfe über ihren Köpfen ausgeleert habe. Wir hingegen blieben unbehelligt, obgleich ich zu spüren meinte, dass uns durch die Ritzen in den Fensterläden Blicke verfolgten.
Wenn meine Mutter gelegentlich etwas sagte, spürte ich es mehr, als dass ich es hörte. Die Schwingungen ihrer Stimme durchliefen meinen Körper, der sich an den ihren schmiegte.
»Möge der Allbarmherzige mir vergeben«, sagte sie zu jemandem, der neben uns ging, »aber ich hätte nicht auf Haim hören dürfen«. Sie hielt inne, wohl um sich zu vergewissern, dass ich eingeschlafen war. Ich rührte mich nicht und ließ die Augen geschlossen, und so fuhr sie fort: »Wenn sie schon sterben mussten, hätte ich doch wenigstens mit ihnen gehen können.«
»Und was ist mit deiner Tochter, Leah?«, ertönte eine Stimme aus der Dunkelheit. Ich wagte kaum zu atmen. Sterben? Hatte meine Mutter eine Nachricht erhalten? War das der Grund für unsere überstürzte Flucht? Waren sie alle tot oder nur einige? Lieber Gott, wenn einer meiner Brüder tot sein muss, dann lass es den kleinen Haim sein, damit ich nie wieder seine Quälereien ertragen muss. Wie sind sie gestorben? Wo? Was wird nun aus uns? Ich erstickte fast an einer Flut von Fragen, die über mich hereinbrach.
Copyright der Originalausgabe © 2007 by Sarah Bower
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2009 by Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Übersetzung:»Katharina Förs, Bernhard Jendrick und Barabara Steckhan«
Diese Aufmerksamkeit ängstigte mich, doch meine Mutter beantwortete meine Hilfe suchenden Blicke stets mit einem Lächeln. Wenn ich mich an sie kuschelte, meine Wange in ihre Taillenrundung schmiegte, strich auch sie mir übers Haar und nahm die Komplimente der anderen Frauen entgegen. So ein hübsches Mädchen, so blond, so zart, so blauäugig. Wäre ich bei ihrer Geburt nicht selbst zugegen gewesen, fügte meine Großtante Sophia hinzu, würde ich meinen, sie wäre ein Wechselbalg, besessen von einem Dibbuk. Und andere Kinder meines Alters, die Mädchen und kleinen Jungen, die ihre Bar Mitzwa noch nicht gefeiert hatten, sahen mich mit ernsten, dunklen Augen an, als sei ich, was immer Tante Sophia auch sagte, tatsächlich ein Dibbuk, ein böser Geist, ein Außenseiter. Ein schwarzes Schaf. Rachel Abravanel zog mich oft an den Haaren, zwirbelte sie fest um ihre Finger und zog so hartnäckig, dass ich meinen Kopf ganz nach hinten biegen musste, um nicht aufzuschreien und die Betenden zu stören.
Ein Jahr später, nachdem Rachel auf der Überfahrt von Sardinien nach Neapel ums Leben gekommen war, erzählte Senora Abravanel meiner Mutter wie gern ihre Tochter mich gehabt habe. Noch einmal viele Jahre später gelang es mir endlich, das Rätsel zu lösen, welch seltsamer Drang uns dazu treibt, diejenigen zu verletzen, die wir lieben.
Jedenfalls wusste ich schon ehe ich denken konnte, dass ich anders war, und im Monat Omer des Jahres 5252, den die Christen Mai 1492 nennen, gelangte ich zu der Überzeugung, am Leid der Juden schuld zu sein. Es war eine heiße
Nacht, und ich fand keinen Schlaf. Mein Zimmer ging auf den Innenhof unseres Hauses in Toledo hinaus, und unterlegt mit dem Plätschern des Springbrunnens drangen die Stimmen meiner Eltern zu mir hinauf.
»Nein!«, rief meine Mutter plötzlich, und der Laut jagte mir einen kalten Schauer der Furcht durch den Körper, so wie damals beim Purimfest, als mir der kleine Haim ein Stück Eis von hinten in den Kragen gesteckt hatte. Ich glaube, ich hatte meine Mutter noch nie zuvor laut werden hören; selbst wenn wir ungezogen waren, gab sie sich stets gelassen und behielt die Fassung, als hätte sie unser schlechtes Betragen bereits vorhergesehen und sich schon die passende Strafe zurechtgelegt. Zudem war es nicht Ärger, der ihre Stimme so schrill klingen ließ, sondern blanke Furcht.
»Leah, sei doch vernünftig. Mit Esther zusammen schaffst du es. Bleib hier, bis ich einen sicheren Ort gefunden habe und euch nachkommen lasse.«
»Vergib mir, Haim, aber das kommt nicht infrage. Wenn wir fort müssen, gehen wir gemeinsam, die ganze Familie. Wir stellen uns der Gefahr gemeinsam.«
»Der König und die Königin haben uns drei Monate gegeben, bis Schawuot. So lange stehen wir noch unter königlichem Schutz.«
Meine Mutter ließ ein verächtliches Lachen hören, das gar nicht ihre Art war. »Da können wir ja vorher noch Pessach feiern. Welch ein Hohn.«
»Das ist ihr Osterfest, es ist ihnen sehr heilig. Vielleicht haben Ihre Majestäten ja doch noch einen Rest Gewissen.« Ich hörte das Schulterzucken in der Stimme meines Vaters.
»König Ferdinands Gewissen reicht nicht weiter als bis zu den Anbetern des falschen Messias, das haben die Mauren schon zu spüren bekommen. Jahrhundertelang pflastern sie Straßen, bauen Wasserleitungen, beleuchten die Städte — und er lässt sie wegen einer Laune seiner Frau umbringen.«Und du willst wegen einer deiner Launen uns umbringen lassen? Bis das Edikt in Kraft tritt, bleiben uns noch drei Monate. Ich werde jetzt gehen und die Jungen mitnehmen, und du und Esther werdet nachkommen, ehe der dritte Monat verstrichen ist. So seid ihr ganz und gar sicher. Außerdem brauche ich dich hier, du musst den Verkauf unserer Besitztümer überwachen. Wem sonst könnte ich trauen?«
»Jetzt reicht es.« Ich hörte Holz über Stein kratzen, als meine Mutter von ihrem Stuhl aufsprang. Aus dem Fenster zu sehen, wagte ich nicht, aus Angst, ihre Wut könnte sich auch gegen mich richten. »Hier ist dein Teller. Ich fülle ihn jetzt und bringe ihn den Bettlern auf der Straße. Wenn du gehst, wirst du sterben.«
»Leah, Leah«, knurrte mein Vater versöhnlich. Porzellan zerbarst.
»Beweg dich nicht. Wenn du das Marzipan auf den Fliesen festtrittst, bekomme ich sie nie wieder sauber.« Dann brach meine Mutter in Tränen aus, und das Rinnsal meiner Angst wurde zu einem Strom kalten Schweißes. Als meine Amme nachsehen kam, warum ich weinte, glaubte sie, ich bekäme Fieber, und zwang mich, einen ihrer abscheulich schmeckenden Kräutertees zu trinken.
»Es tut mir leid, Haim«, hörte ich meine Mutter noch sagen, ehe der Tee seine Wirkung tat und ich einschlief. Mein Vater gab keine Antwort, und ich hörte nur noch Kleider aneinander rascheln und das leise, feuchte Geräusch von Küssen. Dann zog ich mir das Kissen über die Ohren.
Eine Woche später verließen mein Vater und meine drei Brüder Eli, Simeon und der kleine Haim gemeinsam mit etlichen weiteren Männern aus unserer Gemeinde Toledo in Richtung Italien. Viele der Regenten und Despoten in diesem aus zahlreichen Stadtstaaten und Herrschaftsgebieten bestehenden Land duldeten Juden bei sich und verfolgten argwöhnisch die Staatsführung von König Ferdinand und Königin Isabella, die ihnen verblendet erschien. Selbst das Königreich Neapel, das von Verwandten des spanischen Königs regiert wurde, nahm angeblich bereitwillig jüdische Flüchtlinge auf. Mein Vater jedoch beabsichtigte, sich in Rom niederzulassen. Der Papst wird bald sterben, erklärte er, und es gibt einen spanischen Kardinal, der bereit ist, viel Geld zu investieren, um sich dieses Amt zu erkaufen, sobald es frei wird. Dieser Kardinal Borja wird einen zuverlässigen Bankier brauchen. Wir wussten nicht recht, was ein Papst war oder ein Kardinal, und Borja klang für uns eher katalanisch als spanisch — und Katalanen sind so vertrauenswürdig wie Zigeuner —, aber im Lächeln meines Vaters lag eine solche Zuversicht, seine Zähne leuchteten so weiß aus dem Dickicht seines schwarzen Bartes, dass uns keine andere Wahl blieb, als zustimmend zu nicken, unsere Tränen herunterzuschlucken und ihm zu sagen: Bis bald in Rom.
Die Tage des Omer vergingen, ohne dass uns eine Nachricht erreichte. Es hieß, einige Juden seien bei dem Versuch, Spanien zu verlassen, von übereifrigen Untertanen des Königs ausgeraubt und totgeschlagen worden — insbesondere von solchen, die ihnen Geld schuldeten; manch einer sei in den Bergen ums Leben gekommen, weil Dorfbewohner ihm Ob-
dach und Nahrung verweigert hatten. Wir hörten von Synagogen, aus denen Lagerhallen gemacht worden waren, und von Bauern, die auf unseren Friedhöfen ihre Schweine weiden ließen.
Doch gab es, wie meine Mutter immer wieder betonte, dafür keinerlei Beweise. Der König und die Königin hätten bis zum Ende des Omer den Juden Schutz zugesichert, und so lange seien sie in Spanien sicher wie eh und je.
Unser Haus erschien mir leer und still, besonders nachts, wenn ich im Bett lag und außer den Grillen nur die leisen Schritte meiner Mutter vernahm, die in den Fluren umherwanderte und auf Nachricht von meinem Vater wartete. Eines späten Nachmittags schließlich, als ich benommen aus der Siesta erwachte, hieß mich meine Mutter aufzustehen und trotz der Hitze so viele Kleider übereinanderzuziehen wie möglich. Dann gingen wir zu den Ställen hinter dem Haus, und ich sah erstaunt, wie meine Mutter ein Pferd sattelte. Ich hatte nicht gewusst, dass sie so etwas konnte. Dann warf sie dem Tier zwei Satteltaschen über den Rücken, hob mich hinauf und führte das Pferd zum Haupteingang, wo sie innehielt, um die Mesusa vom Torpfosten zu entfernen. Diese wickelte sie zusammen mit unserem Hausschlüssel in ihre Ketuba und verstaute das Päckchen in einer der Satteltaschen.
Inzwischen dämmerte es bereits, und da die Fackelträger schon lange nicht mehr in unser Viertel kamen, um die Straßenlaternen zu entzünden, wirkten die Menschen, die sich uns auf dem Weg zu den Stadttoren anschlossen, wie dem Halbdunkel entstiegene Schemen. Zu Fuß und zu Pferde zogen sie schweigend neben uns her, sodass in jener seltsamen, unheilvollen Stunde, zu der alles sich in etwas anderes ver wandelt, nur gedämpfte Schritte und leises Hufklappern zu hören waren. Die Gebäude glichen Traumgebilden, gelegentlich schimmerten Mosaikfliesen und Messingbeschläge an Türen wie Treibgut in einem Meer von Dunkelheit.
Sobald wir das Judenviertel hinter uns gelassen hatten, schloss sich unsere Gruppe eng zusammen, und die Männer bildeten einen Schutzwall um die Frauen und Kinder. Wir hatten Gerüchte gehört, dass man Juden auf der Straße gesteinigt, in Misthaufen gestoßen und Nachttöpfe über ihren Köpfen ausgeleert habe. Wir hingegen blieben unbehelligt, obgleich ich zu spüren meinte, dass uns durch die Ritzen in den Fensterläden Blicke verfolgten.
Wenn meine Mutter gelegentlich etwas sagte, spürte ich es mehr, als dass ich es hörte. Die Schwingungen ihrer Stimme durchliefen meinen Körper, der sich an den ihren schmiegte.
»Möge der Allbarmherzige mir vergeben«, sagte sie zu jemandem, der neben uns ging, »aber ich hätte nicht auf Haim hören dürfen«. Sie hielt inne, wohl um sich zu vergewissern, dass ich eingeschlafen war. Ich rührte mich nicht und ließ die Augen geschlossen, und so fuhr sie fort: »Wenn sie schon sterben mussten, hätte ich doch wenigstens mit ihnen gehen können.«
»Und was ist mit deiner Tochter, Leah?«, ertönte eine Stimme aus der Dunkelheit. Ich wagte kaum zu atmen. Sterben? Hatte meine Mutter eine Nachricht erhalten? War das der Grund für unsere überstürzte Flucht? Waren sie alle tot oder nur einige? Lieber Gott, wenn einer meiner Brüder tot sein muss, dann lass es den kleinen Haim sein, damit ich nie wieder seine Quälereien ertragen muss. Wie sind sie gestorben? Wo? Was wird nun aus uns? Ich erstickte fast an einer Flut von Fragen, die über mich hereinbrach.
Copyright der Originalausgabe © 2007 by Sarah Bower
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2009 by Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Übersetzung:»Katharina Förs, Bernhard Jendrick und Barabara Steckhan«
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Bibliographische Angaben
- Autor: Sarah Bower
- 2009, 1, 718 Seiten, Maße: 14,8 x 22 cm, Geb. mit Su.
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3868002472
- ISBN-13: 9783868002478
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