Das Vermächtnis
Roman
Nach 10 Jahren kehrt der Anwalt John Sutter an die Gold Coast von Long Island zurück. Er glaubt, die Vergangenheit die verhängnisvolle Affäre seiner Ex-Frau Susan mit dem Mafiaboss Bellarosa hinter sich gelassen zu haben. Ein fataler Irrtum!
Der Sohn Bellarosas hat Rache geschworen...
Der Sohn Bellarosas hat Rache geschworen...
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Produktinformationen zu „Das Vermächtnis “
Nach 10 Jahren kehrt der Anwalt John Sutter an die Gold Coast von Long Island zurück. Er glaubt, die Vergangenheit die verhängnisvolle Affäre seiner Ex-Frau Susan mit dem Mafiaboss Bellarosa hinter sich gelassen zu haben. Ein fataler Irrtum!
Der Sohn Bellarosas hat Rache geschworen...
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Lese-Probe zu „Das Vermächtnis “
Das Vermächtnis von Nelson DeMille Es ist ein warmer Sommerabend, und im Schein eines vollen weißen Mondes betrachte ich, John Whitman Sutter, wie meine Frau, Susan Stanhope Sutter, mit ihrem Pferd Sansibar über die ruhigen Ländereien von Stanhope Hall reitet, ihren Familienbesitz. Der aufgehende Mond ist geradezu unheimlich hell, und er taucht die Landschaft in ein überirdisches Licht, das sämtliche Farben in silberne Blau- und Weißtöne verwandelt. Susan passiert eine Reihe hoher Kiefern und dringt auf ein benachbartes Anwesen vor, das Alhambra heißt, und ich frage mich, warum sie das tut, und hoffe, dass sie die Erlaubnis des
neuen Besitzers hat, eines Mafia-Dons namens Frank Bellarosa. Majestätische Bäume werfen lange Schatten auf die Wiesen, und in der Ferne sehe ich die riesige, im mediterranen Stil verputzte Villa, dunkel, bis auf ein Licht, das durch die geschlossenen Glastüren eines Balkons im ersten Stock fällt. Dieser Balkon führt, wie ich weiß, zu der Bibliothek, in der Frank Bellarosa in seinem ledernen Lehnsessel sitzt. Susan nähert sich dem Haus, sitzt ab und bindet Sansibar an einem Baum fest. Sie geht zum Rand eines langen, spiegelnden Marmorbrunnens, der sich inmitten eines klassischen Gartens mit künstlichen römischen Ruinen befindet.
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Am anderen Ende des Teiches steht eine Statue des Gottes Neptun, der seinen Dreizack in die Luft reckt und zu dessen Füßen steinerne Fische aus weit aufgerissenen Mäulern Wasser in eine große Muschelschale aus Alabaster speien, das sich von dort in den Teich ergießt. Auf dieser Seite des Teiches, mir am nächsten, steht eine Statue der Jungfrau Maria, die neu ist und, wie ich weiß, von Bellarosas Frau als Gegenpol zu dem halbnackten heidnischen Gott aufgestellt wurde. Ein leichter, milder Wind bewegt die Zypressen, und Nachtvögel stimmen ihr Lied an. Es ist ein herrlicher Abend, und Susan ist sichtlich begeistert vom Mondschein und dem verwunschenen Garten. Auch ich bin von diesem zauberhaften
Abend fasziniert. Als ich mich wieder Susan zuwende, zieht sie sich aus und hängt jedes Kleidungsstück über die Statue der Jungfrau, was mich sowohl verwundert als auch verwirrt. Susan, deren rote Haare sich im Wind bauschen, begibt sich zum Rand des Teiches und blickt auf ihr nacktes Spiegelbild im Wasser. Ich will mich ebenfalls ausziehen und zu ihr gesellen, bemerke aber, dass das Licht in der Bibliothek erloschen ist und die Balkontüren jetzt offen stehen, obwohl dort niemand ist, und ich habe ein ungutes Gefühl und bleibe im Schatten. Dann sehe ich die Silhouette eines Mannes vor dem weißen
Gemäuer von Alhambra, und er läuft mit langen, kraftvollen Schritten auf den Teich zu. Als er näher kommt, sehe ich, dass es Bellarosa ist, der einen schwarzen Hausmantel trägt. Er steht jetzt neben Neptun, und sein Gesicht wirkt im Mondschein unnatürlich. Ich möchte Susan etwas zurufen, kann es aber nicht. Susan scheint ihn nicht zu sehen und blickt weiter auf ihr Spiegelbild, während Bellarosa wie gebannt auf Susan starrt. Ich bin empört darüber, dass dieser Mann den nackten Körper meiner Frau betrachtet. Susan und Frank sind so reglos wie die Statuen, und auch ich bin wie versteinert, kann nicht eingreifen, obwohl ich Susan beschützen will. Dann sehe ich, dass sie Bellarosa wahrgenommen hat, aber sie reagiert nicht. Ich verstehe das nicht; sie sollte nicht nackt vor diesem Mann stehen. Ich bin wütend auf sie und auch auf ihn, und wilde Gedanken jagen mir durch den Kopf, aber ich kann diese Wut weder in Worte noch in Laute fassen. Während ich Susan anstarre, kehrt sie Bellarosa und dem Teich den Rücken zu, und ich denke, dass sie weggehen will. Dann wendet sie den Kopf mir zu, als hätte sie ein Geräusch gehört. Ich will einen Schritt auf sie zugehen, aber mit einem Mal hebt sie die Arme, springt rückwärts in den Teich und schwimmt mit langen, kräftigen Zügen nackt durch das vom Mond beschienene Wasser auf Frank Bellarosa zu. Ich sehe, dass er jetzt nackt ist und mit verschränkten Armen dasteht. Er ist ein großer, kräftig gebauter Mann, und im Mondschein wirkt er ebenso imposant und bedrohlich wie der nackte steinerne Gott neben ihm. Ich möchte Susan zurufen, sie warnen, dass sie umkehren soll, aber irgendetwas sagt mir, dass ich besser schweigen sollte, beobachten, was geschieht.
Susan erreicht die andere Seite des Teiches und zieht sich in die mit Wasser gefüllte Muschel, wo sie neben der hoch aufragenden Neptunstatue stehen bleibt. Sie blickt zu Bellarosa auf, der sich nicht vom Rand des Teiches wegbewegt, ihr aber das Gesicht zugewandt hat. Sie blicken einander an, unnatürlich reglos, dann steigt Bellarosa in das seichte Wasser der Muschel und bleibt vor Susan stehen. Sie reden miteinander, aber ich höre nur das Rauschen des ausgespienen Wassers. Ich bin empört über diesen Anblick, kann immer noch nicht glauben, dass Susan hier sein will, und warte darauf, dass sie wieder in den Teich springt und von ihm wegschwimmt. Doch je länger sie nackt vor ihm stehen bleibt, desto bewusster wird mir, dass sie hergekommen ist, um sich mit ihm zu treffen. Als ich jede Hoffnung aufgebe, dass Susan wieder in den Teich springt und wegschwimmt, kniet sie sich in das seichte Wasser, beugt sich zu seinem Unterleib und nimmt ihn in den Mund. Ihre Hände umfassen sein Gesäß und ziehen ihn näher zu ihrem Gesicht. Ich schließe die Augen, und als ich sie wieder öffne, liegt Susan rücklings in der Muschelschale, hat die Beine weit gespreizt und lässt sie über den Rand hängen. Bellarosa steht jetzt
in dem spiegelnden Teich und vergräbt das Gesicht zwischen ihren Schenkeln. Dann legt er sich Susans Beine über die Schulter und scheint sich förmlich aus dem Wasser zu erheben, als er mit einem kraftvollen Stoß, der ihr ein dumpfes Aufkeuchen entlockt, in sie eindringt. Er stößt weiter grob in sie, bis sie so laut schreit, dass ich erschrecke. »Mr Sutter! Mr Sutter! Sir, wir setzen zur Landung an. Bitte legen Sie Ihren Sicherheitsgurt an.« »Was …?« »Wir setzen zur Landung an«, sagte eine Frauenstimme. »Sie
müssen sich anschnallen und Ihre Sitzlehne aufrecht stellen.« »Oh …« Ich rückte meine Lehne zurecht, schnallte mich an und stellte fest, dass der kleine John ebenfalls aufrecht stand. Meine Güte. Ist das peinlich. Wie kommt das? Dann erinnerte ich mich an meinen Traum … Ich habe Susan nie gefragt, wie, wann und wo ihr Verhältnis mit Frank Bellarosa anfing – so was will man nicht in allen Einzelheiten hören –, deshalb fehlte mir dieses Wissen. Mein Seelenklempner, wenn ich denn einen hätte, würde sagen, dass mein Traum ein unbewusster Versuch gewesen sei, diese Lücke zu füllen – das fehlende Stück dieser Affäre. Nicht dass es ein Jahrzehnt nach der Scheidung noch eine Rolle gespielt hätte. Was die juristische Seite anging, hatte ich sie des Ehebruchs bezichtigt, und sie hatte sich schuldig bekannt. Der Staat verlangte weder Auskunft über irgendwelche pikanten Einzelheiten noch eine umfassende Aussage. Ich sollte es also auch nicht tun. Die Maschine der British Airways überquerte auf ihrem Flug von London nach New York den Long Island Sound und setzte zur Landung am John F. Kennedy International Airport an. Es war ein sonniger Tag, kurz nach sechzehn Uhr, am Montag, dem 27. Mai, und mir fiel ein, dass in Amerika heute Memorial Day war, der Tag, an dem man der Kriegstoten gedenkt. Unter mir konnte ich an der Nordküste von Long Island eine Gegend namens Gold Coast sehen, wo ich früher, zehn Jahre zuvor, gewohnt hatte. Wenn ich genau hinschaute, könnte ich wahrscheinlich sogar die großen benachbarten Anwesen ausmachen, sowohl Stanhope Hall als auch das, was einst Alhambra gewesen war. Ich wohnte bislang in London und kehrte nach Amerika zurück, um eine alte Frau zu besuchen, die im Sterben lag oder während meines siebenstündigen Fluges durchaus gestorben sein könnte. Wenn ja, kam ich rechtzeitig zur Beerdigung, bei der ich Susan Stanhope Sutter begegnen würde. Angesichts des Todes könnten wir gezwungen sein, uns ein paar grundsätzliche Gedanken über die Kürze des Lebens zu machen und unsere vielen Enttäuschungen, Verbitterungen und Treuebrüche, von denen wir anscheinend nicht ablassen können, noch einmal zu überdenken. Leider jedoch nehmen wir diese Dinge für gewöhnlich mit ins Grab oder zum Grab des Menschen, dem wir zu Lebzeiten nicht verzeihen konnten.
Susan. Doch ab und zu springen wir über unseren Schatten undvergeben – es kostet auch nichts, abgesehen davon, dass wirein bisschen vom hohen Ross heruntermüssen. Und vielleichtwar das der Haken.Ich saß auf der Steuerbordseite der Businessklasse, und allehatten den Kopf dem Fenster zugewandt und den Blick auf dieSkyline von Manhattan gerichtet. Aus tausend oder zwölfhundert
Metern Höhe war es ein wahrhaft beeindruckender Anblick, aber seit etwa neun Monaten schien der fehlende Teil der Skyline die Hauptattraktion für die Leute zu sein, die die Stadt kannten. Als ich das letzte Mal nach New York geflogen war, ein paar Wochen nach dem 11. September 2001, stieg noch Rauch
aus den Trümmern auf. Diesmal wollte ich nicht hinschauen, aber der Mann neben mir sagte: »Dort waren die Türme. Links da drüben.« Er deutete an meinem Gesicht vorbei. »Dort.« »Ich weiß«, erwiderte ich und griff nach einer Zeitschrift. Von den Menschen, die ich noch in New York kannte, haben mir die meisten erzählt, dass der 11. September sie dazu bewogen habe, ihr Leben zu überdenken und ein paar Sachen
ins richtige Licht zu rücken. Das ist ein gutes Vorhaben für die Zukunft, aber es ändert nichts an der Vergangenheit. Die Maschine der British Airways schwebte zur Landung auf dem Kennedy Airport ein, und ein paar Minuten später setzten wir auf. »Schön, wieder daheim zu sein«, sagte der Mann neben mir.
»Ist das auch Ihr Zuhause?« »Nein.« Bald würde ich mit einem Mietwagen auf dem Weg zu dem Ort sein, den ich einst als mein Zuhause bezeichnet hatte, der aber heute in meinem Bewusstsein teilweise erodiert war, sodass zu viele gute Erinnerungen verschüttet waren und die harten, schartigen Kanten der erwähnten Enttäuschungen, Verbitterungen und Treuebrüche obenauf lagen. Die Maschine bremste ab und rollte dann über das Vorfeld zum Terminal. Jetzt, da ich hier war und bis zur Beerdigung bleiben würde, sollte ich vielleicht die Zeit nutzen und die Vergangenheit mit der Gegenwart versöhnen – dann würde ich auf dem Rückflug vielleicht bessere Träume haben. ERSTER TEIL
So regen wir die Ruder, stemmen uns gegen den Strom – und treiben doch stetig zurück, dem Vergangenen zu. F. Scott Fitzgerald Der große Gatsby 1
Eine Woche war seit meiner Rückkehr aus London vergangen, und ich saß am Tisch im Esszimmer des kleinen Pförtnerhauses von Stanhope Hall, dem Anwesen meiner Exfrau, und wühlte mich durch alte Alben, Familienfotos und Briefe, die ich in den letzten zehn Jahren hier aufbewahrt hatte. Nach meiner Scheidung von Susan hatte ich mir einen Traum erfüllt und mit meinem Segelboot, einer vierzehn Meter
langen Morgan-Ketch namens Paumanok II, einen dreijährigen Segeltörn rund um die Welt unternommen. Paumanok ist die Bezeichnung der einheimischen Indianer für Long Island, und mein illustrer Vorfahr Walt Whitman, ein gebürtiger Long Islander, benutzte dieses Wort in seiner Lyrik – und wenn Onkel Walt eine vierzehn Meter lange Yacht besessen hätte, hätte er sie mit Sicherheit Paumanok getauft, nicht Ich höre Amerika singen, was zu lang für den Heckspiegel ist, oder Grashalme, was nicht seetüchtig klingt.
Mein letzter Anlaufhafen war Bournemouth, England, gewesen, von wo aus meine anderen Vorfahren, die Sutters, vor drei Jahrhunderten nach Amerika losgesegelt waren. Da der Winter nahte, mir die Seemüdigkeit in den Knochen steckte, mein Bankguthaben schrumpfte und meine Reiselust befriedigt war, verkaufte ich das Boot für etwa die Hälfte dessen, was es wert war, zog nach London, um mir einen Job zu suchen, und heuerte schließlich bei einer britischen Anwaltskanzlei an, die einen amerikanischen Steueranwalt brauchte, was ich in New York gewesen war, bevor ich Kapitän der Paumanok II wurde.
Ich breitete ein paar Fotos von Susan auf dem Tisch aus und schaute sie mir im Licht des Kronleuchters an. Susan war früher und vermutlich noch immer eine wunderschöne Frau mit langen roten Haaren, atemberaubenden grünen Augen, einem Schmollmund und dem perfekten Körper einer passionierten
Reiterin. Ich nahm ein Foto, auf dem Susan auf meinem ersten Segelboot zu sehen war, der ursprünglichen Paumanok, einer neun Meter langen Morgan, die ich geliebt, aber im Hafen von Oyster Bay versenkt habe, statt sie von der Regierung wegen Steuerschulden beschlagnahmen zu lassen. Das Foto wurde, glaube ich, im Sommer 1990 irgendwo im Long Island Sound aufgenommen. Es war an einem strahlend schönen Sommertag entstanden, und Susan steht splitternackt am Achterdeck, bedeckt
mit einer Hand ihren flammenden Busch und mit der anderen eine Brust. Ihre Miene spiegelt gespielte Überraschung und Verlegenheit wider. Der Anlass war, glaube ich, eine von Susans ausgelebten Sexphantasien: Ich sollte von einem Kajak aus an Bord steigen, wo ich sie allein und nackt vorfand und zu meiner Sexsklavin machte. Die Frau hatte nicht nur eine großartige Figur, sondern auch eine großartige Phantasie und eine wunderbare Libido obendrein. Was die sexuellen Rollenspiele anging, so dienten sie
dazu, das eheliche Feuer am Brennen zu halten, und zwei Jahrzehnte lang klappte das gut, weil wir sämtliche Seitensprünge miteinander begingen. Zumindest war das unsere Abmachung, bis mit Don Frank Bellarosa nebenan ein neuer Mitwirkender einzog. Ich nahm eine Flasche mit altem Cognac, die ich in der Kredenz gefunden hatte, und goss einen Schuss in meine Kaffeetasse. Meine Rückkehr nach Amerika hatte etwas mit den ehemaligen Bewohnern dieses Pförtnerhauses zu tun, George und
Ethel Allard, ehemalige Bedienstete der Familie Stanhope. George, ein anständiger Mann, war vor zehn Jahren gestorben, und seine Frau Ethel, die nicht so nett war, lag in einem Pflegehospiz und war im Begriff, sich zu ihrem Gatten zu gesellen, es sei denn, George hatte bereits ein paar Takte mit dem heiligen Petrus geredet, dem Hüter der Himmelspforte. »Hat man mir nicht ewige Ruhe und Frieden versprochen? Kann sie nicht irgendwo anders hin? Sie hatte es schon immer lieber heiß.« Auf jeden Fall war ich ihr Nachlassverwalter, und daher musste ich mich darum kümmern und zu ihrer Beerdigung gehen. Der andere Grund für meine Rückkehr war, dass dieses Pförtnerhaus meinen offiziellen Wohnsitz in den USA darstellte, aber leider sollte dieses Haus in die Hände von Amir Nasim übergehen, einem Gentleman aus dem Iran, der jetzt das Herrenhaus, Stanhope Hall, und einen Großteil der ursprünglichen
Ländereien besaß, darunter dieses Pförtnerhaus. Bislang allerdings hatte Ethel Allard ein sogenanntes lebenslanges Nutzungsrecht auf das Pförtnerhaus, das heißt, dass sie bis zu ihrem Tod mietfrei dort wohnen durfte. Dieses kostenlose Haus hatte sie von Susans Großvater Augustus Stanhope bekommen, weil Ethel vor langer Zeit mit ihm gevögelt hatte, und später war sie so freundlich gewesen, mich meine Sachen hier einlagern zu lassen und die Bude mit mir zu teilen, wenn ich nach New York kam. Ethel konnte mich nicht ausstehen, aber das ist eine andere Geschichte
Copyright © 2008 by Nelson DeMille
Copyright © 2009 by Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg
Abend fasziniert. Als ich mich wieder Susan zuwende, zieht sie sich aus und hängt jedes Kleidungsstück über die Statue der Jungfrau, was mich sowohl verwundert als auch verwirrt. Susan, deren rote Haare sich im Wind bauschen, begibt sich zum Rand des Teiches und blickt auf ihr nacktes Spiegelbild im Wasser. Ich will mich ebenfalls ausziehen und zu ihr gesellen, bemerke aber, dass das Licht in der Bibliothek erloschen ist und die Balkontüren jetzt offen stehen, obwohl dort niemand ist, und ich habe ein ungutes Gefühl und bleibe im Schatten. Dann sehe ich die Silhouette eines Mannes vor dem weißen
Gemäuer von Alhambra, und er läuft mit langen, kraftvollen Schritten auf den Teich zu. Als er näher kommt, sehe ich, dass es Bellarosa ist, der einen schwarzen Hausmantel trägt. Er steht jetzt neben Neptun, und sein Gesicht wirkt im Mondschein unnatürlich. Ich möchte Susan etwas zurufen, kann es aber nicht. Susan scheint ihn nicht zu sehen und blickt weiter auf ihr Spiegelbild, während Bellarosa wie gebannt auf Susan starrt. Ich bin empört darüber, dass dieser Mann den nackten Körper meiner Frau betrachtet. Susan und Frank sind so reglos wie die Statuen, und auch ich bin wie versteinert, kann nicht eingreifen, obwohl ich Susan beschützen will. Dann sehe ich, dass sie Bellarosa wahrgenommen hat, aber sie reagiert nicht. Ich verstehe das nicht; sie sollte nicht nackt vor diesem Mann stehen. Ich bin wütend auf sie und auch auf ihn, und wilde Gedanken jagen mir durch den Kopf, aber ich kann diese Wut weder in Worte noch in Laute fassen. Während ich Susan anstarre, kehrt sie Bellarosa und dem Teich den Rücken zu, und ich denke, dass sie weggehen will. Dann wendet sie den Kopf mir zu, als hätte sie ein Geräusch gehört. Ich will einen Schritt auf sie zugehen, aber mit einem Mal hebt sie die Arme, springt rückwärts in den Teich und schwimmt mit langen, kräftigen Zügen nackt durch das vom Mond beschienene Wasser auf Frank Bellarosa zu. Ich sehe, dass er jetzt nackt ist und mit verschränkten Armen dasteht. Er ist ein großer, kräftig gebauter Mann, und im Mondschein wirkt er ebenso imposant und bedrohlich wie der nackte steinerne Gott neben ihm. Ich möchte Susan zurufen, sie warnen, dass sie umkehren soll, aber irgendetwas sagt mir, dass ich besser schweigen sollte, beobachten, was geschieht.
Susan erreicht die andere Seite des Teiches und zieht sich in die mit Wasser gefüllte Muschel, wo sie neben der hoch aufragenden Neptunstatue stehen bleibt. Sie blickt zu Bellarosa auf, der sich nicht vom Rand des Teiches wegbewegt, ihr aber das Gesicht zugewandt hat. Sie blicken einander an, unnatürlich reglos, dann steigt Bellarosa in das seichte Wasser der Muschel und bleibt vor Susan stehen. Sie reden miteinander, aber ich höre nur das Rauschen des ausgespienen Wassers. Ich bin empört über diesen Anblick, kann immer noch nicht glauben, dass Susan hier sein will, und warte darauf, dass sie wieder in den Teich springt und von ihm wegschwimmt. Doch je länger sie nackt vor ihm stehen bleibt, desto bewusster wird mir, dass sie hergekommen ist, um sich mit ihm zu treffen. Als ich jede Hoffnung aufgebe, dass Susan wieder in den Teich springt und wegschwimmt, kniet sie sich in das seichte Wasser, beugt sich zu seinem Unterleib und nimmt ihn in den Mund. Ihre Hände umfassen sein Gesäß und ziehen ihn näher zu ihrem Gesicht. Ich schließe die Augen, und als ich sie wieder öffne, liegt Susan rücklings in der Muschelschale, hat die Beine weit gespreizt und lässt sie über den Rand hängen. Bellarosa steht jetzt
in dem spiegelnden Teich und vergräbt das Gesicht zwischen ihren Schenkeln. Dann legt er sich Susans Beine über die Schulter und scheint sich förmlich aus dem Wasser zu erheben, als er mit einem kraftvollen Stoß, der ihr ein dumpfes Aufkeuchen entlockt, in sie eindringt. Er stößt weiter grob in sie, bis sie so laut schreit, dass ich erschrecke. »Mr Sutter! Mr Sutter! Sir, wir setzen zur Landung an. Bitte legen Sie Ihren Sicherheitsgurt an.« »Was …?« »Wir setzen zur Landung an«, sagte eine Frauenstimme. »Sie
müssen sich anschnallen und Ihre Sitzlehne aufrecht stellen.« »Oh …« Ich rückte meine Lehne zurecht, schnallte mich an und stellte fest, dass der kleine John ebenfalls aufrecht stand. Meine Güte. Ist das peinlich. Wie kommt das? Dann erinnerte ich mich an meinen Traum … Ich habe Susan nie gefragt, wie, wann und wo ihr Verhältnis mit Frank Bellarosa anfing – so was will man nicht in allen Einzelheiten hören –, deshalb fehlte mir dieses Wissen. Mein Seelenklempner, wenn ich denn einen hätte, würde sagen, dass mein Traum ein unbewusster Versuch gewesen sei, diese Lücke zu füllen – das fehlende Stück dieser Affäre. Nicht dass es ein Jahrzehnt nach der Scheidung noch eine Rolle gespielt hätte. Was die juristische Seite anging, hatte ich sie des Ehebruchs bezichtigt, und sie hatte sich schuldig bekannt. Der Staat verlangte weder Auskunft über irgendwelche pikanten Einzelheiten noch eine umfassende Aussage. Ich sollte es also auch nicht tun. Die Maschine der British Airways überquerte auf ihrem Flug von London nach New York den Long Island Sound und setzte zur Landung am John F. Kennedy International Airport an. Es war ein sonniger Tag, kurz nach sechzehn Uhr, am Montag, dem 27. Mai, und mir fiel ein, dass in Amerika heute Memorial Day war, der Tag, an dem man der Kriegstoten gedenkt. Unter mir konnte ich an der Nordküste von Long Island eine Gegend namens Gold Coast sehen, wo ich früher, zehn Jahre zuvor, gewohnt hatte. Wenn ich genau hinschaute, könnte ich wahrscheinlich sogar die großen benachbarten Anwesen ausmachen, sowohl Stanhope Hall als auch das, was einst Alhambra gewesen war. Ich wohnte bislang in London und kehrte nach Amerika zurück, um eine alte Frau zu besuchen, die im Sterben lag oder während meines siebenstündigen Fluges durchaus gestorben sein könnte. Wenn ja, kam ich rechtzeitig zur Beerdigung, bei der ich Susan Stanhope Sutter begegnen würde. Angesichts des Todes könnten wir gezwungen sein, uns ein paar grundsätzliche Gedanken über die Kürze des Lebens zu machen und unsere vielen Enttäuschungen, Verbitterungen und Treuebrüche, von denen wir anscheinend nicht ablassen können, noch einmal zu überdenken. Leider jedoch nehmen wir diese Dinge für gewöhnlich mit ins Grab oder zum Grab des Menschen, dem wir zu Lebzeiten nicht verzeihen konnten.
Susan. Doch ab und zu springen wir über unseren Schatten undvergeben – es kostet auch nichts, abgesehen davon, dass wirein bisschen vom hohen Ross heruntermüssen. Und vielleichtwar das der Haken.Ich saß auf der Steuerbordseite der Businessklasse, und allehatten den Kopf dem Fenster zugewandt und den Blick auf dieSkyline von Manhattan gerichtet. Aus tausend oder zwölfhundert
Metern Höhe war es ein wahrhaft beeindruckender Anblick, aber seit etwa neun Monaten schien der fehlende Teil der Skyline die Hauptattraktion für die Leute zu sein, die die Stadt kannten. Als ich das letzte Mal nach New York geflogen war, ein paar Wochen nach dem 11. September 2001, stieg noch Rauch
aus den Trümmern auf. Diesmal wollte ich nicht hinschauen, aber der Mann neben mir sagte: »Dort waren die Türme. Links da drüben.« Er deutete an meinem Gesicht vorbei. »Dort.« »Ich weiß«, erwiderte ich und griff nach einer Zeitschrift. Von den Menschen, die ich noch in New York kannte, haben mir die meisten erzählt, dass der 11. September sie dazu bewogen habe, ihr Leben zu überdenken und ein paar Sachen
ins richtige Licht zu rücken. Das ist ein gutes Vorhaben für die Zukunft, aber es ändert nichts an der Vergangenheit. Die Maschine der British Airways schwebte zur Landung auf dem Kennedy Airport ein, und ein paar Minuten später setzten wir auf. »Schön, wieder daheim zu sein«, sagte der Mann neben mir.
»Ist das auch Ihr Zuhause?« »Nein.« Bald würde ich mit einem Mietwagen auf dem Weg zu dem Ort sein, den ich einst als mein Zuhause bezeichnet hatte, der aber heute in meinem Bewusstsein teilweise erodiert war, sodass zu viele gute Erinnerungen verschüttet waren und die harten, schartigen Kanten der erwähnten Enttäuschungen, Verbitterungen und Treuebrüche obenauf lagen. Die Maschine bremste ab und rollte dann über das Vorfeld zum Terminal. Jetzt, da ich hier war und bis zur Beerdigung bleiben würde, sollte ich vielleicht die Zeit nutzen und die Vergangenheit mit der Gegenwart versöhnen – dann würde ich auf dem Rückflug vielleicht bessere Träume haben. ERSTER TEIL
So regen wir die Ruder, stemmen uns gegen den Strom – und treiben doch stetig zurück, dem Vergangenen zu. F. Scott Fitzgerald Der große Gatsby 1
Eine Woche war seit meiner Rückkehr aus London vergangen, und ich saß am Tisch im Esszimmer des kleinen Pförtnerhauses von Stanhope Hall, dem Anwesen meiner Exfrau, und wühlte mich durch alte Alben, Familienfotos und Briefe, die ich in den letzten zehn Jahren hier aufbewahrt hatte. Nach meiner Scheidung von Susan hatte ich mir einen Traum erfüllt und mit meinem Segelboot, einer vierzehn Meter
langen Morgan-Ketch namens Paumanok II, einen dreijährigen Segeltörn rund um die Welt unternommen. Paumanok ist die Bezeichnung der einheimischen Indianer für Long Island, und mein illustrer Vorfahr Walt Whitman, ein gebürtiger Long Islander, benutzte dieses Wort in seiner Lyrik – und wenn Onkel Walt eine vierzehn Meter lange Yacht besessen hätte, hätte er sie mit Sicherheit Paumanok getauft, nicht Ich höre Amerika singen, was zu lang für den Heckspiegel ist, oder Grashalme, was nicht seetüchtig klingt.
Mein letzter Anlaufhafen war Bournemouth, England, gewesen, von wo aus meine anderen Vorfahren, die Sutters, vor drei Jahrhunderten nach Amerika losgesegelt waren. Da der Winter nahte, mir die Seemüdigkeit in den Knochen steckte, mein Bankguthaben schrumpfte und meine Reiselust befriedigt war, verkaufte ich das Boot für etwa die Hälfte dessen, was es wert war, zog nach London, um mir einen Job zu suchen, und heuerte schließlich bei einer britischen Anwaltskanzlei an, die einen amerikanischen Steueranwalt brauchte, was ich in New York gewesen war, bevor ich Kapitän der Paumanok II wurde.
Ich breitete ein paar Fotos von Susan auf dem Tisch aus und schaute sie mir im Licht des Kronleuchters an. Susan war früher und vermutlich noch immer eine wunderschöne Frau mit langen roten Haaren, atemberaubenden grünen Augen, einem Schmollmund und dem perfekten Körper einer passionierten
Reiterin. Ich nahm ein Foto, auf dem Susan auf meinem ersten Segelboot zu sehen war, der ursprünglichen Paumanok, einer neun Meter langen Morgan, die ich geliebt, aber im Hafen von Oyster Bay versenkt habe, statt sie von der Regierung wegen Steuerschulden beschlagnahmen zu lassen. Das Foto wurde, glaube ich, im Sommer 1990 irgendwo im Long Island Sound aufgenommen. Es war an einem strahlend schönen Sommertag entstanden, und Susan steht splitternackt am Achterdeck, bedeckt
mit einer Hand ihren flammenden Busch und mit der anderen eine Brust. Ihre Miene spiegelt gespielte Überraschung und Verlegenheit wider. Der Anlass war, glaube ich, eine von Susans ausgelebten Sexphantasien: Ich sollte von einem Kajak aus an Bord steigen, wo ich sie allein und nackt vorfand und zu meiner Sexsklavin machte. Die Frau hatte nicht nur eine großartige Figur, sondern auch eine großartige Phantasie und eine wunderbare Libido obendrein. Was die sexuellen Rollenspiele anging, so dienten sie
dazu, das eheliche Feuer am Brennen zu halten, und zwei Jahrzehnte lang klappte das gut, weil wir sämtliche Seitensprünge miteinander begingen. Zumindest war das unsere Abmachung, bis mit Don Frank Bellarosa nebenan ein neuer Mitwirkender einzog. Ich nahm eine Flasche mit altem Cognac, die ich in der Kredenz gefunden hatte, und goss einen Schuss in meine Kaffeetasse. Meine Rückkehr nach Amerika hatte etwas mit den ehemaligen Bewohnern dieses Pförtnerhauses zu tun, George und
Ethel Allard, ehemalige Bedienstete der Familie Stanhope. George, ein anständiger Mann, war vor zehn Jahren gestorben, und seine Frau Ethel, die nicht so nett war, lag in einem Pflegehospiz und war im Begriff, sich zu ihrem Gatten zu gesellen, es sei denn, George hatte bereits ein paar Takte mit dem heiligen Petrus geredet, dem Hüter der Himmelspforte. »Hat man mir nicht ewige Ruhe und Frieden versprochen? Kann sie nicht irgendwo anders hin? Sie hatte es schon immer lieber heiß.« Auf jeden Fall war ich ihr Nachlassverwalter, und daher musste ich mich darum kümmern und zu ihrer Beerdigung gehen. Der andere Grund für meine Rückkehr war, dass dieses Pförtnerhaus meinen offiziellen Wohnsitz in den USA darstellte, aber leider sollte dieses Haus in die Hände von Amir Nasim übergehen, einem Gentleman aus dem Iran, der jetzt das Herrenhaus, Stanhope Hall, und einen Großteil der ursprünglichen
Ländereien besaß, darunter dieses Pförtnerhaus. Bislang allerdings hatte Ethel Allard ein sogenanntes lebenslanges Nutzungsrecht auf das Pförtnerhaus, das heißt, dass sie bis zu ihrem Tod mietfrei dort wohnen durfte. Dieses kostenlose Haus hatte sie von Susans Großvater Augustus Stanhope bekommen, weil Ethel vor langer Zeit mit ihm gevögelt hatte, und später war sie so freundlich gewesen, mich meine Sachen hier einlagern zu lassen und die Bude mit mir zu teilen, wenn ich nach New York kam. Ethel konnte mich nicht ausstehen, aber das ist eine andere Geschichte
Copyright © 2008 by Nelson DeMille
Copyright © 2009 by Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg
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Autoren-Porträt von Nelson DeMille
DeMille, NelsonNelson DeMille wurde 1943 in Jamaica geboren. 1966-69 war er als Oberleutnant der amerikanischen Armee in Vietnam. Danach studierte er Politik und Geschichte. Seit 1974 schreibt er Spannungsromane und gehört seit langem zu den erfolgreichsten Thrillerautoren Amerikas. Seine Werke sind regelmäßig auf den ersten Plätzen der Bestsellerlisten. DeMille lebt auf Long Island bei New York. Mehr Informationen unter www.nelsondemille.net Georg Schmidt, im oberfränkischen Hof an der Saale geboren, ist gelernter Journalist und Verlagslektor sowie der Übersetzer von u. a. James Lee Burke, John Connolly, James Crumley, Michael Cunningham, James Ellroy, Richard Lourie und Andrew Vachss. Er lebt in Berlin.Schmidt, Georg
Georg Schmidt, im oberfränkischen Hof an der Saale geboren, ist gelernter Journalist und Verlagslektor sowie der Übersetzer u.a. von James Lee Burke, John Connolly, James Crumley, Michael Cunningham, James Ellroy, Richard Lourie und Andrew Vachss. Für Hoffmann und Campe übersetzte er zuletzt Das Vermächtnis von Nelson DeMille. Er lebt in Berlin.
Bibliographische Angaben
- Autor: Nelson DeMille
- 2009, 1, 864 Seiten, Maße: 14,5 x 21,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzer: Georg Schmidt
- Verlag: Hoffmann und Campe
- ISBN-10: 345540197X
- ISBN-13: 9783455401974
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