Das Testament
Ein Superseller aus der Feder eines der meistgelesenen Autoren der Welt!
Der exzentrische Milliardär Troy Phelan schockiert bei seiner Testamentsverlesung die anwesende Erbengemeinschaft gleich doppelt: Er setzt eine bis dato...
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Produktinformationen zu „Das Testament “
Ein Superseller aus der Feder eines der meistgelesenen Autoren der Welt!
Der exzentrische Milliardär Troy Phelan schockiert bei seiner Testamentsverlesung die anwesende Erbengemeinschaft gleich doppelt: Er setzt eine bis dato unbekannte Tochter als Alleinerbin ein und springt anschließend aus dem Fenster des 13. Stockwerks in den Tod. Während im gierigen Phelan-Clan die große Schlacht ums Erbe beginnt, begibt sich der ehemalige Staranwalt Nate O'Riley auf die Suche nach der offiziellen Erbin. Diese lebt als Missionarin im brasilianischen Regenwald und präsentiert ihm prompt eine neue Überraschung: Sie will das Geld nicht haben.
Lese-Probe zu „Das Testament “
Das Testament von John GrishamEINS
Das dürfte der letzte Tag sein, und wohl auch die letzte
Stunde. Niemand liebt mich, ich bin alt, einsam und krank,
habe Schmerzen und bin des Lebens müde. Ich bin für das Jenseits
bereit. Dort kann es nur besser sein als hier.
Mir gehören neben dem gläsernen Verwaltungshochhaus,
in dem ich sitze, auch 97 Prozent des Unternehmens in den
Stockwerken weiter unten, außer den zweitausend Menschen,
die hier arbeiten, auch die zwanzigtausend, die es nicht tun,
sowie aller Grund und Boden fast einen Kilometer weit in drei
Himmelsrichtungen um das Gebäude herum mitsamt der darunter
verlaufenden Rohrleitung, durch die mein Erdgas aus
Texas hierher gepumpt wird, nicht zu vergessen die Freileitung,
die den Strom liefert. Der Satellit viele Kilometer über
mir, mit dessen Hilfe ich früher Befehle in mein die Welt umspannendes
Reich gebellt habe, ist geleast. Mein Vermögen
beläuft sich auf mehr als elf Milliarden Dollar. Ich besitze
nicht nur Silberbergwerke in Nevada und Kupferbergwerke
in Montana, sondern auch Kohlezechen in Angola, Kaffeepflanzungen
in Kenia, Kautschukplantagen in Malaysia, Erdgas-
Lagerstätten in Texas, Ölfelder in Indonesien und Stahlwerke
in China. Mein Firmenimperium umfasst Kraftwerke,
Unternehmen, die Computer produzieren, Staudämme bauen,
Taschenbücher drucken und Signale an meinen Satelliten schicken,
und es verfügt über Tochterunternehmen mit Geschäftsbereichen
in mehr Ländern, als irgendein Mensch aufzuspüren
vermag.
... mehr
Früher einmal besaß ich alles an Spielzeug, was das Leben
schöner macht: Jachten, Privatjets, Blondinen, Wohnsitze in Europa,
große Güter in Argentinien, eine Insel im Pazifik, rein-
rassige Rennpferde, Vollblüter, und sogar eine Eishockeymann-
schaft. Aber ich bin inzwischen zu alt für Spielzeug.
Die Wurzel meines Elends ist das Geld.
Dreimal habe ich eine Familie gegründet. Meine drei Ehefrauen
haben mir sieben Kinder geboren, von denen sechs noch
leben und tun, was sie nur können, um mich zu quälen. Soweit
ich weiß, habe ich sie alle sieben selbst gezeugt, und einen Sohn
habe ich beerdigt. Eigentlich müsste ich sagen, dass ihn seine
Mutter beerdigt hat. Ich war damals nicht im Lande.
Ich habe mich mit meinen drei ehemaligen Frauen und sämtlichen
Kindern auseinandergelebt. Sie alle sind heute hier zusammengekommen,
weil ich bald sterben werde und es an der
Zeit ist, das Geld zu verteilen.
Ich habe diesen Tag lange im Voraus geplant. Gleich einem großen
Hufeisen umschließen die drei langgezogenen und tiefen
Gebäudeflügel meiner vierzehnstöckigen Firmenzentrale einen
schattigen, nach hinten offenen Hof, auf dem ich einst im Sonnenschein
Mittagsgesellschaften gegeben habe. Ich wohne und
arbeite im Dachgeschoss auf gut tausend Quadratmetern, deren
üppige Ausstattung manch einer obszön findet, was mich aber
nicht im Mindesten stört. Ich habe mein gesamtes Vermögen
mit meinem Schweiß, meinem Verstand und mit Glück selbst
erarbeitet, und das gibt mir das Recht, das Geld so auszugeben,
wie ich es für richtig halte. Es ist mein gutes Recht, es zu verschenken,
und trotzdem werde ich von allen Seiten bedrängt.
Warum sollte ich mir den Kopf darüber zerbrechen, wer es
bekommt? Ich habe alles Erdenkliche mit dem Geld getan. Während
ich hier allein in meinem Rollstuhl sitze und warte, kann
ich mir nichts vorstellen, was ich kaufen oder sehen möchte.
Mir fällt kein einziger Ort ein, an den ich reisen, und kein weiteres
Abenteuer, das ich bestehen möchte.
Ich habe alles hinter mir, und ich bin sehr müde.
Es geht mir nicht darum, wer das Geld bekommt. Es geht mir
darum, wer es nicht bekommt.
Jeden Quadratmeter dieses Gebäudes habe ich selbst entwor-
fen und weiß daher genau, wo jeder bei dieser kleinen Zeremonie
seinen Platz hat. Sie sind alle da und warten geduldig. Das
macht ihnen nichts aus - für das, was ich zu erledigen habe,
würden sie sich sogar nackt in einen Schneesturm stellen.
Da ist als erstes Lillian und ihre Brut - vier meiner Nachkommen
hat eine Frau zur Welt gebracht, die sich kaum je von
mir hat anfassen lassen. Wir haben jung geheiratet - ich war
vierundzwanzig und sie achtzehn -, und daher ist jetzt auch Lillian
alt. Ich habe sie seit Jahren nicht gesehen und werde sie
auch heute nicht sehen. Ich bin überzeugt, dass sie nach wie
vor die Rolle der bedauernswerten pflichtgetreuen ersten Gattin
spielt, die gegen ein jüngeres Modell ausgetauscht worden
ist. Sie hat nie wieder geheiratet, und ich bin überzeugt, dass
sie in den letzten fünfzig Jahren nichts mit einem Mann gehabt
hat. Ich weiß selbst nicht, wie wir zu unseren Kindern gekommen
sind.
Der Älteste, Troy Junior, ist inzwischen siebenundvierzig,
ein nichtsnutziger Trottel, der meinen Namen wie einen Fluch
trägt. Als Junge hat man ihn TJ gerufen, und dieser Spitzname
ist ihm nach wie vor lieber als Troy. Von meinen sechs hier versammelten
Nachkommen ist er der dümmste, allerdings mit
knappem Vorsprung.
Er musste das College mit neunzehn Jahren wegen Drogenhandels
verlassen und hat, wie alle seine Geschwister, zum einundzwanzigsten
Geburtstag fünf Millionen Dollar bekommen.
Wie allen anderen ist auch ihm das Geld durch die Finger gelaufen,
als wäre es Wasser.
Ich bringe es nicht über mich, alle entsetzlichen Geschichten
von Lillians Kindern hier auszubreiten. Der Hinweis mag genügen,
dass sie alle bis über die Ohren verschuldet und praktisch
nicht vermittelbar sind. Da nur wenig Hoffnung besteht,
dass sich etwas daran ändert, ist die Teilnahme am feierlichen
Akt der Unterzeichnung meines Letzten Willens das einschneidendste
Ereignis in ihrem Leben.
Zurück zu meinen einstigen Ehefrauen. Von Lillians Frigidität
habe ich mich in die heiße Leidenschaftlichkeit Janies ge-
flüchtet. Sie war ein hübsches junges Ding, das als Sekretärin in
der Buchhaltung arbeitete, aber rasch aufstieg, als ich das Bedürfnis
empfand, sie auch auf Geschäftsreisen um mich zu haben.
Nach einer Weile habe ich mich von Lillian scheiden lassen
und Janie geheiratet. Sie war zweiundzwanzig Jahre jünger als
ich und entschlossen, mich stets zufriedenzustellen. So rasch es
ihr möglich war, hat sie zwei Kinder in die Welt gesetzt und sie
dazu benutzt, mich an sie zu ketten. Rocky, der jüngere, ist mit
zwei Kumpeln in einem Sportwagen ums Leben gekommen. Es
hat mich sechs Millionen gekostet, die Folgen dieses Unfalls außergerichtlich
zu regeln.
Mit vierundsechzig habe ich Tira geheiratet. Sie war dreiundzwanzig
und von mir schwanger. Dem von ihr in die Welt gesetzten
kleinen Ungeheuer hat sie aus Gründen, die mir nie klargeworden
sind, den Namen Ramble gegeben, was von Strolch bis
Schwafler alles mögliche bedeuten kann. Obwohl der Junge erst
vierzehn ist, hat er bereits zweimal vor dem Jugendrichter gestanden
- einmal wegen Ladendiebstahls und das andere Mal, weil
er im Besitz von Marihuana war. Das Haar, das ihm bis auf den
Rücken fällt, klebt ihm am Nacken, so fettig ist es, und er trägt
Ringe an Ohrmuscheln, Augenbrauen und in der Nase. Ich habe
gehört, dass er zur Schule geht, wenn er gerade Lust dazu hat.
Der Junge schämt sich, dass sein Vater fast achtzig Jahre alt
ist, und sein Vater schämt sich, dass sich sein Sohn die Zunge
hat piercen lassen.
Wie alle anderen erwartet Ramble, dass ich mein Testament
unterschreibe und ihm damit ein angenehmes Leben verschaffe.
So groß mein Vermögen auch ist, diese Dummköpfe werden
nicht lange etwas davon haben.
Wer kurz vor dem Sterben steht, sollte nicht hassen, aber ich
kann es nicht ändern. Sie sind ein elender Haufen, alle miteinander.
Die Mütter hassen mich und haben daher ihren Kindern
beigebracht, dass sie mich ebenfalls hassen sollen.
Sie sind Geier, die mit scharfen Krallen, spitzen Schnäbeln
und gierigen Augen über mir kreisen, benommen von der Vorfreude
auf unendlich viel Geld.
Von besonderer Bedeutung ist die Frage, ob ich im Vollbesitz
meiner geistigen Kräfte bin. Alle sind überzeugt davon, dass ich
einen Gehirntumor habe, weil ich sonderbare Dinge sage. Bei
Sitzungen und am Telefon rede ich zusammenhangloses Zeug,
und meine Mitarbeiter flüstern hinter meinem Rücken, nicken
einander bedeutungsvoll zu und denken: Ja, es stimmt. Es ist
der Tumor.
Ein Testament, das ich vor zwei Jahren verfasst habe, sah als
Universalerbin meine letzte Gespielin vor, die damals in Hosen
mit Leopardenmuster und sonst nichts am Leibe durch meine
Wohnung getänzelt ist. Ja, vermutlich bin ich verrückt nach
zwanzigjährigen Blondinen mit all den Kurven. Sie ist aber später
ausgezogen, und das Testament ist in den Reißwolf gewandert.
Ich hatte einfach keine Lust mehr.
Vor drei Jahren habe ich einfach so zum Spaß ein Testament
gemacht, in dem ich alles wohltätigen Einrichtungen hinterlassen
habe, über hundert. Eines Tages habe ich TJ angebrüllt, er
hat zurückgebrüllt, und dann habe ich ihm von diesem neuen
Testament erzählt. Daraufhin haben seine Mutter und seine Geschwister
ein ganzes Rudel von Winkeladvokaten angeheuert
und sind vor Gericht gezogen, um zu erreichen, dass ich in eine
Anstalt gesteckt werde, wo man mich behandeln und auf meinen
Geisteszustand untersuchen sollte. Das war eigentlich ziemlich
gerissen von ihren Anwälten, denn wenn man mich für unzurechnungsfähig
erklärt hätte, wäre mein Testament ungültig
gewesen.
Aber ich beschäftige viele Anwälte, denen ich tausend Dollar
die Stunde dafür zahle, dass sie das Recht so drehen, wie es
meinen Bedürfnissen entspricht. Daher wurde ich nicht in eine
Anstalt eingewiesen, obwohl eine gewisse Wahrscheinlichkeit
besteht, dass ich damals wirklich nicht ganz dicht war.
Ich habe meinen eigenen Reißwolf, in den ich all die früheren
Testamente gesteckt habe. Jetzt sind alle weg, von einer kleinen
Maschine zerschnippelt.
Ich trage lange weiße Gewänder aus Thaiseide, rasiere mir
den Schädel kahl wie ein Mönch und esse kaum etwas, so-
dass mein Körper ganz eingefallen ist. Man hält mich für einen
Buddhisten, aber in Wirklichkeit beschäftige ich mich mit der
Lehre Zarathustras. Sie kennen den Unterschied nicht. Ich kann
fast verstehen, warum sie glauben, dass meine geistigen Kräfte
nachgelassen haben.
Lillian und ihre Kinder befinden sich im Konferenzzimmer
der Geschäftsleitung im zwölften Stock, unmittelbar unter mir.
Es ist ein großer Raum mit Marmor und Mahagoni, dicken
Teppichen und einem langen, ovalen Tisch in der Mitte, und
im Augenblick ist er voller sehr nervöser Menschen. Es überrascht
niemanden, dass mehr Anwälte als Familienangehörige
da sind. Lillian hat einen eigenen Anwalt, wie auch jedes ihrer
vier Kinder. Nur TJ hat drei mitgebracht - einmal, um zu zeigen,
wie wichtig er ist, aber auch, um sicherzugehen, dass für
alle Eventualitäten die richtige Lösung gefunden wird. Er steckt
in größeren juristischen Schwierigkeiten als die meisten Insassen
einer Todeszelle. An einem Ende des Tisches befindet sich
ein großer Bildschirm, auf dem man verfolgen kann, was hier
oben vor sich geht.
TJs Bruder, mein zweiter Sohn, Rex, ist vierundvierzig und
zurzeit mit einer Stripperin namens Amber verheiratet, ein
armes hirnloses Geschöpf mit gewaltigen Silikonbrüsten. Sie ist
seine zweite oder dritte Frau - einerlei, wer bin ich, dass ich
mich zum Richter darüber aufschwingen dürfte? Jedenfalls ist
sie da, ebenso wie die anderen gegenwärtigen Ehegatten und /
oder Lebensgefährt(inn)en, und rutscht unruhig auf dem Stuhl
hin und her, während sie darauf wartet, dass elf Milliarden aufgeteilt
werden.
Libbigail ist Lillians erste Tochter, meine älteste. Ich habe das
Kind abgöttisch geliebt, bis sie aufs College ging und mich vergessen
hat. Als sie dann einen Afrikaner geheiratet hat, habe ich
sie in meinen Testamenten nicht mehr berücksichtigt.
Das letzte Kind, das Lillian zur Welt gebracht hat, war Mary
Ross. Sie ist mit einem Arzt verheiratet, der gern superreich sein
möchte, aber sie stecken bis zum Hals in Schulden.
In einem Raum im neunten Stock wartet Janie mit den Kin-
dern aus meiner zweiten Ehe. Sie hat seit unserer viele Jahre
zurückliegenden Scheidung zweimal geheiratet. Ich beschäftige
Privatdetektive, die mich auf dem Laufenden halten, und bin
fast sicher, dass sie im Augenblick allein lebt, aber nicht einmal
das FBI wäre imstande, mit ihren Bettgeschichten Schritt zu halten.
Wie ich schon gesagt habe, lebt ihr Sohn Rocky nicht mehr.
Ihre Tochter Geena ist mit ihrem zweiten Mann, Cody, hier,
einem Schwachkopf mit einem Diplom in Betriebswirtschaftslehre;
ihm ist durchaus zuzutrauen, dass er eine halbe Milliarde
innerhalb von drei Jahren gekonnt auf den Kopf haut.
Dann ist da noch Ramble, der sich im vierten Stock auf einem
Sessel fläzt und an dem goldenen Ring leckt, den er im
Mundwinkel trägt. Er fährt sich mit den Fingern durch das
klebrige grüne Haar und knurrt seine Mutter an, die doch tatsächlich
die Frechheit besessen hat, mit einem behaarten kleinen
Gigolo hier aufzutauchen. Ramble ist überzeugt, dass ihm
heute ein Vermögen übertragen wird, einfach deshalb, weil ich
ihn gezeugt habe. Auch er hat einen Anwalt mitgebracht, einen
radikalen Hippie, den Tira im Fernsehen gesehen und engagiert
hat, gleich nachdem sie mit ihm im Bett war. Sie warten wie alle
anderen.
Ich kenne diese Leute. Ich beobachte sie.
Jetzt taucht Snead hinten aus meiner Wohnung auf. Er ist seit
etwa dreißig Jahren mein Faktotum, ein rundlicher, umgänglicher
Mann in weißer Weste, duldsam und demütig, stets in
der Hüfte abgeknickt, als verbeuge er sich vor einem König.
Er bleibt vor mir stehen, die Hände wie immer auf dem Bauch
gefaltet, den Kopf zur Seite geneigt, und fragt mit schiefem Lächeln
und einem affektierten Tonfall, den er sich angewöhnt
hat, als wir vor Jahren miteinander in Irland waren: »Wie geht
es Ihnen, Sir?«
Ich sage nichts, denn weder habe ich es nötig, ihm zu antworten,
noch rechnet er damit.
»Etwas Kaffee, Sir?«
»Mittagessen.«
Snead zwinkert mit beiden Augen und verbeugt sich noch
tiefer. Dann watschelt er hinaus, wobei seine Hosenaufschläge
über den Boden schleifen. Auch er rechnet damit, reich zu werden,
wenn ich sterbe, und vermutlich zählt er die Tage wie alle
anderen.
Wenn jemand Geld hat, möchten alle etwas davon haben.
Nur ein winziges Scheibchen. Was bedeutet eine Million einem
Mann, der Milliarden besitzt? Gib mir eine Million, alter Junge,
und du merkst den Unterschied nicht einmal. Leih mir was,
und wir können es beide vergessen. Quetsch meinen Namen irgendwo
in dein Testament mit rein; da ist bestimmt Platz dafür.
Snead ist entsetzlich neugierig, und ich habe ihn vor Jahren
dabei ertappt, wie er in meinem Schreibtisch herumgestöbert
hat. Wahrscheinlich hat er nach dem gerade gültigen Testament
gesucht. Er möchte, dass ich sterbe, weil er mit ein paar Millionen
rechnet.
Welches Recht hat er, überhaupt mit etwas zu rechnen? Ich
hätte ihn vor Jahren rauswerfen sollen.
Sein Name taucht in meinem neuen Testament nicht auf.
Er stellt ein Tablett vor mich hin: eine ungeöffnete Packung
Ritz-Kekse, ein Gläschen Honig, dessen Deckel noch versiegelt
ist, und eine kleine Dose Fresca auf Zimmertemperatur. Bei der
kleinsten Abweichung würde Snead sofort gefeuert.
Ich sage ihm, dass er gehen kann, und tauche die Kekse in
den Honig. Meine Henkersmahlzeit.
ZWEI
Ich sitze da und starre durch die getönten Glaswände. An klaren
Tagen kann ich die Spitze des Washington-Denkmals sehen,
das zehn Kilometer von hier entfernt ist. Aber heute ist
der Himmel bedeckt. Es ist unfreundlich, kalt und windig, kein
schlechter Tag, um zu sterben. Der Wind reißt das letzte welke
Laub von den Zweigen und weht es unten über den Parkplatz.
Warum mache ich mir Sorgen wegen der Schmerzen? Was ist
gegen ein bisschen Leiden einzuwenden? Ich habe mehr Elend
verursacht als zehn beliebige andere Menschen.
Ich drücke auf einen Knopf, und Snead kommt herein. Er
verbeugt sich und schiebt meinen Rollstuhl aus der Wohnungstür
in die mit Marmor ausgekleidete Empfangshalle und von
dort durch eine andere Tür. Es kommt näher, aber ich spüre
keine Beklemmung.
Ich habe die Psychiater über zwei Stunden warten lassen.
Wir kommen an meinem Büro vorüber, und ich nicke Nicolette
zu, meiner letzten Sekretärin, einem niedlichen jungen
Ding, das ich recht gut leiden kann. Wenn mir Zeit bliebe,
könnte sie die Nummer vier werden.
Aber mir bleibt keine Zeit. Es sind nur noch Minuten.
Die Meute wartet - ganze Rudel von Anwälten und drei Psychiater,
die darüber befinden werden, ob ich bei klarem Verstand
bin. Sie drängen sich um einen langen Tisch in meinem
Besprechungszimmer. Als ich hereinkomme, hört ihr Gespräch
schlagartig auf. Alle starren mich an. Snead schiebt mich an
eine der Längsseiten des Tisches neben meinen Anwalt Stafford.
Kameras zeigen in alle Richtungen, und die Techniker sind
eifrig mit ihnen und den Mikrophonen beschäftigt. Jeder ge-
flüsterte Laut, jede noch so geringe Bewegung, jeder Atemzug
wird aufgezeichnet, denn es geht um ein Vermögen.
Im letzten von mir unterschriebenen Testament waren meine
Kinder kaum bedacht worden. Wie immer hatte es Josh Stafford
aufgesetzt. Ich habe es heute Morgen in den Reißwolf gesteckt.
Ich sitze hier, um aller Welt zu beweisen, dass meine Geisteskräfte
ausreichen, ein neues Testament abzufassen. Sobald dieser
Beweis erbracht ist, kann niemand die Verfügungen anfechten,
die ich über mein Vermögen treffe.
Mir unmittelbar gegenüber sitzen drei Psychofritzen - jede
der Familien hat einen benannt. Auf geknickten Karteikarten,
die sie vor sich gestellt haben, hat jeder in Großbuchstaben seinen
Namen geschrieben - Dr. Zadel, Dr. Flowe und Dr. Theishen.
Ich sehe mir ihre Augen und Gesichter aufmerksam an.
Da ich als normal gelten will, muss ich Blickkontakt herstellen.
Sie sind überzeugt, dass ich ein bisschen wirr im Kopf bin,
dabei stehe ich im Begriff, sie im großen Stil reinzulegen.
Stafford wird die ganze Sache deichseln. Als alle Platz genommen
haben und die Kameras bereit sind, sagt er: »Ich heiße
Josh Stafford und bin der von Mr. Troy Phelan, der rechts neben
mir sitzt, bevollmächtigte Anwalt.«
Ich nehme mir einen der Psychofritzen nach dem anderen
vor, Auge in Auge, bis sie blinzeln oder den Blick abwenden.
Alle drei tragen sie dunkle Anzüge. Zeidel und Flowe haben
Zottelbärte, Theishen, der eine Fliege um den Hals hat, sieht
aus, als wäre er höchstens dreißig. Jede der Familien hatte das
Recht, einen Psychiater ihres Vertrauens zu benennen.
Jetzt redet wieder Stafford. »Zweck dieser Zusammenkunft
ist es, Mr. Phelan von einer psychiatrischen Kommission untersuchen
zu lassen, die seine Testierfähigkeit feststellen soll.
Vorausgesetzt, sie erkennt ihm den Vollbesitz seiner geistigen
Kräfte zu, beabsichtigt er, eine letztwillige Verfügung zu unterzeichnen,
mit der er für den Fall seines Todes die Verteilung seines
Vermögen regelt.«
Stafford klopft mit dem Bleistift auf den gut zweieinhalb
Zentimeter dicken Papierstapel, der vor uns liegt: das Testament.
Bestimmt fahren jetzt die Kameras mit ihren Gummilinsen
zu einer Nahaufnahme darauf zu, und bestimmt läuft meinen
Kindern und ihren Müttern, die im ganzen Gebäude verteilt
sind, bei seinem bloßen Anblick ein Schauer über den Rücken.
Sie haben es bisher nicht gesehen und haben auch keinen Anspruch
darauf. Eine letztwillige Verfügung ist ein privatrechtlicher
einseitiger Vertrag, dessen Inhalt erst nach dem Tode des
Erblassers bekanntgegeben wird. Diejenigen, die als Erben in
Frage kommen, können darüber lediglich spekulieren. Meine
Erben haben Hinweise bekommen, von mir sorgfältig in Umlauf
gesetzte Falschinformationen.
Daher sind sie überzeugt, dass der größte Teil meines Nachlasses
mehr oder weniger gerecht zwischen den Kindern aufgeteilt
wird und die Exfrauen ebenfalls großzügig bedacht
werden. Das wissen sie; sie können es spüren. Seit Wochen, ja
Monaten, beten sie inbrünstig darum, dass das Testament, das
jetzt vor mir liegt, sie reich macht und dem Gezänk ein Ende
bereitet. Stafford hat es aufgesetzt und mit meiner Erlaubnis
dessen angeblichen Inhalt im Verlauf von Gesprächen mit ihren
Anwälten in groben Zügen dargelegt. Jedes der Kinder darf
mit einem Betrag in der Größenordnung von drei- bis fünfhundert
Millionen rechnen, und die drei Exfrauen mit jeweils fünfzig
Millionen. Ich habe bei jeder Scheidung gut für die jeweilige
Frau gesorgt, aber das ist selbstverständlich in Vergessenheit
geraten.
Der für die Angehörigen ausgesetzte Betrag beläuft sich insgesamt
auf rund drei Milliarden Dollar. Was übrigbleibt, nachdem
sich die Regierung mehrere Milliarden unter den Nagel
gerissen hat, geht an wohltätige Einrichtungen. Man kann also
verstehen, warum sich alle herausgeputzt haben und nüchtern
(jedenfalls die meisten) hergekommen sind und, den Blick begierig
auf die Bildschirme gerichtet, warten und hoffen, dass
mir, dem alten Mann, mein Vorhaben gelingt. Bestimmt haben
sie ihren Psy choheinis gesagt: »Haben Sie etwas Nachsicht mit
dem Alten. Wir möchten, dass er bei klarem Verstand ist.«
Wenn alle so rundum zufrieden sind, warum dann überhaupt
diese psychiatrische Untersuchung? Weil ich sie alle ein letztes
Mal reinlegen möchte, und zwar nach Strich und Faden.
Die Sache mit den Psychiatern war meine Idee, und meine
Kinder und ihre Anwälte haben nicht gemerkt, was dahintersteckt.
Zadel spricht als Erster. »Mr. Phelan, können Sie uns sagen,
welchen Tag wir heute haben, wieviel Uhr es ist und wo wir uns
befinden?«
Ich komme mir vor wie ein Erstklässler, lasse mein Kinn wie
ein Trottel auf die Brust sinken und denke so lange über die
Frage nach, bis sie sich an den Rand ihres Sessels vorschieben
und flüstern: »Los, du verrückter alter Mistkerl! Du weißt doch
bestimmt, welchen Tag wir heute schreiben.«
»Montag«, sage ich leise. »Es ist Montag, der 9. Dezember
1996. Wir befinden uns in meinem Büro.«
»Und wie spät ist es?«
»Gegen halb drei«, sage ich. Ich trage keine Uhr am Arm.
»Und wo befindet sich Ihr Büro?«
»In McLean, im Staat Virginia.«
Flowe beugt sich über sein Mikrophon. »Können Sie uns
Namen und Geburtstage Ihrer Kinder sagen?«
»Nein. Die Namen vielleicht, aber die Geburtsdaten nicht.«
»Na schön, dann die Namen.«
Ich lasse mir Zeit. Noch ist nicht der richtige Augenblick gekommen
zu zeigen, wie sehr ich auf Draht bin. Sie sollen ruhig
schwitzen. »Troy Phelan jun., Rex, Libbigail, Mary Ross, Geena
und Ramble.« Ich sage die Namen, als falle mir schon der
bloße Gedanke an sie schwer.
Flowe hat Anspruch auf einen Nachschlag. »Es gab ein siebtes
Kind, nicht wahr?«
»Ja.«
»Wissen Sie seinen Namen?«
»Rocky.«
»Und was ist mit ihm geschehen?«
»Er ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen.« Ich
sitze aufrecht in meinem Rollstuhl, den Kopf hoch erhoben,
lasse den Blick von einem der Psychoheinis zum nächsten wandern
und demonstriere für die Kameras geistige Klarheit. Bestimmt
sind meine Kinder und meine Ex-Frauen stolz auf mich,
während sie in kleinen Gruppen vor den Bildschirmen sitzen,
ihrem gegenwärtigen Ehegespons die Hand drücken und ihren
gierigen Anwälten zulächeln, weil der alte Troy die Einleitung
hingekriegt hat.
Schon möglich, dass meine Stimme leise und hohl klingt,
schon möglich, dass ich mit meinem weißen Seidengewand,
meinem runzligen Gesicht und dem grünen Turban aussehe wie
verstört, aber ich habe ihre Fragen beantwortet.
Vorwärts, alter Junge, fordern sie mich auf.
Theishen fragt: »Wie ist derzeit Ihr körperlicher Zustand?«
»Ich hab mich schon besser gefühlt.«
»Es heißt, dass Sie einen bösartigen Tumor haben.«
Na, du redest aber nicht lange um den heißen Brei herum,
was?
»Ich war der Ansicht, dass es sich hier um eine psychiatrische
Untersuchung handelt«, sage ich mit einem Blick auf Stafford,
der sich ein Lächeln nicht verkneifen kann. Aber die Vorschriften
lassen jede beliebige Frage zu. Wir sind hier nicht vor
Gericht.
»So verhält es sich auch«, sagt Theishen höflich. »Aber dieser
Punkt ist sachdienlich.«
»Aha.«
»Wollen Sie also die Frage beantworten?«
»Welche?«
»Die nach dem Tumor.«
»Natürlich. Ich habe einen inoperablen Gehirntumor von der
Größe eines Golfballs, und mein Arzt gibt mir höchstens noch
zwei Monate.«
Ich kann förmlich die Champagnerkorken unter mir knallen
hören. Der Tumor ist bestätigt!
»Stehen Sie im Augenblick unter dem Einfluss irgendeines
Medikaments, einer Droge oder von Alkohol?«
»Nein.«
»Besitzen Sie irgendein schmerzstillendes Mittel?«
»Noch nicht.«
Wieder Zadel: »Mr. Phelan, vor drei Monaten hat die Zeitschrift
Forbes Ihr Nettovermögen mit acht Milliarden Dollar
beziffert. Kommt diese Zahl der Wirklichkeit nahe?«
»Seit wann steht Forbes für Genauigkeit?«
»Die Angabe entspricht also nicht der Wahrheit?«
»Der Wert meines Vermögens liegt zwischen elf und elfeinhalb,
je nach Marktlage.« Ich sage das betont langsam, aber
meine Worte klingen scharf, meine Stimme hat Gewicht. Niemand
zweifelt daran, dass meine Angabe stimmt.
Flowe beschließt, die Frage nach dem Geld noch ein wenig
zu vertiefen. »Mr. Phelan, können Sie ganz allgemein den Aufbau
Ihres Unternehmens skizzieren?«
»Ich denke schon.«
»Wollen Sie das tun?«
»Nun ja.« Ich mache eine Pause und lasse sie weiter schwitzen.
Stafford hat mir versichert, dass wir nicht ins Detail zu gehen
brauchen. Nur ein Gesamtbild, hat er gesagt.
»Die Phelan-Gruppe ist eine privatrechtliche Gesellschaft,
in deren Besitz sich siebzig verschiedene Firmen befinden, von
denen einige an der Börse notiert werden.«
»Ein wie großer Anteil der Phelan-Gruppe befindet sich in
Ihrem Besitz?«
»Etwa siebenundneunzig Prozent. Der Rest gehört einer
Handvoll Firmenangehöriger.«
Auch Theishen nimmt jetzt die Fährte auf. Lange hat er dazu
nicht gebraucht. »Mr. Phelan, ist Ihr Unternehmen an der Firma
Spin Computer beteiligt?«
»Ja«, sage ich langsam, während ich Spin Computer im
Dschungel meiner Unternehmungen einzuordnen versuche.
»Wie viel davon besitzen Sie?«
»Achtzig Prozent.«
»Und Spin Computer ist eine Aktiengesellschaft?«
»So ist es.«
Theishen macht sich an einem Stapel amtlich aussehender
Papiere zu schaffen, und ich kann von hier aus sehen, dass er
den Jahresabschlussbericht und einige Vierteljahresberichte
vor sich liegen hat, Dokumente, die sich jeder des Lesens und
Schreibens halbwegs kundige College-Student beschaffen kann.
»Wann haben Sie Spin erworben?«, fragt er.
»Vor etwa vier Jahren.«
»Wie viel haben Sie dafür bezahlt?«
»Zwanzig Dollar pro Aktie, insgesamt dreihundert Millionen.
« Eigentlich möchte ich diese Fragen langsamer beantworten,
bringe es aber nicht fertig. Ich brenne mit meinen Blicken
Löcher in Theishen, so ungeduldig warte ich auf seine nächste
Frage.
»Und was ist das Unternehmen jetzt wert?«
»Nun, gestern bei Börsenschluss wurden die Aktien mit dreiundvierzigeinhalb
notiert, sie waren gegenüber dem Vortag um
einen Punkt zurückgegangen. Seit ich das Unternehmen gekauft
habe, ist es zweimal zu einem Aktiensplit gekommen, sodass es
inzwischen rund achtfünfzig wert ist.«
»Achthundertfünfzig Millionen?«
»Richtig.«
An dieser Stelle ist die Befragung im Großen und Ganzen
vorüber. Wenn es mir meine geistigen Fähigkeiten erlauben, die
ges trigen Schlusskurse an der Aktienbörse mitzubekommen,
sind meine Widersacher sicherlich zufrieden. Ich kann schon
fast ihr dämliches Grinsen sehen und ihr gedämpftes Hurragebrüll
hören. Gut gemacht, Troy, gib ihnen Saures!
Zadel greift in die Vergangenheit zurück. Damit will er wohl
die Grenzen meines Gedächtnisses ausloten. »Mr. Phelan, wo
sind Sie zur Welt gekommen?«
»In Montclair, im Staat New Jersey.«
»Wann?«
»Am 12. Mai 1918.«
»Wie war der Mädchenname Ihrer Mutter?«
»Shaw.«
»Wann ist sie gestorben?«
»Zwei Tage vor dem Angriff der Japaner auf Pearl Harbor.«
»Und Ihr Vater?«
»Was ist mit dem?«
»Wann ist er gestorben?«
»Das weiß ich nicht. Er hat sich aus dem Staub gemacht, als
ich ein kleiner Junge war.«
Zadel sieht zu Flowe hinüber, der auf einem Notizblock
eine ganze Reihe Fragen stehen hat. Flowe fragt. »Wer ist Ihre
jüngste Tochter?«
»Aus welcher Familie?«
»Äh, der ersten.«
»Das müsste Mary Ross sein.«
»Stimmt -«
»Natürlich stimmt es.«
»Und welches College hat sie besucht?«
»Tulane, in New Orleans.«
»Was hat sie studiert?«
»Irgendwas Mittelalterliches. Dann hat sie schlecht geheiratet,
wie die anderen auch. Das Talent dazu haben sie wohl von
mir geerbt.« Ich kann richtig sehen, wie sie erstarren und alle
Stacheln ausfahren. Und ich kann fast sehen, wie die Anwälte
und die derzeitigen Lebensgefährten und/oder Ehepartner ein
leichtes Lächeln unterdrücken, weil niemand bestreiten kann,
dass ich in der Tat schlecht geheiratet habe.
Und mit meinem Nachwuchs habe ich mich noch schlimmer
in die Nesseln gesetzt.
Auf einmal ist Flowe mit dieser Runde fertig. Theishen, der
erkennbar ins Geld verliebt ist, fragt: »Besitzen Sie eine Mehrheit
am Unternehmen Mountain Com?«
»Ja. Bestimmt haben Sie es da in Ihrem Papierstapel vor sich.
Es ist eine Aktiengesellschaft.«
»Wie viel haben Sie ursprünglich investiert?«
»Zehn Millionen Aktien zu rund achtzehn das Stück.«
»Und jetzt ist -«
»Der gestrige Schlusskurs war einundzwanzig. Nach einem
Aktientausch und einem Aktiensplit in den letzten sechs Jah-
ren ist das Unternehmen inzwischen rund vierhundert Millionen
wert. Ist Ihre Frage damit beantwortet?«
»Ich glaube schon. In wie vielen Aktiengesellschaften besitzen
Sie die Anteilsmehrheit?«
»In fünf.«
Flowe sieht zu Zadel hinüber, und ich frage mich, wie lange
das noch dauern soll. Mit einem Mal bin ich müde.
»Weitere Fragen?« möchte Stafford wissen. Wir werden die
andern auf keinen Fall unter Zeitdruck setzen, weil wir möchten,
dass sie mit mir rundum zufrieden sind.
Zadel fragt: »Haben Sie die Absicht, heute eine neue letztwillige
Verfügung zu unterzeichnen?«
»Ja.«
»Handelt es sich dabei um die vor Ihnen auf dem Tisch liegenden
Papiere?«
»Ja.«
»Haben Sie in diesem Testament einen beträchtlichen Anteil
Ihres Vermögens für Ihre Kinder vorgesehen?«
»So ist es.«
»Sind Sie bereit, das Testament jetzt zu unterzeichnen?«
»Ja.«
Zadel legt seinen Stift auf den Tisch, faltet bedächtig die
Hände und sieht nachdenklich Stafford an. »Meiner Meinung
nach ist Mr. Phelan zur Zeit hinreichend testierfähig, um in gültiger
Weise über sein Vermögen zu verfügen.« Er sagt das mit
großem Nachdruck, als seien sie sich ihrer Sache aufgrund meiner
Vorstellung nicht so recht sicher.
Die beiden anderen stimmen ihm rasch zu. »Ich habe keinen
Zweifel, dass er im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte ist«, sagt
Flowe zu Stafford. »Er scheint mir geradezu unglaublich auf
dem Damm zu sein.«
»Irgendwelche Zweifel?«, fragt Stafford.
»Nicht die geringsten.«
»Dr. Theishen?«
»Wir wollen uns nichts vormachen. Mr. Phelan weiß genau,
was er tut. Sein Verstand ist weit schärfer als unserer.«
Vielen Dank. Das bedeutet mir sehr viel. Ihr seid eine Bande
von Psychoheinis, die sich abstrampeln müssen, um hunderttausend
im Jahr zu verdienen. Ich habe Milliarden verdient,
trotzdem tätschelt ihr mir den Kopf und sagt mir, wie klug ich
bin.
»Ihr Votum ist also einstimmig?«, fragt Stafford.
»Ja. Absolut.« Sie können gar nicht schnell genug nicken.
Stafford schiebt mir das Testament herüber und gibt mir einen
Stift. Ich sage: »Das ist das Testament von Troy L. Phelan,
mit dem alle früheren letztwilligen Verfügungen und Testamentsnachträge
hinfällig werden.« Der Stapel umfasst neunzig
Seiten, die von Stafford und einem seiner Mitarbeiter aufgesetzt
worden sind. Ich verstehe, worum es im Großen und Ganzen
geht, kenne aber nicht alle Einzelheiten. Ich habe sie nicht gelesen
und werde es auch nicht tun. Ich blättere nach ganz hinten,
kritzele einen Namenszug, den niemand lesen kann, und lege
dann erst einmal meine Hände darauf.
Die Geier werden das nie zu sehen bekommen.
»Die Sitzung ist geschlossen«, sagt Stafford, und alle packen
rasch zusammen. Gemäß meinen Anweisungen werden die drei
Familien aus ihren jeweiligen Räumen geleitet und aufgefordert,
das Gebäude zu verlassen.
Eine Kamera bleibt auf mich gerichtet, die Bilder, die sie aufnimmt,
sind ausschließlich für das Archiv bestimmt. Die Anwälte
und Psychiater verlassen den Raum unverzüglich. Ich fordere
Snead auf, sich an den Tisch zu setzen. Stafford und einer seiner
Sozii, Durban, bleiben da, sie sitzen ebenfalls. Als wir allein sind,
greife ich unter mein Gewand und hole einen Umschlag hervor,
den ich öffne. Ich nehme drei Bogen gelbes Stempelpapier heraus
und lege sie vor mich auf den Tisch. Nur noch einige Sekunden,
und ein leichter Schauer der Furcht durchläuft mich. Das wird
mehr Kraft kosten, als ich in Wochen aufgebracht habe.
Stafford, Durban und Snead starren verblüfft auf die gelben
Blätter.
»Das ist meine letztwillige Verfügung«, erkläre ich und
nehme einen Stift zur Hand. »Ein eigenhändiges Testament, das
ich Wort für Wort erst vor wenigen Stunden verfasst habe. Es
trägt das heutige Datum und wird unter diesem Datum von mir
unterzeichnet.« Ich kritzele meinen Namen. Stafford ist so baff
vor Staunen, dass er kein Wort herausbringt.
»Hiermit widerrufe ich alle früheren Testamente, einschließlich
dessen, das ich vor weniger als fünf Minuten unterzeichnet
habe.« Ich falte die Blätter und stecke sie wieder in den Umschlag.
Ich beiße die Zähne zusammen und denke daran, wie sehr
ich mich danach sehne zu sterben.
Ich schiebe den Umschlag über den Tisch Stafford zu und
erhebe mich im selben Augenblick aus dem Rollstuhl. Meine
Beine zittern. Mein Herz hämmert. Nur noch Sekunden. Bestimmt
werde ich tot sein, bevor ich auf dem Boden lande.
»He!«, ruft jemand, vermutlich Snead. Aber ich entferne
mich von ihnen.
Der Lahme geht, rennt beinahe an der Reihe von Ledersesseln
vorüber, an einem meiner Porträts, einem schlechten Gemälde,
das eine meiner Frauen in Auftrag gegeben hat, an allem
vorüber, zu den Schiebetüren, die nicht abgeschlossen sind.
Ich weiß das, weil ich das Ganze vor ein paar Stunden geprobt
habe.
»Halt!« schreit jemand, und jetzt sind sie hinter mir her. Seit
einem Jahr hat mich niemand gehen sehen. Ich greife nach der
Klinke und öffne die Tür. Die Luft ist bitterkalt. Ich trete barfuß
auf die schmale Terrasse im obersten Stockwerk meines Gebäudes.
Ohne nach unten zu sehen, stürze ich mich über das
Geländer.
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Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Copyright der Originalausgabe © 1999 by Belfry Holdings, Inc.
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2000 by Heyne Verlag,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München
Übersetzung: K. Schatzhauser
Umschlaggestaltung: Jarzina kommunikations-design, Holzkirchen
Umschlagmotiv: Corbis, Düsseldorf, (© Michael Runkel)
Gesamtherstellung: CPI Moravia Books s.r.o., Pohorelice
Printed in the EU
ISBN 978-3-86800-867-8
2014 2013 2012 2011
Die letzte Jahreszahl gibt die aktuelle Lizenzausgabe an.
Früher einmal besaß ich alles an Spielzeug, was das Leben
schöner macht: Jachten, Privatjets, Blondinen, Wohnsitze in Europa,
große Güter in Argentinien, eine Insel im Pazifik, rein-
rassige Rennpferde, Vollblüter, und sogar eine Eishockeymann-
schaft. Aber ich bin inzwischen zu alt für Spielzeug.
Die Wurzel meines Elends ist das Geld.
Dreimal habe ich eine Familie gegründet. Meine drei Ehefrauen
haben mir sieben Kinder geboren, von denen sechs noch
leben und tun, was sie nur können, um mich zu quälen. Soweit
ich weiß, habe ich sie alle sieben selbst gezeugt, und einen Sohn
habe ich beerdigt. Eigentlich müsste ich sagen, dass ihn seine
Mutter beerdigt hat. Ich war damals nicht im Lande.
Ich habe mich mit meinen drei ehemaligen Frauen und sämtlichen
Kindern auseinandergelebt. Sie alle sind heute hier zusammengekommen,
weil ich bald sterben werde und es an der
Zeit ist, das Geld zu verteilen.
Ich habe diesen Tag lange im Voraus geplant. Gleich einem großen
Hufeisen umschließen die drei langgezogenen und tiefen
Gebäudeflügel meiner vierzehnstöckigen Firmenzentrale einen
schattigen, nach hinten offenen Hof, auf dem ich einst im Sonnenschein
Mittagsgesellschaften gegeben habe. Ich wohne und
arbeite im Dachgeschoss auf gut tausend Quadratmetern, deren
üppige Ausstattung manch einer obszön findet, was mich aber
nicht im Mindesten stört. Ich habe mein gesamtes Vermögen
mit meinem Schweiß, meinem Verstand und mit Glück selbst
erarbeitet, und das gibt mir das Recht, das Geld so auszugeben,
wie ich es für richtig halte. Es ist mein gutes Recht, es zu verschenken,
und trotzdem werde ich von allen Seiten bedrängt.
Warum sollte ich mir den Kopf darüber zerbrechen, wer es
bekommt? Ich habe alles Erdenkliche mit dem Geld getan. Während
ich hier allein in meinem Rollstuhl sitze und warte, kann
ich mir nichts vorstellen, was ich kaufen oder sehen möchte.
Mir fällt kein einziger Ort ein, an den ich reisen, und kein weiteres
Abenteuer, das ich bestehen möchte.
Ich habe alles hinter mir, und ich bin sehr müde.
Es geht mir nicht darum, wer das Geld bekommt. Es geht mir
darum, wer es nicht bekommt.
Jeden Quadratmeter dieses Gebäudes habe ich selbst entwor-
fen und weiß daher genau, wo jeder bei dieser kleinen Zeremonie
seinen Platz hat. Sie sind alle da und warten geduldig. Das
macht ihnen nichts aus - für das, was ich zu erledigen habe,
würden sie sich sogar nackt in einen Schneesturm stellen.
Da ist als erstes Lillian und ihre Brut - vier meiner Nachkommen
hat eine Frau zur Welt gebracht, die sich kaum je von
mir hat anfassen lassen. Wir haben jung geheiratet - ich war
vierundzwanzig und sie achtzehn -, und daher ist jetzt auch Lillian
alt. Ich habe sie seit Jahren nicht gesehen und werde sie
auch heute nicht sehen. Ich bin überzeugt, dass sie nach wie
vor die Rolle der bedauernswerten pflichtgetreuen ersten Gattin
spielt, die gegen ein jüngeres Modell ausgetauscht worden
ist. Sie hat nie wieder geheiratet, und ich bin überzeugt, dass
sie in den letzten fünfzig Jahren nichts mit einem Mann gehabt
hat. Ich weiß selbst nicht, wie wir zu unseren Kindern gekommen
sind.
Der Älteste, Troy Junior, ist inzwischen siebenundvierzig,
ein nichtsnutziger Trottel, der meinen Namen wie einen Fluch
trägt. Als Junge hat man ihn TJ gerufen, und dieser Spitzname
ist ihm nach wie vor lieber als Troy. Von meinen sechs hier versammelten
Nachkommen ist er der dümmste, allerdings mit
knappem Vorsprung.
Er musste das College mit neunzehn Jahren wegen Drogenhandels
verlassen und hat, wie alle seine Geschwister, zum einundzwanzigsten
Geburtstag fünf Millionen Dollar bekommen.
Wie allen anderen ist auch ihm das Geld durch die Finger gelaufen,
als wäre es Wasser.
Ich bringe es nicht über mich, alle entsetzlichen Geschichten
von Lillians Kindern hier auszubreiten. Der Hinweis mag genügen,
dass sie alle bis über die Ohren verschuldet und praktisch
nicht vermittelbar sind. Da nur wenig Hoffnung besteht,
dass sich etwas daran ändert, ist die Teilnahme am feierlichen
Akt der Unterzeichnung meines Letzten Willens das einschneidendste
Ereignis in ihrem Leben.
Zurück zu meinen einstigen Ehefrauen. Von Lillians Frigidität
habe ich mich in die heiße Leidenschaftlichkeit Janies ge-
flüchtet. Sie war ein hübsches junges Ding, das als Sekretärin in
der Buchhaltung arbeitete, aber rasch aufstieg, als ich das Bedürfnis
empfand, sie auch auf Geschäftsreisen um mich zu haben.
Nach einer Weile habe ich mich von Lillian scheiden lassen
und Janie geheiratet. Sie war zweiundzwanzig Jahre jünger als
ich und entschlossen, mich stets zufriedenzustellen. So rasch es
ihr möglich war, hat sie zwei Kinder in die Welt gesetzt und sie
dazu benutzt, mich an sie zu ketten. Rocky, der jüngere, ist mit
zwei Kumpeln in einem Sportwagen ums Leben gekommen. Es
hat mich sechs Millionen gekostet, die Folgen dieses Unfalls außergerichtlich
zu regeln.
Mit vierundsechzig habe ich Tira geheiratet. Sie war dreiundzwanzig
und von mir schwanger. Dem von ihr in die Welt gesetzten
kleinen Ungeheuer hat sie aus Gründen, die mir nie klargeworden
sind, den Namen Ramble gegeben, was von Strolch bis
Schwafler alles mögliche bedeuten kann. Obwohl der Junge erst
vierzehn ist, hat er bereits zweimal vor dem Jugendrichter gestanden
- einmal wegen Ladendiebstahls und das andere Mal, weil
er im Besitz von Marihuana war. Das Haar, das ihm bis auf den
Rücken fällt, klebt ihm am Nacken, so fettig ist es, und er trägt
Ringe an Ohrmuscheln, Augenbrauen und in der Nase. Ich habe
gehört, dass er zur Schule geht, wenn er gerade Lust dazu hat.
Der Junge schämt sich, dass sein Vater fast achtzig Jahre alt
ist, und sein Vater schämt sich, dass sich sein Sohn die Zunge
hat piercen lassen.
Wie alle anderen erwartet Ramble, dass ich mein Testament
unterschreibe und ihm damit ein angenehmes Leben verschaffe.
So groß mein Vermögen auch ist, diese Dummköpfe werden
nicht lange etwas davon haben.
Wer kurz vor dem Sterben steht, sollte nicht hassen, aber ich
kann es nicht ändern. Sie sind ein elender Haufen, alle miteinander.
Die Mütter hassen mich und haben daher ihren Kindern
beigebracht, dass sie mich ebenfalls hassen sollen.
Sie sind Geier, die mit scharfen Krallen, spitzen Schnäbeln
und gierigen Augen über mir kreisen, benommen von der Vorfreude
auf unendlich viel Geld.
Von besonderer Bedeutung ist die Frage, ob ich im Vollbesitz
meiner geistigen Kräfte bin. Alle sind überzeugt davon, dass ich
einen Gehirntumor habe, weil ich sonderbare Dinge sage. Bei
Sitzungen und am Telefon rede ich zusammenhangloses Zeug,
und meine Mitarbeiter flüstern hinter meinem Rücken, nicken
einander bedeutungsvoll zu und denken: Ja, es stimmt. Es ist
der Tumor.
Ein Testament, das ich vor zwei Jahren verfasst habe, sah als
Universalerbin meine letzte Gespielin vor, die damals in Hosen
mit Leopardenmuster und sonst nichts am Leibe durch meine
Wohnung getänzelt ist. Ja, vermutlich bin ich verrückt nach
zwanzigjährigen Blondinen mit all den Kurven. Sie ist aber später
ausgezogen, und das Testament ist in den Reißwolf gewandert.
Ich hatte einfach keine Lust mehr.
Vor drei Jahren habe ich einfach so zum Spaß ein Testament
gemacht, in dem ich alles wohltätigen Einrichtungen hinterlassen
habe, über hundert. Eines Tages habe ich TJ angebrüllt, er
hat zurückgebrüllt, und dann habe ich ihm von diesem neuen
Testament erzählt. Daraufhin haben seine Mutter und seine Geschwister
ein ganzes Rudel von Winkeladvokaten angeheuert
und sind vor Gericht gezogen, um zu erreichen, dass ich in eine
Anstalt gesteckt werde, wo man mich behandeln und auf meinen
Geisteszustand untersuchen sollte. Das war eigentlich ziemlich
gerissen von ihren Anwälten, denn wenn man mich für unzurechnungsfähig
erklärt hätte, wäre mein Testament ungültig
gewesen.
Aber ich beschäftige viele Anwälte, denen ich tausend Dollar
die Stunde dafür zahle, dass sie das Recht so drehen, wie es
meinen Bedürfnissen entspricht. Daher wurde ich nicht in eine
Anstalt eingewiesen, obwohl eine gewisse Wahrscheinlichkeit
besteht, dass ich damals wirklich nicht ganz dicht war.
Ich habe meinen eigenen Reißwolf, in den ich all die früheren
Testamente gesteckt habe. Jetzt sind alle weg, von einer kleinen
Maschine zerschnippelt.
Ich trage lange weiße Gewänder aus Thaiseide, rasiere mir
den Schädel kahl wie ein Mönch und esse kaum etwas, so-
dass mein Körper ganz eingefallen ist. Man hält mich für einen
Buddhisten, aber in Wirklichkeit beschäftige ich mich mit der
Lehre Zarathustras. Sie kennen den Unterschied nicht. Ich kann
fast verstehen, warum sie glauben, dass meine geistigen Kräfte
nachgelassen haben.
Lillian und ihre Kinder befinden sich im Konferenzzimmer
der Geschäftsleitung im zwölften Stock, unmittelbar unter mir.
Es ist ein großer Raum mit Marmor und Mahagoni, dicken
Teppichen und einem langen, ovalen Tisch in der Mitte, und
im Augenblick ist er voller sehr nervöser Menschen. Es überrascht
niemanden, dass mehr Anwälte als Familienangehörige
da sind. Lillian hat einen eigenen Anwalt, wie auch jedes ihrer
vier Kinder. Nur TJ hat drei mitgebracht - einmal, um zu zeigen,
wie wichtig er ist, aber auch, um sicherzugehen, dass für
alle Eventualitäten die richtige Lösung gefunden wird. Er steckt
in größeren juristischen Schwierigkeiten als die meisten Insassen
einer Todeszelle. An einem Ende des Tisches befindet sich
ein großer Bildschirm, auf dem man verfolgen kann, was hier
oben vor sich geht.
TJs Bruder, mein zweiter Sohn, Rex, ist vierundvierzig und
zurzeit mit einer Stripperin namens Amber verheiratet, ein
armes hirnloses Geschöpf mit gewaltigen Silikonbrüsten. Sie ist
seine zweite oder dritte Frau - einerlei, wer bin ich, dass ich
mich zum Richter darüber aufschwingen dürfte? Jedenfalls ist
sie da, ebenso wie die anderen gegenwärtigen Ehegatten und /
oder Lebensgefährt(inn)en, und rutscht unruhig auf dem Stuhl
hin und her, während sie darauf wartet, dass elf Milliarden aufgeteilt
werden.
Libbigail ist Lillians erste Tochter, meine älteste. Ich habe das
Kind abgöttisch geliebt, bis sie aufs College ging und mich vergessen
hat. Als sie dann einen Afrikaner geheiratet hat, habe ich
sie in meinen Testamenten nicht mehr berücksichtigt.
Das letzte Kind, das Lillian zur Welt gebracht hat, war Mary
Ross. Sie ist mit einem Arzt verheiratet, der gern superreich sein
möchte, aber sie stecken bis zum Hals in Schulden.
In einem Raum im neunten Stock wartet Janie mit den Kin-
dern aus meiner zweiten Ehe. Sie hat seit unserer viele Jahre
zurückliegenden Scheidung zweimal geheiratet. Ich beschäftige
Privatdetektive, die mich auf dem Laufenden halten, und bin
fast sicher, dass sie im Augenblick allein lebt, aber nicht einmal
das FBI wäre imstande, mit ihren Bettgeschichten Schritt zu halten.
Wie ich schon gesagt habe, lebt ihr Sohn Rocky nicht mehr.
Ihre Tochter Geena ist mit ihrem zweiten Mann, Cody, hier,
einem Schwachkopf mit einem Diplom in Betriebswirtschaftslehre;
ihm ist durchaus zuzutrauen, dass er eine halbe Milliarde
innerhalb von drei Jahren gekonnt auf den Kopf haut.
Dann ist da noch Ramble, der sich im vierten Stock auf einem
Sessel fläzt und an dem goldenen Ring leckt, den er im
Mundwinkel trägt. Er fährt sich mit den Fingern durch das
klebrige grüne Haar und knurrt seine Mutter an, die doch tatsächlich
die Frechheit besessen hat, mit einem behaarten kleinen
Gigolo hier aufzutauchen. Ramble ist überzeugt, dass ihm
heute ein Vermögen übertragen wird, einfach deshalb, weil ich
ihn gezeugt habe. Auch er hat einen Anwalt mitgebracht, einen
radikalen Hippie, den Tira im Fernsehen gesehen und engagiert
hat, gleich nachdem sie mit ihm im Bett war. Sie warten wie alle
anderen.
Ich kenne diese Leute. Ich beobachte sie.
Jetzt taucht Snead hinten aus meiner Wohnung auf. Er ist seit
etwa dreißig Jahren mein Faktotum, ein rundlicher, umgänglicher
Mann in weißer Weste, duldsam und demütig, stets in
der Hüfte abgeknickt, als verbeuge er sich vor einem König.
Er bleibt vor mir stehen, die Hände wie immer auf dem Bauch
gefaltet, den Kopf zur Seite geneigt, und fragt mit schiefem Lächeln
und einem affektierten Tonfall, den er sich angewöhnt
hat, als wir vor Jahren miteinander in Irland waren: »Wie geht
es Ihnen, Sir?«
Ich sage nichts, denn weder habe ich es nötig, ihm zu antworten,
noch rechnet er damit.
»Etwas Kaffee, Sir?«
»Mittagessen.«
Snead zwinkert mit beiden Augen und verbeugt sich noch
tiefer. Dann watschelt er hinaus, wobei seine Hosenaufschläge
über den Boden schleifen. Auch er rechnet damit, reich zu werden,
wenn ich sterbe, und vermutlich zählt er die Tage wie alle
anderen.
Wenn jemand Geld hat, möchten alle etwas davon haben.
Nur ein winziges Scheibchen. Was bedeutet eine Million einem
Mann, der Milliarden besitzt? Gib mir eine Million, alter Junge,
und du merkst den Unterschied nicht einmal. Leih mir was,
und wir können es beide vergessen. Quetsch meinen Namen irgendwo
in dein Testament mit rein; da ist bestimmt Platz dafür.
Snead ist entsetzlich neugierig, und ich habe ihn vor Jahren
dabei ertappt, wie er in meinem Schreibtisch herumgestöbert
hat. Wahrscheinlich hat er nach dem gerade gültigen Testament
gesucht. Er möchte, dass ich sterbe, weil er mit ein paar Millionen
rechnet.
Welches Recht hat er, überhaupt mit etwas zu rechnen? Ich
hätte ihn vor Jahren rauswerfen sollen.
Sein Name taucht in meinem neuen Testament nicht auf.
Er stellt ein Tablett vor mich hin: eine ungeöffnete Packung
Ritz-Kekse, ein Gläschen Honig, dessen Deckel noch versiegelt
ist, und eine kleine Dose Fresca auf Zimmertemperatur. Bei der
kleinsten Abweichung würde Snead sofort gefeuert.
Ich sage ihm, dass er gehen kann, und tauche die Kekse in
den Honig. Meine Henkersmahlzeit.
ZWEI
Ich sitze da und starre durch die getönten Glaswände. An klaren
Tagen kann ich die Spitze des Washington-Denkmals sehen,
das zehn Kilometer von hier entfernt ist. Aber heute ist
der Himmel bedeckt. Es ist unfreundlich, kalt und windig, kein
schlechter Tag, um zu sterben. Der Wind reißt das letzte welke
Laub von den Zweigen und weht es unten über den Parkplatz.
Warum mache ich mir Sorgen wegen der Schmerzen? Was ist
gegen ein bisschen Leiden einzuwenden? Ich habe mehr Elend
verursacht als zehn beliebige andere Menschen.
Ich drücke auf einen Knopf, und Snead kommt herein. Er
verbeugt sich und schiebt meinen Rollstuhl aus der Wohnungstür
in die mit Marmor ausgekleidete Empfangshalle und von
dort durch eine andere Tür. Es kommt näher, aber ich spüre
keine Beklemmung.
Ich habe die Psychiater über zwei Stunden warten lassen.
Wir kommen an meinem Büro vorüber, und ich nicke Nicolette
zu, meiner letzten Sekretärin, einem niedlichen jungen
Ding, das ich recht gut leiden kann. Wenn mir Zeit bliebe,
könnte sie die Nummer vier werden.
Aber mir bleibt keine Zeit. Es sind nur noch Minuten.
Die Meute wartet - ganze Rudel von Anwälten und drei Psychiater,
die darüber befinden werden, ob ich bei klarem Verstand
bin. Sie drängen sich um einen langen Tisch in meinem
Besprechungszimmer. Als ich hereinkomme, hört ihr Gespräch
schlagartig auf. Alle starren mich an. Snead schiebt mich an
eine der Längsseiten des Tisches neben meinen Anwalt Stafford.
Kameras zeigen in alle Richtungen, und die Techniker sind
eifrig mit ihnen und den Mikrophonen beschäftigt. Jeder ge-
flüsterte Laut, jede noch so geringe Bewegung, jeder Atemzug
wird aufgezeichnet, denn es geht um ein Vermögen.
Im letzten von mir unterschriebenen Testament waren meine
Kinder kaum bedacht worden. Wie immer hatte es Josh Stafford
aufgesetzt. Ich habe es heute Morgen in den Reißwolf gesteckt.
Ich sitze hier, um aller Welt zu beweisen, dass meine Geisteskräfte
ausreichen, ein neues Testament abzufassen. Sobald dieser
Beweis erbracht ist, kann niemand die Verfügungen anfechten,
die ich über mein Vermögen treffe.
Mir unmittelbar gegenüber sitzen drei Psychofritzen - jede
der Familien hat einen benannt. Auf geknickten Karteikarten,
die sie vor sich gestellt haben, hat jeder in Großbuchstaben seinen
Namen geschrieben - Dr. Zadel, Dr. Flowe und Dr. Theishen.
Ich sehe mir ihre Augen und Gesichter aufmerksam an.
Da ich als normal gelten will, muss ich Blickkontakt herstellen.
Sie sind überzeugt, dass ich ein bisschen wirr im Kopf bin,
dabei stehe ich im Begriff, sie im großen Stil reinzulegen.
Stafford wird die ganze Sache deichseln. Als alle Platz genommen
haben und die Kameras bereit sind, sagt er: »Ich heiße
Josh Stafford und bin der von Mr. Troy Phelan, der rechts neben
mir sitzt, bevollmächtigte Anwalt.«
Ich nehme mir einen der Psychofritzen nach dem anderen
vor, Auge in Auge, bis sie blinzeln oder den Blick abwenden.
Alle drei tragen sie dunkle Anzüge. Zeidel und Flowe haben
Zottelbärte, Theishen, der eine Fliege um den Hals hat, sieht
aus, als wäre er höchstens dreißig. Jede der Familien hatte das
Recht, einen Psychiater ihres Vertrauens zu benennen.
Jetzt redet wieder Stafford. »Zweck dieser Zusammenkunft
ist es, Mr. Phelan von einer psychiatrischen Kommission untersuchen
zu lassen, die seine Testierfähigkeit feststellen soll.
Vorausgesetzt, sie erkennt ihm den Vollbesitz seiner geistigen
Kräfte zu, beabsichtigt er, eine letztwillige Verfügung zu unterzeichnen,
mit der er für den Fall seines Todes die Verteilung seines
Vermögen regelt.«
Stafford klopft mit dem Bleistift auf den gut zweieinhalb
Zentimeter dicken Papierstapel, der vor uns liegt: das Testament.
Bestimmt fahren jetzt die Kameras mit ihren Gummilinsen
zu einer Nahaufnahme darauf zu, und bestimmt läuft meinen
Kindern und ihren Müttern, die im ganzen Gebäude verteilt
sind, bei seinem bloßen Anblick ein Schauer über den Rücken.
Sie haben es bisher nicht gesehen und haben auch keinen Anspruch
darauf. Eine letztwillige Verfügung ist ein privatrechtlicher
einseitiger Vertrag, dessen Inhalt erst nach dem Tode des
Erblassers bekanntgegeben wird. Diejenigen, die als Erben in
Frage kommen, können darüber lediglich spekulieren. Meine
Erben haben Hinweise bekommen, von mir sorgfältig in Umlauf
gesetzte Falschinformationen.
Daher sind sie überzeugt, dass der größte Teil meines Nachlasses
mehr oder weniger gerecht zwischen den Kindern aufgeteilt
wird und die Exfrauen ebenfalls großzügig bedacht
werden. Das wissen sie; sie können es spüren. Seit Wochen, ja
Monaten, beten sie inbrünstig darum, dass das Testament, das
jetzt vor mir liegt, sie reich macht und dem Gezänk ein Ende
bereitet. Stafford hat es aufgesetzt und mit meiner Erlaubnis
dessen angeblichen Inhalt im Verlauf von Gesprächen mit ihren
Anwälten in groben Zügen dargelegt. Jedes der Kinder darf
mit einem Betrag in der Größenordnung von drei- bis fünfhundert
Millionen rechnen, und die drei Exfrauen mit jeweils fünfzig
Millionen. Ich habe bei jeder Scheidung gut für die jeweilige
Frau gesorgt, aber das ist selbstverständlich in Vergessenheit
geraten.
Der für die Angehörigen ausgesetzte Betrag beläuft sich insgesamt
auf rund drei Milliarden Dollar. Was übrigbleibt, nachdem
sich die Regierung mehrere Milliarden unter den Nagel
gerissen hat, geht an wohltätige Einrichtungen. Man kann also
verstehen, warum sich alle herausgeputzt haben und nüchtern
(jedenfalls die meisten) hergekommen sind und, den Blick begierig
auf die Bildschirme gerichtet, warten und hoffen, dass
mir, dem alten Mann, mein Vorhaben gelingt. Bestimmt haben
sie ihren Psy choheinis gesagt: »Haben Sie etwas Nachsicht mit
dem Alten. Wir möchten, dass er bei klarem Verstand ist.«
Wenn alle so rundum zufrieden sind, warum dann überhaupt
diese psychiatrische Untersuchung? Weil ich sie alle ein letztes
Mal reinlegen möchte, und zwar nach Strich und Faden.
Die Sache mit den Psychiatern war meine Idee, und meine
Kinder und ihre Anwälte haben nicht gemerkt, was dahintersteckt.
Zadel spricht als Erster. »Mr. Phelan, können Sie uns sagen,
welchen Tag wir heute haben, wieviel Uhr es ist und wo wir uns
befinden?«
Ich komme mir vor wie ein Erstklässler, lasse mein Kinn wie
ein Trottel auf die Brust sinken und denke so lange über die
Frage nach, bis sie sich an den Rand ihres Sessels vorschieben
und flüstern: »Los, du verrückter alter Mistkerl! Du weißt doch
bestimmt, welchen Tag wir heute schreiben.«
»Montag«, sage ich leise. »Es ist Montag, der 9. Dezember
1996. Wir befinden uns in meinem Büro.«
»Und wie spät ist es?«
»Gegen halb drei«, sage ich. Ich trage keine Uhr am Arm.
»Und wo befindet sich Ihr Büro?«
»In McLean, im Staat Virginia.«
Flowe beugt sich über sein Mikrophon. »Können Sie uns
Namen und Geburtstage Ihrer Kinder sagen?«
»Nein. Die Namen vielleicht, aber die Geburtsdaten nicht.«
»Na schön, dann die Namen.«
Ich lasse mir Zeit. Noch ist nicht der richtige Augenblick gekommen
zu zeigen, wie sehr ich auf Draht bin. Sie sollen ruhig
schwitzen. »Troy Phelan jun., Rex, Libbigail, Mary Ross, Geena
und Ramble.« Ich sage die Namen, als falle mir schon der
bloße Gedanke an sie schwer.
Flowe hat Anspruch auf einen Nachschlag. »Es gab ein siebtes
Kind, nicht wahr?«
»Ja.«
»Wissen Sie seinen Namen?«
»Rocky.«
»Und was ist mit ihm geschehen?«
»Er ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen.« Ich
sitze aufrecht in meinem Rollstuhl, den Kopf hoch erhoben,
lasse den Blick von einem der Psychoheinis zum nächsten wandern
und demonstriere für die Kameras geistige Klarheit. Bestimmt
sind meine Kinder und meine Ex-Frauen stolz auf mich,
während sie in kleinen Gruppen vor den Bildschirmen sitzen,
ihrem gegenwärtigen Ehegespons die Hand drücken und ihren
gierigen Anwälten zulächeln, weil der alte Troy die Einleitung
hingekriegt hat.
Schon möglich, dass meine Stimme leise und hohl klingt,
schon möglich, dass ich mit meinem weißen Seidengewand,
meinem runzligen Gesicht und dem grünen Turban aussehe wie
verstört, aber ich habe ihre Fragen beantwortet.
Vorwärts, alter Junge, fordern sie mich auf.
Theishen fragt: »Wie ist derzeit Ihr körperlicher Zustand?«
»Ich hab mich schon besser gefühlt.«
»Es heißt, dass Sie einen bösartigen Tumor haben.«
Na, du redest aber nicht lange um den heißen Brei herum,
was?
»Ich war der Ansicht, dass es sich hier um eine psychiatrische
Untersuchung handelt«, sage ich mit einem Blick auf Stafford,
der sich ein Lächeln nicht verkneifen kann. Aber die Vorschriften
lassen jede beliebige Frage zu. Wir sind hier nicht vor
Gericht.
»So verhält es sich auch«, sagt Theishen höflich. »Aber dieser
Punkt ist sachdienlich.«
»Aha.«
»Wollen Sie also die Frage beantworten?«
»Welche?«
»Die nach dem Tumor.«
»Natürlich. Ich habe einen inoperablen Gehirntumor von der
Größe eines Golfballs, und mein Arzt gibt mir höchstens noch
zwei Monate.«
Ich kann förmlich die Champagnerkorken unter mir knallen
hören. Der Tumor ist bestätigt!
»Stehen Sie im Augenblick unter dem Einfluss irgendeines
Medikaments, einer Droge oder von Alkohol?«
»Nein.«
»Besitzen Sie irgendein schmerzstillendes Mittel?«
»Noch nicht.«
Wieder Zadel: »Mr. Phelan, vor drei Monaten hat die Zeitschrift
Forbes Ihr Nettovermögen mit acht Milliarden Dollar
beziffert. Kommt diese Zahl der Wirklichkeit nahe?«
»Seit wann steht Forbes für Genauigkeit?«
»Die Angabe entspricht also nicht der Wahrheit?«
»Der Wert meines Vermögens liegt zwischen elf und elfeinhalb,
je nach Marktlage.« Ich sage das betont langsam, aber
meine Worte klingen scharf, meine Stimme hat Gewicht. Niemand
zweifelt daran, dass meine Angabe stimmt.
Flowe beschließt, die Frage nach dem Geld noch ein wenig
zu vertiefen. »Mr. Phelan, können Sie ganz allgemein den Aufbau
Ihres Unternehmens skizzieren?«
»Ich denke schon.«
»Wollen Sie das tun?«
»Nun ja.« Ich mache eine Pause und lasse sie weiter schwitzen.
Stafford hat mir versichert, dass wir nicht ins Detail zu gehen
brauchen. Nur ein Gesamtbild, hat er gesagt.
»Die Phelan-Gruppe ist eine privatrechtliche Gesellschaft,
in deren Besitz sich siebzig verschiedene Firmen befinden, von
denen einige an der Börse notiert werden.«
»Ein wie großer Anteil der Phelan-Gruppe befindet sich in
Ihrem Besitz?«
»Etwa siebenundneunzig Prozent. Der Rest gehört einer
Handvoll Firmenangehöriger.«
Auch Theishen nimmt jetzt die Fährte auf. Lange hat er dazu
nicht gebraucht. »Mr. Phelan, ist Ihr Unternehmen an der Firma
Spin Computer beteiligt?«
»Ja«, sage ich langsam, während ich Spin Computer im
Dschungel meiner Unternehmungen einzuordnen versuche.
»Wie viel davon besitzen Sie?«
»Achtzig Prozent.«
»Und Spin Computer ist eine Aktiengesellschaft?«
»So ist es.«
Theishen macht sich an einem Stapel amtlich aussehender
Papiere zu schaffen, und ich kann von hier aus sehen, dass er
den Jahresabschlussbericht und einige Vierteljahresberichte
vor sich liegen hat, Dokumente, die sich jeder des Lesens und
Schreibens halbwegs kundige College-Student beschaffen kann.
»Wann haben Sie Spin erworben?«, fragt er.
»Vor etwa vier Jahren.«
»Wie viel haben Sie dafür bezahlt?«
»Zwanzig Dollar pro Aktie, insgesamt dreihundert Millionen.
« Eigentlich möchte ich diese Fragen langsamer beantworten,
bringe es aber nicht fertig. Ich brenne mit meinen Blicken
Löcher in Theishen, so ungeduldig warte ich auf seine nächste
Frage.
»Und was ist das Unternehmen jetzt wert?«
»Nun, gestern bei Börsenschluss wurden die Aktien mit dreiundvierzigeinhalb
notiert, sie waren gegenüber dem Vortag um
einen Punkt zurückgegangen. Seit ich das Unternehmen gekauft
habe, ist es zweimal zu einem Aktiensplit gekommen, sodass es
inzwischen rund achtfünfzig wert ist.«
»Achthundertfünfzig Millionen?«
»Richtig.«
An dieser Stelle ist die Befragung im Großen und Ganzen
vorüber. Wenn es mir meine geistigen Fähigkeiten erlauben, die
ges trigen Schlusskurse an der Aktienbörse mitzubekommen,
sind meine Widersacher sicherlich zufrieden. Ich kann schon
fast ihr dämliches Grinsen sehen und ihr gedämpftes Hurragebrüll
hören. Gut gemacht, Troy, gib ihnen Saures!
Zadel greift in die Vergangenheit zurück. Damit will er wohl
die Grenzen meines Gedächtnisses ausloten. »Mr. Phelan, wo
sind Sie zur Welt gekommen?«
»In Montclair, im Staat New Jersey.«
»Wann?«
»Am 12. Mai 1918.«
»Wie war der Mädchenname Ihrer Mutter?«
»Shaw.«
»Wann ist sie gestorben?«
»Zwei Tage vor dem Angriff der Japaner auf Pearl Harbor.«
»Und Ihr Vater?«
»Was ist mit dem?«
»Wann ist er gestorben?«
»Das weiß ich nicht. Er hat sich aus dem Staub gemacht, als
ich ein kleiner Junge war.«
Zadel sieht zu Flowe hinüber, der auf einem Notizblock
eine ganze Reihe Fragen stehen hat. Flowe fragt. »Wer ist Ihre
jüngste Tochter?«
»Aus welcher Familie?«
»Äh, der ersten.«
»Das müsste Mary Ross sein.«
»Stimmt -«
»Natürlich stimmt es.«
»Und welches College hat sie besucht?«
»Tulane, in New Orleans.«
»Was hat sie studiert?«
»Irgendwas Mittelalterliches. Dann hat sie schlecht geheiratet,
wie die anderen auch. Das Talent dazu haben sie wohl von
mir geerbt.« Ich kann richtig sehen, wie sie erstarren und alle
Stacheln ausfahren. Und ich kann fast sehen, wie die Anwälte
und die derzeitigen Lebensgefährten und/oder Ehepartner ein
leichtes Lächeln unterdrücken, weil niemand bestreiten kann,
dass ich in der Tat schlecht geheiratet habe.
Und mit meinem Nachwuchs habe ich mich noch schlimmer
in die Nesseln gesetzt.
Auf einmal ist Flowe mit dieser Runde fertig. Theishen, der
erkennbar ins Geld verliebt ist, fragt: »Besitzen Sie eine Mehrheit
am Unternehmen Mountain Com?«
»Ja. Bestimmt haben Sie es da in Ihrem Papierstapel vor sich.
Es ist eine Aktiengesellschaft.«
»Wie viel haben Sie ursprünglich investiert?«
»Zehn Millionen Aktien zu rund achtzehn das Stück.«
»Und jetzt ist -«
»Der gestrige Schlusskurs war einundzwanzig. Nach einem
Aktientausch und einem Aktiensplit in den letzten sechs Jah-
ren ist das Unternehmen inzwischen rund vierhundert Millionen
wert. Ist Ihre Frage damit beantwortet?«
»Ich glaube schon. In wie vielen Aktiengesellschaften besitzen
Sie die Anteilsmehrheit?«
»In fünf.«
Flowe sieht zu Zadel hinüber, und ich frage mich, wie lange
das noch dauern soll. Mit einem Mal bin ich müde.
»Weitere Fragen?« möchte Stafford wissen. Wir werden die
andern auf keinen Fall unter Zeitdruck setzen, weil wir möchten,
dass sie mit mir rundum zufrieden sind.
Zadel fragt: »Haben Sie die Absicht, heute eine neue letztwillige
Verfügung zu unterzeichnen?«
»Ja.«
»Handelt es sich dabei um die vor Ihnen auf dem Tisch liegenden
Papiere?«
»Ja.«
»Haben Sie in diesem Testament einen beträchtlichen Anteil
Ihres Vermögens für Ihre Kinder vorgesehen?«
»So ist es.«
»Sind Sie bereit, das Testament jetzt zu unterzeichnen?«
»Ja.«
Zadel legt seinen Stift auf den Tisch, faltet bedächtig die
Hände und sieht nachdenklich Stafford an. »Meiner Meinung
nach ist Mr. Phelan zur Zeit hinreichend testierfähig, um in gültiger
Weise über sein Vermögen zu verfügen.« Er sagt das mit
großem Nachdruck, als seien sie sich ihrer Sache aufgrund meiner
Vorstellung nicht so recht sicher.
Die beiden anderen stimmen ihm rasch zu. »Ich habe keinen
Zweifel, dass er im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte ist«, sagt
Flowe zu Stafford. »Er scheint mir geradezu unglaublich auf
dem Damm zu sein.«
»Irgendwelche Zweifel?«, fragt Stafford.
»Nicht die geringsten.«
»Dr. Theishen?«
»Wir wollen uns nichts vormachen. Mr. Phelan weiß genau,
was er tut. Sein Verstand ist weit schärfer als unserer.«
Vielen Dank. Das bedeutet mir sehr viel. Ihr seid eine Bande
von Psychoheinis, die sich abstrampeln müssen, um hunderttausend
im Jahr zu verdienen. Ich habe Milliarden verdient,
trotzdem tätschelt ihr mir den Kopf und sagt mir, wie klug ich
bin.
»Ihr Votum ist also einstimmig?«, fragt Stafford.
»Ja. Absolut.« Sie können gar nicht schnell genug nicken.
Stafford schiebt mir das Testament herüber und gibt mir einen
Stift. Ich sage: »Das ist das Testament von Troy L. Phelan,
mit dem alle früheren letztwilligen Verfügungen und Testamentsnachträge
hinfällig werden.« Der Stapel umfasst neunzig
Seiten, die von Stafford und einem seiner Mitarbeiter aufgesetzt
worden sind. Ich verstehe, worum es im Großen und Ganzen
geht, kenne aber nicht alle Einzelheiten. Ich habe sie nicht gelesen
und werde es auch nicht tun. Ich blättere nach ganz hinten,
kritzele einen Namenszug, den niemand lesen kann, und lege
dann erst einmal meine Hände darauf.
Die Geier werden das nie zu sehen bekommen.
»Die Sitzung ist geschlossen«, sagt Stafford, und alle packen
rasch zusammen. Gemäß meinen Anweisungen werden die drei
Familien aus ihren jeweiligen Räumen geleitet und aufgefordert,
das Gebäude zu verlassen.
Eine Kamera bleibt auf mich gerichtet, die Bilder, die sie aufnimmt,
sind ausschließlich für das Archiv bestimmt. Die Anwälte
und Psychiater verlassen den Raum unverzüglich. Ich fordere
Snead auf, sich an den Tisch zu setzen. Stafford und einer seiner
Sozii, Durban, bleiben da, sie sitzen ebenfalls. Als wir allein sind,
greife ich unter mein Gewand und hole einen Umschlag hervor,
den ich öffne. Ich nehme drei Bogen gelbes Stempelpapier heraus
und lege sie vor mich auf den Tisch. Nur noch einige Sekunden,
und ein leichter Schauer der Furcht durchläuft mich. Das wird
mehr Kraft kosten, als ich in Wochen aufgebracht habe.
Stafford, Durban und Snead starren verblüfft auf die gelben
Blätter.
»Das ist meine letztwillige Verfügung«, erkläre ich und
nehme einen Stift zur Hand. »Ein eigenhändiges Testament, das
ich Wort für Wort erst vor wenigen Stunden verfasst habe. Es
trägt das heutige Datum und wird unter diesem Datum von mir
unterzeichnet.« Ich kritzele meinen Namen. Stafford ist so baff
vor Staunen, dass er kein Wort herausbringt.
»Hiermit widerrufe ich alle früheren Testamente, einschließlich
dessen, das ich vor weniger als fünf Minuten unterzeichnet
habe.« Ich falte die Blätter und stecke sie wieder in den Umschlag.
Ich beiße die Zähne zusammen und denke daran, wie sehr
ich mich danach sehne zu sterben.
Ich schiebe den Umschlag über den Tisch Stafford zu und
erhebe mich im selben Augenblick aus dem Rollstuhl. Meine
Beine zittern. Mein Herz hämmert. Nur noch Sekunden. Bestimmt
werde ich tot sein, bevor ich auf dem Boden lande.
»He!«, ruft jemand, vermutlich Snead. Aber ich entferne
mich von ihnen.
Der Lahme geht, rennt beinahe an der Reihe von Ledersesseln
vorüber, an einem meiner Porträts, einem schlechten Gemälde,
das eine meiner Frauen in Auftrag gegeben hat, an allem
vorüber, zu den Schiebetüren, die nicht abgeschlossen sind.
Ich weiß das, weil ich das Ganze vor ein paar Stunden geprobt
habe.
»Halt!« schreit jemand, und jetzt sind sie hinter mir her. Seit
einem Jahr hat mich niemand gehen sehen. Ich greife nach der
Klinke und öffne die Tür. Die Luft ist bitterkalt. Ich trete barfuß
auf die schmale Terrasse im obersten Stockwerk meines Gebäudes.
Ohne nach unten zu sehen, stürze ich mich über das
Geländer.
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Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Copyright der Originalausgabe © 1999 by Belfry Holdings, Inc.
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2000 by Heyne Verlag,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München
Übersetzung: K. Schatzhauser
Umschlaggestaltung: Jarzina kommunikations-design, Holzkirchen
Umschlagmotiv: Corbis, Düsseldorf, (© Michael Runkel)
Gesamtherstellung: CPI Moravia Books s.r.o., Pohorelice
Printed in the EU
ISBN 978-3-86800-867-8
2014 2013 2012 2011
Die letzte Jahreszahl gibt die aktuelle Lizenzausgabe an.
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Autoren-Porträt von John Grisham
John Grisham wurde am 8. Februar 1955 in Jonesboro, Arkansas, geboren, studierte in Mississippi und ließ sich 1981 als Anwalt nieder. Der aufsehenerregende Fall einer vergewaltigten Minderjährigen brachte ihm zum Schreiben. In Früh- und Nachtschichten wurde daraus sein erster Thriller, 'Die Jury', der in einem kleinen, unabhängigen Verlag erschien, der Beginn einer beispiellosen Erfolgsgeschichte.
Bibliographische Angaben
- Autor: John Grisham
- 2011, 1, 511 Seiten, Maße: 13,4 x 19,2 cm, Geb. mit Su.
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3868008675
- ISBN-13: 9783868008678
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