Das Spiel der Königin
Paris, 1169: Die 5-jährige Alix ist dem Sohn des englischen Königs Heinrich II. und seiner Frau Eleonore versprochen: Richard Löwenherz.
Doch als Alix zehn Jahre später heiratsfähig wird, merkt sie, dass sie nicht Richard,...
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Produktinformationen zu „Das Spiel der Königin “
Paris, 1169: Die 5-jährige Alix ist dem Sohn des englischen Königs Heinrich II. und seiner Frau Eleonore versprochen: Richard Löwenherz.
Doch als Alix zehn Jahre später heiratsfähig wird, merkt sie, dass sie nicht Richard, sondern seinen Vater Heinrich liebt. Und damit gerät sie in ein grausames, machtpolitisches Spiel zwischen Eleonore und Heinrich.
Lese-Probe zu „Das Spiel der Königin “
Das Spiel der Königin von Christy English1
Alix : Prinzessin von Frankreich
Ile-de-France Februar 1169
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Meine Mutter starb am Tag meiner Geburt. Inzwischen weiß ich, dass das keineswegs ungewöhnlich war, aber während meiner ersten Lebensjahre hatte ich den Eindruck, von Gott eine Sonderstellung zugewiesen bekommen zu haben. Ihr Tod war für mich ein großer Verlust, mein erster Verlust, obwohl ich sie nie kennenlernen durfte. Meine Amme erzählte mir immer wieder, dass ich ihre strahlenden Augen geerbt hätte.
Am Tag meiner Geburt erhielt der König von Frankreich nur mich, eine weitere Tochter, die bis auf die Allianz, die meine Hochzeit möglicherweise mit sich bringen würde, nutzlos war. Am Tag meiner Geburt starb seine Königin, sodass mein Vater sich nach angemessener Trauerzeit an die mühsame Aufgabe machen musste, eine neue Königin zu suchen und wieder von vorn zu beginnen.
Meine Mutter war Spanierin und eine wunderbare Frau - das behaupteten jedenfalls alle. Natürlich hätten sie mir nichts anderes erzählt, selbst wenn sie ein Drachen gewesen wäre. Mein Vater, König Ludwig, der Siebte dieses Namens, erwähnte sie nie auch nur mit einem Wort.
Und so zog mich meine Amme Katherina mit Geschichten über die Schönheit meiner Mutter, ihre Güte und unendliche Liebenswürdigkeit groß. Laut Aussage meiner Amme war meine Mutter eine Art Heilige, eine Frau, die nie wütend wurde, nie ein böses Wort sagte, weder einem Mann, noch einer Frau oder einem Diener gegenüber. Eine Frau, die früh Mutter wurde und still und leise starb und deren einziges Versagen darin bestand, meinem Vater zwei Töchter zu schenken, die außer Schmerz nichts erben konnten.
Das Vorbild meiner Mutter wurde mir ständig vor Augen gehalten, sodass auch ich lernte, zu schweigen und still zu sein. Ich lernte, dass das Schweigen einer Frau mehr wert war als Gold und dass gehorsam zu sein nicht nur meine Pfl icht war, sondern mir auch zur Ehre gereichte. Denn durch meinen Gehorsam konnte ich meinem Vater und König am besten dienen.
Mein Vater war groß und hager, und er hatte ein Gesicht wie ein Mönch. In einer besseren Welt hätte er die Freiheit gehabt, sein Leben in innerer Versenkung zu verbringen und Gott zu dienen.
Das war die große Gabe meines Vaters : still dazusitzen und die Anwesenheit Gottes zu spüren. Manchmal, wenn die Staatsgeschäfte erledigt waren und niemand mehr seine Aufmerksamkeit für sich beanspruchte, ließ er mich bei sich in seinen privaten Gemächern sitzen und mit ihm vor seinem Privataltar knien. Dieser Altar stand neben dem Prunkbett, in dem meine Schwestern und ich gezeugt worden waren.
Meine ältesten Schwestern kannten mich nicht, denn sie waren schon lange verheiratet worden und lebten nicht mehr in Frankreich. Außerdem waren sie verfl ucht, weil sie von der ersten Frau meines Vaters, der niederträchtigen Königin Eleonore, geboren worden waren, der Frau, die meinen Vater vor Jahren wegen eines jüngeren Mannes verlassen hatte. Nur flüsternd wurde über diese Königin gesprochen. Meine Amme beschwor sie immer dann herauf, wenn sie mich daran erinnern wollte, dass ich brav sein sollte, wenn sie versuchte, mich von Schlechtigkeit fernzuhalten. Meine ganze Kindheit hindurch empfand ich Abscheu vor dieser geheimnisvollen Königin, einer Frau, die nie gehorsam war, einer Frau, die sich dem Kreuzzug gegen die Ungläubigen angeschlossen hatte und so auf einem Pferd geritten war wie ein Mann.
Später erfuhr ich, dass Eleonore nicht etwa tot war und beim Teufel in der Hölle schmorte, sondern den König von England geheiratet hatte, der ebenfalls ein Teufel war - das behaupteten jedenfalls alle am Hof meines Vaters.
Kurz vor meinem elften Geburtstag, als sicher zu sein schien, dass ich am Leben bleiben würde, wurde meine Hochzeit arrangiert. In dieser Zeit rief mich mein Vater zu sich.
Die Hofdamen führten mich in einen großen Saal, der aus Stein gemauert war. In den Fenstern hoch über uns befanden sich durchsichtige Glasscheiben, und Sonnenstrahlen fi elen durch diese hohen Fenster auf den Staub, der über unseren Köpfen tanzte. Die Decke bestand aus steinernem Gitterwerk, das so kunstvoll war, dass es fast wie Spitze wirkte. Ich reckte den Hals, um es mir anzusehen.
Mein Vater stand mit seinen Rittern und Edelleuten neben einem großen hölzernen Sessel, der mit Kissen versehen und mit vergoldeten Wappen verziert war. Ich lächelte, als ich meinen Vater erblickte, aber er lächelte nicht zurück, nicht etwa, weil er mich nicht gesehen hätte, sondern weil das ein feierlicher Anlass war. Ich wusste nicht, warum ich gerufen worden war, ich wusste nur, dass der König mich erwartete.
Zum ersten Mal in meinen Leben ging ich allein durch einen Raum voller Männer. Die Hofdamen folgten mir mit ein paar Schritten Abstand, während ich mich zwischen den Höfl ingen meines Vaters vorwärtsbewegte.
Als ich nach einer scheinbaren Ewigkeit beim Podest angelangt war, machte ich vor meinem Vater einen Knicks und kniete mich vor ihn, als wäre ich einer seiner Vasallen.
Ein Murmeln breitete sich im Saal aus, als streiche der Wind durch ein Gerstenfeld. Dann herrschte Stille. Es war jetzt eine andere Art von Stille, nicht die Stille, die herrscht, wenn man darauf wartet, dass eine Pfl icht erfüllt wird, sondern eine Stille wie bei Zuschauern, die einem Schauspiel beiwohnen. Ich muss unwillkürlich das Richtige getan haben, denn obwohl mein Vater seinen schwersten Prunkornat trug, der mit Gold und Hermelin verziert war, lächelte er jetzt zu mir herab.
Ich hatte ihn noch nie mit seiner Krone gesehen. Er sah aus wie ein anderer Mensch - bis er lächelte und ich ihn wiedererkannte.
Mein Vater hob die Hände und segnete mich, dabei sprach er Worte, an die ich mich nicht mehr erinnern kann. Kern seiner Ansprache war, dass ich von diesem Tag an den Titel der Gräfi n von Vexin tragen würde. Ich würde die Grafschaft von Vexin, ein wertvolles Stück Land, das sich zwischen Paris und dem Großherzogtum der Normandie erstreckte, aus eigenem Recht besitzen. Ich schwor, meinem König und dem Thron Frankreichs immerdar zu dienen.
Als die Zeremonie vorüber war, sah ich einen Mann, der hinter dem Thron meines Vaters stand. Er war klein und hatte ein Gesicht wie ein Frettchen und glänzende Augen. Mir wurde wenig über den Hof meines Vaters berichtet, aber ich verstand es zuzuhören. Ich wusste, dass er einer der Speichellecker von König Heinrich von England war. Außerdem kannte ich seinen Namen : Sir Reginald von Shrewsbury. Sogar in meinem Kinderzimmer war von ihm die Rede gewesen, als er als Gesandter des englischen Königs nach Paris gekommen war.
Ich fragte mich, warum er sich die Mühe gemacht hatte, an meiner Investitur teilzunehmen, wo ich doch selbst bis zu diesem Tag nichts davon erfahren hatte.
Dann hörte ich, wie eine der Hofdamen meines Vaters mit einer anderen sprach, während sie sich näherten, um mich wegzuführen.
»Gott stehe dem Mädchen bei«, sagte sie. »Wenn es an den Hof der Brut dieses Teufels geht.«
Mit dem »Teufel« konnte meines Wissens nur eine gemeint sein : die böse Königin, die einmal die Frau meines Vaters gewesen war.
Ich erstarrte, und die Angst aus meinen Kindheitstagen stieg in mir auf und schnürte mir die Kehle zu. Ihre knochigen Finger würgten mich, und ich hatte zu kämpfen, um Luft zu bekommen. Das war nicht der erste Kampf, den ich gegen die Angst geführt und gewonnen hatte. Und es sollte auch nicht der letzte sein.
Ich betete zur Jungfrau Maria, und sie erhörte mich, denn meine Atmung beruhigte sich und meine Angst vor der bösen Königin ließ nach. Ich stand allein im Thronsaal meines Vaters, und ich wusste, warum der Gesandte mit dem Frettchengesicht anwesend war. Meine Hochzeit war bereits arrangiert worden. Ich sollte einen Prinzen aus der Teufelsbrut heiraten, einen Sohn der früheren Frau meines Vaters.
Ich stand still da, während in den Hofstaat, der um mich herum stand, Bewegung kam. Ich spürte, dass der Gesandte von König Heinrich mich ansah, mich musterte und mich für mangelhaft befand. Ich war klein für mein Alter, deshalb richtete ich mich auf. Ich wollte nicht zulassen, dass ein Diener meines zukünftigen Ehemanns Geschichten von mir erzählt, es sei denn, es handelte sich um Geschichten, die ich ihm vorgab.
Ich folgte den Hofdamen nicht zur Tür, wie man von mir erwartete. Stattdessen machte ich kehrt, und die in der Nähe stehenden Frauen waren nicht geistesgegenwärtig genug, mich zurückzuhalten. Sie hielten mich zu dieser Zeit offenbar für eins ihrer Hündchen und bemerkten erst zu spät, dass ich die Leine abgestreift hatte.
Mein Vater stand noch immer an der Stelle, an der ich mich von ihm abgewandt hatte. Irgendwie spürte er, genau wie ich, dass noch etwas gesagt werden musste, Worte, die bis jetzt unausgesprochen geblieben waren. Er war ein guter Mann und ein guter König, aber er zählte nicht zu jenen, die gern vor großen Menschenmengen sprachen. Ich sah, dass es mir überlassen blieb, es an seiner Stelle zu tun.
Ich stand vor ihm und blickte meinem Vater in die Augen, und ich sah nur ihn, während die Höfl inge bei der Tür stehen blieben. Sie waren im Begriff gewesen zu gehen, da die Zeremonie vorüber war, aber ich war mit ihnen noch nicht fertig. Noch nicht.
Als ich hörte, dass die Höfl inge aus der Vorhalle zurückkehrten, kniete ich langsam und feierlich nieder und blickte meinem Vater weiter in die Augen. Wieder legte sich Schweigen über den Saal, und nur noch das Flüstern der Hofdamen bei der Tür war zu hören, bis der Oberhofmeister sie mit barscher Stimme zur Ruhe gemahnte.
Ich hob den Saum des Gewands meines Vaters an und küsste ihn. Die Männer, die neben ihm standen, wichen zurück, blieben aber nahe genug stehen, dass sie meinen spontanen Auftritt beobachten konnten. Ich sah sie nicht an, sondern blickte nur auf das Gesicht meines Vaters. In diesem Augenblick legte ich meinen wahren Schwur ab, den Schwur, an dem ich für den Rest meines Lebens festhielt.
»Mein Herr und König«, sagte ich. »Es ist meine Pfl icht, dem Thron Frankreichs zu dienen. Wenn Ihr von mir verlangt, in die fernsten Gegenden der Welt zu reisen, selbst in dunkle, unbekannte Regionen, werde ich gehen. Falls es für Frankreich notwendig wäre, dass ich den Teufel persönlich heirate, würde ich auch das tun. Es wird mir eine Ehre sein, den Sohn König Heinrichs zu heiraten.«
Ich wusste nicht, welchem Prinzen der Teufelsbrut ich versprochen war, deshalb nannte ich keinen Namen. Aber ich wusste, dass König Heinrich sehr viele Söhne hatte, während Gott es für angebracht gehalten hatte, uns nur meinen jüngeren Bruder, Philipp August, das Kind der dritten Frau meines Vaters, zu schenken.
Mein Vater blickte so stolz auf mich herab, dass ich dachte, er würde gleich Tränen vergießen. Ich sah Bedauern in seinem Gesicht, dass er mich nicht vor meiner Investitur zur Gräfi n, bevor meine Hochzeit arrangiert wurde, allein zu sich gerufen hatte. Zum ersten Mal erkannte er, dass ich alt genug war, um zu begreifen, worin meine Pfl icht bestand. Tränen stiegen ihm in die Augen, während er auf mich herabblickte, dann blinzelte er sie weg.
Wieder hob mein Vater die Hand, um mich zu segnen. Er legte sie auf meinen Schleier, sodass sie auf meinem Scheitel ruhte.
»Meine Tochter, wenn das Frühjahr kommt, wirst du abreisen, um Lord Richard, Prinz von England, den Sohn unseres geschätzten Vasallen Heinrich, König von England und Herzog der Normandie, zu ehelichen. Du bist der Stolz meines Hofes, die Blume Frankreichs. König Heinrich wird dich willkommen heißen und dich in Ehren halten, so wie wir dich hier in Ehren halten.«
Ich ergriff nicht mehr das Wort, weil ich schon zu viel gesagt hatte. Eine französische Prinzessin verbringt ihr Leben mit Schweigen, so wie es meine Mutter vor mir getan hatte. Ich war nicht von Natur aus schweigsam, aber ich war gehorsam. Ich wusste, dass ich meinem Vater jetzt eher diente, wenn ich den Mund hielt.
Ich dachte, er würde mich nun, da meine Pf icht erklärt und alles Nötige über die Teufel und ihre Brut gesagt war, entlassen. Stattdessen nahm mein Vater die Hand von meinem Schleier und entließ mit einer Geste die um uns herum stehenden Höflinge, auch den Abgesandten König Heinrichs.
»Lasst uns allein«, sagte mein Vater.
In Windeseile war der Saal geräumt. Die Damen, die mich hierher begleitet hatten, gingen als Letzte und wurden vom Oberhofmeister meines Vaters gescholten, weil sie mich hatten entwischen lassen.
Sobald wir allein waren, setzte sich mein Vater nieder, nicht auf seinen Thron, sondern auf ein Kissen, das auf einer der flachen Stufen des Podests lag. Ich erkannte, dass das Kissen dort hingelegt worden war, damit ich darauf knien konnte. Doch ich hatte mich, da ich nicht instruiert war, so rasch hingekniet, dass die Zeremonie, durch die ich zur Gräfi n geworden war, und alles, was danach geschehen war, unterhalb des Podests stattgefunden hatten.
Mein Vater machte mir ein Zeichen, und ich ging zu ihm. Er ergriff meine Hand. Seine Haut war wie altes Pergament, weich und fast gelb. Als ich so vor ihm stand, betete ich zu Gott, dass er ihn lange genug am Leben lassen würde, damit er erleben konnte, wie mein Bruder zu einem starken Mann heranwuchs.
»Meine Tochter«, sagte er. »Was hast du von dem Teufel gehört?«
»Die Damen haben gesagt, dass ich in die Teufelsbrut einheiraten soll. Ich wusste sofort, dass sie einen Sohn meinten, den Eure andere Frau geboren hat.«
Zu meinem Erstaunen lächelte er. Ich war froh zu sehen, dass sich seine Miene ein wenig aufhellte. Doch sein Gesichtsausdruck wurde wieder ernst, und ich trat näher zu ihm.
»Eleonore ist kein Teufel, Alix, und ihr Mann auch nicht. Die beiden sind lediglich Sünder vor Gott, so wie wir alle. Sünder, die nicht bereuen.«
Ich war nicht überzeugt. Ich würde den Teufel persönlich ehelichen, wenn es Frankreich dienen würde. Er sah in meinem Blick, dass es mir damit ernst war, und seine Hand streifte meine Wange. Er suchte nach Worten. Er war ein Mann, der nicht viel sprach, außer mit Gott, und auch das nur in Gedanken.
Ich wartete, denn wenn mein Vater sprach, hatte er immer etwas zu sagen. Damals dachte ich, das liege daran, dass er König war. Inzwischen weiß ich, dass das sein Naturell war. Er sprach vorsichtig, um möglichst wenig zu verletzen. Sein ganzes Leben lang bereitete es ihm Kummer, dass er als König ebenso häufi g verletzte wie Gnade gewährte.
»Meine Tochter«, sagte er. »Du bist ein braves Mädchen. Du bist der ganze Stolz meines Hauses. Ich habe dich zur Gräfi n von Vexin in deinem eigenen Recht gemacht, obwohl dieser Titel noch nie von einer Frau getragen wurde. Weißt du, warum ich das getan habe ?«
»Weil ich stark genug bin, ihn zu tragen«, antwortete ich.
Wieder dachte ich, dass er gleich losweinen würde, aber er war ein Mann. Er war weder damals noch früher ein großer Kämpfer, aber er hatte sich stets unter Kontrolle. Ich kannte viele berühmte Krieger, die das von sich nicht behaupten konnten.
Er zog mich auf seinen Schoß und gab mir einen Kuss. Ich konnte mich nicht erinnern, dass mich seine Lippen je zuvor berührt hatten. Er hatte mich zwar lieb, das wusste ich, doch unsere Familie war von Tradition und Pfl ichterfüllung geprägt. Es blieb wenig Zeit für Küsse oder Tränen. Daran erinnerte ich mich, selbst als ich seine Tränen auf meinem Haar spürte.
Sobald eine Tochter des Hauses der Kapetinger verlobt ist, wird sie zur Familie ihres zukünftigen Ehemanns geschickt, um bei ihr zu leben. Ich war meinem Vater und Frankreich zuliebe bereit, einem Leben im Exil unter den Feinden meines Vaters entgegenzusehen. Denn ich wusste, dass König Heinrich der Feind meines Vaters war. Seine Macht reichte weit, bis in die Gebiete, die an die Länder meines Vaters grenzten. Heinrich war König von England, darüber hinaus Herzog der Normandie und durch seine Frau Herzog von Aquitanien. Heinrich war ein Vasall meines Vaters, aber er war mächtig. Meine Verlobung war eine Möglichkeit, die Bedrohung durch den englischen König und seine vielen Söhne zu verringern, ein weiterer Weg, den brüchigen Frieden zu wahren.
Mein Vater zog seinen Rosenkranz hervor. Er trug immer einen mit sich. Heute bestand er aus goldenen Kugeln, besetzt mit Diamanten, Perlen und Amethysten, und am Ende hing ein goldenes Kruzifi x mit einer schönen Darstellung unseres gekreuzigten Heilands. Mein Vater reichte mir den Rosenkranz und drückte ihn mir in die Hand.
»Trag ihn immer bei dir, Alix. Benutze ihn, um für mich und für Frankreich zu beten. So wirst du immer daran erinnert, woher du kommst und wer dein Vater war.«
Wieder gab er mir einen Kuss. Ich hörte, dass sich seine Waffenknechte vor der Tür zu versammeln begannen. Sie waren gekommen, um ihn zu begleiten, denn er wurde, wie es bei einem König immer der Fall war, anderswo gebraucht.
Doch selbst jetzt wandte er sich nicht von mir ab, sondern hielt mich fest. Ich blickte zu seinem Gesicht hinauf und sah, dass mein Vater schon alt war. Es würden viele Jahre vergehen, bis ich ihn wiedersehen würde.
Er strich mir über die Haare und trocknete mit dem Ärmel seines Brokatgewands meine Tränen. Der Brokat war rau und kratzte mich, aber für mich fühlte er sich an wie Küsse, was außer bei meinem Vater sonst bei keinem anderen Menschen der Fall gewesen wäre.
»Sei ein braves Mädchen und diene stets deinem Haus. Wir werden uns zu Füßen unseres Heilands im Himmel wiedersehen.«
Als ich meinem Vater ins Gesicht blickte, erkannte ich, dass er glaubte, was er sagte. Wenn das Leben fi nster und der Pfad der Pfl ichterfüllung und Ehre steinig und lang waren, dachte ich stets an das Gesicht meines Vaters an diesem Tag zurück. Ich erinnerte mich, dass er mich lieb hatte und ein so guter Mensch war, dass er über das Böse dieser Welt hinaus dem sicheren Paradies entgegensehen konnte.
Übersetzung: Theresia Übelhör
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe
© 2011 by Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Meine Mutter starb am Tag meiner Geburt. Inzwischen weiß ich, dass das keineswegs ungewöhnlich war, aber während meiner ersten Lebensjahre hatte ich den Eindruck, von Gott eine Sonderstellung zugewiesen bekommen zu haben. Ihr Tod war für mich ein großer Verlust, mein erster Verlust, obwohl ich sie nie kennenlernen durfte. Meine Amme erzählte mir immer wieder, dass ich ihre strahlenden Augen geerbt hätte.
Am Tag meiner Geburt erhielt der König von Frankreich nur mich, eine weitere Tochter, die bis auf die Allianz, die meine Hochzeit möglicherweise mit sich bringen würde, nutzlos war. Am Tag meiner Geburt starb seine Königin, sodass mein Vater sich nach angemessener Trauerzeit an die mühsame Aufgabe machen musste, eine neue Königin zu suchen und wieder von vorn zu beginnen.
Meine Mutter war Spanierin und eine wunderbare Frau - das behaupteten jedenfalls alle. Natürlich hätten sie mir nichts anderes erzählt, selbst wenn sie ein Drachen gewesen wäre. Mein Vater, König Ludwig, der Siebte dieses Namens, erwähnte sie nie auch nur mit einem Wort.
Und so zog mich meine Amme Katherina mit Geschichten über die Schönheit meiner Mutter, ihre Güte und unendliche Liebenswürdigkeit groß. Laut Aussage meiner Amme war meine Mutter eine Art Heilige, eine Frau, die nie wütend wurde, nie ein böses Wort sagte, weder einem Mann, noch einer Frau oder einem Diener gegenüber. Eine Frau, die früh Mutter wurde und still und leise starb und deren einziges Versagen darin bestand, meinem Vater zwei Töchter zu schenken, die außer Schmerz nichts erben konnten.
Das Vorbild meiner Mutter wurde mir ständig vor Augen gehalten, sodass auch ich lernte, zu schweigen und still zu sein. Ich lernte, dass das Schweigen einer Frau mehr wert war als Gold und dass gehorsam zu sein nicht nur meine Pfl icht war, sondern mir auch zur Ehre gereichte. Denn durch meinen Gehorsam konnte ich meinem Vater und König am besten dienen.
Mein Vater war groß und hager, und er hatte ein Gesicht wie ein Mönch. In einer besseren Welt hätte er die Freiheit gehabt, sein Leben in innerer Versenkung zu verbringen und Gott zu dienen.
Das war die große Gabe meines Vaters : still dazusitzen und die Anwesenheit Gottes zu spüren. Manchmal, wenn die Staatsgeschäfte erledigt waren und niemand mehr seine Aufmerksamkeit für sich beanspruchte, ließ er mich bei sich in seinen privaten Gemächern sitzen und mit ihm vor seinem Privataltar knien. Dieser Altar stand neben dem Prunkbett, in dem meine Schwestern und ich gezeugt worden waren.
Meine ältesten Schwestern kannten mich nicht, denn sie waren schon lange verheiratet worden und lebten nicht mehr in Frankreich. Außerdem waren sie verfl ucht, weil sie von der ersten Frau meines Vaters, der niederträchtigen Königin Eleonore, geboren worden waren, der Frau, die meinen Vater vor Jahren wegen eines jüngeren Mannes verlassen hatte. Nur flüsternd wurde über diese Königin gesprochen. Meine Amme beschwor sie immer dann herauf, wenn sie mich daran erinnern wollte, dass ich brav sein sollte, wenn sie versuchte, mich von Schlechtigkeit fernzuhalten. Meine ganze Kindheit hindurch empfand ich Abscheu vor dieser geheimnisvollen Königin, einer Frau, die nie gehorsam war, einer Frau, die sich dem Kreuzzug gegen die Ungläubigen angeschlossen hatte und so auf einem Pferd geritten war wie ein Mann.
Später erfuhr ich, dass Eleonore nicht etwa tot war und beim Teufel in der Hölle schmorte, sondern den König von England geheiratet hatte, der ebenfalls ein Teufel war - das behaupteten jedenfalls alle am Hof meines Vaters.
Kurz vor meinem elften Geburtstag, als sicher zu sein schien, dass ich am Leben bleiben würde, wurde meine Hochzeit arrangiert. In dieser Zeit rief mich mein Vater zu sich.
Die Hofdamen führten mich in einen großen Saal, der aus Stein gemauert war. In den Fenstern hoch über uns befanden sich durchsichtige Glasscheiben, und Sonnenstrahlen fi elen durch diese hohen Fenster auf den Staub, der über unseren Köpfen tanzte. Die Decke bestand aus steinernem Gitterwerk, das so kunstvoll war, dass es fast wie Spitze wirkte. Ich reckte den Hals, um es mir anzusehen.
Mein Vater stand mit seinen Rittern und Edelleuten neben einem großen hölzernen Sessel, der mit Kissen versehen und mit vergoldeten Wappen verziert war. Ich lächelte, als ich meinen Vater erblickte, aber er lächelte nicht zurück, nicht etwa, weil er mich nicht gesehen hätte, sondern weil das ein feierlicher Anlass war. Ich wusste nicht, warum ich gerufen worden war, ich wusste nur, dass der König mich erwartete.
Zum ersten Mal in meinen Leben ging ich allein durch einen Raum voller Männer. Die Hofdamen folgten mir mit ein paar Schritten Abstand, während ich mich zwischen den Höfl ingen meines Vaters vorwärtsbewegte.
Als ich nach einer scheinbaren Ewigkeit beim Podest angelangt war, machte ich vor meinem Vater einen Knicks und kniete mich vor ihn, als wäre ich einer seiner Vasallen.
Ein Murmeln breitete sich im Saal aus, als streiche der Wind durch ein Gerstenfeld. Dann herrschte Stille. Es war jetzt eine andere Art von Stille, nicht die Stille, die herrscht, wenn man darauf wartet, dass eine Pfl icht erfüllt wird, sondern eine Stille wie bei Zuschauern, die einem Schauspiel beiwohnen. Ich muss unwillkürlich das Richtige getan haben, denn obwohl mein Vater seinen schwersten Prunkornat trug, der mit Gold und Hermelin verziert war, lächelte er jetzt zu mir herab.
Ich hatte ihn noch nie mit seiner Krone gesehen. Er sah aus wie ein anderer Mensch - bis er lächelte und ich ihn wiedererkannte.
Mein Vater hob die Hände und segnete mich, dabei sprach er Worte, an die ich mich nicht mehr erinnern kann. Kern seiner Ansprache war, dass ich von diesem Tag an den Titel der Gräfi n von Vexin tragen würde. Ich würde die Grafschaft von Vexin, ein wertvolles Stück Land, das sich zwischen Paris und dem Großherzogtum der Normandie erstreckte, aus eigenem Recht besitzen. Ich schwor, meinem König und dem Thron Frankreichs immerdar zu dienen.
Als die Zeremonie vorüber war, sah ich einen Mann, der hinter dem Thron meines Vaters stand. Er war klein und hatte ein Gesicht wie ein Frettchen und glänzende Augen. Mir wurde wenig über den Hof meines Vaters berichtet, aber ich verstand es zuzuhören. Ich wusste, dass er einer der Speichellecker von König Heinrich von England war. Außerdem kannte ich seinen Namen : Sir Reginald von Shrewsbury. Sogar in meinem Kinderzimmer war von ihm die Rede gewesen, als er als Gesandter des englischen Königs nach Paris gekommen war.
Ich fragte mich, warum er sich die Mühe gemacht hatte, an meiner Investitur teilzunehmen, wo ich doch selbst bis zu diesem Tag nichts davon erfahren hatte.
Dann hörte ich, wie eine der Hofdamen meines Vaters mit einer anderen sprach, während sie sich näherten, um mich wegzuführen.
»Gott stehe dem Mädchen bei«, sagte sie. »Wenn es an den Hof der Brut dieses Teufels geht.«
Mit dem »Teufel« konnte meines Wissens nur eine gemeint sein : die böse Königin, die einmal die Frau meines Vaters gewesen war.
Ich erstarrte, und die Angst aus meinen Kindheitstagen stieg in mir auf und schnürte mir die Kehle zu. Ihre knochigen Finger würgten mich, und ich hatte zu kämpfen, um Luft zu bekommen. Das war nicht der erste Kampf, den ich gegen die Angst geführt und gewonnen hatte. Und es sollte auch nicht der letzte sein.
Ich betete zur Jungfrau Maria, und sie erhörte mich, denn meine Atmung beruhigte sich und meine Angst vor der bösen Königin ließ nach. Ich stand allein im Thronsaal meines Vaters, und ich wusste, warum der Gesandte mit dem Frettchengesicht anwesend war. Meine Hochzeit war bereits arrangiert worden. Ich sollte einen Prinzen aus der Teufelsbrut heiraten, einen Sohn der früheren Frau meines Vaters.
Ich stand still da, während in den Hofstaat, der um mich herum stand, Bewegung kam. Ich spürte, dass der Gesandte von König Heinrich mich ansah, mich musterte und mich für mangelhaft befand. Ich war klein für mein Alter, deshalb richtete ich mich auf. Ich wollte nicht zulassen, dass ein Diener meines zukünftigen Ehemanns Geschichten von mir erzählt, es sei denn, es handelte sich um Geschichten, die ich ihm vorgab.
Ich folgte den Hofdamen nicht zur Tür, wie man von mir erwartete. Stattdessen machte ich kehrt, und die in der Nähe stehenden Frauen waren nicht geistesgegenwärtig genug, mich zurückzuhalten. Sie hielten mich zu dieser Zeit offenbar für eins ihrer Hündchen und bemerkten erst zu spät, dass ich die Leine abgestreift hatte.
Mein Vater stand noch immer an der Stelle, an der ich mich von ihm abgewandt hatte. Irgendwie spürte er, genau wie ich, dass noch etwas gesagt werden musste, Worte, die bis jetzt unausgesprochen geblieben waren. Er war ein guter Mann und ein guter König, aber er zählte nicht zu jenen, die gern vor großen Menschenmengen sprachen. Ich sah, dass es mir überlassen blieb, es an seiner Stelle zu tun.
Ich stand vor ihm und blickte meinem Vater in die Augen, und ich sah nur ihn, während die Höfl inge bei der Tür stehen blieben. Sie waren im Begriff gewesen zu gehen, da die Zeremonie vorüber war, aber ich war mit ihnen noch nicht fertig. Noch nicht.
Als ich hörte, dass die Höfl inge aus der Vorhalle zurückkehrten, kniete ich langsam und feierlich nieder und blickte meinem Vater weiter in die Augen. Wieder legte sich Schweigen über den Saal, und nur noch das Flüstern der Hofdamen bei der Tür war zu hören, bis der Oberhofmeister sie mit barscher Stimme zur Ruhe gemahnte.
Ich hob den Saum des Gewands meines Vaters an und küsste ihn. Die Männer, die neben ihm standen, wichen zurück, blieben aber nahe genug stehen, dass sie meinen spontanen Auftritt beobachten konnten. Ich sah sie nicht an, sondern blickte nur auf das Gesicht meines Vaters. In diesem Augenblick legte ich meinen wahren Schwur ab, den Schwur, an dem ich für den Rest meines Lebens festhielt.
»Mein Herr und König«, sagte ich. »Es ist meine Pfl icht, dem Thron Frankreichs zu dienen. Wenn Ihr von mir verlangt, in die fernsten Gegenden der Welt zu reisen, selbst in dunkle, unbekannte Regionen, werde ich gehen. Falls es für Frankreich notwendig wäre, dass ich den Teufel persönlich heirate, würde ich auch das tun. Es wird mir eine Ehre sein, den Sohn König Heinrichs zu heiraten.«
Ich wusste nicht, welchem Prinzen der Teufelsbrut ich versprochen war, deshalb nannte ich keinen Namen. Aber ich wusste, dass König Heinrich sehr viele Söhne hatte, während Gott es für angebracht gehalten hatte, uns nur meinen jüngeren Bruder, Philipp August, das Kind der dritten Frau meines Vaters, zu schenken.
Mein Vater blickte so stolz auf mich herab, dass ich dachte, er würde gleich Tränen vergießen. Ich sah Bedauern in seinem Gesicht, dass er mich nicht vor meiner Investitur zur Gräfi n, bevor meine Hochzeit arrangiert wurde, allein zu sich gerufen hatte. Zum ersten Mal erkannte er, dass ich alt genug war, um zu begreifen, worin meine Pfl icht bestand. Tränen stiegen ihm in die Augen, während er auf mich herabblickte, dann blinzelte er sie weg.
Wieder hob mein Vater die Hand, um mich zu segnen. Er legte sie auf meinen Schleier, sodass sie auf meinem Scheitel ruhte.
»Meine Tochter, wenn das Frühjahr kommt, wirst du abreisen, um Lord Richard, Prinz von England, den Sohn unseres geschätzten Vasallen Heinrich, König von England und Herzog der Normandie, zu ehelichen. Du bist der Stolz meines Hofes, die Blume Frankreichs. König Heinrich wird dich willkommen heißen und dich in Ehren halten, so wie wir dich hier in Ehren halten.«
Ich ergriff nicht mehr das Wort, weil ich schon zu viel gesagt hatte. Eine französische Prinzessin verbringt ihr Leben mit Schweigen, so wie es meine Mutter vor mir getan hatte. Ich war nicht von Natur aus schweigsam, aber ich war gehorsam. Ich wusste, dass ich meinem Vater jetzt eher diente, wenn ich den Mund hielt.
Ich dachte, er würde mich nun, da meine Pf icht erklärt und alles Nötige über die Teufel und ihre Brut gesagt war, entlassen. Stattdessen nahm mein Vater die Hand von meinem Schleier und entließ mit einer Geste die um uns herum stehenden Höflinge, auch den Abgesandten König Heinrichs.
»Lasst uns allein«, sagte mein Vater.
In Windeseile war der Saal geräumt. Die Damen, die mich hierher begleitet hatten, gingen als Letzte und wurden vom Oberhofmeister meines Vaters gescholten, weil sie mich hatten entwischen lassen.
Sobald wir allein waren, setzte sich mein Vater nieder, nicht auf seinen Thron, sondern auf ein Kissen, das auf einer der flachen Stufen des Podests lag. Ich erkannte, dass das Kissen dort hingelegt worden war, damit ich darauf knien konnte. Doch ich hatte mich, da ich nicht instruiert war, so rasch hingekniet, dass die Zeremonie, durch die ich zur Gräfi n geworden war, und alles, was danach geschehen war, unterhalb des Podests stattgefunden hatten.
Mein Vater machte mir ein Zeichen, und ich ging zu ihm. Er ergriff meine Hand. Seine Haut war wie altes Pergament, weich und fast gelb. Als ich so vor ihm stand, betete ich zu Gott, dass er ihn lange genug am Leben lassen würde, damit er erleben konnte, wie mein Bruder zu einem starken Mann heranwuchs.
»Meine Tochter«, sagte er. »Was hast du von dem Teufel gehört?«
»Die Damen haben gesagt, dass ich in die Teufelsbrut einheiraten soll. Ich wusste sofort, dass sie einen Sohn meinten, den Eure andere Frau geboren hat.«
Zu meinem Erstaunen lächelte er. Ich war froh zu sehen, dass sich seine Miene ein wenig aufhellte. Doch sein Gesichtsausdruck wurde wieder ernst, und ich trat näher zu ihm.
»Eleonore ist kein Teufel, Alix, und ihr Mann auch nicht. Die beiden sind lediglich Sünder vor Gott, so wie wir alle. Sünder, die nicht bereuen.«
Ich war nicht überzeugt. Ich würde den Teufel persönlich ehelichen, wenn es Frankreich dienen würde. Er sah in meinem Blick, dass es mir damit ernst war, und seine Hand streifte meine Wange. Er suchte nach Worten. Er war ein Mann, der nicht viel sprach, außer mit Gott, und auch das nur in Gedanken.
Ich wartete, denn wenn mein Vater sprach, hatte er immer etwas zu sagen. Damals dachte ich, das liege daran, dass er König war. Inzwischen weiß ich, dass das sein Naturell war. Er sprach vorsichtig, um möglichst wenig zu verletzen. Sein ganzes Leben lang bereitete es ihm Kummer, dass er als König ebenso häufi g verletzte wie Gnade gewährte.
»Meine Tochter«, sagte er. »Du bist ein braves Mädchen. Du bist der ganze Stolz meines Hauses. Ich habe dich zur Gräfi n von Vexin in deinem eigenen Recht gemacht, obwohl dieser Titel noch nie von einer Frau getragen wurde. Weißt du, warum ich das getan habe ?«
»Weil ich stark genug bin, ihn zu tragen«, antwortete ich.
Wieder dachte ich, dass er gleich losweinen würde, aber er war ein Mann. Er war weder damals noch früher ein großer Kämpfer, aber er hatte sich stets unter Kontrolle. Ich kannte viele berühmte Krieger, die das von sich nicht behaupten konnten.
Er zog mich auf seinen Schoß und gab mir einen Kuss. Ich konnte mich nicht erinnern, dass mich seine Lippen je zuvor berührt hatten. Er hatte mich zwar lieb, das wusste ich, doch unsere Familie war von Tradition und Pfl ichterfüllung geprägt. Es blieb wenig Zeit für Küsse oder Tränen. Daran erinnerte ich mich, selbst als ich seine Tränen auf meinem Haar spürte.
Sobald eine Tochter des Hauses der Kapetinger verlobt ist, wird sie zur Familie ihres zukünftigen Ehemanns geschickt, um bei ihr zu leben. Ich war meinem Vater und Frankreich zuliebe bereit, einem Leben im Exil unter den Feinden meines Vaters entgegenzusehen. Denn ich wusste, dass König Heinrich der Feind meines Vaters war. Seine Macht reichte weit, bis in die Gebiete, die an die Länder meines Vaters grenzten. Heinrich war König von England, darüber hinaus Herzog der Normandie und durch seine Frau Herzog von Aquitanien. Heinrich war ein Vasall meines Vaters, aber er war mächtig. Meine Verlobung war eine Möglichkeit, die Bedrohung durch den englischen König und seine vielen Söhne zu verringern, ein weiterer Weg, den brüchigen Frieden zu wahren.
Mein Vater zog seinen Rosenkranz hervor. Er trug immer einen mit sich. Heute bestand er aus goldenen Kugeln, besetzt mit Diamanten, Perlen und Amethysten, und am Ende hing ein goldenes Kruzifi x mit einer schönen Darstellung unseres gekreuzigten Heilands. Mein Vater reichte mir den Rosenkranz und drückte ihn mir in die Hand.
»Trag ihn immer bei dir, Alix. Benutze ihn, um für mich und für Frankreich zu beten. So wirst du immer daran erinnert, woher du kommst und wer dein Vater war.«
Wieder gab er mir einen Kuss. Ich hörte, dass sich seine Waffenknechte vor der Tür zu versammeln begannen. Sie waren gekommen, um ihn zu begleiten, denn er wurde, wie es bei einem König immer der Fall war, anderswo gebraucht.
Doch selbst jetzt wandte er sich nicht von mir ab, sondern hielt mich fest. Ich blickte zu seinem Gesicht hinauf und sah, dass mein Vater schon alt war. Es würden viele Jahre vergehen, bis ich ihn wiedersehen würde.
Er strich mir über die Haare und trocknete mit dem Ärmel seines Brokatgewands meine Tränen. Der Brokat war rau und kratzte mich, aber für mich fühlte er sich an wie Küsse, was außer bei meinem Vater sonst bei keinem anderen Menschen der Fall gewesen wäre.
»Sei ein braves Mädchen und diene stets deinem Haus. Wir werden uns zu Füßen unseres Heilands im Himmel wiedersehen.«
Als ich meinem Vater ins Gesicht blickte, erkannte ich, dass er glaubte, was er sagte. Wenn das Leben fi nster und der Pfad der Pfl ichterfüllung und Ehre steinig und lang waren, dachte ich stets an das Gesicht meines Vaters an diesem Tag zurück. Ich erinnerte mich, dass er mich lieb hatte und ein so guter Mensch war, dass er über das Böse dieser Welt hinaus dem sicheren Paradies entgegensehen konnte.
Übersetzung: Theresia Übelhör
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe
© 2011 by Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
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Autoren-Porträt von CHRISTY ENGLISH
Christy English wuchs in North Carolina auf und studierte Geschichte. Jahrelang beschäftigte sie sich mit dem Schreiben und besuchte Vorträge, auf denen sie gebannt die Geschichten und Erfahrungen von anderen Autoren anhörte, bevor sie sich ein Herz fasste und selbst zu schreiben begann. Christy English lebt in New York. Das Spiel der Königin ist ihr erster Roman.
Bibliographische Angaben
- Autor: CHRISTY ENGLISH
- 2011, 1, 380 Seiten, Maße: 12,5 x 18,7 cm, Taschenbuch
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3828997090
- ISBN-13: 9783828997097
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