Der Frauenjäger
Roman
Er jagt Frauen, die seiner Meinung nach Parasiten sind, die sich von ihren Männern aushalten lassen und diese betrügen. Auch Marlene muss nicht arbeiten; sie lebt in guten Verhältnissen. Nachdem sie einem Freund in Not geholfen hat, erwacht...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Der Frauenjäger “
Er jagt Frauen, die seiner Meinung nach Parasiten sind, die sich von ihren Männern aushalten lassen und diese betrügen. Auch Marlene muss nicht arbeiten; sie lebt in guten Verhältnissen. Nachdem sie einem Freund in Not geholfen hat, erwacht sie in totaler Finsternis.
Petra Hammesfahr in Bestform!
Klappentext zu „Der Frauenjäger “
Während Dein Leben perfekt scheint, lauert er im Dunklen.Keiner weiß, dass es ihn gibt. Niemand hat die Zeichen erkannt, niemand die Frauen gefunden. Frauen, die seiner Meinung nach Parasiten sind, die sich von ihren Männern aushalten lassen und diese betrügen.
Auch Marlene muss nicht arbeiten. Ihr Mann ist ein erfolgreicher Unternehmensberater, sie hat zwei wohlgeratene ältere Kinder, ein Haus - kurz: alles, was man braucht. Nur das Gefühl, gebraucht zu werden, das fehlt ihr oft. Nur zu gerne hilft sie ihrem alten Freund Andreas Jäger aus der Klemme.
Kurz darauf erwacht Marlene in totaler Schwärze und erinnert sich nicht, wie sie in diese Finsternis geraten ist.
Lese-Probe zu „Der Frauenjäger “
Der Frauenjäger von Petra Hammesfahr Prolog
Es war die Schuld seiner Mutter, einzig und allein ihre
Schuld, daran gab es nichts zu rütteln. Sie hatte ihm
schon früh diesen Abscheu eingeimpft, aus dem später
Verachtung und irgendwann Hass geworden waren. Abgrundtiefer
Hass auf alle Weiber, die so waren wie sie.
Wenn er aus der Schule kam, so mit elf, zwölf Jahren,
hatte sie ihm oft im Morgenmantel die Haustür geöffnet.
Manchmal trug sie gar nichts darunter, manchmal Unterwäsche,
die diesen Ausdruck nicht verdiente. Das Makeup
in ihrem Gesicht war zerlaufen, der Lippenstift verschmiert.
Und sie, ihr Bett, das ganze Schlafzimmer stank
nach Kerl, war erfüllt von den Ausdünstungen zweier
Körper, die das miteinander getrieben hatten, was sie als
«guten Sex» bezeichnete.
Mit seinem Vater hatte sie nie guten Sex gehabt, nur
ehelichen Beischlaf. «Den Unterschied wirst du hoffentlich
feststellen, wenn du älter bist, Schätzchen», sagte sie
einmal zu ihm. Da war er dreizehn oder vierzehn und hasste
es, wenn sie ihn Schätzchen nannte. Ihn schüttelte der
Ekel, wenn sie ihm das Gesicht mit dem schweißfleckigen
Make-up hinhielt, die verschmierten Lippen spitzte und
fragte: «Was denn, kriege ich heute keinen Kuss?»
Sie küsste ihn grundsätzlich auf den Mund. Und mit
dreizehn, vierzehn wusste er längst, dass sie kurz vorher
den Schwanz von irgendeinem Kerl gelutscht hatte.
... mehr
Im Laufe der Zeit hatte sie viele Kerle. Zu Gesicht bekam
er nur selten einen. Meist kamen sie vormittags, wenn
er in einem Klassenraum saß und «nicht für die Schule,
sondern fürs Leben lernte». Was für ein Quatsch! Nichts
von dem, was er fürs Leben brauchte, hatte er in der Schule
gelernt.
Sein Vater schuftete währenddessen bei fünfzig oder
noch mehr Grad in einer Aluminiumgießerei, um der
Schlampe ein angenehmes Leben zu bieten und ihr jeden
Wunsch zu erfüllen. Sie musste nur eine Andeutung
machen, dann überschlug sich der Alte, um sie zufriedenzustellen.
Sein Vater war fünfzehn Jahre älter als sie, ein großer,
bulliger Mann, vor dem viele einen Heidenrespekt hatten.
Hätte man ihm eine Lederjacke mit entsprechenden
Schriftzügen angezogen und ihn auf ein Motorrad gesetzt,
die halbe Welt hätte Reißaus vor dem vermeintlichen Höllenengel
genommen. Er sah aus, als könne er mit Leichtigkeit
ein Gesicht zu Brei schlagen. Aber er hatte das Gemüt
eines Schafs, ließ sich von der Schlampe ausnutzen und
auf der Nase herumtanzen, statt sie einmal in die Schranken
zu weisen.
Sein Vater tat immer so, als wüsste er nicht, dass sie
fremde Kerle ins Ehebett ließ, während er sich an der Aluminiumpresse
die Seele und seinen Stolz aus dem Leib
schwitzte. Aber vermutlich wusste er es ganz genau, litt
wie ein getretener Hund und fraß den Schmerz in sich
hinein, bis der ihn umbrachte.
Herzinfarkt mit achtundfünfzig, auf der Fahrt zur Arbeit,
Kontrolle übers Auto verloren und so weiter. Als
die Rettungskräfte an der Unfallstelle eintrafen, war
sein Vater
bereits tot. Allerdings war er nicht an dem Infarkt
gestorben, sondern an einem Genickbruch. Für die
Schlampe zahlte sich das in barer Münze aus, weil der Tod
damit als Unfallfolge durchging.
Er war neunzehn, seine Mutter dreiundvierzig. Sie bezog
fortan Witwen- und Unfallrente, und nicht zu knapp.
Finanzielle Sorgen kannte sie auch nach dem «tragischen
Verlust ihres geliebten Gatten» keine. Sie erdreistete sich
tatsächlich, es so in eine Anzeige setzen zu lassen. Nur die
Kerle wurden weniger, weil sie nicht jünger wurde und
ihre Ansprüche nicht herunterschraubte. Was altersmäßig
zu ihr passte, war ihr nicht scharf genug.
Sie wurde unleidlich, begann ihn herumzukommandieren
und zu schikanieren. Sie erwartete allen Ernstes, dass
nun er sprang, wenn sie pfiff, wie der Alte es zuvor getan
hatte. Bis er sie eines Besseren belehrte. Und nicht nur sie.
Es gab ja noch mehr, die sich auf Kosten eines Mannes
einen schönen Lenz machten und fremdgingen auf Deibel
komm raus.
Diese Weiber aus der Welt zu schaffen, das war seine Bestimmung.
Für ihn waren sie nicht einmal wert, bei ihren
Namen genannt zu werden. Ihnen eine Nummer zu geben
reichte in seinen Augen und für sein Archiv vollkommen
aus.
Nummer eins gabelte er spätabends an einer Bushaltestelle
auf. Obwohl das mittlerweile einige Jährchen zurücklag,
erinnerte er sich noch genau an jede Einzelheit,
was daran liegen mochte, dass er an dem Abend ziemlich
nervös gewesen war.
Losgefahren war er mit dem Vorsatz, eine Schlampe aufzulesen,
und zwar so, dass es keine Zeugen gab, die ihn mit
ihr sahen und der Polizei später, wenn sie vermisst wurde,
eine Beschreibung von ihm oder seinem Fahrzeug geben
konnten. Aber er hatte keine Ahnung, wie er das bewerkstelligen
sollte. Ob er aussteigen und eine überwältigen
müsste, die so spät noch allein unterwegs war. Wie er es
vermeiden könnte, dass sie um Hilfe schrie. Dass er sie
gleich betäuben müsste, damit sie sich nicht wehrte, hatte
er überlegt. Und dann war es so einfach.
Sie war erst Anfang zwanzig, stand da und winkte hektisch,
als er sich näherte. Als er neben ihr hielt, sprang sie
regelrecht auf den Beifahrersitz. Mit ihr kam ein Schwall
feuchtkalter Luft herein. Es war November, und es nieselte.
Angeblich war ihr der letzte Bus vor der Nase weggefahren.
Der nächste käme erst morgen früh um Viertel
nach fünf, behauptete sie. Möglich, dass es zutraf, er stieg
nicht aus, um sich auf dem Fahrplan vom Wahrheitsgehalt
ihrer Worte zu überzeugen.
Sie hatte eine Reisetasche dabei, die sie auf ihrem
Schoß hielt, bis er sie von dem Teil befreite und es nach
hinten auf die Rückbank warf. Da wusste er schon, dass
ihr Freund sie vor die Tür gesetzt hatte, weil sie kein Kind
von Traurigkeit und ihr Freund angeblich krankhaft eifersüchtig war.
Vor lauter Erleichterung, nicht die ganze Nacht in der
feuchten Kälte stehen zu müssen, sprudelte sie förmlich
über. Ihrem Freund würde das bald leidtun. Es sei nicht
das erste Mal, dass er sie rausgeworfen hätte. Und bisher
habe er noch immer nach spätestens zwei Tagen reumütig
angerufen, sie um Verzeihung gebeten und angefleht zurückzukommen,
weil er ohne sie nicht leben könne.
Deshalb wolle sie nicht zu weit weg und keinesfalls zu
ihren Eltern. Die würden nur wieder ihrem Freund recht
geben und ihr Vorträge über einen ordentlichen - sprich
antiquierten - Lebenswandel halten.
«Ich brauche nur vorübergehend eine Unterkunft», sagte
sie. «Ein preiswertes Hotel oder eine billige Pension. Du
kennst nicht zufällig was in der unteren Preisklasse?»
Das nicht, aber er kannte einen Ort, an dem sie nicht
mit Geld bezahlen musste. Genauso drückte er das aus
und ergötzte sich an ihrer Dämlichkeit. Sie verstand es
natürlich falsch, freute sich auch noch über sein Angebot,
legte ihm eine Hand aufs Bein und schnurrte wie ein zufriedenes
Kätzchen. «Lieb von dir. Du wirst es nicht bereuen.»
Tat er auch nicht. Sie bereute. Knappe sechs Tage
lang. Die meiste Zeit bei vollem Bewusstsein.
Nummer zwei war schon Ende dreißig und hätte ein
Zwilling seiner Mutter sein können - nicht nur vom Äußeren
her. Er las sie vor einer Kneipe auf. Sie war total betrunken
und machte ihn dermaßen unverschämt an, dass
er unweigerlich dachte, sie sei früher mal auf den Strich gegangen.
Ihr Mann schuftete als selbständiger Handwerker
täglich bis weit in die Nacht hinein, damit sie es warm
und gemütlich hatte. Und sie fühlte sich vernachlässigt,
brauchte ab und zu was fürs Herz, brauchte das Gefühl,
noch eine Frau zu sein, nach der Männer sich umdrehten,
erzählte sie ihm während der Fahrt. Da glaubte sie noch,
sie würde in seinem Bett landen. Sie hielt nicht mal vier
volle Tage durch.
Mit Nummer drei und Nummer vier ließ er sich im Vorfeld
mehr Zeit, beobachtete sie wochenlang, folgte ihnen
auf Schritt und Tritt. Die Genugtuung war einfach größer,
und er konnte sich seiner Sache vollkommen sicher sein,
weil er sie besser kennenlernte, ehe er sie aus der Welt
schaffte. Danach blieb er wochenlang in der Nähe ihrer
Angehörigen.
Und wie oft bedauerte er, dass der Freund von Nummer
eins, der biedere Handwerker und die Männer von
Nummer drei und vier nie erfahren durften, was er für sie
getan hatte. Ihren größten Fehler korrigiert, sie von einer
Schlampe befreit, von der sie sich selbst nicht hatten befreien
können, weil sie zu schwach, zu nachsichtig oder
beides waren. Nach seinem Eingreifen konnten sie neu
beginnen mit einer Frau, die es vielleicht eher verdiente,
geliebt zu werden.
Von Zeit zu Zeit schaute er nach dem Rechten und genoss
diesen Triumph, den er leider mit keiner Menschenseele
teilen konnte. Andere hätten sein Handeln wahrscheinlich
nicht verstanden und dafür gesorgt, dass polizeiliche Ermittlungen
gegen ihn eingeleitet wurden. So lebte er völlig
unbehelligt in der Gewissheit, dass sein Tun gut und
richtig war.
Dem Freund von Nummer eins ging es ohne das Weib
entschieden besser. Er hatte schon kurz nach dem Verschwinden
der Schlampe ein nettes, anständiges Mädel
kennengelernt und ein Jahr später geheiratet. Mittlerweile
war er stolzer Vater von zwei hübschen, gescheiten Kindern.
Der biedere Handwerker hatte sich mit einer Witwe zusammengetan,
die zwar keine Schönheit war, aber gerade
deswegen sehr bemüht um den Mann. Der Mann von
Nummer drei war eine Zeitlang untröstlich gewesen, hatte
den Verlust nur schwer verkraftet. Aber inzwischen hatte
auch er einen Ersatz gefunden - eine Polizistin, bei der
er ständig nach neuen Erkenntnissen gefragt hatte. Das
Schicksal ging seltsame Umwege, um doch noch die Menschen
zusammenzubringen, die füreinander bestimmt waren
und einander zu schätzen wussten.
Der Mann von Nummer vier lebte seit zwei Jahren mit
einer Kollegin zusammen, die sich rührend um ihn und
den kleinen Sohn der Schlampe kümmerte. Weil sie nun
selbst schwanger war, bemühte der Mann sich um eine
Scheidung in Abwesenheit. Für tot erklären lassen konnte
er seine vermisste Frau noch nicht. Es gab keine Leiche,
und es war noch keine zehn Jahre her.
Der Mann von Nummer fünf ... Das war ein Kapitel für
sich, eine ärgerliche Geschichte, äußerst ärgerlich, die ihn
aber nicht davon abhielt weiterzumachen.
Freunde
Nummer neun
Es war schwarz ringsum, nicht nur dunkel, was früh um sechs
an einem eisigen Januarmorgen noch normal gewesen wäre, obwohl
Werner den Rollladen nie vollständig herabließ. Es blieben
immer Ritzen, die sich auf der gegenüberliegenden Wand
abzeichneten, und sei es nur als schwaches, grau-gelbes Muster,
hervorgerufen von einer Laterne neben dem Weg am Bach, der
hinter ihrem Garten vorbeiführte.
Es gab kein Muster, weil es kein Fenster gab und keine
Wand. Marlene Weißkirchen erwachte nicht in ihrem Schlafzimmer,
in dem ihr Mann regelmäßig neben dem Bett sein
frühmorgendliches Fitnessprogramm absolvierte, während
sein Radiowecker sie mit Musik, Werbeeinblendungen und den
stündlichen Nachrichten aus dem meist viel zu kurzen Schlaf
plärrte. Sie erwachte auch nicht kurz vor sechs in der Frühe wie
sonst an einem Wochentag. Aber wie spät es war, als ihr mühsames
Auftauchen aus tiefer Bewusstlosigkeit begann, konnte
nie geklärt werden.
Zuerst registrierte sie ihre unbequeme, schmerzhafte Lage -
wie auf dem Nagelbett eines Fakirs. An unzähligen Stellen
pikste und stach es. Allerdings war sie nicht imstande, etwas
dagegen zu unternehmen. Ihr Körper fühlte sich an, als gehöre
er nicht zu ihr. Arme und Beine spürte sie gar nicht. Und in ich-
rem Kopf schien sich eine Horde fleißiger Handwerker eingenistet
zu haben, die eifrig bohrten, hämmerten und mit spitzen
Werkzeugen auf die Schädeldecke einstachen.
Die Lider klebten an den Augäpfeln, wollten sich partout
nicht lösen. Ihre Lippen pappten ebenfalls aufeinander wie zugeschweißt.
Als es ihr nach geraumer Zeit gelang, die Zungenspitze
zwischen die Lippen zu schieben, schmeckte sie Blut. Bei
den vorangegangenen Versuchen, den Mund zu öffnen, waren
ihre spröden Lippen eingerissen.
Die rasenden Kopfschmerzen suggerierten ihr, sie hätte wieder
mal höchstens zwei oder drei Stunden geschlafen. Und der
Druck im Magen machte sie glauben, sie wäre irgendwann in
der Nacht aufgestanden, um doch noch eine von den freiverkäuflichen
Schlaftabletten zu nehmen, die sie nicht gut vertrug
und nur nahm, wenn sie sich nicht mehr anders zu helfen wusste.
Werner riet ihr regelmäßig zu Baldrian, wenn er mitbekam,
dass sie dieses Teufelszeug, wie er die Schlaftabletten nannte,
schluckte. Baldrian! «Da kann ich auch Bonbons lutschen»,
hatte sie protestiert, nachdem er sie am Mittwoch der vergangenen
Woche kurz vor zwölf geweckt hatte und sie danach gar
nicht mehr zur Ruhe gekommen war.
Ein ganz normales Leben
Bis zu dem Mittwoch, an dem ihr Mann sich mitten in der
Nacht mit blutdurchtränktem Hemd über sie gebeugt hatte,
war in Marlene Weißkirchens Leben alles nach Plan - Werners
Plan - verlaufen. Was nicht bedeutete, dass sie rundum zufrieden
gewesen wäre.
Sie hatte den Ausstieg aus ihrem Hausmütterchendasein ver-
passt und litt mal mehr, mal weniger darunter. Ihre Freundinnen
hatten es geschafft oder zwangsläufig schaffen müssen.
Annette verkaufte Bücher, las natürlich auch viele und nicht
bloß solche, die ihr persönlich gut gefielen. Annette konnte
überall mitreden. Wenn ihr Mann mit blöden Witzen ins Fettnäpfchen
trat und es betretene Mienen gab, konnte Annette
mit mindestens vier brisanten Themen die Aufmerksamkeit auf
sich ziehen und eine heiße Diskussion anzetteln.
Karola, deren Mann sich vor dreieinhalb Jahren aus dem
Staub gemacht hatte, arbeitete seitdem beim lokalen Rundfunk,
kannte Gott und die Welt und den Pressesprecher der Kreispolizeibehörde.
Karola war stets informiert über die aktuelle Verbrechensrate,
versorgte den halben Kreis mit guten Ratschlägen in
allen Lebenslagen, wurde von zahlreichen Hörerinnen verehrt,
bekam Fanpost - an den Sender adressiert -, hin und wieder sogar
Heiratsanträge. Aber da sie sich nicht zur Scheidung von
ihrem Absetzer aufraffen konnte ... «Da müsste ich erst mal wissen,
wohin ich ihm die Post vom Anwalt schicken lassen sollte.»
Ulla verdiente den Lebensunterhalt für sich und ihre Familie
bei Scheidweber & Co. Einem Landmaschinenhersteller, der
sich vor mittlerweile drei Jahrzehnten im städtischen Industriegebiet
angesiedelt hatte. Ihr Mann arbeitete in der Herrenabteilung
des Einkaufscenters und stotterte mit seinem Lohn
Schulden ab, womit er voraussichtlich noch bis ins Rentenalter
beschäftigt war.
Und Marlene lebte auf Werners Kosten entschieden besser
als die drei anderen.
Seit der Grundschule waren die vier Frauen befreundet. Es
hatte sie mal einer als vierblättriges Kleeblatt bezeichnet, weil
sie unzertrennlich waren. Ein verschworenes Grüppchen, zusammengeschweißt
von einer Menge Unsinn, Albernheiten,
gemeinsamen Erfahrungen und gemeinsamen Zukunftsplänen,
die letztlich nicht in Erfüllung gegangen waren.
Ob Kino oder Disco - keine von ihnen hatte je etwas allein
unternommen. Mit siebzehn waren sie in Jenseits von Afrika
gewesen. Ulla hatte am Ende geseufzt: «War das schön. Wir
wissen gar nicht, was wir versäumen mit unseren Taschenrechnern
und Durchlauferhitzern.»
Und Karola hatte entschieden, dass ihr Zukünftiger wie Robert
Redford aussehen und ein Abenteurer sein müsse.
Ein Zukünftiger war zu der Zeit noch nicht in Sicht, weil es
doch mit einem nicht getan war. Man stelle sich nur vor, eine
von ihnen hätte sich verliebt, und der Auserwählte hätte die
anderen drei nicht leiden können.
Nach dem Abitur trennten sich ihre Wege tagsüber, aber nur
wochentags. Marlene wurde bei einem Versicherungskonzern
ausgebildet, Ulla in einem Autohaus, Annette im Buchhandel.
Und Karola begann ein Studium - Archäologie und Ägyptologie,
weil ihr immer noch ein Robert-Redford-Verschnitt
im Hinterkopf tickte, der ihr mitten in der Wildnis die Haare
wusch.
Mit neunzehn zogen sie an einem Samstagabend zu viert
durch einige Kölner Discotheken, bis Karola auf ein Quartett
junger Männer aufmerksam wurde und sagte: «Mädels, wenn
ich mich nicht verzählt habe, sind wir hier genau richtig. Ich
nehme den im blauen Hemd. Teilt den Rest unter euch auf.»
Der im blauen Hemd war Werner Weißkirchen, der Rest
seine Freunde: Andreas Jäger, Christoph Barlow und Matthias
Kranich. Die vier Männer waren ebenfalls seit der Schulzeit
befreundet. Christoph nannte es mal einen von diesen Wahnsinnszufällen,
die man in Romanen als unwahrscheinlich und
unglaubwürdig abtut.
Bei näherer Betrachtung war Werner alles andere als Karolas
Typ. Er sah nicht aus wie Robert Redford, sondern eher wie
Peter Strauss, der Rudy Jordache aus der Fernsehserie Reich und
Arm, von der Marlenes Mutter in den siebziger Jahren selten
eine Folge verpasst hatte. Abgesehen davon, hatte er mit Abenteuern
rein gar nichts im Sinn.
Werner war Bankkaufmann, allerdings keiner von den Zockern,
die sich eine goldene Nase verdienten, indem sie anderer
Leute Geld verspekulierten. Er war im Kreditwesen tätig,
brauchte für alles Sicherheiten und machte Pläne, an die er sich
hielt.
Zwischen seinen leger gekleideten Kumpels, die sich auf der
Tanzfläche bereitwillig wie Hampelmänner benahmen, um
beim anderen Geschlecht Eindruck zu schinden, wirkte er steif,
spießig und hausbacken. Dabei war er ein ausgezeichneter Tänzer.
Er hielt nur nichts von Discogezappel.
Nach Karolas Hinweis auf das Quartett sagte Annette: «Nicht
so voreilig. Hier werden weitreichende Entscheidungen getroffen.
Du kannst nicht über unsere Köpfe hinweg bestimmen,
wer wen aufs Korn nimmt. Unter Umständen versauen wir uns
damit den ganzen Abend.»
Ulla stimmte zu: «Dem schließe ich mich an. Überlassen
wir es doch erst mal den Jungs. Tauschen können wir immer
noch, wenn wir meinen, dass eine andere Konstellation günstiger
wäre.»
Marlene äußerte sich nicht. Das tat sie eigentlich nie. Zwischen
Karola, Annette und Ulla kam sie nur selten zu Wort. Bei
Werner versuchte sie es gar nicht erst, er wusste ohnehin alles
besser. Was nicht bedeutete, dass er besserwisserisch aufgetreten
wäre. Er wusste tatsächlich schon mit zweiundzwanzig eine
Menge mehr als andere. Und er hatte von der ersten Sekunde
an nur Augen für sie.
Verstanden hatte Marlene das bis heute nicht. Sie war nicht
hässlich, aber auch nicht so hübsch und stark wie Ulla. Sie war
nicht dumm, jedoch längst nicht so gescheit und schlagfertig
wie Annette. Sie war nicht feige, allerdings auch nicht so wagemutig,
wortgewandt und phantasiebegabt wie Karola.
Sie war Durchschnitt, hatte zwischen zwei Brüdern daheim
und im kleinen Kreis ihrer Freundinnen stets das Gefühl, nicht
genug Präsenz aufbieten zu können, um als Individuum wahrgenommen
zu werden. Und Werner hob sie aus der Unscheinbarkeit heraus.
Karola hatte mal in einer Illustrierten gelesen, der Geruchssinn
spiele bei der Partnerwahl eine entscheidende Rolle, auch
wenn einem das gar nicht wirklich bewusstwürde. Seit Karola
ihr das erzählt hatte, dachte Marlene manchmal, Werner hätte
in ihr auf Anhieb die Partnerin gerochen, die seinen Genen
nichts entgegensetzen konnte. Es war nämlich auf keinen Fall
so - wie Annette es einmal behauptete -, dass sich ausgerechnet
das Schaf im Kleeblatt den Goldfisch geangelt hätte. Der Fisch
hatte sich vielmehr heißhungrig auf ein Würmchen gestürzt,
das am Rande der aufgewühlten See - sprich überfüllte Tanzfläche
voll zuckender Leiber und schlenkernder Gliedmaßen -
einsam bei ihm zurückblieb, während Annette, Ulla und Karola
sich mit seinen Freunden ins Getümmel stürzten.
Karola richtete ihr Augenmerk schnell auf Andreas Jäger. Der
hätte durchaus ein entfernter Verwandter von Robert Redford
sein können. Damit nicht genug. Wie Karola im Damenkleeblatt
war Andreas im Herrenquartett der Einzige, der studierte
- allerdings nichts Exotisches, nur Maschinenbau an der
Technischen Hochschule. Aber für ihn hätte der Duden umgeschrieben
werden und mit dem Wort «Abenteuer» beginnen müssen.
Andreas fuhr einen uralten Jeep, Baujahr 1942, geerbt vom
Großvater, der das Gefährt bei Kriegsende einem amerikanischen
GI abgeschwatzt hatte. Und Andreas hielt das Museumsstück
selbst in Schuss, obwohl es längst keine Ersatzteile
mehr gab und er bei jeder Reparatur basteln musste.
Wenn er seinen Ingenieur in der Tasche hatte, wollte er mit
dem Gefährt die Wüsten Afrikas und den Orient durchqueren,
ehe er sich in die heimische Tretmühle spannen ließ. Er träumte
auch von einem Trip durch den Regenwald Südamerikas, aber
da käme er mit dem Jeep nicht durch. Damit sich sein Kreislauf
auf die wechselhaften Klimabedingungen einstellte, bereitete er
sich jetzt schon mit stundenlangen Bädern in heißem Salzwasser
auf seine Touren vor, erzählte er. Karola war hin und weg.
Die beiden schienen wie füreinander geschaffen.
Ulla turtelte zwei Wochen lang mit Christoph Barlow. Der
war wie Marlene in der Versicherungsbranche tätig, arbeitete
jedoch für eine andere Gesellschaft und sprach davon, schon
mit dreißig seine eigene Agentur zu haben. Christoph war ein
Charmeur und ein Spaßvogel, wie man einen zweiten lange suchen
musste. Er hatte immer ein Kompliment auf den Lippen
und konnte zu jeder Gegebenheit den passenden Witz erzählen.
Ein Romantiker, wie Ulla sich einen erträumte, war Christoph
jedoch nicht. Beim Blick in den Sternenhimmel rechnete er
aus, wie viel Weltraumschrott da oben herumflog und wie viel
Schaden in den nächsten Jahren durch veraltete Satelliten oder
ähnlich nutzlosen Kram verursacht werden konnte.
Und Annette hatte in der kurzen Zeit bereits festgestellt, dass
Matthias Kranich für sie der falsche Partner war. Ein Vollbad bei
Kerzenschein mochte im Kino oder im Fernseher toll aussehen,
im eigenen Badezimmer musste man anschließend die Wachsflecken
von der Wanne schrubben. Annette war ein durch und
durch praktischer Typ. Sie brauchte - in Anspielung auf Karolas
Schwärmerei nach Jenseits von Afrika - keinen Mann, der ihr in
der Wildnis die Haare wusch.
Also tauschten Annette und Ulla die Männer. Christoph war
damit nicht auf Anhieb einverstanden, Ulla war nun mal mit
Abstand die Hübschere. Aber da Annette besser kochte und
schon eine eigene kleine Wohnung hatte, fügte Christoph sich
bald in sein Schicksal. Und Ulla konnte sich nach weiteren drei
Wochen kaum noch vorstellen, dass sie ohne Matthias jemals
richtig glücklich gewesen sein sollte.
Zu dem Zeitpunkt plante Werner bereits ihr gemeinsames
Leben bis ins Rentenalter. Manchmal dachte Marlene, er sei ein
Spinner wie Andreas Jäger, der Karola mit heißen Salzwasserbädern
und Wüstentrips becircte, oder ein Schwätzer wie Matthias
Kranich, der mit seinen Vorstellungen von Romantik im
Badezimmer bei Annette nicht so gut ankam wie bei Ulla, oder
ein Witzbold wie Christoph Barlow, der einen auf den Arm
nehmen konnte, ohne dass man es merkte. Bei manchen seiner
Ausführungen wartete sie förmlich darauf, dass Werner am
Ende lachte und sagte: «Hey, das war doch nur ein Scherz.»
Drei Jahre Probezeit räumte er ihr ein, um zu begreifen, was
ihm offenbar schon in der ersten halben Stunde klargeworden
war. Dass sie beide füreinander bestimmt waren und perfekt
miteinander harmonierten.
«Wenn wir in drei Jahren heiraten», sagte er, «bist du zweiundzwanzig,
ich bin fünfundzwanzig. Das ist ein gutes Alter.
Man ist körperlich in Bestform.»
Er wollte doch so schnell wie möglich ein eigenes Haus, weil
man nur dort ein freier Mann war und sich nicht der Willkür
von Vermietern oder Hausverwaltern aussetzen musste. Und da
er selbst zupacken wollte, um Kosten zu sparen, spielte das Alter
bei Baubeginn natürlich eine Rolle.
Nach Fertigstellung des Hauses wollte er zwei Kinder, zuerst
einen Sohn, dann eine Tochter - den Plan machte er ohne
Mutter Natur. Bis zur Geburt des ersten Kindes sollte Marlene
frei entscheiden, ob sie ihren Beruf weiter ausübte. Unbedingt
notwendig sei das nach der Hochzeit nicht, sagte Werner.
Er verdiente als Kreditsachbearbeiter fast doppelt so viel wie
sie bei der Versicherung. Bisher hatte er sparsam gelebt und
entsprechende Rücklagen, unter anderem einen Bausparvertrag,
der in drei Jahren zuteilungsreif wurde.
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Copyright © 2011 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
Im Laufe der Zeit hatte sie viele Kerle. Zu Gesicht bekam
er nur selten einen. Meist kamen sie vormittags, wenn
er in einem Klassenraum saß und «nicht für die Schule,
sondern fürs Leben lernte». Was für ein Quatsch! Nichts
von dem, was er fürs Leben brauchte, hatte er in der Schule
gelernt.
Sein Vater schuftete währenddessen bei fünfzig oder
noch mehr Grad in einer Aluminiumgießerei, um der
Schlampe ein angenehmes Leben zu bieten und ihr jeden
Wunsch zu erfüllen. Sie musste nur eine Andeutung
machen, dann überschlug sich der Alte, um sie zufriedenzustellen.
Sein Vater war fünfzehn Jahre älter als sie, ein großer,
bulliger Mann, vor dem viele einen Heidenrespekt hatten.
Hätte man ihm eine Lederjacke mit entsprechenden
Schriftzügen angezogen und ihn auf ein Motorrad gesetzt,
die halbe Welt hätte Reißaus vor dem vermeintlichen Höllenengel
genommen. Er sah aus, als könne er mit Leichtigkeit
ein Gesicht zu Brei schlagen. Aber er hatte das Gemüt
eines Schafs, ließ sich von der Schlampe ausnutzen und
auf der Nase herumtanzen, statt sie einmal in die Schranken
zu weisen.
Sein Vater tat immer so, als wüsste er nicht, dass sie
fremde Kerle ins Ehebett ließ, während er sich an der Aluminiumpresse
die Seele und seinen Stolz aus dem Leib
schwitzte. Aber vermutlich wusste er es ganz genau, litt
wie ein getretener Hund und fraß den Schmerz in sich
hinein, bis der ihn umbrachte.
Herzinfarkt mit achtundfünfzig, auf der Fahrt zur Arbeit,
Kontrolle übers Auto verloren und so weiter. Als
die Rettungskräfte an der Unfallstelle eintrafen, war
sein Vater
bereits tot. Allerdings war er nicht an dem Infarkt
gestorben, sondern an einem Genickbruch. Für die
Schlampe zahlte sich das in barer Münze aus, weil der Tod
damit als Unfallfolge durchging.
Er war neunzehn, seine Mutter dreiundvierzig. Sie bezog
fortan Witwen- und Unfallrente, und nicht zu knapp.
Finanzielle Sorgen kannte sie auch nach dem «tragischen
Verlust ihres geliebten Gatten» keine. Sie erdreistete sich
tatsächlich, es so in eine Anzeige setzen zu lassen. Nur die
Kerle wurden weniger, weil sie nicht jünger wurde und
ihre Ansprüche nicht herunterschraubte. Was altersmäßig
zu ihr passte, war ihr nicht scharf genug.
Sie wurde unleidlich, begann ihn herumzukommandieren
und zu schikanieren. Sie erwartete allen Ernstes, dass
nun er sprang, wenn sie pfiff, wie der Alte es zuvor getan
hatte. Bis er sie eines Besseren belehrte. Und nicht nur sie.
Es gab ja noch mehr, die sich auf Kosten eines Mannes
einen schönen Lenz machten und fremdgingen auf Deibel
komm raus.
Diese Weiber aus der Welt zu schaffen, das war seine Bestimmung.
Für ihn waren sie nicht einmal wert, bei ihren
Namen genannt zu werden. Ihnen eine Nummer zu geben
reichte in seinen Augen und für sein Archiv vollkommen
aus.
Nummer eins gabelte er spätabends an einer Bushaltestelle
auf. Obwohl das mittlerweile einige Jährchen zurücklag,
erinnerte er sich noch genau an jede Einzelheit,
was daran liegen mochte, dass er an dem Abend ziemlich
nervös gewesen war.
Losgefahren war er mit dem Vorsatz, eine Schlampe aufzulesen,
und zwar so, dass es keine Zeugen gab, die ihn mit
ihr sahen und der Polizei später, wenn sie vermisst wurde,
eine Beschreibung von ihm oder seinem Fahrzeug geben
konnten. Aber er hatte keine Ahnung, wie er das bewerkstelligen
sollte. Ob er aussteigen und eine überwältigen
müsste, die so spät noch allein unterwegs war. Wie er es
vermeiden könnte, dass sie um Hilfe schrie. Dass er sie
gleich betäuben müsste, damit sie sich nicht wehrte, hatte
er überlegt. Und dann war es so einfach.
Sie war erst Anfang zwanzig, stand da und winkte hektisch,
als er sich näherte. Als er neben ihr hielt, sprang sie
regelrecht auf den Beifahrersitz. Mit ihr kam ein Schwall
feuchtkalter Luft herein. Es war November, und es nieselte.
Angeblich war ihr der letzte Bus vor der Nase weggefahren.
Der nächste käme erst morgen früh um Viertel
nach fünf, behauptete sie. Möglich, dass es zutraf, er stieg
nicht aus, um sich auf dem Fahrplan vom Wahrheitsgehalt
ihrer Worte zu überzeugen.
Sie hatte eine Reisetasche dabei, die sie auf ihrem
Schoß hielt, bis er sie von dem Teil befreite und es nach
hinten auf die Rückbank warf. Da wusste er schon, dass
ihr Freund sie vor die Tür gesetzt hatte, weil sie kein Kind
von Traurigkeit und ihr Freund angeblich krankhaft eifersüchtig war.
Vor lauter Erleichterung, nicht die ganze Nacht in der
feuchten Kälte stehen zu müssen, sprudelte sie förmlich
über. Ihrem Freund würde das bald leidtun. Es sei nicht
das erste Mal, dass er sie rausgeworfen hätte. Und bisher
habe er noch immer nach spätestens zwei Tagen reumütig
angerufen, sie um Verzeihung gebeten und angefleht zurückzukommen,
weil er ohne sie nicht leben könne.
Deshalb wolle sie nicht zu weit weg und keinesfalls zu
ihren Eltern. Die würden nur wieder ihrem Freund recht
geben und ihr Vorträge über einen ordentlichen - sprich
antiquierten - Lebenswandel halten.
«Ich brauche nur vorübergehend eine Unterkunft», sagte
sie. «Ein preiswertes Hotel oder eine billige Pension. Du
kennst nicht zufällig was in der unteren Preisklasse?»
Das nicht, aber er kannte einen Ort, an dem sie nicht
mit Geld bezahlen musste. Genauso drückte er das aus
und ergötzte sich an ihrer Dämlichkeit. Sie verstand es
natürlich falsch, freute sich auch noch über sein Angebot,
legte ihm eine Hand aufs Bein und schnurrte wie ein zufriedenes
Kätzchen. «Lieb von dir. Du wirst es nicht bereuen.»
Tat er auch nicht. Sie bereute. Knappe sechs Tage
lang. Die meiste Zeit bei vollem Bewusstsein.
Nummer zwei war schon Ende dreißig und hätte ein
Zwilling seiner Mutter sein können - nicht nur vom Äußeren
her. Er las sie vor einer Kneipe auf. Sie war total betrunken
und machte ihn dermaßen unverschämt an, dass
er unweigerlich dachte, sie sei früher mal auf den Strich gegangen.
Ihr Mann schuftete als selbständiger Handwerker
täglich bis weit in die Nacht hinein, damit sie es warm
und gemütlich hatte. Und sie fühlte sich vernachlässigt,
brauchte ab und zu was fürs Herz, brauchte das Gefühl,
noch eine Frau zu sein, nach der Männer sich umdrehten,
erzählte sie ihm während der Fahrt. Da glaubte sie noch,
sie würde in seinem Bett landen. Sie hielt nicht mal vier
volle Tage durch.
Mit Nummer drei und Nummer vier ließ er sich im Vorfeld
mehr Zeit, beobachtete sie wochenlang, folgte ihnen
auf Schritt und Tritt. Die Genugtuung war einfach größer,
und er konnte sich seiner Sache vollkommen sicher sein,
weil er sie besser kennenlernte, ehe er sie aus der Welt
schaffte. Danach blieb er wochenlang in der Nähe ihrer
Angehörigen.
Und wie oft bedauerte er, dass der Freund von Nummer
eins, der biedere Handwerker und die Männer von
Nummer drei und vier nie erfahren durften, was er für sie
getan hatte. Ihren größten Fehler korrigiert, sie von einer
Schlampe befreit, von der sie sich selbst nicht hatten befreien
können, weil sie zu schwach, zu nachsichtig oder
beides waren. Nach seinem Eingreifen konnten sie neu
beginnen mit einer Frau, die es vielleicht eher verdiente,
geliebt zu werden.
Von Zeit zu Zeit schaute er nach dem Rechten und genoss
diesen Triumph, den er leider mit keiner Menschenseele
teilen konnte. Andere hätten sein Handeln wahrscheinlich
nicht verstanden und dafür gesorgt, dass polizeiliche Ermittlungen
gegen ihn eingeleitet wurden. So lebte er völlig
unbehelligt in der Gewissheit, dass sein Tun gut und
richtig war.
Dem Freund von Nummer eins ging es ohne das Weib
entschieden besser. Er hatte schon kurz nach dem Verschwinden
der Schlampe ein nettes, anständiges Mädel
kennengelernt und ein Jahr später geheiratet. Mittlerweile
war er stolzer Vater von zwei hübschen, gescheiten Kindern.
Der biedere Handwerker hatte sich mit einer Witwe zusammengetan,
die zwar keine Schönheit war, aber gerade
deswegen sehr bemüht um den Mann. Der Mann von
Nummer drei war eine Zeitlang untröstlich gewesen, hatte
den Verlust nur schwer verkraftet. Aber inzwischen hatte
auch er einen Ersatz gefunden - eine Polizistin, bei der
er ständig nach neuen Erkenntnissen gefragt hatte. Das
Schicksal ging seltsame Umwege, um doch noch die Menschen
zusammenzubringen, die füreinander bestimmt waren
und einander zu schätzen wussten.
Der Mann von Nummer vier lebte seit zwei Jahren mit
einer Kollegin zusammen, die sich rührend um ihn und
den kleinen Sohn der Schlampe kümmerte. Weil sie nun
selbst schwanger war, bemühte der Mann sich um eine
Scheidung in Abwesenheit. Für tot erklären lassen konnte
er seine vermisste Frau noch nicht. Es gab keine Leiche,
und es war noch keine zehn Jahre her.
Der Mann von Nummer fünf ... Das war ein Kapitel für
sich, eine ärgerliche Geschichte, äußerst ärgerlich, die ihn
aber nicht davon abhielt weiterzumachen.
Freunde
Nummer neun
Es war schwarz ringsum, nicht nur dunkel, was früh um sechs
an einem eisigen Januarmorgen noch normal gewesen wäre, obwohl
Werner den Rollladen nie vollständig herabließ. Es blieben
immer Ritzen, die sich auf der gegenüberliegenden Wand
abzeichneten, und sei es nur als schwaches, grau-gelbes Muster,
hervorgerufen von einer Laterne neben dem Weg am Bach, der
hinter ihrem Garten vorbeiführte.
Es gab kein Muster, weil es kein Fenster gab und keine
Wand. Marlene Weißkirchen erwachte nicht in ihrem Schlafzimmer,
in dem ihr Mann regelmäßig neben dem Bett sein
frühmorgendliches Fitnessprogramm absolvierte, während
sein Radiowecker sie mit Musik, Werbeeinblendungen und den
stündlichen Nachrichten aus dem meist viel zu kurzen Schlaf
plärrte. Sie erwachte auch nicht kurz vor sechs in der Frühe wie
sonst an einem Wochentag. Aber wie spät es war, als ihr mühsames
Auftauchen aus tiefer Bewusstlosigkeit begann, konnte
nie geklärt werden.
Zuerst registrierte sie ihre unbequeme, schmerzhafte Lage -
wie auf dem Nagelbett eines Fakirs. An unzähligen Stellen
pikste und stach es. Allerdings war sie nicht imstande, etwas
dagegen zu unternehmen. Ihr Körper fühlte sich an, als gehöre
er nicht zu ihr. Arme und Beine spürte sie gar nicht. Und in ich-
rem Kopf schien sich eine Horde fleißiger Handwerker eingenistet
zu haben, die eifrig bohrten, hämmerten und mit spitzen
Werkzeugen auf die Schädeldecke einstachen.
Die Lider klebten an den Augäpfeln, wollten sich partout
nicht lösen. Ihre Lippen pappten ebenfalls aufeinander wie zugeschweißt.
Als es ihr nach geraumer Zeit gelang, die Zungenspitze
zwischen die Lippen zu schieben, schmeckte sie Blut. Bei
den vorangegangenen Versuchen, den Mund zu öffnen, waren
ihre spröden Lippen eingerissen.
Die rasenden Kopfschmerzen suggerierten ihr, sie hätte wieder
mal höchstens zwei oder drei Stunden geschlafen. Und der
Druck im Magen machte sie glauben, sie wäre irgendwann in
der Nacht aufgestanden, um doch noch eine von den freiverkäuflichen
Schlaftabletten zu nehmen, die sie nicht gut vertrug
und nur nahm, wenn sie sich nicht mehr anders zu helfen wusste.
Werner riet ihr regelmäßig zu Baldrian, wenn er mitbekam,
dass sie dieses Teufelszeug, wie er die Schlaftabletten nannte,
schluckte. Baldrian! «Da kann ich auch Bonbons lutschen»,
hatte sie protestiert, nachdem er sie am Mittwoch der vergangenen
Woche kurz vor zwölf geweckt hatte und sie danach gar
nicht mehr zur Ruhe gekommen war.
Ein ganz normales Leben
Bis zu dem Mittwoch, an dem ihr Mann sich mitten in der
Nacht mit blutdurchtränktem Hemd über sie gebeugt hatte,
war in Marlene Weißkirchens Leben alles nach Plan - Werners
Plan - verlaufen. Was nicht bedeutete, dass sie rundum zufrieden
gewesen wäre.
Sie hatte den Ausstieg aus ihrem Hausmütterchendasein ver-
passt und litt mal mehr, mal weniger darunter. Ihre Freundinnen
hatten es geschafft oder zwangsläufig schaffen müssen.
Annette verkaufte Bücher, las natürlich auch viele und nicht
bloß solche, die ihr persönlich gut gefielen. Annette konnte
überall mitreden. Wenn ihr Mann mit blöden Witzen ins Fettnäpfchen
trat und es betretene Mienen gab, konnte Annette
mit mindestens vier brisanten Themen die Aufmerksamkeit auf
sich ziehen und eine heiße Diskussion anzetteln.
Karola, deren Mann sich vor dreieinhalb Jahren aus dem
Staub gemacht hatte, arbeitete seitdem beim lokalen Rundfunk,
kannte Gott und die Welt und den Pressesprecher der Kreispolizeibehörde.
Karola war stets informiert über die aktuelle Verbrechensrate,
versorgte den halben Kreis mit guten Ratschlägen in
allen Lebenslagen, wurde von zahlreichen Hörerinnen verehrt,
bekam Fanpost - an den Sender adressiert -, hin und wieder sogar
Heiratsanträge. Aber da sie sich nicht zur Scheidung von
ihrem Absetzer aufraffen konnte ... «Da müsste ich erst mal wissen,
wohin ich ihm die Post vom Anwalt schicken lassen sollte.»
Ulla verdiente den Lebensunterhalt für sich und ihre Familie
bei Scheidweber & Co. Einem Landmaschinenhersteller, der
sich vor mittlerweile drei Jahrzehnten im städtischen Industriegebiet
angesiedelt hatte. Ihr Mann arbeitete in der Herrenabteilung
des Einkaufscenters und stotterte mit seinem Lohn
Schulden ab, womit er voraussichtlich noch bis ins Rentenalter
beschäftigt war.
Und Marlene lebte auf Werners Kosten entschieden besser
als die drei anderen.
Seit der Grundschule waren die vier Frauen befreundet. Es
hatte sie mal einer als vierblättriges Kleeblatt bezeichnet, weil
sie unzertrennlich waren. Ein verschworenes Grüppchen, zusammengeschweißt
von einer Menge Unsinn, Albernheiten,
gemeinsamen Erfahrungen und gemeinsamen Zukunftsplänen,
die letztlich nicht in Erfüllung gegangen waren.
Ob Kino oder Disco - keine von ihnen hatte je etwas allein
unternommen. Mit siebzehn waren sie in Jenseits von Afrika
gewesen. Ulla hatte am Ende geseufzt: «War das schön. Wir
wissen gar nicht, was wir versäumen mit unseren Taschenrechnern
und Durchlauferhitzern.»
Und Karola hatte entschieden, dass ihr Zukünftiger wie Robert
Redford aussehen und ein Abenteurer sein müsse.
Ein Zukünftiger war zu der Zeit noch nicht in Sicht, weil es
doch mit einem nicht getan war. Man stelle sich nur vor, eine
von ihnen hätte sich verliebt, und der Auserwählte hätte die
anderen drei nicht leiden können.
Nach dem Abitur trennten sich ihre Wege tagsüber, aber nur
wochentags. Marlene wurde bei einem Versicherungskonzern
ausgebildet, Ulla in einem Autohaus, Annette im Buchhandel.
Und Karola begann ein Studium - Archäologie und Ägyptologie,
weil ihr immer noch ein Robert-Redford-Verschnitt
im Hinterkopf tickte, der ihr mitten in der Wildnis die Haare
wusch.
Mit neunzehn zogen sie an einem Samstagabend zu viert
durch einige Kölner Discotheken, bis Karola auf ein Quartett
junger Männer aufmerksam wurde und sagte: «Mädels, wenn
ich mich nicht verzählt habe, sind wir hier genau richtig. Ich
nehme den im blauen Hemd. Teilt den Rest unter euch auf.»
Der im blauen Hemd war Werner Weißkirchen, der Rest
seine Freunde: Andreas Jäger, Christoph Barlow und Matthias
Kranich. Die vier Männer waren ebenfalls seit der Schulzeit
befreundet. Christoph nannte es mal einen von diesen Wahnsinnszufällen,
die man in Romanen als unwahrscheinlich und
unglaubwürdig abtut.
Bei näherer Betrachtung war Werner alles andere als Karolas
Typ. Er sah nicht aus wie Robert Redford, sondern eher wie
Peter Strauss, der Rudy Jordache aus der Fernsehserie Reich und
Arm, von der Marlenes Mutter in den siebziger Jahren selten
eine Folge verpasst hatte. Abgesehen davon, hatte er mit Abenteuern
rein gar nichts im Sinn.
Werner war Bankkaufmann, allerdings keiner von den Zockern,
die sich eine goldene Nase verdienten, indem sie anderer
Leute Geld verspekulierten. Er war im Kreditwesen tätig,
brauchte für alles Sicherheiten und machte Pläne, an die er sich
hielt.
Zwischen seinen leger gekleideten Kumpels, die sich auf der
Tanzfläche bereitwillig wie Hampelmänner benahmen, um
beim anderen Geschlecht Eindruck zu schinden, wirkte er steif,
spießig und hausbacken. Dabei war er ein ausgezeichneter Tänzer.
Er hielt nur nichts von Discogezappel.
Nach Karolas Hinweis auf das Quartett sagte Annette: «Nicht
so voreilig. Hier werden weitreichende Entscheidungen getroffen.
Du kannst nicht über unsere Köpfe hinweg bestimmen,
wer wen aufs Korn nimmt. Unter Umständen versauen wir uns
damit den ganzen Abend.»
Ulla stimmte zu: «Dem schließe ich mich an. Überlassen
wir es doch erst mal den Jungs. Tauschen können wir immer
noch, wenn wir meinen, dass eine andere Konstellation günstiger
wäre.»
Marlene äußerte sich nicht. Das tat sie eigentlich nie. Zwischen
Karola, Annette und Ulla kam sie nur selten zu Wort. Bei
Werner versuchte sie es gar nicht erst, er wusste ohnehin alles
besser. Was nicht bedeutete, dass er besserwisserisch aufgetreten
wäre. Er wusste tatsächlich schon mit zweiundzwanzig eine
Menge mehr als andere. Und er hatte von der ersten Sekunde
an nur Augen für sie.
Verstanden hatte Marlene das bis heute nicht. Sie war nicht
hässlich, aber auch nicht so hübsch und stark wie Ulla. Sie war
nicht dumm, jedoch längst nicht so gescheit und schlagfertig
wie Annette. Sie war nicht feige, allerdings auch nicht so wagemutig,
wortgewandt und phantasiebegabt wie Karola.
Sie war Durchschnitt, hatte zwischen zwei Brüdern daheim
und im kleinen Kreis ihrer Freundinnen stets das Gefühl, nicht
genug Präsenz aufbieten zu können, um als Individuum wahrgenommen
zu werden. Und Werner hob sie aus der Unscheinbarkeit heraus.
Karola hatte mal in einer Illustrierten gelesen, der Geruchssinn
spiele bei der Partnerwahl eine entscheidende Rolle, auch
wenn einem das gar nicht wirklich bewusstwürde. Seit Karola
ihr das erzählt hatte, dachte Marlene manchmal, Werner hätte
in ihr auf Anhieb die Partnerin gerochen, die seinen Genen
nichts entgegensetzen konnte. Es war nämlich auf keinen Fall
so - wie Annette es einmal behauptete -, dass sich ausgerechnet
das Schaf im Kleeblatt den Goldfisch geangelt hätte. Der Fisch
hatte sich vielmehr heißhungrig auf ein Würmchen gestürzt,
das am Rande der aufgewühlten See - sprich überfüllte Tanzfläche
voll zuckender Leiber und schlenkernder Gliedmaßen -
einsam bei ihm zurückblieb, während Annette, Ulla und Karola
sich mit seinen Freunden ins Getümmel stürzten.
Karola richtete ihr Augenmerk schnell auf Andreas Jäger. Der
hätte durchaus ein entfernter Verwandter von Robert Redford
sein können. Damit nicht genug. Wie Karola im Damenkleeblatt
war Andreas im Herrenquartett der Einzige, der studierte
- allerdings nichts Exotisches, nur Maschinenbau an der
Technischen Hochschule. Aber für ihn hätte der Duden umgeschrieben
werden und mit dem Wort «Abenteuer» beginnen müssen.
Andreas fuhr einen uralten Jeep, Baujahr 1942, geerbt vom
Großvater, der das Gefährt bei Kriegsende einem amerikanischen
GI abgeschwatzt hatte. Und Andreas hielt das Museumsstück
selbst in Schuss, obwohl es längst keine Ersatzteile
mehr gab und er bei jeder Reparatur basteln musste.
Wenn er seinen Ingenieur in der Tasche hatte, wollte er mit
dem Gefährt die Wüsten Afrikas und den Orient durchqueren,
ehe er sich in die heimische Tretmühle spannen ließ. Er träumte
auch von einem Trip durch den Regenwald Südamerikas, aber
da käme er mit dem Jeep nicht durch. Damit sich sein Kreislauf
auf die wechselhaften Klimabedingungen einstellte, bereitete er
sich jetzt schon mit stundenlangen Bädern in heißem Salzwasser
auf seine Touren vor, erzählte er. Karola war hin und weg.
Die beiden schienen wie füreinander geschaffen.
Ulla turtelte zwei Wochen lang mit Christoph Barlow. Der
war wie Marlene in der Versicherungsbranche tätig, arbeitete
jedoch für eine andere Gesellschaft und sprach davon, schon
mit dreißig seine eigene Agentur zu haben. Christoph war ein
Charmeur und ein Spaßvogel, wie man einen zweiten lange suchen
musste. Er hatte immer ein Kompliment auf den Lippen
und konnte zu jeder Gegebenheit den passenden Witz erzählen.
Ein Romantiker, wie Ulla sich einen erträumte, war Christoph
jedoch nicht. Beim Blick in den Sternenhimmel rechnete er
aus, wie viel Weltraumschrott da oben herumflog und wie viel
Schaden in den nächsten Jahren durch veraltete Satelliten oder
ähnlich nutzlosen Kram verursacht werden konnte.
Und Annette hatte in der kurzen Zeit bereits festgestellt, dass
Matthias Kranich für sie der falsche Partner war. Ein Vollbad bei
Kerzenschein mochte im Kino oder im Fernseher toll aussehen,
im eigenen Badezimmer musste man anschließend die Wachsflecken
von der Wanne schrubben. Annette war ein durch und
durch praktischer Typ. Sie brauchte - in Anspielung auf Karolas
Schwärmerei nach Jenseits von Afrika - keinen Mann, der ihr in
der Wildnis die Haare wusch.
Also tauschten Annette und Ulla die Männer. Christoph war
damit nicht auf Anhieb einverstanden, Ulla war nun mal mit
Abstand die Hübschere. Aber da Annette besser kochte und
schon eine eigene kleine Wohnung hatte, fügte Christoph sich
bald in sein Schicksal. Und Ulla konnte sich nach weiteren drei
Wochen kaum noch vorstellen, dass sie ohne Matthias jemals
richtig glücklich gewesen sein sollte.
Zu dem Zeitpunkt plante Werner bereits ihr gemeinsames
Leben bis ins Rentenalter. Manchmal dachte Marlene, er sei ein
Spinner wie Andreas Jäger, der Karola mit heißen Salzwasserbädern
und Wüstentrips becircte, oder ein Schwätzer wie Matthias
Kranich, der mit seinen Vorstellungen von Romantik im
Badezimmer bei Annette nicht so gut ankam wie bei Ulla, oder
ein Witzbold wie Christoph Barlow, der einen auf den Arm
nehmen konnte, ohne dass man es merkte. Bei manchen seiner
Ausführungen wartete sie förmlich darauf, dass Werner am
Ende lachte und sagte: «Hey, das war doch nur ein Scherz.»
Drei Jahre Probezeit räumte er ihr ein, um zu begreifen, was
ihm offenbar schon in der ersten halben Stunde klargeworden
war. Dass sie beide füreinander bestimmt waren und perfekt
miteinander harmonierten.
«Wenn wir in drei Jahren heiraten», sagte er, «bist du zweiundzwanzig,
ich bin fünfundzwanzig. Das ist ein gutes Alter.
Man ist körperlich in Bestform.»
Er wollte doch so schnell wie möglich ein eigenes Haus, weil
man nur dort ein freier Mann war und sich nicht der Willkür
von Vermietern oder Hausverwaltern aussetzen musste. Und da
er selbst zupacken wollte, um Kosten zu sparen, spielte das Alter
bei Baubeginn natürlich eine Rolle.
Nach Fertigstellung des Hauses wollte er zwei Kinder, zuerst
einen Sohn, dann eine Tochter - den Plan machte er ohne
Mutter Natur. Bis zur Geburt des ersten Kindes sollte Marlene
frei entscheiden, ob sie ihren Beruf weiter ausübte. Unbedingt
notwendig sei das nach der Hochzeit nicht, sagte Werner.
Er verdiente als Kreditsachbearbeiter fast doppelt so viel wie
sie bei der Versicherung. Bisher hatte er sparsam gelebt und
entsprechende Rücklagen, unter anderem einen Bausparvertrag,
der in drei Jahren zuteilungsreif wurde.
Mehr Informationen zum Buch finden Sie auf rowohlt.de.
Copyright © 2011 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
... weniger
Autoren-Porträt von Petra Hammesfahr
Petra Hammesfahr schrieb mit 17 ihren ersten Roman. Mit ihrem Buch "Der stille Herr Genardy" kam der große Erfolg. Seitdem schreibt sie einen Bestseller nach dem anderen, u.a. "Die Sünderin", "Die Mutter" und "Erinnerungen an einen Mörder". Die Autorin lebt in der Nähe von Köln.
Autoren-Interview mit Petra Hammesfahr
Interview mit Petra HammesfahrHerzlichen Glückwunsch, Petra Hammesfahr! Ihr erster Thriller erschien 1991 - das heißt, Sie feiern 2011 20-jähriges Jubiläum. Ist „Der Frauenjäger" Ihr Jubiläumskrimi?
Petra Hammesfahr: So habe ich ihn beim Arbeiten zwar nicht empfunden, weil ich nicht über Jahrestage nachgedacht habe, aber die Bezeichnung gefällt mir.
Wie schaffen Sie es, seit 20 Jahren so produktiv zu sein? Was ist Ihr Geheimnis? Eiserne Disziplin oder unerschöpfliche Kreativität - oder beides zusammen?
Petra Hammesfahr: Ich vermute, dass mich die unerschöpfliche Kreativität, die ich leider nicht steuern kann, zu eiserner Disziplin zwingt. Was soll man denn tun, wenn einem ständig irgendwelche Personen mit ihren Geschichten im Kopf herumspuken? Man kann nur aufschreiben, was sie erzählen. Allerdings reicht das nicht, danach beginnt die Schleifarbeit, um aus den Geschichten ein packendes Buch zu machen. Es gibt keine gute erste Fassung.
Stimmt es, dass Sie die Idee zum Buch „Der Frauenjäger" seit Jahren mit sich herumgetragen haben? Wenn ja, was war der Auslöser, das Buch nun zu schreiben?
... mehr
Petra Hammesfahr: Begonnen habe ich diesen Roman vor ungefähr 12 Jahren. Damals hatte ich Marlenes Geschichte im Kopf, ihre Freundinnen, die vier Männer und ihre Lebensläufe. Ich wusste auch bereits, dass Marlene ein Buch in die Finger bekommt, das in ihr sehr zwiespältige Gefühle auslöst, und dass Marlene in der Folge in eine lebensgefährliche Situation gerät. Mir fehlte allerdings der entscheidende Teil, der dem Ganzen von Anfang an Spannung verlieh. Dieser Teil fiel mir erst vor zwei Jahren ein. Da habe ich auch sofort begonnen, den Roman umzuschreiben beziehungsweise neu zu schreiben.
Wie entwickeln Sie Ihre Figuren, wenn Sie ein neues Buch beginnen? Arbeiten Sie vorher alles genau aus oder gibt es nur ein grobes Konzept, und es beginnt während des Schreibens eine Eigendynamik, ein Eigenleben? Wie war das bei „Der Frauenjäger"?
Petra Hammesfahr: Ich entwickle keine Figuren, wenn sie mir in den Sinn kommen, sind sie schon fertig - mit all ihren Fehlern und Schwächen, Hoffnungen und Ängsten. Wenn ich es andersherum probiere, weil ich zwar eine Idee, aber noch nicht das komplette Personal dazu im Kopf habe, entsteht diese Eigendynamik, weil sich plötzlich welche zu Wort melden, und zwar ganz anders, als ich das ursprünglich geplant hatte.
Sie haben sich in „Der Frauenjäger" für eine verschränkte Erzählweise entschieden. Wie arbeiten Sie das konkret aus? Entsteht erst der Strang, der lapidar mit „Nummer neun" überschrieben ist und in dem wir das Schicksal der gefangenen Frau, deren Kämpfe, Ängste, ihren Überlebenskampf kennenlernen? Oder schreiben Sie beide Teile zusammen?
Petra Hammesfahr: Nummer neun war der Teil, der sich mir erst vor zwei Jahren erschloss. Die einzelnen Stücke hatte ich in einer Datei zusammengefasst, damit es beim Verteilen im Roman keine Widersprüche oder Unlogik gab. Und ganz zuletzt meldete sich der Mörder zu Wort, erklärte seine Motivation und protestierte gegen die Verunglimpfung, als Serienmörder bezeichnet zu werden. Er ist heute noch der Überzeugung, er hätte gute Werke getan.
Verändern sich die Figuren auch manchmal während des Schreibens?
Petra Hammesfahr: Nur wenn ich sie vorher noch nicht richtig kannte.
Wie oft träumen Sie von Ihren Figuren?
Petra Hammesfahr: Ich gehe mit ihnen ins Bett und stehe morgens mit ihnen auf, und manchmal geistern sie auch nachts noch herum, allerdings nur die, mit denen ich aktuell beschäftigt bin oder deren Geschichten noch darauf warten, in Buchform gebracht zu werden. Die meisten anderen lassen mich glücklicherweise nachts in Ruhe und melden sich gelegentlich tagsüber noch mal zu Wort. Dann bekommen sie einen kleinen Part im neuen Roman und sind zufrieden, oder ich sage einmal in einem Nebensatz, wie es ihnen gerade geht - das reicht auch oft schon.
Wie oft haben Sie den Spruch schon gehört: Warum schreiben Sie eigentlich immer Thriller? Und was antworten Sie darauf?
Petra Hammesfahr: Wie oft ich den Spruch schon gehört habe, weiß ich wirklich nicht. Ich antworte meist, dass ich auch andere Sachen geschrieben habe - früher. Eine dieser frühen Arbeiten ist auch veröffentlicht worden: „Am Anfang sind sie noch Kinder". Darin geht es um einen Jugendlichen aus asozialen Verhältnissen. Darüber hinaus habe ich zwei Liebesromane im Angebot - „Seine große Liebe" und „Süßer Sommer" -, beide mit tragischem Anfang, der Ausgang ist auch nicht romantisch, aber es sind Liebesromane, darauf bestehe ich.
Wie können wir uns einen Ihrer Schreibarbeitstage vorstellen? Wie sieht Ihr Arbeitszimmer aus, gemütlich-chaotisch oder klar aufgeräumt?
Petra Hammesfahr: Chaos finde ich nicht gemütlich. Auf meinem Schreibtisch liegen zwar Unmengen von Notizen, das mag chaotisch aussehen, ist es aber nicht. Ich schalte in der Regel kurz vor elf den Computer ein und gegen sechs Uhr abends wieder aus. So komme ich auf sieben Arbeitsstunden. Früher waren es mehr Stunden, da ließ allerdings zwischendurch die Konzentration nach. Mehr geschafft habe ich früher nicht.
Wie gehen Sie an die Recherche heran, z. B. bei „Der Frauenjäger"? Diese Höhlen, in denen er seine Opfer gefangen hält, gibt es ja in vielen Gegenden, haben Sie eine besucht?
Petra Hammesfahr: Ich war vor langer Zeit in der Kluterthöhle. Vermutlich ist dort die Idee zum Frauenjäger entstanden, ohne dass ich es sofort bemerkt hätte. Ich habe mich einfach nur gefragt, wie man wohl wieder nach draußen findet, wenn der Führer das Licht ausmacht und verschwindet. Mehr Recherche gab es nicht.
Wie sehr müssen Sie sich als Autorin in Ihre Figuren hineinversetzen? In ihre Angst, ihre Grausamkeit, ihren Schmerz, ihre Verrücktheit - und wie machen Sie das konkret? Steckt Ihnen an manchen Tagen davon auch nach Feierabend etwas in den Knochen?
Petra Hammesfahr: Wenn ich über eine Figur schreibe, stecke ich drin. Ich war Cora Bender, Trude Schlösser, Greta Baresi, Karen Stichler, Rudolf Grovian, Josef Genardy, Arno Klinkhammer, Felix Täuber und all die anderen. Marlene war ich auch und gleichzeitig Karola, Annette und Ulla. Mein Mann hat mal gesagt, er wüsste nie so genau, zu wem er abends nach Hause kommt.
Wie entspannen Sie sich nach einem Schreibtag voller Mord und Grausamkeit?
Petra Hammesfahr: Am liebsten bei einem spannenden Film.
Interview: Literaturtest
Petra Hammesfahr: Begonnen habe ich diesen Roman vor ungefähr 12 Jahren. Damals hatte ich Marlenes Geschichte im Kopf, ihre Freundinnen, die vier Männer und ihre Lebensläufe. Ich wusste auch bereits, dass Marlene ein Buch in die Finger bekommt, das in ihr sehr zwiespältige Gefühle auslöst, und dass Marlene in der Folge in eine lebensgefährliche Situation gerät. Mir fehlte allerdings der entscheidende Teil, der dem Ganzen von Anfang an Spannung verlieh. Dieser Teil fiel mir erst vor zwei Jahren ein. Da habe ich auch sofort begonnen, den Roman umzuschreiben beziehungsweise neu zu schreiben.
Wie entwickeln Sie Ihre Figuren, wenn Sie ein neues Buch beginnen? Arbeiten Sie vorher alles genau aus oder gibt es nur ein grobes Konzept, und es beginnt während des Schreibens eine Eigendynamik, ein Eigenleben? Wie war das bei „Der Frauenjäger"?
Petra Hammesfahr: Ich entwickle keine Figuren, wenn sie mir in den Sinn kommen, sind sie schon fertig - mit all ihren Fehlern und Schwächen, Hoffnungen und Ängsten. Wenn ich es andersherum probiere, weil ich zwar eine Idee, aber noch nicht das komplette Personal dazu im Kopf habe, entsteht diese Eigendynamik, weil sich plötzlich welche zu Wort melden, und zwar ganz anders, als ich das ursprünglich geplant hatte.
Sie haben sich in „Der Frauenjäger" für eine verschränkte Erzählweise entschieden. Wie arbeiten Sie das konkret aus? Entsteht erst der Strang, der lapidar mit „Nummer neun" überschrieben ist und in dem wir das Schicksal der gefangenen Frau, deren Kämpfe, Ängste, ihren Überlebenskampf kennenlernen? Oder schreiben Sie beide Teile zusammen?
Petra Hammesfahr: Nummer neun war der Teil, der sich mir erst vor zwei Jahren erschloss. Die einzelnen Stücke hatte ich in einer Datei zusammengefasst, damit es beim Verteilen im Roman keine Widersprüche oder Unlogik gab. Und ganz zuletzt meldete sich der Mörder zu Wort, erklärte seine Motivation und protestierte gegen die Verunglimpfung, als Serienmörder bezeichnet zu werden. Er ist heute noch der Überzeugung, er hätte gute Werke getan.
Verändern sich die Figuren auch manchmal während des Schreibens?
Petra Hammesfahr: Nur wenn ich sie vorher noch nicht richtig kannte.
Wie oft träumen Sie von Ihren Figuren?
Petra Hammesfahr: Ich gehe mit ihnen ins Bett und stehe morgens mit ihnen auf, und manchmal geistern sie auch nachts noch herum, allerdings nur die, mit denen ich aktuell beschäftigt bin oder deren Geschichten noch darauf warten, in Buchform gebracht zu werden. Die meisten anderen lassen mich glücklicherweise nachts in Ruhe und melden sich gelegentlich tagsüber noch mal zu Wort. Dann bekommen sie einen kleinen Part im neuen Roman und sind zufrieden, oder ich sage einmal in einem Nebensatz, wie es ihnen gerade geht - das reicht auch oft schon.
Wie oft haben Sie den Spruch schon gehört: Warum schreiben Sie eigentlich immer Thriller? Und was antworten Sie darauf?
Petra Hammesfahr: Wie oft ich den Spruch schon gehört habe, weiß ich wirklich nicht. Ich antworte meist, dass ich auch andere Sachen geschrieben habe - früher. Eine dieser frühen Arbeiten ist auch veröffentlicht worden: „Am Anfang sind sie noch Kinder". Darin geht es um einen Jugendlichen aus asozialen Verhältnissen. Darüber hinaus habe ich zwei Liebesromane im Angebot - „Seine große Liebe" und „Süßer Sommer" -, beide mit tragischem Anfang, der Ausgang ist auch nicht romantisch, aber es sind Liebesromane, darauf bestehe ich.
Wie können wir uns einen Ihrer Schreibarbeitstage vorstellen? Wie sieht Ihr Arbeitszimmer aus, gemütlich-chaotisch oder klar aufgeräumt?
Petra Hammesfahr: Chaos finde ich nicht gemütlich. Auf meinem Schreibtisch liegen zwar Unmengen von Notizen, das mag chaotisch aussehen, ist es aber nicht. Ich schalte in der Regel kurz vor elf den Computer ein und gegen sechs Uhr abends wieder aus. So komme ich auf sieben Arbeitsstunden. Früher waren es mehr Stunden, da ließ allerdings zwischendurch die Konzentration nach. Mehr geschafft habe ich früher nicht.
Wie gehen Sie an die Recherche heran, z. B. bei „Der Frauenjäger"? Diese Höhlen, in denen er seine Opfer gefangen hält, gibt es ja in vielen Gegenden, haben Sie eine besucht?
Petra Hammesfahr: Ich war vor langer Zeit in der Kluterthöhle. Vermutlich ist dort die Idee zum Frauenjäger entstanden, ohne dass ich es sofort bemerkt hätte. Ich habe mich einfach nur gefragt, wie man wohl wieder nach draußen findet, wenn der Führer das Licht ausmacht und verschwindet. Mehr Recherche gab es nicht.
Wie sehr müssen Sie sich als Autorin in Ihre Figuren hineinversetzen? In ihre Angst, ihre Grausamkeit, ihren Schmerz, ihre Verrücktheit - und wie machen Sie das konkret? Steckt Ihnen an manchen Tagen davon auch nach Feierabend etwas in den Knochen?
Petra Hammesfahr: Wenn ich über eine Figur schreibe, stecke ich drin. Ich war Cora Bender, Trude Schlösser, Greta Baresi, Karen Stichler, Rudolf Grovian, Josef Genardy, Arno Klinkhammer, Felix Täuber und all die anderen. Marlene war ich auch und gleichzeitig Karola, Annette und Ulla. Mein Mann hat mal gesagt, er wüsste nie so genau, zu wem er abends nach Hause kommt.
Wie entspannen Sie sich nach einem Schreibtag voller Mord und Grausamkeit?
Petra Hammesfahr: Am liebsten bei einem spannenden Film.
Interview: Literaturtest
... weniger
Bibliographische Angaben
- Autor: Petra Hammesfahr
- 2011, 1. Auflage., 432 Seiten, Maße: 15 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Wunderlich
- ISBN-10: 3805250142
- ISBN-13: 9783805250146
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