Daughter of Smoke and Bone / Zwischen den Welten Bd.1
Zwischen den Welten
Neues Fantasy-Highlight!
Karou ist anders: Sie hat blaue Haare und spricht fast alle Sprachen der Welt. Doch sie weiß selbst nicht genau, wer sie ist. Dann tauchen auf der ganzen Welt plötzlich schwarze Handabdrücke...
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Produktinformationen zu „Daughter of Smoke and Bone / Zwischen den Welten Bd.1 “
Neues Fantasy-Highlight!
Karou ist anders: Sie hat blaue Haare und spricht fast alle Sprachen der Welt. Doch sie weiß selbst nicht genau, wer sie ist. Dann tauchen auf der ganzen Welt plötzlich schwarze Handabdrücke auf, die geflügelte Wesen in Holz und Metall brennen. Und als Karou einem dieser Wesen begegnet, erfährt sie mehr über sich selbst, als sie sich jemals hätte vorstellen können.
Klappentext zu „Daughter of Smoke and Bone / Zwischen den Welten Bd.1 “
Was würdest du dir wünschen, wenn du nur eine Perle deiner Kette opfern musst, damit dein Wunsch in Erfüllung geht?Wo würdest du hinreisen, wenn du bloß durch eine Tür gehen musst, um nahezu alle Orte der Welt zu erreichen?
Wie würdest du dich fühlen, wenn du den falschen Mann liebst, er aber die Antwort auf alle deine Fragen ist? Karou dachte, sie wüsste, wer sie ist. Doch dann kommt es zu einer Begegnung, die alles verändert ...
Eine Liebe, die älter ist als die Zeit. Und ein Kampf, bei dem ALLES auf dem Spiel steht. Der erste Band der Serie, die die Welt erobert.
Es war einmal, da verliebten sich ein Engel und ein Teufel ineinander. Es ging nicht gut aus.
Karou ist etwas Besonderes. Sie hat blaue Haare so glänzend wie Seide und filigrane Tattoos. Sie ist in den düsteren Gassen Prags genauso zuhause wie auf den Märkten von Marrakesch, und sie spricht fast alle Sprachen der Welt, nicht nur die der Menschen. Doch Karou hat ein Geheimnis. Manchmal verschwindet sie für Tage, ohne jemandem zu sagen wohin. Außerdem kennt nicht einmal sie selbst ihre wahre Herkunft.
Bis eines Tages auf der ganzen Welt mysteriöse schwarze Handabdrücke an Türen erscheinen. Geflügelte Fremde, die durch einen Spalt im Himmel geschlüpft sind, brennen sie in Holz und Metall. Einen von Ihnen trifft Karou in der pulsierenden Altstadt von Marrakesch - und eine Liebe beginnt, deren Wurzeln tief in eine gewalttätige Vergangenheit reichen.
Am Ende wird sie mehr über sich erfahren, als sie sich jemals hätte vorstellen können.
Karou ist etwas Besonderes. Sie hat blaue Haare so glänzend wie Seide und filigrane Tattoos. Sie ist in den düsteren Gassen Prags genauso zuhause wie auf den Märkten von Marrakesch, und sie spricht fast alle Sprachen der Welt, nicht nur die der Menschen. Doch Karou hat ein Geheimnis. Manchmal verschwindet sie für Tage, ohne jemandem zu sagen wohin. Außerdem kennt nicht einmal sie selbst ihre wahre Herkunft.
Bis eines Tages auf der ganzen Welt mysteriöse schwarze Handabdrücke an Türen erscheinen. Geflügelte Fremde, die durch einen Spalt im Himmel geschlüpft sind, brennen sie in Holz und Metall. Einen von Ihnen trifft Karou in der pulsierenden Altstadt von Marrakesch - und eine Liebe beginnt, deren Wurzeln tief in eine gewalttätige Vergangenheit reichen.
Am Ende wird sie mehr über sich erfahren, als sie sich jemals hätte vorstellen können.
Lese-Probe zu „Daughter of Smoke and Bone / Zwischen den Welten Bd.1 “
Daughter of Smoke and Bone - Zwischen den Welten von Laini Taylor Unerschreckbar
... mehr
Als sie über das schneebedeckte Kopfsteinpflaster zur Schule stapfte, hatte Karou keinerlei finstere Vorahnung, was den bevorstehenden Tag anging. Ein Montag wie jeder andere, abgesehen von seiner Montäglichkeit und der Tatsache, dass Januar war, völlig harmlos. Es war kalt und dunkel - mitten im Winter ging die Sonne nicht vor acht auf -, aber auch sehr hübsch. Der Schnee der frühen Morgenstunde gab Prag eine gespenstische Note, wie eine Ferrotypie, alles Silber und Dunst.
Auf der Uferstraße dröhnten Trams und Busse an Karou vorüber und verankerten den Tag im einundzwanzigsten Jahrhundert, aber in den ruhigeren Gassen hätte die winterliche Stille ohne weiteres aus einem anderen Jahrhundert stammen können. Schnee und Stein und Geisterlicht, ihre eigenen Schritte, die dünnen Dampfschwaden aus ihrem Kaffeebecher - sie war allein und in ganz profane Gedanken versunken, an die Schule, an Dinge, die sie erledigen musste. Gelegentlich der bittere Geschmack von Herzschmerz, wie das eben so ist, aber sie schob ihn beiseite, energisch, fest entschlossen, das alles hinter sich zu
lassen. Mit der einen Hand umklammerte sie den Kaffeebecher, mit der anderen hielt sie ihren Mantelkragen zusammen. Über der Schulter trug sie ihre Künstlermappe, und auf ihren Haaren - lang, offen und pfauenblau - sammelte sich ein zartes Spitzengeflecht aus Schneeflocken.
Ein ganz normaler Tag. Doch plötzlich ... Ein Knurren, rasche, vom Schnee gedämpfte Schritte, Hände packten sie von hinten, rissen sie zurück und pressten sie unsanft gegen eine breite Männerbrust. Dann zerrten behandschuhte Finger ihren Schal beiseite, und sie spürte Zähne - Zähne! - an ihrem Hals. Zähne, die sie sanft in den Hals bissen. Jemand knabberte an ihr! Ärgerlich versuchte sie, sich zu befreien, ohne ihren Kaffee zu verschütten, aber leider schwappte der Becher trotzdem über, und ein paar Tropfen landeten im schmutzigen Schnee. »Herrgott nochmal, Kaz, lass mich in Frieden!«, fauchte sie und wirbelte zu ihrem Exfreund herum. Die Straßenlaterne hüllte sein schönes Gesicht in weiches Licht. Blöde Schönheit, dachte sie und schubste ihn weg. Blödes Gesicht.
»Woher hast du denn gewusst, dass ich es bin?«, fragte er. »Du bist es doch immer. Aber es funktioniert nie.« Kazimir verdiente seinen Lebensunterhalt damit, dass er sich aus dem Hinterhalt auf ahnungslose Menschen stürzte, und es frustrierte ihn ohne Ende, dass Karou nie vor ihm erschrak. »Du bist einfach unerschreckbar«, beschwerte er sich und zog einen Schmollmund, den er für unwiderstehlich hielt. Bis vor kurzem hätte Karou sich davon auch wirklich verführen lassen, hätte sich auf die Zehenspitzen gestellt, sanft mit der Zunge über seine vorgeschobene Unterlippe geleckt, sie dann vorsichtig zwischen die Zähne genommen, zärtlich an ihr gesaugt und sich schließlich zu einem Kuss angeschmiegt, der sie dahin schmelzen ließ wie sonnenwarmer Honig. Aber damit war Schluss, ein für alle Mal. »Vielleicht bist du einfach nicht furchteinflößend«, sagte sie, drehte sich um und ging weiter. Kaz holte sie ein und lief, die Hände tief in den Taschen vergraben, neben ihr her. »Aber ich bin furchteinflößend - das Knurren, das Beißen! Jeder normale Mensch würde vor Schreck einen Herzanfall kriegen. Bloß du nicht. Aber in deinen Adern fließt ja auch kein Blut, sondern Eiswasser.«
Als sie ihn ignorierte, fügte er hinzu: »Josef und ich wollen eine neue Führung durch die Altstadt anbieten. Eine Vampir-Tour. Darauf fahren die Touristen garantiert ab!« Ja, bestimmt, dachte Karou. Die Leute bezahlten gutes Geld für diese Grusel-Führungen, die daraus bestanden, dass Reisegruppen in der Dunkelheit durch die verwinkelten Gässchen der Prager Altstadt geschleust wurden und an den Orten haltmachten, an denen angeblich ein Mord verübt worden war. Dort stürzten dann selbsternannte »Geister« aus den Hauseingängen und brachten die ahnungslosen Reisenden zum Kreischen. Karou hatte selbst schon mehrmals einen dieser Geister dargestellt, hatte einen blutigen Kopf in die Höhe gehalten, geröchelt und gestöhnt, bis das Geschrei irgendwann in erleichtertes Gelächter überging. Das hatte durchaus Spaß gemacht. Auch die Zeit mit Kaz hatte Spaß gemacht. Aber es war vorbei. »Viel Glück«, sagte sie mit demonstrativem Desinteresse und ohne ihn anzusehen. »Wir könnten dich brauchen«, sagte Kaz. »Nein danke.« »Du könntest eine sexy Vampirin spielen ...« »Nein.« »Die Männer anlocken ...« »Nein.« »Du könntest dein Cape anziehen ...« Sie erstarrte. Mit leiser, einschmeichelnder Stimme fuhr Kaz fort: »Du hast es doch noch, oder, Baby? Die schwarze Seide auf deiner weißen Haut - etwas Schöneres kann ich mir gar nicht vorstellen.« »Halt den Mund!«, zischte sie und blieb mitten auf dem Malteserplatz abrupt stehen. Gott, wie hatte sie nur so dumm sein können, sich in diesen hübschen, aber kleingeistigen Straßenschauspieler zu verknallen, sich für ihn verführerisch zurechtzumachen und ihm solche Erinnerungen zu schenken? Auserlesen dumm. Einmalig dumm. Kaz hob die Hand, um eine Schneeflocke von Karous Wimpern zu streifen. Sie wies ihn sofort zurück. »Wenn du mich anfasst, kriegst du meinen Kaffee in die Fresse!« Kaz ließ die Hand wieder sinken. »Uuhuuh, wilde Karou! Warum bist du denn immer noch so abweisend? Ich habe doch gesagt, dass es mir leidtut.« »In Ordnung, solange es dir woanders leidtut«, entgegnete sie. Sie unterhielten sich auf Tschechisch, und sie sprach mit einem leichten Akzent, der ausnehmend gut mit seinem einheimischen harmonisierte. Er seufzte, denn es irritierte ihn kolossal, dass Karou seine Entschuldigung einfach nicht annahm. So hatte er sich das nicht vorgestellt. »Ach komm schon, Baby. Wir sind für einander bestimmt, du und ich.« Seine Stimme klang rau und gleichzeitig seidenweich, wie die eines Blues-Sängers, wie aus Kies und Seide. Füreinander bestimmt. Falls sie für jemanden »bestimmt« war, hoffte Karou sehr, dass es nicht Kaz war. Nachdenklich sah sie ihn an, den schönen Kazimir, dessen Lächeln sie noch bis vor kurzem unwiderstehlich an seine Seite gezogen hatte. Ein Platz, an dem die Farben intensiver und die Empfindungen tiefer zu sein schienen. Doch bald war ihr klar geworden, dass dieser Platz auch sehr beliebt war, und dass andere Mädchen ihn einnahmen, wenn Karou es einmal nicht tat. »Frag doch Svetla, ob sie deine Vampirin sein möchte«, schlug sie vor. »Das hat sie bestimmt gut drauf.« Er verzog gequält das Gesicht. »Aber ich möchte nicht Svetla. Ich möchte dich.« »Tut mir leid, ich stehe nicht mehr zur Verfügung.«
»Sag das doch nicht«, sagte er leise und griff nach ihrer Hand. Sie fuhr zurück, und trotz all ihrer Versuche, Distanz zu wahren, durchfuhr sie ein heftiger Herzschmerz. Er ist es nicht wert, sagte sie sich. Überhaupt nicht. »Dir ist hoffentlich klar, dass du dich benimmst wie ein Stalker.« »Quatsch, ich verfolge dich doch nicht. Wir gehen nur zufällig den gleichen Weg.« »Na schön«, sagte Karou. Inzwischen waren sie nur noch ein paar Häuser von der Böhmischen Kunstakademie entfernt, an der Karou studierte. Das Institut, eine private Einrichtung, war in einem kleinen, rosa gestrichenen Barockpalast untergebracht. Der Palast war berühmt dafür, dass in ihm während der Nazibesatzung zwei junge tschechische Freiheitskämpfer einem Gestapo-Kommandanten die Kehle durchgeschnitten und mit seinem Blut »Freiheit« an die Wand geschrieben hatten. Eine kurze, mutige Rebellion, die leider damit endete, dass sie festgenommen und auf die Kreuzblumen des Hoftors gespießt wurden. Jetzt gingen durch dieses Tor die Studenten aus und ein, rauchten, plauderten und trafen ihre Freunde. Doch Kaz war kein Student, mit zwanzig Jahren war er bereits ein paar Jahre älter als Karou, und sie hatte auch noch nie erlebt, dass er vor Mittag aus dem Bett kroch. »Warum bist du überhaupt schon auf?«, fragte sie. »Ich hab einen neuen Job«, erklärte er. »Und der fängt früh an.« »Was? Machst du etwa Vampir-Touren am Vormittag?« »Nein, das nicht. Ich hab was anderes gefunden. So eine ... eine Art Enthüllungsprojekt.« Er grinste. Aus irgendeinem Grund schien er sich diebisch zu freuen. Und es schien ihm sehr wichtig zu sein, dass Karou nachfragte und Genaueres über den Job wissen wollte.
Aber den Gefallen tat sie ihm nicht. Betont gleichgültig meinte sie: »Na dann viel Spaß«, wandte ihm den Rücken zu und ließ ihn stehen. »Willst du gar nicht wissen, was ich mache?«, rief Kaz ihr nach. An seiner Stimme hörte sie, dass das Grinsen noch nicht ganz verschwunden war. »Ist mir egal«, antwortete sie und ging durch das Tor. *** Es wäre besser gewesen, wenn sie gefragt hätte.
Eine Art Enthüllungsprojekt
Montags, mittwochs und freitags begann Karous Stundenplan mit Aktzeichnen. Als sie ins Studio kam, war ihre beste Freundin Zuzana bereits da und hatte schon Staffeleien vor der leicht erhöhten Plattform des Modells aufgebaut. Karou ließ Portfolio und Jacke von der Schulter rutschen, wickelte den Schal vom Hals und verkündete: »Mich verfolgt ein Stalker.« Zuzana zog eine Augenbraue hoch. Sie war eine Meisterin im Augenbrauenhochziehen, und Karou beneidete sie sehr darum. Ihre eigenen Augenbrauen ließen sich nämlich nicht einzeln bewegen, was ihre Ausdrucksmöglichkeiten stark einschränkte, wenn es um Argwohn und Verachtung ging. Zuzana beherrschte beides perfekt, aber momentan handelte es sich um eine sehr sanfte Version, die lediglich kühle Neugier ausdrückte. »Erzähl mir nicht, dass dieser Idiot wieder versucht hat, dich zu erschrecken.« »Doch. Und er macht gerade eine Vampirphase durch. Er hat mich in den Hals gebissen.« »Schauspieler«, murmelte Zuzana verächtlich. »Ich sage dir, du brauchst einen Elektroschocker für den Kerl. Das wird es ihm schon austreiben, andere Leute aus dem Hinterhalt zu überfallen.« »Ich hab aber keinen Elektroschocker.« Karou fügte nicht hinzu, dass sie auch keinen brauchte, weil sie dank ihrer außergewöhnlichen Erziehung sehr wohl imstande war, sich auch ohne Elektroschocks zu verteidigen.
»Na, dann besorg dir einen. Ernsthaft. Schlechtes Benehmen muss bestraft werden. Außerdem macht es bestimmt Spaß. Meinst du nicht? Ich wollte schon immer mal Elektroschocks verteilen. Zapp!« Zuzana tat so, als hätte sie Krämpfe. Karou schüttelte den Kopf. »Nein, du Mini-Sadistin, ich glaube nicht, dass das lustig wäre. Du bist echt schrecklich.« »Ich bin nicht schrecklich, Kaz ist schrecklich. Erzähl mir nicht, dass ich dich daran erinnern muss!« Sie warf Karou einen scharfen Blick zu. »Oder dass du vorhast, ihm zu verzeihen.«
»Nein! Auf gar keinen Fall«, beteuerte Karou. »Aber versuch mal, ihn davon zu überzeugen.« Für Kaz war es schlicht unvorstellbar, dass ein Mädchen freiwillig seinem Charme entsagte. Und in den Monaten, in denen Karou mit ihm zusammen gewesen war, hatte sie seine Eitelkeit ja auch fleißig angeheizt, hatte ihn angehimmelt und war ihm zuliebe bereit gewesen zu ... allem? Dass er sie jetzt umwarb, war ihrer Ansicht nach hauptsächlich ein Zeichen von verletztem Stolz - er wollte sich selbst beweisen, dass er jede haben konnte, die er wollte. Dass er nur mit dem kleinen Finger zu winken brauchte. Vielleicht hatte Zuzana recht. Vielleicht sollte sie ihm wirklich mit einem Elektroschocker auf den Leib rücken. »Skizzenbuch«, kommandierte Zuzana und streckte die Hand aus wie ein Chirurg, der sich das Skalpell reichen lässt. Zuzanas Lust am Befehlen verhielt sich umgekehrt proportional zu ihrem zierlichen Körperbau. Sie überschritt die eins fünfzig nur in Stiefeln mit Plateausohlen, während Karou mit ihrem langen Hals und gertenschlanken Gliedmaßen größer wirkte als ihre tatsächlichen eins siebzig - wie es oft bei Balletttänzerinnen der Fall ist. Dank ihrer Tätowierungen und den leuchtend blauen Haaren erinnerte sie ansonsten allerdings nicht sehr an eine Ballerina. Als sie jetzt das Skizzenbuch auspackte und ihrer Freundin reichte, sah man die beiden Tattoos, die ihre Handgelenke zierten wie zwei Armbänder - jeweils ein einziges Wort: true und story. Zuzana nahm das Buch entgegen, und sofort kamen zwei ihrer Kommilitonen - Pavel und Dina - herüber, um ihr über die Schulter zu schauen. Karous Skizzenbücher besaßen in der Schule Kultstatus und wurden ständig herumgereicht und bewundert. Das jetzige - Nummer zweiundneunzig in einer lebenslangen Reihe - wurde von dicken Gummibändern notdürftig zusammengehalten, und sobald Zuzana diese löste, sprang es auf. Die Blätter, auf denen nun Karous typische Figuren vorbeihuschten, waren so mit Kreide und Farbe überzogen, dass die Bindung sie nur mit Mühe zusammenhielt. Es waren zutiefst fremdartige, hinreißend gezeichnete Wesen, die hier zu sehen waren. Zum Beispiel Issa, von der Taille abwärts eine Schlange und aufwärts eine Frau, mit den nackten runden Brüsten von Kamasutra-Schnitzereien, mit der Haube und den Fangzähnen einer Kobra und dem Gesicht eines Engels. Oder Twiga mit dem Giraffenhals und der Juwelierlupe im zusammengekniffenen Auge. Yasri mit dem Papageienschnabel, in der einen Hand einen Teller mit Früchten, in der anderen einen Krug Wein. Und natürlich Brimstone, der unumstrittene Star der Skizzenbücher. Hier war er dargestellt mit Kishmish, der anmutig auf einem seiner großen, geschwungenen Widderhörner hockte. In den phantastischen Geschichten, die Karou in ihren Skizzenbüchern erzählte, handelte Brimstone mit Wünschen. Manchmal bezeichnete sie ihn als »Wishmonger«, den Wunschhändler. Und dann wieder nannte sie ihn einfach nur »alter Griesgram«. Schon als kleines Mädchen hatte Karou angefangen, diese Kreaturen zu zeichnen, und ihre Freunde neigten dazu, über sie zu reden, als wären sie real. »Was hat Brimstone denn dieses Wochenende so getrieben?«, fragte Zuzana. »Das Übliche«, antwortete Karou dann. »Hat irgendwelchen Mördern Zähne abgekauft. Gestern hat ihm dieser grässliche somalische Wilderer eine Schachtel Krokodilzähne gebracht, aber der Idiot hat versucht, Brimstone zu bestehlen, und wäre um ein Haar von seinem Schlangenhalsband erwürgt worden. Er hat Glück, dass er noch lebt.« Zuzana fand die Illustrationen zu dieser Geschichte auf den letzten Seiten des Buchs: Der Somalier mit nach oben verdrehten Augen, die peitschendünne Schlange, die sich so fest um seinen Hals wand wie ein Würgeisen. Karou hatte ihren Zuhörern schon des Öfteren erklärt, dass Menschen sich eine von Issas Schlangen umlegen lassen mussten, bevor sie Brimstones Laden betreten durften. Auf diese Weise waren sie leicht zu bezwingen, wenn sie irgendwelche faulen Tricks versuchten. Entweder wurden sie stranguliert, was nicht unbedingt zum Tod führte, oder falls notwendig biss die Schlange den Betrüger in den Hals - was seinem Leben unweigerlich ein Ende setzte. »Wie kannst du dir bloß immer dieses ganze verrückte Zeug ausdenken?«, fragte Zuzana voller neidischem Staunen. »Wer sagt denn, dass ich es mir ausdenke? Vielleicht ist es ja real.« »Ja, ja. Und deine Haare sind auch von Natur aus blau, nicht wahr?« »Ja, genau«, erwiderte Karou und ließ sich eine lange blaue Strähne durch die Finger gleiten. »Alles klar.« Achselzuckend fasste Karou ihre Mähne im Nacken zu einem chaotischen Knoten zusammen und steckte ihn mit einem ihrer Pinsel fest. Ihre Haare waren wirklich blau, ein schönes, reines Blau wie Ultramarin direkt aus der Farbtube, aber über diese Tatsache sprach sie immer mit einem sarkastischen Grinsen, als wäre das absurd. Aus Erfahrung wusste sie, dass dieses träge Lächeln ausreichte, um ganz offen die Wahrheit sagen zu können, ohne das geringste Risiko, dass jemand ihr glaubte. Und das war wesentlich einfacher, als sich lauter Lügen merken zu müssen. Inzwischen war diese Taktik ein Teil ihrer Persönlichkeit geworden: Karou mit ihrem sarkastischen Lächeln und ihrer verrückten Phantasie. In Wirklichkeit war jedoch nicht ihre Phantasie verrückt, sondern ihr Leben. Mit blauen Haaren, mit Brimstone und allem Drum und Dran. Zuzana gab das Buch an Pavel weiter und begann, in ihrem eigenen großen Zeichenblock zu blättern und eine leere Seite zu suchen. »Ich frage mich, wer heute Modell steht.« »Wahrscheinlich Wiktor«, meinte Karou. »Den hatten wir schon eine ganze Weile nicht mehr.« »Ich weiß. Und ich hoffe, er ist tot.« »Zuzana!« »Was denn? Er ist mindestens acht Millionen Jahre alt. Statt diesem Klappergestell könnten wir genauso gut ein Skelett malen.« Es gab etwa ein Dutzend männliche und weibliche Modelle, unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Figur, die sich im Lauf des Semesters abwechselten. Von der umfangreichen Madame Svobodnik, deren Körper eher an eine Landschaft erinnerte, bis zur gertenschlanken Eliska mit ihren kurzen Koboldhaaren und der Wespentaille, dem Liebling aller männlichen Studenten. Den uralten Wiktor mochte Zuzana am wenigsten. Sie behauptete, dass sie jedes Mal, wenn sie ihn zeichnen musste, Albträume bekam.
»Er sieht aus wie eine ausgewickelte Mumie«, sagte sie und schauderte. »Einen nackten alten Mann anzustarren ist echt nichts für mich, schon gar nicht am frühen Morgen.« »Besser, als von einem Vampir überfallen zu werden«, gab Karou zurück. Sie hatte kein Problem damit, Wiktor zu zeichnen. Er war so kurzsichtig, dass er nie Blickkontakt zu den Studenten aufnahm, und das war ein großer Pluspunkt. Bei den jüngeren männlichen Modellen war es manchmal recht störend, wenn man von der konzentrierten Betrachtung eines Penis - den man eingehend studieren musste, da man die betreffende Stelle ja nicht einfach freilassen konnte - aufblickte und merkte, dass das Modell einen unverwandt anstarrte. Das hatte Karou schon des Öfteren so in Verlegenheit gebracht, dass sie knallrot angelaufen war und sich schnell hinter ihrer Staffelei versteckt hatte. Doch diese Vorfälle sollten angesichts der Peinlichkeit, die ihr heute bevorstand, zur Bedeutungslosigkeit verblassen.
Karou war gerade dabei, einen Bleistift mit einem Rasiermesser anzuspitzen, als Zuzana mit seltsamer, halb erstickter Stimme hervorstieß: »Mein Gott, Karou!« Und noch ehe sie aufblickte, wusste Karou, was los war. Ein Enthüllungsprojekt hatte er gesagt. Oh, wie clever. Als sie die Augen von ihrem Stift hob, sah sie Kaz hinter Profesorka Fiala, ihrer Professorin, stehen, barfuß, im Bademantel, die schulterlangen, goldblonden Haare, die vor wenigen Minuten noch zerzaust und von Schneeflocken durchsetzt gewesen waren, zu einem ordentlichen Pferdeschwanz zusammengebunden. In seinem Gesicht gingen slawische Kanten und weiche Sinnlichkeit eine perfekte Verbindung ein: Wangenknochen wie von der Drehbank eines Diamantenschleifers, Lippen, die man am liebsten mit den Fingerspitzen berührt hätte, um zu prüfen, ob sie sich wirklich wie Samt anfühlten. Was sie taten, wie Karou aus Erfahrung wusste. Diese blöden Lippen. Gemurmel erhob sich im Raum. Ein neues Modell, o mein Gott, der Typ ist ja hinreißend ...
Aber dann übertönte eine Stimme alle anderen. »Ist das nicht Karous Freund?« Exfreund, hätte sie am liebsten laut gebrüllt. Mein Exfreund!
Als sie über das schneebedeckte Kopfsteinpflaster zur Schule stapfte, hatte Karou keinerlei finstere Vorahnung, was den bevorstehenden Tag anging. Ein Montag wie jeder andere, abgesehen von seiner Montäglichkeit und der Tatsache, dass Januar war, völlig harmlos. Es war kalt und dunkel - mitten im Winter ging die Sonne nicht vor acht auf -, aber auch sehr hübsch. Der Schnee der frühen Morgenstunde gab Prag eine gespenstische Note, wie eine Ferrotypie, alles Silber und Dunst.
Auf der Uferstraße dröhnten Trams und Busse an Karou vorüber und verankerten den Tag im einundzwanzigsten Jahrhundert, aber in den ruhigeren Gassen hätte die winterliche Stille ohne weiteres aus einem anderen Jahrhundert stammen können. Schnee und Stein und Geisterlicht, ihre eigenen Schritte, die dünnen Dampfschwaden aus ihrem Kaffeebecher - sie war allein und in ganz profane Gedanken versunken, an die Schule, an Dinge, die sie erledigen musste. Gelegentlich der bittere Geschmack von Herzschmerz, wie das eben so ist, aber sie schob ihn beiseite, energisch, fest entschlossen, das alles hinter sich zu
lassen. Mit der einen Hand umklammerte sie den Kaffeebecher, mit der anderen hielt sie ihren Mantelkragen zusammen. Über der Schulter trug sie ihre Künstlermappe, und auf ihren Haaren - lang, offen und pfauenblau - sammelte sich ein zartes Spitzengeflecht aus Schneeflocken.
Ein ganz normaler Tag. Doch plötzlich ... Ein Knurren, rasche, vom Schnee gedämpfte Schritte, Hände packten sie von hinten, rissen sie zurück und pressten sie unsanft gegen eine breite Männerbrust. Dann zerrten behandschuhte Finger ihren Schal beiseite, und sie spürte Zähne - Zähne! - an ihrem Hals. Zähne, die sie sanft in den Hals bissen. Jemand knabberte an ihr! Ärgerlich versuchte sie, sich zu befreien, ohne ihren Kaffee zu verschütten, aber leider schwappte der Becher trotzdem über, und ein paar Tropfen landeten im schmutzigen Schnee. »Herrgott nochmal, Kaz, lass mich in Frieden!«, fauchte sie und wirbelte zu ihrem Exfreund herum. Die Straßenlaterne hüllte sein schönes Gesicht in weiches Licht. Blöde Schönheit, dachte sie und schubste ihn weg. Blödes Gesicht.
»Woher hast du denn gewusst, dass ich es bin?«, fragte er. »Du bist es doch immer. Aber es funktioniert nie.« Kazimir verdiente seinen Lebensunterhalt damit, dass er sich aus dem Hinterhalt auf ahnungslose Menschen stürzte, und es frustrierte ihn ohne Ende, dass Karou nie vor ihm erschrak. »Du bist einfach unerschreckbar«, beschwerte er sich und zog einen Schmollmund, den er für unwiderstehlich hielt. Bis vor kurzem hätte Karou sich davon auch wirklich verführen lassen, hätte sich auf die Zehenspitzen gestellt, sanft mit der Zunge über seine vorgeschobene Unterlippe geleckt, sie dann vorsichtig zwischen die Zähne genommen, zärtlich an ihr gesaugt und sich schließlich zu einem Kuss angeschmiegt, der sie dahin schmelzen ließ wie sonnenwarmer Honig. Aber damit war Schluss, ein für alle Mal. »Vielleicht bist du einfach nicht furchteinflößend«, sagte sie, drehte sich um und ging weiter. Kaz holte sie ein und lief, die Hände tief in den Taschen vergraben, neben ihr her. »Aber ich bin furchteinflößend - das Knurren, das Beißen! Jeder normale Mensch würde vor Schreck einen Herzanfall kriegen. Bloß du nicht. Aber in deinen Adern fließt ja auch kein Blut, sondern Eiswasser.«
Als sie ihn ignorierte, fügte er hinzu: »Josef und ich wollen eine neue Führung durch die Altstadt anbieten. Eine Vampir-Tour. Darauf fahren die Touristen garantiert ab!« Ja, bestimmt, dachte Karou. Die Leute bezahlten gutes Geld für diese Grusel-Führungen, die daraus bestanden, dass Reisegruppen in der Dunkelheit durch die verwinkelten Gässchen der Prager Altstadt geschleust wurden und an den Orten haltmachten, an denen angeblich ein Mord verübt worden war. Dort stürzten dann selbsternannte »Geister« aus den Hauseingängen und brachten die ahnungslosen Reisenden zum Kreischen. Karou hatte selbst schon mehrmals einen dieser Geister dargestellt, hatte einen blutigen Kopf in die Höhe gehalten, geröchelt und gestöhnt, bis das Geschrei irgendwann in erleichtertes Gelächter überging. Das hatte durchaus Spaß gemacht. Auch die Zeit mit Kaz hatte Spaß gemacht. Aber es war vorbei. »Viel Glück«, sagte sie mit demonstrativem Desinteresse und ohne ihn anzusehen. »Wir könnten dich brauchen«, sagte Kaz. »Nein danke.« »Du könntest eine sexy Vampirin spielen ...« »Nein.« »Die Männer anlocken ...« »Nein.« »Du könntest dein Cape anziehen ...« Sie erstarrte. Mit leiser, einschmeichelnder Stimme fuhr Kaz fort: »Du hast es doch noch, oder, Baby? Die schwarze Seide auf deiner weißen Haut - etwas Schöneres kann ich mir gar nicht vorstellen.« »Halt den Mund!«, zischte sie und blieb mitten auf dem Malteserplatz abrupt stehen. Gott, wie hatte sie nur so dumm sein können, sich in diesen hübschen, aber kleingeistigen Straßenschauspieler zu verknallen, sich für ihn verführerisch zurechtzumachen und ihm solche Erinnerungen zu schenken? Auserlesen dumm. Einmalig dumm. Kaz hob die Hand, um eine Schneeflocke von Karous Wimpern zu streifen. Sie wies ihn sofort zurück. »Wenn du mich anfasst, kriegst du meinen Kaffee in die Fresse!« Kaz ließ die Hand wieder sinken. »Uuhuuh, wilde Karou! Warum bist du denn immer noch so abweisend? Ich habe doch gesagt, dass es mir leidtut.« »In Ordnung, solange es dir woanders leidtut«, entgegnete sie. Sie unterhielten sich auf Tschechisch, und sie sprach mit einem leichten Akzent, der ausnehmend gut mit seinem einheimischen harmonisierte. Er seufzte, denn es irritierte ihn kolossal, dass Karou seine Entschuldigung einfach nicht annahm. So hatte er sich das nicht vorgestellt. »Ach komm schon, Baby. Wir sind für einander bestimmt, du und ich.« Seine Stimme klang rau und gleichzeitig seidenweich, wie die eines Blues-Sängers, wie aus Kies und Seide. Füreinander bestimmt. Falls sie für jemanden »bestimmt« war, hoffte Karou sehr, dass es nicht Kaz war. Nachdenklich sah sie ihn an, den schönen Kazimir, dessen Lächeln sie noch bis vor kurzem unwiderstehlich an seine Seite gezogen hatte. Ein Platz, an dem die Farben intensiver und die Empfindungen tiefer zu sein schienen. Doch bald war ihr klar geworden, dass dieser Platz auch sehr beliebt war, und dass andere Mädchen ihn einnahmen, wenn Karou es einmal nicht tat. »Frag doch Svetla, ob sie deine Vampirin sein möchte«, schlug sie vor. »Das hat sie bestimmt gut drauf.« Er verzog gequält das Gesicht. »Aber ich möchte nicht Svetla. Ich möchte dich.« »Tut mir leid, ich stehe nicht mehr zur Verfügung.«
»Sag das doch nicht«, sagte er leise und griff nach ihrer Hand. Sie fuhr zurück, und trotz all ihrer Versuche, Distanz zu wahren, durchfuhr sie ein heftiger Herzschmerz. Er ist es nicht wert, sagte sie sich. Überhaupt nicht. »Dir ist hoffentlich klar, dass du dich benimmst wie ein Stalker.« »Quatsch, ich verfolge dich doch nicht. Wir gehen nur zufällig den gleichen Weg.« »Na schön«, sagte Karou. Inzwischen waren sie nur noch ein paar Häuser von der Böhmischen Kunstakademie entfernt, an der Karou studierte. Das Institut, eine private Einrichtung, war in einem kleinen, rosa gestrichenen Barockpalast untergebracht. Der Palast war berühmt dafür, dass in ihm während der Nazibesatzung zwei junge tschechische Freiheitskämpfer einem Gestapo-Kommandanten die Kehle durchgeschnitten und mit seinem Blut »Freiheit« an die Wand geschrieben hatten. Eine kurze, mutige Rebellion, die leider damit endete, dass sie festgenommen und auf die Kreuzblumen des Hoftors gespießt wurden. Jetzt gingen durch dieses Tor die Studenten aus und ein, rauchten, plauderten und trafen ihre Freunde. Doch Kaz war kein Student, mit zwanzig Jahren war er bereits ein paar Jahre älter als Karou, und sie hatte auch noch nie erlebt, dass er vor Mittag aus dem Bett kroch. »Warum bist du überhaupt schon auf?«, fragte sie. »Ich hab einen neuen Job«, erklärte er. »Und der fängt früh an.« »Was? Machst du etwa Vampir-Touren am Vormittag?« »Nein, das nicht. Ich hab was anderes gefunden. So eine ... eine Art Enthüllungsprojekt.« Er grinste. Aus irgendeinem Grund schien er sich diebisch zu freuen. Und es schien ihm sehr wichtig zu sein, dass Karou nachfragte und Genaueres über den Job wissen wollte.
Aber den Gefallen tat sie ihm nicht. Betont gleichgültig meinte sie: »Na dann viel Spaß«, wandte ihm den Rücken zu und ließ ihn stehen. »Willst du gar nicht wissen, was ich mache?«, rief Kaz ihr nach. An seiner Stimme hörte sie, dass das Grinsen noch nicht ganz verschwunden war. »Ist mir egal«, antwortete sie und ging durch das Tor. *** Es wäre besser gewesen, wenn sie gefragt hätte.
Eine Art Enthüllungsprojekt
Montags, mittwochs und freitags begann Karous Stundenplan mit Aktzeichnen. Als sie ins Studio kam, war ihre beste Freundin Zuzana bereits da und hatte schon Staffeleien vor der leicht erhöhten Plattform des Modells aufgebaut. Karou ließ Portfolio und Jacke von der Schulter rutschen, wickelte den Schal vom Hals und verkündete: »Mich verfolgt ein Stalker.« Zuzana zog eine Augenbraue hoch. Sie war eine Meisterin im Augenbrauenhochziehen, und Karou beneidete sie sehr darum. Ihre eigenen Augenbrauen ließen sich nämlich nicht einzeln bewegen, was ihre Ausdrucksmöglichkeiten stark einschränkte, wenn es um Argwohn und Verachtung ging. Zuzana beherrschte beides perfekt, aber momentan handelte es sich um eine sehr sanfte Version, die lediglich kühle Neugier ausdrückte. »Erzähl mir nicht, dass dieser Idiot wieder versucht hat, dich zu erschrecken.« »Doch. Und er macht gerade eine Vampirphase durch. Er hat mich in den Hals gebissen.« »Schauspieler«, murmelte Zuzana verächtlich. »Ich sage dir, du brauchst einen Elektroschocker für den Kerl. Das wird es ihm schon austreiben, andere Leute aus dem Hinterhalt zu überfallen.« »Ich hab aber keinen Elektroschocker.« Karou fügte nicht hinzu, dass sie auch keinen brauchte, weil sie dank ihrer außergewöhnlichen Erziehung sehr wohl imstande war, sich auch ohne Elektroschocks zu verteidigen.
»Na, dann besorg dir einen. Ernsthaft. Schlechtes Benehmen muss bestraft werden. Außerdem macht es bestimmt Spaß. Meinst du nicht? Ich wollte schon immer mal Elektroschocks verteilen. Zapp!« Zuzana tat so, als hätte sie Krämpfe. Karou schüttelte den Kopf. »Nein, du Mini-Sadistin, ich glaube nicht, dass das lustig wäre. Du bist echt schrecklich.« »Ich bin nicht schrecklich, Kaz ist schrecklich. Erzähl mir nicht, dass ich dich daran erinnern muss!« Sie warf Karou einen scharfen Blick zu. »Oder dass du vorhast, ihm zu verzeihen.«
»Nein! Auf gar keinen Fall«, beteuerte Karou. »Aber versuch mal, ihn davon zu überzeugen.« Für Kaz war es schlicht unvorstellbar, dass ein Mädchen freiwillig seinem Charme entsagte. Und in den Monaten, in denen Karou mit ihm zusammen gewesen war, hatte sie seine Eitelkeit ja auch fleißig angeheizt, hatte ihn angehimmelt und war ihm zuliebe bereit gewesen zu ... allem? Dass er sie jetzt umwarb, war ihrer Ansicht nach hauptsächlich ein Zeichen von verletztem Stolz - er wollte sich selbst beweisen, dass er jede haben konnte, die er wollte. Dass er nur mit dem kleinen Finger zu winken brauchte. Vielleicht hatte Zuzana recht. Vielleicht sollte sie ihm wirklich mit einem Elektroschocker auf den Leib rücken. »Skizzenbuch«, kommandierte Zuzana und streckte die Hand aus wie ein Chirurg, der sich das Skalpell reichen lässt. Zuzanas Lust am Befehlen verhielt sich umgekehrt proportional zu ihrem zierlichen Körperbau. Sie überschritt die eins fünfzig nur in Stiefeln mit Plateausohlen, während Karou mit ihrem langen Hals und gertenschlanken Gliedmaßen größer wirkte als ihre tatsächlichen eins siebzig - wie es oft bei Balletttänzerinnen der Fall ist. Dank ihrer Tätowierungen und den leuchtend blauen Haaren erinnerte sie ansonsten allerdings nicht sehr an eine Ballerina. Als sie jetzt das Skizzenbuch auspackte und ihrer Freundin reichte, sah man die beiden Tattoos, die ihre Handgelenke zierten wie zwei Armbänder - jeweils ein einziges Wort: true und story. Zuzana nahm das Buch entgegen, und sofort kamen zwei ihrer Kommilitonen - Pavel und Dina - herüber, um ihr über die Schulter zu schauen. Karous Skizzenbücher besaßen in der Schule Kultstatus und wurden ständig herumgereicht und bewundert. Das jetzige - Nummer zweiundneunzig in einer lebenslangen Reihe - wurde von dicken Gummibändern notdürftig zusammengehalten, und sobald Zuzana diese löste, sprang es auf. Die Blätter, auf denen nun Karous typische Figuren vorbeihuschten, waren so mit Kreide und Farbe überzogen, dass die Bindung sie nur mit Mühe zusammenhielt. Es waren zutiefst fremdartige, hinreißend gezeichnete Wesen, die hier zu sehen waren. Zum Beispiel Issa, von der Taille abwärts eine Schlange und aufwärts eine Frau, mit den nackten runden Brüsten von Kamasutra-Schnitzereien, mit der Haube und den Fangzähnen einer Kobra und dem Gesicht eines Engels. Oder Twiga mit dem Giraffenhals und der Juwelierlupe im zusammengekniffenen Auge. Yasri mit dem Papageienschnabel, in der einen Hand einen Teller mit Früchten, in der anderen einen Krug Wein. Und natürlich Brimstone, der unumstrittene Star der Skizzenbücher. Hier war er dargestellt mit Kishmish, der anmutig auf einem seiner großen, geschwungenen Widderhörner hockte. In den phantastischen Geschichten, die Karou in ihren Skizzenbüchern erzählte, handelte Brimstone mit Wünschen. Manchmal bezeichnete sie ihn als »Wishmonger«, den Wunschhändler. Und dann wieder nannte sie ihn einfach nur »alter Griesgram«. Schon als kleines Mädchen hatte Karou angefangen, diese Kreaturen zu zeichnen, und ihre Freunde neigten dazu, über sie zu reden, als wären sie real. »Was hat Brimstone denn dieses Wochenende so getrieben?«, fragte Zuzana. »Das Übliche«, antwortete Karou dann. »Hat irgendwelchen Mördern Zähne abgekauft. Gestern hat ihm dieser grässliche somalische Wilderer eine Schachtel Krokodilzähne gebracht, aber der Idiot hat versucht, Brimstone zu bestehlen, und wäre um ein Haar von seinem Schlangenhalsband erwürgt worden. Er hat Glück, dass er noch lebt.« Zuzana fand die Illustrationen zu dieser Geschichte auf den letzten Seiten des Buchs: Der Somalier mit nach oben verdrehten Augen, die peitschendünne Schlange, die sich so fest um seinen Hals wand wie ein Würgeisen. Karou hatte ihren Zuhörern schon des Öfteren erklärt, dass Menschen sich eine von Issas Schlangen umlegen lassen mussten, bevor sie Brimstones Laden betreten durften. Auf diese Weise waren sie leicht zu bezwingen, wenn sie irgendwelche faulen Tricks versuchten. Entweder wurden sie stranguliert, was nicht unbedingt zum Tod führte, oder falls notwendig biss die Schlange den Betrüger in den Hals - was seinem Leben unweigerlich ein Ende setzte. »Wie kannst du dir bloß immer dieses ganze verrückte Zeug ausdenken?«, fragte Zuzana voller neidischem Staunen. »Wer sagt denn, dass ich es mir ausdenke? Vielleicht ist es ja real.« »Ja, ja. Und deine Haare sind auch von Natur aus blau, nicht wahr?« »Ja, genau«, erwiderte Karou und ließ sich eine lange blaue Strähne durch die Finger gleiten. »Alles klar.« Achselzuckend fasste Karou ihre Mähne im Nacken zu einem chaotischen Knoten zusammen und steckte ihn mit einem ihrer Pinsel fest. Ihre Haare waren wirklich blau, ein schönes, reines Blau wie Ultramarin direkt aus der Farbtube, aber über diese Tatsache sprach sie immer mit einem sarkastischen Grinsen, als wäre das absurd. Aus Erfahrung wusste sie, dass dieses träge Lächeln ausreichte, um ganz offen die Wahrheit sagen zu können, ohne das geringste Risiko, dass jemand ihr glaubte. Und das war wesentlich einfacher, als sich lauter Lügen merken zu müssen. Inzwischen war diese Taktik ein Teil ihrer Persönlichkeit geworden: Karou mit ihrem sarkastischen Lächeln und ihrer verrückten Phantasie. In Wirklichkeit war jedoch nicht ihre Phantasie verrückt, sondern ihr Leben. Mit blauen Haaren, mit Brimstone und allem Drum und Dran. Zuzana gab das Buch an Pavel weiter und begann, in ihrem eigenen großen Zeichenblock zu blättern und eine leere Seite zu suchen. »Ich frage mich, wer heute Modell steht.« »Wahrscheinlich Wiktor«, meinte Karou. »Den hatten wir schon eine ganze Weile nicht mehr.« »Ich weiß. Und ich hoffe, er ist tot.« »Zuzana!« »Was denn? Er ist mindestens acht Millionen Jahre alt. Statt diesem Klappergestell könnten wir genauso gut ein Skelett malen.« Es gab etwa ein Dutzend männliche und weibliche Modelle, unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Figur, die sich im Lauf des Semesters abwechselten. Von der umfangreichen Madame Svobodnik, deren Körper eher an eine Landschaft erinnerte, bis zur gertenschlanken Eliska mit ihren kurzen Koboldhaaren und der Wespentaille, dem Liebling aller männlichen Studenten. Den uralten Wiktor mochte Zuzana am wenigsten. Sie behauptete, dass sie jedes Mal, wenn sie ihn zeichnen musste, Albträume bekam.
»Er sieht aus wie eine ausgewickelte Mumie«, sagte sie und schauderte. »Einen nackten alten Mann anzustarren ist echt nichts für mich, schon gar nicht am frühen Morgen.« »Besser, als von einem Vampir überfallen zu werden«, gab Karou zurück. Sie hatte kein Problem damit, Wiktor zu zeichnen. Er war so kurzsichtig, dass er nie Blickkontakt zu den Studenten aufnahm, und das war ein großer Pluspunkt. Bei den jüngeren männlichen Modellen war es manchmal recht störend, wenn man von der konzentrierten Betrachtung eines Penis - den man eingehend studieren musste, da man die betreffende Stelle ja nicht einfach freilassen konnte - aufblickte und merkte, dass das Modell einen unverwandt anstarrte. Das hatte Karou schon des Öfteren so in Verlegenheit gebracht, dass sie knallrot angelaufen war und sich schnell hinter ihrer Staffelei versteckt hatte. Doch diese Vorfälle sollten angesichts der Peinlichkeit, die ihr heute bevorstand, zur Bedeutungslosigkeit verblassen.
Karou war gerade dabei, einen Bleistift mit einem Rasiermesser anzuspitzen, als Zuzana mit seltsamer, halb erstickter Stimme hervorstieß: »Mein Gott, Karou!« Und noch ehe sie aufblickte, wusste Karou, was los war. Ein Enthüllungsprojekt hatte er gesagt. Oh, wie clever. Als sie die Augen von ihrem Stift hob, sah sie Kaz hinter Profesorka Fiala, ihrer Professorin, stehen, barfuß, im Bademantel, die schulterlangen, goldblonden Haare, die vor wenigen Minuten noch zerzaust und von Schneeflocken durchsetzt gewesen waren, zu einem ordentlichen Pferdeschwanz zusammengebunden. In seinem Gesicht gingen slawische Kanten und weiche Sinnlichkeit eine perfekte Verbindung ein: Wangenknochen wie von der Drehbank eines Diamantenschleifers, Lippen, die man am liebsten mit den Fingerspitzen berührt hätte, um zu prüfen, ob sie sich wirklich wie Samt anfühlten. Was sie taten, wie Karou aus Erfahrung wusste. Diese blöden Lippen. Gemurmel erhob sich im Raum. Ein neues Modell, o mein Gott, der Typ ist ja hinreißend ...
Aber dann übertönte eine Stimme alle anderen. »Ist das nicht Karous Freund?« Exfreund, hätte sie am liebsten laut gebrüllt. Mein Exfreund!
... weniger
Autoren-Porträt von Laini Taylor
Laini Taylor hat bereits mehrere Romane veröffentlicht. Sie hat Literatur und Kunst studiert und lebt in Portland, Oregon mit Ehemann und Tochter Clementine. Bei Fischer FJB hat sie in der 'Zwischen den Welten'-Reihe die Bände 'Daughter of Smoke and Bone', 'Days of Blood and Starlight' und 'Dreams of Gods and Monsters' veröffentlicht. Strüh, ChristineChristine Strüh, geboren 1954, lebt in Berlin. Sie ist Übersetzerin von Gillian Flynn, Cecelia Ahern, Judy Blume, Pete Hamill, Laini Taylor und anderen.
Bibliographische Angaben
- Autor: Laini Taylor
- Altersempfehlung: 4 - 16 Jahre
- 2012, 496 Seiten, Maße: 13,5 x 21 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzer: Anna Julia Strüh, Christine Strüh
- Verlag: Fischer FJB
- ISBN-10: 3841421369
- ISBN-13: 9783841421364
- Erscheinungsdatum: 22.02.2012
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