Der Beschützer
Psychothriller. Deutsche Erstveröffentlichung
Würdest du einen Mörder erkennen, wenn du ihm in die Augen siehst?
Mitten im Winter schockiert der Mord an einer hilflosen alten Frau den kleinen Ort Shipcott im englischen Somerset. Während der Schnee die Bewohner von der Außenwelt...
Mitten im Winter schockiert der Mord an einer hilflosen alten Frau den kleinen Ort Shipcott im englischen Somerset. Während der Schnee die Bewohner von der Außenwelt...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Der Beschützer “
Würdest du einen Mörder erkennen, wenn du ihm in die Augen siehst?
Mitten im Winter schockiert der Mord an einer hilflosen alten Frau den kleinen Ort Shipcott im englischen Somerset. Während der Schnee die Bewohner von der Außenwelt abschneidet, versucht Dorfpolizist Jonas Holly den Killer zu finden. Doch dann reißen Beamte aus der Stadt die Untersuchung an sich, und Holly wird zu einer Statistenrolle verdammt. Daraufhin treffen immer bedrohlichere anonyme Botschaften bei ihm ein, in denen ihm vorgeworfen wird, seine Pflicht nicht zu tun. Als weitere Morde geschehen, werden aus den Vorwürfen unverhohlene Drohungen. Irgendjemand scheint Jonas die Schuld an den Ereignissen zu geben. Selbstanklagen und die Sorge um seine schwerkranke Frau bringen ihn langsam an den Rand des Zusammenbruchs. Zumal er sich fragen muss: Wer jagt hier wen?
Mitten im Winter schockiert der Mord an einer hilflosen alten Frau den kleinen Ort Shipcott im englischen Somerset. Während der Schnee die Bewohner von der Außenwelt abschneidet, versucht Dorfpolizist Jonas Holly den Killer zu finden. Doch dann reißen Beamte aus der Stadt die Untersuchung an sich, und Holly wird zu einer Statistenrolle verdammt. Daraufhin treffen immer bedrohlichere anonyme Botschaften bei ihm ein, in denen ihm vorgeworfen wird, seine Pflicht nicht zu tun. Als weitere Morde geschehen, werden aus den Vorwürfen unverhohlene Drohungen. Irgendjemand scheint Jonas die Schuld an den Ereignissen zu geben. Selbstanklagen und die Sorge um seine schwerkranke Frau bringen ihn langsam an den Rand des Zusammenbruchs. Zumal er sich fragen muss: Wer jagt hier wen?
Klappentext zu „Der Beschützer “
Würdest du einen Mörder erkennen, wenn du ihm in die Augen siehst?Mitten im Winter schockiert der Mord an einer hilflosen alten Frau den kleinen Ort Shipcott im englischen Somerset. Während der Schnee die Bewohner von der Außenwelt abschneidet, versucht Dorfpolizist Jonas Holly den Killer zu finden. Doch dann reißen Beamte aus der Stadt die Untersuchung an sich, und Holly wird zu einer Statistenrolle verdammt. Daraufhin treffen immer bedrohlichere anonyme Botschaften bei ihm ein, in denen ihm vorgeworfen wird, seine Pflicht nicht zu tun. Als weitere Morde geschehen, werden aus den Vorwürfen unverhohlene Drohungen. Irgendjemand scheint Jonas die Schuld an den Ereignissen zu geben. Selbstanklagen und die Sorge um seine schwerkranke Frau bringen ihn langsam an den Rand des Zusammenbruchs. Zumal er sich fragen muss: Wer jagt hier wen?
Lese-Probe zu „Der Beschützer “
Der Beschützer von Belinda Bauer46 Tage
Die Krankenhausgeräusche drangen gedämpft und aus weiter Ferne zu Lucy. Sie merkte, dass eine große Hand die ihre umfasst hielt - fest, trocken und warm.
Jonas, dachte sie mit einem Aufflackern von Schuldgefühlen.
Steif drehte sie den Kopf und öffnete die Augen, rechnete damit, Sorge, Erleichterung - sogar Zorn - in seinem Blick zu lesen.
Stattdessen hatte sie einen verrückten Moment lang das Gefühl, durch einen Riss in der Zeit gesaugt worden zu sein, dass sie mit einem kleinen Jungen verheiratet war, auf dessen Gesicht sich solches Entsetzen malte, dass sie unwillkürlich zusammenfuhr und seine Hand umklammerte, als sei er derjenige, der sich im freien Fall befand.
»Jonas!«
Ihre Kehle brannte, und das Wort kam als harsches Krächzen heraus, doch es traf ihn wie eine schallende Ohrfeige. Augenblicklich waren sämtliche Gefühle in seinen Augen zu sehen, die sie erwartet hatte - sogar Zorn.
Das war Lucy egal. Die Tränen drängten an die Oberfläche. Jonas hielt sie in den Armen, und sie weinte in seine Armbeuge, während er sich über sie beugte und leise zärtliche Dinge in ihr Haar murmelte.
»Das wollte ich nicht«, schluchzte sie, doch sie konnte nicht einmal ihre eigenen, halb erstickten Worte verstehen.
Und außerdem war sie sich auch gar nicht sicher, dass sie wahr waren.
23 Tage
... mehr
Margaret Priddy erwachte von dem gleißend hellen Lichtstrahl, den sie seit Jahren mit Furcht und Sehnsucht erwartet hatte.
Endlich, dachte sie, ich sterbe. Und Tränen der Trauer mischten sich auf ihren Wangen mit Freudentränen.
Seit ihrem Sturz hatte sie hier - oder an einem ganz ähnlichen Ort - schlaff und bewegungsunfähig gelegen und war selbst für ihre grundlegendsten Bedürfnisse auf andere angewiesen. Nahrung, Wasser, Wärme. Die Toilette - etwas, das die Schwestern handhabten, als sei Margarets Würde gelähmt und gefühllos, nicht ihr Körper. Gesellschaft ...
Die Schwestern gaben sich redlich Mühe.
»Guten Morgen, Margaret! Was für ein schöner Tag!« »Guten Morgen, Margaret! Gut geschlafen?«
»Guten Morgen, Margaret! Es regnet schon wieder!«
Und dann ging ihnen entweder jeglicher Gesprächsstoff aus, oder sie plapperten munter weiter. Wie sie neulich abends unterwegs gewesen seien und zu tief ins Glas geschaut hätten, oder welche endlosen Heldentaten ihre Kinder in der Schule vollbrächten. Ein erbarmungsloser Reigen fröhlicher Geschäftigkeit mit großen Busen und schwabbeligen Oberarmen. Zuerst hatte sie sich darüber gefreut, dass das Schweigen hin und wieder gebrochen wurde, doch angesichts dümmlicher Nichtigkeiten sehnte Margaret sich schon sehr bald danach, allein zu sein.
Sie war dankbar. Selbstverständlich war sie dankbar. Dankbar und höflich - wie es eine englische Lady unter solchen Umständen sein sollte. Natürlich wussten sie nichts von ihrer Dankbarkeit, doch sie versuchte, sie mit den Augen auszudrücken, und sie glaubte, dass ein paar von ihnen sie verstanden. Peter verstand sie, aber Peter war auch schon immer ein sensibler Junge gewesen.
Jetzt - als das Licht ihr in den Augen brannte - dachte Margaret Priddy an ihren Sohn, und die Tränen der Trauer gewannen die Oberhand. Peter war vierundvierzig, doch in ihren Gedanken war er noch immer der Fünfjährige, der in blauen Shorts und einem Batman-T-Shirt in Minehead den Kiesstrand hinunterrannte, bei ihrem allerersten Urlaub am Meer.
Sie ließ ihren Kleinen allein zurück.
Ihr war klar, dass das töricht war, aber so empfand sie es eben.
Sie starb, und er würde ganz allein sein.
Aber wie dem auch sei, sie starb tatsächlich. Endlich. Und es war genau so, wie sie gedacht hatte - weiß und wunderbar und schmerzlos.
Erst als sie die Last auf dem Bett erahnte, begriff sie, dass dies nicht der Beginn ihrer Reise ins Jenseits war, sondern dass jemand in ihrem Zimmer war, mit einer Taschenlampe.
Jemand Ungebetenes, der sich unerlaubt Zutritt zu ihrem Heim verschaffte, zu ihrem Zimmer, zu ihrem Bett, sogar zu der Luft vor ihrem Gesicht ...
Jede Faser von Margaret Priddys Wesen schrie sie an, auf die Gefahr zu reagieren.
Unglücklicherweise war jede Faser ihres Wesens unterhalb des Halses vor drei Jahren endgültig von ihrem Gehirn abgekoppelt worden, als der alte Buster - das zuverlässigste Pferd, das sie je ggekannt hatte - auf einer Eisplatte ausgerutscht war und sie mit dem Kopf voran gegen einen hölzernen Telefonmast geschleudert hatte.
Anstatt also zu schreien, um sich zu schlagen und um das zu kämpfen, was von ihrem Leben noch übrig war, konnte sie nur entsetzt mit den Augen blinzeln, als der Killer ihr ein Kissen aufs Gesicht drückte.
Er wollte ihr nicht wehtun. Sie sollte nur tot sein.
Während er Margaret Priddy mit ihrem eigenen, sorgsam aufgeschüttelten Kopfkissen erstickte, spürte er, wie sich alle Spannung schlagartig löste. Als berste eine alte Uhr plötzlich auseinander, verstreue Tausende von komplizierten Einzelteilen überall und lasse gespannte Federn ins Nirgendwo davonspringen, während das beengende Gehäuse um ihn herum wegbrach.
Er schluchzte vor jäher Erleichterung auf.
Der Kopf der alten Dame fühlte sich durch das Kissen hindurch beruhigend fern und undeutlich an. Die unnatürliche Reglosigkeit ihres Körpers erschien ihm wie die Erlaubnis, weiterzumachen, also machte er weiter. Er lehnte sich sehr viel länger mit seinem ganzen Gewicht auf das Kissen, als es nötig gewesen wäre, das wusste er.
Als er es schließlich wegnahm und ihr mit der Taschenlampe ins Gesicht leuchtete, bestand die einzig erkennbare Veränderung in Margaret Priddy darin, dass das Licht in ihren Augen erloschen war.
»So«, sagte der Killer. »Das war doch ganz einfach.«
Erst Lucy - und jetzt das.
Police Constable Jonas Holly lehnte sich an die Wand und nahm den Helm ab, damit ein wenig Luft an seinen Kopf kam, der sich plötzlich feucht und klamm anfühlte.
Der Leichnam auf dem Bett hatte bei seiner Hochzeit Orgel gespielt. Er kannte sie seit seiner Kindheit.
Er konnte sich noch gut daran erinnern, wie er klein genug gewesen war, um nicht zu wissen, dass es nicht cool war, sich von irgendetwas beeindrucken zu lassen; und wie er Mrs. Priddy zugewinkt hatte, wenn sie auf diesem aberwitzig großen grauen Pferd vorbeigeritten kam. Und wie sie zurückgewinkt hatte. Im Laufe der nächsten fünfundzwanzig Jahre hatte sich diese Szene Dutzende von Malen wiederholt, während alle Beteiligten sich weiterentwickelten. Margaret wurde älter, war aber stets quicklebendig; er wuchs und reckte sich, kam und ging - zur Universität, zur Ausbildung nach Portishead, nach Hause, um seine Eltern zu besuchen, als diese noch lebten. Sogar das Pferd veränderte sich, von einem Grauschimmel über alle möglichen ähnlichen Tiere, bis Buster kam. Mrs. Priddy hatte stets Pferde geschätzt, die zu groß für sie waren. »Je größer, desto sanftmütiger«, hatte sie einmal zu ihm gesagt, als er mit zusammengekniffenen Augen in den Himmel hinaufgespäht und versucht hatte, Busters heiße, zuckende Schulter nicht anzusehen.
Jetzt war Margaret Priddy tot. Eigentlich war es ja ein Segen - die Arme. Im Augenblick jedoch war Jonas Holly bloß völlig durcheinander, und ihm war übel bei dem Gedanken, dass nachts irgendeine seltsame Magie am Werke gewesen war und Leben in Tod verwandelt hatte, Wärme in Kälte, das Diesseits ins Jenseits.
Was auch immer das Jenseits war. Jonas hatte lediglich eine vage religiöse Vorstellung, dass es dort wahrscheinlich ganz schön war.
Dies hier war nicht seine erste Leiche; als Dorfbobby hatte er schon einiges zu sehen bekommen. Doch Margaret Priddy dort liegen zu sehen, hatte ihn unerwartet hart getroffen. Er hörte die Krankenschwester die Treppe heraufkommen und setzte den Helm wieder auf, wischte sich hastig das Gesicht mit dem Ärmel ab und hoffte, dass er nicht so käsig aussah, wie ihm zumute war. Er war eins zweiundneunzig, und anscheinend dachten die Leute, dass man umso mehr Rückgrat besitzen sollte, je größer man war.
Die Schwester lächelte ihn an und hielt die Tür für Dr. Dennis auf, der stets Khakihosen und ein Polohemd trug - als spiele er in irgendeiner australischen Seifenoper mit und würde gleich mit einem Sportflugzeug losdüsen, um im heißen Outback Schlangenbisse zu behandeln, anstatt den Tod einer Rentnerin in ihrem Cottage auf dem januarfeuchten Exmoor zu bescheinigen.
»Hallo, Jonas«, sagte er.
»Hallo, Mark.«
»Wie geht's Lucy?«
»Okay, danke.«
»Gut.«
Jonas hatte Mark Dennis einmal nach einem Rugbyspiel in einen Bierhumpen kotzen sehen, im Augenblick jedoch gab sich der Arzt ganz geschäftsmäßig. Seine ebenmäßigen, gebräunten Züge waren eine Maske professionellen Mitgefühls. Er ging zum Bett hinüber und untersuchte Margaret Priddy.
»Reizende Lady«, meinte er, nur um etwas zu sagen.
»Reizender geht's gar nicht«, pflichtete Jonas Holly ihm mit großem Nachdruck bei. »Ist wahrscheinlich ein Segen, dass sie tot ist. Für sie, meine ich.«
Die Schwester lächelte und nickte ihm professionell zu, doch Mark Dennis antwortete nicht. Er schien sich sehr für Margaret Priddys Gesicht zu interessieren.
Jonas sah sich im Zimmer um. Irgendjemand hatte einen billigen Engel aus Silberfolie über das Bett gehängt; er drehte sich langsam, wie ein Kindermobile. Auf der Kommode war ein halbes Dutzend Weihnachtskarten achtlos beiseitegeschoben worden, um Platz für praktischere Dinge zu schaffen. Eine der Karten war umgefallen, und es juckte Jonas in den Fingern, sie wieder richtig hinzustellen.
Stattdessen zwang er sich, den Leichnam der alten Dame anzusehen. So alt war sie gar nicht, erinnerte er sich, irgendetwas über sechzig. Doch die Bettlägerigkeit hatte sie älter und sehr viel gebrechlicher erscheinen lassen.
Er dachte daran, dass Lucy eines Tages auch so gebrechlich sein würde und versuchte, sich darauf zu konzentrieren, dass Margaret auf diesem Bett lag, nicht seine schöne Frau.
Galle und durchweichte Schmerztabletten auf ihren Lippen...
Jonas verdrängte das Bild mit aller Kraft und atmete tief durch. Er sammelte seine Gedanken und überlegte, was wohl Margaret Priddys letzte Worte gewesen waren, ehe bei dem Unfall ihr Kehlkopf und ihre Halswirbelsäule mit einem einzigen knirschenden Schlag zerschmettert worden waren. Letzte Worte, die vor drei Jahren ohne Wissen um das bevorstehende Sterben ihres restlichen Körpers gesprochen worden waren. Vermutlich: »Na los, Buster!«
»Ich bin froh, dass Sie hier sind, Jonas«, sagte Mark Dennis - und als er sich umdrehte und ihn ansah, konnte Jonas Holly Betroffenheit auf dem Gesicht des Arztes lesen. Seine Instinkte regten sich unruhig.
»Ihre Nase ist gebrochen.«
Beide sahen die Krankenschwester an, deren Lächeln augenblicklich verschwand. Sie eilte herbei und stand neben dem Arzt, als dieser ihre Finger an Margaret Priddys Nasenrücken führte.
»Sehen Sie?«
Sie nickte; das Stirnrunzeln machte sie hässlich.
»Es liegt keine Verletzung der Haut vor, und keine offensichtliche Quetschung oder Prellung«, bemerkte Mark Dennis auf seine typische nachdenkliche Art, die einen rasend machen konnte. »Ich bin ja kein CSI-Experte, aber ich würde sagen, ein Schlag war nicht die Ursache.«
Jonas hasste Leute, die sich amerikanische Fernsehserien ansahen.
»Wollen Sie mal fühlen, Jonas?«
Eigentlich nicht. Aber trotzdem, er war Polizist, und er sollte doch ...
Er schluckte hörbar und berührte die Nase der Toten. Sie war kalt und knorpelig, und Jonas - ein leidenschaftlicher Vegetarier - musste an rohe Schweinekoteletts denken. Mark Dennis führte ihm die Hand, und Jonas fühlte, wie die Fraktur in Margaret Priddys Nasenbein unter seinen Fingern knirschte. Jäh überzog Gänsehaut seine Schultern; er ließ los und trat zurück. Unbewusst wischte er sich die Hand am dunkelblauen Stoff seiner Uniformhose ab, ehe ihm klar wurde, dass das Schweigen - kombiniert mit zwei Augenpaaren, die ihn fragend ansahen - bedeutete, dass er das Heft in die Hand nehmen sollte. Dass er etwas Professionelles, Polizeiliches tun sollte.
»Igitt«, sagte er.
...
Übersetzung: Marie-Luise Bezzenberger
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2012
by Wilhelm Goldmann Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Margaret Priddy erwachte von dem gleißend hellen Lichtstrahl, den sie seit Jahren mit Furcht und Sehnsucht erwartet hatte.
Endlich, dachte sie, ich sterbe. Und Tränen der Trauer mischten sich auf ihren Wangen mit Freudentränen.
Seit ihrem Sturz hatte sie hier - oder an einem ganz ähnlichen Ort - schlaff und bewegungsunfähig gelegen und war selbst für ihre grundlegendsten Bedürfnisse auf andere angewiesen. Nahrung, Wasser, Wärme. Die Toilette - etwas, das die Schwestern handhabten, als sei Margarets Würde gelähmt und gefühllos, nicht ihr Körper. Gesellschaft ...
Die Schwestern gaben sich redlich Mühe.
»Guten Morgen, Margaret! Was für ein schöner Tag!« »Guten Morgen, Margaret! Gut geschlafen?«
»Guten Morgen, Margaret! Es regnet schon wieder!«
Und dann ging ihnen entweder jeglicher Gesprächsstoff aus, oder sie plapperten munter weiter. Wie sie neulich abends unterwegs gewesen seien und zu tief ins Glas geschaut hätten, oder welche endlosen Heldentaten ihre Kinder in der Schule vollbrächten. Ein erbarmungsloser Reigen fröhlicher Geschäftigkeit mit großen Busen und schwabbeligen Oberarmen. Zuerst hatte sie sich darüber gefreut, dass das Schweigen hin und wieder gebrochen wurde, doch angesichts dümmlicher Nichtigkeiten sehnte Margaret sich schon sehr bald danach, allein zu sein.
Sie war dankbar. Selbstverständlich war sie dankbar. Dankbar und höflich - wie es eine englische Lady unter solchen Umständen sein sollte. Natürlich wussten sie nichts von ihrer Dankbarkeit, doch sie versuchte, sie mit den Augen auszudrücken, und sie glaubte, dass ein paar von ihnen sie verstanden. Peter verstand sie, aber Peter war auch schon immer ein sensibler Junge gewesen.
Jetzt - als das Licht ihr in den Augen brannte - dachte Margaret Priddy an ihren Sohn, und die Tränen der Trauer gewannen die Oberhand. Peter war vierundvierzig, doch in ihren Gedanken war er noch immer der Fünfjährige, der in blauen Shorts und einem Batman-T-Shirt in Minehead den Kiesstrand hinunterrannte, bei ihrem allerersten Urlaub am Meer.
Sie ließ ihren Kleinen allein zurück.
Ihr war klar, dass das töricht war, aber so empfand sie es eben.
Sie starb, und er würde ganz allein sein.
Aber wie dem auch sei, sie starb tatsächlich. Endlich. Und es war genau so, wie sie gedacht hatte - weiß und wunderbar und schmerzlos.
Erst als sie die Last auf dem Bett erahnte, begriff sie, dass dies nicht der Beginn ihrer Reise ins Jenseits war, sondern dass jemand in ihrem Zimmer war, mit einer Taschenlampe.
Jemand Ungebetenes, der sich unerlaubt Zutritt zu ihrem Heim verschaffte, zu ihrem Zimmer, zu ihrem Bett, sogar zu der Luft vor ihrem Gesicht ...
Jede Faser von Margaret Priddys Wesen schrie sie an, auf die Gefahr zu reagieren.
Unglücklicherweise war jede Faser ihres Wesens unterhalb des Halses vor drei Jahren endgültig von ihrem Gehirn abgekoppelt worden, als der alte Buster - das zuverlässigste Pferd, das sie je ggekannt hatte - auf einer Eisplatte ausgerutscht war und sie mit dem Kopf voran gegen einen hölzernen Telefonmast geschleudert hatte.
Anstatt also zu schreien, um sich zu schlagen und um das zu kämpfen, was von ihrem Leben noch übrig war, konnte sie nur entsetzt mit den Augen blinzeln, als der Killer ihr ein Kissen aufs Gesicht drückte.
Er wollte ihr nicht wehtun. Sie sollte nur tot sein.
Während er Margaret Priddy mit ihrem eigenen, sorgsam aufgeschüttelten Kopfkissen erstickte, spürte er, wie sich alle Spannung schlagartig löste. Als berste eine alte Uhr plötzlich auseinander, verstreue Tausende von komplizierten Einzelteilen überall und lasse gespannte Federn ins Nirgendwo davonspringen, während das beengende Gehäuse um ihn herum wegbrach.
Er schluchzte vor jäher Erleichterung auf.
Der Kopf der alten Dame fühlte sich durch das Kissen hindurch beruhigend fern und undeutlich an. Die unnatürliche Reglosigkeit ihres Körpers erschien ihm wie die Erlaubnis, weiterzumachen, also machte er weiter. Er lehnte sich sehr viel länger mit seinem ganzen Gewicht auf das Kissen, als es nötig gewesen wäre, das wusste er.
Als er es schließlich wegnahm und ihr mit der Taschenlampe ins Gesicht leuchtete, bestand die einzig erkennbare Veränderung in Margaret Priddy darin, dass das Licht in ihren Augen erloschen war.
»So«, sagte der Killer. »Das war doch ganz einfach.«
Erst Lucy - und jetzt das.
Police Constable Jonas Holly lehnte sich an die Wand und nahm den Helm ab, damit ein wenig Luft an seinen Kopf kam, der sich plötzlich feucht und klamm anfühlte.
Der Leichnam auf dem Bett hatte bei seiner Hochzeit Orgel gespielt. Er kannte sie seit seiner Kindheit.
Er konnte sich noch gut daran erinnern, wie er klein genug gewesen war, um nicht zu wissen, dass es nicht cool war, sich von irgendetwas beeindrucken zu lassen; und wie er Mrs. Priddy zugewinkt hatte, wenn sie auf diesem aberwitzig großen grauen Pferd vorbeigeritten kam. Und wie sie zurückgewinkt hatte. Im Laufe der nächsten fünfundzwanzig Jahre hatte sich diese Szene Dutzende von Malen wiederholt, während alle Beteiligten sich weiterentwickelten. Margaret wurde älter, war aber stets quicklebendig; er wuchs und reckte sich, kam und ging - zur Universität, zur Ausbildung nach Portishead, nach Hause, um seine Eltern zu besuchen, als diese noch lebten. Sogar das Pferd veränderte sich, von einem Grauschimmel über alle möglichen ähnlichen Tiere, bis Buster kam. Mrs. Priddy hatte stets Pferde geschätzt, die zu groß für sie waren. »Je größer, desto sanftmütiger«, hatte sie einmal zu ihm gesagt, als er mit zusammengekniffenen Augen in den Himmel hinaufgespäht und versucht hatte, Busters heiße, zuckende Schulter nicht anzusehen.
Jetzt war Margaret Priddy tot. Eigentlich war es ja ein Segen - die Arme. Im Augenblick jedoch war Jonas Holly bloß völlig durcheinander, und ihm war übel bei dem Gedanken, dass nachts irgendeine seltsame Magie am Werke gewesen war und Leben in Tod verwandelt hatte, Wärme in Kälte, das Diesseits ins Jenseits.
Was auch immer das Jenseits war. Jonas hatte lediglich eine vage religiöse Vorstellung, dass es dort wahrscheinlich ganz schön war.
Dies hier war nicht seine erste Leiche; als Dorfbobby hatte er schon einiges zu sehen bekommen. Doch Margaret Priddy dort liegen zu sehen, hatte ihn unerwartet hart getroffen. Er hörte die Krankenschwester die Treppe heraufkommen und setzte den Helm wieder auf, wischte sich hastig das Gesicht mit dem Ärmel ab und hoffte, dass er nicht so käsig aussah, wie ihm zumute war. Er war eins zweiundneunzig, und anscheinend dachten die Leute, dass man umso mehr Rückgrat besitzen sollte, je größer man war.
Die Schwester lächelte ihn an und hielt die Tür für Dr. Dennis auf, der stets Khakihosen und ein Polohemd trug - als spiele er in irgendeiner australischen Seifenoper mit und würde gleich mit einem Sportflugzeug losdüsen, um im heißen Outback Schlangenbisse zu behandeln, anstatt den Tod einer Rentnerin in ihrem Cottage auf dem januarfeuchten Exmoor zu bescheinigen.
»Hallo, Jonas«, sagte er.
»Hallo, Mark.«
»Wie geht's Lucy?«
»Okay, danke.«
»Gut.«
Jonas hatte Mark Dennis einmal nach einem Rugbyspiel in einen Bierhumpen kotzen sehen, im Augenblick jedoch gab sich der Arzt ganz geschäftsmäßig. Seine ebenmäßigen, gebräunten Züge waren eine Maske professionellen Mitgefühls. Er ging zum Bett hinüber und untersuchte Margaret Priddy.
»Reizende Lady«, meinte er, nur um etwas zu sagen.
»Reizender geht's gar nicht«, pflichtete Jonas Holly ihm mit großem Nachdruck bei. »Ist wahrscheinlich ein Segen, dass sie tot ist. Für sie, meine ich.«
Die Schwester lächelte und nickte ihm professionell zu, doch Mark Dennis antwortete nicht. Er schien sich sehr für Margaret Priddys Gesicht zu interessieren.
Jonas sah sich im Zimmer um. Irgendjemand hatte einen billigen Engel aus Silberfolie über das Bett gehängt; er drehte sich langsam, wie ein Kindermobile. Auf der Kommode war ein halbes Dutzend Weihnachtskarten achtlos beiseitegeschoben worden, um Platz für praktischere Dinge zu schaffen. Eine der Karten war umgefallen, und es juckte Jonas in den Fingern, sie wieder richtig hinzustellen.
Stattdessen zwang er sich, den Leichnam der alten Dame anzusehen. So alt war sie gar nicht, erinnerte er sich, irgendetwas über sechzig. Doch die Bettlägerigkeit hatte sie älter und sehr viel gebrechlicher erscheinen lassen.
Er dachte daran, dass Lucy eines Tages auch so gebrechlich sein würde und versuchte, sich darauf zu konzentrieren, dass Margaret auf diesem Bett lag, nicht seine schöne Frau.
Galle und durchweichte Schmerztabletten auf ihren Lippen...
Jonas verdrängte das Bild mit aller Kraft und atmete tief durch. Er sammelte seine Gedanken und überlegte, was wohl Margaret Priddys letzte Worte gewesen waren, ehe bei dem Unfall ihr Kehlkopf und ihre Halswirbelsäule mit einem einzigen knirschenden Schlag zerschmettert worden waren. Letzte Worte, die vor drei Jahren ohne Wissen um das bevorstehende Sterben ihres restlichen Körpers gesprochen worden waren. Vermutlich: »Na los, Buster!«
»Ich bin froh, dass Sie hier sind, Jonas«, sagte Mark Dennis - und als er sich umdrehte und ihn ansah, konnte Jonas Holly Betroffenheit auf dem Gesicht des Arztes lesen. Seine Instinkte regten sich unruhig.
»Ihre Nase ist gebrochen.«
Beide sahen die Krankenschwester an, deren Lächeln augenblicklich verschwand. Sie eilte herbei und stand neben dem Arzt, als dieser ihre Finger an Margaret Priddys Nasenrücken führte.
»Sehen Sie?«
Sie nickte; das Stirnrunzeln machte sie hässlich.
»Es liegt keine Verletzung der Haut vor, und keine offensichtliche Quetschung oder Prellung«, bemerkte Mark Dennis auf seine typische nachdenkliche Art, die einen rasend machen konnte. »Ich bin ja kein CSI-Experte, aber ich würde sagen, ein Schlag war nicht die Ursache.«
Jonas hasste Leute, die sich amerikanische Fernsehserien ansahen.
»Wollen Sie mal fühlen, Jonas?«
Eigentlich nicht. Aber trotzdem, er war Polizist, und er sollte doch ...
Er schluckte hörbar und berührte die Nase der Toten. Sie war kalt und knorpelig, und Jonas - ein leidenschaftlicher Vegetarier - musste an rohe Schweinekoteletts denken. Mark Dennis führte ihm die Hand, und Jonas fühlte, wie die Fraktur in Margaret Priddys Nasenbein unter seinen Fingern knirschte. Jäh überzog Gänsehaut seine Schultern; er ließ los und trat zurück. Unbewusst wischte er sich die Hand am dunkelblauen Stoff seiner Uniformhose ab, ehe ihm klar wurde, dass das Schweigen - kombiniert mit zwei Augenpaaren, die ihn fragend ansahen - bedeutete, dass er das Heft in die Hand nehmen sollte. Dass er etwas Professionelles, Polizeiliches tun sollte.
»Igitt«, sagte er.
...
Übersetzung: Marie-Luise Bezzenberger
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2012
by Wilhelm Goldmann Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
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Autoren-Porträt von Belinda Bauer
Belinda Bauer wuchs in England und Südafrika auf. Sie arbeitete als Journalistin und Drehbuchautorin und wurde mit dem renommierten Bafta Award for Young British Screenwriters ausgezeichnet. Ihr Romandebüt legte sie mit dem von Kritik wie Lesern gefeierten Werk 'Das Grab im Moor vor'. Auch mit ihren weiteren Romanen wurde Belinda Bauer ihrem Ruf als Ausnahmetalent immer wieder aufs Neue gerecht. Die Autorin lebt in Wales.
Bibliographische Angaben
- Autor: Belinda Bauer
- 2012, 1, 382 Seiten, Maße: 13,5 x 21,5 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Übersetzung: Marie-Luise Bezzenberger
- Übersetzer: Marie-Luise Bezzenberger
- Verlag: MANHATTAN
- ISBN-10: 3442547016
- ISBN-13: 9783442547012
Rezension zu „Der Beschützer “
»Ein überzeugender Psychothriller zwischen Heidekraut und Stechginster«
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