Das Teufelslabyrinth
Es führt direkt in die Hölle...
Im vierten Jahrhundert fand man es in den Katakomben Roms. Es findet sich auf einer spanischen Schriftrolle des sechzehnten Jahrhunderts. Jetzt wurde es unter einer alten Klosterschule in Boston entdeckt -...
Im vierten Jahrhundert fand man es in den Katakomben Roms. Es findet sich auf einer spanischen Schriftrolle des sechzehnten Jahrhunderts. Jetzt wurde es unter einer alten Klosterschule in Boston entdeckt -...
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Produktinformationen zu „Das Teufelslabyrinth “
Es führt direkt in die Hölle...
Im vierten Jahrhundert fand man es in den Katakomben Roms. Es findet sich auf einer spanischen Schriftrolle des sechzehnten Jahrhunderts. Jetzt wurde es unter einer alten Klosterschule in Boston entdeckt - für jene, die im Labyrinth des Teufels gefangen sind, ist die Hölle der einzige Ausweg.
Im vierten Jahrhundert fand man es in den Katakomben Roms. Es findet sich auf einer spanischen Schriftrolle des sechzehnten Jahrhunderts. Jetzt wurde es unter einer alten Klosterschule in Boston entdeckt - für jene, die im Labyrinth des Teufels gefangen sind, ist die Hölle der einzige Ausweg.
Klappentext zu „Das Teufelslabyrinth “
Es führt direkt in die Hölle...Im vierten Jahrhundert fand man es in den Katakomben Roms. Es findet sich auf einer spanischen Schriftrolle des sechzehnten Jahrhunderts. Jetzt wurde es unter einer alten Klosterschule in Boston entdeckt für jene, die im Labyrinth des Teufels gefangen sind, ist die Hölle der einzige Ausweg.
Lese-Probe zu „Das Teufelslabyrinth “
Das Teufelslabyrinth von John Saul Aus dem Amerikanischen von Christine Drabusenigg-Roth
Prolog
Spanien 1975
Der ältere Junge gab dem jüngeren einen aufmunternden
Klaps auf den Rücken. »Und, bist du bereit, Paquito?«
Der Jüngere schluckte seine Tränen hinunter und nickte
tapfer, wollte seinen Bruder nicht merken lassen, wie
traurig er war. Er wich seinem Blick aus und starrte stattdessen
den Pappkarton in seinen Händen an, den er so
fest umklammerte, dass sich die Seitenteile bereits nach
innen bogen.
»Na, dann mal los.« Der ältere Junge trug eine rostige
Schaufel über der Schulter, die er aus dem alten Gartenhaus
hinter dem ehemaligen Stall mitgenommen hatte,
den ihre Eltern zu einer kleinen Ferienwohnung umgebaut
hatten und jetzt an Americanos vermieteten. Er ging
voraus durch den überwucherten Garten zu einer Stelle
zwischen drei Palmen, die bisher von dem dichten Gestrüpp
verschont geblieben war, das überall sonst schneller
nachzuwachsen schien, als es die beiden Brüder zurückschneiden
konnten. »Hier, okay?«
Der kleinere Junge sah sich die vorgeschlagene Stelle
genau an, doch dann wanderte sein Blick zu der kleinen
Grotte, die kaum sichtbar im hintersten Winkel des Gartens
im Schatten der hohen Bäume stand. »Nein«, meinte
er dann leise, aber bestimmt. »Dort hinten. Neben der
Heiligen Jungfrau.«
... mehr
Der Ältere der beiden seufzte, marschierte dann aber
weiter auf die Marienstatuette zu. Als er sich umschaute,
sah er ihre Mutter in der Tür stehen, ein rotes Tuch um
das schwer zu bändigende Haar geschlungen und einen
Putzlappen in der Hand. Im ersten Moment dachte er, sie
würde ihnen etwas zurufen, doch sie zuckte nur mit den
Achseln und machte sich wieder an ihre Arbeit, noch ehe
er die Schaufel in die Erde gerammt und den ersten Erdklumpen
herausgehebelt hatte. »Gute Idee«, befand er.
»Die Heilige Jungfrau wird Pepe beschützen.«
»Meinst du, ich hätte ihn in einen sudario wickeln sollen?«,
fragte der kleinere Junge besorgt.
»Quatsch, Leichentücher nimmt man nur bei Menschen«,
erklärte ihm sein Bruder.
Ohne richtig hinzuhören, öffnete der Jüngere den Karton
und betrachtete noch einmal den leblosen Körper des
Iguanas darin, der seit über drei Jahren sein Haustier gewesen
war. Praktisch, so lange er denken konnte.
Mit zitternden Fingern streichelte er die weiche Haut
an Pepes Bein, die sich völlig anders anfühlte als noch
am Tag zuvor.
Ja, Pepe fühlte sich ... tot an.
Aber das war nicht schlimm. Jesus würde sich um Pepe
kümmern, er kümmerte sich um alle Lebewesen, sagten
die Nonnen. Na ja, vielleicht doch nicht, weil die Nonnen
auch behaupteten, dass Jesus sich nur um Katholiken kümmerte.
Alle anderen würden zur ... Hölle fahren.
Er brachte es kaum über sich, das Wort auszusprechen,
nicht einmal in Gedanken, und spürte plötzlich, wie ihn
eine Hitze durchfuhr, die noch sengender war als die spanische
Sonne an diesem Nachmittag.
Und dann, gerade als er den Deckel wieder auf den
alten Schuhkarton drückte, der als Pepes Sarg diente, stieß
sein Bruder mit der Schaufel auf etwas Hartes.
Ein Stein, dachte er zunächst, aber es war kein Stein,
wie er gleich feststellte.
Es war etwas anderes. Etwas Metallenes.
Der ältere Junge kniete sich hin.
Der Jüngere stellte den Schuhkarton mit dem Iguana
im schützenden Schatten der Gartenmauer ab und beobachtete
gespannt, wie sein Bruder mit den Händen in der
Erde wühlte und kurz darauf eine verrostete Metallkassette
ausgrub, auf der ein Kreuz eingraviert war.
»Die ist für mich«, flüsterte er. »Ein Geschenk der
Heiligen Jungfrau Maria, weil ich ihr Pepe anvertraue.«
Der Ältere lächelte seinen kleinen Bruder an. »Weißt
du was?«, sagte er und bemerkte, dass dessen Tränen
endlich versiegt waren. »Ich glaube, du könntest Recht
haben!« Während er mit der Hand die Erde von der Kassette
fegte, warf er schnell noch einen Blick hinüber zum
Haus, um sich zu vergewissern, dass ihre Mutter sie nicht
beobachtete, ehe er den kostbaren Fund behutsam neben
dem Erdloch abstellte. »Nimm Pepe aus dem Karton.«
»Aus dem Karton?«, wiederholte der kleinere Junge
überrascht.
»Ja, mach schnell, bevor Mama kommt.«
Mit skeptisch gerunzelter Stirn hob der Kleine seinen
geliebten Pepe aus dem Schuhkarton und bettete ihn behutsam
in das Grab, das sein Bruder für ihn ausgehoben
hatte, während dieser die Kassette in den Karton packte
und den Deckel schloss.
Dann legte er die Hände zum Gebet aneinander und
senkte den Kopf. »Santa Maria«, flüsterte er, »beschütze
unseren lieben Freund.« Anschließend bekreuzigten sich
beide, und kurz darauf war das Loch wieder mit Erde
aufgefüllt und diese festgedrückt, so dass von dem Grab
kaum etwas zu sehen war.
»Erzähl ja niemandem, was wir im Garten gefunden
haben«, ermahnte der ältere Bruder den jüngeren.
»Warum nicht?«
»Weil es unser Geheimnis ist, zumindest so lange, bis
wir wissen, was da drin ist. Und jetzt komm. Geh schon
mal in die Küche. Ich nehme die Kassette und stelle die
Schaufel zurück. Wir treffen uns oben in deinem Zimmer.
Okay?«
Durch die aufregende Verschwörung ein wenig von
seiner Trauer abgelenkt, nickte der kleine Junge eifrig
und trottete auf das Haus zu.
Die Mutter, die ein Lied trällerte, das gerade im Radio
lief, fing ihren Jüngsten an der Küchentür ab, nahm ihn
in den Arm, gab ihm einen Kuss und strich ihm das Haar
aus der Stirn. »Mi pequeño - mein Kleiner«, tröstete sie
ihn. »Sei nicht traurig. Du weißt doch, dass er jetzt bei
Jesus und der Heiligen Jungfrau Maria ist.«
»Sí, Mama«, murmelte der Junge, obschon er davon
nicht wirklich überzeugt war. Was, wenn die Nonnen
doch Recht hatten und nur Katholiken in den Himmel
kamen?
Als seine Mutter ihn aus ihrer Umarmung entließ,
flitzte er die Steintreppe hinauf ins Obergeschoss und
lief in sein Zimmer, wo sein Bruder bereits auf ihn wartete.
Die geheimnisvolle Kassette, die sie gefunden hatten,
stand mitten auf seinem Bett. An der Stelle, wo die
Schaufel daran abgeprallt war, schimmerte das Metall unter
den Kratzern silbern.
Vorsichtig lockerte der ältere Bruder den Deckel, bis
er so lose saß, dass er ihn abheben konnte. Zum Vor-
schein kam ein zerschlissener Stoffbeutel, aus dem ein
hölzerner Stab ragte.
»Du musst ganz vorsichtig sein«, mahnte der ältere
Junge, als sein Bruder die Hand nach dem Beutel ausstreckte,
denn kaum hatte er diesen mit zitternden Fingern
berührt, begann der fadenscheinige Stoff zu zerfallen.
»Mach du das lieber«, meinte der Kleine erschrocken
und zog die Hand zurück.
Vorsichtig zupfte der ältere der beiden Brüder die Stoffreste
ab, bis eine Art gelbliches Papier zum Vorschein
kam, das um den Holzstab gewickelt war.
Doch als er den seltsamen Gegenstand in die Hand
nahm, zerkrümelte der Stab, genau wie der Stoff, in den
er eingewickelt war.
Doch die Rolle selbst bestand aus einem festeren Material
- es sah zwar sehr dünn und spröde aus, blieb aber
intakt.
»Piel curtido«, flüsterte er. Schafsleder. Vorsichtig nahm
er den länglichen Gegenstand aus der Kassette und rollte
ihn so weit auf, bis sie beide erkennen konnten, dass das
Leder mit eigenartigen Ornamenten beschriftet war.
»Eine Karte«, hauchte der kleinere Junge kaum hörbar.
»Ich wette, das ist eine Schatzkarte.«
Der Bruder entrollte das Pergament noch ein Stück
weiter und entdeckte an den Rändern aneinandergereihte
Zeichen, die wie Worte aussahen. »Das kann ich nicht
lesen«, sagte er. »Es ist in einer anderen Sprache geschrieben.
Und in einer fremden Schrift.« Er rollte das geheimnisvolle
Schriftstück wieder zusammen und legte es in
die Kassette zurück. »Ich glaube, das Ding ist uralt.«
»Der Schatz gehört mir«, erklärte der kleine Junge.
»Nein, mein Lieber, er gehört uns«, widersprach der
Ältere der beiden und setzte den verbeulten und rostigen
Deckel auf die Kassette. »Aber du darfst die Karte in
deinem Schrank verstecken.«
Später am Abend, allein in seinem Zimmer und immer
noch hellwach, lag der jüngere der beiden Brüder in seinem
Bett und dachte über die Metallkassette und die
seltsame Schriftrolle nach. Das war ganz bestimmt ein
Geschenk der Heiligen Jungfrau Maria - da war er sich
ganz sicher. Hatte sie ihn nicht genau an diese Stelle geführt,
wo die Kassette lag, um Pepe zu begraben, obwohl
sein Bruder das Grab zwischen den drei Palmen hatte
ausheben wollen?
Diese Schatzkiste und ihr Inhalt waren seine Belohnung
dafür, dass er auf die Heilige Muttergottes gehört
und ihre Anweisungen befolgt hatte.
Er schlüpfte aus dem Bett, schlich zu seinem Kleiderschrank
und machte ganz leise die Türen auf. Mit der
Metallkassette in der Hand tappte er gleich darauf zurück
in sein Bett, wo er im Schein der Nachttischlampe
vorsichtig den Deckel abhob, genau wie es sein Bruder
am Nachmittag getan hatte.
Das Pergament leuchtete ihm golden entgegen, beinahe
wie von einer unsichtbaren Lampe angestrahlt. Sorgsam
wischte er sich vorher die schwitzenden Finger an seiner
Schlafanzughose ab, ehe er die Schriftrolle mit den Fingerspitzen
heraushob und langsam auseinanderzog.
Schriftzeichen, die er nicht verstand, reihten sich in
akkuraten Zeilen, und obgleich das alte Pergament fleckig
war, war die Tinte an keiner Stelle verblasst.
Lange betrachtete er die seltsamen Worte, die er nicht
entziffern konnte, aber schon bald wurde ihm klar, dass
sie, was auch immer sie bedeuten mochten, für ihn bestimmt
waren.
Und nur für ihn.
Sie waren so lange Zeit begraben gewesen - wie lange,
konnte er sich gar nicht vorstellen -, und sie hatten auf
ihn gewartet. Und als die Heilige Mutter Maria gesehen
hatte, dass er bereit dafür war, hatte sie ihn an eben diese
Stelle geführt und ihm dieses Geschenk gemacht.
Der Junge legte die Schriftrolle zurück in die Kassette
und verschloss sie wieder.
Ehrfürchtig zeichnete er mit dem Zeigefinger das Kruzifix
auf dem Deckel nach. Dabei war es eigentlich gar
keines - es war vielmehr nur die Stelle, wo einst ein Kruzifix
angebracht gewesen und entfernt worden war, wie
ein Stein aus seiner Fassung. Ja, auf dem Deckel der Kassette
hatte sich anscheinend einmal ein Kreuz befunden,
aber es war nicht mehr da.
Aber wo war es hingekommen? Vielleicht, wenn er nur
inständig genug betete, würde die Heilige Mutter Maria
ihn auch zu diesem Kruzifix führen, und dann könnte er
es wieder auf dem Deckel der Kassette anbringen, wo es
hingehörte.
»Ave Maria«, wisperte er, nahm die Kassette in beide
Hände und ging damit zum Fenster, um einen Blick auf
die Grotte zu werfen. Der Vollmond ergoss sein helles
Licht über das Gesicht der Heiligen Jungfrau, das jetzt
genauso silbern schimmerte wie die Kassette, die er in
seinen Händen hielt. Und über ihr am nächtlichen Himmel
blinkten und glitzerten eine Million Sterne.
»Ich werde lernen, das zu entziffern, Heilige Mutter
Maria«, flüsterte der Junge. »Ich werde lernen, diese Worte
zu verstehen, und alles tun, was du von mir verlangst.«
Kuwait 1991
Gelb.
Alles war gelb. Nicht nur die Wüste; nicht nur die
Sonne. Alles.
Der Himmel.
Die Hitze selbst.
Alles - gelb.
Bis vor ein paar Minuten war es noch auszuhalten gewesen.
Da war wenigstens der Himmel noch blau gewesen
- nur blassblau zwar, längst nicht so strahlend blau
wie zu Hause, aber immerhin so, wie ein Himmel aussehen
sollte. Doch gleich darauf hatte sich alles verändert.
Der Wind war stärker geworden, und über dem Himmel
hatte sich ein Schleier ausgebreitet, so gelb wie Kamelpisse.
Als dann Sekunden später ein Sandsturm über die Wüste
fegte, hielt der Konvoi an, so dass es den Anschein hatte,
als duckten sich die Truppenfahrzeuge vor dieser heulenden
Naturgewalt, die mit unglaublicher Geschwindigkeit
auf sie zu gerast kam. Auch die Männer, die die Sand-
walze nicht sehen konnten - diejenigen, die hinten im
Lastwagen saßen, wo zumindest eine Segeltuchplane sie
vor diesem mattgelben Alptraum schützte -, schienen in
sich zusammenzusinken, ihre Gliedmaßen einzuziehen,
wie eine Schildkröte es getan hätte, wäre sie so dumm
gewesen, sich von einem Sandsturm überraschen zu lassen.
Doch als die gelbe Wand den Konvoi umschloss und
auf ihn niederstürzte, gewann der Sturm eine bizarr anmutende
Schönheit - eine so seltene Schönheit, dass der
Mann ganz hinten in dem Transporter sich aus seiner
gebückten Schutzhaltung erhob und nach seiner Kamera
griff. Er schwang die Beine über den hinteren Ausstieg,
sprang aus dem Wagen und rannte in den Windschatten
des Transporters. Die Karosserie hielt den Sturm gerade
so weit ab, dass er sich aufrichten konnte, doch die Sandkörner
peitschten ihm gnadenlos ins Gesicht.
Ohne auf die Schmerzen zu achten, drückte er den
Auslöser, spürte, wie die Kamera bei jedem Bild in seinen
Händen vibrierte.
Den Finger auf dem Auslöser, drehte er sich nach rechts
und nach links, fing ein gelbliches Bild nach dem anderen
ein. Und plötzlich glaubte er im Augenwinkel einen
Schatten wahrgenommen zu haben.
Ein Mann?
Er drehte sich um, versuchte die Gestalt durch den Sucher
zu fokussieren, doch in dem Augenblick, als sie sich
zu bewegen begann, erkannte er seinen Fehler.
Erkannte ihn und versuchte ihn noch zu korrigieren.
Zu spät.
Die Kugel traf ihn in die Brust, gerade als er sich zu
Boden fallen ließ.
Die Kamera entglitt seinen Händen, fiel in den Sand
und rutschte unter den Lastwagen.
Er starrte hinab auf seine Brust, die seltsamerweise
trotz der Wucht des Einschlags überhaupt nicht schmerzte,
und wunderte sich, was ihn getroffen haben mochte. Sekunden
später, als sich ein dunkelroter Fleck auf seinem
Khakihemd ausbreitete, da wusste er es.
Er wollte um Hilfe rufen, doch die Worte ertranken in
dem Blut, das seine Mundhöhle füllte. Und als er auszuspucken
versuchte, spie er gegen eine Sturmwand an, die
Blut und Speichel mit Sand und Staub vermischte.
Er würde sterben.
Würde hier in dieser Wüste sterben, inmitten eines tobenden
Sandsturms. Noch einmal öffnete er den Mund,
um seine Kameraden zu alarmieren, wusste jedoch, dass
dieser Ruf viel zu spät kam.
Es dauerte nicht lange, da begann sich ein Gefühl der
Gelassenheit in ihm auszubreiten, so als ob die unendliche
Ruhe des Todes ihn bereits umarmte.
Rasselnd rang er nach Luft, musste husten, kämpfte
um den nächsten Atemzug.
Ein Atemzug, der Stunden - eine Ewigkeit - entfernt
zu sein schien.
Schließe Frieden.
Dieser Gedanke kam ihm inmitten zweier Stürme, die
in ihm und um ihn herum tobten - der eine der Kampf
seiner Organe ums Überleben, der andere, der keinen anderen
Zweck zu verfolgen schien, als ihn in den Sand zu
zwingen.
Schließe Frieden.
Er verspürte keinerlei Schmerzen, doch seine Gedanken
ließen sich nicht mehr lenken. Sein kollabierender
Körper verlangte zu viel Aufmerksamkeit, obschon sein
Geist wusste, dass es wichtigere Dinge gab, die es noch
zu erledigen galt. Plötzlich schien sein Körper nur mehr
ein lästiger Ballast zu sein, der alles wirklich Wichtige
behinderte.
Er hatte noch einiges zu erledigen.
Er musste beten.
Musste Frieden schließen.
Obwohl er nicht auf diese Art hätte sterben sollen.
Nicht so jung, nicht jetzt, wo es noch so viel zu tun gäbe.
Aber es passierte wieder.
Er starb, wie sein Vater gestorben war.
Und wie auch sein Großvater gestorben war.
Das Tosen des Sturms drang kaum noch zu ihm vor,
seine Gedanken wandten sich von seinem Körper ab, bis
ihm schließlich bewusst wurde, dass seine Verletzung und
auch die leichten Schmerzen immer mehr an Bedeutung
verloren. Er spürte nur noch eine angenehme Mattheit,
die sprichwörtliche Leichtigkeit des Seins.
Schließe Frieden.
Beinahe wie von selbst fanden seine Finger den Weg
zu seiner Brust; zu dem Kruzifix, das seit Generationen
von den Männern seiner Familie getragen wurde.
Das Kruzifix, das sie eigentlich beschützen sollte.
Das aber niemals auch nur einen von ihnen zu beschützen
vermocht hatte.
Keinem von ihnen geholfen hatte zu überleben, ein
Kind groß werden zu sehen oder dass ein Enkelkind auf
die Welt kam.
Mit letzter Kraft riss er sich das Kreuz vom Hals.
Gleich darauf spürte er Hände auf sich, ein Soldat beugte
sich über ihn, schrie etwas gegen den heulenden Wind.
Aber es war zu spät.
Viel zu spät.
Er drückte dem Soldaten das Kruzifix in die Hand, und
im gleichen Moment spürte er, wie sich ewiger Frieden
über seine Seele legte.
»Beschütze ...«, wisperte er, »... Sohn ...«
Dann schloss er die Augen und überließ sich dem Tod.
1
2007
Ryan McIntyre hob seine Müslischüssel an die Lippen
und schlürfte den Rest süße Milch, genau wie er es die
letzten vierzehn seiner sechzehn Lebensjahre gemacht
hatte, wobei er wie immer die tadelnde Miene seiner
Mutter ignorierte. Nach einem raschen Blick auf die Uhr
stopfte er sich das letzte Stück seiner dritten Scheibe
Toast in den Mund, stand vom Tisch auf und trug seine
Schüssel und den Teller in die Küche. Ihm blieb gerade
noch genug Zeit, um sich seine Bücher zu schnappen
und zur Bushaltestelle zu flitzen.
»Hast du heute nach der Schule etwas vor?«, fragte
ihn seine Mutter.
Ihr Tonfall ließ Ryan sofort aufhorchen. »Warum?«,
erwiderte er, während er das Geschirr in die Spüle stellte.
»Weil wir heute Abend essen gehen und ich möchte,
dass du um halb sechs zu Hause bist.«
Ryan verzog das Gesicht, sah seinen Tag schon überschattet.
Aber vielleicht täuschte er sich auch. »Zum Abendessen?«,
wiederholte er und drehte sich zu seiner Mutter um.
»Nur wir zwei?«
Teri McIntyre drehte sich ebenfalls um und sah ihren
Sohn an. »Mit Tom«, sagte sie. »Er lädt uns beide zum
Essen ein, und deshalb möchte ich, dass du um halb sechs
zu Hause bist. Okay?« Dieses letzte »Okay« hörte sich
an, als wüsste sie sehr genau, dass es für ihn ganz und gar
nicht okay war. Was seine nächsten Worte auch prompt
bestätigten.
»Ich will aber nicht mit Tom Kelly essen gehen«, sagte
Ryan und ärgerte sich sogleich über den weinerlichen
Klang seiner Stimme. Nachdem er tief Luft geholt hatte,
setzte er noch einmal an. »Ich mag es nicht, dass er ständig
hier herumhängt. Mir scheint, er versucht dich anzubaggern.«
»Er baggert mich nicht an«, widersprach Teri, wobei
ihre Augen ihren Sohn ebenso anflehten wie ihre Stimme.
»Er hilft uns nur jetzt in dieser sehr schwierigen Zeit.«
»Er hilft dir in deiner sehr schwierigen Zeit«, schoss
Ryan in einem Tonfall zurück, der seine Mutter unwillkürlich
zusammenzucken ließ.
»Er möchte dir auch gerne helfen«, setzte Teri nach.
Ihre Augen wurden feucht.
»Ich brauche seine Hilfe nicht.« Ryan ging zur Treppe.
»Und ich brauche erst recht niemand, der versucht, mir
meinen Dad zu ersetzen.«
»Das will er ganz bestimmt nicht, Ryan«, gab Teri mit
bebender Stimme zurück. »Das könnte niemand.«
Mit den letzten Worten seiner Mutter im Kopf rannte
Ryan die Treppe hinauf in sein Zimmer. Verdammt richtig,
niemand könnte seinen Vater ersetzen, und schon gar
nicht dieser Tom Kelly, der inzwischen ständig bei ihnen
im Haus herumlungerte und versuchte, nett zu sein.
Während Ryan die Schulbücher auf seinem Schreibtisch
zusammensuchte und einpackte, fiel sein Blick auf
das Foto seines Vaters, das er neben seiner Schreibtischlampe
aufgestellt hatte.
Er hielt inne, betrachtete die Augen seines Vaters, die
ihn auf einmal so intensiv ansahen, als wollte er ihm etwas
sagen. Werde erwachsen, schien sein Vater zu sagen. Du
bist schon sechzehn und schlürfst immer noch die Milch
aus deiner Müslischüssel wie ein Zweijähriger. Es ist Zeit,
dass du ein Mann wirst.
Mit dem Rucksack in der Hand stand Ryan ganz still
da, während der Blick seines Vaters immer eindringlicher
wurde.
Werde erwachsen. Und sei immer anständig und aufrichtig.
Anständig und aufrichtig. Die Worte, die er am häufigsten
von seinem Vater zu hören bekommen hatte.
Ryan seufzte und ergab sich dem stummen Befehl seines
Vaters. Wenn er wirklich absolut aufrichtig sein wollte,
musste er zugeben, dass Tom eigentlich gar nicht so übel
war. Tatsache war, dass er seiner Mutter im vergangenen
Jahr sehr oft geholfen hatte. Als der Wagen zusammengebrochen
war, hatte Tom ihn wieder flottgemacht. Als
das Dach leckte, hatte Tom einen Handwerker besorgt
und zugesehen, dass seine Mutter nicht übers Ohr gehauen
wurde. Und als der Keller unter Wasser stand,
hatte Tom mit angepackt, die ganzen Sachen nach oben
geschleppt und anschließend auch beim Saubermachen
geholfen; und kein Wort darüber verloren, dass Ryan
während jenes langen Tages nicht einmal mit ihm geredet
hatte.
Trotzdem, niemand könnte ihm seinen Dad je ersetzen.
Zwei Jahre waren vergangen, seit sein Vater den Einsatzbefehl
in den Irak erhalten hatte, und nur wenige Wochen
später war der Humvee, in dem er saß, von einer
Mine in die Luft gesprengt worden. Wenn er das Foto
seines Vaters nicht vor Augen hatte, fiel es Ryan inzwischen
immer schwerer, sich genau an dessen Gesichtszüge
zu erinnern. Doch in diesem Moment stand er vor
dem Bild seines Vaters und konnte in seinem Gesicht
ganz deutlich lesen, was Captain William James McIntyre
von seinem Sohn erwartete.
Er warf sich auf sein Bett und überlegte, ob er nicht
doch mit seiner Mutter und Tom essen gehen sollte.
Seine Mutter betonte immer wieder, dass die Tatsache,
dass sie Tom mochte, überhaupt nichts mit ihrer Liebe
zu seinem Vater zu tun habe, doch Ryan nahm ihr das
nicht ganz ab. Und abgesehen von seiner eigenen Entschlossenheit,
den Platz seines Vaters in diesem Haus
freizuhalten - in dieser Familie -, stand es seiner Mutter
natürlich frei, diesen Platz mit einem anderen Mann zu
besetzen.
Aber wenn sich das alles nun als schrecklicher Irrtum
erweisen sollte? Was, wenn sein Vater an einem dieser
Tage plötzlich ins Haus spaziert käme und riefe: »Liebling,
ich bin wieder da!«
Doch als Ryan noch einmal das Foto betrachtete, erinnerte
er sich daran, was sein Vater ihm am Tag seines
Abflugs in den Irak eingeschärft hatte: »Jetzt bist du
der Mann im Haus, Ryan, und ich erwarte von dir, dass
du dich gut um deine Mutter kümmerst. Ich kann nicht
sagen, wie lange der Einsatz dauern wird, aber ich weiß,
dass die Zeit für deine Mutter schwerer werden wird als
für mich. Deshalb stehst du ihr zur Seite, okay?«
Ryan hatte genickt. Sie hatten sich umarmt. Dann hatte
sein Vater sich auf den Weg gemacht.
Seine Worte jedoch hatten sich Ryan tief ins Gedächtnis
gebrannt, waren noch immer so präsent wie an dem
Tag, als er sie ausgesprochen hatte. Du stehst ihr zur Seite.
Als er den Blick vom Bild seines Vaters abwandte und
in den Spiegel über seiner Kommode sah, bemerkte er
seinen mürrischen Gesichtsausdruck.
Das ist nicht gut, ermahnte er sich. Und wiederholte
noch einmal im Stillen die Worte seines Vaters: Steh ihr
zur Seite. Und sei immer anständig und aufrichtig.
Er warf sich seinen Rucksack über die Schulter und
rannte die Treppe hinunter. Seine Mutter saß noch am
Küchentisch und hielt ihre Kaffeetasse mit beiden Händen
umfasst.
»Bin spätestens um halb sechs wieder da«, sagte er
und küsste seine Mutter auf die Wange.
Das Lächeln, das daraufhin ihr Gesicht erhellte, sagte
ihm, dass er genau das getan hatte, was sein Vater
von ihm erwartet hätte, ganz gleich, was er selbst insgeheim
dachte. Nachdem er seiner Mutter noch einen
Kuss auf die andere Wange gedrückt hatte, sicherheitshalber,
sauste er durch die Haustür, genau in dem Moment,
als der Schulbus an der Straßenecke stehen blieb.
Okay, Dad, dachte er. Ich habe das Richtige getan. Jetzt
sorge du bitte dafür, dass der Busfahrer auf mich wartet!
Doch obschon er einen rasanten Spurt hinlegte, musste
er mit ansehen, wie sich die Türen des Busses schlossen
und dieser ohne ihn abfuhr.
Die Wände des Klassenzimmers im zweiten Stock der
Dickinson High School, von denen überall die Farbe abblätterte,
rückten immer näher auf Ryan zu, so kam es
ihm jedenfalls vor, während er mit dem Rest der Klasse
über einem Geschichtstest brütete. Und gleichzeitig spürte
er, dass Frankie Alito, der direkt hinter ihm saß, versuchte,
einen Blick über seine Schulter zu erhaschen.
Vollständige deutsche Erstausgabe 02/2011
Copyright © 2007 by John Saul
Copyright © 2011 der deutschsprachigen Ausgabe
by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House
Printed in Germany 2011
Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München,
unter Verwendung eines Fotos von © shutterstock/Ecoesis
Satz: C. Schaber Datentechnik, Wels
Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN: 978-3-453-43513-1
www.heyne.de
Der Ältere der beiden seufzte, marschierte dann aber
weiter auf die Marienstatuette zu. Als er sich umschaute,
sah er ihre Mutter in der Tür stehen, ein rotes Tuch um
das schwer zu bändigende Haar geschlungen und einen
Putzlappen in der Hand. Im ersten Moment dachte er, sie
würde ihnen etwas zurufen, doch sie zuckte nur mit den
Achseln und machte sich wieder an ihre Arbeit, noch ehe
er die Schaufel in die Erde gerammt und den ersten Erdklumpen
herausgehebelt hatte. »Gute Idee«, befand er.
»Die Heilige Jungfrau wird Pepe beschützen.«
»Meinst du, ich hätte ihn in einen sudario wickeln sollen?«,
fragte der kleinere Junge besorgt.
»Quatsch, Leichentücher nimmt man nur bei Menschen«,
erklärte ihm sein Bruder.
Ohne richtig hinzuhören, öffnete der Jüngere den Karton
und betrachtete noch einmal den leblosen Körper des
Iguanas darin, der seit über drei Jahren sein Haustier gewesen
war. Praktisch, so lange er denken konnte.
Mit zitternden Fingern streichelte er die weiche Haut
an Pepes Bein, die sich völlig anders anfühlte als noch
am Tag zuvor.
Ja, Pepe fühlte sich ... tot an.
Aber das war nicht schlimm. Jesus würde sich um Pepe
kümmern, er kümmerte sich um alle Lebewesen, sagten
die Nonnen. Na ja, vielleicht doch nicht, weil die Nonnen
auch behaupteten, dass Jesus sich nur um Katholiken kümmerte.
Alle anderen würden zur ... Hölle fahren.
Er brachte es kaum über sich, das Wort auszusprechen,
nicht einmal in Gedanken, und spürte plötzlich, wie ihn
eine Hitze durchfuhr, die noch sengender war als die spanische
Sonne an diesem Nachmittag.
Und dann, gerade als er den Deckel wieder auf den
alten Schuhkarton drückte, der als Pepes Sarg diente, stieß
sein Bruder mit der Schaufel auf etwas Hartes.
Ein Stein, dachte er zunächst, aber es war kein Stein,
wie er gleich feststellte.
Es war etwas anderes. Etwas Metallenes.
Der ältere Junge kniete sich hin.
Der Jüngere stellte den Schuhkarton mit dem Iguana
im schützenden Schatten der Gartenmauer ab und beobachtete
gespannt, wie sein Bruder mit den Händen in der
Erde wühlte und kurz darauf eine verrostete Metallkassette
ausgrub, auf der ein Kreuz eingraviert war.
»Die ist für mich«, flüsterte er. »Ein Geschenk der
Heiligen Jungfrau Maria, weil ich ihr Pepe anvertraue.«
Der Ältere lächelte seinen kleinen Bruder an. »Weißt
du was?«, sagte er und bemerkte, dass dessen Tränen
endlich versiegt waren. »Ich glaube, du könntest Recht
haben!« Während er mit der Hand die Erde von der Kassette
fegte, warf er schnell noch einen Blick hinüber zum
Haus, um sich zu vergewissern, dass ihre Mutter sie nicht
beobachtete, ehe er den kostbaren Fund behutsam neben
dem Erdloch abstellte. »Nimm Pepe aus dem Karton.«
»Aus dem Karton?«, wiederholte der kleinere Junge
überrascht.
»Ja, mach schnell, bevor Mama kommt.«
Mit skeptisch gerunzelter Stirn hob der Kleine seinen
geliebten Pepe aus dem Schuhkarton und bettete ihn behutsam
in das Grab, das sein Bruder für ihn ausgehoben
hatte, während dieser die Kassette in den Karton packte
und den Deckel schloss.
Dann legte er die Hände zum Gebet aneinander und
senkte den Kopf. »Santa Maria«, flüsterte er, »beschütze
unseren lieben Freund.« Anschließend bekreuzigten sich
beide, und kurz darauf war das Loch wieder mit Erde
aufgefüllt und diese festgedrückt, so dass von dem Grab
kaum etwas zu sehen war.
»Erzähl ja niemandem, was wir im Garten gefunden
haben«, ermahnte der ältere Bruder den jüngeren.
»Warum nicht?«
»Weil es unser Geheimnis ist, zumindest so lange, bis
wir wissen, was da drin ist. Und jetzt komm. Geh schon
mal in die Küche. Ich nehme die Kassette und stelle die
Schaufel zurück. Wir treffen uns oben in deinem Zimmer.
Okay?«
Durch die aufregende Verschwörung ein wenig von
seiner Trauer abgelenkt, nickte der kleine Junge eifrig
und trottete auf das Haus zu.
Die Mutter, die ein Lied trällerte, das gerade im Radio
lief, fing ihren Jüngsten an der Küchentür ab, nahm ihn
in den Arm, gab ihm einen Kuss und strich ihm das Haar
aus der Stirn. »Mi pequeño - mein Kleiner«, tröstete sie
ihn. »Sei nicht traurig. Du weißt doch, dass er jetzt bei
Jesus und der Heiligen Jungfrau Maria ist.«
»Sí, Mama«, murmelte der Junge, obschon er davon
nicht wirklich überzeugt war. Was, wenn die Nonnen
doch Recht hatten und nur Katholiken in den Himmel
kamen?
Als seine Mutter ihn aus ihrer Umarmung entließ,
flitzte er die Steintreppe hinauf ins Obergeschoss und
lief in sein Zimmer, wo sein Bruder bereits auf ihn wartete.
Die geheimnisvolle Kassette, die sie gefunden hatten,
stand mitten auf seinem Bett. An der Stelle, wo die
Schaufel daran abgeprallt war, schimmerte das Metall unter
den Kratzern silbern.
Vorsichtig lockerte der ältere Bruder den Deckel, bis
er so lose saß, dass er ihn abheben konnte. Zum Vor-
schein kam ein zerschlissener Stoffbeutel, aus dem ein
hölzerner Stab ragte.
»Du musst ganz vorsichtig sein«, mahnte der ältere
Junge, als sein Bruder die Hand nach dem Beutel ausstreckte,
denn kaum hatte er diesen mit zitternden Fingern
berührt, begann der fadenscheinige Stoff zu zerfallen.
»Mach du das lieber«, meinte der Kleine erschrocken
und zog die Hand zurück.
Vorsichtig zupfte der ältere der beiden Brüder die Stoffreste
ab, bis eine Art gelbliches Papier zum Vorschein
kam, das um den Holzstab gewickelt war.
Doch als er den seltsamen Gegenstand in die Hand
nahm, zerkrümelte der Stab, genau wie der Stoff, in den
er eingewickelt war.
Doch die Rolle selbst bestand aus einem festeren Material
- es sah zwar sehr dünn und spröde aus, blieb aber
intakt.
»Piel curtido«, flüsterte er. Schafsleder. Vorsichtig nahm
er den länglichen Gegenstand aus der Kassette und rollte
ihn so weit auf, bis sie beide erkennen konnten, dass das
Leder mit eigenartigen Ornamenten beschriftet war.
»Eine Karte«, hauchte der kleinere Junge kaum hörbar.
»Ich wette, das ist eine Schatzkarte.«
Der Bruder entrollte das Pergament noch ein Stück
weiter und entdeckte an den Rändern aneinandergereihte
Zeichen, die wie Worte aussahen. »Das kann ich nicht
lesen«, sagte er. »Es ist in einer anderen Sprache geschrieben.
Und in einer fremden Schrift.« Er rollte das geheimnisvolle
Schriftstück wieder zusammen und legte es in
die Kassette zurück. »Ich glaube, das Ding ist uralt.«
»Der Schatz gehört mir«, erklärte der kleine Junge.
»Nein, mein Lieber, er gehört uns«, widersprach der
Ältere der beiden und setzte den verbeulten und rostigen
Deckel auf die Kassette. »Aber du darfst die Karte in
deinem Schrank verstecken.«
Später am Abend, allein in seinem Zimmer und immer
noch hellwach, lag der jüngere der beiden Brüder in seinem
Bett und dachte über die Metallkassette und die
seltsame Schriftrolle nach. Das war ganz bestimmt ein
Geschenk der Heiligen Jungfrau Maria - da war er sich
ganz sicher. Hatte sie ihn nicht genau an diese Stelle geführt,
wo die Kassette lag, um Pepe zu begraben, obwohl
sein Bruder das Grab zwischen den drei Palmen hatte
ausheben wollen?
Diese Schatzkiste und ihr Inhalt waren seine Belohnung
dafür, dass er auf die Heilige Muttergottes gehört
und ihre Anweisungen befolgt hatte.
Er schlüpfte aus dem Bett, schlich zu seinem Kleiderschrank
und machte ganz leise die Türen auf. Mit der
Metallkassette in der Hand tappte er gleich darauf zurück
in sein Bett, wo er im Schein der Nachttischlampe
vorsichtig den Deckel abhob, genau wie es sein Bruder
am Nachmittag getan hatte.
Das Pergament leuchtete ihm golden entgegen, beinahe
wie von einer unsichtbaren Lampe angestrahlt. Sorgsam
wischte er sich vorher die schwitzenden Finger an seiner
Schlafanzughose ab, ehe er die Schriftrolle mit den Fingerspitzen
heraushob und langsam auseinanderzog.
Schriftzeichen, die er nicht verstand, reihten sich in
akkuraten Zeilen, und obgleich das alte Pergament fleckig
war, war die Tinte an keiner Stelle verblasst.
Lange betrachtete er die seltsamen Worte, die er nicht
entziffern konnte, aber schon bald wurde ihm klar, dass
sie, was auch immer sie bedeuten mochten, für ihn bestimmt
waren.
Und nur für ihn.
Sie waren so lange Zeit begraben gewesen - wie lange,
konnte er sich gar nicht vorstellen -, und sie hatten auf
ihn gewartet. Und als die Heilige Mutter Maria gesehen
hatte, dass er bereit dafür war, hatte sie ihn an eben diese
Stelle geführt und ihm dieses Geschenk gemacht.
Der Junge legte die Schriftrolle zurück in die Kassette
und verschloss sie wieder.
Ehrfürchtig zeichnete er mit dem Zeigefinger das Kruzifix
auf dem Deckel nach. Dabei war es eigentlich gar
keines - es war vielmehr nur die Stelle, wo einst ein Kruzifix
angebracht gewesen und entfernt worden war, wie
ein Stein aus seiner Fassung. Ja, auf dem Deckel der Kassette
hatte sich anscheinend einmal ein Kreuz befunden,
aber es war nicht mehr da.
Aber wo war es hingekommen? Vielleicht, wenn er nur
inständig genug betete, würde die Heilige Mutter Maria
ihn auch zu diesem Kruzifix führen, und dann könnte er
es wieder auf dem Deckel der Kassette anbringen, wo es
hingehörte.
»Ave Maria«, wisperte er, nahm die Kassette in beide
Hände und ging damit zum Fenster, um einen Blick auf
die Grotte zu werfen. Der Vollmond ergoss sein helles
Licht über das Gesicht der Heiligen Jungfrau, das jetzt
genauso silbern schimmerte wie die Kassette, die er in
seinen Händen hielt. Und über ihr am nächtlichen Himmel
blinkten und glitzerten eine Million Sterne.
»Ich werde lernen, das zu entziffern, Heilige Mutter
Maria«, flüsterte der Junge. »Ich werde lernen, diese Worte
zu verstehen, und alles tun, was du von mir verlangst.«
Kuwait 1991
Gelb.
Alles war gelb. Nicht nur die Wüste; nicht nur die
Sonne. Alles.
Der Himmel.
Die Hitze selbst.
Alles - gelb.
Bis vor ein paar Minuten war es noch auszuhalten gewesen.
Da war wenigstens der Himmel noch blau gewesen
- nur blassblau zwar, längst nicht so strahlend blau
wie zu Hause, aber immerhin so, wie ein Himmel aussehen
sollte. Doch gleich darauf hatte sich alles verändert.
Der Wind war stärker geworden, und über dem Himmel
hatte sich ein Schleier ausgebreitet, so gelb wie Kamelpisse.
Als dann Sekunden später ein Sandsturm über die Wüste
fegte, hielt der Konvoi an, so dass es den Anschein hatte,
als duckten sich die Truppenfahrzeuge vor dieser heulenden
Naturgewalt, die mit unglaublicher Geschwindigkeit
auf sie zu gerast kam. Auch die Männer, die die Sand-
walze nicht sehen konnten - diejenigen, die hinten im
Lastwagen saßen, wo zumindest eine Segeltuchplane sie
vor diesem mattgelben Alptraum schützte -, schienen in
sich zusammenzusinken, ihre Gliedmaßen einzuziehen,
wie eine Schildkröte es getan hätte, wäre sie so dumm
gewesen, sich von einem Sandsturm überraschen zu lassen.
Doch als die gelbe Wand den Konvoi umschloss und
auf ihn niederstürzte, gewann der Sturm eine bizarr anmutende
Schönheit - eine so seltene Schönheit, dass der
Mann ganz hinten in dem Transporter sich aus seiner
gebückten Schutzhaltung erhob und nach seiner Kamera
griff. Er schwang die Beine über den hinteren Ausstieg,
sprang aus dem Wagen und rannte in den Windschatten
des Transporters. Die Karosserie hielt den Sturm gerade
so weit ab, dass er sich aufrichten konnte, doch die Sandkörner
peitschten ihm gnadenlos ins Gesicht.
Ohne auf die Schmerzen zu achten, drückte er den
Auslöser, spürte, wie die Kamera bei jedem Bild in seinen
Händen vibrierte.
Den Finger auf dem Auslöser, drehte er sich nach rechts
und nach links, fing ein gelbliches Bild nach dem anderen
ein. Und plötzlich glaubte er im Augenwinkel einen
Schatten wahrgenommen zu haben.
Ein Mann?
Er drehte sich um, versuchte die Gestalt durch den Sucher
zu fokussieren, doch in dem Augenblick, als sie sich
zu bewegen begann, erkannte er seinen Fehler.
Erkannte ihn und versuchte ihn noch zu korrigieren.
Zu spät.
Die Kugel traf ihn in die Brust, gerade als er sich zu
Boden fallen ließ.
Die Kamera entglitt seinen Händen, fiel in den Sand
und rutschte unter den Lastwagen.
Er starrte hinab auf seine Brust, die seltsamerweise
trotz der Wucht des Einschlags überhaupt nicht schmerzte,
und wunderte sich, was ihn getroffen haben mochte. Sekunden
später, als sich ein dunkelroter Fleck auf seinem
Khakihemd ausbreitete, da wusste er es.
Er wollte um Hilfe rufen, doch die Worte ertranken in
dem Blut, das seine Mundhöhle füllte. Und als er auszuspucken
versuchte, spie er gegen eine Sturmwand an, die
Blut und Speichel mit Sand und Staub vermischte.
Er würde sterben.
Würde hier in dieser Wüste sterben, inmitten eines tobenden
Sandsturms. Noch einmal öffnete er den Mund,
um seine Kameraden zu alarmieren, wusste jedoch, dass
dieser Ruf viel zu spät kam.
Es dauerte nicht lange, da begann sich ein Gefühl der
Gelassenheit in ihm auszubreiten, so als ob die unendliche
Ruhe des Todes ihn bereits umarmte.
Rasselnd rang er nach Luft, musste husten, kämpfte
um den nächsten Atemzug.
Ein Atemzug, der Stunden - eine Ewigkeit - entfernt
zu sein schien.
Schließe Frieden.
Dieser Gedanke kam ihm inmitten zweier Stürme, die
in ihm und um ihn herum tobten - der eine der Kampf
seiner Organe ums Überleben, der andere, der keinen anderen
Zweck zu verfolgen schien, als ihn in den Sand zu
zwingen.
Schließe Frieden.
Er verspürte keinerlei Schmerzen, doch seine Gedanken
ließen sich nicht mehr lenken. Sein kollabierender
Körper verlangte zu viel Aufmerksamkeit, obschon sein
Geist wusste, dass es wichtigere Dinge gab, die es noch
zu erledigen galt. Plötzlich schien sein Körper nur mehr
ein lästiger Ballast zu sein, der alles wirklich Wichtige
behinderte.
Er hatte noch einiges zu erledigen.
Er musste beten.
Musste Frieden schließen.
Obwohl er nicht auf diese Art hätte sterben sollen.
Nicht so jung, nicht jetzt, wo es noch so viel zu tun gäbe.
Aber es passierte wieder.
Er starb, wie sein Vater gestorben war.
Und wie auch sein Großvater gestorben war.
Das Tosen des Sturms drang kaum noch zu ihm vor,
seine Gedanken wandten sich von seinem Körper ab, bis
ihm schließlich bewusst wurde, dass seine Verletzung und
auch die leichten Schmerzen immer mehr an Bedeutung
verloren. Er spürte nur noch eine angenehme Mattheit,
die sprichwörtliche Leichtigkeit des Seins.
Schließe Frieden.
Beinahe wie von selbst fanden seine Finger den Weg
zu seiner Brust; zu dem Kruzifix, das seit Generationen
von den Männern seiner Familie getragen wurde.
Das Kruzifix, das sie eigentlich beschützen sollte.
Das aber niemals auch nur einen von ihnen zu beschützen
vermocht hatte.
Keinem von ihnen geholfen hatte zu überleben, ein
Kind groß werden zu sehen oder dass ein Enkelkind auf
die Welt kam.
Mit letzter Kraft riss er sich das Kreuz vom Hals.
Gleich darauf spürte er Hände auf sich, ein Soldat beugte
sich über ihn, schrie etwas gegen den heulenden Wind.
Aber es war zu spät.
Viel zu spät.
Er drückte dem Soldaten das Kruzifix in die Hand, und
im gleichen Moment spürte er, wie sich ewiger Frieden
über seine Seele legte.
»Beschütze ...«, wisperte er, »... Sohn ...«
Dann schloss er die Augen und überließ sich dem Tod.
1
2007
Ryan McIntyre hob seine Müslischüssel an die Lippen
und schlürfte den Rest süße Milch, genau wie er es die
letzten vierzehn seiner sechzehn Lebensjahre gemacht
hatte, wobei er wie immer die tadelnde Miene seiner
Mutter ignorierte. Nach einem raschen Blick auf die Uhr
stopfte er sich das letzte Stück seiner dritten Scheibe
Toast in den Mund, stand vom Tisch auf und trug seine
Schüssel und den Teller in die Küche. Ihm blieb gerade
noch genug Zeit, um sich seine Bücher zu schnappen
und zur Bushaltestelle zu flitzen.
»Hast du heute nach der Schule etwas vor?«, fragte
ihn seine Mutter.
Ihr Tonfall ließ Ryan sofort aufhorchen. »Warum?«,
erwiderte er, während er das Geschirr in die Spüle stellte.
»Weil wir heute Abend essen gehen und ich möchte,
dass du um halb sechs zu Hause bist.«
Ryan verzog das Gesicht, sah seinen Tag schon überschattet.
Aber vielleicht täuschte er sich auch. »Zum Abendessen?«,
wiederholte er und drehte sich zu seiner Mutter um.
»Nur wir zwei?«
Teri McIntyre drehte sich ebenfalls um und sah ihren
Sohn an. »Mit Tom«, sagte sie. »Er lädt uns beide zum
Essen ein, und deshalb möchte ich, dass du um halb sechs
zu Hause bist. Okay?« Dieses letzte »Okay« hörte sich
an, als wüsste sie sehr genau, dass es für ihn ganz und gar
nicht okay war. Was seine nächsten Worte auch prompt
bestätigten.
»Ich will aber nicht mit Tom Kelly essen gehen«, sagte
Ryan und ärgerte sich sogleich über den weinerlichen
Klang seiner Stimme. Nachdem er tief Luft geholt hatte,
setzte er noch einmal an. »Ich mag es nicht, dass er ständig
hier herumhängt. Mir scheint, er versucht dich anzubaggern.«
»Er baggert mich nicht an«, widersprach Teri, wobei
ihre Augen ihren Sohn ebenso anflehten wie ihre Stimme.
»Er hilft uns nur jetzt in dieser sehr schwierigen Zeit.«
»Er hilft dir in deiner sehr schwierigen Zeit«, schoss
Ryan in einem Tonfall zurück, der seine Mutter unwillkürlich
zusammenzucken ließ.
»Er möchte dir auch gerne helfen«, setzte Teri nach.
Ihre Augen wurden feucht.
»Ich brauche seine Hilfe nicht.« Ryan ging zur Treppe.
»Und ich brauche erst recht niemand, der versucht, mir
meinen Dad zu ersetzen.«
»Das will er ganz bestimmt nicht, Ryan«, gab Teri mit
bebender Stimme zurück. »Das könnte niemand.«
Mit den letzten Worten seiner Mutter im Kopf rannte
Ryan die Treppe hinauf in sein Zimmer. Verdammt richtig,
niemand könnte seinen Vater ersetzen, und schon gar
nicht dieser Tom Kelly, der inzwischen ständig bei ihnen
im Haus herumlungerte und versuchte, nett zu sein.
Während Ryan die Schulbücher auf seinem Schreibtisch
zusammensuchte und einpackte, fiel sein Blick auf
das Foto seines Vaters, das er neben seiner Schreibtischlampe
aufgestellt hatte.
Er hielt inne, betrachtete die Augen seines Vaters, die
ihn auf einmal so intensiv ansahen, als wollte er ihm etwas
sagen. Werde erwachsen, schien sein Vater zu sagen. Du
bist schon sechzehn und schlürfst immer noch die Milch
aus deiner Müslischüssel wie ein Zweijähriger. Es ist Zeit,
dass du ein Mann wirst.
Mit dem Rucksack in der Hand stand Ryan ganz still
da, während der Blick seines Vaters immer eindringlicher
wurde.
Werde erwachsen. Und sei immer anständig und aufrichtig.
Anständig und aufrichtig. Die Worte, die er am häufigsten
von seinem Vater zu hören bekommen hatte.
Ryan seufzte und ergab sich dem stummen Befehl seines
Vaters. Wenn er wirklich absolut aufrichtig sein wollte,
musste er zugeben, dass Tom eigentlich gar nicht so übel
war. Tatsache war, dass er seiner Mutter im vergangenen
Jahr sehr oft geholfen hatte. Als der Wagen zusammengebrochen
war, hatte Tom ihn wieder flottgemacht. Als
das Dach leckte, hatte Tom einen Handwerker besorgt
und zugesehen, dass seine Mutter nicht übers Ohr gehauen
wurde. Und als der Keller unter Wasser stand,
hatte Tom mit angepackt, die ganzen Sachen nach oben
geschleppt und anschließend auch beim Saubermachen
geholfen; und kein Wort darüber verloren, dass Ryan
während jenes langen Tages nicht einmal mit ihm geredet
hatte.
Trotzdem, niemand könnte ihm seinen Dad je ersetzen.
Zwei Jahre waren vergangen, seit sein Vater den Einsatzbefehl
in den Irak erhalten hatte, und nur wenige Wochen
später war der Humvee, in dem er saß, von einer
Mine in die Luft gesprengt worden. Wenn er das Foto
seines Vaters nicht vor Augen hatte, fiel es Ryan inzwischen
immer schwerer, sich genau an dessen Gesichtszüge
zu erinnern. Doch in diesem Moment stand er vor
dem Bild seines Vaters und konnte in seinem Gesicht
ganz deutlich lesen, was Captain William James McIntyre
von seinem Sohn erwartete.
Er warf sich auf sein Bett und überlegte, ob er nicht
doch mit seiner Mutter und Tom essen gehen sollte.
Seine Mutter betonte immer wieder, dass die Tatsache,
dass sie Tom mochte, überhaupt nichts mit ihrer Liebe
zu seinem Vater zu tun habe, doch Ryan nahm ihr das
nicht ganz ab. Und abgesehen von seiner eigenen Entschlossenheit,
den Platz seines Vaters in diesem Haus
freizuhalten - in dieser Familie -, stand es seiner Mutter
natürlich frei, diesen Platz mit einem anderen Mann zu
besetzen.
Aber wenn sich das alles nun als schrecklicher Irrtum
erweisen sollte? Was, wenn sein Vater an einem dieser
Tage plötzlich ins Haus spaziert käme und riefe: »Liebling,
ich bin wieder da!«
Doch als Ryan noch einmal das Foto betrachtete, erinnerte
er sich daran, was sein Vater ihm am Tag seines
Abflugs in den Irak eingeschärft hatte: »Jetzt bist du
der Mann im Haus, Ryan, und ich erwarte von dir, dass
du dich gut um deine Mutter kümmerst. Ich kann nicht
sagen, wie lange der Einsatz dauern wird, aber ich weiß,
dass die Zeit für deine Mutter schwerer werden wird als
für mich. Deshalb stehst du ihr zur Seite, okay?«
Ryan hatte genickt. Sie hatten sich umarmt. Dann hatte
sein Vater sich auf den Weg gemacht.
Seine Worte jedoch hatten sich Ryan tief ins Gedächtnis
gebrannt, waren noch immer so präsent wie an dem
Tag, als er sie ausgesprochen hatte. Du stehst ihr zur Seite.
Als er den Blick vom Bild seines Vaters abwandte und
in den Spiegel über seiner Kommode sah, bemerkte er
seinen mürrischen Gesichtsausdruck.
Das ist nicht gut, ermahnte er sich. Und wiederholte
noch einmal im Stillen die Worte seines Vaters: Steh ihr
zur Seite. Und sei immer anständig und aufrichtig.
Er warf sich seinen Rucksack über die Schulter und
rannte die Treppe hinunter. Seine Mutter saß noch am
Küchentisch und hielt ihre Kaffeetasse mit beiden Händen
umfasst.
»Bin spätestens um halb sechs wieder da«, sagte er
und küsste seine Mutter auf die Wange.
Das Lächeln, das daraufhin ihr Gesicht erhellte, sagte
ihm, dass er genau das getan hatte, was sein Vater
von ihm erwartet hätte, ganz gleich, was er selbst insgeheim
dachte. Nachdem er seiner Mutter noch einen
Kuss auf die andere Wange gedrückt hatte, sicherheitshalber,
sauste er durch die Haustür, genau in dem Moment,
als der Schulbus an der Straßenecke stehen blieb.
Okay, Dad, dachte er. Ich habe das Richtige getan. Jetzt
sorge du bitte dafür, dass der Busfahrer auf mich wartet!
Doch obschon er einen rasanten Spurt hinlegte, musste
er mit ansehen, wie sich die Türen des Busses schlossen
und dieser ohne ihn abfuhr.
Die Wände des Klassenzimmers im zweiten Stock der
Dickinson High School, von denen überall die Farbe abblätterte,
rückten immer näher auf Ryan zu, so kam es
ihm jedenfalls vor, während er mit dem Rest der Klasse
über einem Geschichtstest brütete. Und gleichzeitig spürte
er, dass Frankie Alito, der direkt hinter ihm saß, versuchte,
einen Blick über seine Schulter zu erhaschen.
Vollständige deutsche Erstausgabe 02/2011
Copyright © 2007 by John Saul
Copyright © 2011 der deutschsprachigen Ausgabe
by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House
Printed in Germany 2011
Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München,
unter Verwendung eines Fotos von © shutterstock/Ecoesis
Satz: C. Schaber Datentechnik, Wels
Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN: 978-3-453-43513-1
www.heyne.de
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Autoren-Porträt von John Saul
John Saul wird 1942 in Pasadena, Kalifornien, geboren. Er studiert Theaterwissenschaften und Anthropologie. Er beginnt mit Krimis, für die er keine Verleger findet. Daraufhin wechselt er das Genre und 1977 erscheint sein erster Horrorroman "Suffer the Children", der sofort ein großer Erfolg wird. John Saul lebt in Bellevue, Washington.
Bibliographische Angaben
- Autor: John Saul
- 2011, 462 Seiten, Maße: 11,6 x 18,8 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übers.: Christine Roth-Drabusenigg
- Übersetzer: Christine Roth-Drabusenigg
- Verlag: Heyne
- ISBN-10: 3453435133
- ISBN-13: 9783453435131
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