Das Vorzelt zur Hölle
Wie ich die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte. Originalausgabe
»Jeden Sommer brachen wir mit dem VW-Bus auf von München, Neuperlach in Richtung Süden, ins Jugoskorsikalawienland oder irgendwo anders hin, wo es düstere Felsen, düsteres Meer und düstere Ortschaften mit düsteren Menschen gab. Was es dort nicht gab, war so...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Das Vorzelt zur Hölle “
Klappentext zu „Das Vorzelt zur Hölle “
»Jeden Sommer brachen wir mit dem VW-Bus auf von München, Neuperlach in Richtung Süden, ins Jugoskorsikalawienland oder irgendwo anders hin, wo es düstere Felsen, düsteres Meer und düstere Ortschaften mit düsteren Menschen gab. Was es dort nicht gab, war so etwas wie ein Klo oder eine Dusche. Denn meine Eltern waren nicht einfach nur Camper. Nein, sie waren überzeugte Wildcamper. Riesenspinnen auf dem Rücksitz, Schlangen in der Trinkwasserzisterne, gigantische Müllberge und sinkende Schlauchboote - es war alles dabei, was Camping in den 70ern so außergewöhnlich machte. Zumindest wenn man mit meinen Eltern unterwegs war.«
Lese-Probe zu „Das Vorzelt zur Hölle “
Das Vorzelt zur Hölle von Tommy KrappweisProlog
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Ich stehe im Studio Berlin-Adlershof am Set und blicke in ein deprimiertes Gesicht. Es gehört der niederschmetterndsten Backware seit Erfindung der Kornschrotung: Bernd das Brot. Meine Aufgabe ist es, die Regie zu führen, also das Drehbuch mit den gegebenen Umständen aus Personal, Budget und Zeit so gut wie möglich umzusetzen. Da ich gleichzeitig auch der Produzent bin, gibt es niemanden, der mich ermahnt, außer mir selbst.
Gerade drehen wir eine Szene, in der Bernd das Brot versucht, ein Campingzelt aufzubauen. Von den viel zu kurzen Armen mal abgesehen, läuft alles so ab, wie ich es aus meiner Kindheit kenne. Die Heringe lassen sich nicht in den Steinboden hämmern und verbiegen, die Gleiter an den Schnüren rutschen immer durch, der Zug erschlafft, der Reißverschluss klemmt ...
Bernd schaut in die Kamera und sagt sein obligatorisches: »Mist.« Recht hat er.
Von Beginn der Produktion im Jahr 1999 an haben Norman Cöster, Erik Haffner und ich unsere Kindheitserinnerungen, Traumata und Hassbilder durch die Handpuppen Bernd das Brot, Chili das Schaf und Briegel den Busch gefiltert. Dadurch konnten wir unseren Dämonen einen Namen geben.
Norm hat die Namen von seinen Lehrern als Erzbösewichte eingebaut, Erik seine Jugend in der Pfalz unter anderem durch Briegels Auszeichnung als »Miss Pfalzwein 2004« verarbeitet, und ich...
tja, ich drehe jetzt eine Camping-Folge, und Bernd muss leiden. So wie ich gelitten habe.
Meine Gedanken sind erfüllt von der Vorfreude auf das Gesicht, das mein Vater machen wird, wenn er jeden einzelnen Gag erkennt als das, was er ist: Rache. Meine persönliche Rache für unzählige schreckliche, nervtötende, nasskalte, brütend heiße, unbequeme, sicherheitstechnisch mehr als grenzwertige, weil oftmals lebensgefährliche Campingurlaube direkt in der Hölle und zurück.
Ha! So, Bernd, und jetzt klappt das rachitische Zelt über dir zusammen. Doppelmist, haha!
Natürlich muss ich mich zurückhalten, denn schließlich drehe ich gerade eine Familiensendung. Und so manches Abenteuer aus meiner Erinnerung würde trotz Handpuppen ein wenig übertrieben wirken. Also kapriziere ich mich in dieser Folge eher auf die allseits bekannten Klischees:
Jetzt macht Bernd sich auf zum kilometerweiten Gewaltmarsch Richtung sanitäre Anlagen. Dort wird er auf übergewichtige Stiernacken treffen, die ihn am Waschbecken zwischen ihren mächtigen Leibern einklemmen. Die Dusche wird vom obligatorischen Dauerduscher okkupiert sein, von dem nur ab und zu die eingeschäumten Hände zu sehen sind, wenn sie aus einem prall gefüllten Beutel mit Fünfzig-Cent-Stücken eine weitere Münze in den entsprechenden Schlitz schieben. Und die Toilette wird so sehr von Spinnweben überzogen sein, dass man die Schüssel nur auf den zweiten Blick als solche identifiziert. Das liegt daran, dass bis auf Bernd alle ihre eigene Camping-Toilette dabeihaben und nicht auf diesen, nennen wir es: Service zurückgreifen müssen. Und das war noch längst nicht alles! Ein wohliger Schauer durchfährt mich. Satisfaktion. Ahhh ...
Als Autor bin ich es gewohnt, dass die Figuren in meiner Vorstellung den Text sprechen und ich ihn nur schnell genug tippen muss. Aber diesmal hatte es eine ganz neue Qualität. Selten floss mir ein Drehbuch so aus den Fingern wie Bernds Campingurlaub. Hier nahm Bernd wirklich fast eins zu eins meine Rolle ein, wunderte sich über die Dinge, über die ich mich damals gewundert hatte, und schimpfte weithin hörbar über all das, wofür ich damals keine Worte fand. Und Bernds Lamento wird genauso wenig von seinen Freunden Chili und Briegel gehört, wie mein Protest ehemals von meinen Eltern wahrgenommen wurde.
Der Grund hierfür ist ganz einfach: Meine Eltern waren und sind Campingfans.
Dies ist die Geschichte eines Jungen, der heute nur noch in Hotels übernachtet. Hotels, in denen kein Mülleimerchen auf dem Frühstückstisch steht.
Liegt es an mir?
Ich habe eine dreijährige Tochter namens Finja Maria Krappweis. Einerseits hoffe ich, dass sie mich verstehen wird, wenn sie irgendwann dieses Büchlein liest. Andererseits hoffe ich noch viel mehr, dass sie nicht zu einer solchen Verweigerungsmaschine heranwächst, wie ich eine bin.
Inzwischen weiß ich, dass es kaum möglich ist, mit mir Gesellschaftsspiele zu spielen oder länger als vielleicht zwei Stunden gesellig beisammen zu sein. Bald formt sich die Vorstellung in meinem Kopf, wie schön es doch wäre, jetzt auf der Couch ein Buch zu lesen. Oder irgendwas anderes zu tun, was man vorrangig alleine macht. Insofern weiß ich auch, dass es sicher nicht leicht war, mit einer Spaßbremse wie mir in den Urlaub zu fahren. Andererseits weiß ich aber auch, dass ich meiner Tochter zuhören werde, sie wahrnehmen möchte! Und ich argwöhne, dass es den Vorstellungshorizont meiner Eltern schlichtweg überstieg, dass ein kleiner Junge keinen Spaß beim Camping haben könne. Und darum wurde mein Gejammer ignoriert.
»Der Bua wird scho seng, wia schee dass des dann is«, lautete das gängige Argument meiner Eltern. Bezeichnenderweise in meinem Beisein geäußert.
Das macht es aber auch nicht wahrer. Ich erinnere mich an einen Skiausflug, bei dem ich es durch anhaltenden, mehrstündigen Protest während der Anreise schließlich schaffte, nicht mit auf den Berg zu müssen. Ich durfte stattdessen im Bus auf dem Parkplatz bleiben. Das liest sich sicher seltsam, aber ich empfand es tatsächlich als ein »dürfen« und somit durchgehend positiv! Ich durfte im Auto bleiben, ich durfte den ganzen Tag in Ruhe lesen, zeichnen oder dösen und dabei Hörspielkassetten hören! Urlaub! Schön.
Währenddessen kämpften sich meine Eltern den wolkenverhangenen Berg rauf und runter, denn mein Vater liebte es, wenn das Wetter im Skigebiet eher ungastlich war. Der Grund: »Dann san die Pistn leer, und ma fahrt einfach an den Lift hi und muas ned wartn!« Was soll man dazu sagen außer: Warum in Gottes Namen sind die Pisten wohl leer?! Warum wohl?!
Gerne hätte ich diese Buchstaben eurythmisch tanzen, im Takt der Silben auf und ab hopsen oder es in kindlicher Raserei immer und immer wieder brüllen können, während ich den Kopf gegen die Wand schlage. Es hätte nicht einmal etwas geholfen, meinem Vater die Worte auf die Netzhaut zu tätowieren (in Spiegelschrift natürlich). Selbst wenn die Frage nach diesem chirurgischen Eingriff für den Rest seines Lebens leicht wässrig vor ihm in der Luft geschwebt wäre, sobald er die Augen aufschlägt; er hätte darauf keine Antwort gehabt. Die Frage nach dem »Warum« macht in der Welt meines Vaters nämlich schlichtweg keinen Sinn, denn mein Vater denkt:
»Es macht Spaß, weil es mir Spaß macht, also macht es Spaß. Wer dazu keine Lust hat, der hat es eben noch nicht probiert. Denn hätte er es probiert, wüsste er ja, dass es Spaß macht, und würde es ebenso wollen. Also probiert er es jetzt, und dann macht es ihm auch Spaß.«
Aufgrund dieser höchst bestechenden Logik wurde ich also die Jahre über immer wieder genötigt, Dinge auszuprobieren, bis sie mir dann endlich Spaß machten. Gar nicht überraschenderweise funktionierte das jedoch nie. Das war aber natürlich kein Grund, den therapeutischen Ansatz zu überdenken. Nein, der einzige Grund, den mein Vater sich vorstellen konnte, war, dass ich vielleicht nicht die richtige Ausrüstung hatte.
Als begeisterter und höchst erfolgreicher Radrennfahrer wusste er, dass man auf einem schlechten Rad weder Spaß noch Erfolg haben konnte. Also wurde meiner Unwilligkeit generell begegnet mit einer stoischen Form technischer Aufrüstung.
Ich kann gar nicht zählen, wie oft er mich auf neue, noch unbequemere, schmalsattelige Rennräder setzte, meine Füße in ein neues Modell Skischuhe zwängte, mir andere Skier darunterschnallte oder mir hinterrücks Tauchermaske und Schnorchel ins Gesicht wobbelte, um mich danach auf hoher See aus dem Schlauchboot zu schubsen.
Nun gut, mag man sich vielleicht fragen, wo ist das Problem, etwas geschenkt zu bekommen? Sieht man mal von der Tatsache ab, dass ich als Beschenkter jedes Mal genötigt wurde, mich der Benutzung des Geschenkes immer und immer wieder zu verweigern. Es störte mich keineswegs, dass sich unser kleiner Keller unaufhörlich mit ungenutztem Sportgerät in gestaffelten Kindergrößen füllte. Das eigentliche Problem lag ganz woanders: Dieser Kram blockierte alle wichtigen Geschenkfeste!
Ich wünschte mir die ganze Kindheit hindurch eigentlich immer die gleichen drei Dinge: Lego, Marionetten und Super8-Filmrollen. Geburtstage, Ostern und Weihnachten waren aber verstopft mit Skiern, Rädern und Trikots mit draufgesticktem »Tommi«, weil es in der Näherei kein »Y« gab!
Vielleicht erklärt sich nun meine Verweigerungshaltung ein wenig. Mal abgesehen von der angeborenen Charaktereigenschaft des Einzelgängertums musste ich an allen Fronten kämpfen, um irgendwie durchzudringen. Bei meinen Eltern hätte es nun mal nicht funktioniert, beim Tischgespräch gelegentlich den einen oder anderen Missstand aufzuzeigen und dann gemeinsam einen Weg aus der Krise zu finden. Mein Vater hätte das innerhalb weniger Sekunden abgebügelt mit: »Ach Schmarrn, des probier ma jetz morgn einfach amal, und dann weast du scho sehn, wia schee dass des is!«
Nein, hier half nur die totale, völlige Verweigerung immer und überall, um letztlich allen so sehr damit auf den Wecker zu fallen, dass sie mich irgendwann in Ruhe lassen würden. Ja, das war ein harter Weg, aber ich war wild entschlossen, ihn zu beschreiten. Doch es sollten noch viele Jahre vergehen, bis ich endlich Herr meiner Freizeit wurde.
Bis dahin verbrachte ich sie campierend.
Packwahn
Meine früheste Kindheitserinnerung ist grün. Schuld daran ist ein grüner VW-Bus mit geteilter Scheibe und doppelter Klapptüre an der Seite. Man würde es heute wohl »Hippiebus« nennen und irgendwie cool finden.
Damals in den Siebzigern war das genauso normal wie Hosen mit Schlag von der Größe eines Tennisschlägers.
Mein Vater Werner Krappweis hatte die Inneneinrichtung des Busses selbst gebaut. Überhaupt hat mein Vater vieles selbst gebaut, die Ewigkeit hierbei immer fest im Blick.
So steht bis heute die wuchtige Garderobe aus Zehner-Balken im Eingangsbereich der Wohnung, und auch die Dachschräge aus gebeizten Nut-und-Feder-Brettern ziert immer noch das Wohnzimmer. Bis heute wartet mein Vater bei jedem neuen Besucher mit breitem Grinsen auf die Frage nach der bautechnischen Motivation einer Dachschräge im vierten Stock eines achtstöckigen Hochhauses in München-Neuperlach. Die Antwort lautet: Stauraum. Mein Vater liebt kaum etwas so sehr wie Stauraum. Aber davon später mehr.
Die Einrichtung des Hippiebusses hielt also länger als das Auto drumrum: Irgendwann fuhr der grüne Bus nämlich nur noch dreiundsiebzig Stundenkilometer, weil er zu ebenso viel Prozent aus eingeschweißten Eisenplatten bestand, die den Abstand zwischen den Rosträndern irgendwie überbrücken sollten. Als es schließlich keine Stellen mehr gab, an denen man etwas anschweißen konnte, war es dann doch Zeit für ein neueres Modell, das zum Zeitpunkt des Gebrauchtkaufs allerdings auch schon zu den betagteren Versionen zählte.
Da mein Vater als Automechanikermeister bei der Post arbeitete, entschloss er sich zu der Farbe Gelb - vermutlich weil er preisgünstigen Zugang zu entsprechenden Spraydosen hatte und schon voraussah, dass demnächst die erste von hundert Metallplatten farblich angeglichen werden musste. Die Inneneinrichtung jedoch wurde in weiten Teilen aus dem Hippiebus übernommen. Kein Wunder, hatte sie doch nicht nur unzählige Reisen an den Rand der zivilisierten Welt überstanden, sondern auch Wassereinbrüche, Aufschläge mit körperlichem Vollkontakt und die ein oder andere Gasexplosion.
Doch zurück zu dem grünen Ur-Bus und meiner ersten Kindheitserinnerung: Ich sehe alles aus der Perspektive eines mutmaßlichen Kindersitzes. Neben mir sitzt meine Oma Maria Krappweis zusammen mit anderen alten Damen und Herren ihres Wanderkreises dicht gedrängt auf der selbstgezimmerten Eckbank. Gerade steigt ein weiterer alter Herr - vermutlich mein Opa Hänsel - durch die Klappen, und man schickt sich allgemein an, noch mehr zusammenzurücken.
Mein Opa jedoch winkt störrisch ab, krallt sich stattdessen am Griff des Kühlschranks fest und sagt, dass er stehen wird. Sein Sohn - also mein Vater - versucht, ihn zu überzeugen, sich doch besser zu setzen, aber er dringt ebenso wenig durch wie die anderen Stimmen im Auto. Also fährt mein Vater schließlich los, und das erstaunlich ruckartig. Ich will ihm hier keine Absicht unterstellen, tue es aber doch.
Sofort klappt die Tür des Kühlschranks auf, und Opa Hänsel verliert den Griff. Nein, das stimmt nicht. Er behält den Griff, nur die Türe verliert ihn. Dafür plumpst Opa Hänsel an mir vorbei auf irgendeine ältere Dame, die so erschrocken aufquietscht, wie das nur ältere Damen können. Danach Aufruhr, und die Erinnerung verblasst.
Ich weiß, dass das eine seltsame Kindheitserinnerung ist, aber diese Szene ist unauslöschlich in mein Hirn graviert. Sie illustriert zudem mehrere Dinge, die mich entscheidend prägen sollten:
• der Starrsinn Erwachsener im Allgemeinen und meiner Familie im Besonderen
• die rustikale Art und Weise, mit der man sich untereinander beweist, wer recht hat
• die Unzuverlässigkeit von Campingmöbeln, egal ob selbstgebaut oder direkt vom Fachbetrieb
• das grundsätzlich unzureichende Platzangebot
Das Platzproblem begleitete uns überallhin. Wie oben schon erwähnt, nahm es in der Wohnung seinen Anfang. Dort drückte es sich in Form von künstlichen Dachschrägen aus oder durch einen seltsam erdrückend wirkenden Kasten über der Wohnungstür, der gefüllt war mit Schuhwerk quer durch alle Jahreszeiten.
Doch besonders kam das Platzproblem im Vorfeld der Campingreisen zum Ausdruck. Obwohl, ich muss mich korrigieren, irgendwie ist es gar kein echtes Platzproblem. Es ist eher eine Art Obsession über das Thema. Mein Vater pflegte schon mehrere Tage vor der Abreise mit dem Packen zu beginnen. Er schiebt das bis heute auf meine Mutter, die ja immer so unglaublich viel hätte mitnehmen wollen. Ich argwöhne jedoch, dass er an der Flut von Kram nicht unschuldig war, wollte er doch auf jedwede Eventualität vorbereitet sein und zudem nichts zu Hause lassen, was potenziell geeignet war, um im Urlaub für »Spaß« zu sorgen.
Außerdem glaube ich, dass mein Vater wirklich Freude hat am Einräumen. Bis heute ertappe ich ihn dabei, wie er Stifte auf einem Tisch parallel zur Schreibunterlage ausrichtet und mit einem wahrhaft systemischen Wahn die Spülmaschine be- und entlädt. Wobei mein Vater nicht zwanghaft wirkt, ganz im Gegenteil. Auf Menschen, die ihn kennenlernen, macht er sogar einen lockeren, humorvollen und absolut pferdediebstahlgeeigneten Eindruck. Das trifft im Großen und Ganzen auch zu - außer es geht um Einräumen, Umräumen, Werkzeug oder Vorräte. Da entwickelt mein Vater eine Pedanterie, die ihresgleichen sucht. Ich habe noch nie jemanden kennengelernt, der größere innere Befriedigung dabei empfindet, jede - aber auch wirklich jede - freie Stelle mit irgendetwas Nützlichem zugepfropft zu haben, bis tatsächlich kein Platz mehr frei ist - außer dem, an dem die Familie installiert werden muss. Hätte mein Vater sich jemals für den Game Boy interessiert, wäre er süchtig nach Tetris.
Diese Pack-Obsession führte dazu, dass wir in späteren Urlauben ein kleines Segelboot auf einem Anhänger mit uns führten. Jedoch nicht in erster Linie, um es zu wassern, sondern um es bis unter die straff gespannte Persenning vollzupacken mit Konserven, Kartoffelpüree-Flocken, Gaskartuschen, Batterien, Dosenmilch und diversen anderen Dingen mit Aufblas-, Ausklapp- oder Faltfunktion. Ansonsten war das Boot nur noch dazu da, dass wir es einen Tag vor der Heimreise schuldbewusst zu Wasser ließen, um damit zweimal zu kreuzen und einmal zu kentern und es anschließend doppelt so lange zu säubern, wie der Segeltörn gedauert hatte.
Anschließend wurde es wieder vollgepackt bis zum Rand, und ich frage mich bis heute, warum sich die Menge der Vorräte auf der Heimreise nicht signifikant von der Menge der Vorräte bei der Abreise unterschied. Ich weiß genau, dass wir laufend gegessen haben, denn ich musste ja auch laufend abspülen. Aber was immer ich da unter dem eiskalten Wasser mit dem grindigen Schwamm von dem Plastikgeschirr kratzte - es kann nicht aus den Konserven stammen, die wir im Boot hierher ans Ende der Welt gekarrt hatten. Denn die wurden nach dem Urlaub vollzählig wieder in die kleine Vorratskammer neben der Küche sortiert.
Insgesamt beschleicht mich heute in der Rückschau die Ahnung, dass dieser gesamte Campingwahnsinn wenig mit Urlaub zu tun hatte, sondern vielmehr mit Zwanghaftigkeit und Ritualen. Das trifft auf jeden Fall nicht nur auf das Packen und die Vorbereitungen vor der Abreise zu, sondern auch auf die ewig langen und beschwerlichen Wege in das sogenannte Urlaubsland. Oder was mein Vater für ein solches hielt ...
Copyright © 2012 by Knaur Taschenbuch.
Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München
Ich stehe im Studio Berlin-Adlershof am Set und blicke in ein deprimiertes Gesicht. Es gehört der niederschmetterndsten Backware seit Erfindung der Kornschrotung: Bernd das Brot. Meine Aufgabe ist es, die Regie zu führen, also das Drehbuch mit den gegebenen Umständen aus Personal, Budget und Zeit so gut wie möglich umzusetzen. Da ich gleichzeitig auch der Produzent bin, gibt es niemanden, der mich ermahnt, außer mir selbst.
Gerade drehen wir eine Szene, in der Bernd das Brot versucht, ein Campingzelt aufzubauen. Von den viel zu kurzen Armen mal abgesehen, läuft alles so ab, wie ich es aus meiner Kindheit kenne. Die Heringe lassen sich nicht in den Steinboden hämmern und verbiegen, die Gleiter an den Schnüren rutschen immer durch, der Zug erschlafft, der Reißverschluss klemmt ...
Bernd schaut in die Kamera und sagt sein obligatorisches: »Mist.« Recht hat er.
Von Beginn der Produktion im Jahr 1999 an haben Norman Cöster, Erik Haffner und ich unsere Kindheitserinnerungen, Traumata und Hassbilder durch die Handpuppen Bernd das Brot, Chili das Schaf und Briegel den Busch gefiltert. Dadurch konnten wir unseren Dämonen einen Namen geben.
Norm hat die Namen von seinen Lehrern als Erzbösewichte eingebaut, Erik seine Jugend in der Pfalz unter anderem durch Briegels Auszeichnung als »Miss Pfalzwein 2004« verarbeitet, und ich...
tja, ich drehe jetzt eine Camping-Folge, und Bernd muss leiden. So wie ich gelitten habe.
Meine Gedanken sind erfüllt von der Vorfreude auf das Gesicht, das mein Vater machen wird, wenn er jeden einzelnen Gag erkennt als das, was er ist: Rache. Meine persönliche Rache für unzählige schreckliche, nervtötende, nasskalte, brütend heiße, unbequeme, sicherheitstechnisch mehr als grenzwertige, weil oftmals lebensgefährliche Campingurlaube direkt in der Hölle und zurück.
Ha! So, Bernd, und jetzt klappt das rachitische Zelt über dir zusammen. Doppelmist, haha!
Natürlich muss ich mich zurückhalten, denn schließlich drehe ich gerade eine Familiensendung. Und so manches Abenteuer aus meiner Erinnerung würde trotz Handpuppen ein wenig übertrieben wirken. Also kapriziere ich mich in dieser Folge eher auf die allseits bekannten Klischees:
Jetzt macht Bernd sich auf zum kilometerweiten Gewaltmarsch Richtung sanitäre Anlagen. Dort wird er auf übergewichtige Stiernacken treffen, die ihn am Waschbecken zwischen ihren mächtigen Leibern einklemmen. Die Dusche wird vom obligatorischen Dauerduscher okkupiert sein, von dem nur ab und zu die eingeschäumten Hände zu sehen sind, wenn sie aus einem prall gefüllten Beutel mit Fünfzig-Cent-Stücken eine weitere Münze in den entsprechenden Schlitz schieben. Und die Toilette wird so sehr von Spinnweben überzogen sein, dass man die Schüssel nur auf den zweiten Blick als solche identifiziert. Das liegt daran, dass bis auf Bernd alle ihre eigene Camping-Toilette dabeihaben und nicht auf diesen, nennen wir es: Service zurückgreifen müssen. Und das war noch längst nicht alles! Ein wohliger Schauer durchfährt mich. Satisfaktion. Ahhh ...
Als Autor bin ich es gewohnt, dass die Figuren in meiner Vorstellung den Text sprechen und ich ihn nur schnell genug tippen muss. Aber diesmal hatte es eine ganz neue Qualität. Selten floss mir ein Drehbuch so aus den Fingern wie Bernds Campingurlaub. Hier nahm Bernd wirklich fast eins zu eins meine Rolle ein, wunderte sich über die Dinge, über die ich mich damals gewundert hatte, und schimpfte weithin hörbar über all das, wofür ich damals keine Worte fand. Und Bernds Lamento wird genauso wenig von seinen Freunden Chili und Briegel gehört, wie mein Protest ehemals von meinen Eltern wahrgenommen wurde.
Der Grund hierfür ist ganz einfach: Meine Eltern waren und sind Campingfans.
Dies ist die Geschichte eines Jungen, der heute nur noch in Hotels übernachtet. Hotels, in denen kein Mülleimerchen auf dem Frühstückstisch steht.
Liegt es an mir?
Ich habe eine dreijährige Tochter namens Finja Maria Krappweis. Einerseits hoffe ich, dass sie mich verstehen wird, wenn sie irgendwann dieses Büchlein liest. Andererseits hoffe ich noch viel mehr, dass sie nicht zu einer solchen Verweigerungsmaschine heranwächst, wie ich eine bin.
Inzwischen weiß ich, dass es kaum möglich ist, mit mir Gesellschaftsspiele zu spielen oder länger als vielleicht zwei Stunden gesellig beisammen zu sein. Bald formt sich die Vorstellung in meinem Kopf, wie schön es doch wäre, jetzt auf der Couch ein Buch zu lesen. Oder irgendwas anderes zu tun, was man vorrangig alleine macht. Insofern weiß ich auch, dass es sicher nicht leicht war, mit einer Spaßbremse wie mir in den Urlaub zu fahren. Andererseits weiß ich aber auch, dass ich meiner Tochter zuhören werde, sie wahrnehmen möchte! Und ich argwöhne, dass es den Vorstellungshorizont meiner Eltern schlichtweg überstieg, dass ein kleiner Junge keinen Spaß beim Camping haben könne. Und darum wurde mein Gejammer ignoriert.
»Der Bua wird scho seng, wia schee dass des dann is«, lautete das gängige Argument meiner Eltern. Bezeichnenderweise in meinem Beisein geäußert.
Das macht es aber auch nicht wahrer. Ich erinnere mich an einen Skiausflug, bei dem ich es durch anhaltenden, mehrstündigen Protest während der Anreise schließlich schaffte, nicht mit auf den Berg zu müssen. Ich durfte stattdessen im Bus auf dem Parkplatz bleiben. Das liest sich sicher seltsam, aber ich empfand es tatsächlich als ein »dürfen« und somit durchgehend positiv! Ich durfte im Auto bleiben, ich durfte den ganzen Tag in Ruhe lesen, zeichnen oder dösen und dabei Hörspielkassetten hören! Urlaub! Schön.
Währenddessen kämpften sich meine Eltern den wolkenverhangenen Berg rauf und runter, denn mein Vater liebte es, wenn das Wetter im Skigebiet eher ungastlich war. Der Grund: »Dann san die Pistn leer, und ma fahrt einfach an den Lift hi und muas ned wartn!« Was soll man dazu sagen außer: Warum in Gottes Namen sind die Pisten wohl leer?! Warum wohl?!
Gerne hätte ich diese Buchstaben eurythmisch tanzen, im Takt der Silben auf und ab hopsen oder es in kindlicher Raserei immer und immer wieder brüllen können, während ich den Kopf gegen die Wand schlage. Es hätte nicht einmal etwas geholfen, meinem Vater die Worte auf die Netzhaut zu tätowieren (in Spiegelschrift natürlich). Selbst wenn die Frage nach diesem chirurgischen Eingriff für den Rest seines Lebens leicht wässrig vor ihm in der Luft geschwebt wäre, sobald er die Augen aufschlägt; er hätte darauf keine Antwort gehabt. Die Frage nach dem »Warum« macht in der Welt meines Vaters nämlich schlichtweg keinen Sinn, denn mein Vater denkt:
»Es macht Spaß, weil es mir Spaß macht, also macht es Spaß. Wer dazu keine Lust hat, der hat es eben noch nicht probiert. Denn hätte er es probiert, wüsste er ja, dass es Spaß macht, und würde es ebenso wollen. Also probiert er es jetzt, und dann macht es ihm auch Spaß.«
Aufgrund dieser höchst bestechenden Logik wurde ich also die Jahre über immer wieder genötigt, Dinge auszuprobieren, bis sie mir dann endlich Spaß machten. Gar nicht überraschenderweise funktionierte das jedoch nie. Das war aber natürlich kein Grund, den therapeutischen Ansatz zu überdenken. Nein, der einzige Grund, den mein Vater sich vorstellen konnte, war, dass ich vielleicht nicht die richtige Ausrüstung hatte.
Als begeisterter und höchst erfolgreicher Radrennfahrer wusste er, dass man auf einem schlechten Rad weder Spaß noch Erfolg haben konnte. Also wurde meiner Unwilligkeit generell begegnet mit einer stoischen Form technischer Aufrüstung.
Ich kann gar nicht zählen, wie oft er mich auf neue, noch unbequemere, schmalsattelige Rennräder setzte, meine Füße in ein neues Modell Skischuhe zwängte, mir andere Skier darunterschnallte oder mir hinterrücks Tauchermaske und Schnorchel ins Gesicht wobbelte, um mich danach auf hoher See aus dem Schlauchboot zu schubsen.
Nun gut, mag man sich vielleicht fragen, wo ist das Problem, etwas geschenkt zu bekommen? Sieht man mal von der Tatsache ab, dass ich als Beschenkter jedes Mal genötigt wurde, mich der Benutzung des Geschenkes immer und immer wieder zu verweigern. Es störte mich keineswegs, dass sich unser kleiner Keller unaufhörlich mit ungenutztem Sportgerät in gestaffelten Kindergrößen füllte. Das eigentliche Problem lag ganz woanders: Dieser Kram blockierte alle wichtigen Geschenkfeste!
Ich wünschte mir die ganze Kindheit hindurch eigentlich immer die gleichen drei Dinge: Lego, Marionetten und Super8-Filmrollen. Geburtstage, Ostern und Weihnachten waren aber verstopft mit Skiern, Rädern und Trikots mit draufgesticktem »Tommi«, weil es in der Näherei kein »Y« gab!
Vielleicht erklärt sich nun meine Verweigerungshaltung ein wenig. Mal abgesehen von der angeborenen Charaktereigenschaft des Einzelgängertums musste ich an allen Fronten kämpfen, um irgendwie durchzudringen. Bei meinen Eltern hätte es nun mal nicht funktioniert, beim Tischgespräch gelegentlich den einen oder anderen Missstand aufzuzeigen und dann gemeinsam einen Weg aus der Krise zu finden. Mein Vater hätte das innerhalb weniger Sekunden abgebügelt mit: »Ach Schmarrn, des probier ma jetz morgn einfach amal, und dann weast du scho sehn, wia schee dass des is!«
Nein, hier half nur die totale, völlige Verweigerung immer und überall, um letztlich allen so sehr damit auf den Wecker zu fallen, dass sie mich irgendwann in Ruhe lassen würden. Ja, das war ein harter Weg, aber ich war wild entschlossen, ihn zu beschreiten. Doch es sollten noch viele Jahre vergehen, bis ich endlich Herr meiner Freizeit wurde.
Bis dahin verbrachte ich sie campierend.
Packwahn
Meine früheste Kindheitserinnerung ist grün. Schuld daran ist ein grüner VW-Bus mit geteilter Scheibe und doppelter Klapptüre an der Seite. Man würde es heute wohl »Hippiebus« nennen und irgendwie cool finden.
Damals in den Siebzigern war das genauso normal wie Hosen mit Schlag von der Größe eines Tennisschlägers.
Mein Vater Werner Krappweis hatte die Inneneinrichtung des Busses selbst gebaut. Überhaupt hat mein Vater vieles selbst gebaut, die Ewigkeit hierbei immer fest im Blick.
So steht bis heute die wuchtige Garderobe aus Zehner-Balken im Eingangsbereich der Wohnung, und auch die Dachschräge aus gebeizten Nut-und-Feder-Brettern ziert immer noch das Wohnzimmer. Bis heute wartet mein Vater bei jedem neuen Besucher mit breitem Grinsen auf die Frage nach der bautechnischen Motivation einer Dachschräge im vierten Stock eines achtstöckigen Hochhauses in München-Neuperlach. Die Antwort lautet: Stauraum. Mein Vater liebt kaum etwas so sehr wie Stauraum. Aber davon später mehr.
Die Einrichtung des Hippiebusses hielt also länger als das Auto drumrum: Irgendwann fuhr der grüne Bus nämlich nur noch dreiundsiebzig Stundenkilometer, weil er zu ebenso viel Prozent aus eingeschweißten Eisenplatten bestand, die den Abstand zwischen den Rosträndern irgendwie überbrücken sollten. Als es schließlich keine Stellen mehr gab, an denen man etwas anschweißen konnte, war es dann doch Zeit für ein neueres Modell, das zum Zeitpunkt des Gebrauchtkaufs allerdings auch schon zu den betagteren Versionen zählte.
Da mein Vater als Automechanikermeister bei der Post arbeitete, entschloss er sich zu der Farbe Gelb - vermutlich weil er preisgünstigen Zugang zu entsprechenden Spraydosen hatte und schon voraussah, dass demnächst die erste von hundert Metallplatten farblich angeglichen werden musste. Die Inneneinrichtung jedoch wurde in weiten Teilen aus dem Hippiebus übernommen. Kein Wunder, hatte sie doch nicht nur unzählige Reisen an den Rand der zivilisierten Welt überstanden, sondern auch Wassereinbrüche, Aufschläge mit körperlichem Vollkontakt und die ein oder andere Gasexplosion.
Doch zurück zu dem grünen Ur-Bus und meiner ersten Kindheitserinnerung: Ich sehe alles aus der Perspektive eines mutmaßlichen Kindersitzes. Neben mir sitzt meine Oma Maria Krappweis zusammen mit anderen alten Damen und Herren ihres Wanderkreises dicht gedrängt auf der selbstgezimmerten Eckbank. Gerade steigt ein weiterer alter Herr - vermutlich mein Opa Hänsel - durch die Klappen, und man schickt sich allgemein an, noch mehr zusammenzurücken.
Mein Opa jedoch winkt störrisch ab, krallt sich stattdessen am Griff des Kühlschranks fest und sagt, dass er stehen wird. Sein Sohn - also mein Vater - versucht, ihn zu überzeugen, sich doch besser zu setzen, aber er dringt ebenso wenig durch wie die anderen Stimmen im Auto. Also fährt mein Vater schließlich los, und das erstaunlich ruckartig. Ich will ihm hier keine Absicht unterstellen, tue es aber doch.
Sofort klappt die Tür des Kühlschranks auf, und Opa Hänsel verliert den Griff. Nein, das stimmt nicht. Er behält den Griff, nur die Türe verliert ihn. Dafür plumpst Opa Hänsel an mir vorbei auf irgendeine ältere Dame, die so erschrocken aufquietscht, wie das nur ältere Damen können. Danach Aufruhr, und die Erinnerung verblasst.
Ich weiß, dass das eine seltsame Kindheitserinnerung ist, aber diese Szene ist unauslöschlich in mein Hirn graviert. Sie illustriert zudem mehrere Dinge, die mich entscheidend prägen sollten:
• der Starrsinn Erwachsener im Allgemeinen und meiner Familie im Besonderen
• die rustikale Art und Weise, mit der man sich untereinander beweist, wer recht hat
• die Unzuverlässigkeit von Campingmöbeln, egal ob selbstgebaut oder direkt vom Fachbetrieb
• das grundsätzlich unzureichende Platzangebot
Das Platzproblem begleitete uns überallhin. Wie oben schon erwähnt, nahm es in der Wohnung seinen Anfang. Dort drückte es sich in Form von künstlichen Dachschrägen aus oder durch einen seltsam erdrückend wirkenden Kasten über der Wohnungstür, der gefüllt war mit Schuhwerk quer durch alle Jahreszeiten.
Doch besonders kam das Platzproblem im Vorfeld der Campingreisen zum Ausdruck. Obwohl, ich muss mich korrigieren, irgendwie ist es gar kein echtes Platzproblem. Es ist eher eine Art Obsession über das Thema. Mein Vater pflegte schon mehrere Tage vor der Abreise mit dem Packen zu beginnen. Er schiebt das bis heute auf meine Mutter, die ja immer so unglaublich viel hätte mitnehmen wollen. Ich argwöhne jedoch, dass er an der Flut von Kram nicht unschuldig war, wollte er doch auf jedwede Eventualität vorbereitet sein und zudem nichts zu Hause lassen, was potenziell geeignet war, um im Urlaub für »Spaß« zu sorgen.
Außerdem glaube ich, dass mein Vater wirklich Freude hat am Einräumen. Bis heute ertappe ich ihn dabei, wie er Stifte auf einem Tisch parallel zur Schreibunterlage ausrichtet und mit einem wahrhaft systemischen Wahn die Spülmaschine be- und entlädt. Wobei mein Vater nicht zwanghaft wirkt, ganz im Gegenteil. Auf Menschen, die ihn kennenlernen, macht er sogar einen lockeren, humorvollen und absolut pferdediebstahlgeeigneten Eindruck. Das trifft im Großen und Ganzen auch zu - außer es geht um Einräumen, Umräumen, Werkzeug oder Vorräte. Da entwickelt mein Vater eine Pedanterie, die ihresgleichen sucht. Ich habe noch nie jemanden kennengelernt, der größere innere Befriedigung dabei empfindet, jede - aber auch wirklich jede - freie Stelle mit irgendetwas Nützlichem zugepfropft zu haben, bis tatsächlich kein Platz mehr frei ist - außer dem, an dem die Familie installiert werden muss. Hätte mein Vater sich jemals für den Game Boy interessiert, wäre er süchtig nach Tetris.
Diese Pack-Obsession führte dazu, dass wir in späteren Urlauben ein kleines Segelboot auf einem Anhänger mit uns führten. Jedoch nicht in erster Linie, um es zu wassern, sondern um es bis unter die straff gespannte Persenning vollzupacken mit Konserven, Kartoffelpüree-Flocken, Gaskartuschen, Batterien, Dosenmilch und diversen anderen Dingen mit Aufblas-, Ausklapp- oder Faltfunktion. Ansonsten war das Boot nur noch dazu da, dass wir es einen Tag vor der Heimreise schuldbewusst zu Wasser ließen, um damit zweimal zu kreuzen und einmal zu kentern und es anschließend doppelt so lange zu säubern, wie der Segeltörn gedauert hatte.
Anschließend wurde es wieder vollgepackt bis zum Rand, und ich frage mich bis heute, warum sich die Menge der Vorräte auf der Heimreise nicht signifikant von der Menge der Vorräte bei der Abreise unterschied. Ich weiß genau, dass wir laufend gegessen haben, denn ich musste ja auch laufend abspülen. Aber was immer ich da unter dem eiskalten Wasser mit dem grindigen Schwamm von dem Plastikgeschirr kratzte - es kann nicht aus den Konserven stammen, die wir im Boot hierher ans Ende der Welt gekarrt hatten. Denn die wurden nach dem Urlaub vollzählig wieder in die kleine Vorratskammer neben der Küche sortiert.
Insgesamt beschleicht mich heute in der Rückschau die Ahnung, dass dieser gesamte Campingwahnsinn wenig mit Urlaub zu tun hatte, sondern vielmehr mit Zwanghaftigkeit und Ritualen. Das trifft auf jeden Fall nicht nur auf das Packen und die Vorbereitungen vor der Abreise zu, sondern auch auf die ewig langen und beschwerlichen Wege in das sogenannte Urlaubsland. Oder was mein Vater für ein solches hielt ...
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Autoren-Porträt von Tommy Krappweis, Werner Krappweis
Tommy Krappweis, geboren 1972 in München, ist Musiker, Comedian, Autor, Regisseur und Produzent. Nach Stationen in der Westernstadt "No Name City" und bei "RTL Samstag Nacht" erfand er die Kultfigur Bernd das Brot, für die er mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet wurde. Tommy Krappweis lebt und arbeitet als Produzent, Autor und Multitalent in München.
Bibliographische Angaben
- Autoren: Tommy Krappweis , Werner Krappweis
- 2012, 8. Aufl., 272 Seiten, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Droemer/Knaur
- ISBN-10: 3426784769
- ISBN-13: 9783426784761
- Erscheinungsdatum: 23.02.2012
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