Dem eigenen Leben auf der Spur
Nach einem Unfall ist Felix Bernhard querschnittsgelähmt. Für ihn kein Grund aufzugeben. Mit einer Pilgerreise auf dem Jakobsweg stellt er sich der größten Herausforderung seines Lebens. Auf eindrückliche Weise schildert der Autor den Kampf mit sich selbst.
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Nach einem Unfall ist Felix Bernhard querschnittsgelähmt. Für ihn kein Grund aufzugeben. Mit einer Pilgerreise auf dem Jakobsweg stellt er sich der größten Herausforderung seines Lebens. Auf eindrückliche Weise schildert der Autor den Kampf mit sich selbst.
Dem eigenen Leben auf der Spur von Felix Bernhard
LESEPROBE
1 VIA DE LA PLATA
Als ich in Barcelona lande, ist eswarm. Eine blendende Sonne empfängt mich, die die letzten Gedanken an dieFrankfurter Pfützen, die ich gerade noch umkurven musste, vertreibt. Ich werdein einem schmalen Bord-Rollstuhl als Letzter aus dem Flugzeug hinausgetragen,wir waren insgesamt vier Rollstuhlfahrer an Bord.
Mein Anschlussflug nach Sevilla, anden eigentlichen Ausgangspunkt für meine Reise, geht erst morgen früh.
Da ich in Barcelona noch keineÜbernachtungsmöglichkeit habe, spreche ich den jungen Leiter einer Reisegruppean, die mit mir zusammen aus Frankfurt hierher geflogen ist. Holger arbeitetals Sozialpädagoge bei der Lebenshilfe Würzburg, er hat für die zehn Männer undFrauen mit geistiger und körperlicher Behinderung, die er begleitet, einenPlatz in der barrierefreien Jugendherberge im Zentrum der Stadt reserviert.
Barrierefrei - eine derWortschöpfungen, über die ich immer wieder und immer noch »stolpere«. Diemeisten Menschen ahnen gar nicht, wie sehr sich die Wege, die man in einerStadt nimmt, ändern, wenn man plötzlich nicht mehr laufen kann. Jede höhereBordsteinkante bedeutet einen Umweg, jede Stufe vor einem Gebäude heißt, Steinchenans Fenster werfen zu müssen oder per Handy um Hilfe zu bitten.
Der Gang durch die Stadt wird zueiner Fährtensuche ganz eigener Art: Wie lassen sich Straßenwechsel, Übergänge,Gebäudezutritte und so weiter am besten miteinander verbinden - ohne dabei auf Hindernissezu stoßen, die für alle anderen keine sind und nicht einmal als solchewahrgenommen werden?
Gern schließe ich mich für eineNacht einer neuen Gruppe an. Zugleich muss ich über die Situation herzlichlachen, schließlich liegt genau das Gegenteil von einer betreuten Pauschalreisevor mir. Jessica, eine weitere Betreuerin, findet es cool, dass ich in dennächsten Wochen jeden Abend in einem anderen Bett schlafen werde. Sie fragt nur,ob mich die Einsamkeit, die mich erwartet, nicht schreckt. Aber das ist meinegeringste Sorge. Gerade sie suche ich ja.
Vor mir liegen sechs WochenJahresurlaub am Stück und 1200 Kilometer Jakobsweg. Ich werde auf der Via dela Plata von Sevilla nach Santiago de Compostelawandern, quer durch Spanien, einmal von Süden nach Norden. Ab morgen bin ichPilger. Erst vor wenigen Stunden habe ich mich von meinen Frankfurter Kollegenverabschiedet.
»Heute machst du wirklich einenhalben Tag frei«, hatte einer meiner Kollegen gewitzelt, als ich am Mittag dasBüro verließ. Dieser Spruch war ein Ritual in unserer Abteilung gewesen, wenneiner vor 20 Uhr nach Hause ging, was selten genug der Fall war.
Der Kollege sah müde aus, nachdem erüber ein halbes Jahr eine Milliarden Euro schwere Akquisition einer großentürkischen Bank begleitet hatte, die schließlich im allerletzten Moment vomVorstand doch abgelehnt worden war. Ich war dankbar, nicht bei diesem Mammutprojektdabei gewesen zu sein, so hatte ich mir viele Nachtschichten und eine großeEnttäuschung erspart. Stattdessen hatte ich während dieser Zeit im aufregendenMoskau den Kauf einer russischen Geschäftsbank geprüft.
Nach der Pilgerreise und meinerRückkehr nach Frankfurt werde ich nicht mehr an meinen alten Arbeitsplatzzurückkehren. Ich werde dann für eine Tochtergesellschaft des Bankhauses, beidem ich angestellt bin, arbeiten. Meine Jahre in der Abteilung fürKonzernentwicklung, dem Allerheiligsten dieser Bank, sind vorüber.
Das alles lag hinter mir, als ichbei strömendem Regen nur mit dem nötigsten Gepäck zur Frankfurter S-Bahn eilte,um den Flug nach Barcelona noch zu erreichen.
Die junge Lufthansa-Mitarbeiterin amCheck-in für »Reisende mit Mobilitätseinschränkungen« war mir inzwischen gutbekannt. Schon beim letzten Flug nach Moskau waren mir ihre schrillen,künstlichen Fingernägel aufgefallen. Zugegeben, nicht nur die - sie hatte mir schondamals ausgesprochen gut gefallen, und ich musste noch eine ganze Weile an siedenken, Moskau hin oder her. Wir flirteten, leider nur kurz, denn es parktennoch andere Passagiere hinter mir, aber ich nahm mir fest vor, sie nach meinerRückkehr aus Spanien zu einem Drink einzuladen.
Reise ins Offene
Ich bin aufgebrochen, um zu spüren,dass ich auf eigenen Füßen stehen kann, auch wenn das nur im übertragenen undnicht mehr im physischen Sinne geht. Natürlich hat sich das Leben für mich seitmeinem Unfall von Grund auf verändert, aber nicht unbedingt nur zu meinemNachteil.
Zu dieser Erkenntnis war esallerdings ein weiter Weg, inzwischen feiere ich aber sogar immer zweiGeburtstage, einen im Sommer und einen im Winter. Im Winter wurde ichtatsächlich geboren, und im Sommer geschah das Ereignis, das mein Leben soumgekrempelt hat.
Ich plane diesen Tag nichtbesonders, es rutscht mir im Gespräch manchmal heraus: »Übrigens, heute istmein 13. Geburtstag.« Als Reaktion ernte ich dannentweder einen ungläubigen Blick, oder mein Gesprächspartner - was sehr häufigpassiert - will einfach nur flüchten.
Inzwischen weißich, dass meine Art, mit Behinderung umzugehen, nicht in das übliche Schemapasst und mein diesbezüglicher schwarzer Humor eher als destruktivmissverstanden wird. Dabei ist es ziemlich einfach: Ich will mir nur die Freudeam Leben erhalten. Schließlich hatte ich die nicht immer, ich musste mir daspositive Denken in jahrelangem Training mühsam erst wieder aneignen.
Doch es gibt noch einen anderenAspekt meiner Reise. Es ist so etwas wie die Begleitmelodie meines Lebens seitdiesem zweiten Geburtstag: mein Ringen mit mir selbst. Natürlich kämpfe ichlängst nicht mehr blindwütig oder mit Zynismus gegen meine Situation an, ichhabe gelernt, den Rollstuhl anzunehmen als Teil von mir für vielleicht denRest meines Lebens. Aber wie kann ich trotzdem noch weiterkommen, wie kann icheine noch größere Übereinstimmung mit mir selber finden?
Ein Pilgerweg steht für Läuterung,und ein bisschen davon verspreche ich mir von der vor mir liegenden Streckeund Zeit. Ich weiß nicht, wohin mich die Reise führen wird, vielleicht bin ichdeshalb so wild entschlossen, alles, was mir begegnen wird, mit allen Poren aufzusaugenund in einem übertragenen Sinn auf mich zu nehmen. Mit Humor, aber auch mitWut. Mit Stärke, aber auch mit Verzweiflung, möglicherweise. Vielleicht kannich dabei gelassener werden, das würde ich mir wünschen. Davon habe ichnatürlich niemandem erzählt.
An meinem ersten Morgen in Spanienwerde ich gleich wieder nass. Die Wolkenfront hat zwölf Stunden länger als ichnach Barcelona gebraucht, aber ich bin entschlossen, optimistisch zu bleiben:Diesmal wird es mir gelingen, das schlechte Wetter zurückzulassen, und das gleichfür viele Wochen.
Als Erstes muss ich nach dem kurzenFlug nach Sevilla zu meinem Startpunkt am Rand der Stadt kommen. Es kommt mirgar nicht in den Sinn, ein Taxi zu nehmen. Zum Pilgern gehört Einfachheit und ichfinde, diese fängt bei der Wahl des Verkehrsmittels an.
Der Busfahrer und ein weitererFahrgast ziehen mich die Stufen des engen Einstiegs hoch. Ich setze mich aufdie Sitzbank, mein Rollstuhl blockiert die Hintertür und den Durchgang zu denhinteren Sitzreihen. Vor mir sitzt eine ältere Dame. Jeder neue Fahrgast schlängeltsich an uns vorbei und lächelt der Dame dabei verständnisvoll zu.
In Guillena,einem kleinen Örtchen direkt am Anfang der Via de la Plata, steige ich aus. DieSonne steht fast noch im Zenit, es weht ein heißer Wind. Hier will ich meinePilgerwanderung beginnen.
Historisch gesehen ist die Via de laPlata ein bedeutsamer Weg zwischen der andalusischen Hauptstadt Sevilla unddem nordspanischen Astorga. Sie zieht sich über mehrals 700 Kilometer in Nord-Süd-Richtung durch die ehemalige römische Provinz Lusitania. Wörtlich übersetzt bedeutet der Name»Silberstraße«. Diese Namensgebung ist jedoch nicht römisch. Die Phönizier imersten vorchristlichen Jahrtausend sollen den Handelsweg für den Transport vonGold und Zinn verwendet haben, aber eben nicht von Silber. Man vermutet, dassder Weg in vorrömischer Zeit von Schäfern und Jägern benutzt wurde, um denSommer in der kühleren kastilischen Hochebene und denWinter in der Extremadura zu verbringen.
Der Name »Via de la Plata« entstandaus der maurischen Bezeichnung »Bal latta«, wasnichts anderes heißt als breiter gepflasterter Weg.
Nach der Eroberung der IberischenHalbinsel durch die Römer im 2. Jahrhundert pflasterten sie den gesamten Wegund verbreiterten ihn. Städte wie Hispalis (Sevilla),Emerita Augusta (Merida), Helmantica(Salamanca) oder Caparra wurden gegründet. Dankdieser modernen Infrastruktur konnten die Soldaten schnell vorwärts kommen undgingen aus den Kriegen mit den Asturiern und Kantabriern siegreich hervor. Entlang des Wegs florierteder Handel, die Via de la Plata war mitentscheidend für eine umfassendeRomanisierung des heutigen Spanien und Portugal.
Im Jahr 711 unterwarfen dieafrikanischen Mauren die Iberische Halbinsel und nutzten den breitenTransportweg. Im Laufe der Zeit wurde aus Bal lattaPlata, mit dem vorangestellten Via wird auf den römischen Ursprung hingewiesen.
Die Via de la Plata blieb über dieJahrhunderte eine wichtige Nord-Süd-Verbindung, bis unter König Philipp V. einezentralistische Ausrichtung des vorhandenen Straßennetzes umgesetzt wurde. DieBedeutung der Römerstraße nahm für viele Jahrhunderte ab. Für uns erweist sichdiese Bedeutungslosigkeit als Vorteil: vieles blieb unverändert erhalten.
Heute folgtdie Nationalstraße N-630 und die in direkter Nähe neu gebaute Autobahn demgleichen Streckenverlauf. Doch die Jakobusvereine haben dafür gesorgt, dassder Pilger den großen Straßen möglichst fern bleiben kann.
Den ersten gelben Pfeil finde ich aneiner Hauswand. Wochen später werde ich Don Blas treffen, den Mann, der diesecharakteristischen Markierungen entlang des Jakobswegs gemalt hat. Als ob manals Pilger nicht schon genug zu tragen hätte, nahm er auch noch Farbeimer undPinsel mit. Aber er ist nicht nur deshalb ein großer Mann.
Ich bin auf dem richtigen Weg, undmehr noch: Ich bin auf dem Weg! Das Gefühl versetzt mich in Hochstimmung. Fürdiesen Moment habe ich mich in den zurückliegenden sechs Monaten fast jedesWochenende im Hochtaunus, im Spessart oder imOdenwald die Berge hinaufgequält, ich wollte alles dafür tun, um hier topfit zusein.
Auf einem ansteigenden, sandigenFeldweg versinken die Räder schon nach kurzer Zeit tief. Ich überlege, ob ichdas Kilo Äpfel, das ich mir in Sevilla gekauft habe, wegwerfen soll. Ich könntedie Anstiege dann viel leichter bewältigen, wie ein Heißluftballon, derBallast abwirft. Andererseits würde mich wahrscheinlich schon bald der Hungerbremsen.
Nach einer Stunde spüre ich, wiesich die erste Blase an der rechten Hand bildet. Dabei habe ich mir dieLederhandschuhe extra in einem Army-Shop besorgt; bleibt nur die Hoffnung, dassdie US-Army sonst über eine bessere Ausrüstungverfügt und in ihren Shops lediglich der Ausschuss verhökert wird.
Zwei Radfahrer überholen mich. Ritaund Heinz stammen - wie sollte es auch anders sein - ebenfalls aus Deutschlandund wollen die Via de la Plata in zwei Wochen mit ihren Tourenrädernabsolvieren. Rita hat die letzten Kilometer die parallelen Reifenspuren gesehenund sich gewundert, welche Radfahrer so gleichmäßig nebeneinander herfahrenkönnen.
Die beiden bieten mir ihre Hilfe an,aber wenn mein Wanderführer nicht ganz falsch liegt, habe ich die Anhöhe fasterreicht. Langsam, aber stetig komme ich voran. Wir verabschieden uns bis zu unseremgemeinsamen Etappenziel, der Herberge in Castilblancode los Arroyos.
Schon die nächste Senke verschlucktdie beiden, endlose Stille umhüllt mich. Ich höre das gleichmäßige Rauschendes Windes, der über den sandigen Boden fegt und immer etwas Staub mit sichträgt. Vereinzelt zirpen Grillen. Von dem monotonen Knirschen der Räder aufgeschreckt,fliegt ein kräftiger Vogel auf. Sein harter Flügelschlag klingt wie derAbschlag eines Fußballtorwarts. Er schwingt sich empor und verschwindetschnell in der Ferne.
Ich fühle mich glücklich und frei,wie ein Kind, das nach einer Zeit langer Eingeschlossenheit endlich wiederdraußen spielen kann und die frische Luft in der Lungeganz neu schmeckt. Ich atme tief ein und aus und horche intensiv in die Naturhinein. Es gibt nichts, das mich ablenkt.
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© Scherz Verlag
Interview mit Felix Bernhard
Warum der Jakobsweg, warum Santiago de Compostela? Wasmacht für Sie persönlich das Besondere dieses Ziels aus?
Der Jakobsweg hat mich genauso gefunden, wie ich ihn. Nochvor vier Jahren wusste ich weder etwas über die Historie der Pilgerspur nochüber den Pilgergedanken. Da ich aber ein sehr neugieriger Mensch bin, wollteich es ausprobieren, obwohl ich nicht wirklich davon ausging, jemals inSantiago de Compostela anzukommen: Die 800 Kilometer allein im Rollstuhl hattevor mir ja noch niemand bewältigt, insofern betrat ich Neuland...
Eine Pilgerwanderung unterscheidet sich zudem von einerklassischen Wanderung durch eine andere geistige Haltung. So ist der spirituellmotivierte Pilger auf der Suche nach tieferen Antworten auf brennende Fragen,die er mit vielen gleichgesinnten Gesprächspartnern reflektieren kann.
Was Sie von den meisten anderen Pilgern unterscheidet, ist,dass Sie inzwischen alle drei Routen, also insgesamt 2.450 Kilometer,zurückgelegt haben - und dies auch noch im Rollstuhl. Man fragt sich sofort,wie das möglich ist - schließlich sprechen wir hier in den seltensten Fällenvon asphaltierten Straßen!
In Situation in denen man besonders gefordert ist, spürtman oft die Kraft über sich hinauszuwachsen. Manchmal fragt man sich dannspäter, wie das überhaupt möglich war, eine solche Leistung unter diesenwidrigen Umständen zu erbringen. Ich lerne rückblickend, dass ich mich einfachnur mit einem Traum auf den Weg gemacht habe: Gott zu spüren, Natur zu erlebenund tiefe Themen in aller Ruhe von allen Blickwinkeln ohne Ablenkung zureflektieren. Manchmal, und da vergleiche ich den Jakobsweg mit dem Leben, gehtes nicht weiter. Aber dann kommt Hilfe zum perfekten Zeitpunkt in der richtigenDosierung. Wenn Wege überhaupt nicht passierbar waren, musste ich halt aufasphaltierte Wegstrecken ausweichen. Mein Wanderführer warnte mich - da ernicht für Rollstuhlfahrer geschrieben war - natürlich nur verklausuliert, z. B.mit "anstrengendes steiniges Stück", was einen Umweg von mehreren Kilometernbedeuten konnte.
Ihren Antrieb beschreiben Sie als ungestillten Hunger. Istdas ein diffuses Gefühl, oder können Sie diese Sehnsucht genauer beschreiben?
Pink Floyd hat eine bekannte Liedzeile geschrieben: "Thereis a hunger still unsatisfied". Das ist diese Lust am Leben, nachuneingeschränktem Er-leben, manchmal ähnlich einer römischen Kerze, die anbeiden Enden lodernd brennt.
In letzter Instanz kann diese Sehnsucht nur Gott füllen,aber es ist die Sehnsucht, dem Göttlichen so nahe wie möglich zu sein, die michauf den Jakobs-(Lebens)weg immer wieder treibt und mir Kraft gibt. Gott ist indieser Stille und Weite mystisch erfahrbar, und die meisten Pilger berichten amEnde ihrer Reise von einer transzendenten Erfahrung.
Der Weg sei nicht das Ziel, schreiben Sie. Wie würden Siefür "Ihren" Jakobsweg das Verhältnis von Weg und Ziel beschreiben?
Wenn ich mich ohne Ziel auf den Weg mache, erlebe ich sicherviele spannende Dinge, von denen die meisten aber überhaupt nicht gesteuertsind. Ich bin dann eher wie ein Spielball, der reagiert, sich treiben lässt undnicht selbst die Fäden in der Hand hält.
Auf dem Jakobsweg steckt sich jeder ein weit entferntes Ziel,von dem keiner wissen kann, ob er oder sie es überhaupt erreichen wird. Es istjedoch denkbar einfach, da man jeden Tag dem Ziel ein Stückchen näher kommt,dabei verliert das Gestern an Relevanz, da es ja nur der notwendige Schritt zumHeute war und das Morgen ist noch nicht eingetreten.
In Ihrem Buch finden sich auch immer wieder Rückblickeauf die Zeit, die Sie im Krankenhaus und in der Rehabilitation verbracht haben.Sie beschreiben hier ungeschönt, wie Sie mit dem Pflegealltag konfrontiertwurden, nachdem Ihr Leben durch einen Motorradunfall auf den Kopf gestelltworden war. Was war für Sie schwieriger: die körperliche oder die mentaleAnpassung an die neue Situation?
Von einem Tag auf den anderen nicht mehr laufen zu könnenbedeutet eine radikale Umstellung sämtlicher Lebensgewohnheiten und -abläufe.Hier lag am Anfang der Fokus natürlich auf der körperlichen Fitness, aber ohneKopf geht dabei gar nichts. Denn oftmals passieren Dinge im Außen, die eineninneren, mentalen Ursprung haben. Insofern war der mentale Umgang mit derSituation deutlich intensiver, denn der Geist oder Verstand ist ja die meisteZeit sehr aktiv und nicht einfach abschaltbar.
Sie arbeiten als Banker in Frankfurt, in einer ganz anderenWelt als der, die Sie auf Ihren Pilgerreisen erleben. Wie würden Sie diesenKontrast beschreiben? "Brauchen" Sie beide Welten?
Der bequeme Bankalltag (abgesehen von den langenArbeitszeiten) verleitet manchmal zu einer verdrängenden Haltung, und diesesMuster beschreibe ich im Buch im Kontext mit meinem Elternhaus. So wirken Dingeim Berufsalltag seit Kindesbeinen an vertraut, auch wenn sie nicht immergewünscht sind. Aber wie auf dem Jakobsweg gibt es im Berufsleben Regen- undSonnentage. Ich bin mir jedoch sicher, dass ich eine berufliche Tätigkeitfinden werde, in der der Kontrast weniger ausgeprägt sein wird und ich die langeintensive Berufsausbildung mit der Pilgererfahrung noch mehr in Einklangbringen kann.
Wie geht es weiter? Welche Pläne haben Sie für die nähereZukunft?
Das schließt nahtlos an die vorige Frage an: Auf deninsgesamt 81 Tagen Wanderung habe ich sehr viel über mich und meine Stärken undSchwächen lernen dürfen und mir natürlich auch neue Ziele gesteckt: Vielleichteine Pilgerwanderung von Frankfurt nach Jerusalem? Ich möchte jedoch auchStärken, wie z. B. meine große Begeisterungsfähigkeit, in meinem beruflichenUmfeld einsetzen können und sie nicht immer verstecken müssen. Wie auf dem Caminode Santiago weiß ich nicht, was der morgige Tag bringen wird, aber ich habeein Ziel und das macht es leichter, egal wie viele platte Reifen ich auf demWeg dahin flicken muss - auf dem Jakobsweg waren es insgesamt über ein Dutzend.Die Fragen stellte Henrik Flor, Literaturtest
- Autor: Felix Bernhard
- 2007, 1, 219 Seiten, 50 Schwarz-Weiß-Abbildungen, mit zahlreichen Abbildungen, Maße: 14 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: FISCHER Scherz
- ISBN-10: 3502150931
- ISBN-13: 9783502150930
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