Denn erstens kommt es anders ...
Geschichten aus meinem Leben
Der sympathische Schauspieler und TV-Moderator Joachim Fuchsberger erzählt aus seinem bewegten Leben: vom Bergmann zum Werbeleiter, vom Rundfunksprecher zum ersten deutschen UNICEF-Botschafter ... Lebenskluge Erinnerungen und zugleich Appell an junge Menschen: Engagieren und niemals aufgeben!
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Denn erstens kommt es anders ... “
Der sympathische Schauspieler und TV-Moderator Joachim Fuchsberger erzählt aus seinem bewegten Leben: vom Bergmann zum Werbeleiter, vom Rundfunksprecher zum ersten deutschen UNICEF-Botschafter ... Lebenskluge Erinnerungen und zugleich Appell an junge Menschen: Engagieren und niemals aufgeben!
Klappentext zu „Denn erstens kommt es anders ... “
Joachim Fuchsberger ist einer der beliebtesten deutschen Schauspieler und Moderatoren. Die Stationen seiner Karriere sind beeindruckend, ebenso der Elan, mit dem er die Kehrtwendungen angenommen hat: Bergmann, Werbeleiter, Sprecher beim Bayerischen Rundfunk, Textdichter, bald darauf Schauspieler, Showmaster, Chefsprecher bei den Olympischen Spielen in München, Moderator, erster deutscher UNICEF-Botschafter. Warmherzig und lebensklug erzählt Joachim Fuchsberger aus seinem
Leben und plädiert an junge Menschen, sich zu engagieren und nicht aufzugeben, wenn das Leben einmal die Richtung ändert.
Joachim Fuchsberger ist einer der beliebtesten deutschen Schauspieler und Moderatoren. Die Stationen seiner Karriere sind beeindruckend, ebenso der Elan, mit dem er die Kehrtwendungen angenommen hat: Bergmann, Werbeleiter, Sprecher beim Bayerischen Rundfunk, Textdichter, bald darauf Schauspieler, Showmaster, Chefsprecher bei den Olympischen Spielen in München, Moderator, erster deutscher UNICEF-Botschafter. Warmherzig und lebensklug erzählt Joachim Fuchsberger aus seinem Leben und plädiert an junge Menschen, sich zu engagieren und nicht aufzugeben, wenn das Leben einmal die Richtung ändert.
"Ein Schelmenroman!" Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
"Ein Schelmenroman!" Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
Lese-Probe zu „Denn erstens kommt es anders ... “
Denn erstens kommt es anders… von Joachim Fuchsberger Vorwort»Was soll das werden?« Diese Frage höre ich, seit ich mich dazu überreden ließ, nun endlich auch meine Erinnerungen zu schreiben, mich einzureihen in die Riege derer, die ihren Mitmenschen erzählen wollen, wie interessant ihr Leben war, ob die Mitmenschen das lesen wollen oder nicht.
Memoiren? Sind gern geschwätzig und oft nur für den interessant, der seine Erinnerungen für erzählenswert hält.
Sir Peter Ustinov sagte kurz vor seinem großen Abschied: »Wir alten Männer sind gefährlich, wir haben keine Angst mehr vor der Zukunft. Wir können sagen, was wir wollen, wer will uns dafür bestrafen?«
Alt genug bin ich ja wohl. Also sage ich, was ich will, und erzähle Geschichten aus meinem Leben, so wie sie in meiner Erinnerung geblieben sind.
Ich widme dieses Buch meiner geliebten Frau Gundel, die nicht wollte, dass ich es schreibe, und noch weniger, dass es zu ihren Lebzeiten erscheint. Denn was ich für dichterische Freiheit halte, hält sie für Schwindelei. »Meine Geschichten sind wahr …«, sagt sie. Ich setzte dagegen: »Aber meine sind besser!«
Das Buch ist da – und meine Frau lebt noch, wofür ich unendlich dankbar bin. Das Ergebnis haben Sie vor, das Vorwort hinter sich. Vielleicht lesen Sie weiter …?
... mehr
Es war im Juni 1926, im Schwarzwald, irgendwo in der Nähe von Freudenstadt. Zwei Paare, Feriengäste in einer kleinen Pension, taten nach dem Mittagessen die berühmten tausend Schritte. Das eine Paar waren Bruder und Schwester, Clement mit Familiennamen, aus Düsseldorf. Bruder Clement war die typische rheinische Frohnatur, immer einen Scherz auf den Lippen oder einen Gag im Hinterhalt. Das andere Paar waren Wilhelm Fuchsberger aus Ulm und seine Frau Emma Friederike, geborene Stengel, aus Hofen bei Stuttgart. Meine Eltern in spe.
Wilhelm Fuchsberger zog beim Gehen ein Bein nach, die Folge eines Sturmangriffs auf die russischen Linien am Dnjepr. Ein Kumpel von der anderen Feldpostnummer hatte ihm mit einer Maschinengewehrsalve das Bein zerfetzt. Aber so schlimm die Verwundung auch war, es war ein »Heimatschuss«. Nach zwei Jahren und vielen Operationen war Wilhelm Fuchsberger so weit wiederhergestellt, dass er das Lazarett in Nagold verlassen konnte.
Zur gleichen Zeit lag auf derselben Station ein schwer verwundeter Kamerad namens Karl Stengel. Er hatte eine Schwester, Emma Friederike, die ihn regelmäßig besuchte. Vermutlich galten diese Besuche ab einer gewissen Zeit nicht mehr nur dem Bruder, sondern auch dessen Kumpel Wilhelm Fuchsberger. So muss es wohl gewesen sein, denn Wilhelm Fuchsberger und Emma Friederike Stengel gaben sich im Sommer 1918 das Jawort. Neun Jahre später also zockelten sie auf einem romantischen Wanderweg im Schwarzwald dahin. Am Rande einer Blumenwiese bückte sich der gewisse Herr Clement, pflückte ein Gewächs vom Wegesrand und überreichte es galant seiner Ferienbekanntschaft Emma Friederike. Es war ein vierblätteriges Kleeblatt. »Es soll ein Junge werden«, sagte er aufgeräumt. Aus Gesprächen an trüben Regentagen wusste er wohl um die vergeblichen Versuche der Fuchsbergers, Nachwuchs in die vorübergehend wieder friedliche Welt zu setzen.
Das vierblätterige Kleeblatt hat seine Schuldigkeit getan. Am 11. März 1927, korrekte neun Monate später, erblickte ich das Licht der Welt. Nach Berichten der unmittelbar Beteiligten war dieses Licht ungewöhnlich grell, mit Blitz und Donner, denn es ging gerade ein heftiges Gewitter nieder. Schon mein erster Auftritt im Krankenhaus Charlottenhaus in Stuttgart war also ein ziemlich starker. Hätte ich schon denken können, hätte ich vermutlich gedacht: »Das hätte ich mir denken können …« Meine Erinnerung setzt natürlich erst einige Jahre später ein. Zuvor sei gesagt, dass mein Vater seinen erlernten Beruf als Schriftsetzer nicht mehr ausüben konnte. Das zerschossene Bein hinderte ihn daran, den ganzen Tag beim Stuttgarter Tagblatt vor dem Setzkasten zu stehen, um mühsam Buchstabe für Buchstabe zusammenzusetzen. Er schulte um und wurde Maschinensetzer. Im selben Unternehmen saß er nun vor einer der großen Linotype- Setzmaschinen und hackte nach redaktioneller Vorlage den Text für die Zeitung in die Tasten. Zeile um Zeile fielen die Matrizen aus den Magazinen in den Sammelelevator, wurden vor den Bleikessel transportiert, mit flüssigem Blei ausgegossen, auf die Zahnstange des Elevators geschoben und in die Magazine zurücktransportiert. Die glühend heißen Bleizeilen reihten sich auf dem Sammelbrett, links von der Tastatur, aneinander. Von dort wurden sie abgeholt zum Umbruch, der Zusammenstellung der Spalten in der Zeitung.
Bei kleineren Störungen ließ mein Vater erkennen, dass er technisch einiges draufhatte, und behob die Pannen selbst, statt auf den Spezialmonteur der Mergenthaler Setzmaschinen-Fabrik zu warten. Das sparte der Zeitung Zeit und Geld, was angenehm auffiel. Im Jahr 1929 wurde er vom Stuttgarter Tagblatt abgeworben und verdiente künftig seine Brötchen als Untervertreter der Mergenthaler Setzmaschinen-Fabrik, dem deutschen Lizenzunternehmen von Linotype mit Sitz in Berlin. Damit begann seine Karriere. Er wurde nach Heidelberg versetzt, und hier beginnt auch meine Erinnerung, ziemlich klar und deutlich.
Die Mönchhofsiedlung im Heidelberger Vorort Handschuhsheim wurde unsere neue Heimat. Dort hatten wir eine bescheidene Dreieinhalb-Zimmer-Wohnung im dritten Stock eines lang gestreckten, kasernenartigen Gebäudes in der Rottmannstraße 32. Von diesen Wohnkasernen gab es vier, sie bildeten ein Quadrat. Der Innenhof hätte ebenso als Drillplatz dienen können, trotz spärlicher Bepflanzung mit kümmerlichen Buchsbaumhecken. Schon bald lernte ich, was der Begriff »verboten« bedeutete. Derart beschriftete gelbe Schilder machten unter anderem die Bewohner der Siedlung darauf aufmerksam, dass es »verboten« sei, den schlecht gepflegten Rasen des Siedlungshofs zu betreten. Die Mönchhofsiedlung war ein Wohngebiet für die leicht gehobene Arbeiterklasse, solche mit festem Lohn und dem Wunsch, irgendwie und irgendwann auf der sozialen Leiter aufzusteigen. Soweit ich mich erinnere, war es in der Mönchhofsiedlung an bestimmten Tagen bunt und schön. An solchen Tagen flatterten aus vielen Fenstern rote Fahnen mit einem weißen Kreis in der Mitte. In diesem weißen Kreis war ein schwarzes Kreuz mit Haken an den vier Enden. Und an solchen Tagen sah man auch Menschen in Reih und Glied, alle gleich angezogen, mit Liedern auf den Lippen durch die Straßen marschieren.
Diese Lieder fragten die Menschen, die am Straßenrand solche Aufmärsche mehr oder weniger begeistert verfolgten, zum Beispiel: »Siehst du im Osten das Morgenrot, das Zeichen für Freiheit und Sonne?« Oder es wurde gesungen, was man ohnehin sah: »Wir marschieren Seit an Seit« und ähnlich Poetisches. Aber auch Bedrohliches war dabei:
»Es zittern die morschen Knooochen
Der Welt vor dem großen Krieg.
Wir haben die Knechtschaft gebrooochen,
Für uns war’s ein großer Sieg!
Wir werden weiter marschieren,
Bis alles in Scherben fällt;
Denn heute gehört uns Deutschland –
Und morgen die ganze Welt!«
Die Uniformen waren nicht sonderlich attraktiv: braunes Hemd, schwarzer Schlips, auf dem ein kreisrundes Hakenkreuzabzeichen festgesteckt war, ein Lederriemen quer über die Brust, hinten und vorne am Koppel befestigt, seitlich ausgestellte Kniehosen, dazu Schnürstiefel mit Gamaschen bis unters Knie. Einige hatten richtige Lederstiefel. Dazu kam eine kreisrunde, ziemlich hohe Uniformmütze und über dem linken Ellenbogen eine rote Armbinde mit weißem Kreis und Hakenkreuz. Eigentlich sahen die meisten ziemlich lächerlich aus, wie sie singend, aber mit todernsten Gesichtern, gestreckten Händen und angewinkelten Armen, die sie rhythmisch bewegten, durch die Gegend stolzierten. Auch aus unserem Fenster hing eine solche Fahne. Eines Tages war ihretwegen die Aufregung bei meinen Eltern groß: Die Fahne hatte einen beachtlichen schwarzen Fleck von Tinte oder Farbe, der das neue Symbol deutschen Stolzes besudelte. Die gedämpft geführte Unterhaltung von Vater und Mutter ergab, dass zwei Fragen einer dringenden Klärung bedurften: »Wie ist der Fleck auf unsere Hakenkreuzfahne im dritten Stock gekommen, und wer war das?«
Beide Fragen blieben ungelöst, waren aber irgendwie von ausschlaggebender Bedeutung für mein Leben. Waren es Nachbarn von derselben Etage? Kam der Schandfleck als gut gezielter Wurf von der Straße? Es schienen also nicht alle der gleichen Meinung zu sein in der Mönchhofsiedlung, nicht alle marschierten Seit an Seit.
An der Straßenecke gab es eine Drogerie mit einem großen Schaufenster. Sie gehörte einem netten Herrn Heilmann, der mir ab und an eine Stange Lakritz zusteckte, wenn der mütterliche Einkauf entsprechenden Gewinn einbrachte. Vor Herrn Heilmanns Schaufenster stand ich eines Tages, zitternd vor Aufregung, einen schweren Backstein in der Hand, bereit, ihn ins Fenster der Drogerie zu werfen, mitten in die Auslage, in der auch ein gerahmtes Bild eines Mannes namens Adolf Hitler zu sehen war. Der war aber nicht der Grund meines abenteuerlichen Vorsatzes, ich hatte ja gar keine Ahnung, wer er war. Nein, mein Grund war viel profaner: Es war die verlockende Aussicht auf zehn Stangen Lakritz. Und Lakritz, egal in welcher Form, kann ich bis heute nicht widerstehen. Ob Schnecke, Stange, Pastille, mit oder ohne Salmiak, mit oder ohne Menthol, ich bin dem schwarzen, klebrigen »Bärendreck« einfach hörig, seit meiner Kindheit. Aber der Reihe nach.
Zwischen unserem Haus und Herrn Heilmanns Drogerie, im Haus Rottmannstraße 34 , wohnte eine gewisse Familie Sydow mit vier Jungen. Sie waren der Schrecken der ganzen Siedlung, zumindest aber aller Parteien im Haus. Die Versuchung, es den Sydow-Brüdern gleichzutun, war für mich permanent und unwiderstehlich.
Der Jüngste war mein bester Freund. Eigentlich hieß er Eckehart, doch alle nannten ihn »Brüderlein«, weil er halt der Jüngste der »Bande des Schreckens« war. Wie siamesische Zwillinge schlichen Brüderlein und ich durch die Gegend und überlegten, wie wir sie unsicher machen konnten. Unsere Eltern sehnten daher den Tag herbei, an dem wir in die Schule kommen sollten, in der man uns Zucht und Ordnung beibringen würde, doch das half wenig. (…)
© Verlagsgruppe Lübbe
Wilhelm Fuchsberger zog beim Gehen ein Bein nach, die Folge eines Sturmangriffs auf die russischen Linien am Dnjepr. Ein Kumpel von der anderen Feldpostnummer hatte ihm mit einer Maschinengewehrsalve das Bein zerfetzt. Aber so schlimm die Verwundung auch war, es war ein »Heimatschuss«. Nach zwei Jahren und vielen Operationen war Wilhelm Fuchsberger so weit wiederhergestellt, dass er das Lazarett in Nagold verlassen konnte.
Zur gleichen Zeit lag auf derselben Station ein schwer verwundeter Kamerad namens Karl Stengel. Er hatte eine Schwester, Emma Friederike, die ihn regelmäßig besuchte. Vermutlich galten diese Besuche ab einer gewissen Zeit nicht mehr nur dem Bruder, sondern auch dessen Kumpel Wilhelm Fuchsberger. So muss es wohl gewesen sein, denn Wilhelm Fuchsberger und Emma Friederike Stengel gaben sich im Sommer 1918 das Jawort. Neun Jahre später also zockelten sie auf einem romantischen Wanderweg im Schwarzwald dahin. Am Rande einer Blumenwiese bückte sich der gewisse Herr Clement, pflückte ein Gewächs vom Wegesrand und überreichte es galant seiner Ferienbekanntschaft Emma Friederike. Es war ein vierblätteriges Kleeblatt. »Es soll ein Junge werden«, sagte er aufgeräumt. Aus Gesprächen an trüben Regentagen wusste er wohl um die vergeblichen Versuche der Fuchsbergers, Nachwuchs in die vorübergehend wieder friedliche Welt zu setzen.
Das vierblätterige Kleeblatt hat seine Schuldigkeit getan. Am 11. März 1927, korrekte neun Monate später, erblickte ich das Licht der Welt. Nach Berichten der unmittelbar Beteiligten war dieses Licht ungewöhnlich grell, mit Blitz und Donner, denn es ging gerade ein heftiges Gewitter nieder. Schon mein erster Auftritt im Krankenhaus Charlottenhaus in Stuttgart war also ein ziemlich starker. Hätte ich schon denken können, hätte ich vermutlich gedacht: »Das hätte ich mir denken können …« Meine Erinnerung setzt natürlich erst einige Jahre später ein. Zuvor sei gesagt, dass mein Vater seinen erlernten Beruf als Schriftsetzer nicht mehr ausüben konnte. Das zerschossene Bein hinderte ihn daran, den ganzen Tag beim Stuttgarter Tagblatt vor dem Setzkasten zu stehen, um mühsam Buchstabe für Buchstabe zusammenzusetzen. Er schulte um und wurde Maschinensetzer. Im selben Unternehmen saß er nun vor einer der großen Linotype- Setzmaschinen und hackte nach redaktioneller Vorlage den Text für die Zeitung in die Tasten. Zeile um Zeile fielen die Matrizen aus den Magazinen in den Sammelelevator, wurden vor den Bleikessel transportiert, mit flüssigem Blei ausgegossen, auf die Zahnstange des Elevators geschoben und in die Magazine zurücktransportiert. Die glühend heißen Bleizeilen reihten sich auf dem Sammelbrett, links von der Tastatur, aneinander. Von dort wurden sie abgeholt zum Umbruch, der Zusammenstellung der Spalten in der Zeitung.
Bei kleineren Störungen ließ mein Vater erkennen, dass er technisch einiges draufhatte, und behob die Pannen selbst, statt auf den Spezialmonteur der Mergenthaler Setzmaschinen-Fabrik zu warten. Das sparte der Zeitung Zeit und Geld, was angenehm auffiel. Im Jahr 1929 wurde er vom Stuttgarter Tagblatt abgeworben und verdiente künftig seine Brötchen als Untervertreter der Mergenthaler Setzmaschinen-Fabrik, dem deutschen Lizenzunternehmen von Linotype mit Sitz in Berlin. Damit begann seine Karriere. Er wurde nach Heidelberg versetzt, und hier beginnt auch meine Erinnerung, ziemlich klar und deutlich.
Die Mönchhofsiedlung im Heidelberger Vorort Handschuhsheim wurde unsere neue Heimat. Dort hatten wir eine bescheidene Dreieinhalb-Zimmer-Wohnung im dritten Stock eines lang gestreckten, kasernenartigen Gebäudes in der Rottmannstraße 32. Von diesen Wohnkasernen gab es vier, sie bildeten ein Quadrat. Der Innenhof hätte ebenso als Drillplatz dienen können, trotz spärlicher Bepflanzung mit kümmerlichen Buchsbaumhecken. Schon bald lernte ich, was der Begriff »verboten« bedeutete. Derart beschriftete gelbe Schilder machten unter anderem die Bewohner der Siedlung darauf aufmerksam, dass es »verboten« sei, den schlecht gepflegten Rasen des Siedlungshofs zu betreten. Die Mönchhofsiedlung war ein Wohngebiet für die leicht gehobene Arbeiterklasse, solche mit festem Lohn und dem Wunsch, irgendwie und irgendwann auf der sozialen Leiter aufzusteigen. Soweit ich mich erinnere, war es in der Mönchhofsiedlung an bestimmten Tagen bunt und schön. An solchen Tagen flatterten aus vielen Fenstern rote Fahnen mit einem weißen Kreis in der Mitte. In diesem weißen Kreis war ein schwarzes Kreuz mit Haken an den vier Enden. Und an solchen Tagen sah man auch Menschen in Reih und Glied, alle gleich angezogen, mit Liedern auf den Lippen durch die Straßen marschieren.
Diese Lieder fragten die Menschen, die am Straßenrand solche Aufmärsche mehr oder weniger begeistert verfolgten, zum Beispiel: »Siehst du im Osten das Morgenrot, das Zeichen für Freiheit und Sonne?« Oder es wurde gesungen, was man ohnehin sah: »Wir marschieren Seit an Seit« und ähnlich Poetisches. Aber auch Bedrohliches war dabei:
»Es zittern die morschen Knooochen
Der Welt vor dem großen Krieg.
Wir haben die Knechtschaft gebrooochen,
Für uns war’s ein großer Sieg!
Wir werden weiter marschieren,
Bis alles in Scherben fällt;
Denn heute gehört uns Deutschland –
Und morgen die ganze Welt!«
Die Uniformen waren nicht sonderlich attraktiv: braunes Hemd, schwarzer Schlips, auf dem ein kreisrundes Hakenkreuzabzeichen festgesteckt war, ein Lederriemen quer über die Brust, hinten und vorne am Koppel befestigt, seitlich ausgestellte Kniehosen, dazu Schnürstiefel mit Gamaschen bis unters Knie. Einige hatten richtige Lederstiefel. Dazu kam eine kreisrunde, ziemlich hohe Uniformmütze und über dem linken Ellenbogen eine rote Armbinde mit weißem Kreis und Hakenkreuz. Eigentlich sahen die meisten ziemlich lächerlich aus, wie sie singend, aber mit todernsten Gesichtern, gestreckten Händen und angewinkelten Armen, die sie rhythmisch bewegten, durch die Gegend stolzierten. Auch aus unserem Fenster hing eine solche Fahne. Eines Tages war ihretwegen die Aufregung bei meinen Eltern groß: Die Fahne hatte einen beachtlichen schwarzen Fleck von Tinte oder Farbe, der das neue Symbol deutschen Stolzes besudelte. Die gedämpft geführte Unterhaltung von Vater und Mutter ergab, dass zwei Fragen einer dringenden Klärung bedurften: »Wie ist der Fleck auf unsere Hakenkreuzfahne im dritten Stock gekommen, und wer war das?«
Beide Fragen blieben ungelöst, waren aber irgendwie von ausschlaggebender Bedeutung für mein Leben. Waren es Nachbarn von derselben Etage? Kam der Schandfleck als gut gezielter Wurf von der Straße? Es schienen also nicht alle der gleichen Meinung zu sein in der Mönchhofsiedlung, nicht alle marschierten Seit an Seit.
An der Straßenecke gab es eine Drogerie mit einem großen Schaufenster. Sie gehörte einem netten Herrn Heilmann, der mir ab und an eine Stange Lakritz zusteckte, wenn der mütterliche Einkauf entsprechenden Gewinn einbrachte. Vor Herrn Heilmanns Schaufenster stand ich eines Tages, zitternd vor Aufregung, einen schweren Backstein in der Hand, bereit, ihn ins Fenster der Drogerie zu werfen, mitten in die Auslage, in der auch ein gerahmtes Bild eines Mannes namens Adolf Hitler zu sehen war. Der war aber nicht der Grund meines abenteuerlichen Vorsatzes, ich hatte ja gar keine Ahnung, wer er war. Nein, mein Grund war viel profaner: Es war die verlockende Aussicht auf zehn Stangen Lakritz. Und Lakritz, egal in welcher Form, kann ich bis heute nicht widerstehen. Ob Schnecke, Stange, Pastille, mit oder ohne Salmiak, mit oder ohne Menthol, ich bin dem schwarzen, klebrigen »Bärendreck« einfach hörig, seit meiner Kindheit. Aber der Reihe nach.
Zwischen unserem Haus und Herrn Heilmanns Drogerie, im Haus Rottmannstraße 34 , wohnte eine gewisse Familie Sydow mit vier Jungen. Sie waren der Schrecken der ganzen Siedlung, zumindest aber aller Parteien im Haus. Die Versuchung, es den Sydow-Brüdern gleichzutun, war für mich permanent und unwiderstehlich.
Der Jüngste war mein bester Freund. Eigentlich hieß er Eckehart, doch alle nannten ihn »Brüderlein«, weil er halt der Jüngste der »Bande des Schreckens« war. Wie siamesische Zwillinge schlichen Brüderlein und ich durch die Gegend und überlegten, wie wir sie unsicher machen konnten. Unsere Eltern sehnten daher den Tag herbei, an dem wir in die Schule kommen sollten, in der man uns Zucht und Ordnung beibringen würde, doch das half wenig. (…)
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Autoren-Porträt von Joachim Fuchsberger
Joachim "Blacky" Fuchsberger, geboren am 11. März 1927 in Stuttgart, deutscher Schauspieler und Entertainer, wuchs in Heidelberg und Düsseldorf auf. Seine Film- und Fernsehkarriere begann er 1954 und erhielt dafür viele Auszeichnungen wie z. B. die Goldene Kamera, Bambi, Bundesverdienstkreuz, Großes Bundesverdienstkreuz, Bayerischer Fernsehpreis für sein Lebenswerk sowie den "Deutschen Fernsehpreis 2011", ebenfalls für sein Lebenswerk und den Ehrenpreis des "Deutschen Nachhaltigkeitspreises" für sein Engagement für UNICEF. Joachim Fuchsberger verstarb im September 2014.
Bibliographische Angaben
- Autor: Joachim Fuchsberger
- 2014, 2. Aufl., 347 Seiten, teilweise farbige Abbildungen, Maße: 12,2 x 18,4 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Bastei Lübbe
- ISBN-10: 3404616448
- ISBN-13: 9783404616442
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