Defekt / Kay Scarpetta Bd.14
Ein Kay-Scarpetta-Roman
"Hand Gottes": So nennt sich der mysteriöse Anrufer, der dem Ermittler Pete Marino mitten in der Nacht Andeutungen über einen ungeklärten Todesfall macht. Dr. Kay Scarpetta, die Marino unterstützt, ist alarmiert: Sie haben es mit einem...
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Produktinformationen zu „Defekt / Kay Scarpetta Bd.14 “
"Hand Gottes": So nennt sich der mysteriöse Anrufer, der dem Ermittler Pete Marino mitten in der Nacht Andeutungen über einen ungeklärten Todesfall macht. Dr. Kay Scarpetta, die Marino unterstützt, ist alarmiert: Sie haben es mit einem Psychopathen zu tun, der einen grausamen, blutigen Kreuzzug führt.
Klappentext zu „Defekt / Kay Scarpetta Bd.14 “
Kay Scarpetta auf der Jagd nach einem grausamen Psychopathen -"Hand Gottes", so nennt sich der mysteriöse Anrufer, der dem Ermittler Pete Marino mitten in der Nacht in Form von Bibelzitaten droht und Andeutungen über einen ungeklärten Todesfall macht. Dr. Kay Scarpetta unterstützt Marino dabei, den Fall zu klären. Sie ist alarmiert, denn eines ist klar: Sie haben es mit einem Psychopathen zu tun, der einen grausamen, blutigen Kreuzzug führt ...
Lese-Probe zu „Defekt / Kay Scarpetta Bd.14 “
Defekt von Patricia CornwemmAus dem Amerikanischen von Karin Dufner
1
Es ist Sonntagnachmittag. Dr. Kay Scarpetta sitzt in ihrem Büro in der National Forensic Academy in Hollywood, Florida. Draußen ziehen Wolken auf, die wieder einmal ein Gewitter verheißen. Eigentlich dürfte es im Februar nicht so schwül und regnerisch sein.
Schüsse sind zu hören, und Stimmen rufen - Wortfetzen, die sie nicht verstehen kann. An den Wochenenden sind Kampfübungen ein beliebter Zeitvertreib. Dann können Special Agents in schwarzen Overalls wild um sich ballern, ohne dass sie - außer Scarpetta - jemand hört, und auch sie nimmt es inzwischen kaum noch wahr. Stattdessen beschäftigt sie sich weiter mit dem vorläufigen Gutachten eines Gerichtsmediziners aus Louisiana. Er hat eine Patientin untersucht, die später fünf Menschen ermordet hat; angeblich erinnert sie sich an nichts.
Vermutlich wäre diese Patientin kaum eine geeignete Kandidatin für das Forschungsprogramm mit dem Namen Biometrische Evaluation und Systematisierung von Tötungsverlangen aufgrund Idiopathischer Enzephalanomalien, kurz BESTIE, denkt Scarpetta, während sie hört, wie ein Motorrad über das Akademiegelände näher kommt.
Sie schreibt eine E-Mail an den forensischen Psychologen Benton Wesley:
Eine Frau in der Studie könnte zwar interessant sein, aber wären die gewonnenen Daten nicht irrelevant? Ich dachte, du beschränkst dich bei BESTIE auf Männer.
Das Motorrad donnert mit Vollgas auf das Gebäude zu und kommt direkt unter Scarpettas Fenster zum Stehen. Pete Marino will sie wieder ärgern, denkt sie missmutig und liest Bentons Antwort:
Louisiana würde sie wahrscheinlich sowieso nicht rausrücken. Die sind viel zu scharf auf Hinrichtungen. Aber das
... mehr
Essen ist dort spitze.
Scarpetta blickt aus dem Fenster, während Marino den Motor zum Verstummen bringt, absteigt, sich in Machopose wirft und in alle Richtungen umschaut. Es ist typisch für ihn, dass er sich ständig beobachtet fühlt. Gerade schließt sie die BESTIE-Unterlagen in der Schreibtischschublade ein, als er ohne anzuklopfen hereinkommt und unaufgefordert Platz nimmt.
»Was weißt du über den Fall Johnny Swift?«, fragt er. Gewaltige tätowierte Arme ragen aus der Jeansweste, auf deren Rücken das Logo von Harley-Davidson prangt.
Marino ist der Chefermittler der Akademie und geht außerdem im Auftrag des Gerichtsmedizinischen Instituts von Broward County verdächtigen Todesfällen nach. Seit einiger Zeit sieht er aus wie die Karikatur eines Bikers. Er legt seinen Helm auf den Tisch, eine abgestoßene schwarze Halbschale, übersät mit Aufklebern, die Einschusslöcher darstellen sollen.
»Hilf meinem Gedächtnis mal auf die Sprünge. Übrigens ist dieses Ding da nichts weiter als Deko.« Scarpetta weist auf den Helm. »Absolut nutzlos, falls du mit deinem Organspender- Motorrad einen Unfall hast.«
Marino wirft eine Akte auf ihren Schreibtisch. »Ein Arzt aus San Francisco mit Praxis in Miami. Besaß zusammen mit seinem Bruder ein Strandhaus hier in Hollywood, nicht weit weg von den Renaissance-Doppeltürmen in der Nähe des John Lloyd State Park. Vor etwa drei Monaten, so um Thanksgiving rum, war Swift hier und wurde von seinem Bruder auf dem Sofa gefunden. Tot, mit einer Schrotladung in der Brust. Er hatte gerade eine missglückte Handgelenkoperation hinter sich. Auf den ersten Blick eindeutig Selbstmord.«
»Damals war ich noch nicht am Gerichtsmedizinischen Institut«, entgegnet Scarpetta.
Sie war zwar bereits als Leiterin für forensische Wissenschaften und Medizin an der Akademie tätig, doch die Stelle als beratende Forensikerin am Gerichtsmedizinischen Institut von Broward County hat sie erst im vergangenen Dezember angenommen, als Dr. Bronson, der Chef, sein Stundendeputat zurückgefahren und immer öfter von der Rente geredet hat.
»Aber ich erinnere mich, davon gehört zu haben«, fährt sie fort. Sie fühlt sich nicht wohl in Marinos Gegenwart und freut sich in letzter Zeit nur noch selten, ihn zu sehen.
»Dr. Bronson hat die Autopsie durchgeführt«, sagt er, betrachtet die Gegenstände auf Scarpettas Schreibtisch und lässt den Blick in alle Richtungen schweifen, nur Scarpetta schaut er nicht an.
»Hattest du was damit zu tun?«
»Nein. Ich war nicht in der Stadt. Der Fall ist noch nicht abgeschlossen, weil die Polizei von Hollywood vermutet, dass mehr dahinterstecken könnte. Sie haben Laurel im Verdacht.«
»Laurel?«
»Johnny Swifts Bruder, eineiige Zwillinge. Aber es gab keine Beweise, und allmählich ist Gras über die Sache gewachsen. Doch dann habe ich am Freitagmorgen so gegen drei einen Anruf gekriegt, von einem Spinner, und das auch noch bei mir zu Hause. Wir haben das Telefonat nach Boston zurückverfolgen können.«
»Boston in Massachusetts?«
»Da, wo die Tea Party stattgefunden hat.«
»Ich dachte, du hättest eine Geheimnummer.«
»Ich eigentlich auch.«
Marino zieht ein zusammengefaltetes, ziemlich zerfleddertes Stück braunes Papier aus der Gesäßtasche seiner Jeans und streicht es glatt.
»Ich lese dir vor, was der Typ gesagt hat, ich habe es Wort für Wort mitgeschrieben. Er nannte sich Hog.«
»Hog wie Schwein?« Während Scarpetta ihn ansieht, fragt sie sich, ob das ein schlechter Scherz ist und ob er sie zum Narren halten will.
Das tut Marino in letzter Zeit häufig.
»Er sagte nur: Ich bin Hog. Du hast ihnen eine Strafe gesandt, die sie zum Gespött machte. Was zum Teufel das auch immer heißen mag. Dann weiter: Es gibt einen Grund, warum am Fundort von Johnny Swifts Leiche einige Gegenstände gefehlt haben, und wenn du nur einen Funken Verstand hast, prüfst du nach, was Christian Christian passiert ist. Es gibt keine Zufälle. Am besten fragst du Scarpetta, denn die Hand Gottes wird alle Perversen zermalmen, auch ihre Nichte, diese lesbische Schlampe.«
Scarpetta lässt sich ihre Gefühle nicht anmerken, als sie erwidert: »Bist du sicher, dass das seine genauen Worte waren?«
»Sehe ich vielleicht aus wie ein Romanautor?«
»Christian Christian?«
»Keine Ahnung, was das soll. Der Typ schien nicht gerade aufgeschlossen für Fragen oder bereit, etwas zu buchstabieren. Er hat sehr leise gesprochen, absolut emotionslose Stimme, und dann aufgelegt.«
»Hat er Lucy namentlich erwähnt oder nur ...?«
»Ich habe ihn wörtlich zitiert«, unterbricht er sie. »Sie ist doch deine einzige Nichte, oder? Also kann er nur Lucy gemeint haben. Und HOG dürfte für ›Hand of God‹ stehen, falls du noch nicht selbst draufgekommen sein solltest. Um mich kurz zu fassen: Ich habe die Polizei von Hollywood verständigt, die uns daraufhin gebeten hat, den Fall Johnny Swift so schnell wie möglich unter die Lupe zu nehmen. Offenbar stimmt etwas mit den Untersuchungsergebnissen nicht, denn er ist scheinbar sowohl aus einiger Entfernung als auch aus nächster Nähe erschossen worden. Tja, und das schließt sich wohl gegenseitig aus, oder?«
»Wenn nur ein Schuss abgegeben wurde, schon. Offenbar wurde da etwas durcheinandergebracht. Wissen wir, wer Christian Christian ist? Ist damit überhaupt eine Person gemeint? «
»Bis jetzt hat der Computer nichts Hilfreiches zutage gefördert. «
»Und warum erzählst du mir das alles erst jetzt? Ich war das ganze Wochenende hier.«
»Ich hatte zu tun.«
»Wenn du Informationen über einen Fall wie diesen hast, solltest du nicht zwei Tage warten, ehe du damit zu mir kommst«, gibt sie so ruhig wie möglich zurück.
»Vielleicht solltest du, was das Zurückhalten von Informationen angeht, besser ganz ruhig sein.«
»Welche Informationen?«, entgegnet sie irritiert.
»Sei lieber ein bisschen vorsichtiger. Mehr sage ich dazu nicht.«
»Deine Geheimnistuerei ist nicht eben hilfreich, Marino.«
»Fast hätte ich es vergessen. Hollywood interessiert sich für Bentons berufliche Meinung zu diesem Thema«, fügt Marino wie beiläufig hinzu.
Wie immer ist sein Versuch, seine Gefühle für Benton Wesley zu verbergen, nicht sehr erfolgreich.
»Ich kann ihn natürlich bitten, sich den Fall anzusehen«, erwidert Scarpetta, »aber es ist seine Entscheidung.«
»Die in Hollywood möchten, dass er untersucht, ob der
Anruf von diesem durchgeknallten Hog nur ein schlechter Scherz war. Ich habe ihnen schon erklärt, dass das ohne Bandaufnahme schwierig ist, zumal wir uns nur auf mein Privatsteno auf einer Papiertüte stützen können.«
Als Marino aufsteht, wirkt er riesig, und Scarpetta fühlt sich in seiner Gegenwart noch kleiner als sonst. Er greift nach seinem nutzlosen Helm und setzt die Sonnenbrille auf. Während des gesamten Gesprächs hat er sie kein einziges Mal angeblickt, und nun kann sie seine Augen gar nicht mehr sehen und ihren Ausdruck deuten.
»Ich werde mich darum kümmern. Sofort«, antwortet sie, während er zur Tür geht. »Wenn du möchtest, können wir die Fakten später gemeinsam sichten.«
»Hm.«
»Warum kommst du nicht zu mir nach Hause?«
»Hm«, wiederholt er. »Wann?«
»Um sieben«, erwidert sie.
2
Benton Wesley sitzt im Labor für Magnetresonanz-Tomografie und beobachtet den Patienten durch eine Plexiglaswand. Das Licht ist gedämpft, auf den Schreibtischen leuchten einige Monitore, seine Armbanduhr liegt oben auf seinem Aktenkoffer. Ihm ist kalt. Nach einigen Stunden im Labor ist er bis auf die Knochen durchgefroren. Wenigstens fühlt es sich so an.
Der heutige Patient wird nur mit seiner Identifikationsnummer bezeichnet, obwohl er auch einen Namen hat: Basil Jenrette. Er ist ein leicht ängstlicher, intelligenter, dreiunddreißigjähriger zwanghafter Mörder. Benton vermeidet den Ausdruck Serienkiller, denn er ist abgedroschen und sagt eigentlich nichts weiter aus, als dass ein Täter innerhalb eines bestimmten Zeitraums drei oder mehr Menschen umgebracht hat. Das Wort »Serie« bezieht sich auf eine chronologische Abfolge, verrät aber nichts über die Motive oder den Geisteszustand des Gewaltverbrechers. Wenn Basil Jenrette tötete, stand er unter Zwang. Er konnte nicht mehr aufhören.
Heute wird sein Gehirn mit einem 3-Tesla-Tomografen abgetastet, dessen Magnetfeld sechzigtausendmal stärker ist als das der Erde. Man will feststellen, ob etwas an Jenrettes Gehirn oder dessen Funktionen Hinweise auf seine Beweggründe gibt. Benton hat ihm während der Patientengespräche immer wieder die Frage nach dem Grund seiner Taten gestellt.
Ich habe sie gesehen, und das war's. Ich musste es tun.
Sie mussten es sofort in diesem Augenblick tun?
Nicht gleich auf der Straße. Ich bin ihr gefolgt, bis ich einen Plan hatte und wusste, wie ich es anstellen wollte. Um ehrlich zu sein, hat es mehr Spaß gemacht, je länger ich zuvor überlegt hatte.
Und wie lange dauerte das normalerweise? Ich meine, das Verfolgen und das Planen? Können Sie das ungefähr abschätzen? Tage, Stunden, Minuten?
Minuten, vielleicht Stunden. Manchmal auch Tage. Hing ganz davon ab. Blöde Kühe, ich meine, wenn Sie in der Situation wären, dass Sie jemand entführen will, würden Sie einfach im Auto sitzen bleiben und nicht einmal versuchen abzuhauen?
Haben die Frauen sich so verhalten, Basil? Haben sie im Auto gesessen, ohne einen Versuch zur Flucht zu unternehmen?
Außer den letzten beiden. Aber das wissen Sie ja, deshalb bin ich ja hier. Sie hätten sich bestimmt auch nicht gewehrt, doch dann hatte ich eine Autopanne. So was Blödes. Was würden Sie tun? Würden Sie sich lieber gleich im Auto abknallen lassen oder würden Sie abwarten, was ich mit Ihnen anstelle, nachdem ich Sie in mein Versteck gebracht habe?
Wo war denn Ihr Versteck? Handelte es sich dabei immer um denselben Ort?
Nur wegen dieser bescheuerten Autopanne.
Bis jetzt ist die Struktur von Basil Jenrettes Gehirn völlig unauffällig. Die einzige Abweichung, auf die Benton durch Zufall stößt, ist eine Zyste im hinteren Kleinhirn, die lediglich seinen Gleichgewichtssinn ein wenig beeinträchtigen könnte. Aber es muss etwas mit der Funktionsweise seines Gehirns nicht stimmen. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht, denn sonst wäre er ja kein Kandidat für die BESTIE-Studie und hätte sich vermutlich auch nicht mit der Teilnahme einverstanden erklärt. Für Basil ist alles ein Spiel. Er hält sich für klüger als Einstein und für den intelligentesten Menschen der Welt. Wegen seiner Taten hat er nicht einen Moment Reue empfunden, und er gibt offen zu, dass er noch mehr Frauen umbringen würde, wenn er die Möglichkeit dazu hätte. Leider macht Basil einen sympathischen Eindruck.
Die beiden Justizvollzugsbeamten im Labor beobachten, staunend und neugierig zugleich, durch die Scheibe die zwei Meter lange Röhre, in der sich der Magnet befindet. Sie tragen zwar Uniformen, aber keine Waffen, denn die sind hier drinnen nicht gestattet. Im Labor sind keine Gegenstände aus Metall, auch keine Handschellen und Fußfesseln, erlaubt, und deshalb sind Basils Knöchel und Handgelenke nur mit Plastik- fesseln fixiert, während er auf dem Tisch in der Magnetröhre liegt und das ohrenbetäubende Krachen und Hämmern der Funkwellenimpulse vernimmt, die klingen wie auf Hochspannungsleitungen gespielte Höllenmusik - so stellt Benton es sich zumindest vor.
»Vergessen Sie nicht, jetzt kommen die Farbfelder. Ich möchte nur, dass Sie die Farbe benennen«, spricht Dr. Susan Lane, die Neuropsychologin, ins Mikrofon. »Nein, Mr. Jen- rette, bitte nicken Sie nicht. Denken Sie daran, dass das Band unter Ihrem Kinn Sie daran erinnern soll, sich nicht zu bewegen. «
»Zehn-vier«, klingt Basils Stimme durch den Lautsprecher.
Inzwischen ist es halb neun Uhr abends, und Benton fühlt sich unwohl. Diese Beklommenheit plagt ihn schon seit Monaten, wobei seine Sorge weniger der Frage gilt, ob die Basil Jenrettes dieser Welt plötzlich in den altehrwürdigen Backsteinmauern des McLean Hospital den Aufstand proben und jeden niedermetzeln könnten, der ihnen in die Nähe kommt. Er befürchtet eher, dass seine Studie zum Scheitern verurteilt ist und dass er damit leichtsinnig Fördergelder und jede Menge wertvolle Zeit vergeudet. McLean ist der medizinischen Fakultät von Harvard angeschlossen, und weder das Krankenhaus selbst noch die Universität würden Gnade mit Benton haben, falls er versagt.
»Es ist nicht schlimm, wenn Ihnen ein Fehler unterläuft«, spricht Dr. Lane ins Mikrofon. »Wir erwarten gar nicht, dass Sie alles richtig machen.«
»Grün, Rot, Blau, Rot, Blau, Grün«, hallt Basils Stimme selbstbewusst durch den Raum.
Ein Mitarbeiter hakt die Antworten auf einem Formblatt ab, während der MRT-Techniker die Bilder auf seinem Monitor überprüft.
Dr. Lane betätigt wieder den Knopf. »Mr. Jenrette, Sie machen das ausgezeichnet. Können Sie alles gut sehen?«
»Zehn-vier.«
»Prima. Wenn der schwarze Bildschirm erscheint, sind Sie bitte ganz still. Sprechen Sie nicht, und betrachten Sie nur den weißen Punkt auf dem Bildschirm.«
»Zehn-vier.«
Dr. Lane nimmt den Finger vom Knopf und dreht sich zu Benton um. »Wo hat er denn nur den Polizeijargon her?«
»Er war früher Cop. So hat er es vermutlich geschafft, die Opfer in seinen Wagen zu locken.«
»Dr. Wesley?«, unterbricht ihn die Labormitarbeiterin und dreht sich in ihrem Stuhl um. »Es ist für Sie. Detective Thrush.«
Benton greift nach dem Hörer.
»Was gibt es?«, fragt er Thrush, einen Detective bei der Mordkommission der Massachusetts State Police.
»Hoffentlich hatten Sie nicht vor, heute früh zu Bett zu gehen«, erwidert Thrush. »Haben Sie schon gehört, dass heute Morgen draußen beim Walden Pond eine Leiche gefunden wurde?«
»Nein, ich war den ganzen Tag hier eingesperrt.«
»Weiß, weiblich, noch nicht identifiziert, Alter schwer zu schätzen. Vielleicht Ende dreißig, Anfang vierzig. Kopfschuss, die Patronenhülse wurde ihr in den Hintern geschoben.«
»Ist mir neu.«
»Die Autopsie wurde bereits durchgeführt, aber ich dachte, Sie wollten sie sich noch einmal ansehen. Das war kein normaler Mord.«
»Ich bin in einer knappen Stunde hier fertig«, sagt Benton.
»Wir treffen uns in der Leichenhalle.«
Im Haus ist es still. Kay Scarpetta geht unruhig von Zimmer zu Zimmer und schaltet alle Lampen an. Sie lauscht auf das Geräusch eines Motorrads oder Autos und wartet auf Marino. Er ist zu spät dran und hat nicht auf ihre Anrufe reagiert.
Unruhig und besorgt überprüft sie, ob die Alarmanlage auch wirklich eingeschaltet ist. Vor dem Bildschirm am Küchentelefon bleibt sie stehen, um sich zu vergewissern, dass die Überwachungskameras an allen Seiten des Hauses funktionieren. Der Bildschirm zeigt ihr dunkles Grundstück, auf dem sich die Umrisse von Zitronenbäumen, Palmen und Hibiskusbüschen im Wind wiegen. Der Steg hinter ihrem Swimmingpool und der Kanal dahinter sind eine schwarze Ebene, gesprenkelt vom Licht der Straßenlaternen am Deich. Sie rührt die Tomatensoße und die Pilze um, die in Kupfertöpfen auf dem Herd köcheln. Dann sieht sie nach dem gehenden Teig und dem frischen Mozzarella, die in abgedeckten Schüsseln neben dem Spülbecken stehen.
Es ist fast neun. Marino wollte vor zwei Stunden hier sein. Morgen hat sie mit verschiedenen Fällen und Seminaren alle Hände voll zu tun, und sie hat kein Verständnis für sein unmögliches Benehmen. Außerdem fühlt sie sich auf den Arm genommen. Sie hat genug von ihm. In den letzten drei Stunden hat sie sich ausschließlich mit Johnny Swifts angeblichem Selbstmord befasst, und jetzt meint Marino offenbar, sich nicht bei ihr blicken lassen zu müssen. Scarpetta ist erst gekränkt und dann wütend. Es ist leichter, wütend zu sein.
Verärgert geht sie ins Wohnzimmer; dabei lauscht sie immer noch auf ein Motorrad oder ein Auto und wartet auf ihn. Sie nimmt die Remington Marine Magnum Kaliber zwölf vom Sofa und setzt sich. Das vernickelte Schrotgewehr liegt schwer auf ihrem Schoß. Sie steckt einen kleinen Schlüssel in die Verriegelung, dreht ihn nach rechts und nimmt die Verriegelung vom Abzugsbügel. Dann zieht sie den Vorderschaft zurück, um sicherzugehen, dass sich keine Patronen im Magazin befinden.
3
»Jetzt lesen wir Wörter«, teilt Dr. Lane Basil über die Gegensprechanlage mit. »Lesen Sie die Wörter einfach von links nach rechts. Okay? Und vergessen Sie nicht, dass Sie sich nicht bewegen dürfen. Sie machen das ganz prima.«
»Zehn-vier.«
»Hey, wollen Sie sehen, wie er wirklich aussieht?«, meint der MRT-Techniker zu den Justizvollzugsbeamten.
Er heißt Josh, hat am MIT seinen Abschluss in Physik gemacht und finanziert mit diesem Job hier seine Promotion. Josh ist zwar intelligent, aber ein komischer Kauz mit einer Schwäche für schräge Scherze.
»Ich weiß, wie er aussieht, ich habe ihn nämlich heute zum Duschen begleitet«, antwortet einer der Wachmänner.
»Und dann?«, will Dr. Lane von Benton wissen. »Was hat er mit den Frauen gemacht, nachdem er sie in seinem Wagen hatte?«
»Rot, Blau, Blau, Rot ...«
Die Wachmänner bewegen sich zu Joshs Monitor.
»Er ist mit ihnen weggefahren, hat ihnen die Augen ausgestochen, sie noch ein paar Tage am Leben gelassen, sie wiederholt vergewaltigt, ihnen die Kehle durchgeschnitten und sie dann irgendwo abgelegt, und zwar in Posen, die die Finder schockieren sollten«, erklärt Benton Dr. Lane in sachlichem Medizinerton. »Zumindest in den Fällen, die wir kennen. Ich bin sicher, dass noch andere Morde auf sein Konto gehen. In jener Zeit sind in Florida eine Reihe Frauen verschwunden. Vermutlich tot, auch wenn die Leichen nie gefunden wurden.«
»Wo hat er sie denn hingebracht? In ein Motel? Zu sich nach Hause?«
»Moment«, sagt Josh zu den Wachmännern und wählt die Menüoptionen 3D und SSD-Oberflächendarstellungs-CT. »Das hier ist wirklich cool. Das zeigen wir den Patienten nie.«
»Warum?«
»Sie könnten ausflippen.«
»Das wissen wir nicht«, sagt Benton zu Dr. Lane, während er Josh im Auge behält, damit er einschreiten kann, falls dieser es zu bunt treibt. »Aber eines ist interessant: Die abgelegten Leichen waren alle mit mikroskopisch kleinen Kupferteilchen bedeckt.«
»Und woher kamen die?«
»Sie waren mit Erde vermengt und klebten in ihrem Blut, an ihrer Haut oder in ihrem Haar.«
»Blau, Grün, Blau, Rot ...«
»Das ist merkwürdig.«
Dr. Lane drückt auf den Mikrofonknopf. »Mr. Jenrette? Wie geht es Ihnen? Alles in Ordnung?«
»Zehn-vier.«
»Als Nächstes werden Sie Wörter sehen, die sich in der Druckfarbe von der Bedeutung des Wortes unterscheiden. Ich möchte, dass Sie die Farbe der Tinte nennen. Nur die Farbe der Tinte.«
»Zehn-vier.«
»Ist das nicht beeindruckend?«, fragt Josh, als eine Art Totenmaske auf dem Bildschirm erscheint, eine Rekonstruktion aus einen Millimeter dicken hochaufgelösten Scheiben, die die MRT-Abbildung von Basil Jenrettes Kopf darstellen. Das Bild ist bleich und haarlos, hat keine Augen und endet in einer Zickzacklinie dicht unterhalb des Kiefers wie bei einem Geköpften.
Josh dreht die Abbildung so, dass die Wachen sie aus unterschiedlichen Winkeln betrachten können.
»Warum sieht sein Kopf abgeschnitten aus?«, fragt einer.
»Weil dort das Signal aufhört.«
»Seine Haut wirkt nicht gerade echt.«
»Rot ... äh ... ich meine Rot, Grün ...«, hallt Basils Stimme durch den Raum.
»Es ist auch keine richtige Haut. Wie soll ich es erklären ... tja, der Computer führt eine Volumenrekonstruktion und eine Oberflächendarstellung durch.«
»Rot, Blau ... äh ... Grün, Blau, ich meine Grün ...«
»Wir benutzen es eigentlich nur für Power-Point-Präsentationen, um das Strukturelle mit dem Funktionalen zu verbinden. Also für ein MRT-Analysepaket, mit dem man die Daten zusammenfügen, sie aus verschiedenen Perspektiven anschauen und ein bisschen damit herumspielen kann.«
»Mann, ist der hässlich.«
Benton hat genug gehört. Die Farbnennungen sind beendet. Er wirft Josh einen strengen Blick zu.
»Josh, sind Sie bereit?«
»Vier, drei, zwei, eins, fertig«, erwidert Josh, und Dr. Lane beginnt mit dem Interferenz-Test.
»Blau, Rot, ich meine ... Scheiße! Äh ... Rot, ich meine Blau, Grün, Rot ...« Basils Stimme schnarrt durch den Raum, während er keine einzige Farbe richtig benennt.
»Hat er Ihnen je erklärt, warum?«, will Dr. Lane von Benton wissen.
»Verzeihung«, erwidert dieser geistesabwesend. »Warum was?«
»Rot, Blau, Scheiße! Äh ... Rot, Blaugrün ...«
»Warum er ihnen die Augen ausgestochen hat.«
»Er sagte, sie sollten nicht sehen, wie klein sein Penis ist.«
»Blau, Blaurot, Rot, Grün ...«
»In diesem Test hat er nicht so gut abgeschnitten«, stellt Dr. Lane fest. »Er hat die meisten Farben falsch benannt. In welchem Bezirk war er denn bei der Polizei? Nur damit ich darauf achte, mich nicht ausgerechnet dort wegen Schnellfahrens anhalten zu lassen.« Sie drückt auf den Mikrofonknopf. »Alles in Ordnung?«
»Zehn-vier.«
»Beim Dade County Police Department.«
»Ein Jammer. Ich habe mich in Miami immer wohlgefühlt. Deshalb sind Sie also an diesen Kandidaten gekommen. Wegen Ihrer Beziehungen nach Südflorida«, erwidert sie und drückt erneut auf den Knopf.
»Nicht ganz.« Benton betrachtet durch die Scheibe Basils Kopf, der am Ende der Magnetröhre sichtbar ist. Er weiß, dass der Patient Jeans und ein weißes Hemd anhat.
Auf dem Krankenhausgelände dürfen Sträflinge keine Gefängniskleidung tragen, da das der Öffentlichkeit ein schlechtes Bild vermitteln würde.
»Als wir uns bei den verschiedenen Gefängnisverwaltungen nach möglichen Kandidaten für unsere Studie erkundigt haben, meinte man in Florida, er sei genau unser Mann. Er langweilte sich, und sie waren froh, ihn loszuwerden«, erklärt Benton.
»Sehr gut, Mr. Jenrette«, sagt Dr. Lane ins Mikrofon. »Jetzt kommt Dr. Wesley zu Ihnen und gibt Ihnen die Maus. Als Nächstes werden Sie einige Gesichter sehen.«
»Zehn-vier.«
Für gewöhnlich würde Dr. Lane selbst in den MRT-Raum gehen und sich mit dem Patienten befassen. Aber Ärztinnen und Wissenschaftlerinnen dürfen sich nicht in die Nähe von BESTIE-Probanden wagen. Auch männliche Mitarbeiter müssen während des Aufenthalts im MRT-Labor Vorsicht walten lassen. Ansonsten liegt es beim jeweiligen Arzt, ob die Probanden auch bei den Patientengesprächen Fesseln tragen. Benton wird von zwei Justizvollzugsbeamten begleitet, als er die Lichter im MRT-Raum einschaltet und die Tür schließt. Die Wachmänner warten aufmerksam neben der Magnetröhre, während Benton die Maus einstöpselt und sie Basil in die gefesselten Hände legt.
Eigentlich wirkt Basil nicht sehr beängstigend, denn er ist ein zierlich gebauter Mann mit schütterem blondem Haar und kleinen, eng beieinanderstehenden grauen Augen. In der Tierwelt haben Raubtiere - Löwen, Tiger und Bären - eng zusammenstehende Augen. Die Augen von Giraffen, Kaninchen und Tauben - ihrer Beute also - stehen weiter auseinander und liegen seitlich am Kopf, da ein Rundumblick für sie lebenswichtig ist. Schon lange fragt sich Benton, ob dieses entwicklungsgeschichtliche Phänomen auch auf den Menschen übertragbar sein könnte. Aber eine solche Studie würde ihm niemand finanzieren.
»Alles in Ordnung, Basil?«, erkundigt sich Benton.
»Was für Gesichter?«, erwidert Basils Kopf am Ende der Magnetröhre, die an eine eiserne Lunge erinnert.
»Das wird Dr. Lane Ihnen erklären.«
»Ich habe eine Überraschung für Sie«, sagt Basil. »Ich erzähle es Ihnen, wenn wir hier fertig sind.«
Er hat einen seltsamen Blick, als ob ein böswilliges Geschöpf seine Augen als Fenster benutzen würde.
»Prima, ich mag Überraschungen. In ein paar Minuten haben Sie es hinter sich«, antwortet Benton lächelnd. »Dann können wir uns unterhalten.«
Die Wachen begleiten Benton aus dem MRT-Raum und kehren ins Büro zurück, wo Dr. Lane Basil über die Gegensprechanlage Anweisungen gibt. Sie erklärt ihm, er solle auf die linke Seite der Maus drücken, wenn es sich um das Gesicht eines Mannes handelt, und auf die rechte, wenn es eine Frau ist.
»Sie brauchen nichts zu tun oder zu sagen. Einfach nur drücken«, wiederholt sie.
Es sind drei Tests, bei denen es allerdings nicht darum geht zu ermitteln, ob der Patient die beiden Geschlechter auseinanderhalten kann. Überprüft wird bei dieser Funktions-CT- Reihe vielmehr die affektive Verarbeitung. Die Männer- und Frauengesichter, die auf dem Bildschirm erscheinen, werden von anderen Gesichtern überlagert, die jedoch zu schnell aufblitzen, als dass das Auge sie bewusst erkennen könnte. Aber dem Gehirn entgeht nichts. Jenrettes Gehirn wird die Gesichter hinter den Masken wahrnehmen, die glücklich, wütend oder ängstlich dreinblicken, und eine Reaktion bei ihm provozieren.
Nach jeder Serie fragt Dr. Lane ihn, was er gesehen hat, und fordert ihn auf, den Gesichtern Emotionen zuzuschreiben. Die männlichen Gesichter sind ernster als die weiblichen, erwidert er. Seine Antworten fallen nach jeder Reihe mehr oder weniger gleich aus, was im Moment noch nicht viel zu sagen hat. Nichts, was in diesen Räumen vor sich geht, hat für sich allein genommen eine Bedeutung, bevor nicht die Tausende der durch Magnetresonanz-Computertomografie erzeugten Abbildungen des Nervensystems analysiert sind. Dann erst können die Wissenschaftler sehen, welche Bereiche des Patientengehirns während des Tests am aktivsten waren. Ziel ist festzustellen, ob das Gehirn des Probanden anders funktioniert als bei einem angeblich normalen Menschen. Das zufällige Vorhandensein einer Zyste hat jedoch nicht das Geringste mit Basils Mordlust zu tun.
»Fällt Ihnen auf den ersten Blick etwas auf?«, fragt Benton Dr. Lane. »Übrigens muss ich mich wieder mal bei Ihnen bedanken, Susan. Sie sind mir wirklich eine große Hilfe.«
Sie legen die Untersuchung von Sträflingen möglichst auf den Abend oder das Wochenende, weil sie dann mehr oder weniger unter sich sind.
»Nach den Lokalisierern zu urteilen, scheint alles in Ordnung zu sein. Ich kann keine starken Abweichungen erkennen. Bis auf sein ständiges Geplapper, seinen übertriebenen Redefluss. Ist bei ihm je eine bipolare Störung diagnostiziert worden?«
»Die Untersuchungsergebnisse und seine Vorgeschichte würden eigentlich darauf hinweisen, aber nein. Keine Diagnose. Er hat noch nie Medikamente wegen einer psychischen Erkrankung eingenommen. Erst seit einem Jahr im Gefängnis. Ein Traumproband.«
»Tja, Ihr Traumproband hat sich beim Ignorieren störender Reize nicht sehr gut geschlagen und beim Interferenztest eine Menge Fehler gemacht. Ich tippe auf Konzentrationsschwierigkeiten, was bei einer bipolaren Störung nicht außergewöhnlich wäre. Aber bald werden wir mehr wissen.«
Wieder drückt sie auf den Knopf. »Mr. Jenrette«, sagt sie. »Wir sind fertig. Sie haben das gut gemacht. Dr. Wesley kommt jetzt rein und holt Sie ab. Ich möchte, dass Sie sich ganz langsam aufrichten, okay? Ganz langsam, damit Ihnen nicht schwindelig wird. In Ordnung?«
»War das alles? Nur diese dämlichen Tests? Zeigen Sie mir die Bilder!«
Dr. Lane wirft Benton einen Blick zu und lässt den Knopf los.
»Sie haben gesagt, Sie würden sich mein Gehirn anschauen, während ich mir die Bilder ansehe.«
»Autopsiefotos seiner Opfer«, erklärt Benton Dr. Lane.
»Sie haben mir Bilder versprochen! Und Sie haben versprochen, dass ich meine Post kriege!«
»Viel Spaß«, meint Dr. Lane zu Benton. »Er gehört Ihnen.«
Das Schrotgewehr ist schwer und unhandlich, weswegen Scarpetta Mühe hat, es auf ihre Brust zu richten, während sie auf dem Sofa liegt, und in dieser Haltung mit dem linken Zeh den Abzug zu betätigen.
Sie lässt die Waffe sinken und stellt sich vor, wie man diese Verrenkung nach einer Operation am Handgelenk versucht. Das Gewehr wiegt etwa vier Kilo und fängt in ihrer Hand zu zittern an, wenn sie es am fünfzig Zentimeter langen Lauf festhält. Sie stellt die Füße auf den Boden und zieht den rechten Turnschuh und die Socke aus. Obwohl eigentlich ihr linker Fuß der dominante ist, wird sie es mit dem rechten ausprobieren müssen, und sie fragt sich, welchen Fuß Johnny Swift wohl bevorzugt hat - den rechten oder den linken? Das wäre ein Unterschied, wenn auch nicht unbedingt ein wichtiger, insbesondere dann nicht, wenn er an Depressionen litt und fest entschlossen war, sich umzubringen. Allerdings ist sie sich da nicht sicher. Wie bei vielem in diesem Fall.
Sie denkt an Marino, und je länger sie das tut, desto zorniger wird sie. Er hat kein Recht, auf diese Weise mit ihr umzuspringen und sie so zu missachten wie damals bei ihrer ersten Begegnung, und die liegt schon viele Jahre zurück. Der Duft der selbst gemachten Pizzasoße schwebt durchs Wohnzimmer und erfüllt das ganze Haus. Vor Wut bekommt Scarpetta Herzklopfen, und es schnürt ihr die Brust zu. Sie legt sich auf die linke Seite, stützt den Gewehrkolben auf die Sofalehne, setzt sich den Lauf mitten auf die Brust und drückt mit dem rechten großen Zeh ab.
4
Basil Jenrette wird ihm nichts tun.
Ungefesselt sitzt er Benton in dem kleinen Untersuchungszimmer am Tisch gegenüber und verharrt still und höflich auf seinem Stuhl. Sein Ausbruch in der Magnetröhre hat ungefähr zwei Minuten gedauert, und als er sich wieder beruhigt hatte, war Dr. Lane schon fort. Also ist er ihr beim Verlassen des Raumes nicht begegnet, und Benton wird dafür sorgen, dass das auch in Zukunft so bleibt.
»Ist Ihnen auch bestimmt nicht komisch oder schwindelig? «, erkundigt sich Benton, verständnisvoll und gelassen wie immer.
»Mir geht es prima. Die Tests waren klasse. Für Tests hatte ich schon immer eine Schwäche. Ich wusste, dass ich alles richtig beantworten würde. Wo sind die Fotos? Sie haben es versprochen.«
»Davon war nie die Rede, Basil.«
»Ich hatte doch alle Antworten richtig, eine glatte Eins.«
»Also hat es Ihnen Spaß gemacht?«
»Beim nächsten Mal zeigen Sie mir die Fotos, wie Sie es versprochen haben.«
»Ich habe Ihnen nie etwas dergleichen versprochen, Basil. Fanden Sie es aufregend?«
»Hier drin darf man sicher nicht rauchen.«
»Ich fürchte, nein.«
»Wie sieht mein Gehirn denn aus? Gut? Haben Sie etwas erkennen können? Ist es möglich festzustellen, wie intelligent jemand ist, indem Sie sich sein Gehirn anschauen? Wenn Sie mir die Fotos zeigen würden, würden Sie sofort merken, dass sie mit denen übereinstimmen, die ich im Gehirn habe.«
Inzwischen spricht er sehr leise und schnell. Mit leuchtenden, glasigen Augen und ohne Luft zu holen, redet er darüber, was die Wissenschaftler vermutlich in seinem Gehirn erkennen werden, vorausgesetzt, dass sie überhaupt in der Lage sind, es zu entschlüsseln - denn dass es da etwas Interessantes zu finden gibt, davon ist Basil felsenfest überzeugt.
»Was soll denn da sein?«, hakt Benton nach. »Könnten Sie mir das ein wenig genauer erklären, Basil?«
»Mein Gedächtnis. Wenn Sie hineinschauen, sehen Sie meine Erinnerungen.«
»Ich fürchte, das geht nicht.«
»Wirklich. Ich wette, es sind alle möglichen Bilder hochgekommen, als es vorhin gepiepst, gescheppert und geklopft hat. Ganz bestimmt haben Sie die Bilder gesehen und wollen es mir bloß nicht verraten. Es waren insgesamt zehn, und Sie wissen genau, was ich meine. Zehn Bilder, nicht nur vier. Ich sage immer zehn-vier, als Witz, weil es zum Totlachen ist. Sie glauben, dass es vier sind, ich aber weiß, es sind zehn. Und Sie würden es erkennen, wenn Sie mir die Fotos zeigen würden, denn dann gäbe es keinen Zweifel daran, dass sie mit den Bildern in meinem Gehirn übereinstimmen. Wenn Sie in mein Gehirn schauen, sehen Sie die Bilder. Zehn-vier.«
»Beschreiben Sie mir, was das für Bilder sind, Basil.«
»Hab Sie doch nur verarscht«, erwidert er mit einem Augenzwinkern. »Ich will meine Post.«
»Welche Bilder sollten wir denn in Ihrem Gehirn sehen?«
»Dämliche Weiber. Die rücken meine Post nicht raus.«
»Wollen Sie damit behaupten, dass Sie zehn Frauen umgebracht haben?« Benton stellt diese Frage ganz sachlich und ohne sich sein Entsetzen anmerken zu lassen. Basil grinst, als wäre ihm gerade etwas eingefallen.
»Ach, jetzt darf ich meinen Kopf wieder bewegen, oder? Kein Band mehr am Kinn. Wird mein Kinn auch festgebunden, wenn ich die Spritze kriege?«
»Sie kriegen keine Spritze, Basil. Das ist Teil der Abmachung. Ihre Strafe wurde in lebenslänglich umgewandelt. Sie erinnern sich doch an unser Gespräch darüber?«
»Weil ich verrückt bin«, entgegnet Basil schmunzelnd. »Deshalb bin ich ja hier.«
»Nein. Wir gehen das noch einmal durch, weil es wichtig ist, dass Sie es verstehen. Sie sind hier, weil Sie bereit waren, an unserer Studie teilzunehmen, Basil. Der Gouverneur von Florida hat Ihre Verlegung in unser Staatskrankenhaus in Butler genehmigt, doch der Staat Massachusetts wollte nur unter der Bedingung zustimmen, dass er Ihre Strafe zuvor in lebenslänglich umwandelt. In Massachusetts gibt es nämlich keine Todesstrafe.«
»Ich weiß, dass Sie die zehn Frauen sehen wollen. Und zwar so, wie ich sie in Erinnerung habe. Sie sind in meinem Gehirn. «
Basil weiß genau, dass man mithilfe der Computertomografie weder die Gedanken noch die Erinnerungen eines Menschen abbilden kann. Er findet sich nur unglaublich witzig. Basil will die Autopsiefotos in die Hände bekommen, um damit seine Gewaltfantasien anzuregen, und wie die meisten narzisstischen Soziopathen genießt er es, sich aufzuspielen.
»Ist das Ihre Überraschung, Basil?«, fragt Benton. »Dass Sie zehn Morde begangen haben, nicht nur die vier, die Ihnen zur Last gelegt werden?«
Basil schüttelt den Kopf. »Für einen davon werden Sie sich ganz besonders interessieren«, erwidert er. »Das ist die Überraschung. Etwas ganz Besonderes für Sie, weil Sie so nett zu mir waren. Aber ich will meine Post. Das ist unser Deal.«
»Ich bin sehr neugierig auf Ihre Überraschung.«
»Die Dame im Christmas Shop«, antwortet er. »Erinnern Sie sich an sie?«
»Warum erzählen Sie mir nichts darüber?«, fragt Benton, obwohl er keine Ahnung hat, wovon Basil redet. Er weiß nichts über einen Mord in einem Laden für Weihnachtsschmuck.
»Was ist mit meiner Post?«
»Ich sehe, was sich da machen lässt.«
»Ehrenwort?«
»Ich kümmere mich darum.«
»An das genaue Datum kann ich mich nicht erinnern. Lassen Sie mich überlegen.« Basil starrt zur Decke, seine ungefesselten Hände zucken auf seinem Schoß. »Es war vor etwa drei Jahren in Las Olas. Ich glaube, im Juli, also müssen es ungefähr zweieinhalb Jahre sein. Gibt es wirklich Leute, die mitten im Juli Weihnachtssachen kaufen? Und noch dazu in Südflorida! Jedenfalls hatten sie dort kleine Weihnachtsmänner und Elfen und Nussknacker und Jesuskinder. Als ich an diesem Vormittag hinging, war ich schon die ganze Nacht auf den Beinen gewesen.«
»Wissen Sie den Namen der Frau noch?«
»Den kannte ich nie. Tja, vielleicht doch, aber ich habe ihn vergessen. Wenn Sie mir die Fotos zeigen, fällt es mir möglicherweise wieder ein. Oder Sie sehen sie in meinem Gehirn. Ob ich sie noch beschreiben kann? Moment. Sie war eine Weiße mit langem, gefärbtem Haar, etwa in dem Farbton wie in I Love Lucy. Ziemlich fett. So zwischen fünfunddreißig und vierzig. Ich bin rein, hab die Tür abgeschlossen und sie mit dem Messer bedroht. Dann hab ich sie hinten im Lagerraum vergewaltigt und ihr anschließend mit einem Schnitt von hier bis hier die Kehle aufgeschlitzt.«
Er fährt sich quer über den Hals.
»Am komischsten fand ich, dass es da drinnen so einen Ventilator gab. Den habe ich eingeschaltet, weil es so heiß und stickig war, und er hat das Blut in der ganzen Bude rumgepustet. Es war eine ziemliche Sauerei, das alles wieder wegzuwischen. Und danach ... lassen Sie mich überlegen ...« Wieder blickt er zur Decke, wie so oft, wenn er lügt. »An diesem Tag war ich nicht im Streifenwagen unterwegs, sondern mit dem Bike, das hatte ich hinter dem Riverside Hotel auf dem Parkplatz abgestellt.«
»Motorrad oder Fahrrad?«
»Mit einer Honda Shadow. Oder glauben Sie, dass ich mit dem Fahrrad losstrample, wenn ich jemanden kaltmachen will?«
»Also hatten Sie an diesem Morgen vor, jemanden umzubringen? «
»Mir gefiel der Gedanke.«
»Wollten Sie diese bestimmte Frau töten oder einfach irgendjemanden? «
»Ich erinnere mich, dass es auf dem Parkplatz von Enten gewimmelt hat, die in den Pfützen herumpaddelten, weil es seit Tagen geregnet hatte. Überall Mama-Enten und kleine Baby-Enten. Das kann ich immer schlecht mit ansehen. Die armen kleinen Enten. Sie werden so leicht überfahren. Dann liegt so eine kleine Ente zerquetscht auf der Straße, und die Mama läuft immer wieder um ihr totes Kind herum und macht ein trauriges Gesicht.«
»Haben Sie je eine Ente überfahren, Basil?«
»Ich würde nie einem Tier wehtun, Dr. Wesley.«
»Aber sie haben doch erzählt, Sie hätten als Kind Vögel und Kaninchen getötet.«
»Das ist schon lange her. Sie kennen doch Jungs und ihre Luftgewehre. Aber um meine Geschichte abzuschließen: Es waren gerade mal sechsundzwanzig Dollar und einundneunzig Cent. Sie müssen etwas wegen meiner Post unternehmen.«
»Sie wiederholen sich, Basil. Ich habe Ihnen bereits gesagt, dass ich mein Möglichstes tun werde.«
»Das war ziemlich enttäuschend nach der ganzen Arbeit, die ich mir gemacht hatte. Sechsundzwanzig Dollar und einundneunzig Cent.«
»Aus der Kasse.«
»Zehn-vier.«
»Sie waren doch sicher mit Blut beschmiert, Basil.«
»Hinten im Laden gab es ein Badezimmer.« Wieder blickt Basil zur Decke. »Ich habe sie mit Chlorbleiche übergossen. Jetzt fällt es mir wieder ein. Um meine DNA zu beseitigen. Jetzt sind Sie mir was schuldig. Ich will meine verdammte Post. Und holen Sie mich aus der Selbstmörderzelle raus. Ich verlange eine normale Zelle, wo ich nicht dauernd beobachtet werde.«
»Wir sorgen nur für Ihre Sicherheit.«
»Besorgen Sie mir eine neue Zelle, die Fotos und meine Post, und dann erzähle ich Ihnen mehr über den Christmas Shop«, sagt Basil. Seine Augen sind inzwischen noch glasiger, und er rutscht unruhig auf seinem Stuhl herum, ballt die Fäuste und wippt mit dem Fuß. »Ich habe eine Belohnung verdient.«
5
Lucy kann von ihrem Platz aus die Eingangstür im Auge behalten und genau sehen, wer kommt und wer geht. Sie beobachtet die Leute, ohne dass diese es ahnen, beobachtet und grübelt, obwohl sie sich doch eigentlich erholen sollte.
In den letzten Tagen ist sie jeden Abend ins Lorraine's gekommen, um sich mit Buddy und Tonia, die dort hinter dem Tresen arbeiten, zu unterhalten. Sie kennen Lucys wirklichen Namen nicht, erinnern sich jedoch beide an Johnny Swift als ausgesprochen gut aussehenden Arzt. Ein Hetero-Neurologe, dem es in Provincetown gut gefiel, aber eben leider hetero, sagt Buddy. Ein Jammer, fügt er hinzu. Und immer allein, außer bei seinem letzten Besuch, meint Tonia. Sie hatte an besagtem Abend Dienst und erinnert sich, dass Johnny geschiente Handgelenke hatte. Als sie sich danach erkundigte, hatte er geantwortet, er sei kürzlich operiert worden und es habe Komplikationen gegeben.
Johnny saß mit einer Frau am Tresen, die beiden steckten die Köpfe zusammen und redeten, als wären sie allein in der Bar. Sie hieß Jan und wirkte intelligent. Außerdem war sie hübsch, hatte gute Manieren, war ziemlich schüchtern und kein bisschen arrogant und noch ziemlich jung. Sie war ziemlich lässig angezogen und trug Jeans und ein Sweatshirt, erinnert sich Tonia. Offenbar kannte Johnny sie noch nicht lange, vielleicht hatte er sie eben erst getroffen und fand sie interessant. Er mochte sie eindeutig, sagt Tonia.
Stand er auf sie?, wollte Lucy von Tonia wissen.
Diesen Eindruck hatte ich nicht. Es war eher als ... na ja ... als hätte sie irgendein Problem und bäte ihn um Hilfe. Schließlich war er ja Arzt.
Das wundert Lucy nicht. Johnny war ein uneigennütziger Mensch und ausgesprochen hilfsbereit.
Nun sitzt sie im Lorraine's am Tresen und denkt an Johnny, der genauso hier hereinspaziert ist wie sie heute und sich an diesen Tresen gesetzt hat. Vielleicht sogar auf denselben Barhocker. Sie stellt sich ihn zusammen mit Jan vor, einer Frau, der er möglicherweise gerade erst begegnet war. Es war nicht seine Art, Frauen in Bars anzusprechen und flüchtige Beziehungen einzugehen, und er hielt nicht viel von Affären für eine Nacht. Also wollte er dieser Jan vielleicht wirklich nur helfen und sie beraten. Aber worum ging es bei dem Gespräch? Ein gesundheitliches Problem? Etwas Psychologisches? Diese schüchterne junge Frau namens Jan bereitet Lucy Kopfzerbrechen.
Es könnte auch sein, dass Johnny selbst Probleme hatte. Möglicherweise war die Karpaltunnel-OP nicht so erfolgreich gewesen, wie er gehofft hatte. Und so hörte er sich die Sorgen einer schüchternen, hübschen jungen Frau an, um sich von seinen eigenen Sorgen abzulenken und den guten Samariter zu spielen. Lucy trinkt einen Schluck Tequila und erinnert sich an seine Worte bei ihrer letzten Begegnung im September in San Francisco.
Die Biologie ist grausam, sagte er. Körperliche Einschränkungen sind gnadenlos. Niemand will dich mehr, wenn du zernarbt, verkrüppelt, nutzlos und verstümmelt bist.
Mein Gott, Johnny, es ist doch nur eine Karpaltunnel-OP, keine Amputation.
Entschuldige, erwiderte er. Wir sind ja nicht hier, um über mich zu reden.
Sie denkt an ihn, als sie im Lorraine's am Tresen sitzt und beobachtet, wie die Leute, meist Männer, das Restaurant betreten und es wieder verlassen. Immer, wenn sich die Tür öffnet, weht Schnee herein.
In Boston hat es zu schneien angefangen, als Benton in seinem Porsche 911 Turbo an den viktorianischen Backsteingebäuden der Universitätsklinik vorbeifährt. Er denkt an die Zeit, als Scarpetta die Angewohnheit hatte, ihn spätnachts in die Leichenhalle zu zitieren, für ihn stets ein klarer Hinweis darauf, dass er es mit einem schweren Fall zu tun bekommen würde.
Die meisten forensischen Psychologen haben noch nie einen Fuß in eine Leichenhalle gesetzt. Sie haben keiner Autopsie beigewohnt und vermeiden es sogar, sich die einschlägigen Fotos anzusehen. Die Persönlichkeit des Mörders interessiert sie viel mehr als das, was er seinen Opfern zugefügt hat, denn der Täter ist der Patient, während der Tote nichts weiter ist als das Medium, durch das er seine Gewaltfantasien ausgedrückt hat. Zumindest lautet so die Ausrede der meisten forensischen Psychologen und Psychiater. Wahrscheinlicher jedoch ist, dass ihnen der Mut und die Bereitschaft fehlen, sich auf die Opfer einzulassen oder - noch schlimmer - Zeit mit ihren verstümmelten Leichen zu verbringen.
Benton ist anders. Nach mehr als einem Jahrzehnt mit Scarpetta gibt es für ihn keine Möglichkeit, nicht anders zu sein.
Sie haben kein Recht, an einem Fall zu arbeiten, ohne sich anzuhören, was die Toten Ihnen zu sagen haben, hat sie vor über fünfzehn Jahren verkündet, als sie gemeinsam ihren ersten Mord aufklärten. Wenn Ihnen das zu lästig ist, habe ich offen gestanden auch keine Lust, mich mit Ihnen abzugeben, Special Agent Wesley.
Da mögen Sie recht haben, Dr. Scarpetta. Dann machen Sie mich mit den Opfern bekannt.
Also gut, erwiderte sie. Kommen Sie mit.
Noch nie zuvor hatte Benton den Kühlraum einer Leichenhalle betreten, und er hört bis heute das laute Klappern, wenn der Griff des Kühlfachs zurückgezogen wird, und das Zischen der kalten, übel riechenden Luft. Diesen Geruch, den muffigen, fauligen und abgestandenen Gestank des Todes, der schwer in der Luft liegt, würde er überall wiedererkennen. Benton stellt ihn sich vor wie eine Art schmutzige Nebelschwade, die sich, ausgehend von dem toten Körper, langsam in Bodenhöhe ausbreitet.
Benton lässt das Gespräch mit Basil noch einmal Revue passieren und analysiert jedes Wort, jede Zuckung und jedes Mienenspiel. Gewaltverbrecher sind sehr großzügig mit ihren Versprechungen. Um ihren Willen durchzusetzen, zögern sie nicht, ihre Mitmenschen zu belügen, dass sich die Balken biegen. Zum Beispiel behaupten sie, das Versteck einer Leiche zu kennen, geben unaufgeklärte Verbrechen zu, schildern die Tat in allen Einzelheiten und erläutern ausführlich ihre Motive und ihren Seelenzustand. Meistens sind es nichts weiter als Märchen. Aber in diesem Fall ist Bentons Argwohn geweckt, denn zumindest ein Teil von Basils Geständnis erscheint ihm echt.
Als er versucht, Scarpetta auf dem Mobiltelefon zu erreichen, meldet sie sich nicht. Ein paar Minuten später versucht er es erneut, wieder vergeblich.
Er hinterlässt ihr eine Nachricht: »Bitte ruf mich sofort zurück.«
Die Tür öffnet sich, und mit dem Schnee wird eine Frau hereingeweht wie von einem Windstoß.
Sie trägt einen langen schwarzen Mantel, den sie abklopft, wobei sie gleichzeitig die Kapuze zurückschiebt. Ihre helle Haut ist von der Kälte gerötet, ihre Augen strahlen. Sie ist hübsch, sogar außergewöhnlich hübsch, und hat dunkelblondes Haar, dunkle Augen und eine Figur, die sie nicht versteckt. Lucy beobachtet, wie sie mit gleitenden Schritten in den hinteren Teil des Restaurants verschwindet. In ihrem langen schwarzen Mantel, der ihre schwarzen Stiefel umflattert, erinnert sie an eine Pilgerin mit erotischer Ausstrahlung oder an eine sinnliche Hexe. Sie steuert schnurstracks auf den Tresen zu, wo mehr als genug Barhocker frei sind. Doch sie entscheidet sich für den direkt neben Lucy, faltet ihren Mantel zusammen und setzt sich darauf, ohne ihre Sitznachbarin eines Wortes oder eines Blicks zu würdigen.
Lucy trinkt einen Schluck Tequila und starrt, scheinbar brennend interessiert an der neuesten Prominentenromanze, auf den Fernseher über der Theke. Buddy mixt der Frau einen Drink, ohne sie fragen zu müssen, was sie trinken will.
»Ich möchte auch noch einen«, sagt Lucy sofort.
»Wird gemacht.«
Die Frau mit dem schwarzen Kapuzenmantel mustert fasziniert die bunte Tequilaflasche, die Buddy aus dem Regal holt. Aufmerksam sieht sie zu, wie die bernsteinfarbene Flüssigkeit in einem zarten Strahl in den Cognacschwenker rinnt. Als Lucy den Tequila im Glas kreisen lässt, dringt ihr der Geruch in die Nase bis hinauf ins Gehirn.
»Von dem Zeug kriegst du Kopfschmerzen, die sich gewaschen haben«, warnt die Frau mit dem schwarzen Kapuzenmantel. Ihre Stimme klingt rau, verführerisch und geheimnisvoll.
»Tequila ist viel reiner als der meiste Alkohol«, erwidert Lucy. »Diesen Ausdruck habe ich übrigens schon lange nicht mehr gehört. Die meisten Leute sagen einfach nur ›höllisch‹.«
»Die scheußlichsten Kopfschmerzen hatte ich mal von Margaritas «, fährt die Frau fort und nippt an dem rosafarbenen, giftig aussehenden Cosmopolitan in ihrem Champagnerglas. »Außerdem glaube ich nicht an die Hölle.«
»Das wirst du schon noch, wenn du weiter dieses Gesöff in dich reinschüttest«, entgegnet Lucy und beobachtet im Spiegel hinter dem Tresen, wie sich wieder die Tür öffnet und noch mehr Schnee ins Lokal gepustet wird.
Der Luftzug, der durch den Windfang hereinfegt, klingt wie raschelnde Seide und erinnert Lucy an Seidenstrümpfe, die im Sturm an einer Wäscheleine hin und her gepeitscht werden, obwohl sie noch nie Strümpfe an einer Leine gesehen oder gehört hat, welches Geräusch sie machen. Sie bemerkt, dass die Frau schwarze Strümpfe trägt, denn hohe Barhocker und kurze geschlitzte Röcke sind eine verhängnisvolle Kombination - außer die Trägerin befindet sich in einem Lokal, in dem die Männer ausschließlich aneinander interessiert sind, was im Schwulenmekka Provincetown für gewöhnlich der Fall ist.
»Noch einen Cosmo, Stevie?«, fragt Buddy. Nun kennt Lucy ihren Namen.
»Nein«, antwortet sie an ihrer statt. »Stevie soll mal probieren, was ich trinke.«
»Ich bin für alles Neue offen«, sagt Stevie. »Ich glaube, ich habe dich im Pied und im Vixen gesehen. Du hast mit verschiedenen Leuten getanzt.«
»Ich tanze nicht.«
»Aber ich habe dich gesehen. Jemand wie du fällt auf.«
»Bist du oft hier?«, erkundigt sich Lucy, die Stevie noch nie über den Weg gelaufen ist. Weder im Pied noch im Vixen oder in einem der anderen Clubs und Restaurants in Provincetown.
Stevie sieht zu, wie Buddy Tequila nachschenkt. Er lässt die Flasche auf der Theke stehen und wendet sich einem anderen Gast zu.
»Ich bin zum ersten Mal hier«, sagt Stevie zu Lucy. »Ein Geschenk zum Valentinstag an mich selbst: eine Woche in Provincetown.«
»Mitten im Winter?«
»Soweit ich weiß, fällt der Valentinstag immer in den Winter. Er ist mein Lieblingsfeiertag.«
»Er ist kein Feiertag. Außerdem war ich in dieser Woche jeden Abend hier, und ich habe dich noch nie gesehen.«
»Wer bist du? Die Kneipenpolizei?« Stevie schmunzelt und sieht Lucy so eindringlich in die Augen, dass der Blick seine Wirkung nicht verfehlt.
Lucy spürt etwas. Nein, denkt sie. Nicht schon wieder.
»Vielleicht bin ich im Gegensatz zu dir nicht jeden Abend hier«, meint Stevie, und als sie nach der Tequilaflasche greift, berührt sie Lucys Arm.
Das Gefühl wird stärker. Stevie mustert das bunte Etikett und stellt die Flasche dann zurück auf den Tresen. Dabei lässt sie sich Zeit und streift Lucy mit dem ganzen Körper. Das Gefühl steigert sich.
»Cuervo? Was ist denn so Besonderes an Cuervo?«, fragt Stevie.
»Woher weißt du, was ich mache?«, sagt Lucy.
Sie versucht, das Gefühl zu vertreiben.
»Nur so eine Vermutung. Du siehst aus wie jemand, der viel nachts unterwegs ist«, antwortet Stevie. »Rot ist deine echte Haarfarbe, oder? Mahagoni, gemischt mit Dunkelrot. Gefärbtes Haar ist anders. Und du trägst es erst seit kurzer Zeit so lang.«
»Bist du Hellseherin?«
Das Gefühl ist inzwischen unerträglich. Und es will sich einfach nicht legen.
»Nur so eine Vermutung«, antwortet Stevies verführerische Stimme. »Und du hast es mir noch immer nicht verraten: Was ist so Besonderes an Cuervo?«
»Cuervo Reserva de la Familia. Das ist schon was Besonderes. «
»Tja, stimmt wohl. Offenbar ist heute seit Langem wieder mal mein Abend«, sagt Stevie, berührt Lucy am Arm und lässt kurz ihre Hand liegen. »Zum ersten Mal in Provincetown.
Und zum ersten Mal ein Tequila aus einhundert Prozent Agave für dreißig Dollar das Glas.«
Lucy ist verwundert, woher Stevie weiß, dass das Glas dreißig Dollar kostet. Für jemanden, der sich nicht mit Tequila auskennt, scheint sie ziemlich gut informiert zu sein.
»Ich glaube, ich trinke noch einen«, ruft Stevie Buddy zu. »Und du könntest wirklich ein bisschen großzügiger einschenken. Sei nett zu mir.«
Lächelnd folgt Buddy der Aufforderung. Zwei Gläser später lehnt Stevie sich an Lucy und flüstert ihr ins Ohr: »Hast du was da?«
»Was denn?«, erwidert Lucy. Und dann gibt sie sich dem Gefühl hin.
Einem Gefühl, beflügelt von Tequila und ihrer Absicht, die Nacht hier zu verbringen.
»Du weißt schon, was«, erwidert Stevies Stimme leise. Ihr Atem streift Lucys Ohr, und ihre Brust presst sich an ihren Arm. »Was zu rauchen. Etwas, damit es sich lohnt.«
»Was bringt dich auf den Gedanken, dass ich was haben könnte?«
»Nur so eine Vermutung.«
»Du vermutest aber ziemlich viel.«
»Hier kriegt man überall was. Ich habe dich gesehen.«
Lucy hat gestern Abend etwas gekauft. Sie weiß genau, wo, und zwar im Vixen, wo sie nicht getanzt hat. Sie kann sich nicht erinnern, Stevie dort wahrgenommen zu haben. Um diese Jahreszeit ist der Laden nie sehr voll, und Stevie wäre ihr sicher aufgefallen. Sie hätte sie auch in einer Menschenmenge, auf einer belebten Straße oder sonst irgendwo bemerkt.
»Offenbar bist du die Kneipenpolizei«, sagt Lucy.
»Du ahnst ja gar nicht, wie komisch das ist«, erwidert Stevies verführerische Stimme. »Wo wohnst du denn?«
»Nicht weit von hier.«
6
Die Gerichtsmedizin liegt wie in den meisten Städten am Rand eines besseren Viertels und ist für gewöhnlich angegliedert an eine medizinische Fakultät. Die Rückseite des Gebäudekomplexes aus rotem Backstein und Beton geht auf den Massachusetts Turnpike hinaus. Auf der anderen Seite befindet sich das Gefängnis von Suffolk County. Keine schöne Aussicht also, und der Verkehrslärm verebbt nie.
Benton stellt seinen Wagen an der Hintertür ab und bemerkt, dass sich nur zwei weitere Fahrzeuge auf dem Parkplatz befinden. Der dunkelblaue Crown Victoria gehört Detective Thrush, der Honda SUV vermutlich einem unterbezahlten Gerichtsmediziner, der sicher nicht erfreut war, als Thrush von ihm verlangt hat, um diese Uhrzeit im Institut zu erscheinen. Während Benton an der Tür läutet, beobachtet er den verlassenen Parkplatz, denn er geht immer davon aus, dass er nicht allein ist und von irgendwoher Gefahr droht. Dann öffnet sich die Tür, und Thrush bittet ihn herein.
»Mein Gott, wie ich diese Bude nachts hasse«, sagt er.
»Tagsüber ist es hier auch nicht schöner«, gibt Benton zurück.
»Gut, dass Sie gekommen sind. Wie können Sie bei diesem Wetter bloß in so was herumkurven?«, fragt Thrush mit einem Blick auf den schwarzen Porsche, bevor er die Tür schließt. »Sie müssen verrückt sein.«
»Allradantrieb. Als ich heute Morgen zur Arbeit fuhr, hat es noch nicht geschneit.«
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Essen ist dort spitze.
Scarpetta blickt aus dem Fenster, während Marino den Motor zum Verstummen bringt, absteigt, sich in Machopose wirft und in alle Richtungen umschaut. Es ist typisch für ihn, dass er sich ständig beobachtet fühlt. Gerade schließt sie die BESTIE-Unterlagen in der Schreibtischschublade ein, als er ohne anzuklopfen hereinkommt und unaufgefordert Platz nimmt.
»Was weißt du über den Fall Johnny Swift?«, fragt er. Gewaltige tätowierte Arme ragen aus der Jeansweste, auf deren Rücken das Logo von Harley-Davidson prangt.
Marino ist der Chefermittler der Akademie und geht außerdem im Auftrag des Gerichtsmedizinischen Instituts von Broward County verdächtigen Todesfällen nach. Seit einiger Zeit sieht er aus wie die Karikatur eines Bikers. Er legt seinen Helm auf den Tisch, eine abgestoßene schwarze Halbschale, übersät mit Aufklebern, die Einschusslöcher darstellen sollen.
»Hilf meinem Gedächtnis mal auf die Sprünge. Übrigens ist dieses Ding da nichts weiter als Deko.« Scarpetta weist auf den Helm. »Absolut nutzlos, falls du mit deinem Organspender- Motorrad einen Unfall hast.«
Marino wirft eine Akte auf ihren Schreibtisch. »Ein Arzt aus San Francisco mit Praxis in Miami. Besaß zusammen mit seinem Bruder ein Strandhaus hier in Hollywood, nicht weit weg von den Renaissance-Doppeltürmen in der Nähe des John Lloyd State Park. Vor etwa drei Monaten, so um Thanksgiving rum, war Swift hier und wurde von seinem Bruder auf dem Sofa gefunden. Tot, mit einer Schrotladung in der Brust. Er hatte gerade eine missglückte Handgelenkoperation hinter sich. Auf den ersten Blick eindeutig Selbstmord.«
»Damals war ich noch nicht am Gerichtsmedizinischen Institut«, entgegnet Scarpetta.
Sie war zwar bereits als Leiterin für forensische Wissenschaften und Medizin an der Akademie tätig, doch die Stelle als beratende Forensikerin am Gerichtsmedizinischen Institut von Broward County hat sie erst im vergangenen Dezember angenommen, als Dr. Bronson, der Chef, sein Stundendeputat zurückgefahren und immer öfter von der Rente geredet hat.
»Aber ich erinnere mich, davon gehört zu haben«, fährt sie fort. Sie fühlt sich nicht wohl in Marinos Gegenwart und freut sich in letzter Zeit nur noch selten, ihn zu sehen.
»Dr. Bronson hat die Autopsie durchgeführt«, sagt er, betrachtet die Gegenstände auf Scarpettas Schreibtisch und lässt den Blick in alle Richtungen schweifen, nur Scarpetta schaut er nicht an.
»Hattest du was damit zu tun?«
»Nein. Ich war nicht in der Stadt. Der Fall ist noch nicht abgeschlossen, weil die Polizei von Hollywood vermutet, dass mehr dahinterstecken könnte. Sie haben Laurel im Verdacht.«
»Laurel?«
»Johnny Swifts Bruder, eineiige Zwillinge. Aber es gab keine Beweise, und allmählich ist Gras über die Sache gewachsen. Doch dann habe ich am Freitagmorgen so gegen drei einen Anruf gekriegt, von einem Spinner, und das auch noch bei mir zu Hause. Wir haben das Telefonat nach Boston zurückverfolgen können.«
»Boston in Massachusetts?«
»Da, wo die Tea Party stattgefunden hat.«
»Ich dachte, du hättest eine Geheimnummer.«
»Ich eigentlich auch.«
Marino zieht ein zusammengefaltetes, ziemlich zerfleddertes Stück braunes Papier aus der Gesäßtasche seiner Jeans und streicht es glatt.
»Ich lese dir vor, was der Typ gesagt hat, ich habe es Wort für Wort mitgeschrieben. Er nannte sich Hog.«
»Hog wie Schwein?« Während Scarpetta ihn ansieht, fragt sie sich, ob das ein schlechter Scherz ist und ob er sie zum Narren halten will.
Das tut Marino in letzter Zeit häufig.
»Er sagte nur: Ich bin Hog. Du hast ihnen eine Strafe gesandt, die sie zum Gespött machte. Was zum Teufel das auch immer heißen mag. Dann weiter: Es gibt einen Grund, warum am Fundort von Johnny Swifts Leiche einige Gegenstände gefehlt haben, und wenn du nur einen Funken Verstand hast, prüfst du nach, was Christian Christian passiert ist. Es gibt keine Zufälle. Am besten fragst du Scarpetta, denn die Hand Gottes wird alle Perversen zermalmen, auch ihre Nichte, diese lesbische Schlampe.«
Scarpetta lässt sich ihre Gefühle nicht anmerken, als sie erwidert: »Bist du sicher, dass das seine genauen Worte waren?«
»Sehe ich vielleicht aus wie ein Romanautor?«
»Christian Christian?«
»Keine Ahnung, was das soll. Der Typ schien nicht gerade aufgeschlossen für Fragen oder bereit, etwas zu buchstabieren. Er hat sehr leise gesprochen, absolut emotionslose Stimme, und dann aufgelegt.«
»Hat er Lucy namentlich erwähnt oder nur ...?«
»Ich habe ihn wörtlich zitiert«, unterbricht er sie. »Sie ist doch deine einzige Nichte, oder? Also kann er nur Lucy gemeint haben. Und HOG dürfte für ›Hand of God‹ stehen, falls du noch nicht selbst draufgekommen sein solltest. Um mich kurz zu fassen: Ich habe die Polizei von Hollywood verständigt, die uns daraufhin gebeten hat, den Fall Johnny Swift so schnell wie möglich unter die Lupe zu nehmen. Offenbar stimmt etwas mit den Untersuchungsergebnissen nicht, denn er ist scheinbar sowohl aus einiger Entfernung als auch aus nächster Nähe erschossen worden. Tja, und das schließt sich wohl gegenseitig aus, oder?«
»Wenn nur ein Schuss abgegeben wurde, schon. Offenbar wurde da etwas durcheinandergebracht. Wissen wir, wer Christian Christian ist? Ist damit überhaupt eine Person gemeint? «
»Bis jetzt hat der Computer nichts Hilfreiches zutage gefördert. «
»Und warum erzählst du mir das alles erst jetzt? Ich war das ganze Wochenende hier.«
»Ich hatte zu tun.«
»Wenn du Informationen über einen Fall wie diesen hast, solltest du nicht zwei Tage warten, ehe du damit zu mir kommst«, gibt sie so ruhig wie möglich zurück.
»Vielleicht solltest du, was das Zurückhalten von Informationen angeht, besser ganz ruhig sein.«
»Welche Informationen?«, entgegnet sie irritiert.
»Sei lieber ein bisschen vorsichtiger. Mehr sage ich dazu nicht.«
»Deine Geheimnistuerei ist nicht eben hilfreich, Marino.«
»Fast hätte ich es vergessen. Hollywood interessiert sich für Bentons berufliche Meinung zu diesem Thema«, fügt Marino wie beiläufig hinzu.
Wie immer ist sein Versuch, seine Gefühle für Benton Wesley zu verbergen, nicht sehr erfolgreich.
»Ich kann ihn natürlich bitten, sich den Fall anzusehen«, erwidert Scarpetta, »aber es ist seine Entscheidung.«
»Die in Hollywood möchten, dass er untersucht, ob der
Anruf von diesem durchgeknallten Hog nur ein schlechter Scherz war. Ich habe ihnen schon erklärt, dass das ohne Bandaufnahme schwierig ist, zumal wir uns nur auf mein Privatsteno auf einer Papiertüte stützen können.«
Als Marino aufsteht, wirkt er riesig, und Scarpetta fühlt sich in seiner Gegenwart noch kleiner als sonst. Er greift nach seinem nutzlosen Helm und setzt die Sonnenbrille auf. Während des gesamten Gesprächs hat er sie kein einziges Mal angeblickt, und nun kann sie seine Augen gar nicht mehr sehen und ihren Ausdruck deuten.
»Ich werde mich darum kümmern. Sofort«, antwortet sie, während er zur Tür geht. »Wenn du möchtest, können wir die Fakten später gemeinsam sichten.«
»Hm.«
»Warum kommst du nicht zu mir nach Hause?«
»Hm«, wiederholt er. »Wann?«
»Um sieben«, erwidert sie.
2
Benton Wesley sitzt im Labor für Magnetresonanz-Tomografie und beobachtet den Patienten durch eine Plexiglaswand. Das Licht ist gedämpft, auf den Schreibtischen leuchten einige Monitore, seine Armbanduhr liegt oben auf seinem Aktenkoffer. Ihm ist kalt. Nach einigen Stunden im Labor ist er bis auf die Knochen durchgefroren. Wenigstens fühlt es sich so an.
Der heutige Patient wird nur mit seiner Identifikationsnummer bezeichnet, obwohl er auch einen Namen hat: Basil Jenrette. Er ist ein leicht ängstlicher, intelligenter, dreiunddreißigjähriger zwanghafter Mörder. Benton vermeidet den Ausdruck Serienkiller, denn er ist abgedroschen und sagt eigentlich nichts weiter aus, als dass ein Täter innerhalb eines bestimmten Zeitraums drei oder mehr Menschen umgebracht hat. Das Wort »Serie« bezieht sich auf eine chronologische Abfolge, verrät aber nichts über die Motive oder den Geisteszustand des Gewaltverbrechers. Wenn Basil Jenrette tötete, stand er unter Zwang. Er konnte nicht mehr aufhören.
Heute wird sein Gehirn mit einem 3-Tesla-Tomografen abgetastet, dessen Magnetfeld sechzigtausendmal stärker ist als das der Erde. Man will feststellen, ob etwas an Jenrettes Gehirn oder dessen Funktionen Hinweise auf seine Beweggründe gibt. Benton hat ihm während der Patientengespräche immer wieder die Frage nach dem Grund seiner Taten gestellt.
Ich habe sie gesehen, und das war's. Ich musste es tun.
Sie mussten es sofort in diesem Augenblick tun?
Nicht gleich auf der Straße. Ich bin ihr gefolgt, bis ich einen Plan hatte und wusste, wie ich es anstellen wollte. Um ehrlich zu sein, hat es mehr Spaß gemacht, je länger ich zuvor überlegt hatte.
Und wie lange dauerte das normalerweise? Ich meine, das Verfolgen und das Planen? Können Sie das ungefähr abschätzen? Tage, Stunden, Minuten?
Minuten, vielleicht Stunden. Manchmal auch Tage. Hing ganz davon ab. Blöde Kühe, ich meine, wenn Sie in der Situation wären, dass Sie jemand entführen will, würden Sie einfach im Auto sitzen bleiben und nicht einmal versuchen abzuhauen?
Haben die Frauen sich so verhalten, Basil? Haben sie im Auto gesessen, ohne einen Versuch zur Flucht zu unternehmen?
Außer den letzten beiden. Aber das wissen Sie ja, deshalb bin ich ja hier. Sie hätten sich bestimmt auch nicht gewehrt, doch dann hatte ich eine Autopanne. So was Blödes. Was würden Sie tun? Würden Sie sich lieber gleich im Auto abknallen lassen oder würden Sie abwarten, was ich mit Ihnen anstelle, nachdem ich Sie in mein Versteck gebracht habe?
Wo war denn Ihr Versteck? Handelte es sich dabei immer um denselben Ort?
Nur wegen dieser bescheuerten Autopanne.
Bis jetzt ist die Struktur von Basil Jenrettes Gehirn völlig unauffällig. Die einzige Abweichung, auf die Benton durch Zufall stößt, ist eine Zyste im hinteren Kleinhirn, die lediglich seinen Gleichgewichtssinn ein wenig beeinträchtigen könnte. Aber es muss etwas mit der Funktionsweise seines Gehirns nicht stimmen. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht, denn sonst wäre er ja kein Kandidat für die BESTIE-Studie und hätte sich vermutlich auch nicht mit der Teilnahme einverstanden erklärt. Für Basil ist alles ein Spiel. Er hält sich für klüger als Einstein und für den intelligentesten Menschen der Welt. Wegen seiner Taten hat er nicht einen Moment Reue empfunden, und er gibt offen zu, dass er noch mehr Frauen umbringen würde, wenn er die Möglichkeit dazu hätte. Leider macht Basil einen sympathischen Eindruck.
Die beiden Justizvollzugsbeamten im Labor beobachten, staunend und neugierig zugleich, durch die Scheibe die zwei Meter lange Röhre, in der sich der Magnet befindet. Sie tragen zwar Uniformen, aber keine Waffen, denn die sind hier drinnen nicht gestattet. Im Labor sind keine Gegenstände aus Metall, auch keine Handschellen und Fußfesseln, erlaubt, und deshalb sind Basils Knöchel und Handgelenke nur mit Plastik- fesseln fixiert, während er auf dem Tisch in der Magnetröhre liegt und das ohrenbetäubende Krachen und Hämmern der Funkwellenimpulse vernimmt, die klingen wie auf Hochspannungsleitungen gespielte Höllenmusik - so stellt Benton es sich zumindest vor.
»Vergessen Sie nicht, jetzt kommen die Farbfelder. Ich möchte nur, dass Sie die Farbe benennen«, spricht Dr. Susan Lane, die Neuropsychologin, ins Mikrofon. »Nein, Mr. Jen- rette, bitte nicken Sie nicht. Denken Sie daran, dass das Band unter Ihrem Kinn Sie daran erinnern soll, sich nicht zu bewegen. «
»Zehn-vier«, klingt Basils Stimme durch den Lautsprecher.
Inzwischen ist es halb neun Uhr abends, und Benton fühlt sich unwohl. Diese Beklommenheit plagt ihn schon seit Monaten, wobei seine Sorge weniger der Frage gilt, ob die Basil Jenrettes dieser Welt plötzlich in den altehrwürdigen Backsteinmauern des McLean Hospital den Aufstand proben und jeden niedermetzeln könnten, der ihnen in die Nähe kommt. Er befürchtet eher, dass seine Studie zum Scheitern verurteilt ist und dass er damit leichtsinnig Fördergelder und jede Menge wertvolle Zeit vergeudet. McLean ist der medizinischen Fakultät von Harvard angeschlossen, und weder das Krankenhaus selbst noch die Universität würden Gnade mit Benton haben, falls er versagt.
»Es ist nicht schlimm, wenn Ihnen ein Fehler unterläuft«, spricht Dr. Lane ins Mikrofon. »Wir erwarten gar nicht, dass Sie alles richtig machen.«
»Grün, Rot, Blau, Rot, Blau, Grün«, hallt Basils Stimme selbstbewusst durch den Raum.
Ein Mitarbeiter hakt die Antworten auf einem Formblatt ab, während der MRT-Techniker die Bilder auf seinem Monitor überprüft.
Dr. Lane betätigt wieder den Knopf. »Mr. Jenrette, Sie machen das ausgezeichnet. Können Sie alles gut sehen?«
»Zehn-vier.«
»Prima. Wenn der schwarze Bildschirm erscheint, sind Sie bitte ganz still. Sprechen Sie nicht, und betrachten Sie nur den weißen Punkt auf dem Bildschirm.«
»Zehn-vier.«
Dr. Lane nimmt den Finger vom Knopf und dreht sich zu Benton um. »Wo hat er denn nur den Polizeijargon her?«
»Er war früher Cop. So hat er es vermutlich geschafft, die Opfer in seinen Wagen zu locken.«
»Dr. Wesley?«, unterbricht ihn die Labormitarbeiterin und dreht sich in ihrem Stuhl um. »Es ist für Sie. Detective Thrush.«
Benton greift nach dem Hörer.
»Was gibt es?«, fragt er Thrush, einen Detective bei der Mordkommission der Massachusetts State Police.
»Hoffentlich hatten Sie nicht vor, heute früh zu Bett zu gehen«, erwidert Thrush. »Haben Sie schon gehört, dass heute Morgen draußen beim Walden Pond eine Leiche gefunden wurde?«
»Nein, ich war den ganzen Tag hier eingesperrt.«
»Weiß, weiblich, noch nicht identifiziert, Alter schwer zu schätzen. Vielleicht Ende dreißig, Anfang vierzig. Kopfschuss, die Patronenhülse wurde ihr in den Hintern geschoben.«
»Ist mir neu.«
»Die Autopsie wurde bereits durchgeführt, aber ich dachte, Sie wollten sie sich noch einmal ansehen. Das war kein normaler Mord.«
»Ich bin in einer knappen Stunde hier fertig«, sagt Benton.
»Wir treffen uns in der Leichenhalle.«
Im Haus ist es still. Kay Scarpetta geht unruhig von Zimmer zu Zimmer und schaltet alle Lampen an. Sie lauscht auf das Geräusch eines Motorrads oder Autos und wartet auf Marino. Er ist zu spät dran und hat nicht auf ihre Anrufe reagiert.
Unruhig und besorgt überprüft sie, ob die Alarmanlage auch wirklich eingeschaltet ist. Vor dem Bildschirm am Küchentelefon bleibt sie stehen, um sich zu vergewissern, dass die Überwachungskameras an allen Seiten des Hauses funktionieren. Der Bildschirm zeigt ihr dunkles Grundstück, auf dem sich die Umrisse von Zitronenbäumen, Palmen und Hibiskusbüschen im Wind wiegen. Der Steg hinter ihrem Swimmingpool und der Kanal dahinter sind eine schwarze Ebene, gesprenkelt vom Licht der Straßenlaternen am Deich. Sie rührt die Tomatensoße und die Pilze um, die in Kupfertöpfen auf dem Herd köcheln. Dann sieht sie nach dem gehenden Teig und dem frischen Mozzarella, die in abgedeckten Schüsseln neben dem Spülbecken stehen.
Es ist fast neun. Marino wollte vor zwei Stunden hier sein. Morgen hat sie mit verschiedenen Fällen und Seminaren alle Hände voll zu tun, und sie hat kein Verständnis für sein unmögliches Benehmen. Außerdem fühlt sie sich auf den Arm genommen. Sie hat genug von ihm. In den letzten drei Stunden hat sie sich ausschließlich mit Johnny Swifts angeblichem Selbstmord befasst, und jetzt meint Marino offenbar, sich nicht bei ihr blicken lassen zu müssen. Scarpetta ist erst gekränkt und dann wütend. Es ist leichter, wütend zu sein.
Verärgert geht sie ins Wohnzimmer; dabei lauscht sie immer noch auf ein Motorrad oder ein Auto und wartet auf ihn. Sie nimmt die Remington Marine Magnum Kaliber zwölf vom Sofa und setzt sich. Das vernickelte Schrotgewehr liegt schwer auf ihrem Schoß. Sie steckt einen kleinen Schlüssel in die Verriegelung, dreht ihn nach rechts und nimmt die Verriegelung vom Abzugsbügel. Dann zieht sie den Vorderschaft zurück, um sicherzugehen, dass sich keine Patronen im Magazin befinden.
3
»Jetzt lesen wir Wörter«, teilt Dr. Lane Basil über die Gegensprechanlage mit. »Lesen Sie die Wörter einfach von links nach rechts. Okay? Und vergessen Sie nicht, dass Sie sich nicht bewegen dürfen. Sie machen das ganz prima.«
»Zehn-vier.«
»Hey, wollen Sie sehen, wie er wirklich aussieht?«, meint der MRT-Techniker zu den Justizvollzugsbeamten.
Er heißt Josh, hat am MIT seinen Abschluss in Physik gemacht und finanziert mit diesem Job hier seine Promotion. Josh ist zwar intelligent, aber ein komischer Kauz mit einer Schwäche für schräge Scherze.
»Ich weiß, wie er aussieht, ich habe ihn nämlich heute zum Duschen begleitet«, antwortet einer der Wachmänner.
»Und dann?«, will Dr. Lane von Benton wissen. »Was hat er mit den Frauen gemacht, nachdem er sie in seinem Wagen hatte?«
»Rot, Blau, Blau, Rot ...«
Die Wachmänner bewegen sich zu Joshs Monitor.
»Er ist mit ihnen weggefahren, hat ihnen die Augen ausgestochen, sie noch ein paar Tage am Leben gelassen, sie wiederholt vergewaltigt, ihnen die Kehle durchgeschnitten und sie dann irgendwo abgelegt, und zwar in Posen, die die Finder schockieren sollten«, erklärt Benton Dr. Lane in sachlichem Medizinerton. »Zumindest in den Fällen, die wir kennen. Ich bin sicher, dass noch andere Morde auf sein Konto gehen. In jener Zeit sind in Florida eine Reihe Frauen verschwunden. Vermutlich tot, auch wenn die Leichen nie gefunden wurden.«
»Wo hat er sie denn hingebracht? In ein Motel? Zu sich nach Hause?«
»Moment«, sagt Josh zu den Wachmännern und wählt die Menüoptionen 3D und SSD-Oberflächendarstellungs-CT. »Das hier ist wirklich cool. Das zeigen wir den Patienten nie.«
»Warum?«
»Sie könnten ausflippen.«
»Das wissen wir nicht«, sagt Benton zu Dr. Lane, während er Josh im Auge behält, damit er einschreiten kann, falls dieser es zu bunt treibt. »Aber eines ist interessant: Die abgelegten Leichen waren alle mit mikroskopisch kleinen Kupferteilchen bedeckt.«
»Und woher kamen die?«
»Sie waren mit Erde vermengt und klebten in ihrem Blut, an ihrer Haut oder in ihrem Haar.«
»Blau, Grün, Blau, Rot ...«
»Das ist merkwürdig.«
Dr. Lane drückt auf den Mikrofonknopf. »Mr. Jenrette? Wie geht es Ihnen? Alles in Ordnung?«
»Zehn-vier.«
»Als Nächstes werden Sie Wörter sehen, die sich in der Druckfarbe von der Bedeutung des Wortes unterscheiden. Ich möchte, dass Sie die Farbe der Tinte nennen. Nur die Farbe der Tinte.«
»Zehn-vier.«
»Ist das nicht beeindruckend?«, fragt Josh, als eine Art Totenmaske auf dem Bildschirm erscheint, eine Rekonstruktion aus einen Millimeter dicken hochaufgelösten Scheiben, die die MRT-Abbildung von Basil Jenrettes Kopf darstellen. Das Bild ist bleich und haarlos, hat keine Augen und endet in einer Zickzacklinie dicht unterhalb des Kiefers wie bei einem Geköpften.
Josh dreht die Abbildung so, dass die Wachen sie aus unterschiedlichen Winkeln betrachten können.
»Warum sieht sein Kopf abgeschnitten aus?«, fragt einer.
»Weil dort das Signal aufhört.«
»Seine Haut wirkt nicht gerade echt.«
»Rot ... äh ... ich meine Rot, Grün ...«, hallt Basils Stimme durch den Raum.
»Es ist auch keine richtige Haut. Wie soll ich es erklären ... tja, der Computer führt eine Volumenrekonstruktion und eine Oberflächendarstellung durch.«
»Rot, Blau ... äh ... Grün, Blau, ich meine Grün ...«
»Wir benutzen es eigentlich nur für Power-Point-Präsentationen, um das Strukturelle mit dem Funktionalen zu verbinden. Also für ein MRT-Analysepaket, mit dem man die Daten zusammenfügen, sie aus verschiedenen Perspektiven anschauen und ein bisschen damit herumspielen kann.«
»Mann, ist der hässlich.«
Benton hat genug gehört. Die Farbnennungen sind beendet. Er wirft Josh einen strengen Blick zu.
»Josh, sind Sie bereit?«
»Vier, drei, zwei, eins, fertig«, erwidert Josh, und Dr. Lane beginnt mit dem Interferenz-Test.
»Blau, Rot, ich meine ... Scheiße! Äh ... Rot, ich meine Blau, Grün, Rot ...« Basils Stimme schnarrt durch den Raum, während er keine einzige Farbe richtig benennt.
»Hat er Ihnen je erklärt, warum?«, will Dr. Lane von Benton wissen.
»Verzeihung«, erwidert dieser geistesabwesend. »Warum was?«
»Rot, Blau, Scheiße! Äh ... Rot, Blaugrün ...«
»Warum er ihnen die Augen ausgestochen hat.«
»Er sagte, sie sollten nicht sehen, wie klein sein Penis ist.«
»Blau, Blaurot, Rot, Grün ...«
»In diesem Test hat er nicht so gut abgeschnitten«, stellt Dr. Lane fest. »Er hat die meisten Farben falsch benannt. In welchem Bezirk war er denn bei der Polizei? Nur damit ich darauf achte, mich nicht ausgerechnet dort wegen Schnellfahrens anhalten zu lassen.« Sie drückt auf den Mikrofonknopf. »Alles in Ordnung?«
»Zehn-vier.«
»Beim Dade County Police Department.«
»Ein Jammer. Ich habe mich in Miami immer wohlgefühlt. Deshalb sind Sie also an diesen Kandidaten gekommen. Wegen Ihrer Beziehungen nach Südflorida«, erwidert sie und drückt erneut auf den Knopf.
»Nicht ganz.« Benton betrachtet durch die Scheibe Basils Kopf, der am Ende der Magnetröhre sichtbar ist. Er weiß, dass der Patient Jeans und ein weißes Hemd anhat.
Auf dem Krankenhausgelände dürfen Sträflinge keine Gefängniskleidung tragen, da das der Öffentlichkeit ein schlechtes Bild vermitteln würde.
»Als wir uns bei den verschiedenen Gefängnisverwaltungen nach möglichen Kandidaten für unsere Studie erkundigt haben, meinte man in Florida, er sei genau unser Mann. Er langweilte sich, und sie waren froh, ihn loszuwerden«, erklärt Benton.
»Sehr gut, Mr. Jenrette«, sagt Dr. Lane ins Mikrofon. »Jetzt kommt Dr. Wesley zu Ihnen und gibt Ihnen die Maus. Als Nächstes werden Sie einige Gesichter sehen.«
»Zehn-vier.«
Für gewöhnlich würde Dr. Lane selbst in den MRT-Raum gehen und sich mit dem Patienten befassen. Aber Ärztinnen und Wissenschaftlerinnen dürfen sich nicht in die Nähe von BESTIE-Probanden wagen. Auch männliche Mitarbeiter müssen während des Aufenthalts im MRT-Labor Vorsicht walten lassen. Ansonsten liegt es beim jeweiligen Arzt, ob die Probanden auch bei den Patientengesprächen Fesseln tragen. Benton wird von zwei Justizvollzugsbeamten begleitet, als er die Lichter im MRT-Raum einschaltet und die Tür schließt. Die Wachmänner warten aufmerksam neben der Magnetröhre, während Benton die Maus einstöpselt und sie Basil in die gefesselten Hände legt.
Eigentlich wirkt Basil nicht sehr beängstigend, denn er ist ein zierlich gebauter Mann mit schütterem blondem Haar und kleinen, eng beieinanderstehenden grauen Augen. In der Tierwelt haben Raubtiere - Löwen, Tiger und Bären - eng zusammenstehende Augen. Die Augen von Giraffen, Kaninchen und Tauben - ihrer Beute also - stehen weiter auseinander und liegen seitlich am Kopf, da ein Rundumblick für sie lebenswichtig ist. Schon lange fragt sich Benton, ob dieses entwicklungsgeschichtliche Phänomen auch auf den Menschen übertragbar sein könnte. Aber eine solche Studie würde ihm niemand finanzieren.
»Alles in Ordnung, Basil?«, erkundigt sich Benton.
»Was für Gesichter?«, erwidert Basils Kopf am Ende der Magnetröhre, die an eine eiserne Lunge erinnert.
»Das wird Dr. Lane Ihnen erklären.«
»Ich habe eine Überraschung für Sie«, sagt Basil. »Ich erzähle es Ihnen, wenn wir hier fertig sind.«
Er hat einen seltsamen Blick, als ob ein böswilliges Geschöpf seine Augen als Fenster benutzen würde.
»Prima, ich mag Überraschungen. In ein paar Minuten haben Sie es hinter sich«, antwortet Benton lächelnd. »Dann können wir uns unterhalten.«
Die Wachen begleiten Benton aus dem MRT-Raum und kehren ins Büro zurück, wo Dr. Lane Basil über die Gegensprechanlage Anweisungen gibt. Sie erklärt ihm, er solle auf die linke Seite der Maus drücken, wenn es sich um das Gesicht eines Mannes handelt, und auf die rechte, wenn es eine Frau ist.
»Sie brauchen nichts zu tun oder zu sagen. Einfach nur drücken«, wiederholt sie.
Es sind drei Tests, bei denen es allerdings nicht darum geht zu ermitteln, ob der Patient die beiden Geschlechter auseinanderhalten kann. Überprüft wird bei dieser Funktions-CT- Reihe vielmehr die affektive Verarbeitung. Die Männer- und Frauengesichter, die auf dem Bildschirm erscheinen, werden von anderen Gesichtern überlagert, die jedoch zu schnell aufblitzen, als dass das Auge sie bewusst erkennen könnte. Aber dem Gehirn entgeht nichts. Jenrettes Gehirn wird die Gesichter hinter den Masken wahrnehmen, die glücklich, wütend oder ängstlich dreinblicken, und eine Reaktion bei ihm provozieren.
Nach jeder Serie fragt Dr. Lane ihn, was er gesehen hat, und fordert ihn auf, den Gesichtern Emotionen zuzuschreiben. Die männlichen Gesichter sind ernster als die weiblichen, erwidert er. Seine Antworten fallen nach jeder Reihe mehr oder weniger gleich aus, was im Moment noch nicht viel zu sagen hat. Nichts, was in diesen Räumen vor sich geht, hat für sich allein genommen eine Bedeutung, bevor nicht die Tausende der durch Magnetresonanz-Computertomografie erzeugten Abbildungen des Nervensystems analysiert sind. Dann erst können die Wissenschaftler sehen, welche Bereiche des Patientengehirns während des Tests am aktivsten waren. Ziel ist festzustellen, ob das Gehirn des Probanden anders funktioniert als bei einem angeblich normalen Menschen. Das zufällige Vorhandensein einer Zyste hat jedoch nicht das Geringste mit Basils Mordlust zu tun.
»Fällt Ihnen auf den ersten Blick etwas auf?«, fragt Benton Dr. Lane. »Übrigens muss ich mich wieder mal bei Ihnen bedanken, Susan. Sie sind mir wirklich eine große Hilfe.«
Sie legen die Untersuchung von Sträflingen möglichst auf den Abend oder das Wochenende, weil sie dann mehr oder weniger unter sich sind.
»Nach den Lokalisierern zu urteilen, scheint alles in Ordnung zu sein. Ich kann keine starken Abweichungen erkennen. Bis auf sein ständiges Geplapper, seinen übertriebenen Redefluss. Ist bei ihm je eine bipolare Störung diagnostiziert worden?«
»Die Untersuchungsergebnisse und seine Vorgeschichte würden eigentlich darauf hinweisen, aber nein. Keine Diagnose. Er hat noch nie Medikamente wegen einer psychischen Erkrankung eingenommen. Erst seit einem Jahr im Gefängnis. Ein Traumproband.«
»Tja, Ihr Traumproband hat sich beim Ignorieren störender Reize nicht sehr gut geschlagen und beim Interferenztest eine Menge Fehler gemacht. Ich tippe auf Konzentrationsschwierigkeiten, was bei einer bipolaren Störung nicht außergewöhnlich wäre. Aber bald werden wir mehr wissen.«
Wieder drückt sie auf den Knopf. »Mr. Jenrette«, sagt sie. »Wir sind fertig. Sie haben das gut gemacht. Dr. Wesley kommt jetzt rein und holt Sie ab. Ich möchte, dass Sie sich ganz langsam aufrichten, okay? Ganz langsam, damit Ihnen nicht schwindelig wird. In Ordnung?«
»War das alles? Nur diese dämlichen Tests? Zeigen Sie mir die Bilder!«
Dr. Lane wirft Benton einen Blick zu und lässt den Knopf los.
»Sie haben gesagt, Sie würden sich mein Gehirn anschauen, während ich mir die Bilder ansehe.«
»Autopsiefotos seiner Opfer«, erklärt Benton Dr. Lane.
»Sie haben mir Bilder versprochen! Und Sie haben versprochen, dass ich meine Post kriege!«
»Viel Spaß«, meint Dr. Lane zu Benton. »Er gehört Ihnen.«
Das Schrotgewehr ist schwer und unhandlich, weswegen Scarpetta Mühe hat, es auf ihre Brust zu richten, während sie auf dem Sofa liegt, und in dieser Haltung mit dem linken Zeh den Abzug zu betätigen.
Sie lässt die Waffe sinken und stellt sich vor, wie man diese Verrenkung nach einer Operation am Handgelenk versucht. Das Gewehr wiegt etwa vier Kilo und fängt in ihrer Hand zu zittern an, wenn sie es am fünfzig Zentimeter langen Lauf festhält. Sie stellt die Füße auf den Boden und zieht den rechten Turnschuh und die Socke aus. Obwohl eigentlich ihr linker Fuß der dominante ist, wird sie es mit dem rechten ausprobieren müssen, und sie fragt sich, welchen Fuß Johnny Swift wohl bevorzugt hat - den rechten oder den linken? Das wäre ein Unterschied, wenn auch nicht unbedingt ein wichtiger, insbesondere dann nicht, wenn er an Depressionen litt und fest entschlossen war, sich umzubringen. Allerdings ist sie sich da nicht sicher. Wie bei vielem in diesem Fall.
Sie denkt an Marino, und je länger sie das tut, desto zorniger wird sie. Er hat kein Recht, auf diese Weise mit ihr umzuspringen und sie so zu missachten wie damals bei ihrer ersten Begegnung, und die liegt schon viele Jahre zurück. Der Duft der selbst gemachten Pizzasoße schwebt durchs Wohnzimmer und erfüllt das ganze Haus. Vor Wut bekommt Scarpetta Herzklopfen, und es schnürt ihr die Brust zu. Sie legt sich auf die linke Seite, stützt den Gewehrkolben auf die Sofalehne, setzt sich den Lauf mitten auf die Brust und drückt mit dem rechten großen Zeh ab.
4
Basil Jenrette wird ihm nichts tun.
Ungefesselt sitzt er Benton in dem kleinen Untersuchungszimmer am Tisch gegenüber und verharrt still und höflich auf seinem Stuhl. Sein Ausbruch in der Magnetröhre hat ungefähr zwei Minuten gedauert, und als er sich wieder beruhigt hatte, war Dr. Lane schon fort. Also ist er ihr beim Verlassen des Raumes nicht begegnet, und Benton wird dafür sorgen, dass das auch in Zukunft so bleibt.
»Ist Ihnen auch bestimmt nicht komisch oder schwindelig? «, erkundigt sich Benton, verständnisvoll und gelassen wie immer.
»Mir geht es prima. Die Tests waren klasse. Für Tests hatte ich schon immer eine Schwäche. Ich wusste, dass ich alles richtig beantworten würde. Wo sind die Fotos? Sie haben es versprochen.«
»Davon war nie die Rede, Basil.«
»Ich hatte doch alle Antworten richtig, eine glatte Eins.«
»Also hat es Ihnen Spaß gemacht?«
»Beim nächsten Mal zeigen Sie mir die Fotos, wie Sie es versprochen haben.«
»Ich habe Ihnen nie etwas dergleichen versprochen, Basil. Fanden Sie es aufregend?«
»Hier drin darf man sicher nicht rauchen.«
»Ich fürchte, nein.«
»Wie sieht mein Gehirn denn aus? Gut? Haben Sie etwas erkennen können? Ist es möglich festzustellen, wie intelligent jemand ist, indem Sie sich sein Gehirn anschauen? Wenn Sie mir die Fotos zeigen würden, würden Sie sofort merken, dass sie mit denen übereinstimmen, die ich im Gehirn habe.«
Inzwischen spricht er sehr leise und schnell. Mit leuchtenden, glasigen Augen und ohne Luft zu holen, redet er darüber, was die Wissenschaftler vermutlich in seinem Gehirn erkennen werden, vorausgesetzt, dass sie überhaupt in der Lage sind, es zu entschlüsseln - denn dass es da etwas Interessantes zu finden gibt, davon ist Basil felsenfest überzeugt.
»Was soll denn da sein?«, hakt Benton nach. »Könnten Sie mir das ein wenig genauer erklären, Basil?«
»Mein Gedächtnis. Wenn Sie hineinschauen, sehen Sie meine Erinnerungen.«
»Ich fürchte, das geht nicht.«
»Wirklich. Ich wette, es sind alle möglichen Bilder hochgekommen, als es vorhin gepiepst, gescheppert und geklopft hat. Ganz bestimmt haben Sie die Bilder gesehen und wollen es mir bloß nicht verraten. Es waren insgesamt zehn, und Sie wissen genau, was ich meine. Zehn Bilder, nicht nur vier. Ich sage immer zehn-vier, als Witz, weil es zum Totlachen ist. Sie glauben, dass es vier sind, ich aber weiß, es sind zehn. Und Sie würden es erkennen, wenn Sie mir die Fotos zeigen würden, denn dann gäbe es keinen Zweifel daran, dass sie mit den Bildern in meinem Gehirn übereinstimmen. Wenn Sie in mein Gehirn schauen, sehen Sie die Bilder. Zehn-vier.«
»Beschreiben Sie mir, was das für Bilder sind, Basil.«
»Hab Sie doch nur verarscht«, erwidert er mit einem Augenzwinkern. »Ich will meine Post.«
»Welche Bilder sollten wir denn in Ihrem Gehirn sehen?«
»Dämliche Weiber. Die rücken meine Post nicht raus.«
»Wollen Sie damit behaupten, dass Sie zehn Frauen umgebracht haben?« Benton stellt diese Frage ganz sachlich und ohne sich sein Entsetzen anmerken zu lassen. Basil grinst, als wäre ihm gerade etwas eingefallen.
»Ach, jetzt darf ich meinen Kopf wieder bewegen, oder? Kein Band mehr am Kinn. Wird mein Kinn auch festgebunden, wenn ich die Spritze kriege?«
»Sie kriegen keine Spritze, Basil. Das ist Teil der Abmachung. Ihre Strafe wurde in lebenslänglich umgewandelt. Sie erinnern sich doch an unser Gespräch darüber?«
»Weil ich verrückt bin«, entgegnet Basil schmunzelnd. »Deshalb bin ich ja hier.«
»Nein. Wir gehen das noch einmal durch, weil es wichtig ist, dass Sie es verstehen. Sie sind hier, weil Sie bereit waren, an unserer Studie teilzunehmen, Basil. Der Gouverneur von Florida hat Ihre Verlegung in unser Staatskrankenhaus in Butler genehmigt, doch der Staat Massachusetts wollte nur unter der Bedingung zustimmen, dass er Ihre Strafe zuvor in lebenslänglich umwandelt. In Massachusetts gibt es nämlich keine Todesstrafe.«
»Ich weiß, dass Sie die zehn Frauen sehen wollen. Und zwar so, wie ich sie in Erinnerung habe. Sie sind in meinem Gehirn. «
Basil weiß genau, dass man mithilfe der Computertomografie weder die Gedanken noch die Erinnerungen eines Menschen abbilden kann. Er findet sich nur unglaublich witzig. Basil will die Autopsiefotos in die Hände bekommen, um damit seine Gewaltfantasien anzuregen, und wie die meisten narzisstischen Soziopathen genießt er es, sich aufzuspielen.
»Ist das Ihre Überraschung, Basil?«, fragt Benton. »Dass Sie zehn Morde begangen haben, nicht nur die vier, die Ihnen zur Last gelegt werden?«
Basil schüttelt den Kopf. »Für einen davon werden Sie sich ganz besonders interessieren«, erwidert er. »Das ist die Überraschung. Etwas ganz Besonderes für Sie, weil Sie so nett zu mir waren. Aber ich will meine Post. Das ist unser Deal.«
»Ich bin sehr neugierig auf Ihre Überraschung.«
»Die Dame im Christmas Shop«, antwortet er. »Erinnern Sie sich an sie?«
»Warum erzählen Sie mir nichts darüber?«, fragt Benton, obwohl er keine Ahnung hat, wovon Basil redet. Er weiß nichts über einen Mord in einem Laden für Weihnachtsschmuck.
»Was ist mit meiner Post?«
»Ich sehe, was sich da machen lässt.«
»Ehrenwort?«
»Ich kümmere mich darum.«
»An das genaue Datum kann ich mich nicht erinnern. Lassen Sie mich überlegen.« Basil starrt zur Decke, seine ungefesselten Hände zucken auf seinem Schoß. »Es war vor etwa drei Jahren in Las Olas. Ich glaube, im Juli, also müssen es ungefähr zweieinhalb Jahre sein. Gibt es wirklich Leute, die mitten im Juli Weihnachtssachen kaufen? Und noch dazu in Südflorida! Jedenfalls hatten sie dort kleine Weihnachtsmänner und Elfen und Nussknacker und Jesuskinder. Als ich an diesem Vormittag hinging, war ich schon die ganze Nacht auf den Beinen gewesen.«
»Wissen Sie den Namen der Frau noch?«
»Den kannte ich nie. Tja, vielleicht doch, aber ich habe ihn vergessen. Wenn Sie mir die Fotos zeigen, fällt es mir möglicherweise wieder ein. Oder Sie sehen sie in meinem Gehirn. Ob ich sie noch beschreiben kann? Moment. Sie war eine Weiße mit langem, gefärbtem Haar, etwa in dem Farbton wie in I Love Lucy. Ziemlich fett. So zwischen fünfunddreißig und vierzig. Ich bin rein, hab die Tür abgeschlossen und sie mit dem Messer bedroht. Dann hab ich sie hinten im Lagerraum vergewaltigt und ihr anschließend mit einem Schnitt von hier bis hier die Kehle aufgeschlitzt.«
Er fährt sich quer über den Hals.
»Am komischsten fand ich, dass es da drinnen so einen Ventilator gab. Den habe ich eingeschaltet, weil es so heiß und stickig war, und er hat das Blut in der ganzen Bude rumgepustet. Es war eine ziemliche Sauerei, das alles wieder wegzuwischen. Und danach ... lassen Sie mich überlegen ...« Wieder blickt er zur Decke, wie so oft, wenn er lügt. »An diesem Tag war ich nicht im Streifenwagen unterwegs, sondern mit dem Bike, das hatte ich hinter dem Riverside Hotel auf dem Parkplatz abgestellt.«
»Motorrad oder Fahrrad?«
»Mit einer Honda Shadow. Oder glauben Sie, dass ich mit dem Fahrrad losstrample, wenn ich jemanden kaltmachen will?«
»Also hatten Sie an diesem Morgen vor, jemanden umzubringen? «
»Mir gefiel der Gedanke.«
»Wollten Sie diese bestimmte Frau töten oder einfach irgendjemanden? «
»Ich erinnere mich, dass es auf dem Parkplatz von Enten gewimmelt hat, die in den Pfützen herumpaddelten, weil es seit Tagen geregnet hatte. Überall Mama-Enten und kleine Baby-Enten. Das kann ich immer schlecht mit ansehen. Die armen kleinen Enten. Sie werden so leicht überfahren. Dann liegt so eine kleine Ente zerquetscht auf der Straße, und die Mama läuft immer wieder um ihr totes Kind herum und macht ein trauriges Gesicht.«
»Haben Sie je eine Ente überfahren, Basil?«
»Ich würde nie einem Tier wehtun, Dr. Wesley.«
»Aber sie haben doch erzählt, Sie hätten als Kind Vögel und Kaninchen getötet.«
»Das ist schon lange her. Sie kennen doch Jungs und ihre Luftgewehre. Aber um meine Geschichte abzuschließen: Es waren gerade mal sechsundzwanzig Dollar und einundneunzig Cent. Sie müssen etwas wegen meiner Post unternehmen.«
»Sie wiederholen sich, Basil. Ich habe Ihnen bereits gesagt, dass ich mein Möglichstes tun werde.«
»Das war ziemlich enttäuschend nach der ganzen Arbeit, die ich mir gemacht hatte. Sechsundzwanzig Dollar und einundneunzig Cent.«
»Aus der Kasse.«
»Zehn-vier.«
»Sie waren doch sicher mit Blut beschmiert, Basil.«
»Hinten im Laden gab es ein Badezimmer.« Wieder blickt Basil zur Decke. »Ich habe sie mit Chlorbleiche übergossen. Jetzt fällt es mir wieder ein. Um meine DNA zu beseitigen. Jetzt sind Sie mir was schuldig. Ich will meine verdammte Post. Und holen Sie mich aus der Selbstmörderzelle raus. Ich verlange eine normale Zelle, wo ich nicht dauernd beobachtet werde.«
»Wir sorgen nur für Ihre Sicherheit.«
»Besorgen Sie mir eine neue Zelle, die Fotos und meine Post, und dann erzähle ich Ihnen mehr über den Christmas Shop«, sagt Basil. Seine Augen sind inzwischen noch glasiger, und er rutscht unruhig auf seinem Stuhl herum, ballt die Fäuste und wippt mit dem Fuß. »Ich habe eine Belohnung verdient.«
5
Lucy kann von ihrem Platz aus die Eingangstür im Auge behalten und genau sehen, wer kommt und wer geht. Sie beobachtet die Leute, ohne dass diese es ahnen, beobachtet und grübelt, obwohl sie sich doch eigentlich erholen sollte.
In den letzten Tagen ist sie jeden Abend ins Lorraine's gekommen, um sich mit Buddy und Tonia, die dort hinter dem Tresen arbeiten, zu unterhalten. Sie kennen Lucys wirklichen Namen nicht, erinnern sich jedoch beide an Johnny Swift als ausgesprochen gut aussehenden Arzt. Ein Hetero-Neurologe, dem es in Provincetown gut gefiel, aber eben leider hetero, sagt Buddy. Ein Jammer, fügt er hinzu. Und immer allein, außer bei seinem letzten Besuch, meint Tonia. Sie hatte an besagtem Abend Dienst und erinnert sich, dass Johnny geschiente Handgelenke hatte. Als sie sich danach erkundigte, hatte er geantwortet, er sei kürzlich operiert worden und es habe Komplikationen gegeben.
Johnny saß mit einer Frau am Tresen, die beiden steckten die Köpfe zusammen und redeten, als wären sie allein in der Bar. Sie hieß Jan und wirkte intelligent. Außerdem war sie hübsch, hatte gute Manieren, war ziemlich schüchtern und kein bisschen arrogant und noch ziemlich jung. Sie war ziemlich lässig angezogen und trug Jeans und ein Sweatshirt, erinnert sich Tonia. Offenbar kannte Johnny sie noch nicht lange, vielleicht hatte er sie eben erst getroffen und fand sie interessant. Er mochte sie eindeutig, sagt Tonia.
Stand er auf sie?, wollte Lucy von Tonia wissen.
Diesen Eindruck hatte ich nicht. Es war eher als ... na ja ... als hätte sie irgendein Problem und bäte ihn um Hilfe. Schließlich war er ja Arzt.
Das wundert Lucy nicht. Johnny war ein uneigennütziger Mensch und ausgesprochen hilfsbereit.
Nun sitzt sie im Lorraine's am Tresen und denkt an Johnny, der genauso hier hereinspaziert ist wie sie heute und sich an diesen Tresen gesetzt hat. Vielleicht sogar auf denselben Barhocker. Sie stellt sich ihn zusammen mit Jan vor, einer Frau, der er möglicherweise gerade erst begegnet war. Es war nicht seine Art, Frauen in Bars anzusprechen und flüchtige Beziehungen einzugehen, und er hielt nicht viel von Affären für eine Nacht. Also wollte er dieser Jan vielleicht wirklich nur helfen und sie beraten. Aber worum ging es bei dem Gespräch? Ein gesundheitliches Problem? Etwas Psychologisches? Diese schüchterne junge Frau namens Jan bereitet Lucy Kopfzerbrechen.
Es könnte auch sein, dass Johnny selbst Probleme hatte. Möglicherweise war die Karpaltunnel-OP nicht so erfolgreich gewesen, wie er gehofft hatte. Und so hörte er sich die Sorgen einer schüchternen, hübschen jungen Frau an, um sich von seinen eigenen Sorgen abzulenken und den guten Samariter zu spielen. Lucy trinkt einen Schluck Tequila und erinnert sich an seine Worte bei ihrer letzten Begegnung im September in San Francisco.
Die Biologie ist grausam, sagte er. Körperliche Einschränkungen sind gnadenlos. Niemand will dich mehr, wenn du zernarbt, verkrüppelt, nutzlos und verstümmelt bist.
Mein Gott, Johnny, es ist doch nur eine Karpaltunnel-OP, keine Amputation.
Entschuldige, erwiderte er. Wir sind ja nicht hier, um über mich zu reden.
Sie denkt an ihn, als sie im Lorraine's am Tresen sitzt und beobachtet, wie die Leute, meist Männer, das Restaurant betreten und es wieder verlassen. Immer, wenn sich die Tür öffnet, weht Schnee herein.
In Boston hat es zu schneien angefangen, als Benton in seinem Porsche 911 Turbo an den viktorianischen Backsteingebäuden der Universitätsklinik vorbeifährt. Er denkt an die Zeit, als Scarpetta die Angewohnheit hatte, ihn spätnachts in die Leichenhalle zu zitieren, für ihn stets ein klarer Hinweis darauf, dass er es mit einem schweren Fall zu tun bekommen würde.
Die meisten forensischen Psychologen haben noch nie einen Fuß in eine Leichenhalle gesetzt. Sie haben keiner Autopsie beigewohnt und vermeiden es sogar, sich die einschlägigen Fotos anzusehen. Die Persönlichkeit des Mörders interessiert sie viel mehr als das, was er seinen Opfern zugefügt hat, denn der Täter ist der Patient, während der Tote nichts weiter ist als das Medium, durch das er seine Gewaltfantasien ausgedrückt hat. Zumindest lautet so die Ausrede der meisten forensischen Psychologen und Psychiater. Wahrscheinlicher jedoch ist, dass ihnen der Mut und die Bereitschaft fehlen, sich auf die Opfer einzulassen oder - noch schlimmer - Zeit mit ihren verstümmelten Leichen zu verbringen.
Benton ist anders. Nach mehr als einem Jahrzehnt mit Scarpetta gibt es für ihn keine Möglichkeit, nicht anders zu sein.
Sie haben kein Recht, an einem Fall zu arbeiten, ohne sich anzuhören, was die Toten Ihnen zu sagen haben, hat sie vor über fünfzehn Jahren verkündet, als sie gemeinsam ihren ersten Mord aufklärten. Wenn Ihnen das zu lästig ist, habe ich offen gestanden auch keine Lust, mich mit Ihnen abzugeben, Special Agent Wesley.
Da mögen Sie recht haben, Dr. Scarpetta. Dann machen Sie mich mit den Opfern bekannt.
Also gut, erwiderte sie. Kommen Sie mit.
Noch nie zuvor hatte Benton den Kühlraum einer Leichenhalle betreten, und er hört bis heute das laute Klappern, wenn der Griff des Kühlfachs zurückgezogen wird, und das Zischen der kalten, übel riechenden Luft. Diesen Geruch, den muffigen, fauligen und abgestandenen Gestank des Todes, der schwer in der Luft liegt, würde er überall wiedererkennen. Benton stellt ihn sich vor wie eine Art schmutzige Nebelschwade, die sich, ausgehend von dem toten Körper, langsam in Bodenhöhe ausbreitet.
Benton lässt das Gespräch mit Basil noch einmal Revue passieren und analysiert jedes Wort, jede Zuckung und jedes Mienenspiel. Gewaltverbrecher sind sehr großzügig mit ihren Versprechungen. Um ihren Willen durchzusetzen, zögern sie nicht, ihre Mitmenschen zu belügen, dass sich die Balken biegen. Zum Beispiel behaupten sie, das Versteck einer Leiche zu kennen, geben unaufgeklärte Verbrechen zu, schildern die Tat in allen Einzelheiten und erläutern ausführlich ihre Motive und ihren Seelenzustand. Meistens sind es nichts weiter als Märchen. Aber in diesem Fall ist Bentons Argwohn geweckt, denn zumindest ein Teil von Basils Geständnis erscheint ihm echt.
Als er versucht, Scarpetta auf dem Mobiltelefon zu erreichen, meldet sie sich nicht. Ein paar Minuten später versucht er es erneut, wieder vergeblich.
Er hinterlässt ihr eine Nachricht: »Bitte ruf mich sofort zurück.«
Die Tür öffnet sich, und mit dem Schnee wird eine Frau hereingeweht wie von einem Windstoß.
Sie trägt einen langen schwarzen Mantel, den sie abklopft, wobei sie gleichzeitig die Kapuze zurückschiebt. Ihre helle Haut ist von der Kälte gerötet, ihre Augen strahlen. Sie ist hübsch, sogar außergewöhnlich hübsch, und hat dunkelblondes Haar, dunkle Augen und eine Figur, die sie nicht versteckt. Lucy beobachtet, wie sie mit gleitenden Schritten in den hinteren Teil des Restaurants verschwindet. In ihrem langen schwarzen Mantel, der ihre schwarzen Stiefel umflattert, erinnert sie an eine Pilgerin mit erotischer Ausstrahlung oder an eine sinnliche Hexe. Sie steuert schnurstracks auf den Tresen zu, wo mehr als genug Barhocker frei sind. Doch sie entscheidet sich für den direkt neben Lucy, faltet ihren Mantel zusammen und setzt sich darauf, ohne ihre Sitznachbarin eines Wortes oder eines Blicks zu würdigen.
Lucy trinkt einen Schluck Tequila und starrt, scheinbar brennend interessiert an der neuesten Prominentenromanze, auf den Fernseher über der Theke. Buddy mixt der Frau einen Drink, ohne sie fragen zu müssen, was sie trinken will.
»Ich möchte auch noch einen«, sagt Lucy sofort.
»Wird gemacht.«
Die Frau mit dem schwarzen Kapuzenmantel mustert fasziniert die bunte Tequilaflasche, die Buddy aus dem Regal holt. Aufmerksam sieht sie zu, wie die bernsteinfarbene Flüssigkeit in einem zarten Strahl in den Cognacschwenker rinnt. Als Lucy den Tequila im Glas kreisen lässt, dringt ihr der Geruch in die Nase bis hinauf ins Gehirn.
»Von dem Zeug kriegst du Kopfschmerzen, die sich gewaschen haben«, warnt die Frau mit dem schwarzen Kapuzenmantel. Ihre Stimme klingt rau, verführerisch und geheimnisvoll.
»Tequila ist viel reiner als der meiste Alkohol«, erwidert Lucy. »Diesen Ausdruck habe ich übrigens schon lange nicht mehr gehört. Die meisten Leute sagen einfach nur ›höllisch‹.«
»Die scheußlichsten Kopfschmerzen hatte ich mal von Margaritas «, fährt die Frau fort und nippt an dem rosafarbenen, giftig aussehenden Cosmopolitan in ihrem Champagnerglas. »Außerdem glaube ich nicht an die Hölle.«
»Das wirst du schon noch, wenn du weiter dieses Gesöff in dich reinschüttest«, entgegnet Lucy und beobachtet im Spiegel hinter dem Tresen, wie sich wieder die Tür öffnet und noch mehr Schnee ins Lokal gepustet wird.
Der Luftzug, der durch den Windfang hereinfegt, klingt wie raschelnde Seide und erinnert Lucy an Seidenstrümpfe, die im Sturm an einer Wäscheleine hin und her gepeitscht werden, obwohl sie noch nie Strümpfe an einer Leine gesehen oder gehört hat, welches Geräusch sie machen. Sie bemerkt, dass die Frau schwarze Strümpfe trägt, denn hohe Barhocker und kurze geschlitzte Röcke sind eine verhängnisvolle Kombination - außer die Trägerin befindet sich in einem Lokal, in dem die Männer ausschließlich aneinander interessiert sind, was im Schwulenmekka Provincetown für gewöhnlich der Fall ist.
»Noch einen Cosmo, Stevie?«, fragt Buddy. Nun kennt Lucy ihren Namen.
»Nein«, antwortet sie an ihrer statt. »Stevie soll mal probieren, was ich trinke.«
»Ich bin für alles Neue offen«, sagt Stevie. »Ich glaube, ich habe dich im Pied und im Vixen gesehen. Du hast mit verschiedenen Leuten getanzt.«
»Ich tanze nicht.«
»Aber ich habe dich gesehen. Jemand wie du fällt auf.«
»Bist du oft hier?«, erkundigt sich Lucy, die Stevie noch nie über den Weg gelaufen ist. Weder im Pied noch im Vixen oder in einem der anderen Clubs und Restaurants in Provincetown.
Stevie sieht zu, wie Buddy Tequila nachschenkt. Er lässt die Flasche auf der Theke stehen und wendet sich einem anderen Gast zu.
»Ich bin zum ersten Mal hier«, sagt Stevie zu Lucy. »Ein Geschenk zum Valentinstag an mich selbst: eine Woche in Provincetown.«
»Mitten im Winter?«
»Soweit ich weiß, fällt der Valentinstag immer in den Winter. Er ist mein Lieblingsfeiertag.«
»Er ist kein Feiertag. Außerdem war ich in dieser Woche jeden Abend hier, und ich habe dich noch nie gesehen.«
»Wer bist du? Die Kneipenpolizei?« Stevie schmunzelt und sieht Lucy so eindringlich in die Augen, dass der Blick seine Wirkung nicht verfehlt.
Lucy spürt etwas. Nein, denkt sie. Nicht schon wieder.
»Vielleicht bin ich im Gegensatz zu dir nicht jeden Abend hier«, meint Stevie, und als sie nach der Tequilaflasche greift, berührt sie Lucys Arm.
Das Gefühl wird stärker. Stevie mustert das bunte Etikett und stellt die Flasche dann zurück auf den Tresen. Dabei lässt sie sich Zeit und streift Lucy mit dem ganzen Körper. Das Gefühl steigert sich.
»Cuervo? Was ist denn so Besonderes an Cuervo?«, fragt Stevie.
»Woher weißt du, was ich mache?«, sagt Lucy.
Sie versucht, das Gefühl zu vertreiben.
»Nur so eine Vermutung. Du siehst aus wie jemand, der viel nachts unterwegs ist«, antwortet Stevie. »Rot ist deine echte Haarfarbe, oder? Mahagoni, gemischt mit Dunkelrot. Gefärbtes Haar ist anders. Und du trägst es erst seit kurzer Zeit so lang.«
»Bist du Hellseherin?«
Das Gefühl ist inzwischen unerträglich. Und es will sich einfach nicht legen.
»Nur so eine Vermutung«, antwortet Stevies verführerische Stimme. »Und du hast es mir noch immer nicht verraten: Was ist so Besonderes an Cuervo?«
»Cuervo Reserva de la Familia. Das ist schon was Besonderes. «
»Tja, stimmt wohl. Offenbar ist heute seit Langem wieder mal mein Abend«, sagt Stevie, berührt Lucy am Arm und lässt kurz ihre Hand liegen. »Zum ersten Mal in Provincetown.
Und zum ersten Mal ein Tequila aus einhundert Prozent Agave für dreißig Dollar das Glas.«
Lucy ist verwundert, woher Stevie weiß, dass das Glas dreißig Dollar kostet. Für jemanden, der sich nicht mit Tequila auskennt, scheint sie ziemlich gut informiert zu sein.
»Ich glaube, ich trinke noch einen«, ruft Stevie Buddy zu. »Und du könntest wirklich ein bisschen großzügiger einschenken. Sei nett zu mir.«
Lächelnd folgt Buddy der Aufforderung. Zwei Gläser später lehnt Stevie sich an Lucy und flüstert ihr ins Ohr: »Hast du was da?«
»Was denn?«, erwidert Lucy. Und dann gibt sie sich dem Gefühl hin.
Einem Gefühl, beflügelt von Tequila und ihrer Absicht, die Nacht hier zu verbringen.
»Du weißt schon, was«, erwidert Stevies Stimme leise. Ihr Atem streift Lucys Ohr, und ihre Brust presst sich an ihren Arm. »Was zu rauchen. Etwas, damit es sich lohnt.«
»Was bringt dich auf den Gedanken, dass ich was haben könnte?«
»Nur so eine Vermutung.«
»Du vermutest aber ziemlich viel.«
»Hier kriegt man überall was. Ich habe dich gesehen.«
Lucy hat gestern Abend etwas gekauft. Sie weiß genau, wo, und zwar im Vixen, wo sie nicht getanzt hat. Sie kann sich nicht erinnern, Stevie dort wahrgenommen zu haben. Um diese Jahreszeit ist der Laden nie sehr voll, und Stevie wäre ihr sicher aufgefallen. Sie hätte sie auch in einer Menschenmenge, auf einer belebten Straße oder sonst irgendwo bemerkt.
»Offenbar bist du die Kneipenpolizei«, sagt Lucy.
»Du ahnst ja gar nicht, wie komisch das ist«, erwidert Stevies verführerische Stimme. »Wo wohnst du denn?«
»Nicht weit von hier.«
6
Die Gerichtsmedizin liegt wie in den meisten Städten am Rand eines besseren Viertels und ist für gewöhnlich angegliedert an eine medizinische Fakultät. Die Rückseite des Gebäudekomplexes aus rotem Backstein und Beton geht auf den Massachusetts Turnpike hinaus. Auf der anderen Seite befindet sich das Gefängnis von Suffolk County. Keine schöne Aussicht also, und der Verkehrslärm verebbt nie.
Benton stellt seinen Wagen an der Hintertür ab und bemerkt, dass sich nur zwei weitere Fahrzeuge auf dem Parkplatz befinden. Der dunkelblaue Crown Victoria gehört Detective Thrush, der Honda SUV vermutlich einem unterbezahlten Gerichtsmediziner, der sicher nicht erfreut war, als Thrush von ihm verlangt hat, um diese Uhrzeit im Institut zu erscheinen. Während Benton an der Tür läutet, beobachtet er den verlassenen Parkplatz, denn er geht immer davon aus, dass er nicht allein ist und von irgendwoher Gefahr droht. Dann öffnet sich die Tür, und Thrush bittet ihn herein.
»Mein Gott, wie ich diese Bude nachts hasse«, sagt er.
»Tagsüber ist es hier auch nicht schöner«, gibt Benton zurück.
»Gut, dass Sie gekommen sind. Wie können Sie bei diesem Wetter bloß in so was herumkurven?«, fragt Thrush mit einem Blick auf den schwarzen Porsche, bevor er die Tür schließt. »Sie müssen verrückt sein.«
»Allradantrieb. Als ich heute Morgen zur Arbeit fuhr, hat es noch nicht geschneit.«
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Autoren-Porträt von Patricia Cornwell
Patricia Cornwell, 1956 in Miami, Florida, geboren, arbeitete als Polizeireporterin und in der Rechtsmedizin, bevor sie mit ihren bahnbrechenden Thrillern um die Gerichtsmedizinerin Dr. Kay Scarpetta begann. Neben ihrer Tätigkeit als Schriftstellerin war sie Leiterin der Abteilung für Angewandte Forensik an der National Forensic Academy der University of Tennessee. Patricia Cornwells Bücher wurden mit allen renommierten Preisen ausgezeichnet und erobern regelmäßig die internationalen Bestsellerlisten. Zuletzt erschienen die Kay-Scarpetta-Romane "Bastard" und "Blut". "Knochenbett" ist der zwanzigste Scarpetta-Roman.
Bibliographische Angaben
- Autor: Patricia Cornwell
- 2014, 480 Seiten, Maße: 12,5 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Dufner, Karin
- Übersetzer: Karin Dufner
- Verlag: Goldmann
- ISBN-10: 3442477425
- ISBN-13: 9783442477425
- Erscheinungsdatum: 17.03.2014
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